Der Wolfsprinz von Mad-Dental-Nurse (Wenn das kälteste Eis zu schmilzen beginnt) ================================================================================ Prolog: -------- Verflucht und vertrieben aus Angst und vor Abscheu. Geboren in der kältsten Kälte. Ohne die Liebe kennengelernt zu haben und erfüllt von tiefstem Hass. Einsam und verbittert. Den Glauben an die Güte und Wärme verloren und wissend um das Schlechte, welches in den Menschen wohnt. Kann nur ein anderes Herz das welches zu Eis erstarrt ist und leblos im eisigen Körper steckt , erwärmen und es wieder schlagen lassen. Doch mit dem neu erwachten Herzschlag kommt Leid und Schmerz. Und der Tod! Kapitel 1: Der Handel --------------------- Ein heftiger Schneesturm tobte und wirbelte die umherfliegenden Schneeflogen herum, als wollte er damit alles Leben unter einer dicken eisigen Schicht ersticken. Er heulte so laut, sodass man glauben konnte, die Seelen jener, die einst in solch einem Schneesturm ihr Ende fanden, würden darin mitheulen und jeden warnen wollte, der so geistesumnachtet war und sich in diesen Sturm wagte. Eine Frau, vermummt in einem Mantel kämpfte sich durch diesen. Versuchte die Kälte nicht zu spüren und immer weiter zugehen. Ihre Füße versanken bis zu den Waden im Schnee, machten es ihr schwer voranzukommen. Es war eigentlich unmöglich noch weiterzugehen, doch die Frau tat es. Was blieb ihr auch anderes übrig. Zurück in ihr Dorf konnte sie nicht mehr. Man hatte sie davon gejagt. Zu Unrecht verurteilt. Sich selbst überlassen. Und ein kleiner Teil von ihr wollte diesen falschen Menschen nicht den Gefalle tun und in diese Sturm sterben. Nun irrte sie durch den Wald. Wusste nicht wohin sie wollte. Doch stehenbleiben wollte sie auch nicht. Wenn sie weiter ging, würde sie, so hoffte sie, eine Hütte finden oder etwas anderes wo sie sich vor der Kälte schützen konnte. So ging sie weiter, zog den Mantel enger um sich und kämpfte sich durch den Sturm. Irgendwann kam sie auf eine freie Lichtung. Durch das Schneegestöber konnte sie kaum etwas erkennen. Sie sah nur einige dunkle Felsen, die umherstanden und etwas den Wind abschwächten. Hinter einem von diesen Steinfelsen suchte sie Schutz. Wollte ausharren, bis das eisige Inferno sich legte und sie weitergehen konnte. Ihre Beine schmerzten schon von der Kälte und ihre Ohren konnten das Heulen des Windes nicht mehr ertragen. Sie wollte sich schon die Hände auf die Ohren pressen um dieses grässliche Heulen nicht mehr hören zu wollen. Als sich ein anderes Geräusch in das Tosen des Windes mischte. Erst war es schwach. Dumpf. Ein Klopfen. Dann wurde es lauter, übertönte das Heulen. Die Frau lauschte und fragte sich, wer oder was da durch diesen Sturm jagte. Und mit dem Klopfen, kam ein weiteres. Zuerst dachte sie, das Heulen des Windes würde wieder lauter werden, doch dieses Heulen klang anders. Vertrauter. Sie hatte es schon mal gehört und eisige Schauer rannen ihr über den Rücken. Das Heulen bedeutete Unheil und Tod. Schon oft hatte es sie als Kind im Dorf gehört und sie mit Frucht erfüllt. Und so auch jetzt. Eisige Schauer rannen ihr über den Rücken, als sie das Wolfsgeheul hörte und sie lehnte sich noch enger an den Felsen. Wenn die Wölfe sie entdeckten, wäre sie verloren. Das Trampeln von Wolfspfoten und Heulen kam immer näher. Und sie erwartete die ersten des Wolfsrudels gleich um die Ecke kommen zusehen. Doch nichts passierte. Auch der Sturm legte sich. Nun herrschte Stille und diese war schlimmer, als das Heulen des Sturms. Diese wurde jedoch gleich wieder gebrochen, als Schritte zu hören waren. Spielten ihre Ohren ihr einen bösen Streich? Sie schaute vorsichtig um den Felsen und sah einen Schatten über dem Schnee dahingleiten, der langsam näher kam. Wieder presste sie sich an den Fels und rückte immer weiter in den Schatten der Felsen. Die Schritte kamen näher und nach einigen Minuten, die quälend langsam vergingen, sah sie, wer da um den Fels ging. Der Frau verschlug es den Atem. Vor ihr stand ein Mann. Hochgewachsen, breitschultrig, gekleidet in edle Gewänder. Edel war ebenso sein Gesicht. Das Haar pechschwarz, zu einem Zopf zusammengeflochten und ein feiner Bart zierte sein Gesicht. Wache, eisblaue Augen sahen auf sie nieder. Sein gesamtes Erscheinen wirkte wie das eines Königs. Ehrfürchtig und wie gebannt von dem Anblick dieses Mannes kniete die Frau im Schnee nieder. Senkte den Kopf. Der Fremde sah sie einen kurzen Moment an, dann beugte er sich nieder zu ihr und hielt ihr die Hand hin. Die Frau sah auf und kurz war Verwirrung in ihrem Blick zusehen, dennoch nahm sie seine Hand und ließ sich von ihm hoch helfen. Etwas sagte ihr, dass sie vor ihm nicht zu befürchten hatte. Jedoch fühlte sie sich vor ihm auch klein und schwach. Als würde es ihn leicht fallen, ihr etwas anzutun. Schüchtern trat sie einen Schritt zurück und schaute wieder zu Boden. Sie konnte sich nicht erklären warum. Aber dieser Mann war ihr nicht geheuer. Und doch musste sie sich auch eingestehen, dass er sie anzog. Es war verwirrend. Warum fühlte sie so? „Wieso wendet Ihr den Blick von mir ab?“, fragte er dann. Seine Stimme war dunkel und geheimnisvoll wie er selbst. „Bin ich so furchterregend?“ „N-Nein, Herr!“, stammelte sie. „Und wieso seht Ihr mich dann nicht an?“ Nun hob die Frau doch den Blick. Sie hielt es für nicht klug, wenn sie weiterhin den Blick auf den Boden gerichtet hielt und ihn somit beleidigte. Der Mann betrachtete ihr Gesicht eingehend. „Wie schön du bist!“, sagte er leise. Dann aber sprach er laut, nachdem er sie lange betrachtet hatte:„Wie ist Euer Name?“ „Lira!“ „Wie kommt es, dass Ihr durch diesen Höllensturm irrt, Lira?“, fragte er dann. „Habt Ihr Euch verirrt?“ „Nein, Herr. Ich…ich habe kein Zuhause!“, sagte Lira und blickte dabei, ohne dass sie es wollte, in die Richtung, in der ihr Dorf lag. Der Fremde folgte ihrem Blick. „Man hat dich vertrieben?“, sagte er, als er bemerkt hatte, wie niedergeschlagen und verzweifelt sie wirkte. Lira nickte. „Warum?“ „Ich…Man hat mich verjagt, weil ich…weil ich glaubte, jemandem etwas zu bedeuten und weil ich auf seine Lügen reingefallen bin!“ „Eine verschmähte Frau!“, sagte er. „Was hat ihn dazu veranlasst Euch so zu behandeln und zu hintergehen?“ „Er fürchtete, ich könnte ihn verraten und damit seine hohe Stellung im Dorf gefährden. Er wollte mich nur als seine Mätresse!“ Der Mann schwieg, sah sie nur an. Sah den Schmerz und die Enttäuschung in ihrem Gesicht. Nichts konnte grausamer sein, als enttäuschte Liebe. „Wohin wollt Ihr gehen?“ „Ich weiss es nicht!“, sagte Lira schwach. „Vielleicht in die Berge!“ „Möchtet Ihr nicht mit mir kommen?“, fragte er dann und Lira sah ihn verwirrt an. „Ich? Mit Euch?“ „Wieso nicht? Ihr habt es selbst gesagt: Ihr habt kein Zuhause mehr. Also was hindert Euch daran?“ Da war was Wahres dran. Nichts hielt sie hier. Sie konnte also genauso gut mit ihm gehen. Nur würde es ihr bei ihm besser ergehen? Als habe er ihre Frage aus dem Geiste gehört, sagte er mit sanfter Stimme:„ Ich versichere Euch, dass Euch bei mir an nichts fehlen wird!“ „Und was wollt Ihr als Gegenleistung haben?“, fragte sie dann, da sie irgendwie nicht glauben wollte, dass er dies aus Nächstenliebe tat. Mochte er freundlich zu ihr sein und wohl nichts Übles vorhaben. Sie war lieber misstrauisch, als das sie nochmals auf einen Mann hereinfiel. Der Fremde lächelte, weil er gut nachempfinden konnte, warum sie sich ihm so gegenüber verhielt. Dann sagte er kühl und sachlich:„ Das Ihr mir ein Kind schenkt!“, sagte er. Lira sah ihn entsetzt an. Sie öffnete den Mund um etwas zu sagen, doch es kam ihr keine Silbe über die Lippen. In ihren Augen sah er jedoch das eine Wort, was sie aussprechen wollte. „Warum?“ „Es soll mein Nachfolger werden!“ „Nachfolger?“, wiederholte Lira, als ihr langsam die Bedeutung seiner Worte in den Kopf gingen. „Seid Ihr ein Fürst oder dergleichen?“ „So was ähnliches!“, sagte er. „Kommt Ihr nun?“ Lira zögerte noch einen Moment, dann aber nickte sie. Zwar war sie immer noch über das Angebot des Mannes erstaunt, ja beinahe entsetzt, aber dann siegte die Neugier und die Hoffnung in ihr, dass doch alles gut werden würde. Schlimmer als Hure beschimpft und davon gejagt zu werden, in den sicheren Tod, könnte es nicht werden. Immerhin hatte er ihr es versprochen. Wo auch immer er sie hinbringen würde. Sie würde es dort besser haben als sonst wo. Der Fremde nahm den Mantel, den er zuvor getragen hatte, von seinen Schultern und legte ihn ihr um. Dann legte er den Arm um ihre Schultern und geleitete sie dann den Hang hinauf. Zu einem Schlitten, der gezogen wurde von…Wölfen. Nur waren diese so groß wie Pferd und ihre Augen glänzten vor Kälte. Lira blieb abrupt stehen, als sie die Tiere sah und warf dem Fremden einen ängstlichen Blick. Ein schrecklicher Gedanke kam ihr in den Sinn. Ließ Angst in ihr hochkommen. „Seid Ihr ein Hexer?“, fragte sie ihn. „Und wenn es so wäre?“, fragte er wiederrum. In seinen Augen blitzte es herausfordernd. Lira wagte es nicht, ihn anzusehen. Ihre Kehle fühlte sich trotz der Kälte trocken an und ihre Angst schlug immer größere Wellen. War es doch eine falsche Entscheidung gewesen, sein Angebot an zu nehmen? Sollte sie fortlaufen und nach einem anderen Weg suchen, sich zu retten? „Habt Ihr Euch anders entschieden?“, fragte er dann, als sie nicht sofort antwortete und er ging einen Schritt zurück. Ließ ihr Platz. Lira fragte sich, ob er sie wirklich gehen lassen würde oder ob das nicht doch ein böser Trick von ihm war und sie hinterrücks angreifen würde, sobald sie sich umdrehte. Unschlüssig was sie tun sollte, biss sich auf die Lippen. Blickte zu dem Mann, der ihr Retter sein wollte und zu den riesigen Wölfen, die sie mit bohrenden Blicken anschauten. „W-wenn ich es vorziehe zu fliehen, werdet Ihr mich aufhalten?“, fragte sie mit bebender Stimme. „Nein. Ich kann Euch nicht zwingen, mit mir zu kommen, Lira. Ich biete dir nur eine Zuflucht an. An meiner Seite!“, sagte er ruhig, als sehe er keinen Grund für ihre Angst. „Und warum? Ich bin Euch dankbar dafür, dass Ihr mir helfen wollt, aber ich begreife nicht warum?“ Der Mann sah sie für einen langen Moment schweigend an, als suche er selbst nach der Antwort. Als er sie wohl gefunden hatte, sagte er mit sanfter Stimme: „ Weil ich in Eurem Herzen sehe, dass Ihr die Richtige seid. Wer auch immer Euch verstoßen hat, muss ein Narr sein, eine solch treue Seele nicht zu würdigen!“ Lira verschlug es glatt die Sprache. Wie und woher konnte er das wissen? Dieser Mann musste wirklich ein Hexer sein. Aber ein Hexer, der wohl nur Gutes im Sinne hatte. Und Lira ehrlich sollte, was hatte sie schon zu verlieren? Andere Frauen träumten von so einem Mann, wie ihm. Und sie hatte das Glück einen zu treffen und der er ihr ein neues Leben anbot. An meiner Seite, hatte er gesagt. Lira verspürte ein warmes Gefühl in ihrer Brust, was sie schon lange nicht mehr, nach der Abweisung ihres vermeintlichen Liebhabers, verspürt hatte. Sie lächelte. „Darf ich dein Lächeln als ein Ja verstehen?“, fragte er dann. Lira sah ihn festentschlossen an. „Ja, ich werde mit Euch gehen!“, sagte sie. Kapitel 2: Ein Dorf, irgendwo im Nirgendwo ------------------------------------------ Die Bewohner des kleinen Dorfes Timor hatten eine Gasse gebildet. Blickten mit betrübter Miene der kleinen Gruppe nach, die an ihnen vorbeilief. Frauen und Männer, und auch einige Kinder, allesamt in schwarz gehüllt. Ebenso die Zuschauer, die an den Straßenrändern zu beider Seiten standen. Nur das Mädchen trug weiß. Glich einer Braut mit dem Schleier, der um sie tanzte. Ihre Miene war steinern und ihre Hände zu einem stummen Gebet gefaltet. Ihr Blick war auf den Boden gerichtet und Tränen rannen ihr über die Wangen. Ein Mann legte den Arm um die Frau, die neben ihm herlief und ebenso weinte. Jammerte dabei. „Mein Kind. Mein armes Kind. Warum nur?“ Der Mann kämpfte dabei die Fassung zu behalten. Doch auch ihm machte der Kummer das Herz schwer und blickte zu seiner Tochter, die in ihrer Mitte dahinschritt und weder nach links oder nach rechts schaute. Auch nicht nach oben, zum Himmel, der wolkenverhangen war und kein Sonnenlicht hindurchließ. Beklemmende Stille herrschte über dieser Scene, in der der Zug der Familie immer weiterlief. Das Dorf verließ und einem plattgetretenen Pfad folgte, der zu dem Wald führte, der dunkel und bedrohlich vor ihnen dalag. Lauernd, wie ein Tier, dass auf fette Beute wartete. Die Trauer und die Angst nahm immer mehr zu, mit jedem Schritt den sie auf ihn zumachten und eine alte Frau, die Großmutter des Mädchens, begann zu beten. „Herr erbarme dich meiner Enkelin und bringe sie ins gelobte Land!“ Immer wieder betete die Alte und umklammerte mit ihren dürren Händen das einfache Holzkreuz, als würde ihr Leben daran hängen. Schon bald wurden Fackeln angezündet, spendeten genug Licht, um zu erkennen, wohin sie gehen mussten. Wie dunkle Geister tanzten die Schatten über den Boden, über die kahlen Baumstämme und nichts, außer das Flüstern und Beten war zu hören. Nicht mal ein Windhauch strich über sie hinweg. Oder Vogelgesang war zu hören. Es war als hielte der ganze Wald den Atem an. Weil wusste, dass sehr bald etwas kommen und das unglückliche Mädchen holen würde. Noch lange blickten die Menschen dem Trauerzug nach. Einige der Menschen bedauerte die Familie und ganz besonders das Mädchen. „Es ist schrecklich, dass so ein schönes, junges Ding so enden muss!“, sagte eine alte Frau. „Wie lange soll das noch so gehen?“, kam es von einer etwas jüngeren und zog ihr Kind, ebenfalls ein Mädchen an sich. Begrub es in den Falten ihres Rockes. „Wir müssen etwas dagegen tun. Sonst werden wir noch…!“, rief ein Mann. „Du weißt, dass das nicht möglich ist. ER würde keine einzige Minute zögern, um uns…!“, erwiderte ein zweiter. „Genug jetzt! Heute ist ein düsterer Tag und die Familie des unglücklichen Mädchens hat genug Leid zu ertragen!“, schrie ein dritter, älterer Mann und unterbrach so die Diskussion. Die beiden Männer schwiegen, doch ihre Blicke sprachen Bänder. Die Diskussion hatte natürlich jeder gehört. Auch ein kleiner Junge, mit goldenem Haar, welcher an der Hand seiner Mutter ging und seine Neugier nicht lange verbergen konnte. „Was meinen diese Männer damit, Mama?“ Die Mutter, ganz in ihren eigenen traurigen Gedanken versunken, schreckte hoch und blickte zu ihrem Sohn hinunter. „Ich…nichts meinen sie damit, Rene. Komm, wir müssen weiter. Es wird kalt!“, sagte sie schnell und zerrte ihren Sohn hinter sich her. Rene runzelte bei den Worten seiner Mutter die Stirn. Verstand nicht, warum sie ihm auswich. Wollte nochmals fragen, was das zu bedeuten hatte, doch er hielt inne. Er wusste, dass, wenn seine Mutter so nervös dreinschaute und seine Fragen so auswich, dass es keinen Sinn hatte, weiter zu bohren und schwieg daher. Blickte dann von seiner Mutter zu dem Pfad, den die Familie beschritten hatte. Und zum Wald, der, jetzt durch die Abenddämmerung, noch düsterer geworden war und ihm eine Gänsehaut bescherte. Er fragte sich, was es wohl in diesem Wald gab, dass seine Mutter so zittern ließ. Und nicht zuließ, dass die Dorfbewohner sich dagegen wehrten. Es sogar verbot, einen Gedanken darüber zu äußern. Diese Frage beschäftigte ihn noch lange. Auch jetzt, wo er in seinem Bett lag und aus dem Fenster schaute. Hinaus, zum Wald, über dem ein runder Mond hing und nur wenige Wolken diesen bedeckten. Seine Schwester Flora schlief schon lange. Sie hatte dem Trauerzug ebenso beigewohnt und dabei geweint. Sie war mit dem Mädchen, das fortgebracht wurde, gut befreundet gewesen. Es hatte ihr das Herz gebrochen mit an zu sehen, wie sie auf Nimmerwiedersehen weggebracht wurde. Sie aber zu fragen, warum und was da auf sie wartete, hatte er nicht gewagt. Seine Schwester war schon genug am Boden zerstört und Sare wollte sie nicht noch trauriger machen. Daher schwieg er und blieb mit seiner Frage allein, die ihn noch lange wachhielt. Seinen Blick aufs Fenster haftend. Bis seine Augen nicht mehr die Kraft hatten, offen zu bleiben und zu fielen. Er schlief ein und träumte nicht. Bis ein Heulen ihn aufschrecken ließ. Erneut schaute er zum Fenster und blinzelte. Irgendetwas hatte sich verändert. Doch er konnte nicht zuerst erkennen, was es war. Erst beim dritten und vierten Blinzeln sah er es. Eine Wolke hatte sich vor dem Mond geschoben. Jedoch war es keine gewöhnliche Wolke. Ihre Form war viel zu deutlich zu erkennen, als dass man sie als eine normale Wolke bezeichnen konnte, die man tagtäglich sah. Sare sah wie gebannt zu der Wolke hin und sein Hals schnürte sich zu. Das, was die Wolke da, darstellen sollte, war einfach unmöglich und doch wirklich. Und er hätte schwören können, dass es in dem kleinen Zimmer, was er sich mit seiner Schwester teilte, eiskalt geworden war. Das, was er sah, war ein Wolf. Ein heulender Wolf. Und Minuten später hörte man ein schauriges Wolfsheulen und darauf einen gellenden Schrei, der von einem Mädchen stammte. So hier das nächste Kapitel. Ich hoffe Ihr seid mir nicht böse, wenn es so kurz ist, aber ich möchte dieses Mal nicht gleich so viel veröffentlichen. Sonst komme ich wieder in Zeitdruck und ich bin noch nicht weit gekommen. Außerdem heisst es ja so schön: In der Kürze liegt die Würze ^^ Kapitel 3: Der verbotene Wald ----------------------------- Neunjahre vergingen und immer wieder war Rene Zeuge, wie eine Familie ihre Tochter aus dem Dorf zum Wald brachte. Dabei bemerkte er, je älter und aufmerksamer er wurde, dass dies immer geschah, wenn der Mond voll und rund am Himmel stand. Und wie verschwiegen dann das Dorf war. Wie in tiefer Trauer versunken. Zu Anfang hatte er sich gefragt, was das bedeuten konnte, dass die Familien schwiegen und wochenlang schwarz trugen. Hatte in seiner kindlichen Unschuld seine Mutter gefragt, doch diese hatte darauf nur mit knappen Worten reagiert und ihn ins Bett geschickt. Sie wollte nicht darüber reden. Auch sein Vater nicht. Und Flora? Immer wenn er sie fragte, brach sie in Tränen aus und schlug sich die Hände vors Gesicht. Rene fühlte sich dann immer schlecht, weil er glaubte, er habe sie irgendwie verletzt und irgendwann hörte er auf, sie oder seine Eltern zu fragen. So vergingen die Jahre und aus dem kleinen Jungen Rene, wurde ein junger Mann, der allerdings nur Blödsinn im Kopf hatte. „Rene…Rene. Wo steckst du schon wieder?“, rief seine Schwester aufgebracht und lief im kleinen Obstgarten hin und her. Doch Rene blieb verschwunden, dabei hätte sie schwören können ihn hier gehört zu haben. Sicher versteckte er sich wieder und drückte sich somit vor der Arbeit. Flora stieß einen frustrieten Seufzer aus und stemmte die Hände in die Hüften. Sie war so Leid, ständig ihrem kleinen Bruder hinterher zu jagen, nur damit er ihr half. Wütend pustete sie sich eine Strähne aus dem Gesicht und schaute sich um. Stapfte dann weiter. „Rene. Ich zähle bis drei. Dann bist du hier und hilfst mir, oder Mutter wird dir wieder mal die Ohren lang ziehen!“, drohte sie und ging weiter. „Eins! Zwei!“ Sie kam an einem Baum und blieb sogleich stehen als sie ein verdächtiges Rascheln hörte und blickte in die Baumkronen. Kniff ihre Augen zusammen. „Zweiundhalb…!“ Da brach plötzlich aus dem Geäst von dem danebenstehenden Baum und Flora stieß einen spitzen Schrei aus. Von einem der dicken Äste, kopfüber hing Rene. Mit einem Apfel im Mund und dennoch lachend. Nachdem sie sich von ihrem Schrecken erholt hatte, versetzte sie ihm einen Stoß, sodass ihm der Apfel aus dem Mund fiel. „Hey, mein Apfel!“, rief er und sprang auf den Mund. Klopfte sich den Schmutz von den Kleidern und hob den angebissenen Apfel auf. „Anstatt in den Bäumen zu hängen, wie ein Affe und Äpfel zu futtern, könntest du mir ruhig helfen!“, keifte seine Schwester. „Das habe ich doch!“, sagte er frech. „Das habe ich gesehen. Aber besser wäre es mit den Händen und nicht mit dem Mund, Trottel!“ Rene sah sie mit beleidigter Miene an, dann streckte er sich und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Nö, keine Lust!“ Flora war kurz davor gewesen, die Beherrschung zu verlieren. So sehr sie ihren kleinen Bruder auch liebte, manchmal brachte er sie zur Raserei. Wieso müssen alle Jungs in dem Alter solche Idioten sein, fragte sie sich. „Mir egal ob du Lust hast oder nicht. Mutter will das du mir hilfst!“, sagte sie und reichte ihm einen Korb. „Los fang an. Und beeil dich. Großmutter kommt heute!“ „Großmutter?“, fragte Rene und seine Augen wurden groß. „Ja, Großmutter. Also los fang an, oder sie zieht dir noch die Ohren lang!“ Diese Drohung war nicht nötig, denn Rene grinste wieder von einem Ohr zum anderen und griff sich den Korb. „Wieso hast du das nicht gleich gesagt, Schwesterchen!“, warf er ihr schon fast vor und begann in Windes Eile die reifen Äpfel zu pflücken. Flora sah ihm nur nach und schüttelte den Kopf. „Jungs!“, dachte sie. Wie angekündigt kam die Großmutter. Sie war eine kleine Frau, mit einem ebenso kleinen Buckel. Hatte weißes Haar, welches sie mit einem Tuch bedeckt hatte und war in dicke Winterkleider gewickelt. Sie stützte sich auf einen knorrigen Ast und hatte immer einen Korb in der Hand. Manchmal trug sie etwas darin, manchmal auch nicht. Als Rene sie mal gefragt hatte, warum sie stets den Korb bei sich hatte, hatte sie mal gesagt:„ Man weiß nie, wann man was bekommt!“ Für die anderen, war sie einfach eine verrückte alte Frau. Aber für Rene war sie was Besonderes. Sie scheute sich nicht, sich über die anderen alten Frauen und ihre Macken auszulassen. Er musste immer darüber lachen, während seine Mutter ihre Mutter immer bat, sich zurück zu halten. So wie auch heute. „Bah, diese alte Ziege von Metzgerin. Soll sich erstmal selber im Spiegel anschauen, bevor sie andere als hässlich beschimpft. Sieht aus, wie ein Eimer Fleischabfälle!“, schimpfte sie, kaum das sie im Haus war und die Tür hinter sich schloss. „Mutter, hör endlich auf damit. Die Leute reden schon!“ Renes Großmutter winkte ab. „Pah, die Leute. Was scheren mich diese Hohlköpfe, die sich für was Besseres halten und nicht mal in der Lage sind, ihren verkommenen Nachwuchs erziehen zu können!“ „Mutter!“ „Ach, lass mir doch die kleine Freude. Auf meine alten Tage!“, erwiderte sie schroff, konnte sich aber ein Lächeln nicht verkneifen, woraufhin Rene umso mehr lachte. „Siehst du. Du bringst den Jungen noch auf dumme Gedanken. Schon schlimm genug, dass ich wegen dir immer Probleme mit dem Nachbarn habe. Eine Wunder das überhaupt noch jemand bei uns was kauft!“ „Das liegt eben daran, dass ihr die einzigen seid, die wirklich gutes Brot zustande bringt, Elsa!“, sagte die Großmutter und tätschelte den Arm ihrer Tochter. „Gutes Brot wiegt kaum den Ärger auf, den ich wegen deiner spitzen Zunge habe!“, konterte Renes Mutter, die sich von den süßen Worten ihrer Mutter trösten lassen wollte. „Seine Meinung frei äußern zu dürfen ist nicht verboten!“ „Aber meistens nicht gerade erwünscht!“ „Es macht mich eben wütend, dass Menschen über andere Menschen lästern, die es nicht so gut im Leben haben!“, sagte Renes Großmutter inbrünstig. „Genauso ärgert es mich, dass diese Feiglinge es nicht endlich einsehen, dass ihre Vorväter einen Fehler begangen haben und stattdessen weiterzulassen, dass ihre Töchter…!“ „Mutter, hör auf. Sprich nicht weiter!“, flehte nun Renes Mutter und warf einen ängstlichen Blick zu Flora, die wie erstarrt dasaß. Rene runzelte die Stirn. Eine beklemmende Stille legte ich über sie, in der keine es wagte, zu atmen. Rene schaute von seiner Mutter zu seiner Großmutter und dann zu seiner Schwester, die zitterte. Schnell ging sie zum Ofen und warf einige Holzscheite hinein. Dabei zitterten sogar ihre Hände und ihre Lippen bewegten sich zu einem stillen Gebet. Ihre Mutter schlug sich schnell ein Kreuzzeichen auf der Brust und der Vater biss sich auf die Unterlippe. Das Messer, das er zum Schnitzen einer Holzfigur benutzte, hielt er verkrampft in der Hand. Rene schien der einzige zu sein, der von dem, was in ihnen allen vorging, nichts wusste und das behagte ihm nicht. „Was meint Großmutter damit, Mutter?“, fragte er schließlich. Elsa legte sich kurz die Hand auf die Brust und atmete einige Male tief durch. Dann sagte sie:„ Nichts. Geht doch bitte in den Keller und den holt den Kuchen, den ich gebacken habe!“ Rene wollte schon fragen, wieso, aber Flora ergriff ihn am Ärmel und zerrte ihn mit sich. „Was hat Großmutter damit gemeint, Flora?“, fragte er flüsternd, während sie in den Keller gingen. „Nein!“, sagte seine Schwester, ein wenig gereizt, was Rene noch mehr stutzte. Ohne sich nach ihm um zu drehen, ging sie zu dem Regal, auf dem der Kuchen stand und nahm ihn. Schob sich an ihm vorbei und stieg die Treppe hinauf. Rene blieb einige Minuten stehen, schaute seiner Schwester nach, dann ging er ihr nach. Das gemeinsame Essen des Kuchens verlief im Schweigen und von der ausgelassenen Stimmung vor einigen Minuten war nichts mehr geblieben. Immer wieder schaute Rene zu seiner Mutter und zu seiner Schwester, die seinen Blicken wiederum auswischen. Seine Großmutter hingen sah ihn an und in ihren Blicken sah er deutlich, was die anderen ihn verheimlichen wollten. Als es Abend wurde und die Großmutter der beiden nachhause gehen wollte, bat sie Rene, sie zu begleiten. Rene zögerte nicht und zog sich schnell an. Seine Mutter sah dies mit einer Spur von Misstrauen. Sagte jedoch nichts. Kaum dass sie draußen waren und einige Schritte gelaufen sind, schaute Rene über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass sie keiner hörte und beugte sich dann zu seiner Großmutter. „Was meintest du damit, Großmutter?“, flüsterte er. Seine Großmutter machte ein verbittertes Gesicht und schaute hinunter, während sie weitergingen. Deutlich sah er ihr an, wie sich ihr Körper anspannte und zu zittern begann. So als würde sie mit sich kämpfen. Dann aber blieb sie stehen und schaute zu einigen Bäumen, die langsam aber sicher ihre Blätter verloren. „Es wird bald wieder der Winter kommen!“, sagte sie wie zu sich selbst und in Gedanken versunken. Rene wurde immer verwirrter. Was hatte das jetzt zu bedeuten? Natürlich würde der Winter kommen. So war es ja immer. Also wieso sagte sie so etwas? „Wieso sprichst du jetzt vom Winter, Großmutter?“ „Weil der Winter das Leid wiederbringt, in dieses Dorf und in das Haus einer armen unglückseligen Familie!“, erklärte sie und langsam dämmerte es Rene. „Du meinst, dass wieder ein Mädchen gehen muss!“ Sein Magen wurde zu Eis als er sich schaudernd an den letzten Winter erinnern musste, bei dem ein junges Mädchen, die Tochter eines Nachbarn, fortgebracht wurde und dessen toter Körper nur wenige Tage später wieder ins Dorf gebracht wurde um sie zu beerdigen. Trotz dass viele Menschen sich um die Tote versammelt hatten und seine Mutter versucht hatte, ihn daran zu hindern, konnte er einen flüchtigen Blick auf sie werfen und glaubte, man hätte ihn mit Eiswasser übergossen. Der zarte Körper des Mädchens war grausig zu gerichtet worden. Überall klafften tiefe Wunden und ihr weißes Kleid war blutbeschmiert. Die Menschen begannen aufgebracht zu tuscheln und die Familie brach bei dem Anblick ihrer toten und geschundenen Tochter zusammen. Renes Mutter zerrte ihn mit sich. Fort von dem grausigen Fund. Dabei schnappte Rene einige Wortfetzen auf. „Das war er!“ „Dieser Teufel!“ „Verflucht soll er sein. Er und seine Bestien von Wölfen!“ Wölfe, schoss es ihm damals durch den Kopf und auch jetzt wieder, als er sich daran erinnerte. Wie als habe man einen Schleier von seinen Augen genommen, sah er jetzt all die Zusammenhänge. Die wolfartige Wolke, das Heulen, das Schreien eines Mädchens. Der alljährliche Marsch durch das Dorf, der damit endete, dass eine Tochter aus dem Dorf, als Braut verkleidet, in den Wald geschickt wurde und dann nie wieder gesehen wurde. Der Schnee, der auf sie niederging und sich, wie eine alles Leben erstickende weiße Decke über das Dorf legte. Jahr für Jahr. Und bald würde es wieder soweit sein. Rene schauderte. Nun verstand er Floras Angst und die Aufgebrachtheit seiner Mutter. Und ihm kam ein schrecklicher Gedanke. „Flora!“, keuchte er entsetzt und blickte in das Gesicht seiner Großmutter. In diesem las er bitteres Wissen. Panisch schüttelte er den Kopf. „Nein! Nicht Flora!“, keuchte er. Seine Großmutter fasste ihn an der Hand. Drückte sie. „Bete, dass es nicht sie sein wird. Was anderes kannst du nicht tun!“, sagte sie. Kaum dass er wieder im Elternhaus war, eilte er hoch zu dem Zimmer seiner Schwester. Sie war gerade dabei gewesen, sich für die Nacht fertig zu machen, als er ohne an zu klopfen durch die Tür stürzte. „Rene, was soll das denn?“, fragte sie aufgebracht. „Wusstest du es?“, fragte er sie ebenso aufgebracht und Flora wusste zu nächst nicht, was er damit meinte. Minutenlang sahen sie sich an, dann wandte sich Flora von ihm ab und bürstete sich weiterhin ihr Haar. Schweigend blickte sie in den Spiegel, während Rene einfach nur dastand und seine Schwester ihn ignorierte. Das sie schwieg und in aller Seelenruhe die Haare machte, ließ Ärger in ihm hoch kommen. Immerhin war sie seine Schwester und er hatte ein Recht zu erfahren, ob sie von ihrem möglich nahenden Ende wusste. „Flora. Ich habe dich was gefragt!“, fuhr er sie an. Flora schmetterte die Bürste auf den Nachttisch und sprang auf. „Ja, ich wusste es. Spätestens als meine beste Freundin geholt wurde. Letztes Jahr, wenn du dich erinnerst!“ Rene erinnerte sich. Seine Schwester war seit diesem Tag sehr in sich gekehrt und hatte kaum gesprochen. Er hatte versucht, sie irgendwie aus ihrem Kummer zu holen. Hat ihr Tricks vorgeführt, Späße gemacht über die sie sonst immer gelacht hatte. Doch es hatte nichts genutzt. Sie war wie unter einem Bann, der langsam von ihr wich. Dennoch, wenn der erste Schnee gefallen war, hatte sich ein Ausdruck von Kummer und Sorge auf ihr Gesicht gezeigt. Und Rene verstand es nun besser, als ihm lieb war. „Wieso hast du es mir nicht gesagt?“, flüsterte er. Floras Schultern sackten nach unten und sie schüttelte traurig den Kopf. „Ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst!“ Rene schnappte nach Luft. Soll das ein Witz sein? Keine Sorgen? Nach allem was er heute mitbekommen und von seiner Großmutter gehört hatte, hatte er doch jeden Grund dafür. Sie war seine Schwester. Seine kleine Schwester um genau zu sein und doch war sie es immer gewesen, die ihn wie einen kleinen Jungen gescholten hatte, wenn er Blödsinn gemacht hatte. Was oft zu Zankereien gesorgt hatte, aber dennoch liebte er seine Schwester. Und sie ihn. Aber er verstand dennoch nicht, warum sie so handelte. „Aber jetzt mache ich mir noch mehr Sorgen. Wenn jedes Jahr ein Mädchen geholt wurde, was garantiert mir, dass es dieses Mal nicht dich trifft!“ „Es gibt noch andere Mädchen. Ich bin nicht die einzige!“ Flora wusste, dass es grausam klang und egoistisch. Aber sie wollte ihn beruhigen. Auch wenn ihr klar wurde, dass es nichts bringen würde. Er würde sich trotzdem um sie sorgen. Sie wusste selbst, dass irgendwann ihre Zeit kommen würde und Rene nichts dagegen unternehmen konnte. „Und was wenn doch?“, warf er ein, als habe er ihre Gedanken gelesen. Flora sah ihn nur. Dann lächelte sie traurig und strich ihm über die Wange. „Dann kannst nicht mal du mich retten!“ „Und ob ich das kann!“, rief Rene aufgebracht. Sofort sah in ihm den kleinen Jungen wieder, der mit einem Holzschwert durch den Garten tollte und in seiner Fantasie gegen Drachen kämpfte, um die in notgeratene Prinzessin, die sie spielte, zu retten. Fast schon wollte sie lächeln. Aber sie konnte einfach keins zustande bringen. „Nein, ich fürchte nicht!“ Rene wollte wiedersprechen, doch Flora schüttelte wieder den Kopf und machte damit verständlich, dass das Gespräch beendet war. Die ganze Nacht lang lag Rene wach in seinem Bett und starrte an die Zimmerdecke. Das was er an diesem Tag erfahren hatte kam ihm alles viel zu viel vor. Sein Kopf schmerzte. Ebenso seine Brust. Der Gedanke, dass seine Schwester als nächstes erwählt wird und Opfer dieser Bestien wird, ließ sein Herz vor lauter Angst zu Eis werden. Seine einzige Hoffnung bestand darin, dass Flora Recht behielt und sie es nicht sein würde. Zwar wäre es schlimm, wenn es eine andere Familie treffen würde, aber Rene wäre erleichtert und die Angst, die ihn nun mit solcher Wucht traf, für dieses Jahr gebannt. Dennoch warf er sich immer wieder vor, dass er nichts gemerkt hatte und es eher erkannt hatte. Mit schwerem Seufzer drehte er sich auf die andere Seite und versuchte in dieser Nacht Schlaf zu finden. Nach diesem Tag war nichts mehr so, wie es zwischen Rene und Flora war. Die kleinen Sticheleien zwischen ihnen blieben aus und wann immer Rene versuchte das Gespräch auf das eine bestimmte Thema zu bringen, wich Flora aus. Entweder mit irgendeiner Ausrede, sie müsse etwas zu erledigen oder wenn es sich nicht mehr vermeiden ließ, sperrte sie sich in ihrem Zimmer ein und egal wie sehr Rene sie anflehte oder ihr drohte, sie öffnete nicht. „Gibt es denn nichts, womit wir das verhindern können?“, fragte Rene eines Tages seine Eltern, als er sich zu ihnen in der Küche gesellte. Seine Mutter spülte ab, während sein Vater Teig für neues Brot machte und ihn in die Form brachte. Beide schienen seine Frage erstmal nicht gehört zu haben, aber dann stützte sich seine Mutter an der Spüle ab, als würde es ihr schwerfallen, aufrecht zu stehen. Sie schluchzte und wischte sich mit dem Handrücken über das Gesicht. „Mutter?“ „Es gibt nichts, womit wir es verhindern können!“, sagte sein Vater mit schwerer Stimme. So wie er es sagte, klang es endgültig, als habe er sich schon damit abgefunden. „Wie kannst du sowas sagen, Vater?“, kam es entsetzt von Rene. „Willst du etwa zulassen, dass sie geholt wird?“ „Nein natürlich nicht. Aber das einzige was wir tun können ist beten!“ „Beten!“, fauchte Rene wütend und stürmte dann enttäuscht aus der Küche. Kaum das er draußen war begann er wütend auf und ab zu laufen und wild zu fluchen. Wie die Einstellung der Eltern der anderen Mädchen, die fortgeschickt wurden, wusste er nicht. Ob sie genauso gedacht hatten, wie seine Eltern nun und gleich die Flinte ins Korn warfen? Oder ob sie versucht hatten, es zu verhindern? Er versuchte sich daran zu erinnern und zu seiner wachsenden Frustration konnte er sich nicht erinnern, dass es jemals eine Familie gegeben hatte, die die Tochter mit allen Mittel verteidigt hatte. Oder gar den Versuch gewagt hatte zu fliehen. Zum einen war er fassungslos über die Feigheit und Unfähigkeit der Dörfler und der Eltern, einschließlich seiner und zum anderen fragte er sich, was es so schlimmes sein, dass sie so handelten. Rene wusste, dass er, wenn er noch lange hier rumlief und sich den Kopf darüber zerbrach, irgendwann verrückt werden würde. Er musste sich wieder beruhigen. Wie ein wilder Stier zu toben und sich aufzuregen würde nichts bringen. Auch wenn es ihm nicht gefiel, musste er abwarten und hoffen, dass es nicht sie traf. Dennoch musste er raus. Sich bewegen. So zog er sich an und verließ das Haus. Ohne dass er auf seine Schritte geachtet hatte, hatte er das Dorf verlassen und blieb erst stehen, als sich ein dunkler Schatten über ihn legte. Er schaute auf und musste feststellen, dass er vor dem Wald stand. Er blickte hinauf und ein Schauer rann ihm den Rücken. Wie eine Mauer ragten die unzähligen Baumstämme auf und erhoben sich unendlich hoch in den Himmel. Trotz dass er strahlendblau war und die Sonne ihre wärmenden Strahlen hinunterschickte, vermochte sie nicht das Dunkel, welche in ihm herrschte zu durchdringen. Nicht ein Blatt leuchtete auf. Es war gerade zu unheimlich. Rene versuchte sich vor zustellen, was da in diesem dunklen Wald lauern könnte. Tiere? Dämonen? Man erzählte sich einige Dinge über diesen Wald. Besonders die kleinen Kinder werden davor gewarnt oder gedroht, dass die bösen Waldgeister sie holen würden, wenn sie in den Wald gehen würden oder sich nicht benahmen. Und Rene konnte nicht leugnen, dass ihn nun die Neugier packte. Zum einen weil er wissen wollte, was die Mädchen holte und weil er wissen wollte, ob man was auch immer es war, aufhalten konnte. Es musste so sein. Doch irgendwas hielt ihn davon ab, einen Schritt in den Wald zu machen. Etwas hielt ihn zurück. Als würde ihn eine unsichtbare Macht von ihm fernhalten wollen. Waren es Angst oder Unsicherheit. Rene konnte es nicht sagen. Vermutlich war es eine Mischung aus beiden. Minutenlang stand er da und blickte zu den Bäumen. Zu seiner wachsenden Nervosität hin zu kommend musste er feststellen, dass nicht einmal der Wind es vermochte die Äste zu bewegen. Als würde der Wald schlafen oder gar tot sein. Wieder lief es Rene den Rücken hinunter. Was nur lebte dort, dass dem Wald solch eine Wirkung verlieh? Nun siegte die Neugier doch und Rene wagte den ersten Schritt zu machen. Kaum dass er in den Wald trat wurde er auch schon von der Dunkelheit verschluckt. Die Wärme der Sonne verschwand und Kälte umwehte ihn. Als würde ein Hauch des Winters bereits in der Luft liegen. Rene fröstelte und bereute nun, dass er sich keinen Mantel oder eine Jacke mitgenommen hatte. Und es wurde kälter mit jeder Minute, in der er an Ort und Stelle stehen blieb. Erneut blickte er hoch und musste feststellen, dass die Bauwipfel tatsächlich so dicht aneinander stehen, dass es die Sonne wirklich nicht vermochte mit ihren Strahlen hindurch zu dringen. Und doch entdeckte Rene einige Wildblumen und Büsche, die aus dem mit dunklem Gras bewachsenen Boden wuchsen. Das hier überhaupt etwas wuchs, glich einem Wunder. Aber das sagte ihm immer deutlicher, dass hier nichts mit rechten Dingen zuging. Es war nicht nur dunkel, sondern auch still. Man hörte weder die Vögel zwitschern, noch irgendwelches Kleintier über den Boden huschen. Nicht mal Insekten waren zu hören. Es herrschte neben der undurchdringlichen Dunkelheit auch eine gespenstische Stille. Und ein beklemmendes Gefühl erfasste ihn. Kroch ihm wie eisige Kälte den Rücken hinauf und stach wie ein Dolch in seinen Schädel. Die Kälte drang in seinen Körper und breitete sich rasend schnell aus. Zugleich spürte er wie er zu Eis erstarrte und unfähig war, sich zu rühren. In seinem Kopf hämmerte es jedoch: „ Lauf…Lauf so schnell du kannst!“ Mit zittrigen Beinen machte er einen Schritt zurück. Vermochte es nicht den Blick von dem Wald vor sich zu nehmen, aus Angst, dass ihn etwas aus dem Unterholz packen und mit sich nehmen könnte. Ihn beschlich nun auch ein Gefühl beobachtet zu werden. Es bohrte sich wie Nadeln in sein Herz und ließ es langsamer schlagen. Und ihm kam ein furchtbarer Gedanke. Ließ seine Beine immer mehr zittern, dennoch ging er weiter. Was wenn dieser Wald nicht so verlassen zu sein scheint, wie er dachte? Was wenn darin etwas lebte, was nur darauf wartete, sich auf ihn zu stürzen? Vielleicht ein Ungeheuer oder mehre? Rene wollte nicht hier wie angewurzelt stehen bleiben und es herausfinden. Als er endlich aus dem Wald trat, blieb er noch einigen Minuten stehen, dann aber drehte er sich um rannte, als sei der Teufel hinter ihm her zum Dorf hinunter. Und obwohl er immer mehr Abstand zwischen sich dem Wald brachte, hatte er dennoch das Gefühl, dass sich etwas an seine Ferse heftete und ihn verfolgte. Kapitel 4: Dunkle Vorzeichen ---------------------------- Mit einem lauten Knall warf er die Türe hinter sich zu, sobald er im Elternhaus war und lehnte sich dagegen, als wollte er verhindern, dass das Ding, welches ihn verfolgte, ins Haus kam. Minutenlang stand er so da, spürte wie sein Herz gegen das Innere seiner Brust hämmerte und das Blut in seinen Ohren rauschte. Seine Lungen schmerzten. Fühlten sich trocken an und als wären sie von Dornenranken umschlossen. Erst als ihm schwindelig wurde, wurde ihm klar, dass er die Luft angehalten hatte und nun gierig frische Luft in seine ausgedörrten Lungen saugte. Solange bis das Schwindelgefühl nachließ und er sich wieder beruhigt hatte. Das Zittern in seinen Beinen aber blieb. Mit langsamen Schritten ging er zu einem Stuhl und ließ sich auf diesen niedersinken. Verschränkte die Arme auf den Tisch und legte den Kopf darauf. Schloss die Augen. Atmete weiterhin tief ein und nach einiger Zeit ließ auch das Zittern nach und Rene fühlte sich einigermaßen besser um hoch zu gehen. Dennoch konnte er nur mit Mühe aufstehen. In seinem Zimmer legte er legte seine Sachen ab und ging dann in die Küche um etwas Wasser ab zu kochen, um sich zu waschen. Während er darauf wartete, dass der Teekessel endlich pfiff, bemerkte er, dass weder seine Mutter, sein Vater noch seine Schwester zuhause waren. Das wunderte ihn ein wenig. Normalerweise waren sie um diese Zeit immer zuhause. Oder vielleicht waren seine Eltern in der Bäckerei und machten die nächsten Brote fertig. Aber wo könnte dann Flora sein? Bei einer Freundin? Oder sie half ihren Eltern. Das musste es sein. Rene hoffte es, denn er hatte die leise Befürchtung, dass sie nach ihm suchen gegangen war und womöglich nun auch in diesem unheimlichen Wald stand. „Oh bitte nicht. Lieber Gott, bitte mach, dass sie bei Ihnen ist!“ Das Pfeifen riss ihn aus seinen Gedanken und ließ ihn zusammenzucken. Schnell nahm er den Teekessel von der Platte und ging damit ins Badezimmer. Vorsichtig goss er das heiße Wasser und sah, wie der Spiegel von dem Dampf beschlagen wurde. Doch das kümmerte Rene erstmal nicht. Er nahm einen Lappen und tauchte diesen schnell in das heiße Wasser. Schon als seine Hände das Wasser berührten, spürte er eine gewisse Erleichterung und er seufzte wohlig auf. Schnell machte er sich daran, diese Wärme auch auf seinen Oberkörper zu verteilen. Die Wärme des Wassers sorgte dafür, dass sich seine angespannten Muskeln wieder lockerten und die Kälte, die ihn seit, er aus dem Wald gelaufen war nicht mehr losließ, von ihm abfiel. Als er nichts mehr von dieser beklemmenden Kälte spürte, wollte er sich nun das Gesicht waschen und wischte daher den Spiegel sauber. Doch kaum dass seine Hand einen Streifen klaren Glases freigab, stieß er einen Schrei aus, als er hinter seinem Spiegelbild zwei weitere Augenpaare entdeckte, die ihn kalt ansahen. Der Schrecken fuhr durch seinen Körper und lähmte ihn. Sein Herz raste wie zuvor, als er aus dem Wald gerannt war. In seinem Kopf schrie es, dass das nur Einbildung sei. Dass er sie sich die Augen einbildete. Wie ein Kind, dass etwas schreckliches sah, kniff er die Augen zu und atmete einige Male hörbar ein und aus. Als er sich sicher war, dass diese Augen weg sein mussten, öffnete er sie wieder und zu seiner Erleichterung waren sie auch verschwunden. Jedoch blieb das Entsetzen darüber und Minuten lang blickte er in den Spiegel und obwohl die eisigen Augen verschwunden waren, spürte er dennoch ihren bohrenden Blick auf sich. Erneut spürte er diese Kälte um sich herum und begann zu zittern. Schnell zog er sich sein Hemd über und eilte in sein Zimmer. Er wollte nur noch die Tür hinter sich in Schloss schmeißen und sich unter der Bettdecke verkriechen. Dass er sich dabei wie ein Kleinkind benahm war ihm egal. Er fürchtete sich. Es waren nicht nur die Augen, die ihn mit solch einer Angst erfüllten, sondern das die Bedrohung allgegenwärtig sei und nicht zu greifen. Rene warf sich auf sein Bett und zog sich die Bettdecke über den Kopf. Hielt sie wie einen Schutzschild fest. Wollte diese Kälte und die Angst damit aussperren. Und nach einiger Zeit schlief er ein. Er wurde jedoch wieder geweckt als er das dumpfe Klopfen von Pfoten auf dem Boden hörte, die näher kamen und ein tiefes Knurren, genau über seinem Kopf. Rene überlief es kalt und obwohl dagegen schrie, es nicht zu tun, wagte er es dennoch, die Decke etwas zurück zu schieben. Seine Augen weiteten sich als er den großen weißen Wolf sah, der ihn aus wütenden eisblauen Augen anschaute und die Zähne bleckte. Wie kam er hier rein? Er war sich sicher gewesen, dass er die Tür hinter sich verschlossen hatte. Also wie kam dieses Monster hinein? „Du wagst es mich Monster zu nennen? Du warst es, der als erster einen Fuß in mein Reich gesetzt hast!“, hörte er plötzlich eine Stimme in seinem Kopf. Rene glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Hatte der Wolf mit ihm gesprochen? Aber das war doch unmöglich? „Ob unmöglich oder nicht. Du bist in mein Reich eingedrungen und dafür sollst du büßen!“, knurrte der Wolf, riss sein Maul auf und stürzte sich auf ihn. Rene schrie auf und landete hart auf dem Holzboden. Einige Minuten wusste er nicht wo er war. Er dachte, er würde auf seinem Zimmer sein, aber als er wieder einigermaßen zu sich kam, musste er feststellen, dass er immer noch in der Wohnstube war. Er hatte geträumt. Aber es hatte sich so echt angefühlt. Rene schauderte als er sich diesen Wolf wieder vor Augen sah und sein Maul, welches nach ihm schnappte. Aber was wenn das kein Traum gewesen war? Ein schrecklicher Gedanke kam in ihm hoch. Schnell eilte er zur Tür und vergewisserte sich, dass sie verschlossen war. Dann sah er nach den Fenstern. Ebenso verschlossen. Dann machte er sich auf die Suche nach seinen Eltern und seiner Schwester. Sie waren, wie er es sich gedacht hatte, in der Bäckerei. Rene war froh, dass sie hier waren, aber als seine Familie die Sorge in seinem Gesicht sah, dachten sie, es sei etwas Schlimmes passiert. „Rene was ist los? Du siehst ja aus, als seist du einem Geist begegnet!“, sagte sie Mutter bestürzt und wischte sich das Mehl von ihren Händen ab. „Ich…ich habe mir Sorgen gemacht!“, sagte er. „Ihr wart nicht zuhause!“ „Wir dachten, du wüsstest dass wir hier sind!“ „Ich…ja…aber…ich…!“, sagte Rene und fasste sich an die Stirn. Er hatte auf einmal schreckliche Kopfschmerzen. Das alles war zu viel für ihn. „Setz dich, Junge!“, sagte sein Vater und drückte ihn auf einen Stuhl nieder. „Flora bring deinem Bruder etwas zu trinken!“ Flora nickte und ging an einen kleinen Schrank, aus dem sie sogleich eine kleine Flasche holte und etwas von der Flüssigkeit in einen Becher füllte. Sie reichte ihm den Becher, doch kaum hatte er ihn ergriffen und ihn an die Lippen setzte, verzog das Gesicht, als ihn der scharfe Geruch in die Nase drang. „Was ist das für ein Zeug?“, würgte Rene angewidert. „Honiggeist!“, sagte sein Vater knapp. „Das wird dich wieder beruhigen!“ „Muss ich das wirklich trinken?“, fragte Rene wie ein kleines Kind, dass eine übelschmeckende Medizin schlucken musste. „Es wird dich beruhigen!“, sagte sein Vater nur und Rene fügte sich. Es schmeckte genauso scheußlich wie es roch und Renes Magen krampfte sich zusammen. In seiner Kehle brannte es und er schmeckte den bitteren Geschmack von Alkohol. Rene hustete etwas. Wie soll mich das beruhigen, dachte er. „Geht es wieder?“, fragte seine Mutter besorgt und Rene nickte. „Ich gehe wieder nachhause!“ Als seine Eltern und Flora wieder daheim waren, wartete Rene bis seine Schwester die Treppen hochkam, um sie zur Seite zu nehmen und mit ihr zu sprechen. „Flora!“, flüsterte er und ergriff ihre Hand. „Rene, hast du mich erschreckt!“ „Ich muss mit dir reden!“, sagte er ohne Umschweife und zerrte sie in sein Zimmer. „Rene, was soll das?“, fragte sie erstaunt. Als sie ihn sich genauer ansah, ahnte sie, dass etwas nicht stimmte. So wie er sie festhielt und nun ansah, als er hinter sich die Tür geschlossen hatte, wirkte er als habe er ein schlimmes Geheimnis. Ein Geheimnis, welches er nur mit ihr teilen kann. Das spürte sie. „Das was ich dir jetzt sage, darfst du niemand anderen verraten!“, bat er sie dringlich und sah sie flehend an. Flora schluckte. Seit ihrer Kindheit kannte sie den Blick in seinen Augen, wenn er was angestellt hatte und sich nicht traute, es seinen Eltern zu beichten. So wie auch jetzt. Aber dieser war wesentlich panischer und sie hatte das dumme Gefühl, dass er mehr als nur einen Dummen-Jungen-Streich angestellt hatte. „Rene, was ist los? Sag schon!“, drängte sie ihn dann und berührte mit ihrer freien Hand seine Wange. Wollte ihn beruhigen. Doch Renes Augen wurden nur noch ängstlicher und er schüttelte den Kopf. „Versprich mir, es niemanden zu sagen. Nicht unseren Eltern und auch nicht unserer Großmutter!“ „Rene…!“ „Versprich es mir!“ „Also gut, ich verspreche es dir!“, sagte Flora beschwichtigend. „Jetzt sag mir aber, was um alles in der Welt passiert ist?“ Rene sagte nichts, sondern biss sich auf die Unterlippe und schaute beschämt zu Boden. „Ich…ich war heute im Wald!“, flüsterte er dann schließlich und wagte es nicht, seine Schwester an zu sehen. Sie wusste von dem Verbot und die Gefahr, die einem im Wald erwartete. Ebenso Rene. Den Dörflern war es nur gestattet die Bäume am Rande des Waldes zu fällen und das wagten sich nur die mutigsten von ihnen. Es gab schlimme Geschichten, die wohl wahr waren. Denn es hatten sich schon so manch leichtsinnige Männer hinein gewagt und waren nie wieder gesehen. Das ihr Bruder nun den Wald betreten hatte und damit sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte, kam ihr wie ein schrecklicher Scherz vor. „Rene, das…das ist doch ein Scherz? Oder? Oder?“, sagte sie dann und packte ihn an den Schultern. Schüttelte ihn. Erst da sah Rene sie an und in seinen Augen sah sie die schreckliche Wahrheit. „Nein, sag mir, dass du das nicht getan hast?“, keuchte sie. „Es tut mir leid, Flora. Ich weiß auch nicht, was mich dazu getrieben hat!“ „Du hättest sterben können. Weißt du denn nicht mehr, was uns Mutter erzählt hat?“ „Natürlich weiß ich das. Ich…ich wollte eigentlich nicht gehen. Aber etwas hatte mich da in diesen Wald hineingezogen!“, erklärte Rene hilflos. „Etwas? Etwa das Ungeheuer?“, fragte Flora und musste sich bemühen, leise zu sprechen. „Ich weiß es nicht. Aber es hat mich einiges an Kraft gekostet, mich aus dessen Griff zu befreien. Ich bin so schnell, wie ich konnte nachhause gerannt…!“ „Und dann?“, fragte Flora und malte sich die schlimmsten Dinge aus, denen er entkommen oder schlimmer noch nicht entkommen wäre. Rene setzte sich auf sein Bett und stützte seinen Kopf mit den Händen. Schaute wieder zu Boden und versuchte seine Gedanken zu sortieren. Doch trotz dass er sich wohl überlegt hatte was er sagen und wie er es sagen wollte, schien es ihm dennoch schwer weiter zu sprechen. Zumal er wusste dass er Flora genauso Angst einjagen würde, die er selbst hatte. Aber er wusste nicht, an wen er sich wenden konnte. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und sprach weiter:„ Ich…ich habe mich kurz ausgeruht, dabei muss ich wohl eingeschlafen sein. Ich habe geträumt, dass ich im Bad bin und als ich in den Spiegel geblickt habe, sah ich diese kalten Augen. Ich dachte, ich bilde mir das ein. Aber da war noch diese Kälte. Sie ging mir durch Mark und Bein. Um mich zu beruhigen, legte ich mich ins Bett und musste eingeschlafen sei. Es…es klingt alles ziemlich verrückt ich weiß, aber du musst mir glauben. So war es…wirklich!“ „Ich glaube dir. Was passierte dann?“ „Ein Geräusch hat mich geweckt. Als ich die Augen aufmachte, sah ich da diesen großen weißen Wolf. Keine Ahnung wie er hier rein gekommen ist: Er…er sprach mit mir!“ Floras Augen weiteten sich, als ihr Bruder es aussprach. „Er sprach mit dir…Aber Wölfe können nicht sprechen!“, sagte sie. „Ja, ich weiß. Aber dieser Wolf konnte es!“ „Und was sagte er?“ „Das ich dafür büßen soll, weil ich sein Reich betreten habe!“ Floras Gesicht wurde kalkweiß. „Büßen? Nein!“, keuchte sie entsetzt. „Es war nur ein Traum. Als ich aufwachte, war der Wolf weg!“, versicherte Rene ihr darauf hin und versuchte selbst sich mit dieser Erklärung zu beruhigen. Doch sobald er sich diesen Wolf über sich vorstellte und diese Augen, wusste etwas tief in seinem Inneren, dass das mehr als nur ein Traum war. Es war eine Warnung. Rene erschauderte. Flora sah ihn lange schweigend an. Dann ergriff sie seine Hände und drückte sie. „Was hast du nur getan?“, fragte fassungslos. Ihre Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. Rene wusste darauf keine Antwort. Er konnte nur den Kopf schütteln und senkte ihn sogleich wieder. Flora hielt noch eine Weile seine Hände, dann ließ sie sie kraftlos los und stützte sich auf dem Stuhl ab. Eine schreckliche Stille legte sich über die beiden und drohte ihnen die Luft ab zu schneiden. „Flora…bitte sag mir was da im Wald lauert. Du scheinst es zu wissen!“, sagte er plötzlich in die Stille hinein. Flora biss sich auf die Unterlippe und haderte mit sich. Bis jetzt hatte sie immer geschwiegen. Sie wusste zwar, was da im Wald war und was nach den Mädchen verlangte. Doch sie hatte es ihm nicht sagen wollen, weil sie wusste, dass er sich deswegen schreckliche Sorgen um sie machte. Nun aber, jetzt wo sie um sein düsteres Geheimnis wusste, sollte sie ihm auf ihres verraten. „Ja, es ist…ein Dämon, der über diesen Wald herrscht und er ist es auch, der die Mädchen holt!“, erklärte sie matt. „Ein Dämon?“, fragte Rene und Flora nickte. „Ja, er kann die Gestalt eines Wolfes annehmen. Aber seine wahre Gestalt hat niemand gesehen!“, sagte sie. „Wieso kannst du dir sicher denken!“ Und ob er sich das denken konnte, aber er wollte es nicht. „Weil er alle, die in den Wald gingen, getötet hat!“, murmelte er. „Ja, es ist ein Wunder, dass er dich nicht geholt hat!“, sagte Flora unheilvoll. Vielleicht wird er das noch, dachte Rene und in seinem Magen machte sich Kälte breit. Seit dieser Nacht schienen sie noch enger miteinander verbunden zu sein, da sie nun beide um das schreckliche Geheimnis wussten. Flora hielt Wort und erzählte weder ihren Eltern noch ihrer Großmutter, dass Rene im Wald gewesen war. Rene versuchte nicht mehr daran zu denken, was er im Wald und danach Zuhause erlebt hatte. Doch wann er immer zu dem Wald hochschaute, der sich dunkel über den Hügeln, die das Dorf umgaben, erhob und ihm förmlich die stille Warnung entgegen brüllte, dass sein Vergehen noch bestraft werden würde, kamen ihm wieder diese Bilder in den Kopf und ließen ihn Zittern. Irgendwann begannen die Blätter eines nach dem anderen hinunter zufallen. Die Bäume wurden zu kahlen, knorrigen Gerippen, die schauerlich aussahen und mehr tot als lebendig wirkten. Es war als würde die Kälte, sich langsam bemerkbar machte, allem und jedem das Leben aussaugen. So auch den Bäumen im Garten hinter Renes Elternhaus. Kummervoll schaute er aus dem Fenster und seufzte. „Wo soll ich mich denn jetzt verstecken, wenn es wieder an die Hausarbeit geht?“, fragte er. Es wäre eine lustige, unbekümmerte Frage gewesen, die jeder kleiner Junge stellte, der sich vor den Pflichten im Haus drücken wollte. Doch für Rene waren sie ein Ausdruck von der unguten Ahnung, die ihn beschlich. Er versuchte gelassen zu klingen, doch das misslang ihm gründlich. Mit dem Ende der Bronzenen Zeit würde bald der weiße Schleier kommen und bald schon würde wieder ein Mädchen das Dorf verlassen müssen. Wie sehr er sich wünschte, dass dieser wegblieb und gleich die Zeit des Erwachens anbrechen würde. „Nun zumindest muss ich dich nicht mehr in den Bäumen suchen, du Affe!“, erwiderte Flora, die mit ihrer Mutter eine Decke bestickte. „Flora!“, schimpfte ihre Mutter. Rene reagierte nicht darauf, sondern schaute weiterhin hinaus. Dann aber stand er auf. „Ich gehe zu Vater in die Bäckerei. Vielleicht braucht er meine Hilfe!“, sagte er, nahm sich seinen Mantel und ging hinaus. Flora und seine Mutter sahen ihm nach. Während Flora einen traurigen Ausdruck hatte, war der ihrer Mutter eher verwirrt. „Er hilft deinem Vater? Was ist mit Rene? Er wird doch nicht etwa krank?“, fragte sie und stach sich in den Finger. „Autsch…verdammt!“ Flora zuckte die Schultern. „Wer weiß!“, sagte sie nur und machte sich wieder an die Stickarbeit. Rene zog seinen Mantel enger um sich, um die Kälte der heranbrechenden Nacht nicht an seinen Körper zu lassen. Er vermisste schon jetzt die wärmenden Sonnenstrahlen. Mit einem resignierten Seufzen schaute er hinauf. Die Sonne verbarg sich hinter einer dicken Wolkenwand, die kaum etwas Licht hindurch ließ und eine diffuse Dunkelheit über das Dorf legte. Schon jetzt waren die Nächte kurz und nicht mehr lange dann würden sie noch kürzer werden. Rene schnaubte nun verächtlich. Wie sehr er den weißen Schleier hasste. Für ihn bedeutete er nichts anderes als Tod und Kälte. Tod für die Bäume, die Blätter und für eines der unglücklichen Mädchen. Renes Magen verkrampfte sich. Er könnte auch seinen Tod bedeuten. Wieder musste er sich erinnern, dass alle Männer, die in den Wald gingen, nicht mehr wiederkamen und dass er eine Ausnahme war, beruhigte ihn kein bisschen. Was wenn dieser Dämon hinter einer Ecke schon auf ihn wartete und den passenden Moment nutzen würde, um ihn an zu greifen. Rene beschleunigte seine Schritte augenblicklich und schaute sich immer wieder um. Meinte in den dunklen Ecken und Hinterhöfen, an denen er vorbeiging, ein Huschen oder einen Schatten zu sehen. Sein Herz machte Aussetzer, um im nächsten Moment noch schneller zu schlagen und Rene rannte schließlich. Schaute dabei immer wieder hinter sich. Als er dann die Lichter in der Bäckerei seines Vaters sah, schickte er ein Dankgebet und stürmte hinein. „Vater!“, rief Rene außer Atem und schloss laut die Tür hinter sich. „Rene?“, hörte er wiederum seinen Vater und kam aus der Nebenkammer. „Was machst du denn hier?“ „Ich…ich dachte mir dass du vielleicht Hilfe brauchst!“, sagte Rene und zwang sich zu einem Lächeln. Sein Vater runzelte die Stirn. „Hilfe?“, echote er und überlegte kurz. Dann nickte er. „Ja, du kannst mir einen Sack Mehl aus dem Keller hochholen!“ „Und danach?“, forderte Rene. Ihm war bewusst, dass das in den Ohren seines Vaters sehr merkwürdig klang. Aber er musste sich beschäftigen. Sich ablenken, um nicht weiter daran zu denken, was da draußen lauerte. Dass sein Vater dachte, dass irgendwas nicht stimmte konnte er ihm nicht verübeln. Rene riss sich niemals darum, in der Backstube zu helfen. Nun aber hatte er es sich anders überlegt und das machte seinen Vater stutzig. „Rene, hast du wieder was ausgefressen?“, fragte er dann lauernd. Rene verzog das Gesicht. „Nein, dieses Mal nicht. Ich will dir wirklich helfen!“, sagte Rene. „Also gut!“, seufzte sein Vater und seufzte. „Schaff erstmal den Sack Mehl hoch, dann sehen wir weiter!“ Rene half seinem Vater so lag und so gut wie es ging. Und er vergaß wirklich für eine Weile den Schrecken, der ihn erfasst hatte. Aber irgendwann gab es keine Aufgabe mehr für ihn und sein Vater sagte ihm, dass er nachhause gehen konnte. Als Rene nach draußen warf n schaute und feststellte, wie es dunkel geworden war, hätte er am liebsten hier drin geschlafen. Um nichts auf der Welt wollte er da hinausgehen. „Kann ich nicht hier schlafen?“ „Mach dich nicht lächerlich. Von hier bis zu unserem Haus ist es nicht weit!“, sagte sein Vater und damit schickte er ihn nachhause. „Ich soll mich nicht lächerlich machen? Vater hat gut reden!“, murrte Rene und beeilte sich nachhause zu kommen. Dabei sah er sich wieder um und erwartete etwas im Schatten zu sehen. Doch nichts dergleichen war zu sehen. Rene beeilte sich dennoch nachhause zu kommen und seufzte erleichtert auf, als er schon sein Elternhaus sah. Er streckte die Hand schon nach der Klinke aus, als ein Geräusch ihn zusammen zucken ließ. Wie vom Blitz getroffen blieb er stehen und konnte sich nicht rühren. Zuerst dacht er, er habe sich das Geräusch eingebildet. Aber da wiederholte es sich und er drehte sich nun doch um. Es war ihm, als würde man ihn mit Eiswasser übergießen. Nur wenige Meter hinter ihm stand ein großer weißer Wolf. Rene erkannte ihn sofort. Es war der Wolf aus seinem Traum. Und nun sah er ihn gänzlich vor sich. Sein Fell war weiß. Nur die Pfoten, die Schwanzspitze und die Ohren waren schwarz. Ein schwarzer Aalstrich führte von seiner Stirn bis hin zum Schwanzansatz. Seine Augen waren schwarz umrundet, so dass seine eisblauen Augen noch deutlicher hervorgehoben wurden. Auf seiner pelzigen Stirn prangte ein fremdartiges Symbol. Es sah aus wie ein Dreieck. Nur waren die Linien ineinander verschlungen und bildeten dabei neue Zeichen. Der Mond warf sein helles bleiches Licht auf ihn, hüllte ihn ein und ließ ihn in der Dunkelheit aufleuchten. Seine Umrisse waren verschwommen. Als wäre er nicht wirklich da. Aber dennoch konnte er sein Atmen hören und das Glühen in seinen Augen sehen. Er sah ihn einfach nur an. Rührte sich nicht. Ebenso Rene. Er fürchtete, dass wenn er sich bewegte, der Wolf auf ihn aufmerksam wurde. Vielleicht hatte er ihn ja noch nicht gesehen. Er stand im Dunkeln und wenn er sich ganz still verhielt, würde der Wolf wieder verschwinden. Da zuckten die Ohren des Wolfes, als hätten sie etwas gehört und seine Muskeln unter dem Fell spannten sich an. Rene brach kalter Schweiß aus. Hatte er sich doch verraten? Sollte er es versuchen und mit einem einzigen Satz ins Haus springen? Oder wäre der Wolf schneller und würde ihn zu Boden reißen, noch ehe er einen Schritt machen konnte? Sollte er nach Hilfe rufen? Kaum hatte er sich diese Frage gestellt, bleckte der Wolf die Zähne und knurrte unheilvoll. Renes Herz setzte einen Schlag aus und glaubte wieder diese Stimme in seinem Kopf zu hören. „Du entkommst mir nicht!“ Da wurde plötzlich die Tür aufgerissen und Flora stand in der Tür. Rene schrie panisch auf. „Flora! Geh wieder hinein und schließ die Tür!“ „Was? Rene was ist denn?“ „Frag nicht, sondern mach die Tür zu!“, rief er alarmierend und wollte nach der Tür greifen. Auf keinen Fall wollte er, dass dieses Biest auch nicht Flora bekommen würde. „Rene, was soll das?“, rief Flora und riss ihm die Türe aus der Hand. Trat dann hinaus. Rene wollte sie schon anschreien, blickte dann aber zum Wolf. Wollte sicherstellen, dass er sie nicht schon entdeckt hatte. Doch der Wolf war verschwunden. Renes Kinnlade klappte runter. Hatte er sich das nur eingebildet? Oder war der Wolf wirklich dagewesen und so schnell wieder verschwunden, wie er erschienen war? Beide Möglichkeiten gefielen ihm nicht. Aber er war auch froh, dass er verschwunden war. Schnell eilte er ins Haus, drängt seine Schwester zurück und warf die Tür ins Schloss. „Rene ich verlange von dir zu erfahren, was eigentlich los ist!“, schimpfte nun seiner Schwester. Rene brauchte einige Minuten, ehe er sich wieder fing. „Du…du würdest mir sowieso nicht glauben!“, sagte er dann. „Kommt darauf an!“, erwiderte sie nur trocken. Rene war eigentlich erleichtert, dass nur seine Schwester noch wach war. Seine Mutter lag sicher schon im Bett und sein Vater würde noch einige Zeit in der Bäckerei verbringen. So konnten sie also in aller Ruhe miteinander reden. „Du bist ganz schön schnell und vor allem weg gewesen. Was war los?“, fragte sie dann nun in einem sanften Ton. „Kann ich erstmal was Heißes zutrinken haben?“, erwiderte er. „Natürlich. Was magst du denn trinken. Tee, heiße Milch?“ „Honiggeist!“, sagte Rene nur. „Das ist aber nichts Heißes!“ „Doch, wenn du eine Tasse nimmst, sie in einen Topf mit Wasser stellst und ihn erhitzt!“, erklärte Rene störrisch, woraufhin Flora lachen musste. „Na gut. Ein heißer Honiggeist. Kommt sofort!“ Es dauerte eine Weile, ehe Rene das gewünschte Getränk hatte und nippte daran. Seltsamerweise schmeckte der bittere Trank auf einmal sehr gut. Vermutlich hatte die Hitze den brennenden Alkohol längst verdunsten lassen. Dennoch trank er vorsichtig und genoss die Wärme, die ihm das Getränk spendete. Flora wartete geduldig, bis er begann. „Ich wollte eigentlich nur raus. Dieses hierrumsitzen machte ich ganz deprimierend!“, sagte Rene und schaute hinaus. Täuschte er sich, oder war es noch dunkler geworden? Flora folgte seinem Blick. „Ich weiß, was du meinst. Nicht mehr lange und…!“, wollte sie sagen, doch die letzten Worte blieben ihr im Halse stecken. „Der weiße Schleier kommt !“, beendete Rene düster den Satz. Eine bedrückende Stille legte sich über sie. Dann aber setzte Flora das Gespräch fort. Dieses Schweigen drückte ihr zu sehr aufs Gemüt. „Gut, du hast mir gesagt, warum du so schnell weg warst. Und was hast du dann gemacht?“ „Ich war bei Vater. Habe ihm geholfen!“ „Du hast ihm geholfen?“, echote sie und hob verwirrt die Brauen. Wo sie am Anfang dachte, dass sie Unsinn redete, war sie sich nun sicher, dass er wirklich ihrem Vater in der Bäckerei zur Hand gegangen war. Rene schien das zu beleidigen, weil wohl alle dachten, dass er sich einen faulen Lenz machen wollte. „Was habt Ihr nur alle für eine schlechte Meinung über mich, wenn es ums Arbeiten geht. So faul bin ich nun wirklich nicht!“ Daraufhin warf Flora ihm einen vielsagenden Blick zu. „Erwartest du wirklich eine Antwort darauf?“, fragte sie mit einem spöttischen Lächeln. Rene verzog angesäuert das Gesicht. „Na gut. Na gut. Behalte es für dich!“, sagte er beleidigt. Flora kicherte. „Und was dann?“ „Naja, irgendwann schickte mich Vater nachhause. Da es draußen so dunkel wurde, hatte ich irgendwie ein ungutes Gefühl und beeilte mich nachhause zu kommen. Als ich dann vor der Tür stand und reingehen wollte, hörte ich plötzlich ein Knurren. Ich drehte mich um und sah…sah einen Wolf. Er war riesig und schien kein gewöhnlicher Wolf zu sein!“ „Wie meinst du das? Kein gewöhnlicher Wolf?“, fragte Flora mit einem Schaudern. „Ich weiß auch nicht. Aber ich…als ich ihn ansah hatte ich das Gefühl, dass das mehr als nur ein Wolf war. Vermutlich war es ein Dämon. Der Dämon des Waldes!“, hauchte er. Flora wurde kreidebleich. Presste sich vor Entsetzen die Hand auf den Mund. „Bitte, Flora sag niemanden ein Wort. Wenn Mutter und Vater das erfahren, dann…!“ „Rene, das alles wird immer schlimmer und auch gefährlicher. Wenn schon der Walddämon hier ins Dorf kommt und du ihn gesehen hast, dann…dann schweben alle in fürchterlicher Gefahr!“ „Und was soll ich tun?“ „Bald ist die Bürgersammlung. Sprich es da an!“, schlug Flora an und dieses Mal war es Rene blass wurde. Er mochte sich nicht vorstellen, was das für einen Aufruhr geben würde. Flora sah ihm natürlich an, was in ihm vorging. Schnell sagte sie dann:„ Du musst es ja nicht vor allen Leuten sagen. Nur mit dem Dorfältesten musst du reden!“ Rene schien auch davon nicht begeistert zu sein. Auch wenn es nur der Dorfälteste war, wusste er dennoch wie schnell und leicht etwas durchsickern konnte. Es graute ihm davor. Aber er wusste auch, dass, wenn er schwieg, es zu einer größeren Katastrophe kommen würde. Flora hatte Recht. Wenn jetzt schon der Dämon des Waldes hier ins Dorf kam, wie lange würde es dauern, bis er sich das erste ahnungslose Opfer holte? Sicherlich nicht lang. Und Rene ahnte, dass dieser Dämon nur seinetwegen ins Dorf gekommen war. Er allein konnte und musste es in Ordnung bringen. Vielleicht war es noch nicht zu spät. Rene hoffte das zumindest. Die ganze Nacht konnte Rene keinen Schlaf finden. Immer wieder kreisten seine Gedanken über das, was er vor einigen Minuten erlebt hatte und es lief ihm eiskalt den Rücken runter. Wie der Wolf ihn angeschaut hatte. Als würde er ihn mit Haut und Haar verschlingen wollen. Vermutlich würde er das auch, wenn er ihn das nächste Mal über den Weg lief. „Du entkommst mir nicht!“ Noch deutlich hörte er diese Stimme im seinem Kopf und als er die Augen schloss, sah er ihn sogleich vor sich. Dieses riesige Monster in Gestalt eines Wolfes, mit diesen kalten blauen Augen und den gefletschten Zähnen. Aber am markantesten war das Symbol auf seiner Stirn. Es wirkte irgendwie alt und auch als würde darin Magie stecken. Noch nie hatte er solch ein Zeichen gesehen. Aber vielleicht würde er etwas darüber erfahren, wenn er morgen in die Dorfbibliothek ging und in einem der Bücher suchte. Rene konnte sich selber nicht erklären, wieso ihn dieses Zeichen nicht mehr los ließ. Aber es zog ihn an. Wie der Wald und es behagte ihm nicht. Irgendwann sagte er sich, dass es keinen Sinn hatte, sich darüber den Kopf zu zerbrechen und es besser wäre, wenn er nun versuchte zu schlafen. Es dauerte jedoch, ehe ihm endlich die Augen von alleine zu fielen und er in den Schlaf hinweg dämmerte. Am nächsten Morgen nach dem Frühstück, machte sich Rene auf den Weg in die Bibliothek. Trotz dass er doch Schlaf gefunden und für diese eine Nacht seine Sorgen und seine Angst vergessen hatte, sah er das Zeichen, welches der Wolf auf seiner Stirn getragen hatte, immer noch deutlich vor seinem inneren Auge und es ließ ihn nun erneut keine ruhige Minute. Er sagte sich und hoffte zugleich, dass, wenn er endlich der Bedeutung dieses Zeichens herausfand, eine Last wenige auf seinen Schultern lastete. Rene hastete schon fast zu der Bibliothek, die in einem der wenigen große Häuser im Dorf war. Es war wohl älter als die anderen kleineren Gebäude und war aus Stein errichtet anstatt aus Holz. Es war ein einfacher Bau. Nur das Schild war aus poliertem Messing. Daneben stand das Bürgerhaus, in dem der Dorfälteste mit seiner Familie lebte und in denen immer die Bürgerversammlungen stattfanden. Dieses hingegen war ein wenig prunkvoller. Stuckverzierungen. Balkone, deren Brüstungen mit zahlreichen Verzierungen förmlich überladen waren und Rene fragte sich, ob diese solch ein Gewicht überhaut tragen konnten. Einige Straßen weiter lag das Gerichtsgebäude mit seinen Gefängnissen und gegenüber komischerweise die Kirche. Dahinter der Friedhof. Vor der Bibliothek und dem Rathaus war ein großer Platz, auf dem schon zur frühen Morgenstunde die Händler ihre Stände aufgestellt hatten und ihre Ware feilboten. Einige zogen Tiere wie Rinder, Schweine, Schafe und Pferde hinter sich. Andere wiederum trugen Holzkisten mit Hühnern oder anderem Geflügel. Es war ein Chaos an Geräuschen und Gerede. Rene blendete es aus. Hielt den Blick unentwegt auf die Bibliothek geheftet, als sie seine Rettung aus diesem Tumult aus Menschen, Tieren und Geräten. Als er endlich den Marktplatz hinter sich gebracht hatte und seufzte er erleichtert auf und öffnete die Türe. Wo es draußen unerträglich laut war, war es hier drinnen nun herrlich ruhig. Nur das Rascheln von Seiten, die umgeblättert wurden und hier und da leise Schritte. Innendrin war die Bibliothek wesentlich imposanter als von außen. Ein riesengroßer Saal, dessen Wände links und rechts von riesigen Regalschränken eingenommen wurden. Der Boden war mit braunen, glattpolierten Steinplatten ausgelegt. Die Decke bestand aus Glas, das zu einer Kuppel geformt war und kunstvoll bemalt war. Trotz dass es draußen dunkel war, konnte man dennoch die Scene, die auf das Glas verewigt war sehen. Die linke Seite war bemalt mit Wesen, die zwar auf den ersten Blick wie Menschen aussahen. Jedoch wuchsen gewaltige weiße Flügel aus ihren Rücken und waren umgeben von hellem, strahlendem Licht. Sie waren in weiße Gewänder gekleidet, die sich aufbauschten, während sie aus einem vergoldeten Tor, aus dem sich ebenso strahlendhelles Licht ergoss. In ihren Händen hielten sie Lanzen, Schwerter und Schilder. Ihre Gesichter zu entschlossenen Mienen verzogen. Auf der rechte Seite hingegen waren unzählige Kreaturen zusehen, die sich aus einem Schlund befreiten, aus dem Flammen, Rauch und Schwärze hervorquoll. Jede dieser Kreaturen war auf ihre eigene Art grässlich an zu sehen. Manche von ihnen hatten ein wenig Ähnlichkeit mit einem Menschen. Andere wiederum hatten die Form von Tieren. Fröschen, Rindern und Wölfen. Mit vor Wut und grausamer Vorfreude stürmten sie den Lichtgestalten entgegen und schwangen ihre Waffen. Schwerter, Keulen, Dreizacke und anderen Waffen, die Rene nicht genau erkennen konnte. Dennoch erschauderte er, als er sich diese Szenerie anschaute. Er wusste, was dieses Bild bedeutete. Die Schlacht zwischen Gut und Böse. Rene fragte sich sogleich, ob dieser Dämon aus einem ebenso qualmenden Schlund gekommen war? Oder ob er aus dem kältesten Winter geboren wurde, denn es je gegeben hatte und der zahlreiche Tote gefordert hatte? Aber wie und auch immer er herkam… Er war hier und er musste etwas unternehmen. Erinnerte sich wieder warum er hier war und suchte nach Jemand, der ihm helfen konnte. Ein dürres Kerlchen, das gerade dabei war, schwere Bücher vor sich her zu tragen. „Verzeihung können Sie mir helfen?“, hielt er den Kerl an, wobei dieser angestrengt darum kämpft, die Bücher nicht fallen zu lassen. „J-Ja?“, fragte er und schwankte bedrohlich. Rene hatte Mitleid mit ihm und wollte ihn nicht lange aufhalten. „Können Sie mir sagen, wo ich Bücher über magische Symbole finde?“ „Magische Symbole? Was für magische Symbole? Nördlich? Südlich? Schwarzmagisch? Weißmagisch?“, fragte der Mann angestrengt. „Äh…nun…!“, überlegte Rene angestrengt und zuckte dann mit den Schultern. „Egal!“ „Egal!“, schnaubte der Angestellte nun genervt und wies dann mit dem Kinn zu den Bücherregalen schräg rechts von ihnen. „Da müsstest du finden, was du suchst!“, sagte er schroff und noch ehe Rene ihn nochmals fragen konnte, wo genau, war der Kerl schon weg. Irgendwie hilflos blieb er an Ort und Stelle stehen, dann aber wandte er sich in die Richtung, die der beschäftigte Mann ihm gezeigt hatte und machte sich auf die Suche. Jedoch stellte sich seine Suche als die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Da er nicht wusste, nach was für ein Buch er suchte, zog sich das alles ziemlich lange hin und Rene wollte schon aufgeben, als er doch endlich was gefunden hatte, was ihm wohl endlich die Antwort gab, die er wollte. Es war ein Buch über die alten Legenden aus dem Norden. In der die Menschen in einer Zeit lebten, die von Magie und Aberglaube geprägt war. Und in der sie zahlreiche Schlachten führen mussten, um zu überleben. Rene war fasziniert von diesen Geschichten. Sie hatten etwas Geheimnisvolles und Anziehendes an sich. Wie die alten Märchen, die man ihm als Kind erzählt hatte. Jedoch hatten sie etwas düsteres, was ihn irgendwie auch zweifeln ließ, dass das nur Märchen waren. Sie klangen so als wäre das, was da drin stand, vor Jahrhunderten wahrhaftig passiert. Ein Schauer rann ihm über den Rücken und blätterte weiter. Sah einige Zeichnung von Menschen und Schlössen, aber auch von mystischen Wesen, wie Riesen, Pferden mit einem Horn auf der Stirn und auch Wölfen. Rene wurde es augenblicklich kalt, als er diese Tiere sah. Zwei Wölfe gab es die ihm Angstmachte und um die sich Haarsträubende Legenden rankten. Einer von ihnen jagte am Tage die Sonne um sie zu verschlingen. Der andere, sein Bruder, jagte in der Nacht den Mond, um diesen ebenso zu verschlingen. Egal wer von ihnen ihre jeweiligen Opfer verschlang, einer von ihnen würde dann die Welt in Finsternis stürzen. Rene schauderte und fragte sich, ob dieser Wolfsdämon ein Abkömmling war. Er blätterte schnell weiter, weil nicht länger darüber nachdenken wollte und hätte beinahe eine Seite überblättert, doch als er die Lilien sah, hielt er inne und seine Augen weiteten sich. Endlich hatte er das Zeichen wiedergefunden und die dazu gehörige Beschreibung. Man nannte es den nördlichen* Knoten. Er bedeutete Unvergänglichkeit. Stabilität. Aber für was? Etwa für das Böse, für das er stand? Oder für etwas anderes, über das Rene nicht nachzudenken versuchte. Aber immerhin wusste er nun, was es bedeutete. Aber was…nun, das würde wohl ein Rätsel bleiben. Mit einem resignierten Seufzen schlug er das Buch zu und stand auf. Ein leichter Schwindel ergriff von ihm Besitz. Er hatte zu lange auf die Zeilen gestarrt und dabei nichts gegessen, dass es sich nun rächte und er eine kurze Zeit brauchte, um wieder klar zu sehen. Dann ging er hinaus. Als er hinaustrat, wehte ihm ein kalter Wind ins Gesicht und er bereute nun, dass er nicht seinen Mantel mitgenommen hatte. Er würde bis auf die Knochen durchgefroren sein, wenn er nachhause kam. Und außerdem meldete sich sein Magen. Mit einem lauten Knurren machte er ihm bewusst, dass es Zeit war, was zu essen und als er den Marktplatz betrat, sich wieder durch die Menge kämpfte, stieg ihm sogleich der köstliche Geruch von gebratenem Fleisch in die Nase und ließ ihm das Wasser im Munde zusammen laufen. Rene war bei seiner Suche nach der Bedeutung des Symbols so vertieft gewesen, dass er nicht gemerkt hatte, wie spät es schon war. Er musste den ganzen Vormittag in der Bibliothek verbracht haben. Seine Mutter stand in der Küche und machte das Essen. Rene hatte ein schlechtes Gewissen, weil er sich was gekauft hatte. Jedoch wollte er es seiner Mutter nicht beichten. Denn er wollte sie nicht kränken und außerdem schmeckte das, was seine Mutter kochte, sowieso besser. „Ich bin wieder da!“, rief er ausgelassen. Zeigte aber nicht, wie er sehr fror und setzte sich an den kleinen Ofen, um sich zu wärmen. Seine Mutter schien ihn erstmal nicht zu bemerken. Aber dann schaute sie auf. „Oh, wo warst du denn?“, fragte sie. „In der Bibliothek!“, erklärte Rene und rieb seine Hände aneinander um wieder Leben in die tauben Fingerspitzen zu treiben. „Was hast du denn da gemacht?“, kam es wieder von seiner Mutter, dieses Mal mehr als nur erstaunt. Seit wann ging ihr Sohn freiwillig in die Bibliothek? Das war für ihn genauso untypisch, wie als er um Arbeit bat. Was war nur mit ihrem Faulpelz-Sohn los? „Ich wollte etwas lesen!“, sagte er knapp. Den wahren Grund wollte er ihr nicht verraten, weil er fürchtete, dass es dann zu unangenehmen Fragen kam, die er nicht beantworten konnte oder wollte. „Etwas lesen?“ Noch ehe Rene etwas sagen konnte, eilte seine Mutter zu ihm und drückte ihm die Hand auf die Stirn. „Hast du Fieber?“ „Was? Nein!“, rief und schob die Hand seiner Mutter weg. „Wirklich?“, bohrte sie weiter und sah ihn sich genauer an. „Ja, wirklich“, beruhigte Rene sie und versuchte ruhig zu klingen. Seine Familie schien ihm nicht wirklich was zu zutrauen, was nicht mit Unfug anstellen zu tun hatte. Er fühlte sich dabei ein wenig beleidigt, sagte er aber nichts. „Wo ist denn Flora?“, fragte er dann um das Thema zu wechseln. Seine Mutter runzelte kurz die Stirn, schien zu überlegen. Dann sagte sie:„ Ich glaube, sie ist im Garten!“ „Im Garten?“, fragte nun Rene und schaute hinaus. Soviel er wusste, gab es nichts mehr im Garten zu tun. Nur hin und wieder das Laub zusammenfegen. Aber das hatten sie schon und so viel Laub und runtergefallene Blätter gab es so gut wie nicht mehr. Also was machte sie draußen. „Ich gehe mal nach ihr sehen!“, sagte er und trat hinaus. Flora stand im Garten, wie es ihre Mutter gesagt hatte und schaute hinauf zum Himmel. Rene ging zu ihr, Stellte sich neben sie. Sagte erstmal nichts, sondern schaute ebenso hoch zum Himmel und sah, dass der Himmel Wolkenverhangen war. Eine schreckliche Ahnung stieg in ihm hoch. Doch er wusste noch nicht, woher diese herrührte. Er schaute seine Schwester an. Sie rührte sich immer noch nicht. Schaute weiterhin hinauf, als würde sie etwas dort oben im Himmel nicht mehr loslassen wollen. Es war still. Zu still. Rene wagte es nicht einmal laut zu atmen und zwang sich seinen Atem flach zu halten. Es war eine unangenehme Spannung. Die aber sogleich ein Ende fand, als er wie die Augen seiner Schwester sich weiteten und begann am ganzen Leib zu zittern. Und etwas sagte Rene, dass das nicht an der Kälte lag. „Flora…was ist?“, fragte er leise, der ebenso von Angst ergriffen wurde. Nur galt diese Angst seiner Schwester. Was nur um Himmelswillen ließ sie so vor Angst Zittern. „Flora…?“ Seine Schwester öffnete den Mund, doch statt etwas zu sagen, hob Flora die Hand und zeigte hinauf in den Himmel. Rene folgte dieser Bewegung mit seinen Augen und blickte wieder hoch. Und da sah er sie. Leise und tanzend schwebte sie hinunter. So als würde sie nichts von der Bedrohung ahnen, die ihr Erscheinen bedeutete. Glitzerte wie tausend kleine Diamanten, während sie sich drehte und schließlich auf dem Boden landete. Wie gebannt blickten Rene und Flora auf die kleine Schneeflocke. Als wäre sie ein Trugbild, das gleich wieder verschwinden würde, wenn sie nur lange genug hinschauten. Aber so war es nicht. Nach dieser kamen immer mehr Schneeflocken. Zuerst vereinzelt und klein. Dann aber wurden es immer mehr und wurden auch größer. Irgendwann war die Luft erfüllt von Schneeflocken, die schwer und träge hinunterfielen und alles langsam unter einer weißen Decke unter sich begruben. Flora und Rene rückten näher. Um sich vor der Kälte zu schützen, die immer schlimmer wurde und auch vor der Angst, die in ihnen beiden hohe Wellen schlugen. Flora tastete nach seiner Hand. Als sie dies eine fand, schlang sie ihre Finger darum und Rene erwiderte dies. Beide hielten sich an der Hand. Wollten sich damit gegenseitigen Halt geben. Sich dabei auch Kraft geben um die Angst, die von ihnen Besitz ergriffen hatten, niederzuringen. Sie wussten, dass dies der erste Schneefall von vielen sein würde und was dieser bedeutete. Der Beginn des weißen Schleiers. *Mit nordischem Knoten, ist der keltische Knoten gemeint. "Lichtperle", ist ein anderes Wort für Vollmond Kapitel 5: Ein Leben für ein Leben ---------------------------------- Laut knallte der hölzerne Hammer auf den Tisch und gebot der Menge Ruhe. Nur widerwillig und nach und nach verstummten die Menschen, die sich in den Saal des Bürgershauses begeben und nun auf den Sitzbänken Platz genommen hatten. Unter ihnen war auch Rene mit seinen Eltern. Der Einbruch des weißen Schleiers hatte das gesamte Dorf in Aufruhr gebracht, denn jeder wusste, was es bedeutete und die Angst und die Sorge war mehr als nur spürbar. Immer wieder huschten nervöse Blicke umher. Es wurde getuschelt und getröstet, obwohl das schwere Los noch nicht gezogen wurde. Rene hielt auch an diesem Tag Floras Hand und spürte, trotz dass er sie festumklammert hielt, wie sie zitterte. Seine Großmutter saß neben ihm. Blickte mit steinerner Miene vor sich hin, während ihre Lippen stumm ein Gebet formten. Seine Mutter hatte das Gesicht in den Händen vergraben, während ihr Mann den Arm um ihre Schulter gelegt hatte und sie zu beruhigen versuchte. Das Innere des Bürgerhauses erinnerte an das einer Kirche, mit den Sitzbänden und den hohen Wänden. Nur statt dem Gottesaltar, stand ein langer Tisch, hinter dem die obersten Bürger saßen. Pfarrer, Männer des Gesetzes und der Dorfälteste. Die Wände waren mit Gemälden behangen, auf denen die Vorväter des Dorfes verewigt waren. Nur die Stirnseite des Saals war nicht mit einem Gemälde behängt, sondern mit dem Fell eines Wolfes. Sein Fell war silbrig-grau. Die Augen waren zwei gelbliche Glasmurmeln ersetzt worden, die beim Schein der Fackeln schimmerten und den Eindruck erweckten, als würde Wolf immer noch leben und sie beobachten. Rene hatte bisher dieser Dekoration noch nie Beachtung geschenkt. Doch nun nach der Begegnung mit dem Dämon, sah er sich das aufgehängt Wolfsfell genauer an und ein Schauer rann ihm über den Rücken. „Ruhe. Ich verlange Ruhe!“, hallte die Stimme des Dorfältesten und schaute streng in die Menschenmenge. „Ich kann gut verstehen, wieso Ihr alle aufgebracht seid. Der Winter ist dieses Mal sehr früh eingebrochen und was das zu bedeuten hatte. Aber es lässt sich nicht ändern. Ich muss Euch nicht sagen, was passiert, wenn wir den Pakt, den unsere Urväter schließen mussten, nicht einhalten!“ Ein stummes Zustimmen ging durch die Runde. Jeder wusste es und wollte dennoch nicht, dass auch dieses Mal ein Mädchen gehen musste. Aber was hatten sie schon für eine Wahl? Entweder ihre Töchter oder sie alle. „So lasst uns nun die Auswahl beginnen!“, sagte er. „Jeder nimmt ein Stück Papier und schreibt den Namen seiner Tochter auf. Mein Sekretär wird dann die Zettel einsammeln und wie werden dann den Namen ziehen!“ Die Finger von Renes Vater zitterten, als er auf einen abgerissen Stück Papier den Namen seiner Tochter schrieb und ihn dann in einen Korb warf, den ein hagerer Kerl mit Brille hinhielt. Es dauerte eine Weile, als jeder einen Namen in den Korb geworfen hatte. Die Anspannung wurde nun unerträglich. Keiner sagte ein Wort. Die Stille lag wie ein Tuch aus Blei über ihnen und keiner wagte es, laut zu atmen. Das Rascheln, als der Dorfälteste die Papierstücke durcheinanderwirbelte, war ohrenbetäubend und unerträglicher als die Stille selbst. Flora drückte Renes Hand fester. So fest, dass er glaubte, sie würde sie ihm brechen wollen. Beruhigend strich er mit seinem Daumen über ihren Handrücken und flüsterte:„ Hab keine Angst. Du wirst es sicher nicht sein!“ Als endlich der Dorfälteste aufhörte und einen Zettel herauszog, hielte nun jeder den Atem an. Einige schlossen die Augen, andere wiederum schauten mit großen und Angst erfüllten Augen nachvorne und konnten die Spannung nicht mehr ertragen. Ebenso Rene und seine Familie. Der Dorfälteste begann den Zettel auseinander zu falten. Die Zeit schien stehen zu bleiben. Seine Bewegungen waren so langsam, das es an Folter grenzte und Rene trieb ihn an schneller zu machen. Auch wenn er sich selber davor fürchtete, wesen Name darin stand. Aber er wollte endlich, dass diese Spannung und Angst ein Ende fand. Damit sie nachhause gehen und eine ruhige Nacht haben konnten. Der Zettel war nun entfaltet und kurz schaute der Dorfälteste auf diesen. Las den Namen und schaute dann wieder in die Menschenmenge, die ihn erwartungsvoll ansah. Er öffnete den Mund und verkündete laut:„ Flora!“ Es fühlte sich für Rene wie ein Schlag ins Gesicht an und nur langsam drang das Wort in seinen Kopf, der sich anfühlte, als sei er mit Watte gefühlt. Aber dann als er sich bewusst wurde, wesen Name ausgesprochen wurde, wich alles Blut aus seinem Gesicht und er schaute in blinder Panik zu Flora, die ebenso weiß geworden war und wieder zu zittern begann. Seine Mutter begann zu schluchzen und grub ihr Gesicht in das Hemd ihres Mannes, während dieser mit steinerner Miene vor sich hin schaute und sie fester in die Arme nahm. Die Großmutter schlug ein Kreuzzeichen und betete nun laut vor sich hin. Die folgenden Worte des Dorfältesten, die Trost und Mut geben sollten, hörte Rene nicht mehr. Für klang ihn es wie undeutliches Murmeln und er wollte irgendwie nicht glauben, dass die Anteilnahme ehrlich war. Die Angst und das Entsetzen wich nun Wut. Dieser Mann hatte gut reden. Seine Kinder waren allesamt Söhne. Uninteressant für den Dämon. Was also verstand er von der Trauer und Angst, die jede Familie erlitt, wenn sie ihr Kind-ihre Tochter-fortschicken mussten? Wie an unsichtbaren Fäden erhob er sich und wollte die angeblich tröstenden Worte des Dorfältesten verpönen und ihn als einen miesen Lügner beschimpfen. Doch seine Großmutter hielt ihn zurück. Als er sie wütend anschaute, schüttelte sie betrübt den Kopf und in ihren Augen las er die stille Botschaft, dass das nichts bringen würde. Nach und nach strömten die Menschen aus dem Bürgerhaus und machten sich auf den Heimweg. Während einige dankbar waren, dass es sie nicht getroffen hat, bekundeten die wenigen Rene und seiner Familie, wie sehr es ihnen leidtat. Doch anstatt ihre Anteilnahme zu schätzen, dachte er nur:„ Lügner…allesamt Lügner!“ Sein Gesicht verfinsterte sich immer mehr und er wollte auch nichts essen. Sondern lieber ins Bett gehen und diesen Tag so schnell es ging vergessen. Flora entging dies natürlich nicht. Und es betrübte sie. Auch sie war darüber entsetzt, dass es sie traf. Aber es wäre nur eine Frage der Zeit gewesen. So oder so. Das Schicksal hatte es so bestimmt. Weder der Dorfälteste noch die Dorfbewohner. Es machte sie auch zum Teil wütend, dass ihr Tod das Leben der anderen retten würde. Dabei kannte sie hier kaum jemanden lange und gut genug. Für sie waren die meisten Bewohner nichts weiter als Fremde, die sie nur grüßte, damit sie nicht hinter ihrem Rücken redeten, wie sie es bereits bei ihrer Großmutter taten. Aber auf sie wütend zu sein, würde nichts bringen. Stattdessen sagte sie sich, dass sie damit das Leben ihrer Familie redete. Die Menschen, die ihr wirklich was bedeuteten. Ein seltsames Gefühl der Ruhe erfüllte sie. Nahm ihr die Angst. Es war merkwürdig, aber auch irgendwie erschreckend. War es Irrsinn, der sie so ruhig werden ließ oder das Wissen, dass sie sich sowieso nicht dagegen wehren konnte? Flora vermochte es nicht zu sagen. Und sie wollte auch nicht weiterdarüber nachdenken. Sondern mit Rene reden. Wer weiß wieviel Zeit ihnen noch blieb, in der sie zusammen sein konnten. Sobald die Nacht der Lichtperle** anbrechen würde, würde man sie in den Wald bringen. Und dann würde ihr Leben enden. Keiner konnte sagen wie lange es bis dahin noch dauern würde. Aber Flora wusste, dass sie nicht zulassen würde, dass diese kurze Zeit, die sie mit ihrer Familie noch verbringen würde, von Kummer, Schmerz und Angst getrübt werden sollte. Besonders Rene sollte nicht so leiden. Leise schritt sie über den Flur zu Renes Zimmer und klopfte dann leise an. Als keine Reaktion ihres Bruders kam, versuchte sie es erneut. Doch wieder erhielt sie keine Antwort. Also ging sie ohne weiteres hinein, auch wenn es nicht ihre Art war. Rene stand am Fenster und schaute hinaus. Schien sie nicht zu beachten. In der Fensterscheibe konnte sie sein Gesicht sehen, dass eine finstere Maske war. Er sah in diesem Moment so angsteinflößend aus, wie sie es noch nie an ihm gesehen hatte. „Re-Rene!“, flüsterte sie und trat zaghaft einen Schritt näher an ihn heran. Rene reagierte immer noch nicht, sondern schaute weiterhin aus dem Fenster in die Nacht. Flora begann sich Sorgen zu machen. So kannte sie ihren Bruder nicht. Aber war es denn ein Wunder? Jeder andere würde genauso reagieren, wie es Rene tat, wenn er an seiner Stelle wäre. Aber dennoch sorgte sie sich um ihn. Sie kannte schließlich ihren Bruder gut genug und konnte sich vorstellen, dass er womöglich etwas Dummes unternehmen würde, um sie nicht gehen zu lassen. „Rene…bitte. Sieh mich an!“, verlangte sie sanft von ihm. Legte ihm die Hand auf die Schulter und nach langem Zögern, drehte sich Rene zu ihr herum. Der finstere Ausdruck verschwand und seine Augen waren erfüllt von Trauer. „Es ist nicht fair!“, murmelte er dann und senkte den Kopf. Es war ihm selber bewusst, wie kindisch das klang. Er wusste ebenso so gut wie Flora, dass es früher oder später so gekommen wäre. Jedoch wollte er es nicht wahrhaben. Es gab noch andere Weiber in diesem Dorf. Die es vermutlich wirklich verdient hätten. Aber Flora…? Sie war ein so wunderbarer Mensch. Warum nur sie? „Ich weiß. Aber wenn ich nicht gehe, dann wird das gesamte Dorf dafür zahlen müssen!“ „Was kümmern mich die anderen. Du bist meine Schwester!“, sagte er aufgebracht. „Und wie viele Brüder und Schwestern mussten ihren Schwestern lebe wohl sagen?“, fragte sie nun nicht minder aufgebrachter. „Denkst du, keiner von ihnen hat so gefühlt, wie du jetzt?“ Rene setzte zu einer Antwort an, schloss dann wieder doch wieder den Mund und schaute verlegen drein. Flora hatte Recht. Er war nicht der erste und einzige, der so reagiert hatte. Aber etwas gab es, was ihn wieder wütend machte. „Mag sein. Aber es gab bisher auch keinen, der was dagegen unternommen hatte!“ „Du hast selbst erlebt, was das für ein Untier ist. Und ich habe gesehen, wie du vor Angst gelähmt warst!“, wandte Flora ein. Ja, Rene war vor Angst gelähmt gewesen und er wusste, dass es sich nicht ändern würde, sollte er diesem Tier wieder gegenüberstehen. Aber wenn er seine Schwester schützen wollte, musste er seine Angst überwinden. Mit Tränen in den Augen umfasste er ihre schmalen Schultern und sah sie entschlossen an. „Ich werde nicht zulassen, dass er dich bekommt. Ich werde es verhindern. Egal wie!“, versprach er. Flora verstand erst nicht, aber dann schüttelte sie den Kopf. „Was? Rene! Nein, tu das nicht. Du…das wird dir nicht gelingen!“, sagte sie. „Schon zu viele haben es versucht und sind gescheitert!“ Aber Rene hörte nicht auf sie. Er war festentschlossen seine Schwester zu beschützen. „Dann werde ich der erste sein!“ Rene hatte, wie er nun feststellen musste, den Mund etwas zu voll genommen. Er hatte keine Ahnung, wie er sich gegen den Dämon behaupten und seine Schwester retten konnte. Aber vielleicht würde er etwas in der Bibliothek finden. Immerhin wusste er, wo genau er nun suchen musste. Jedoch wurde er in keinem der Bücher, die er sich raussuchte, fündig. Irgendwann gab er es auf. Niedergeschlagen verließ er die Bibliothek. Egal was er sich erhofft hatte, in den Büchern zu finden. Nichts davon stand darin. Es musste aber doch eine Möglichkeit geben! Wenn sie von Ungeheuern erzählten, dann musste auch darin geschrieben stehen, wie man sie besiegte. Er hatte jedes Buch durchgelesen. Manche sogar zweimal. Aber vergebens. Kurz dachte er daran die Dörfler zu fragen. Verwarf den Gedanken aber wieder. Keiner der Dorfbewohner würde ihm was Hilfreiches sagen können dazu. Dafür waren sie zu feige. Und sicherlich würden sie dann anfangen zu reden. Nein, wenn ihm jemand weiterhelfen konnte, den er zudem noch vertrauen und schweigen konnte, dann war es seine Großmutter. Immerhin war sie damals dabei gewesen, als es das erste Mal geschehen ist. Das zumindest hatte sie immer oft erzählt. Also machte er sich auf den Weg. Es wunderte seine Großmutter nicht, dass Rene vor ihrer Tür stand. Seit der Verkündung hatte sie die Anspannung ihres Enkels deutlich angesehen und dass er es nicht hinnahm, dass seine Schwester diesem Monster geopfert werden sollte. Sie bewunderte auf der einen Seite seine Entschlossenheit, aber sie machte sich auch Sorgen, dass er etwas Unvernünftiges anstellen würde. Er war jung. Und vorschnell. Dass er nun vor ihrer Tür stand, ließ sie was Bestimmtes ahnen. „Rene!“, sagte sie mehr wissend, als verwundert und trat beiseite. „Komm rein!“ Rene trat ein, sah seine Großmutter dann mit gehobenen Brauen an. Es verwirrte ihn, dass sie ihn erwartet hatte. „Du scheinst dich nicht zu wundern, dass ich hier bin?“, fragte er. Seine Großmutter lächelte schwach und schloss die Tür hinter sich. „Nun, ich habe mir irgendwie gedacht, dass du was vorhast!“, sagte sie. „So? Was habe ich denn vor?“, fragte Rene unschuldig. Irgendwie behagte es ihm gar nicht, dass seine Großmutter ihn durchschaute. Sicherlich würde sie versuchen ihn aufzuhalten. Sie konnte sehr beharrlich sein. Seine Großmutter legte die Stirn in strenge Falten und sah ihn an, als habe sie ihn mit den Fingern in der Keksdose erwischt. „Irgendwie versuchen deine Schwester zu retten!“ „Weißt du denn was?“, fragte Rene mit gespielter unschuldiger Miene. Nun machte sich Sorge in ihrem Gesicht sichtbar und sie seufzte. „Ja, ich denke schon!“, sagte sie und bedeutete ihm Platz nehmen. Dann ging sie zur Feuerstelle und machte für sich und Rene einen Tee. Reichte ihm dem dampfenden Becher und setzte sich ihm gegenüber. Sie nahm ein zwei Schlucke und schaute nachdenklich vor sich hin. Schien nach den richtigen Worten zu suchen, die sie aber nicht fand. „Also? Was ist nun?“, fragte Rene und Ungeduld war in seiner Stimme zu hören. Nervös trommelte er mit den Fingern auf die Tischplatte. Seine Großmutter lächelte schwach. „Es…es ist schon so lange her. Aber ich erinnere mich noch sehr gut an dem Tag, an dem es seinen Anfang nahm. Als der Herr der Wölfe ins Dorf kam und voller Wut war. Nie hätten sie diesen Fehler begehen sollen. Es war vorhersehbar, dass er Rache nehmen würde!“, begann seine Großmutter mit belegter Stimme. „Rache? Für was?“ „Das weiß ich nicht. Er sprach nur davon, dass sie büßen werden. Für das, was sie getan haben!“ Noch bevor Rene fragen konnte für was genau sie büßen sollten, tauchte das, an der Wand hängende Wolfsfell in seinem Kopf auf und ihm wurde es schlagartig kalt. „Das Wolfsfell! Großmutter. Kann es sein, dass sie damals einen Wolf getötet haben?“, fragte Rene dann und er umklammerte die Tischplatte, um das Zittern in seinen Händen unter Kontrolle zu bekommen. Seine Großmutter legte eine kummervolle Miene auf und nickte. „Ja, leider!“ „Aber wieso? Das einzige Fleisch, was wir essen, ist das von Gänsen, Schweinen und Kühen. Die Männer jagen ja nicht mal Kaninchen, Hirsche oder Eber. Geschweige denn trauen sie sich nicht in den Wald!“, wandte Rene ein. „Wieso haben Sie dann den Wolf getötet?“ „Ich weiß es nicht. Nur dass der Wolf dem jungen Prinzen sehr wichtig war und er über dessen Mord so wütend war, dass der eine Wiedergutmachung verlangte!“, erklärte seine Großmutter. „Die Töchter!“, sagte Rene und wieder nickte seine Großmutter. „Aber wieso? Es waren doch die Männer, die ihn erlegten. Wieso also die Mädchen?“, fragte Rene, der das irgendwie nicht wirklich nachvollziehen konnte. „Das ergibt doch keinen Sinn!“ Dann hielt er inne. „Es sei denn…der Wolf war eine Wölfin. Vielleicht die Tochter?“ Nun hob die Großmutter ratlos die Schultern. „Das weiß ich nicht. Aber wer auch dieser Wolf war. Sein Mord brachte das Leid in unser Dorf!“, sagte sie mit belegter Stimme. „Wieso Mord?“, fragte Rene nun. Nach den ganzen Geschichten, die man ihm erzählt hatte und die man sich immer noch erzählte, waren Wölfe grausame Bestien. Menschenfresser. Die keine Gnade kannten und alles verschlangen, was sich ihnen in den Weg stellte. Er verfiel dem Glauben, dass die Männer keine andere Wahl hatten, als ihn zu töten. Nach der Größe des Fells, musste das ein richtiges Monster gewesen sein. „Weil jeder weiß, dass die Wölfe, die in dem Wald leben, unter dem Schutz des Wolfsprinzen stehen und daher nicht getötet werden dürfen. Sie sind in gewisser Weise heilig!“ „Wölfe? Heilig? Großmutter, findest du nicht, dass du etwas übertreibst?“ „Für dich mag es seltsam klingen. Aber für den Wolfsprinzen zählt jeder Wolf, genauso viel wie ein Menschenleben. Sie sind seine Familie!“, sagte sie streng. „Und es liegt weder an dir noch an mir, darüber zu entscheiden, ob es richtig oder falsch ist!“ „Und dafür muss jedes Jahr ein Mädchen sterben? Wieso hat er sich nicht an den Männern gerächt, die den Wolf getötet haben?“ „Das hat er auch. Die ersten Opfer, waren die Kinder der Wolfsmörder!“, erwiderte sie. „Aber wenn er sich schon längst gerächt hat, wieso macht er weiter?“ „Sein Hass und seine Wut müssen so tief in ihm sitzen, dass er es nie vergeben und vergessen kann!“, murmelte sie betrübt. „Aber würdest du nicht genauso handeln? Wärst du nicht auch so voller Zorn, wenn man dir so etwas angetan hätte?“ Daraufhin sagte Rene nichts. Aber in seinem Gesicht war die unausgesprochene Antwort deutlich zu sehen. Natürlich würde er das. Aber er hütete sich, sich mit diesem Ungeheuer auf eine Stufe zu stellen. Er wollte nur seine Schwester retten und dafür war ihm jedes Mittel Recht. Außerdem war das, was vor Jahren oder noch länge geschehen war, nicht die Schuld seiner Schwester oder der anderen Mädchen, die später geboren wurden. Er fand es nicht gerecht, dass seine Schwester -seine Familie-für etwas bestraft wird, was sie nicht getan haben. Wenn schon die anderen es nicht wagten, sich diesem Monster entgegen zu stellen, dann würde er es tun. Er würde keine Angst haben. Nach dem er nun wusste, was der Grund für dieses alljährliche Grauen war, war die Angst verschwunden und hatte großer Entschlossenheit und auch Zorn Platz gemacht. Und da kam ihm auch wieder in den Sinn, wieso er hier war. „Gibt es eine Möglichkeit diesem Wolfsprinzen beizukommen?“, fragte er dann. Die Augen seiner Großmutter wurden schlagartig groß und sie sah ihn an, als hätte sie einen Geist gesehen. „Wieso fragst du das?“ „Weil ich Flora retten will!“, sagte er entschlossen. „Rene, ich weiß, dass du alles tun würdest, um ihr Schicksal ab zu wenden. Und ich kann dich verstehen. Aber sich mit dem Wolfsprinzen zu messen, ist Wahnsinn. Er würde dich töten, ehe du ein Messer oder Schwert ziehen könntest!“, warf seine Großmutter bestürzt ein. Doch Rene wollte ihre Warnung nicht hören. Für ihn stand es bereits fest. Es war im gleich, was aus ihm wurde. Er wollte Flora vor diesem Scheusal beschützen. Selbst wenn es sein Leben kostete. „Es haben schon so viele versucht und sind kläglich gescheitert!“, sagte seine Großmutter und Rene horchte auf. „Ich bin also nicht der erste? Wie haben Sie es versucht? Was für Waffen hatten Sie dabei?“, sprudelte es aus ihm heraus und er beugte sich gespannt, wie ein Kind, das eine spannende Geschichte hörte, nachvorne. Seine Großmutter ahnte, dass es ein Fehler war, dies auszusprechen. Aber zurück nehmen konnte sie ihre Worte auch nicht. Geschweige denn sie als dummes Gerede abtun. Rene hatte bereits Feuer gefangen. Dass sah sie in seinen Augen. Er brannte förmlich darauf zu erfahren, wie sie es versucht hatten. Die alte Freu seufzte niedergeschlagen. Hätte ich doch nur den Mund gehalten, dachte sie bitter. Sprach dann aber laut aus:„ Einige versuchten es mit einem Dolch oder einem Schwert aus Silber. In einigen alten Schriften steht geschrieben, dass geweihtes Silber die Kraft hat, dunkle Mächte zu vernichten. Andererseits erzählt man sich, dass Eisen gegen Übernatürliches hilft!“ „Silber oder Eisen!“, murmelte Rene nachdenklich. Viele Möglichkeiten gab es nicht. Ein Schwert aus Silber würde er sich nicht leisten können. Außerdem konnte er nicht damit umgehen. Aber vielleicht einen Dolch aus Eisen. Diesen konnte er besser unter seinem Mantel verstecken, als ein Schwert. Und er war auch sicherlich handlicher. Er würde zum Schmied gehen und nach einem Dolch aus Essen fragen. Bestimmt hatte er einen. Und wenn nichts würde er einen bei ihm bestellen. Sicher war noch bestimmt Zeit, bis er fertig war. Rene hoffte es. „Rene, ich flehe dich an. Tu es nicht. Ich weiß, wie sehr du Flora liebst und dass du alles tun würdest, um sie zu retten. Aber wenn du dich ihm widersetzt, wird es uns aller Ende sein!“, versuchte es seine Großmutter erneut. Aber für Rene stand es fest: Er würde Flora retten! Es war schon spät als Rene nachhause kam. Er hatte länger bei seiner Großmutter Zeit verbracht, als er gedacht hatte. Zumal sie immer wieder auf ihn eingeredet hatte und versuchte, ihm von diesen tollkühnen Plan ab zu bringen. Was natürlich nichts brachte. Irgendwann gab auch sie es auf. Versprach Rene aber, zu schweigen. Dafür hatte er auf sie eingeredet. Und das noch eindringlicher als sie es zuvor getan hatte. Jedoch legte sie Rene den guten Rat an Herz, es sich noch mal genau zu überlegen. „Sei nicht töricht, Rene. Was Flora zu stoßen wird, ist schlimm. Aber ich glaube nicht, dass sie es gut heißen wird, wenn du dein Leben aufs Spiel setzt!“ „Das ist mir gleich. Genauso wie es sicher dem Wolf gleich sein wird, in wessen Fleisch er seine Zähne schlagen wird!“, erwiderte er bitter. „Aber ich werde es ihm sicher nicht leicht machen. Wenn er mich töten will, muss er sich anstrengen!“ Mit diesen Worten war er aus der Haustür getreten. Im Haus seiner Eltern war es beinahe dunkel. Abgesehen in der Wohnstube brannte nirgends Licht. Vermutlich schlief Flora schon und er sollte auch ins Bett gehen. Nicht dass seine Eltern ihn noch zu so später Stunde erwischten und Fragen stellten. Schnell eilte er den schmalen Gang entlang zur Treppe und wollte die Stufen hochsteigen, als er plötzlich ein Schluchzen hörte und inne hielt. Er lauschte genauer und schaute dann zur Wohnstube. Es hörte sich wie seine Schwester an. Offenbar schlief sie nicht. Wie denn auch? Sie würde bald sterben. Wer konnte bei diesem Wissen ruhig schlafen? Niemand! Selbst er lag oft bei Nacht wach und hatte fieberhaft nach eine Lösung gesucht. Nun hatte er eine gefunden und wollte Flora davon berichten. Leise schritt er zur Tür und wollte ihr davon erzählen, als er wie erstarrt stehen blieb. In einem Sessel, vor dem Kamin, saß seine Mutter und nicht Flora. Mit Tränen in den Augen und schluchzend, nähte sie an etwas aus weißem Stoff. Rene konnte es nicht genau erkennen, aber er hatte eine schlimme Ahnung. Um sicher zu sein, blieb er im Schatten verborgen stehen und beobachtete seine Mutter weiterhin. Immer wieder unterbrach sie ihre Arbeit, um sich die Tränen weg zu wichen oder sich ihre Arbeit an zu sehen. Hin und wieder schüttelte den Haufen Stoff aus. Sortierte ihn neu und begann wieder zu nähen. Renes Magen verkrampfte sich, als er nun erkannte, an was sie da arbeitete. Ein Kleid! Ein weißes Kleid! Unfähig sich zu rühren blieb er stehen und blickte auf das Kleid, das unter anderen Umständen ein Hochzeitskleid gewesen wäre, aber in Wahrheit ein Todeskleid für seine Schwester war. Dieser Anblick bekräftigte ihn in seinen Entschluss. Und machte ihm bewusst, dass er keine Zeit zu verlieren hatte. „Ein Dolch aus Eisen?“, fragte der stämmige Schmied Jaque, als Rene ihn am nächsten Tag aufsuchte und sein Anliegen vortrug. Rene nickte. „Ja, es ist sehr wichtig!“, sagte er. Jaque legte die Stirn in tiefe Falten und sah den jungen Mann skeptisch an. „Wofür brauchst du einen Dolch aus Eisen?“ „Ich habe meine Gründe!“, erwiderte Rene trocken, weil es ihm nicht gefiel, dass der Schmied ihn so aushorchte und so anschaute. „Hat es was mit deiner Schwester zu tun?“, fragte Jaque dann und Renes Augen wurden groß vor Entsetzen. „W-Woher?“ „Jeder hier redet von nichts anderem. Ich mag zwar stämmig sein und ein Schmied, aber ich bin nicht dumm!“, lachte Jaque dann, ein wenig amüsiert über die Verblüffung des Bäckerssohnes. Dann aber wurde er ernst. „Dir ist bewusst, dass du in dein Verderben läufst?“ „Soll ich zu lassen, dass Flora stirbt?“, konterte Rene scharf die Frage des Schmieds. Eine Weile sahen sich die beiden nur an. Ein großer Mann, der mit Leichtigkeit einen gusseisernen Hammer schwingen konnte und ein Junge, der dabei war, ein Mann zu werden. Es war sei seltsames Bild und man könnte denken, dass der Schmied den jungen Burschen ohne Kraftanstrengung über das Knie legen könnte. Aber nichts dergleichen passierte. Jaque mochte Rene. Ebenso seine Familie. Als er erfuhr, dass es dieses Mal Flora sein würde, war er schüttert. Aber er wusste auch, dass er nichts dagegen tun konnte. Mochte er so stark sein, wie ein Bär. Nichts konnte sich gegen den eisigen Zorn des Wolfprinzen entgegen stellen. Jörn sah, dass es Rene ernst war. Er nickte. „Nein. Ich kann verstehen, dass du sie retten willst. Ich mag sie ebenso!“, gestand der Schmied. Rene hob daraufhin die Brauen. „Du magst sie?“, fragte er und konnte sich ein Grinsen nicht unterdrücken. Jaque wurde rot. Was wirklich komisch aussah. „Nun…sie ist ein liebes Mädchen. Sie bringt mir immer leckeres Brot!“, sagte Jaque. „Unser Brot ist immer lecker!“, kam es von Rene stichelnd. Es war komisch, dass Rene, der ihn um zwei Köpfe überragte plötzlich so verlegen war. Man sah es ihm zwar nicht an, aber er war trotz seiner Größe und Kraft in Floras Alter und arbeite in der Schmiede seines Vaters. Bisher hatte Rene sich nichts dabei gedacht, wenn Flora ihm das Brot gebracht hatte oder wenn er sich beiläufig bei ihm erkundigt hatte, wie es ihr ging. Nun aber verstand er es und war erstaunt. „Gib es zu, Jaque. Du hast dich in sie verliebt!“, neckte er ihn und Jaque wäre beinahe der Hammer aus seiner Hand gefallen. Ohne dass er es beabsichtigt hatte, hatte Rene laut seinen Verdacht ausgesprochen, so dass die vorbeilaufenden Menschen es gehört hätten. Doch keiner schien es gehört zu haben. Trotzdem presste Jaque seinem Gegenüber die Hand auf den Mund. „Musst du das laut rumposaunen?“, giftete er, nahm aber dann die Hand weg. Rene grinste nur. „Also jetzt wird mir einiges klar!“, sagte er nur spitzbübisch. Jaque machte ein angesäuertes Gesicht und nahm den Hammer wieder vom Boden. Drohend schwenkte er ihn vor Renes Nase herum. „Ein Wort und ich mache aus dir Muss!“, knurrte er und Rene hob beschwichtigend die Hände. „Ich werde nichts sagen!“, sagte Rene verschwörerisch. „Also, was ist jetzt? Schmiedest du mir diesen Dolch?“ Jaque zögerte kurz, dann aber nickte er. „Ich werde mich beeilen, ihn rechtzeitig fertig zu stellen!“, versprach er. „Komme in drei Tagen wieder!“ „Ich danke dir. Wieviel bekommst du von mir?“ Jaque winkte auf diese Frage ab. „Wenn es Flora rettet, ist er für umsonst!“ Das Warten auf den Dolch machte Rene verrückt. Unruhig lief er in seinem Zimmer auf und ab, wenn er allein war. Flora sagte er nichts. Er hielt es für das Beste. Er konnte sich gut vorstellen, dass sie auch versuchen würde, es ihm aus zu reden. Vermutlich würde sie es ihren Eltern erzählen. Nein. Er musste es sich für sich behalten. Verbissen versuchte er, sich seine Anspannung nicht anmerken zu lassen und so zu tun, als wäre nichts. Aber Rene wusste, dass es vergebens war. Trotz dass er bei seinem Plan festhielt, nagte, je mehr Zeit verging, der Zweifel an ihm. Konnte wirklich ein eiserner Dolch helfen? Würde der Wolfsprinz merken, dass er ihn angreifen wollte? Und wenn ja, wie hoch standen seine Chancen? Alle anderen waren schon gescheitert, wieso sollte es ihm also gelingen? Doch Rene wollte nicht daran denken. Sondern sich auf das Kommende vorbereiten. Er musste es zumindest versuchen. Flora Zeit verschaffen, damit sie fliehen konnte. Und wenn er dabei sein Leben ließ, würde sich der Wolfsprinz damit sicherlich auch begnügen. Ein Leben für ein Leben! Als endlich die drei Tage rum waren, eilte Rene schnellen Schrittes zum Schmied. „Und? Hast du ihn fertig?“, fragte er ungeduldig. Jaque nickte und holte einer ledernen Tasche hervor. Reichte ihn Rene. „Ich habe ihn so leicht gemacht, dass du ihn ohne Probleme halten kannst. Geschliffen ist er auch schon. Sei vorsichtig, wenn du ihn auspackst!“, riet er ihm. „Danke, Jaque. Du hast was bei mir gut!“ sagte Rene und steckte die Ledertasche umständlich weg. Jaque winkte erneut ab. „Komm einfach nur wohlbehalten wieder zurück!“ Rene wollte etwas sagen. Hielt aber inne. Es rührte ihn irgendwie, dass dieser große Kerl keine Gegenleistung haben wollte. Offensichtlich schienen die Gefühle, die er für Flora hegte, sehr groß und ehrlich zu sein. Und da kam Rene eine Idee. „Magst du nicht mitkommen? Zu zweit hätten wir eine viel größere Chance?“, fragte Rene. Es war nicht Feigheit, die ihn diese Frage stellen ließ. Sondern der Gedanke, dass Flora Jaque sicherlich mehr als nur dankbar wäre, wenn er sie ebenso retten würde. Immerhin scheint er was für Flora übrig zu haben. Und welcher Weg zum Herzen einer Frau wäre besser, als wenn man sie rettet? Jaque scheint Renes Gedanken deutlich in seinem Blick zu lesen. Denn er lächelte. Jedoch beschämt. „Ich wäre dir keine große Hilfe!“, gestand er schließlich. Rene runzelte die Stirn. „Wieso nicht? So wie du gebaut bist, dürfte es für dich ein leichtes sein, den Schädel des Dämons zu zermalmen!“, sagte er und deutete auf den schweren Hammer. Jaque lachte. Geschmeichelt von den Kräften, die er ihm zutraute. „Das mag vielleicht auch so sein. Aber ich bin viel zu schwer. Meine Größe wäre ein größter Nachteil im Kampf gegen solch ein Monster, dass die Schnelligkeit eines Wolfes besitzt. Du hingegen bist klein und schnell!“ Rene wusste nicht, ob er das als Kompliment oder als Seitenhieb verstehen sollte. „So klein bin ich auch nicht!“, gab er dann verkniffen zurück. Jaque klopfte ihm auf den Rücken. „So war das auch nicht gemeint. Aber du hättest bessere Chancen als ich!“, sagte er beschwichtigend. „Außerdem wenn wir beide verschwinden, wird das sicher jedem hier auffallen. Und du weißt ja, wie die Menschen hier sind!“ Und ob das Rene wusste. Jaque hatte Recht. „Kannst du mir dann ein Gefallen tun, wenn ich es nicht überlebe?“, bat er dann doch. „Und der wäre?“ „Kannst du dich um meine Schwester kümmern?“ Jaque sah ihn einige Minuten an. Dann sagte er leise und im tröstenden Ton:„ Wenn deine Schwester nichts dagegen hat?“ Auf seinem Zimmer wickelte er den Dolch aus dem Lederumschlag und betrachtete ihn. Wie es Jaque ihm versprochen hatte, hatte er den Dolch so gefertigt, dass er kaum was wog. Die Klinge war daher sehr dünn, kaum dicker als ein einfaches Messer. Aber dennoch stabil um kräftig zu stechen zu können. Der Griff hingegen war aus Holz und lag gut in der Hand. Rene drehte ihn in seiner Hand und sah, wie das Licht der Kerze auf die Klinge und deren Schneidekanten fiel und sie schimmern ließ. Aus reiner Neugier strich Rene mit dem Finger leicht darüber und fühlte dennoch, wie scharf sie waren. Ein Schauer rann ihm über den Rücken. Und er fühlte sich nun wieder gefestigt, was sein Vorhaben anging. Siegessicher hielt er den Dolch vor sich und drehte ihn wieder, so dass die Klinge Lichtpunkte auf sein Gesicht warf. Ein grimmiges Lächeln legte sich um seine Mundwinkel. Mit diesem Dolch würde er diesen Wolfsdämon sicher bezwingen können. Die Nacht der Lichtperle brach an. Floras Mutter half ihrer Tochter das Brautkleid anzulegen. Mit zitternden Händen strich sie ihr eine Strähne aus dem Gesicht und sah ihre Tochter mit glänzenden Augen an. Hart presste sie die Lippen aufeinander und kämpfte gegen die neuen Tränen, die sie zu überwältigen drohten. Es war ein stiller und bedrückender Moment. Eigentlich hätte sie so ein Kleid bei ihrer Hochzeit tragen müssen und nicht an ihrem Todestag. Am liebsten hätte es ihre Mutter, gleich nachdem sie es fertig genäht hatte, ins Feuer geworfen. Sie sah darin nichts als Grausamkeit ein Mädchen festlich an zu kleiden und es in den Wald zu bringen, damit es dort einen noch grausameren Tod findet. Aber man erwartete es von ihnen. Damit der Pakt eingehalten und der Dämon zufrieden gestellt wird. Nur damit sie alle leben können. In diesem Moment teilte sie die Meinung ihrer Mutter. Die Dörfler waren allesamt Feiglinge. Aber was würde es bringen sich dagegen zu wehren? Es hatte in der Vergangenheit genug Männer gegeben, die in den Wald gegangen waren, um diesem Untier und seinem Spiel ein Ende zu setzen und waren niemals mehr gesehen worden. Nein. Die Bewohner hatten Angst. So große Angst, dass sie bereitwillig ein solches schweres Opfer brachten. Und nun würden es auch Floras Eltern bringen. Flora sah das Zaudern und den Kampf, der in ihrer Mutter tobte. Auch wenn sie ebenso mit sich kämpfte und von Angst ergriffen war, wollte sie ihrer Mutter dennoch Kraft geben. Sie sagte sich, dass es keinen anderen Weg gibt und das es ein guter Preis war, wenn ihre Familie dadurch weiterleben durften. Flora ergriff die Hände ihre Mutter und drückte sie. Blickte sie an und sagte ihr ohne ein Wort, dass alles gut wäre. Dass sie sich keine Sorgen machen müsste. Ihre Mutter konnte dies jedoch nicht trösten. Mit einem heftigen Schluchzen schlug sie die Hände vors Gesicht und begann zu weinen. Wandte sich ab und schüttelte den Kopf. „Mutter…bitte, mach es nicht noch schwerer!“, bat sie sie mit erstickter Stimme und kämpfte nun auch mit den Tränen. Wieder schüttelte ihre Mutter den Kopf. Flora ging zu ihr und umarmte sie. Ihre Mutter tat es ihr gleich. Beide fühlten sich hilflos. Ihre Mutter, weil sie ihr Kind nicht schützen konnte und Flora, weil sie nicht wusste, wie sie die Pein ihrer Mutter lindern konnte. Floras Vater trat ins Zimmer und sah die beiden Frauen eng miteinander umschlungen. Auch für ihn war es schwer. Aber wie auch seiner Frau, waren ihm die Hände gebunden. Ein Gefühl von Taubheit ergriff ihn. Machte es ihm schwer zu atmen. Seine Hände begannen zu zittern. Um dieses Zittern zu unterdrücken, verschränkte er die Arme vor der Brust und krallte seine Finger in die Ärmel seines Hemdes. „Das ist nicht richtig!“, dachte er finster. Doch er konnte auch nichts dagegen tun. Und es würde nicht lange dauern, bis es an der Tür klopfte und die Dörfler nach dem Opfer verlangten. Am liebsten hätte er sie zum Teufel gejagt und die Tür verschlossen. Aber wenn er es versuchen würde, würde sie mit Sicherheit mit Gewalt eindringen und sie aus dem Haus schleifen. Womöglich würden sie sogar ihnen was antun. Er traute ihnen einiges zu, wenn es darum ging, ihre eigene Haut zu retten. Elende Feiglinge! Mit schwerem Herzen ging er zu seiner Frau und seiner Tochter. Umarmte sie. Drückte beide fest an sich. Versuchten den Moment lange genug zu halten. Lange blieben sie so stehen. Irgendwann lösten sie sich voneinander. Blickten sich noch einmal. Ihr Vater sah sie mit einem Blick an, der sie fragte, ob sie bereit war. Flora straffte die Schultern. Wollte ihre Angst nicht zeigen. Besonders nicht diesen Menschen, die draußen warteten und nur wenig bis gar keine Anteilnahme zeigten. Sondern froh waren, dass es sie nicht getroffen hatte. Wenn ein Mädchen vor Flora erwählt wurde, hatten Renes Eltern die Familie getröstet. Sie meinten es ernst. Konnten nach empfinden, wie sich die Eltern der Mädchen fühlten. Aber jetzt wo es sie nun selbst traf, war sich Flora sicher, dass das Mitgefühl der Dorfbewohner nur gespielt war und die Erleichterung, dass sie verschont wurden, verbarg. Nein. Sie würde in Gegenwart dieser Heuchler keine Angst zeigen. Würde sie nicht beachten. Nur ihre Familie vor sich sehen und ihnen zeigen, dass sie stark war. Ihnen damit auch die Stärke geben, um den Kummer, durchzustehen, der sie ereilen würde. Sie schaute noch einmal in die Gesichter ihrer Eltern. Runzelte dann die Stirn. „Wo ist Rene?“, fragte sie ein wenig verletzt. Sie hatte gedacht, dass ihr Bruder der erste werden würde, um sich von ihr zu verabschieden. Oder zumindest die letzten Minuten, in denen sie sich noch sahen, nutzte. Aber den ganzen Tag schon hatte sich Rene ferngehalten und sich in seinem Zimmer eingeschlossen. Offenbar traf es ihn am schwersten, zumal er wusste, was sie erwartete. Einerseits konnte sie es verstehen, aber sie hatte auch gehofft, ihn ein letztes Mal zu sehen. Der Gesichtsausdruck ihrer Mutter wurde noch trauriger und sie schüttelte den Kopf. Flora verstand und war nun auch den Tränen nahe. Doch sie unterdrückte sie. Zu weinen würde nichts bringen. Auch wenn es schmerzte. Sie nickte erneut. Und es war ein endgültiges. Als sie aus die Haustür raustraten, stand der Vater bereits vor ihnen. Die Hände um eine Bibel geklammert. Er schaute betroffen zu Boden. Sah sie nicht an. Wie oft hatte er schon junge Mädchen bei ihrem Todesmarsch begleitet und musste den Eltern seelischen Beistand leisten? Flora hatte irgendwie Mitleid mit ihm. Als er sie dennoch ansah und sich ihre Blicke trafen, sah Flora darin Bedauern. Ehrliches Bedauern. Sie lächelte zaghaft. Gab ihm dann mit einem Nicken dann zu verstehen, dass sie bereit war. Der Pfarrer nickte ebenso und ging vor raus. Flora folgte ihm. Dann ihre Eltern. Ihre Großmutter gesellte sich zu und lief neben sie. Legte ihr den Arm um die Schulter. Ihr Vater stützte ihre Mutter und versuchte sie zu beruhigen. Wie zu erwarten war, hatten die Bewohner des Dorfes eine Gasse gebildet, die von dem Haus ihrer Eltern zum Rand des Dorfes führte. Als gäbe es nur diesen einen Weg. Trotz dass die Dämmerung eingesetzt hatte und die Sonne ihre letzten Strahlen hinunterwarf, hielten einige Fackeln empor, die ihr Licht auf das Geschehen warfen und für ein unheimliches und bedrückendes Schattenspiel sorgten. Niemand sprach nur ein Wort. Nur das leise Gebet, was der Pfarrer sprach, war zu hören. Hin und wieder schaute Flora in die einzelnen Gesichter. Doch kam dass sie jemanden ansah, wandte er den Blick an. Schaute entweder zu Boden oder grub das Gesicht in die Hände. Doch sie suchte nicht nach Beistand in den Gesichtern. Sondern eigentlich nach Rene, der sich doch vielleicht unter die Menschenmenge gemischt hatte. Wenn er schon nicht in ihrem Elternhaus von ihr Abschied nehmen wollte, dann hatte sie immerhin gehofft, dass er es jetzt tat. Und auch wenn es nur ein Blick war. Mit einer Geste. Aber so angestrengt sie auch die Reihen absuchte, sie fand ihren Bruder nicht. Dafür aber traf ihr Blick den des Schmiedesohnes. Jaque! Flora blieb für einen Moment stehen. Blickte zu ihm hinüber und in diesem Moment schien die Zeit stehen zu bleiben. Schaute zu ihm hinüber und vergaß alles um sich herum. Keiner sagte was, aber es reichten auch nur ihre Blicke. Es gab so vieles, was sie ihm sagen wollte und doch nun niemals mehr die Gelegenheit dafür bekommen würde. Ein kleiner Teil in ihr trauerte darum. Aber sie sah ihn auch als gerettet, wenn sie in den Wald ging. Ihr war bewusst, dass die Anwesenden merken würden, welch zartes Band sich zwischen sie entwickelt hatte, je länger sie sich ansahen und sicherlich würde man darüber reden. Aber das war Flora egal. Sie wollte nicht aus dieser Welt scheiden, bevor sie Jaque gezeigt hatte, dass sie genauso fühlte wie er. Sie hatte schon immer gewusst, dass er Gefühle für sie hatte und wollte ihn auch nicht drängen, sie ihr zu offenbaren. Sie wollte ihm Zeit lassen. Ihr erging es nicht anders. Er war lieb und freundlich. Zuvorkommend. Auch wenn er manchmal einen barschen Ton an sich hatte, aber sie wusste, dass er ein guter Mensch war und dass er für sie da sein würde. Flora lächelte ihn an. Es war ein tröstendes und liebevolles Lächeln. Eines, was sie ihm oft geschenkt hatte, wenn sie unter sich waren und sie keiner sah. In Jaques Augen schimmerten Tränen und es brach Flora das Herz. Am liebsten hätte sie alles getan, um zu ihm zu gehen, die Tränen weg zu wischen und ihm zu küssen. Ihm alles zusagen, was ihr gerade durch den Kopf ging. Aber das konnte sie nicht. Nicht mehr. Sie spürte schon die Hand ihres Vaters, der sie mit sanftem Druck nach vorne schob. Die Zeit drängte. Aber sie nahm sich dennoch Zeit, öffnete den Mund und formte mit den Lippen:„ Ich liebe dich!“ Jaque presste die Lippen aufeinander. Das Schimmern in seinen Augen wurde stärker und er blinzelte die Tränen weg. Öffnete dann auch den Mund und erwiderte tonlos:„ Ich dich auch!“ Floras Gesicht hellte sich auf. Schenkte Jaque noch einen letzten, langen Blick. Dann ging sie weiter. Nur wenige Dörfler erklärten sich freiwillig bereit, die kleine Familie zu begleiten. Die Angst sah man ihnen deutlich in ihren Gesichtern an, als sie den Hang hinauf und zum Wald liefen. Als sie schließlich einer nach dem anderen eintauchten, war es, als wären sie von einem schwarzen Ungeheuer verschluckt worden. Die Fackeln reichten kaum aus, die Dunkelheit, die nach Einbruch im Wald herrschte, zu erhellen. Zuckten und tanzten unruhig, als würden sie die Gefahr spüren, die auf die Menschen lauerte. Warfen dabei bizarre Schatten auf die Bäume und den Schnee, der an einigen Stellen meterhoch war und verlieh dem Ganzen etwas Gespenstisches. Flora schauderte, als sie nun auch die bedrückende und unheilvolle Präsenz des Waldes spürte und verstand nun, wieso Rene so voller Angst war, nachdem er ihr von seinem kurzen Besuch in diesem erzählte. Sie konnte die Bedrohung förmlich körperlich spüren. Es war wie eine unsichtbare Macht, die sich gegen sie stemmte und sie zugleich immer stärker an sie zog. Sie glaubte sogar in der Dunkelheit etwas huschen zu sehen. Konnte spüren, wie tausend oder mehr Augen auf sie gerichtet waren und jeden ihrer Schritte beobachteten. Doch sie versuchte ruhig zu bleiben. Schaute zu ihren Eltern, die ebenso diese Kraft spürten. Die Männer warfen sich immer wieder nervöse Blicke zu und das Gebet, was der Priester aufsagte wurde immer lauter und er war bemüht seine Stimme fest klingen zu lassen. Aber Flora konnte das Zittern darin hören. Sie spürte die Angst. Aber vielleicht war es auch ihre eigene. Tapfer marschierten sie weiter, bis sie auf eine Lichtung kamen, auf der ein Holzpfahl in den Boden getrieben war und dem Seile hingen. Flora durchfuhr es eiskalt. Man würde sie an diesen Pfahl fesseln. Sie praktisch wie auf dem Silbertablett servieren. Erst als sie auf der Lichtung stand und zum Pfahl blickte, wurde sie sich ihres Schicksals wirklich bewusst und sie spürte, wie ihre Entschlossenheit langsam zu bröckeln begann. Etwas in ihr schrie danach, sich dagegen zu wehren. Sich um zu drehen und fort zu laufen. Aber dann würde das Ungeheuer sie alle holen. Es gab keinen Ausweg! Wie betäubt, als würde sie gar nicht wirklich da sein, ließ sie sich an den Pfahl führen und an ihn fesseln. Den Blick starr nachvorne gerichtet. Nur dumpf hörte sie das nächste Gebet, was der Pfarrer nun ansprach und spürte, wie ihr Körper zu zittern begann. Trotz der beißenden Kälte, war ihr heiß und das einzige Gefühl, was sie nun erfüllte, war Angst. Todesangst! Die Minuten dehnten sich zu Stunden, in denen ihre Eltern sich zum letzten Mal von ihr verabschieden wollten. Ihre Mutter umfasste ihr Gesicht zärtlich mit den Händen und drückte ihr mit bebenden Lippen einen Kuss auf die Stirn. Ihr Vater hingegen legte seine Arme, so gut es ging, um sie. Er sagte nichts. Aber das brauchte er auch nicht, da Flora wusste, was in ihm vorging. Dann trat der Pfarrer vor sie und machte mit seiner Hand das Kreuzzeichen, um sein Schlussgebet damit zu beenden und Flora den Weg in das Licht zu weisen. Flora beobachtete dies wie aus weiter Ferne. Ihr Körper fühlte sich bereits tot an und in ihren Ohren rauschte es. Ihr Kopf war wie leer gefegt, zu keinem Gedanken fähig. Ihrer Mutter fiel es mal zu al schwerer zu gehen, je länger sie auf der Lichtung verweilten. Irgendwann hielt es ihr Mann für das Beste, wenn sie jetzt gingen. Mit sanfter Bestimmtheit, legte er seiner Frau die Hände auf die Schultern und schob vor sich her. Unfähig den Blick von ihrer Tochter zu nehmen, ließ sie es zu. Aber in ihren Augen stand deutlich, dass sie es nicht konnte. Sie wollte sie hier nicht allein lassen. Schließlich nahm ihr Mann sie etwas fester an den Schultern und zwang sie nun weiter zu gehen. Flora sah ihnen nach. Sah wie erst die Männer, dann ihre Eltern und schließlich der Pfarrer verschwanden. Als die letzte Fackel die Lichtung verließ und die Dunkelheit wieder die Herrschaft über die Lichtung zurückerhielt, hatte Flora das Gefühl, ganz allein zu sein und doch spürte sie, dass außer ihr noch jemand oder noch etwas hier war. Was sie belauerte. Sie sich holen würde. Flora blickte sich um. Suchte nach dem, was sich vor ihr verbirgt. Aber es blieb ihr verborgen. Sie konnte es höchstens hören. Ein huschendes Geräusch, wie von Pfoten oder Schritten, die durch den Schnee glitten. Das Rauschen von Atem, der durch die Blätter strich Oder war das der Wind? Wolken jagten wie Geister über den Mond, verdunkelten ihn für einen kurzen Moment und entließen ihn dann aus ihrer Gewalt. Floras Herz begann zu rasen und ihre Angst wuchs mit jedem Mal immer mehr, wenn eine Wolke erneut den Mond verdeckte. Sie fürchtete das, sobald es wieder hell wurde, sich das Ungeheuer zeigte. Aber nichts dergleichen passierte. Machte es sich etwa einen Spaß daraus, sie zu ängstigen? Fast schon wollte sie es anschreien. Aber da hörte sie etwas hinter sich durch den Schnee schleichen und ihr Atem stockte. Sie wusste, was da hinter ihr herschlich, aber sie versuchte dennoch den Kopf zu drehen, um etwas zu sehen. Doch die Fesseln ließen dies nicht zu. Schnitten sich in ihre Haut. Da tauchte neben ihr ein Schatten auf, der langsam näher kam und Flora konnte den Wunsch vor Angst zu schreien nicht unterdrücken. Aber bevor sie den Mund aufmachen konnte, um nur einen Laut von sich zu geben, presste sich von hinten eine Hand auf ihren Mund und erstickte ihren Schrei. „Schhhht…sei still!“, zischte eine Stimme dicht an ihrem Ohr und Floras Herz setzte einen Schlag aus. Diese Stimme…! „Ich nehme meine Hand weg. Kein Laut!“, sagte Rene leise. „Verstanden!“ Flora nickte und ihr Bruder nahm die Hand von ihrem Mund. Trat dann neben sie. Ein schwaches Lächeln huschte über seine Lippen. Und Flora erging es nicht anders. Aber dann wurde sie wieder ernst und besorgt. „Was machst du hier?“, fragte sie aufgebracht. Schaute sich dann nervös um. Wie war er hierhergekommen? Und vor allem, was machte er hier? „Ich lasse nicht zu, dass dich dieses Ungeheuer bekommt!“, sagte Rene und machte sich sogleich an ihren Fesseln zu schaffen. Holte ein Messer hervor und begann damit die Stricke zu durchtrennen. „Rene…was?“, kam es stockend von ihr. Rene arbeitete wie wild an den Fesseln und es schien so, als würden die Seile nicht nachgeben wollen. Es dauerte, ehe der erste Strick nachgab und mit einem lauten Knall riss. „Wie kommst du überhaupt hierher?“, fragte sie dann. „Ich bin Euch gefolgt!“ „Aber wie…?“ „Das spielt doch jetzt keine Rolle. Ich muss dich von hier wegschaffen, bevor dieses Monster kommt!“, sagte Rene und durchtrennte noch die letzten Stricke. Flora zu verwirrt, als das sie etwas sagen konnte. Rene zog sie von dem Pfahl weg und drückte ihr etwas an die Brust. „Hier zieh dir die Hose an und dann klettere hoch zu dem Baum da!“, sagte Rene hastig und deutete auf den besagten Baum. Flora setzte zu einer Antwort an, da aber drang das Heulen von Wölfen an sie heran und beide zuckten zusammen. „Los, mach schon!“, drängte nun Rene und Flora machte, dass sie die Hose anzog. Rene atmete etwas erleichtert auf und schob sie dann zudem Baum. „Was ist mit dir?“, fragte sie und schaute sich um. Noch war nichts von Wölfen zu sehen. Rene folgte ihrem Blick. „Ich werde schon klarkommen. Klettere hoch und komm nicht runter, ehe ich es sage!“ Flora wollte widersprechen, aber Ren erhob die Hand und verschränkte dann seine Finger ineinander, damit sie so nach oben klettern konnte. Flora zögerte noch einen Moment, dann aber fügte sie sich und setzte ihre Fuß auf die angebotenen Finger. Rene hievte sie hoch und Flora kletterte hoch. Suchte nach einem geeigneten Ast und setzte sich dann darauf. Blickte gespannt und auch nervös hinunter. Rene schien es ebenso ergehen. Immer wieder schaute er sich um. Vergewisserte sich ebenso oft, dass der Dolch in der Innentasche seines Mantels war und er ihn schnell genug rausholen konnte. Das Metall gab ihm ein Gefühl von Zuversicht, aber auch Sicherheit. Während seine Eltern sich von Flora verabschiedet hatten, hatte er immer wieder in seinem Kopf das Kommende abgespielt und sich überlegt, wie er das Monster am besten überrumpeln konnte. Er wollte sie in Sicherheit wiegen, so tun als würde er schutzlos sein und dann im entscheidendem Moment zu schlagen. Ein schneller und fester Stich. Mehr würde es nicht brauchen. Fast schon wurde er ungeduldig, mahnte sich aber ruhig zu bleiben. Er durfte jetzt keinen Fehler machen. Aber er fragte sich auch, warum dieser Dämon nicht erschien. Hatte er etwa geahnt, was ihn erwartete? Rene hoffte es nicht. Wie um seine Hoffnung nicht zu enttäuschen, hörte er wieder das Heulen. Dieses Mal klang es näher und Rene lief es kalt den Rücken hinunter. Wachsam schaute er sich in der Lichtung um. Suchte nach Anzeichen von Wölfen, die sich hinter den Bäumen verbargen. Doch weder das verräterischer Aufblitzen ihrer Augen war zu sehen, noch ein Hecheln zu hören. Hatte er sich geirrt? Haben seine überreizten Sinne einen Streich gespielt? Eine Wolke schob sich langsam vor den Mond und tauchte die Lichtung in Dunkelheit. Rene schnappte nach Luft. Es war als habe man eine Decke über den Wald gelegt, die alles erstickte. Sogar der Wind ebbte ab und es blieb nichts weiter als Stille. Nur das Wummern seines Herzen konnte er noch hören und schaute sich nun nervös um. Doch egal wie sehr er sich bemühte. Seine Augen konnten die Dunkelheit nicht durchdringen. Die Wölfe jedoch schon. Für sie war es ein leichtes, ihn in dieser Finsternis zu sehen und sicherlich genauso leicht, ihn an zufallen. In dieser unheimlichen Stille vernahm Rene ein Huschen von hinten und drehte sich schnell um. Aber nichts war da! Fast hätte er den Dolch herausgezogen und sich womöglich verraten. Aber im letzten Moment konnte er dies verhindern. Unruhig schaute er sich um. Dann hoch zum Mond, der sich quälend langsam hinter der Wolkendecke vorschob. Es kam ihm vor, als würde die Zeit zäh wie Gummi sich dahinziehen und er trieb innerlich die Wolke an, schneller vorbei zu ziehen. Es war kindisch, aber diese Dunkelheit war mehr als nur bedrückend. Sie raubte ihm den Atem und machte ihn wahnsinnig vor Angst. Als dann endlich der Mond wieder zum Vorschein kam, atmete er erleichtert auf. „Rene!“, rief Flora alarmierend und deutete an eine Stelle vor Rene. Rene folgte ihrem ausgestreckten Finger und erstarrte. Auch wenn es dunkel war und er nichts sehen konnte, hätte er sie hören sollen. Aber sie waren so lautlos gekommen, dass Rene sie für Geister gehalten hätte. Als er jedoch das bedrohliche Funkeln in ihren Augen sah und das tiefe Knurren, wusste er, dass sie wirklich waren. Rene zählte sie. Es waren zwanzig. Zwanzig Wölfe, die einen Kreis um ihn gebildet hatten und ihn nun ansahen, als würden sie sich gleich auf ihn stürzen wollen. Rene biss sich auf die Unterlippe und ihm brach kalter Schweiß aus. Mit einem Male wurde ihm bewusst, dass er sich überschätzt hatte. Niemals könnte er so viele Wölfe auf einmal besiegen. Geschweige denn überhaupt welche. Und wenn er schon bei normalen Wölfen keine Chance hatte, wie sollte er denn gegen einen Wolfsdämon ankommen? Was hatte er sich nur dabei gedacht? Aber zurück konnte er nicht mehr. Rene wagte einen Blick zu dem Rand der Lichtung, der sich nur wenige Zentimeter hinter den Wölfen befand und dachte darüber nach, ob er es bis dahin schaffen würde, wenn er schnell genug war. Er müsste sie nur weglocken, damit Flora vom runterklettern und dann ins Dorf rennen konnte. Doch er verwarf den Gedanken wieder. Die Wölfe würden ihn zu Boden reißen, noch bevor er die Bäume erreichen konnte. Und sicherlich würden sie sich dann auf die Jagd nach Flora machen. Das einzige, was er tun konnte, war stehen zu bleiben und zu hoffen, dass seine Eltern seine Abwesenheit merken würden, um daraufhin mit einigen Männern wieder in den Wald zu gehen und sie holen würden. Vielleicht war es dann für ihn zu spät, aber dann würde Flora verschont bleiben. Plötzlich drehten sich einige Wölfe herum, schauten hinter sich in den Wald, aus dem etwas heraustrat. Rene spannte sich an. Erwartete dass der Wolfsdämon nun auf die Lichtung trat, doch statt das Stampfen von Pfoten, hörte er das Knirschen von Schritten und wenige Minuten später trat ein hochgewachsener Mann die Lichtung. Es verschlug Rene den Atem. Mit allem hatte er gerechnet. Aber damit nicht. Mit ruhigen Schritten trat der Mann auf die Lichtung, hielt jedoch den Blick unentwegt auf Rene gerichtet. Als einer der Wölfe zu ihm hochschaute und tief knurrte, legte er nur die Hand auf den Kopf des Tieres und es wurde wieder ruhig. Rene sah ihn sich genauer an. Er hatte ein schmales, feingeschnittenes Gesicht, das vom langen, rabenschwarzen Haar umrahmt wurde. Eine gerade schmale Nase und ebenso schalle, aber wohlgeformte Lippen. Strahlendblaue Augen blickten zu ihm und schienen ihn von oben bis unten zu mustern. Rene konnte es deutlich spüren und er trat etwas unwohl zumute zurück. Versuchte sich nichts anmerken zu lassen und sah ihn sich weiter an. Er musste zugeben, dass dieser Fremde gut aussah. Er hatte etwas Geheimnisvolles, Düsteres und anziehendes an sich. Aber auch etwas, was einen davor warnte, ihn zu unterschätzen. Gekleidet war er in einem bodenlangen Mantel aus weißem Fell, mit einem Pelzkragen. Wer auch immer er auch war. Jemand aus einem anderen Dorf konnte er nicht sein. Das nächste Dorf war mehrere Tage von hier entfernt. Ein einfacher Bauer war er auch aber nicht, dafür war er zu gut gekleidet. Rene ließ nun den Blick über den Kreis der Wölfe wandern und sah, wie sie demütig dastanden und sich nicht rührten. Das wilde Funkeln in ihre gelben Augen war verschwunden und etwas wie Gehorsamkeit war darin zu lese. Rene war verwirrt, aber dann stieg in ihm eine ungute Ahnung auf. Seine Gedanken überschlugen sich. Konnte es sein, dass dieser Mann der Wolfsprinz war? Rene wollte es zuerst nicht glauben, aber als er sah wie gelassen er dastand und keine Angst vor den Wölfen hatte. Sogar einige streichelte, wusste Rene, dass er wirklich derjenige war, um den sich diese ganzen Geschichten rankten. Augenblicklich wurde seine Kehle trocken und er spürte, wie seine Knie weich wurden. Wo er schon vorher daran gezweifelt hatte, sich gegen die Wölfe wehren zu können und seine Chancen schwinden sah, wurden diese nun vollends zerstört. Seine Hand tastete wieder nach dem Dolch und umfasste ihn fester als zuvor. Da erst schien der Wolfsprinz wieder seine ganze Aufmerksamkeit Rene zu schenken. Lauernd und auch irgendwie erstaunt sah er ihn wieder an. Legte den Kopf erst auf die linke, dann auf die rechte Seite. Als schien er über etwas nachzudenken. Rene fühlte sich mal zu mal unwohler, während er ihn so betrachtete. Ihm kam es vor, als würde er darüber nachsinnen, wie er ihn am besten in seine Einzelteile zerlegen sollte. Da huschte ein flüchtiges Lächeln über seine Lippen, als hätte er sein Unbehagen gespürt. „Kann sein das ich mich irre, aber…sollte es nicht deine Schwester sein, die hier stehen sollte?“ Seine Stimme klang wie Eis. Kalt und schneidend. Ein enormer Kontrast zu seinem engelsgleichen Antlitz. Rene schauderte. Täuschte er sich und war da ein Knurren aus seiner Kehle zu hören? Trotz dass sein Gegenüber es wohl wie eine Frage klingen lassen wollte, hörte Rene deutlich einen drohenden Unterton darin. Und er konnte nun nachvollziehen, wieso die anderen solch eine Angst vor ihm hatten und es nicht wagte, sich ihm entgegen zu stellen. Obwohl er lächelte, sah Rene das gefährliche Blitzen in seinen Augen, wie zuvor bei den Wölfen. Das verräterischer Anzeichen, dass er zuschlug, wenn man es nicht erwartete. „Ich…ich bin an ihrer Stelle hier!“, sprach Rene weiter und kämpfte gegen das Zittern in seiner Stimme. „So?“, fragte der Wolfsprinz und hob eine Braue. Einer der Wölfe knurrte wieder und sah Rene an, als wolle er ihn gleich anfallen. Hatte er etwa das Eisen des Dolches gewittert? Sofort machte er einen Schritt zurück. Der Wolfsprinz hingegen hob nur die Hand. Gebot dem Wolf, sich zurück zu halten. Sah ihn mit einem stummen Befehl an, dann wandte er sich wieder Rene zu und das Lächeln war verschwunden. Nun lag ein prüfender Ausdruck darin. Aber auch warnend. „Du weißt sicherlich, dass schon einige versucht haben, mich zu hintergehen und auch was aus ihnen wurde?“ Rene schluckte. Und wie er das wusste. Aber er hütete sich davor seine Angst offen zu zeigen. „Das weiß ich auch. Ich habe nicht vor, dich zu hintergehen. Darauf gebe ich mein Wort!“, sagte Rene und straffte die Schultern. Nochmals maß der Wolfsprinz ihn einem ernsten Blick. „Du bist der erste, der den Platz mit einem der Mädchen tauschen will. Freiwillig, wohl gemerkt. Da frage ich mich, wieso…?“ In Rene stieg kurz Ärger auf. War das so verwunderlich, wenn er einen nahestehenden Menschen schützen und sich somit opfern will? Fast schon wollte er diese Frage lautsprechen, aber dann erinnerte er sich daran, dass er etwas anderes vorhatte. „Ich liebe nun mal meine Schwester. Ich würde alles für sie tun, wenn es sie und meine Eltern rettet!“, sagte er stattdessen, da dies auch der Wahrheit entsprach. „So? Auch für sie sterben?“, fragte der Wolfsprinz bohrend und der Blick seiner eisblauen Augen schienen bis tief in Renes Seele zu blicken. Er konnte deutlich spüren, wie die Kälte, die in ihnen lag, sich durch seinen Körper bahnte und seinen Geist berührte. Rene zuckte etwas zusammen. „Wenn es sein muss!“, sagte er mit schwacher Stimme. Du bist der einzige, der sterben wird, dachte er hingegen mit einer Spur von Groll und seine Hand schloss sich so fest um den Dolch. „Wie wirst du mich töten?“, fragte er dann schließlich, wobei ihm bei dieser Frage übel wurde. Eigentlich wollte er es nicht wissen, aber er musste Zeit gewinnen. Der Wolfsprinz trat nun näher. Ohne Blick nicht von Renes Gesicht nehmend. Ren wäre eigentlich vor ihm zurück gewichen, mit jedem Schritt den der Wolfsprinz auf ihn zu machte. Aber er zwang sich stehen zu bleiben und ruhig zu bleiben. Die Wölfe beobachteten sie beide ganz genau. Aber Rene spürte, dass ihre Blicke hauptsächlich auf ihn gerichtet waren und er versuchte die Drohung nicht darin zu beachten. Nur einen Schritt blieb der Wolfsprinz vor ihm stehen und die Kälte, die von ihm ausging, war nun noch unerträglicher. Ebenso der Blick, der in diesen Augen lag. Diese eiskalten, blauen Augen. Rene kamen sie bekannt vor. Er hatte sie schon einmal gesehen. Doch ihm wollte nicht einfallen wo. Dabei hatten sie sich so tief in seine Erinnerung gegraben, dass er immer noch von ihnen träumte, wenn er geglaubt…gehofft hatte, sie vergessen zu haben. Und dann durchfuhr es ihn wie einen Hammerschlag, bis ins Mark. Es waren die gleichen Augen, die ihn aus dem Spiegel angeblickt hatten! Nun wich er doch zurück. Dem Prinzen entging das nicht. „Hast du Angst?“, fragte er und fast glaubte Rene, einen tröstenden Ton in seinen Worten zu hören. So als würde er ein verängstigtes Kind trösten wollen. Aber war dieses Ungeheuer dazu fähig, oder war das nur Fassade? Rene wollte nicht darüber nachdenken, geschweigen denn sich davon einwickeln lassen. Für ihn stand fest: Er würde diesem Ungeheuer das Handwerk legen! „Ein wenig!“, flunkerte er daher, weil er ihn im Glauben lassen wollte, es leicht bei ihm zu haben. „Brauchst du nicht. Es wird sehr schnell gehen!“, sagte der Wolfsprinz wieder, im gleichen sanften Ton und es klang schon wie ein Versprechen, das er nicht brechen würde. Aber Rene wusste, dass er log. Jemand, der Jahr für Jahr eine Tochter nach der anderen holte und dem es gleich war, wie sehr die Angehörigen darunter litten, ihren Schmerz nicht teilte und von Rache getrieben war, konnte nicht anders als grausam sein. Da bin ich sicher, dachte Rene bitter und machte sich bereit. Als der Wolfsprinz nun den letzten Schritt nachvorne machte, um das letzte bisschen Abstand zwischen sich und Rene zu überwinden, nutzte Rene dies und machte einen Satz nachvorne. Zog dabei den Dolch aus seiner Manteltasche und hielt ihn so hoch, sodass er genau auf das Herz des Wolfsprinzen zielte. „Stirb Monster!“, schrie er und wollte den Dolch tief in die Brust des Prinzen stoße. Doch der Prinz wich blitzschnell aus. Zu schnell das Rene reagieren konnte. Dennoch setzte er nach. Renes Arm folgte seinem Kopf. Drehte sich dabei so schnell, dass er beinahe von seinem eigenen Schwung das Gleichgewicht verlor und im Schnee gelandet wäre. Er stolperte einige Schritte nachvorne, ehe er sein Gleichgewicht wiedergewann. Dabei bemerkte er nicht, wie der Dolch auf das Gesicht des Prinzen zielte und die Spitze der Klinge die Wange des Prinzen anritzte. Kaum das die Spitze des Dolches das Fleisch berührte, begann es zu zischen, wie Wasser auf einem zu heißen Stein. Der Wolfsprinz stieß einen wütenden Schmerzensschrei aus. Nun gab es für die Wölfe keinen Halt mehr. Um ihrem Herrn zu helfen sprangen sie nach vorne und stürzten sich auf Rene. Rene schaffte es gerade noch die Arme hoch zu reißen, um sich zu schützen. Ansonsten hätten sie scharfen Reißzähne sogleich in sein Gesicht gegraben und es zerfetzt. Dafür aber griffen sie ihn am Rücken, Armen und Beinen an. Wie Dolche gruben sich ihre Zähne in seinen Mantel und seine Hose und in das darunter liegende Fleisch. Drohten es trotz der Kleidung in Fetzen zu reißen. Rene schrie. Trat und schlug um sich, um sich die Bestien vom Leibe zu halten. Doch egal wohin er auch schlug oder trat: Entweder wichen sie ihm ebenso blitzschnell aus, wie es der Wolfsprinz getan hatte, oder straften sein Handeln, in dem sie ihn bissen. Jeder Biss war, als würde er in eiskalte Splitter greifen und ließ ihn erneut aufschreien. Schon spürte er warmes Blut über seine Hände, Arme und Beine fließen und auch wie er immer schwächer. Flora sah dies mit wachsender Angst. Sie wollte schon den Baum hinuntersteigen um ihrem Bruder zur Hilfe zu eilen, aber als sein Blick für einen kurzen Moment hochfuhr, schüttelte er den Kopf. Gab er so zu verstehen, da oben zu bleiben. Tränen stiegen ihr in die Augen, als sie sah, wie die Gegenwehr ihres Bruder immer schwächer wurde und der Schnee unter ihm sich mit seinem Blut, dass aus seinen Wunden floss, rot verfärbte. Als Rene sich kaum noch rührte, zogen sich die Wölfe zurück. Bis auf einen. Den größeren des Rudels. Er schritt auf den schwachen Menschen, als habe er alle Zeit der Welt. Seine Augen funkelten voller Vorfreude, dass er diesen Menschen für seinen Frevel an seinem Herrn bestrafen wird und leckte sich über die Schnauze. Keiner der anderen Wölfe wagte es, sich ihm in den Weg zustellen. Sie wussten, dass es sein Privileg war. Er würde den endgültigen Biss, der dem Jungen den Tod bringen würde, ausführen. Und damit die Strafe vollenden. Trotz dass Rene den Wolf auf sich zukommen sah und alles in ihm danach schrie, weg zu laufen, konnte er es nicht. Mit dem Blut verließ ihn auch die Kraft seinen Körper und als er versuchte sich aufzurichten, zitterten seine Arme, ehe sie unter ihm wegbrachen. Ein Stöhnen drang aus seiner Kehle. Wirbelte den Schnee unter ihm. Seine Augenlider wurden schwer, doch er kämpfte dagegen an, dass sie zu fielen. Blickte unentwegt zu dem Wolf, der nun vor ihm stand und ihn fixierte. Die Zeit stand kurz still, in der sich Mensch und Wolf ansahen und Rene konnte deutlich den Zorn in diesen Wolfsaugen sehen. Komischerweise hatten diese Augen etwas Menschliches an sich. Aber vielleicht bildete er sich das auch nur ein, in den letzten Minuten, die er noch lebte. Dennoch hatte er das Gefühl, als wollten ihm die Augen sagen:„ Dein Tod wäre wesentlich schneller und schmerzloser gewesen!“ Rene verstand und spürte so etwas wie Reue. Wollte etwas sagen. Da öffnete der Wolf sein Maul und wollte seine Zähne in Renes Hals schlagen… „Nein!“ Die Stimme hallte laut über die Lichtung und alles um sie herum verstummte. Die Wölfe, der Leitwolf und auch Rene drehten die Köpfe zu der Person, die ihre Stimme erhoben hatte und sahen zum Wolfsprinzen, der mit wütenden Augen und zusammengepressten Lippen auf sie zuging. Nein, zu Rene zuging. Der Leitwolf wich vor ihm zurück, wie es zuvor die anderen Wölfe getan hatten. Doch sein Blick blieb stets auf Rene geheftet, als er wartete er, dass sich der Mensch doch noch erheben würde. Rene versuchte vor dem Prinzen zurück zu weichen, doch er schaffte nur wenige Millimeter. Schon stand der Wolfsprinz über ihm. Mit einem ebenso wütenden und entschlossenen Blick wie der Wolf ihn hatte. Renes Blick wanderte zu der Wange, die er mit dem Dolch verletzt hatte und sah den Schnitt, den er ihm zu gefügt hatte. Die Ränder waren getrötet und nässten. Darunter sah er das rote Fleisch schimmern. Fast schon wurde ihm übel bei diesem Anblick, aber er fühlte auch eine Spur von Genugtuung, dass er ihn immerhin etwas verletzten konnte. So sah er, dass er nicht unverwundbar war. Doch sicherlich würde seine Familie den Preis dafür zahlen. Kälte erfasste ihn. War es der nahende Tod oder die Angst, seine Familie doch noch dem sicheren Tode überlassen zu haben, vermochte er nicht zu sagen. Vielleicht war es beides. Aber was spielte es schon für eine Rolle. Er würde gleich sein Leben verlieren. Der Wolfsprinz blieb vor ihm stehen, schaute ihn eisig an und Rene rechnete damit, dass er ihn sogleich tötete. Stattdessen sank er in die Knie und griff nach Renes Kopf. Wie Stahlklauen gruben sich seine Finger in seine Haare und Kopfhaut und zog seinen Kopf hoch, sodass er ihn ansehen musste. Rene stöhnte auf. Wollte schreien, doch dazu fehlte ihm die Kraft. Er war kurz davor endgültig das Bewusstsein zu verlieren. Aber ein kleiner Teil in ihm wollte nicht in die gnädige Bewusstlosigkeit dahin gleiten. Ließ ihn hoch schauen und in diese kalten Augen blicken. Rene Atem zitterte und er hätte schwören können, dass sein Herz einen Schlag aussetzte. Da beugte sich der Wolfsprinz zu ihm hinunter und er spürte seinen Atem über seine Wange streichen. Ein Schauer lief ihm über den Rücken, was er schon gar nicht mehr für möglich gehalten hatte. „Ich sollte dich töten, für das was du vorhattest. Nichts anderes verdienst du. Du bist genauso verlogen, wie die, die es vor dir versucht haben!“, hörte er ihn dicht über seinen Ohr flüstern und sein Körper krampfte sich zusammen. „Aber ich werde Gnade vor Recht ergehen lassen. Unter einer Bedingung: Ich lasse deine Schwester am Leben. Dafür gibst du mir das deine. Bis der weiße Schleier endet. Bis dahin darfst du weiterleben. Solltest du aber auch nur ein Wort darüber verlieren, dann werde ich jeden deiner Familie töten und dich zwingen zu zusehen. Nimm meinen Vorschlag an, oder lasse es. Es liegt ganz bei dir!“ Jedes seiner Worte hallte in den Ohren Renes nach und sie verfehlten ihre grausame Wirkung nicht. Zugleich fragte er sich, wieso der Wolfsprinz ihn nicht sofort tötete, sondern ihm dieses Angebot machte. Seine Stimme gehorchte ihm nicht mehr, sodass seine Lippen nur das Wort: „Wieso?“, formte. Doch der Wolfsprinz beachtete dies nicht, sondern zog fester an seinen Haaren. „Entscheide dich! Mein Angebot währt nicht lange. Entweder stirbst du jetzt, vor den Augen deiner Schwester oder später…was wäre dir lieber!“, flüsterte er und Rene wünschte sich nun doch das Bewusstsein zu verlieren, denn so würde der Wolfsprinz nicht merken, wie ihn die Angst erfasste. Er wusste, dass Flora hier war? Wusste er das die ganze Zeit und hatte er nur mit ihm gespielt? Sein Blick glitt zu seiner Schwester, die sicher im Baum saß und wiederum zu ihm hinunter blickte. Obwohl er schwach war und kaum noch die Augen offen halten konnte, konnte er deutlich die Angst und das Entsetzen in ihrem Gesicht sehen. Wenn er hier, vor ihren Augen sein Leben aushauchte, würde sie sicherlich hinuntersteigen, um ihm zur Hilfe zu kommen und dabei selbst ihr Leben verlieren. Er wusste, dass der Wolfsprinz sie ebenso nicht verschonen würde. Als Strafe für sein Vergehen. Also war sein Angebot eigentlich nicht schlecht. Lieber wollte er noch ein Jahr leben und in Abgeschiedenheit sterben, als hier vor den Augen seiner Schwester. So nahm er das letzte bisschen Kraft zusammen und nickte. Als Zustimmung für das Angebot. Der Wolfsprinz nahm dies zur Kenntnis und ließ endlich Renes Kopf los. „Dann steht unser Handel!“, sagte er. „Und damit du es nicht vergisst!“ Mit diesen Worten griff er nun nach dem Ärmel seines linken Armes, riss ihn hoch und presste seine Hand auf die nackte Haut. Beißende Kälte bohrte sich in sein Fleisch, wie tausend Dolche. Rene gab ein schmerzhaftes Stöhnen von sich und glaubte sein Arm würde im eiskalten Feuer verbrennen. Der Schmerz war so groß, dass er den Mund öffnete und nun doch schrie. Es klang hohl und dumpf. Doch in Renes Ohren gellte er unerträglich, sodass er glaubte, taub zu werden. Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, ehe es vorbei ging und die Kälte verschwand. Als der Wolfsprinz seinen Arm losließ, richtete er sich auf und sah ihn noch einmal warnend an. Dann wandte er sich herum und wollte die Lichtung verlassen, doch da hielt er inne und drehte sich noch einmal zu Rene. Doch statt zu ihm, schaute er nun hinauf zu Flora und in seinen Augen funkelte es. Und obwohl er nichts sagte, wusste sie, was er ihr damit sagen wollte: Ein Wort und Ihr sterbt! Dann ging er und ließ sie allein. Als sich Flora sicher war, dass er und seine Wölfe verschwunden waren und nicht wiederkommen würde, kletterte sie schnell den Baum hinunter und rannte zu ihrem Bruder. Rollte ihn auf den Rücken und beugte sich über ihn, um zu hören, ob er noch atmete. Er tat es, aber schwach. Hilflos schaute sich Flora um. Was sollte sie tun? Sollte sie ins Dorf rennen und Hilfe holen? Aber würden nicht andere wilde Tiere kommen und ihn sich holen? Vielleicht sollte sie ihn schultern und ins Dorf tragen. Aber reichten ihre Kräfte dafür aus? Es war ein weiter Weg bis dorthin. Sie würde es nicht schaffen. Aber was konnte sie tun, um ihren Bruder zu retten? Sie blickte auf ihn nieder. Sah wie sich seine Lippen blau verfärbten und sein Gesicht immer blasser wurde. Ihnen blieb nicht viel Zeit. Nur was sollte sie tun? Da wollte er sie retten und nun musste er selber sterben. „Brüderchen!“, schluchzte sie und strich ihm über die Wange. Rene gab nur ein Stöhnen von sich. Seine Augenlider, die geschlossen waren, zitterten und sein Atem wurde immer schwächer. Flora spürte, wie sein Körper immer kälter wurde und das Leben aus ihm wich. Heiße Tränen rannen ihr die Wangen hinunter. Sie legte sich mit ihrem Oberkörper auf ihn, in der Hoffnung, ihn doch irgendwie vor dem Tod zu bewahren und weinte immer bitterlicher. Irgendwann erhellte der Schein einer Fackel das Dickicht des Waldes und drang immer weiter vor Lichtung. Als der Schein auf Flora fiel, schaute sie auf und glaubte, ihre Augen würden ihr einen grausamen Streich spielen. Doch als sie einige Male blinzelte, um den Schleier von Tränen vor ihren Augen auf zu lösen und die Stimmen ihrer Eltern erkannte, dankte sie dem Herren. „Mama! Papa!“, rief sie heiser und erhob sich. Stolperte zu ihren Eltern. Direkt in ihre Arme. Umarmte sie stürmisch, ebenso ihre Eltern. „Flora, was…?“, brachte ihre Mutter nur hervor. Doch Flora schüttelte den Kopf. Gab ihr so zu verstehen, dass nicht die Zeit dafür war. Sie zeigte mit zitterndem Finger auf Rene, der im Schnee lag und ihre Mutter schlug entsetzt die Hände vor dem Mund. Floras Vater vergeudete keine einzige Minute und befahl den Männern, ihm zu helfen, seinen Sohn ins Dorf zu bringen. In den Bergen, die sogar noch den Wald überragten, stand ein Schloss. Es war aus dem Stein und Eis, das sie bedeckte, geschlagen und wirkte verlassen. Zahlreiche Türme und Zinnen regten sich in den Himmel und schienen sich in den tief hängenden Wolken zu verlieren. Ebenso unzählige Brücken verbanden einen Turm mit dem anderen und fast jeder von ihnen besaß einen Balkon, dessen Brüstungen mit kunstvollen, ineinander verschlungenen Mustern geschmückt waren, die ein Überbleibsel aus alten Zeiten waren. Aus einigen der Fenster strahlte warmes Licht. Das Herzstück des riesigen Schlosses aber war eine große Halle, mit einem Kuppeldach, das sich wie ein Bogen aus silbernem Licht vor der Dunkelheit der Berge erhob. Die Fassade des Schlosses war mit spiegelglattem Eis überzogen und durch das darauf fallende Mondlicht wirkte es, als würde es von innen her leuchten. Es wäre schön anzusehen, wenn es nicht gefürchtet wäre, wie sein Besitzer. Dieser stand auf einem der größeren Balkone, der einen Blick auf den Wald und das Dorf darunter gewährte. Er sah das Licht einzelner Fackeln, die sich erneut ihren Weg durch den Wald suchten und nach wenigen Minuten zurück ins Dorf glitten. Trotz der Entfernung konnte er sehen, wie einige der Dörfler eine Trage hielten, auf der sich der regungslose Körper des Jungen befand. Dick zu gedeckt mit Fellen. Mandariels Augen wurden schmal und seine Finger tasteten nach dem Kratzer, den er ihm mit dem eisernen Dolch zugefügt hatte. Die Wunde pochte und brannte immer noch. Mit zusammen gepressten Lippen, holte er den Dolch aus seinem Gewand hervor und betrachtete ihn. Eigentlich hätte er ihn am liebsten weggeschmissen, sodass weder dieser Narr noch jemand anderes dessen habhaft wurde und einen weiteren Versuch, ihn zu töten unternehmen konnte. Aber er behielt ihn. Sagte sich, dass er diesen Dolch als stille Mahnung nehmen sollte. Dass jeder im Dorf, und sei er noch so harmlos an zusehen, ihn irgendwann hinterging. Dabei wunderte er sich, woher dieser Junge das Wissen hatte, dass Eisen ihm schaden konnte. Von den Dörflern konnte er dies nicht haben. Er wusste um die Feigheit dieser Menschen und konnte sich nicht vorstellen, dass er einen von ihnen gefragt hatte. Also blieben nur zwei Möglichkeiten. Entweder hatte dieser Narr einfach nur richtig geraten, oder er hatte es irgendwie rausbekommen. Zwar wollte er sich darüber keine Gedanken machen. Was geschehen war, war geschehen. Aber dennoch interessierte es ihn ein wenig. Und er konnte nicht leugnen, dass er den Mut dieses Jungen irgendwie bewundernswert fand. Zwar haben es schon einige versucht aus ihm den Garaus zu machen. Seiner Schreckensherrschaft ein Ende zu machen, aber nie hatten sie es aus Liebe zu einem anderen getan. Er hatte es deutlich in ihren Augen gesehen. In den Augen des Jungen jedoch hatte er was ganz anderes gesehen. Noch ehe er sich jedoch Gedanken darüber machen konnte, was es war, hörte er jemanden hinter sich sagen:„ Du hast ihn am Lebe gelassen? Wieso? Normalerweise hättest du ihn auf der Stelle getötet?“ Mandariel drehte sich nicht um. Er wusste auch so, wer da hinter ihm stand. Er hob nur die Schultern und steckte den Dolch vorsichtig in sein Gewand zurück. Eine Frau mittleren Alters trat neben ihn. Sie war, wie er in edle Stoffe und in einem Pelzmantel gekleidet und zog sich diesen enger um sich, als ein kalter Lufthauch aufkam. Ihr dunkles, langes Haar war mit Bändern zu zwei dicken Zöpfen zusammengebunden und ihre Stirn wurde von einem filigranen, silbernen Diadem geschmückt. Obwohl sie nicht mehr jung war, war sie immer noch schön und ihre Augen strahlten einen jugendlichen Glanz aus. Und aus diesen Augen sah sie ihn forschend an. „Wieso hast du ihn am Leben gelassen? Das ist doch sonst nicht deine Art?“, fragte sie neugierig. Noch immer sagte Mandariel nichts, sondern schaute mit finsterer Miene weiterhin hinunter ins Dorf. Irgendwann gab sie es auf und seufzte ergeben. Drehte sich um und wollte gehen, doch da sagte Mandariel:„ Weil ich ihn sowieso töten werde!“ „Und wieso nicht jetzt?“ „Ich lasse ihm noch genug Zeit, ehe ich mir sein Leben nehme!“, knurrte er unheilvoll und die Frau sah ihn unglücklich an. „Und wie lange gedenkst du ihm weiterzuleben?“ „Bis zum Ende des weißen Schleiers!“ „Und dann wirst du noch eine Tochter holen?“ „Du kennst die Antwort!“, kam es von Mandariel nun und die Frau schauderte. Und ob sie sie kannte. Sie trat wieder neben ihm und legte beherzt die Hand auf seinen Arm. Drückte ihn. „Wie lange soll das noch gehen, Mandariel? Wann wirst du endlich aufhören, deine Rache an diesen Menschen zu nehmen?“, fragte sie verzweifelt. Mandariel schenkte ihr keinen Blick. Entriss ihr schroff seinen Arm. „Ich werde ihnen niemals vergeben. Sie sollen dafür büßen, was sie getan haben!“, sagte er kalt. „Es ist schon so lange her…!“, wandte sie ein, doch Mandariel war für ihre gutgemeinten Worte taub. „Ich werde Ihnen niemals vergeben!“, sagte er noch einmal, dieses Mal in einem kalten, schneidenden Ton und machte ihr so klar, dass es nichts mehr zu diesem Thema zu sagen gab. Wie immer, wenn sie versuchte, ihn von seiner Rache ab zu bringen. Mittlerweile müsste sie wissen, dass er sich nicht erweichen ließ. Dafür lag der Hass, den er auf die Dorfbewohner hatte, zu tief. Aber sie wusste auch, dass es irgendwann jemanden geben wird, der sich gegen ihn auflehnen wird. Dass es ein Jüngling geschafft hatte ihn zu verletzen, war erstaunlich und auch bewundernswert. Und es sollte ihm zeigen, dass sich nicht jeder vor ihm fürchtete. Mandariel aber schien auch das nicht sehen zu wollen, sondern wollte ihn strafen. Sie wollte noch etwas darauf erwidern, auch wenn sie wusste, dass er es nicht hören wollte. Dazu kam es aber nicht mehr, da er sich umdrehte und ging. Lira sah ihm nach und seufzte. Schaute dann hinunter ins Dorf, in dem der Junge lebte. Im Gegensatz zu ihrem Sohn verspürte sie keinen Groll. Was ihr damals angetan wurde, war grausam gewesen, ja. Mehr als das. Und sie hatte auch diese Menschen verwünscht. Aber diese waren längst verstorben und ihre Nachkommen hatten keine Schuld an dem, was geschehen ist. Doch für Mandariel spielte dies keine Rolle. Er war so in seinem Zorn auf diese Menschen verbohrt, dass er keinen Unterschied zwischen Schuldige und Unschuldige machte. Und dieser Junge war unschuldig. Ebenso seine Schwester. Dennoch musste er sterben. Lira sah nun Mandariel nach. Auch wenn sie wusste, dass er sie nicht mehr hören konnte, fragte sie dennoch:„ Was würde dein Vater nur davon halten?“ Eigentlich wollte ich Euch einen Streich spielen, passend zum ersten April, in dem ich euch sage, dass ich die Fanfic erstmal aufs Eis lege. Habe mich aber dagegen entschieden, weil ich euch nicht ein Messer in den Rücken rammen wollte und weil Anime das neue Kapitel erst heute freigestellt hat... Kapitel 6: Blut ist dicker als Wasser ------------------------------------- Rene rannte durch den mit Schneebedeckten Wald. Alles wirkte wie verschwommen. Die Bäume und die Wurzeln schienen von einem Moment zum anderen hin und her zu wandernd und erschwerten es Rene weiterzulaufen. Stolpernd und nach allen Seiten tastend suchte er nach einem Weg aus dem Wald. Komischerweise hatte er das Gefühl schon mal durch diesen Wald gerannt zu sein. Nur war es dieses Mal anders. Es war Nacht und er konnte kaum etwas sehen. Der Mond, der voll und rund über ihm am Himmel stand, warf sein blasses Licht auf den Schnee nieder und ließ ihn gespenstisch aufleuchten. Es wirkte alles irgendwie unwirklich. Wie in einem Traum. Es fühlte sich aber echt an. Die Kälte, der Schnee, in dem seine Beine versanken und…das Hecheln, das hinter ihm erklang und immer näher kam. Es lief ihm kalt den Rücken hinunter und er wagte es nicht, sich um zu drehen. Er wusste auch so, dass der Wolfsdämon hinter ihm war. Er konnte es spüren. Die Bedrohung, die er ausstrahlte und der Hunger, der ihn erfüllte. Hunger nach seinem Fleisch, schoss es ihm durch den Kopf und ließ ihn schneller zu laufen. Doch mit jedem Schritt, den er tat, schien der Schnee tiefer zu werden und sich in Schlamm zu verwandeln, der zäh an seinen Beinen klebte. Irgendwann gab es aber kein Vorrankommen mehr, da der Schnee so hoch stand, dass er mit seiner Hüfte darin versank und stecken blieb. Dennoch versuchte er sich aus dem Schnee frei zu kämpfen. Pflügte sich förmlich durch den weißen Alptraum und spürte wie seine Muskeln nach und nach zu schmerzen begannen und drohten ihren Dienst zu versagen. Doch Rene machte weiter. Wollte so gut es ging den Abstand zwischen sich und dem Wolfsdämon vergrößern, wobei er deutlich spüren konnte, dass er ihm immer näher kam. Irgendwann aber konnte er nicht weiter. Lag es an seinen ermüdeten Kräften oder an dem Schnee, der ihn nun wie Stein eingeschlossen hatte und ihm am weiter gehen hinderte. Renes Atem ging stoßweise und stieg in dampfenden Wolken auf. Sein ganzer Körper zitterte vor Erschöpfung. Ein Schwindel erfasste ihn, da er nicht genug Luft bekam und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Wartete bis der Schwindel verging und öffnete wieder die Augen. Und er hatte das Gefühl als würde sein Innerstes zu Eis erstarren. Vor ihm stand der Wolfsdämon und blickte ihn aus kalten Augen an. Starr, unfähig sich zu rühren blickte Rene den Dämon und wagte es nicht zu atmen. Es war genauso, als er ihm das erste Mal im Dorf gegenüber stand. Nur war er nun wenige Zentimeter von ihm entfernt und Rene konnte den heißen Atem des Dämons auf seinem Gesicht spüren. Dennoch fror er. Dann näherte sich der Wolf ihm. Instinktiv wollte Rene vor ihm zurück weichen, doch da erinnerte er sich, dass der Schnee ihn umschlossen hatte und ihn daran hinderte. Ohne etwas dagegen tun zu können, sah er wie der Wolf immer näher am, bis seine Schnauze nur wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt war. Sein weißer, pelziger Schädel füllte Renes gesamtes Gesichtsfeld aus und seine blauen Augen schienen sich wie Dolche in die seinen zu bohren. Drangen bis tief in seine Seele. Rene war unfähig den Blick zu senken. Ohne dass er es sich erklären konnte, hielten ihn diese Augen wie in einem Bann gefangen, aus dem er sich nicht mehr befreien konnte. Sein Kopf fühlte sich taub an, als sei er mit Watte gefühlt. Was machte dieser Dämon mit ihm? Ein letztes Mal versuchte er sich von seinem Bann und aus dem Schnee zu befreien. Ein schwacher Versuch, der im Nichts endete. Als habe der Wolfsdämon sein Vorhaben gespürt, legte er die Ohren an und bleckte die Zähne. „Du entkommst mir nicht!“, hörte er ihn in seinem Kopf sagen und das Knurren aus seiner Kehle. „Dein Leben gehört mir!“ Mit einem Schrei erwachte Rene aus diesem schrecklichen Fiebertraum und wusste zunächst nicht wo er war, aber dann sah er die vertrauten Holzwände, der Schreibtisch, mit dem Stuhl, über dessen Lehne seine Kleider hingen. Der Schrank. Er war wieder in seinem Zimmer. Im Haus seiner Eltern. Wie war er hierhergekommen? Er war doch im Wald gewesen? Schwer verletzt von den Wölfen und kaum noch am Leben? Wie also kam er hierher? Da ging die Tür auf und Flora kam herein gestürmt. Unter ihren Augen waren dunkle Schatten und ihr Haar war zu einem Zopf geflochten, aus dem sich einige Strähnen herausgelöst hatten. Sie sah abgehetzt aus. „Rene!“, rief sie außer sich und eilte zu ihm. Wie als fürchtete sie, dass er verschwinden würde, sprang sie auf sein Bett und umfasste sein Gesicht mit ihren Händen. „Ich…ich dachte schon…du…du wachst nie mehr auf!“, keuchte sie und ihre Stimme zitterte. In ihren Augen schimmerten Tränen. Rene konnte sich gut vorstellen, was für Ängste sie durchgelebt hatte. Sanft entzog er sein Gesicht ihren Händen. „Jetzt bin ich ja wach!“, beruhigte er sie. Doch Flora sah ihn an, als habe sie schon längst mit seinem Ableben gerechnet. Rene seufzte. Sah sich, um das Thema zu wechseln, sich um. „Wie…wie bin ich überhaupt hierhergekommen?“ „Vater und Mutter haben irgendwann gemerkt, dass du dich rausgeschlichen hast und wollten nach dir suchen!“, erklärte Flora nur, da er sich den Rest denken konnte. „Ist denn mit dir alles in Ordnung?“, fragte Rene nun und sah seine Schwester forschend an. „Mir fehlt nichts. Aber du…diese Bestien…sie haben…es war einfach entsetzlich!“, begann Flora und schlug die Hände vors Gesicht. Rene umarmte sie. Drückte sie fest an sich. „Ganz ruhig. Jetzt ist es ja vorbei. Es ist vorbei!“ Flora schluchzte und löste sich dann von ihm. Sie schaute ihn lange an und in ihren Augen lag Kummer. „Was hat dich nur glauben lassen, ihn was entgegen zu setzen?“, fragte sie dann und war wieder die große Schwester. Rene musste erstmal selber überlegen. Verflogen war der jugendliche Übermut, der ihn zu diesem Entschluss gebracht hatte und kam ihm selbst wie ein schlechter Scherz vor. „Ich konnte doch nicht zulassen, dass er dich bekommt!“, sagte er. „Aber jetzt wird er dich bekommen!“, flüsterte Flora mit ängstlicher Stimme. Rene presste die Lippen aufeinander. Dann schüttelte er den Kopf. „Die Hauptsache ist doch, dass du sicher bist!“, sagte er. Wollte nicht, dass sie sich wegen ihm sorgte. Vielmehr sollte sie froh sein, dass sie weiterleben konnte. Da war sein Ende ein geringer Preis. „Wo sind unsere Eltern?“, fragte er dann weil er nicht länger darüber reden wollte. Außerdem fand er es seltsam, dass nur Flora sein Erwachen bemerkt hatte. Flora wischte sich über die Augen. Sei es aus Müdigkeit oder um die neuen Tränen weg zu wischen. „Sie ruhen sich aus. Die letzten Tage waren zu viel für sie gewesen!“ „Tage? Wie lange habe ich geschlafen?“ „Sechs Tage. Und geschlafen kann man es nicht nennen. Immer wieder hast du gestöhnt und geschrien. Um dich geschlagen. Es war schrecklich dich in diesem Zustand zu sehen. Mutter weinte ununterbrochen. Wollte dich aus diesem Schlaf reißen, aber es war einfach nicht möglich. Der Arzt sagte, dass es keinen Sinn hätte und dass wir warten sollten, bis du aus dem Fieberschlaf aufwachst!“, erklärte Flora und ihre Stimme wurde heiser. „Wir dachten schon du…!“ „Flora, beruhige dich doch wieder!“ „Wie soll ich mich beruhigen? Nach dem ganzen Grauen, was geschehen ist!“ Rene musste ihr Recht geben. Es war leichter gesagt als getan. Immerhin hatte er ihr erzählt, was alles passiert ist und sie hatte gesehen, wie die Wölfe ihn beinahe getötet hätten. Von ihr zu verlangen, sich zu beruhigen, war einfach absurd. „Ich weiß. Du hast ja Recht. Tut mir leid!“, sagte er. „Ruhe dich auch nun etwas aus. Ich glaube Schlaf kann jeder von uns gebrauchen!“ Flora lächelte. Wohl das erste Lächeln seit langem. „Du klingst schon wie Mutter!“, sagte sie. Rene brachte nur ein schwaches Lachen hervor. „Kann ich dich wirklich alleine lassen? Oder brauchst du noch was?“, fragte Flora. Rene winkte ab. „Nein, ich brauche nichts weiter und ich denken, dass ich den Rest der Nacht auch alleine überstehe. Geh ruhig schlafen!“ Flora sah ihn noch einige Minuten an und wollte wiedersprechen. Sie würde den Teufel tun und sich ins Bett legen, wo doch ihr Bruder aus seinem Delirium erwacht war und sie sich um ihn kümmern wollte. Aber Rene hob die Hand. „Es bringt nichts, wenn du die ganze Nacht mich bemutterst und selbst am nächsten Morgen dich kaum noch auf den Füßen halten kannst!“, wiedersprach er ihr und wurde nun ernst. Flora wollte ihm Widersprechen, doch ein Gähnen strafte ihre Worte Lügen. „Nagut. Ich gehe schlafen. Aber wenn was ist…!“, begann Flora und Rene lächelte. „Werde ich dich rufen. Versprochen!“ Flora sah ihn noch einen kurzen Moment an, dann ging sie. Rene war sich sicher, dass Flora tief und fest schlief. Sie war erschöpft von der Sorge um ihn und sicherlich würde ihr etwas Schlaf gut tun. Aber er würde sicherlich nicht mehr schlafen können. Die Angst wieder diesen Traum zu haben, in dem er sich dem Wolfsdämon gegenüber sah, war zu groß. Außerdem musste er sich überlegen, wie es nun weiterging. Bestimmt hatten die anderen Bewohner des Dorfes mitbekommen, dass Flora noch lebte und würden sicher bald Fragen stellen. Was sollte er ihnen sagen? Dass er einen Pakt mit dem Wolfsdämonen geschlossen hatte? Nein, der Wolfsprinz hatte sich klar und deutlich ausgedrückt. Kein Wort zu den anderen, sonst war seine Familie verloren. Also was blieb ihm noch für eine Erklärung? Vielleicht sollte er behaupten, dass er mit ihm gekämpft hatte und es ihm gelungen war, ihn zu besiegen. Gekämpft hatte er ja mit ihm. Es entsprach also ein wenig der Wahrheit. Nur das Ende müsste er ein wenig umändern. Ihm war nicht wohl dabei, weil er ein miserabler Lügner war. Aber andererseits…wer sollte seine Lüge aufdecken? Nur Flora wusste davon und sie würde ihn sicher nicht verraten. Also eigentlich alles in allem halb so schlimm. Nur musste Flora mitspielen. Er würde mit ihr gemeinsam nochmal genauer reden und sich absprechen müssen, damit es keine Ungereimtheiten gab. Rene schlief bis zur Mittagsstunde des nächsten Tages. Aber es fühlte sich so an, als habe er gerade wenige Minuten und er wollte noch weiterschlafen. Doch da hörte er aufgebrachte Stimmen. „Wie konntest du das zulassen?“ „Er hat darauf bestanden!“ „Du hättest ihm das ausreden sollen!“ „Er ist dein Bruder!“ Rene erkannte dass es sich bei den Stimmen um Flora und Jaque handeln musste. Offensichtlich hatte Flora herausgefunden, woher er den Doch hatte und machte Jaque nun die Hölle heiß. Mit wackeligen Beinen kletterte er aus dem Bett und lief hinaus auf den Flur und die Treppe hinunter. Flora und Jaque waren in der Wohnstube und es war deutlich eine angespannte Stimmung zwischen den beiden. „Das mag zwar sein. Aber dennoch hättest du ihm dieses verdammte Ding nicht schmieden sollen!“, warf sie ihm gerade vor. „Er wollte dich doch nur beschützen!“, wandte Jaque hilflos ein, versuchte sie zu beruhigen. Doch Flora dachte nicht daran. Ihr war anzusehen, dass sie über Jaques Mithilfe alles andere als erfreut war. Da zumal jeder darüber Bescheid wusste, was alles passieren konnte, wenn man sich mit dem Wolfprinzen anlegte. Mit Rene würde sie ebenso nochmal ein ernstes Wort reden müssen. Zwar verstand sie warum er so gehandelt hatte. Sie hätte es an seiner Stelle ebenso gewagt, aber nun hatte er damit alles schlimmer gemacht. Flora wollte etwas darauf erwidern und Rene fürchtete schon, dass sie es verraten würde, aber stattdessen schloss sie wieder den Mund und schaute finster zu Boden. Jaque stand für einige Minuten nur da und sah sie an, dann aber machte er einen Schritt auf sie zu und wollte sie tröstend in die Arme nehmen. Doch Flora wich ihm aus und schüttelte den Kopf. „Ich glaube, ich will dich erstmal für eine Weile nicht mehr sehen!“, sagte sie nur und Jaque glaubte, sein Herz würde zerspringen. Kraftlos ließ er die Arme sinken und in seinem Gesicht spiegelte sich Schmerz. Rene konnte nicht zulassen, dass das Band zwischen Flora und Jaque so zerriss, nicht wegen ihm und seiner Dummheit. „Jaque hatte ja versucht mich abzuhalten, aber ich wollte es so!“, sagte Rene schnell und ging dazwischen. Flora sah in diesem Moment zu ihm und ihre wütenden Augen blieben nun auf ihm haften. „Ich kann es immer noch nicht glauben!“, sagte sie dann mit leiser Stimme. Mit langsamen Schritten ging sie auf ihn zu und blieb dicht vor ihm stehen. „Weißt du eigentlich, dass das auch anders hätte ausgehen können?“ Eine überflüssige Frage, wie Rene fand. Dennoch nickte er. Flora sah ihn noch einige Minuten an. Dann wandte sie sich ab und zog sich ihren Mantel an. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, ging zur Tür und riss sie mit einem Ruck auf. „Wohin gehst du?“, fragte Rene und war erschrocken, wie schwach seine Stimme war. Flora drehte sich halb herum. „Ich gehe zu Mutter und Vater. Sie werden sicher Hilfe in der Bäckerei brauchen…und außerdem wollte der Bürgermeister wissen, was geschehen ist, wenn du wieder aufwachst!“ Dann warf sie die Tür mit einem lauten Knall. Rene und Jaque zuckten zusammen. Minuten lang sahen sie zur Tür und jeder ahnte, dass das noch üble Folgen haben würde. Jaque war der erste, der es aussprach. Mit einem schweren Seufzen, fuhr er sich durch das Haar. „Ohje, ich glaube das wird noch Ärger geben. Für uns beide!“ Rene schluckte. Das war ihm ebenso bewusst. Keiner aus dem Dorf würde es darauf beruhen lassen, dass er für seine Schwester sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte und dennoch es überlebt hatte. Nein, das würde erst Recht für Wirbel sorgen und auch für einige unangenehme Fragen. Und das auch Jaque ins Visier geriet, behagte ihm gar nicht. Ihn wollte er da nicht mitreinziehen. Da er zumal eigentlich keine Schuld hatte, sondern Rene allein. „Es tut mir leid, dass ich dich da reingezogen habe. Ich wollte das nicht. Ich weiß, wie gern du sie hast und sie dich…Und jetzt denkt sie, dass du sie hintergangen hast…nur wegen mir!“, sagte Rene schwach. Jaque lächelte und klopfte ihm auf den Rücken. „Mach dir deswegen keinen Kopf. Ich bin ja auch selber daran schuld. Ich hätte auch einfach nein sagen können!“, sagte er. „Oder dir eine Kopfnuss verpassen können, damit du wieder zu Vernunft kommst!“ Der Hauptsaal der Stadthalle war erfüllt von dem Stimmengewirr der dort versammelten Menschen und es fiel dem Bürgermeister schwer, die Menge zur Ruhe zu bewegen. Nur eine kleine Gruppe von Menschen redete nicht. Nämlich Rene und seine Familie. Und auch Jaque schwieg. Mit sorgenvoller Miene blickten sie auf den Boden und versuchten die Blicke der anderen nicht zu beachten, die ihnen zugeworfen wurden. Dennoch spürten sie, das Entsetzen, den Unwillen und auch die stille Spur von Bewunderung, die in diesen lagen. Nur einmal wagte es Rene den Blick zu heben und ausgerechnet traf er den des Bürgermeisters. Darin sah er deutlich einen stillen Vorwurf. Und die dazu gehörende, nahende Strafe. Rene schluckte und senkte daraufhin den Kopf. Zum zehnten Mal ließ der Bürgermeister seinen hölzernen Hammer auf das Pult donnern und verlangte erneut um Ruhe. Nur langsam versiegte der Redefluss und machte nun einer schweren Stille Platz. Kurz ging der stechende Blick des Bürgermeisters über alle Anwesenden, um sicher zu sein, dass auch wirklich nun jeder schwieg. Als er sich sicher war, dass keiner mehr die Stimme erheben würde, wandte er sich an Rene. „Rene, steh auf!“, verlangte er bellend und Rene zuckte zusammen. Nur mühsam erhob er sich und trat nach vorne. Er fühlte sich wie ein Verbrecher, den man nun sein Vergehen anlasten würde. Sogleich begannen die Versammelten wieder zu tuscheln. „Was hat er sich nur dabei gedacht?“ „Wie konnte er den Wolfsprinzen angreifen?“ „Jetzt werden wir alle dafür büßen müssen!“ „Nur wegen seinem Egoismus!“ Rene versuchte diese Anschuldigen zu ignorieren. Doch innerlich schrie es ihm danach, sich umzudrehen und die Leute, die hinter vorgehaltener Hand über ihn sprachen, als feigen Haufen zu beschimpfen. Aber er ließ es. Es würde nur noch mehr die Menge anheizen und das alles noch schlimmer machen. Als er schließlich vor dem Bürgermeister stehen blieb, wartete er, bis er ihn aufforderte zu sprechen. „Rene! Du hast trotz dem Wissen, das wir niemals gegen Handel verstoßen dürfen, es dennoch gewagt und einen Dolch gegen den Wolfsprinzen erhoben. Ist dir klar, in welche Gefahr du uns alle gebracht hast?“ Rene sagte erstmal nichts. Sondern hielt es für das Beste zu schweigen. Zum einen weil er nach den richtigen Worten suchen wollte und zum anderen, weil er den Eindruck erwecken wollte, dass er sich der Tragweite seines Fehlers bewusst war. Als dann für ihn genug Zeit vergangen war, hob er den Kopf und begann mit fester Stimme zu sprechen:„ Das ist mir bewusst und es tut mir leid. Ich wollte kein Unglück über das Dorf bringen. Aber ich…!“ Nun versagte seine Stimme und dies nutzte der Bürgermeister um sich vor zu beugen und ihn aus finsteren Augen anzublitzen. „Aber was?“ „Ich konnte nicht zulassen, dass…das er sich Flora holt!“, sagte er und wandte sich dann an die Menschen hinter ihm. „Ganz im Gegensatz zu manch anderen!“ Für einige Minuten herrschte Stille. Dann aber hagelte es wilde Beschimpfungen und Anschuldigen. Den Bürgermeister kostete es einiges an Mühe, die aufgebrachte Menge wieder zur Ruhe zu bringen. Als die lauten Stimmen versiegten, wandte er sich an Rene und sah ihn nun scharf an. „Woher nimmst du dir das Recht, uns so zu verurteilen?“, kam es leise von ihm und er beugte sich drohend vor. Rene fürchtete in einem kurzen absurden Moment, dass er gleich vornüber kippen und auf seine Nase brechen würde. Beinahe wollte er schon darüber grinsen. Ließ es aber. Sein Schweigen deutete der Bürgermeister als ein Zeichen von Trotz. „Jeder hier hätte ebenso gehandelt, wie du. Aber jeder hier weiß auch, was das es für Folgen haben kann!“ Für Rene klang es schon wie ein Zugeständnis, dass sie sich zu sehr davor fürchteten, als das sie es jemals versuchen würden. „Es sind schon genug Menschen vor dir in den Wald gegangen, um dem Wolfsprinzen Einhalt zu gebieten und mussten dafür mit ihrem Leben bezahlen!“, tadelte er weiter. „Aber ich lebe noch!“, wandte Rene ein. Er verstand einfach nicht auf was der Bürgermeister hinaus wollte. Das Gesicht von diesem verfinsterte sich. „Ja, aber ich mag mir nicht vorstellen, was das für das Dorf bedeutet!“, schnaubte der Bürgermeister. „Also frage ich dich nochmal: Was hast du dir dabei gedacht?“ Rene spürte wie ein nie für möglich gehaltenes Gefühl von Wut in ihm hochkochte. Der Bürgermeister tat so, als sei es das erste Mal, dass einer es wagte gegen den Handel zu verstoßen. Und er begriff auch nicht wieso dieser Mann ständig darauf herum ritt, dass er es als erster und wohl als einziger überlebt hatte. Dennoch wählte er seine Worte mit Bedacht und sagte fest und eindringlich:„ Nach allem, was ich all die Jahre mitbekommen und auch gehört habe, soll der Wolfsprinz sehr mächtig und grausam sein. Und trotz dass es vor mir andere gab, die den Mut aufbrachten in den Wald zu gehen, wurde das Dorf noch nie von ihm aus Rache angegriffen. Da frage ich mich wieso!“ Diese Worte verfehlten ihre Wirkung nicht, denn für einige Minuten wurde dem Bürgermeister der Wind aus den Segeln genommen und in seinen Augen spiegelte sich absolute Ratlosigkeit. „Wieso sollte es bei mir anders sein?“ „Müssen wir wirklich darüber diskutieren? Wieso schmeißen wir diesen Bengel nicht einfach ins Gefängnis und peitschen ihn dann aus!“, schrie plötzlich ein Mann. „Lieber sollte man ihm die Zunge abschneiden!“, ereiferte sich dafür ein altes Weib. Es lief Rene kalt den Rücken hinunter. Ihm war schon bewusst, dass sein Handeln nicht jeder guthieß, aber dass man nun über ihn richten wollte, wie ein Schwerverbrecher, war in seinen Augen mehr als grausam. Er konnte sich nicht erinnern, dass die Angehörigen der anderen Männer jemals so behandelt wurden. Aber vielleicht war das nur, weil die Männer starben und nicht heil zurückkamen. „Nein, auspeitschen. Fünfzig Hiebe!“, verlangte wieder der erste. „Hundert Hiebe!“ Man schien sich förmlich überbieten zu bieten wollen. Und es waren nicht nur die Männer, die solche Ausrufe von sich gaben. Auch die Frauen, zumindest die alten, mischten sich ein, wobei sie Rene giftige Blicke zu warfen. „Widerliche alte Hexen!“, dachte er voller Abscheu. Zwar hatte man ihm beigebracht, dass er ältere Menschen achten und respektieren sollte, aber im diesen Moment dachte er genauso wie seine Großmutter. Er schaute zu ihr, sah die gleiche Abscheu in ihren Augen, die er gerade empfand. Bat sie aber auch um Hilfe. Denn er glaubte nicht, dass er allein gegen diese Anfeindungen ankommen konnte. Mit einem wütenden Aufschrei sprang seine Großmutter auf und stellte sich schützend an seine Seite. Sah die Versammelten wütend an. „Was ist nur in Euch gefahren?“, herrschte sie sie an. „Mein Enkel hat das getan, wofür Ihr viel zu feige seid! Er hat es aus dem richtigen Grund getan, während die anderen…!“ „Es reicht Martha!“, erscholl die Stimme des Bürgermeisters. Als habe er sie herausgefordert, drehte sich seine Großmutter herum und sah nun den Bürgermeister funkensprühend an. „Gerade du musst reden, Gerold. War es nicht dein Vater, der das Unglück über unser Dorf brachte!“, zischte sie und wandte sich wieder an die Menschen. „Und waren es nicht eure Vorväter, die ein unschuldiges Mädchen aus dem Dorf trieben, nur weil ein einziger gegen sie gehetzt hatte?“ Wo einige vorher noch mit voller Inbrunst darauf bestanden hatten, das Rene die schlimmste Strafe erhielt, waren sie nun ganz still geworden und schauten mit beschämten Blicken auf den Boden. Jeder hier erinnerte sich an die alte Geschichte und jeder wusste, dass seine Familie ebenso Schuld daran hatte. Martha sah dies mit kalter Genugtuung. „Ihr tut so, als hättet Ihr eine weiße Weste, aber eigentlich seid Ihr nicht besser als Aasgeier!“, sagte sie eisig. „Immer auf einen drauf. Hauptsache Ihr steht in einem guten Licht da!“ Dann wandte sie sich wieder an den Bürgermeister. „Also? Was nun, Gerold? Wirst du meinen Enkel für etwas strafen, was jeder hier getan hätte…oder lässt du Milde walten?“ Für einen langen Moment schwieg der Bürgermeister und schien sich schwer dran zu tun, die richtige Entscheidung zu treffen, geschweige denn auszusprechen. Sein Blick wanderte von Martha zu Rene, dann zu den Menschen hinter ihm und dann zu Martha zurück, in dessen Augen er deutlich die Warnung las, dass er ja nichts Falsches sagen sollte. Mit einem schweren Schlucken, strafte er die Schultern und sagte dann mit bemüht fester Stimme:„ Da du deiner Schwester das Leben retten wolltest und es selbst überlebt hast, sehe ich keinen Grund, dich dafür zu betrafen!“, sagte er und die Menschen auf ihren Bänken schnappten entrüstet nach Luft. Der Bürgermeister ignorierte dies. Setzte dann aber mit einem ernsten Ton hinzu:„ Aber sei dir bewusst, dass du damit uns alle in großer Gefahr gebracht hast!“ Rene nickte nur, wogegen der Blick seiner Großmutter finster wurde. Mit dem Schlagen des Hammers auf dem Pult, verkündete der Bürgermeister das Ende der Versammlung und die Menschen strömten hinaus. Dabei ließen sie es sich nicht nehmen, Rene und seiner Familie finstere Blicke zu zuwerfen. Martha erwiderte diese. Als sie Zuhause waren, fühlte sich Rene seltsamerweise erleichtert. Ihm fiel sämtlicher Druck, der bei der Versammlung auf ihm gelastet hatte, ab. Er war auch froh gewesen, dass er nichts von seinem Ausflug in den Wald erzählt hatte, denn das hätte noch mehr Ärger verursacht. Und er hatte auch eigentlich gedacht, dass es damit erledigt sei. Doch kaum dass sein Vater die Tür hinter sich zugezogen hatte und Rene Anstalten machte hinauf in sein Zimmer zu gehen, packte er seinen Jungen an der Schulter. „Nicht so schnell, junger Mann!“, sagte er mit seiner tiefen Stimme und bugsierte ihn zum einen der Stühle. Rene kam sich vor, als sei er wieder ein kleiner Junge, den sein Vater beim Unfug machen erwischt hatte. „Was gibt es denn noch?“, fragte er unwillig und ließ sich auf den für ihn bestimmten Stuhl plumpsen. „Ganz einfach. Weißt du eigentlich, dass du noch großes Glück gehabt hattest?“, fragte sein Vater. „Vater, bitte du nicht auch noch!“, jammerte Rene. Er hatte gehofft, dass zumindest seine Eltern ihm eine Predigt ersparen würden. „Doch, ich auch noch!“, herrschte er ihn an. „Willst du mir etwa auch vorwerfen, dass ich mein Leben für das von Flora riskiert habe. Dabei müssten du und Mutter es doch am besten wissen!“ Sein Vater sah ihn mit einer Mischung aus Enttäuschung und Sorge an. Er seufzte. „Natürlich, tun wir das…!“, sprach nun seine Mutter mit belegter Stimme. „Dann hört auf, mir daraus einen Strick zu ziehen!“ „Das wollen wir doch nicht. Aber sei dir im Klaren, dass jeder im Dorf nun einen Groll auf dich haben wird!“, sagte seine Mutter. „Ach, diese falschen Hunde…!“, murrte Martha und winkte ab. „Die würden ihn noch verurteilen, wenn er nur noch einen Arm hätte…!“ „Und du musst gerade reden, Mutter. Was hat dich nur dazu getrieben, den Bürgermeister unter Druck zu setzen?“, fuhr nun seine Mutter die ihrige an. „Jemand musste Euren Sohn doch in Schutz nehmen, wenn Ihr schon schweigt!“, konterte ihre Mutter scharf und Elsa biss sich verkniffen auf die Lippe. „Was hätten wir denn tun können?“ Ihre Mutter schnappte erschüttert nach Luft. „Was ihr hättet…Seit wann lasst Ihr Euch von der Angst dieser…Feiglinge anstecken?“ „Das stimmt doch gar nicht. Wir…wir hatten nur die Sorge, dass man danach nichts mehr bei uns kaufen will!“, gestand Elsa kleinlaut. Nun war sie wohl wieder ein Kleinkind. Ihre Mutter sah sie für einige Minuten an, als habe sie einen Geist gesehen, dann wurde ihr Gesicht bitterernst. „Elsa! Das ist dein Sohn. Es sollte dir egal sein, ob danach einer noch was bei Euch kauft!“, herrschte sie sie an. „Und was wenn wir danach alle verhungern? Oder unser Haus verlieren?“, wandte seine Mutter wütend ein. Dann sprach wie weiter und in ihren Augen schimmerte es. Sie konnte sich schon denken, was nun ihre Mutter über sie dachte, weil sie selber ihrem Sohn nicht zur Seite gestanden hatte. Und sie war selbst wütend auf sich. „Für mich war es auch schlimm, zu hören, wie sie Rene strafen wollten und ich hätte jeden einzelnen dafür schlagen können. Aber was dann? Die Dorfbewohner hätten dann nicht mehr ihr Brot bei uns geholt und der Bürgermeister hätte uns aus unserem Haus geworfen…uns womöglich noch aus der Stadt gejagt!“ „Dann hättet ihr ihm zuvor kommen können. Überall hättet Ihr es besser, als hier in diesem Dorf voller Heuchler. Und außerdem: Diese Dummköpfe wären selber schuld, wenn sie Euch vertreiben. Ihr seid die einzigen Bäckersleute hier…!“, sagte Martha abfällig. „Und was ist mit dir?“, fragte Elsa mit bebender Stimme. Sie bezweifelte nicht, dass sie es woanders besser haben würden. Aber was war mit ihrer Mutter. Das nächste Dorf war Tage, wenn nicht sogar Wochen entfernt. Sie würde solch eine lange Reise nicht überstehen. Selbst wenn sie das Dorf verlassen müssten, warum auch immer. Sie konnte und wollte sich nicht vorstellen, ihre Mutter hier allein zu lassen. Martha lächelte nun milde. „Darüber mach dir keine Gedanken!“, sagte sie nur. Und regte dann ihre Arme. „Es ist spät. Ich werde mich dann mal auf den Heimweg machen. Ihr solltet Euch ausruhen. Es war ein anstrengender Tag!“ Keiner wandte etwas dagegen ein. „Ich bringe dich heim. Nicht das dieser wütende Mob auf die Idee kommt, dir auf zu lauern!“, sagte Elsas Mann dann. Martha lachte. „Gerne, Ramon!“ „Bleib nicht zu lange draußen!“, bat Elsa ihren Mann dennoch. Trotz dass er ein großer stämmiger Mann war, fürchtete sie, dass es einige der Männer versuchen würden und ihn mit Knüppeln und ähnlichem zu Leibe rücken. „Ich werde mich beeilen!“, sagte Ramon und küsste seine Frau auf die Stirn. Dann begleitete er seine Schwiegermutter nachhause. „Und ihr beide geht ins Bett!“, wies ihre Mutter sie knapp an. Keiner der beiden schien irgendwelche Einwände zu haben. Gehorsam gingen sie die Treppe hoch. Doch bevor Flora auf ihr Zimmer gehen konnte, hielt Rene sie zurück. „Flora, warte mal!“, sagte er. „Was gibt es denn noch?“ „Wegen der Sache mit Jaque…!“, begann er. Flora seufzte. „Kann das nicht bis morgen warten?“ „Nein!“, sagte Rene aufgebracht und auch einige Oktaven zu laut. Schnell dämpfte er die Stimme und flüsterte dann. „Jaque trifft keine Schuld. Ich war es, der ihn dazu gedrängt hat!“, sagte Rene. Er wollte nicht, dass Jaque und Flora wegen seinem Leichtsinnig getrennt werden. Flora sah ihn nur an. Rene fürchtete, dass sie nicht seine Bitte erhören würde und versuchte es weiter. „Und er wäre ein ziemlicher Idiot, wenn er es riskiert, dich zu verlieren!“, sagte er. Flora musste daraufhin etwas lächeln. „Ja, das wäre er!“, sagte sie und schwieg eine Minute. Schien nach zu denken wobei sich Rene fragte, worüber man da noch überlegen sollte. Dann sagte sie mit einem Seufzen:„ Also gut!“ Rene atmete erleichtert auf. War froh, dass er zumindest etwas retten konnte. „Aber dafür machst du eine Woche meine Hausarbeit!“ Dann war sie auch schon in ihrem Zimmer ehe er etwas sagen konnte. Rene stand mit heruntergeklappter Kinnlade vor der Tür seiner Schwester und wusste zunächst nicht was er dazu sagen sollte. Dann stieg typisch, brüderlicher Ärger in ihm hoch. „Das…das ist nicht gerade der Dank, den ich mir verhofft habe!“, rief er gegen die Tür und glaubte ein Kichern zu hören. Beleidigt stapfte er davon, in sein Zimmer und warf laut die Tür ins Schloss. Die Meinung über Renes Heldentat hätte gespaltener nicht sein können. Während die älteren Dorfbewohner immer noch über Renes Tat einfach nur wütend und entsetzt den Kopf schütteln konnten, war er für die jüngeren ein wahrer Held. Besonders für die kleinen Kinder und auch für die Mädchen. Wann immer er an ihnen vorbeiging oder sie in die Bäckerei kamen und ihn trafen, warfen sie ihm schmachtende Blicke zu und schmierten ihm Honig ums Maul. So wie auch heute. „Oh, hallo! Rene! Mir ist gar nicht aufgefallen, was für schöne Augen du hast!“, schwärmte Maria. Eines der wenigen Mädchen, die mit Fug und Recht behaupten konnten, dass sie mal ein perfektes Leben führen würden. Sie lebte mit ihrer Mutter und ihrem Vater, der ein gutverdienender Kaufmann war, in einem der edelsten Häuser des Dorfes. Bisher hatte sie Rene keine Beachtung geschenkt. Weil er der Sohn eines Bäckers war. Aber jetzt schien sie ihre Meinung geändert zu haben. Flora, die ebenfalls in der Bäckerei half, bekam das natürlich und rollte die Augen. Rene versuchte sein Erstaunen nicht zu zeigen. „Äh, danke. Maria!“ „Ich fand es wirklich heldenhaft, wie du dein Leben für das deiner Schwester riskierst hat!“, säuselte sie und zwinkerte ihm zu. Noch bevor Rene etwas darauf antworten konnte, stieß ihn seine Schwester von hinten mit dem Tablet mit frischgebackenen Broten an und warf ihm einen mürrischen und Maria einen finsteren Blick zu. „Hey, hier gibt es noch was zu tun, du großer Held!“, sagte sie dann und machte eine Kopfbewegung zum Sack Mehl, den er in die Backstube tragen sollte. Wortlos nahm er diesen und trug ihn in die Backstube. Flora sah ihrem Bruder nach, dann schaute sie Maria giftig an. „Müsstest du nicht beim ältesten Sohn des Bürgermeisters sein? Deinem Verlobten?“, fragte sie mit einem bissigen Ton. Maria rümpfte nur die Nase. Drehte sich dann um und sagte über die Schulter:„ Grüß mir deinen Bruder!“ Dann ging sie. „Mit Sicherheit nicht!“, raunte sie. Rene ging am Nachmittag, als die Arbeit getan war, zu seiner Großmutter. Seine Mutter gab ihm einen Korb mit Brot, einem leckeren Kuchen und einer Flasche Kräutertee mit. Auf dem Weg zu seiner Großmutter warfen ihm auch andere Mädchen schmachtende Blicke zu. Rene war das mehr als nur unangenehm. Er zog den Kopf zwischen die Schultern und versuchte die Blicke der Mädchen zu ignorieren. Der Weg zu seiner Großmutter war eigentlich nicht weit. Höchstens zehn Minuten, aber nun kam ihm der Weg dreifach solang vor. Und mit jedem Schritt wurden die Blicke der Mädchen und auch die finsteren Blicke der älteren immer schlimmer, bis sie sich förmlich in seinen Rücken zu bohren schienen. Als er endlich ankam, atmete er erleichtert auf und klopfte an. Seine Großmutter öffnete und lächelte ihn an. „Oh! Rene! Schön, dass du mich besuchst!“ „Mutter hat etwas für dich mitgegeben!“, sagte er und hob den Korb hoch. Die Augen der alten Frau strahlten. „Ohhh! Elsa!“, schwärmte sie, klatschte in die Hände und nahm ihm den Korb ab. „Darf ich denn eintreten oder schickst du mich wieder weg, nachdem du die Leckereien bekommen hast?“, fragte Rene und legte einen schmollenden Ton in seine Stimme. „Natürlich, was denkst du denn?“, kam es von seiner Großmutter entrüstet. „Komm rein. Bevor dich die Blicke dieser Schakale in den Boden versinken lassen!“, setzte sie noch hinzu, als sie einen Blick über seine Schulter nach hinten warf. Rene setzte zu einer Antwort an, doch seine Großmutter ergriff ihm am Ärmel und zog hinein. In dem Haus seiner Großmutter war es schön warm. In der Kochstelle loderte ein kleines Feuer und darüber hing ein Kessel, aus dem würziger Rauch sich emporkringelte. „Setz dich!“, sagte sie und ging zur Kochstelle. Nahm aus einem Schrank zwei Tassen aus einfachem Ton und eine Schöpfkelle. Vorsichtig tauchte sie diese ein und goss etwas, von der kochenden Flüssigkeit in die beiden Tassen. „Hier, etwas Tee gegen die Kälte!“, sagte sie und setzte sich ihm gegenüber. Sie nahm einen vorsichtigen Schluck. Rene tat es ihr gleich und schmeckte den würzigen aber auch süßen Geschmack von Früchten und Gewürzen. Sein Lieblingstee! „Wusstest du, dass ich komme?“, fragte er mit gehobenen Brauen und schaute sie über den Rand seiner Tasse an. Er wusste, dass dieser Tee eine Zeit brauchte, bis er fertig war und er konnte sich nicht vorstellen, dass sie diesen einfach so gekocht hatte. Und seine Mutter hatte ihr auch nicht gesagt, dass er kommen würde. Seine Großmutter hob die Schultern. „Vielleicht! Ich habe mir gedacht, dass du mich besuchen würdest. Nach allem was passiert ist, hast du sicher einige Fragen!“ Rene stutzte. Fragen? Er war eigentlich aus einem ganz anderen Grund gekommen. „Ich wollte mich eigentlich bei dir bedanken. Dafür dass du mir den Rücken freigehalten hast!“ Seine Großmutter winkte ab. „Das war nur allzu selbstverständlich!“, sagte sie. „Diese falschen Hunde sollten sich erstmal lieber selbst strafen, für das, was ihre Vorväter getan haben!“ Rene biss sich auf die Unterlippe. Schon bevor er in den Wald ging, hatte seine Großmutter sowas erwähnt. Und sie hatte sich bisher auch irgendwie ausgeschwiegen. Nun aber wollte er genau wissen, was da vor all den Jahren geschehen war. „Großmutter, du hast mir mal erzählt, was die Dörfler damals getan haben!“, begann er. Seine Großmutter nickte. „Weißt du wirklich nicht, wer dieser getötete Wolf war?“ „Nein! Leider. Und ehrlich gesagt: Ich will es auch nicht wissen!“ „Und was meintest du mit diesem Mädchen, was aus dem Dorf gejagt wurde?“ Die Augen Marthas nahmen einen traurigen Ausdruck an. „Dieses Mädchen war eine sehr gute Freundin von mir!“, begann sie und ihre knorrigen Hände zitterten. „Sie war die Tochter eines Schneidermeisters. Ich erinnere mich sehr genau an die schönen Tage, die wir hatten. Wir trafen uns immer auf einem kleinen Hügel unter einem Baum und machten ein Picknick. Sie war verrückt nach meinem Orangenzimtkuchen!“ sagte sie und musste lächeln. „Sie hätte ein so schönes Leben gehabt. Aber…dann geriet sie an diesen Schürzenjäger vom Sohn des damaligen Richters!“ Nun wurde ihr Blick zornig. „Dieser Sittenstrolch hatte ihr allesmögliche versprochen, nur um…!“, kurz versagte ihr die Stimme und sie biss sich auf die Unterlippe. Rene konnte es sich schon denken. „Mehr als einmal habe ich sie davor gewarnt, sich mit diesem Taugenichts einzulassen. Aber sie war verliebt bis über beide Ohren. Als sie dann irgendwann, Gott sei es gedankt, genug von diesem Versteckspiel hatte und von ihm forderte, hinter ihr zu stehen, bekam er Angst, dass sie seine Verlobung mit der Bürgermeistertochter, der Schwester des jetzigen Bürgermeisters, gefährden und damit seine hohe Stellung im Stadtrat zunichtemacht. Also tischte er seinem Vater eine infame Lüge auf, in der er meine Freundin als Verführerin hinstellte und ihr vorwarf, ihn und seine Familie ins Unglück zu stürzen. Ihm fiel es nicht schwer, die Dörfler auf seine Seite zu ziehen. Die wenigen, die dennoch zu ihr hielten, setzte er entweder unter Druck oder bestach sie mit so viel Geld, dass sie ihre Freundschaft zu ihr im Nu vergaßen!“ „Aber du nicht!“, sagte Rene und in seinen Augen war Bewunderung zu sehen. Das war typisch für seine Großmutter. Sie gab einen feuchten Dreck auf das, was sie anderen dachten. Das hatte sie deutlich bei der Anhörung bewiesen. Seine Großmutter machte ein beleidigtes Gesicht. „Natürlich, was denkst du denn?“ Rene hob beschwichtigend die Hände. „Das sollte kein Vorwurf sein!“ „Wie lange ist das her?“ „Vierzig Jahre!“ „Und seitdem werden die Mädchen geholt?“ „Nein. Das passierte erst nach wenigen Monaten. Als der Vater des Bürgermeisters den Wolf erlegte!“ „Wieso hat er das getan?“, fragte Rene. Für ihn ergab das keinen Sinn. Wieso diese lange Zeit? Seine Großmutter wirkte nun auf einmal sehr müde und sie rieb sich die Augen. „Ich kann mich nur schwach daran erinnern. Aber einige Dörfler glaubten meine Freundin gesehen zu haben. Im Wald. Damals gingen sie noch hinein um Holz zu holen. Einer der Holzfäller sah sie bei einer Lichtung. In Gesellschaft eines großen weißen Wolfes. Er erzählte, dass sie sehr vertraut miteinander waren. Natürlich fürchteten nun einige Bürger, dass sie den Wolf gegen das Dorf aufhetzen würde, um sich zu rächen. Der vorherige Bürgermeister nahm sich vor, die Bürger zu beschützen und den Wolf zu töten. Was ihm auch gelang!“ „Und dann forderte der Wolfsprinz als Gegenleistung die Mädchen!“, murmelte er vor sich hin. Seine Großmutter nickte. Jetzt wo er die ganze Wahrheit kannte, konnte er den Groll, den seine Großmutter den Dörflern gegenüber empfand gut verstehen. Denn er spürte den gleichen nun in sich selber hochkommen. Was manche Menschen taten, um ihren guten Ruf zu bewahren, dachte er grimmig. Oder sich in ein besseres Licht rücken wollten. „So langsam verstehe ich, wieso du so bissig den anderen gegenüber bist!“, sagte er dann. „Mein Mitleid für sie habe ich schon lange verloren. Sie sind selber schuld. Aber anstatt etwas dagegen zu tun, sich womöglich zu besinnen, jammern sie lieber rum und gehen auf die los, die sich was trauen!“ „Danke nochmals. Ich weiß nicht, wie ich dir das danken soll!“ „Das musst du nicht. Blut ist schließlich dicker als Wasser!“ Daraufhin musste Rene lächeln. Er blieb noch einige Stunden bei seiner Großmutter, als er dann nachhause ging. Auf dem Heimweg drehte er sich immer wieder um. Trotz dass seine Großmutter deutlich gemacht hatte, vom ihm die Finger zulassen, hatte er dennoch das ungute Gefühl, dass hinter irgendeiner Ecke ein oder mehrere Männer lauerten und nur darauf warteten, ihm eins über den Schädel zu ziehen. Er konnte es förmlich spüren. Verstohlene Blicke, die ihn auf Schritt und Tritt im Verborgenen verfolgten und die bösen Gedanken. Fast schon hätte er gelacht. Nie hätte er gedacht, dass er sich vor den Menschen hier mehr fürchtete, als zuvor noch vor dem Wolfsprinzen. Aber dennoch beeilte er sich nachhause zu kommen. Er bog gerade um die Ecke und sah auch schon, dass er gleich zu Hause war, als ihn eine Hand grob an der Schulter packte. „Hey, was soll…!“, wollte er rufen, doch eine Hand legte sich auf seinen Mund und erstickte seinen Aufruf. Weitere Hände griffen nun nach ihm und rissen ihn in eine dunkle Seitengasse. „Haben wir dich!“ Mehrere Männer hatten sich auf die Lauer gelegt und ihn gepackt. Nun drängten sie ihn mit dem Rücken gegen die Wand. Zwei hielten ihn fest, während die anderen beiden drohend die Fäuste ballten. „Was soll das? Lasst mich los!“, forderte Rene und kassierte einen harten Schlag in den Magen. Rene keuchte und er spürte, wie seine Knie nachgaben. „Erst wenn wir mit dir fertig sind!“, knurrte der eine Mann. Rene kannte ihn nicht. Aber was spielte das auch für eine Rolle. Sie wollten ihn verprügeln. Da spielte es keine Rolle, wer das alles ist. Sie würden jegliche Schuld von sich weisen und jeder würde ihnen das abkaufen. Er konnte nur hoffen, dass seine Familie merken würde, das was nicht stimmte. Bis dahin musste er auf Zeit spielen. „Ich dachte, ich bin nochmal begnadigt worden?“, fragte er trocken. Die Männer lachten. Es waren sowohl Jüngere als auch ältere. Sicher Väter und Söhne oder auch Brüder. In dem dämmrigen Licht versuchte Rene nun doch zu erkennen, wen er da vor sich hatte. Doch das konnte er aufgeben. „Nur weil diese alte Hexe von deiner Großmutter dem Bürgermeister in den Hintern getreten hat, heißt das nicht, dass du aus dem Schneider bist!“, grunzte ein zweiter. „Oh, verstehe. Wollt Ihr mich nun auspeitschen oder mir Zunge rausschneiden, so wie es einige in der Versammlung es verlangt haben?“, fragte Rene und ihm wurde die Kehle trocken. „Nein, das dauert zu viel Zeit und wir sollten keine vergeuden. Dich windelweich zu prügeln, wird reichen müssen!“, sagte nun wieder der erste. „Ach, und Ihr denkt, dass das nicht auffällt?“ „Zumindest keinem, der nicht mit dir verwandt ist!“, lachte nun ein dritter. Der, der ihn links festhielt. Renes Magen verkrampfte sich. Ihm war bewusst gewesen, dass seine Heldentat nicht jeder gut finden würde. Aber nie hätte er gedacht, dass sie ihn so in die Mangel nehmen wollten. Offensichtlich waren sie nicht nur verlogen, sondern auch feige. Rene suchte hektisch in seinem Kopf nach einer Möglichkeit die Kerle abzulenken und dann zu fliehen. „Aber es wird man mir ansehen. Ihr kennt doch meinen Vater? Der wird Euch ungespitzt in den Boden rammen!“, sagte er und hoffte, dass diese kleine Drohung reichen würde, damit sie ihn doch noch gehen ließen. Und tatsächlich. Für einige Minuten schauten sie sich unsicher an. Doch dann lachten sie wieder. „Das nehmen wir gerne in Kauf!“, brummte der Anführer dieser hinterhältigen Bande wieder und gab seinem Kumpanen ein Zeichen, an zu fangen. Dieser ging auf Rene zu und holte mit der Faust aus. Rene glaubte von einem Pferd getreten zu werden, als die Faust sei Gesicht traf und seinen Kopf zur Seite schleuderte. In seinem Kopf explodierten tausend Lichter und in seinen Ohren klingelte es. Rene schüttelte den Kopf, um den darauf folgenden Schwindel los zu werden und schaute wieder zu den Männern. Nun war der Anführer dran. Sein Schlag ging dieses Mal wieder in Renes Magengrube. Dieser Schlag war heftiger, als der erste und trieb ihm die Luft aus den Lungen. Rene sackte in die Knie und wäre vornüber auf den Boden gekippt, doch der Griff der Männer hielt ihn aufrecht. Eine Hand grub sich in sein Haar und riss seinen Kopf brutal zurück. Rene stöhnte schmerzerfüllt auf. Das schien die anderen Männer zu freuen, dass er sichtlich Schmerzen hatte und spornte sie wohl noch mehr an, fester und brutaler zuzuschlagen. Sein Kopf flog von einer Seite zur nächsten und sein Magen und seine Brust wurden so stark mit Faustschlägen bearbeitet, so dass er glaubte seine Knochen und seine Organe würden zu einer Masse zusammen geknetet werden. Und er drohte das Bewusstsein zu verlieren. Als sie dann irgendwann fertig mit ihm waren, ließen sie ihn los und Rene fiel wie ein nasser Sack in den mit Schneebedeckten Boden. Rene blieb zu nächst liegen, rührte sich nicht, weil er fürchtete, dass seine Peiniger wieder anfangen würden, sobald er nur einen Muskel bewegte. Doch irgendwann, als die Kälte in seine Kleidung, in sein Fleisch und in seine Knochen kroch, raffte er seine restliche Kraft und seinen Mut zusammen und stemmte sich gegen die Erde. Mühsam rappelte er sich auf die Beine und versuchte schwankend sein Gleichgewicht zu halten. In seinem Mund schmeckte er einem widerlich süßlich-metallischen Geschmack und spuckte aus. Blut spritzte auf den weißen Boden. Als er das Blut sah, sein Blut, wurde ihm übel. Doch er kämpfte gegen diese an und machte einen Schritt nachvorne. Wollte aus der Gasse und so weit weg von den Schuften, wie nur möglich. Er hätte eigentlich erwartet, dass sie ihn aufhalten und wieder zusammenschlagen würden. Aber nichts dergleichen passierte. Sie machten ihm sogar noch Platz. Ohne ein zutun standen sie da, hielten aber den Blick auf ihn gerichtet. Wie ein geprügelter Hund, schlich er dahin und war schon fast aus der Gasse getreten, doch da sprang einer der Halunken nachvorne und trat ihm brutal in den Rücken. Rene wurde nachvorne geschleudert, kämpfte darum auf den Beinen zu bleiben und stolperte. Fiel auf die Knie und spürte, wie sich der harte Boden in deren Fleisch schnitt. Als er aufstand, rann warmes Blut über seine Schienenbeine. Seine Hose war aufgerissen und Blut sickerte aus den Rissen hervor. Sein Rücken schmerzte und es fühlte sich an, als sei seine Wirbelsäule gebrochen. „Das hat ihm den Rest gegeben!“, lachte derjenige, der ihm den Ritt gegeben hatte und die anderen fielen in sein Lachen ein. „Was ist denn da los?“, fragte plötzlich eine fünfte Stimme und der Schein einer Fackel wurde auf den Weg vor ihnen geworfen. Das Lachen brach ab und nun schienen sie sich nicht mehr so stark zu fühlen. Rene wiederum hätte an ihrer Stelle gelacht, wenn ihm nicht alles wehgetan hätte. Er kannte die Stimme. Es war die seines Vaters. Jetzt seid ihr fällig, dachte er schadenfroh. Und kaum dass er das dachte, kam sein Vater auch schon und die Männer stoben auseinander, wie panische Hühner. Als der Schein seiner Fackel auf sie fiel, donnerte der Vater wütend: „Was habt Ihr mit meinem Jungen gemacht?“ Noch ehe er auf sie losgehen und sie dafür strafen konnte, rannten die Kerle, feige wie sie waren, davon. Ramon wollte ihnen hinterher, doch als er seinen Sohn, sich vor Schmerzen krümmend auf dem Boden lag, sah, besann er sich eines Besseren und half seinem Sohn auf. Ohne ein Wort zu sagen, trug er ihn nachhause. Kaum dass er durch die Eingangstür kam, sprangen Flora und Elsa erschrocken auf. Renes Anblick ließ ihnen beiden die Farbe aus dem Gesicht weichen und auf die beiden zustürzen. „Rene…um Gottes Willen!“, rief seine Mutter bestürzt. „Was ist passiert?“ Die Frage wandte sie an ihren Mann, der mit grimmiger Miene dreinschaute und Rene auf einen der Stühle bugsierte. „Flora, bring deinem Bruder heißes Wasser und kümmere dich um seine Verletzungen!“, sagte er knapp. Flora nickte und eilte, um das Geforderte zu bringen. Elsa sah ihren Sohn mit Entsetzen an und strich ihm zärtlich über das Gesicht. „Wer hat das nur getan?“, fragte sie mit erstickter Stimme. „Gustave und sein Bruder. Sie hatten noch zwei Freunde mitgebracht!“, erklärte ihre Mann und in seinen Augen blitzte es zornig. „Die sollen mich kennenlernen!“ „Was wirst du tun?“ „Ihnen nach gehen und es ihnen mit gleicher Münze heimzahlen!“ „Oh nein, Ramon! Lass das! Das würde alles nur noch schlimmer machen!“, flehte seine Frau ihn an. Ramon wirkte, als wollte er auf ihr Bitten nicht hören und seinen Worten Taten folgen lassen. Aber dann sah er wieder seinen Sohn an und musste erkennen, dass seine Frau Recht hatte. Was sie ihm angetan hatten, war nur ein Denkzettel. Wenn er nun aber selbst zur Gewalt griff, würden sie Rene womöglich schlimmeres antun. Oder sogar sich an Flora vergreifen. Nein, er durfte Gewalt nicht mit Gegengewalt bekämpfen. Aber so leicht sollten sie ihm dennoch nicht entwischen. „Na gut, aber ich werde sie dennoch nicht so leicht davonkommen lassen!“, knurrte er. Flora kam wieder zurück, mit einer Schale dampfendem Wasser und einigen Tüchern. Vorsichtig begann sie damit sein Gesicht abzutupfen und es zu reinigen. Rene verbiss es sich schmerzlich zusammen zu zucken, als das heiße Wasser seine Wunden berührte und Flora lächelte milde. Dann aber wurde ihr Gesicht tiefbetrübt. „Wieso haben die das getan?“ Rene hob ratlos die Schultern. „Sie dachten wohl, weil die anderen mich schon nicht…angemessen bestraft haben, müssten sie es tun. Der Gerechtigkeit wegen!“ Flora schnaubte. „Gerechtigkeit! Was soll das für eine Gerechtigkeit sein, einen wehrlosen Jungen an zu greifen und ihn halbtot zu prügeln?“ „Aber es hätte schlimmer können!“, sagte Rene. „Wie schlimmer?“, fragte Flora erschüttert. Sie mochte sich nicht vorstellen, wie schlimme es hätte noch kommen sollen? Dass er so zugerichtet wurde, war schon schlimm genug. „Sie hätten dich anstatt meiner Stelle erwischen können!“, sagte er und Flora lief es kalt den Rücken hinunter. Da war was Wahres dran. Sie und auch Rene wussten, dass es noch glimpflich gelaufen ist. Aber sie wollten sich nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn sein Vater nicht aufgetaucht wäre. Daher schwiegen sie nun, während Flora sich weiterhin um seine Verletzungen kümmerte. Ramon sollte bald Gelegenheit haben, sich für die hinterhältige Attacke auf seinen Sohn zu rächen. Zwei Tage später kam Gustaves Frau, in Begleitung von zwei anderen, in die Bäckerei und trat an die Theke. „Ein Laib Brot bitte!“, sagte sie. Ramon nickte, drehte sich um zu den Broten, die hinter ihm in den Regalen lagen. Doch statt eines davon zu nehmen, holte er eines hervor, was unter der Theke gelegen hatte und alles andere als genießbar aussah. Es war vollkommen verkohlt und deformiert. Das fand auch die Frau. Angewidert rümpfte sie die Nase. Den anderen beiden Frauen erging es nicht anders. „Was soll das?“, fragte sie dann außer sich und schob das Brot angewidert weg. „Willst du mich vergiften, Ramon?“ „Nachdem was dein Mann getan hat, kannst du froh sein, dass ich Euch überhaupt was verkaufe, Giselle!“, knurrte er. Giselle hob verwirrt die Brauen. „Was soll mein Mann denn getan haben?“, fragte sie schließlich. Ramons Gesicht verfinsterte sich nun noch mehr. „Er, dein Schwager und zwei seiner Freunde, zu denen ihr da hinten gehört, habt meinem Jungen aufgelauert und beinahe totgeprügelt!“ Daraufhin sagten weder Giselle noch die anderen beiden etwas, sondern sahen ihn an, als habe sie der Schlag getroffen. Dann aber schien Giselle sich seiner Worte bewusst zu sein. Ihr Gesicht wurde blass und sie schüttelte fassungslos den Kopf. „Niemals! Mein Gustave tut so was nicht!“, rief sie. „Hat er! So wahr ich hier stehe! Wenn er was anderes behauptet, ist er nicht nur ein Feigling, sondern auch ein Lügner!“, grollte er. „Hast du etwa einen Beweis?“, fragte nun einer der beiden Frauen hinter ihm herausfordernd. Ramon verzog keine Miene, sondern drehte sich halb herum und rief:„ Rene! Kommst du mal bitte!“ Rene gehorchte seinem Vater und kam aus dem hinteren Raum. Bei seinem Anblick stockte allen dreien der Atem. Wo sie vorher gedacht hatten, dass Ramon log, wurden sie nun eines besseren belehrt. Auf seinen Augen prangten je dunkle violette Flecken, dazu waren seine Augen geschwollen, sodass es an ein Wunder glich, dass er überhaupt etwas sehen konnte. Seine rechte Wange war ebenso dunkelviolett und zerschrammt. „Der Rest seines Körpers sieht genauso aus!“, erklärte Ramon anklagend. „Dein Mann und die Euren haben ganze Arbeit geleistet!“ Keine der Frauen sagten nun etwas, sondern sahen Rene fassungslos an, als sei er ein Geist. Rene war es sichtlich unangenehm, dass er so vorgeführt wurde. Verlegen schaute er zu Boden. „Kann ich wieder nachhinten gehen? Weiter aufräumen?“ Ramon entließ ihn mit einem knappen Nicken. Rene schlich von dannen. „Also? Denkt Ihr immer noch, dass ich lüge?“, fragte er nun wieder um herausfordernd. Während die beiden hinter Giselle sich unwohl anschauten, suchte Giselle sichtlich nach einer Erklärung dafür. „Sicher…sicher war er einfach nur ungeschickt und ist gestolpert. Die Treppe hinunter gefallen und jetzt wollt ihr das meinem Mann in die Schuhe schieben!“ „Noch ein Wort aus deinem Mund und ich jage dich persönlich aus der Bäckerei!“, kam es plötzlich von Elsa. Sie hatte, von den anderen verborgen hinter einem Regal gestanden und das Ganze mit angehört. Dass Ramon ihnen ein Brot verkaufen wollte, hatte sie zugegeben überrascht. Nach dem was passiert war, hatte sie erwartet, dass er sie sogleich aus der Bäckerei werfen würde, wenn sie auch nur einen Fuß über die Schwelle setzten. Aber vermutlich hielt es für eine passendere Strafe, ihnen ein verbranntes Brot zu geben, als gar keines. Es hätte sie auch nicht gewundert, wenn Giselle erstmal alles abgestritten hätte. Doch als sie es immer noch tat, obwohl sie Rene gesehen hatte und es nun keinen Zweifel daran gab, platzte nun auch ihr der Kragen. Zornig trat sie aus ihrem Versteck. Giselle wurde auf einmal ganz klein. „Was fällt dir ein, deinen verbrecherischen Mann in Schutz zu nehmen, nach dem er meinen Sohn das angetan hat und das nun auf Ungeschicktheit schiebst?“, zischte sie und baute sich vor sie auf. „Und was fällt dir ein, sowas zu behaupten. Ich kenne Gustave sehr gut. Er kann und würde sowas nie tun!“ „Genau und meiner auch nicht!“ „Meiner auch nicht!“ Elsa sah die beiden Frauen vernichtend an und machte so unmissverständlich klar, dass sie ja den Mund halten sollten. Dann wandte sie sich wieder Giselle zu. „Nimm das Brot und verschwinde von hier!“ Giselle wollte noch etwas sagen, doch dann besann sie sich eines Besseren, griff in ihre Tasche warf einige Taler auf die Theke, schnappte sich das Brot und eilte davon. Ihre Begleiterinnen taten es ihr nach, ohne dass sie jäh den Wunsch nach einem Brot geäußert haben. Als die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel, trat Ramon neben seine Frau und sah sie mit einer Mischung aus Erstaunen und Anerkennung an. „Holla, was ist denn in dich gefahren? So kenne ich dich nicht, Liebling!“, gab er glucksend zu. Elsa jedoch war alles andere als lächeln zu mute. „Es hat mich einfach wütend gemacht, wie dieses Weib über unseren Sohn redet und womöglich auch denkt. Dabei ist es ihr Mann, der eigentlich Schuld hat!“ „Ich dachte schon, du schnappst dir einen der Holzscheite und ziehst es ihr über den Schädel!“ „Noch ein paar Worte mehr aus ihrem Mund und ich wäre soweit gewesen!“, gab sie finster zu. Ramon legte ihr den Arm um die Schulter und küsste sie auf die Wange. „Ich muss zugeben, es hat etwas, dich so wütend zu sehen!“, sagte er. „Ich kann nur hoffen, dass du niemals so wütend auf mich sein wirst!“ Nun lächelte Elsa doch. „Solange du mir keinen Grund dafür gibst, wird es auch nicht passieren!“ Kapitel 7: Mit Leib und Seele ----------------------------- Rene träumte wieder. Aber dieses Mal träumte er nicht mehr, wie er durch den Wald vor dem Wolfsdämon wegrannte, sondern sah Bilder, die an ihm vorbeijagten und irgendwie keinen Sinn ergaben. Er sah zerklüftete Felsen, Lichter, die am Himmel tanzten und flackerten. Sterne! Aber auch Lichter, die aus zahlreichen Öffnungen drangen und gespenstisch in der Dunkelheit der Nacht und der Berge wirkten. Eis, das im Licht des Mondes silbern glitzerte, wie das Wasser eines dahinfließenden Baches. Hörte den Wind, der durch die Felsen heulte und ihn zu rufen schien. „Rene…Rene…Rene!“ Das Licht der Sterne und aus den Öffnungen der Felsen schien schwächer zu werden und von zwei anderen helleren Punkte überstrahlt zu werden. Sie leuchteten in einem eisigen, kalten blauen Licht. Augen! „Rene…komm zu mir…Rene!“ Ein Schauer rann ihm über den Rücken, als er zu glauben schien, die dunkle Stimme des Wolfsprinzen zu hören. Sein Körper schien darauf zu reagieren, ohne dass er etwas dagegen unternehmen konnte. Mit einem Male wollte er zu diesen Felsen gehen. Es war wie ein Zwang…. So wie als er vor dem Wald gestanden hatte. Rene wehrte sich. Wollte nicht, dass dieser Teufel ihn zu sich holte. „Lass mich…lass mich in Ruhe!“ Das Leuchten dieser unheimlichen Augen wurde stärker. Der Zwang wurde zugleich stärker und schien etwas in Rene lähmen zu wollen. Seinen Widerstand brechen zu wollen. Rene schrie, wobei kein Laut über seine Lippen kam. „Lass mich!“ „Nein…du gehörst mir. Mit Leib und Seele!“ Rene wurde speiübel, als der Wolfsprinz seine Macht immer mehr einsetzte, bis es schon schmerzlich war und Rene es nicht mehr auszuhalten drohte. „Nie-Niemals…das ist nicht wahr…das…ist nicht wahr…Ich gehöre dir nicht!“ Ein dunkles Lachen erklang, dass Rene eine Gänsehaut nach der anderen über den Körper jagte und als sicheres Versprechen galt, dass Rene bald schon erkennen würde, dass er sich irrte. Schweißgebadet wachte Rene auf. Trotz dass es warm in seinem Zimmer war, fror er. Die Angst, die er verspürt hatte, als er dem Wolf zum ersten Mal gegenüber stand ereilte ihn wieder. Umschloss ihn wie ein eisigkaltes Leichentuch und nahm ihm die Luft. Er fühlte, wie sich die Angst einem schleichenden Gift durch seinen Körper fraß und alles in ihm steif werden ließ. In seinem Kopf wirbelten Bilderfetzen der Vergangenheit umher. So schnell, dass es ihm unmöglich war diese zu erfassen und aus seinen Gedanken zu verbannen. Dazu mischte sich die Stimme des Wolfsprinzen, die er zuvor im Traum gehört hatte und ihm immer wieder zuflüsterte:„ Du gehörst mir! Mit Leib und Seele!“ Rene presste sich die Hände auf die Ohren. Wollte diese Worte, die ihm zu Eis erstarren ließen, nicht hören. Aber sie waren tief in seiner Erinnerung verhaftet und hallten wie ein Echo nach. Gerne hätte er sich eingeredet, dass das alles nur ein böser Traum war und nichts davon geschehen war. Doch so sehr er es versuchte, die Wahrheit kam immer wieder mit solch eine Wucht, dass er sich wünschte, der Wolfsprinz hätte ihn gleich an Ort und Stelle getötet. Denn dann hätte er es schon hinter sich und müsste nicht in ständiger Angst leben, dass, wenn der weiße Schleier endete, sein Leben ebenso endete. Für ihn war das keine Gnadenfrist, sondern nur eine Hinausschiebung für das Unausweichliche. Irgendwann hielt er es nicht mehr aus. Mit einem Stöhnen kletterte er aus dem Bett und ging in die Küche, um heißes Wasser aufzukochen. Vielleicht, so hoffte er, würde es ihm besser gehen, wenn er sich mit heißem Wasser wusch und damit die Sorgen, die auf seiner Seele lasteten, für einen Moment vergessen konnte. Die Kälte folgte ihm, wie ein unsichtbarer auf Schritt und Tritt und hielt ihn weiter fest. Es war noch viel zu früh und keiner außer ihm war wach. So bemühte er sich, leise zu sein, als er etwas Wasser in den Kochkessel fühlte und es auf das Gitter über die Holzscheite stellte. Es brauchte einige Versuche, ehe er mit dem Feuerstein einen Funken erzeugen konnte, um das Holz an zu zünden. So sehr zitterten seine Hände. „Verdammter Hundesohn!“, dachte er dabei immer wieder voller Groll. „Wie kann er mich nur so gefangen halten?“ Als das Feuer schließlich brannte, streckte er seine Finger danach aus, um sie zu wärmen. Es war schon fast eine Wohltat, als die Wärme durch seine Haut roch und das darunter liegende Blut erwärmte. Es förmlich zum Pochen brachte. Rene seufzte. Schloss die Augen. Stellte sich das Feuer vor ihm in seinem Geiste vor und wie es die Schreckensbilder der vergangenen Nacht überschattete, wie eine tröstende Decke. Dies gelang ihm sogar. Bis das Wasser im Kessel zu kochen begann und dieser Pfiff. Rene nahm den Kessel und löschte das Feuer, in dem er etwas Erde darauf warf. Dann stieg er die Stufen zum Badezimmer hinauf und goss das Wasser in eine Schale. Vorsichtig tauchte er einen Lappen in das dampfende Wasser und begann sich damit dem Körper abzuwischen. Sogleich bildete sich eine Gänsehaut, als die Wärme in seinen Körper drang. Ein Schauer kroch ihm hoch bis in den Nacken. Rene schüttelte sich. Genoss die Wärme des Wassers, die langsam durch jede Faser seines Körpers kroch und sie erfüllte. Seine Muskeln, die vorher hart waren vom Schrecken, der ihm der Traum bescherte, entspannten und lockerten sich. Nach und nach fiel von ihm die Angst ab. Als er dann die Hand wechselte und mit dem Lappen nun seinen linken Arm waschen wollte, begann seine Haut unangenehm zu zwicken. Rene dachte sich nichts dabei und glitt weiter mit dem warmen Lappen hinunter zu seinem Handgelenk. Kaum dass er dieses aber berührte, zuckte er zusammen. Es war als wäre ein Blitz in seinen Arm gefahren und hätte diesen in Brand gesteckt. Rene hielt sich seinen Arm, verzog schmerzhaft das Gesicht. Fragte sich, was auf einmal mit seinem Arm war. Das Feuer kroch hoch, bis in seinen Oberarm, wo es in einem tauben Gefühl gipfelte. „Was ist das nur?“, fragte Rene und blickte auf seinen Unterarm, der wie unter einem Krampf zitterte und wie die Finger seiner Hand zu Klauen gekrümmt waren. Erst dachte er, er wäre mit dem heißen Wasser an einer der Wunden gekommen, die ihm die Wölfe beigebracht hatten. Aber da war nichts. Rene streckte den Arm in das dämmrige Licht des heranbrechenden Tages. Drehte ihn, um die Quelle für diesen Schmerz zu sehen. Fand aber nichts. Keinen Kratzer, keine Narbe… Aber…als er den Arm immer wieder hin und her drehte, konnte er nach und nach erkennen, dass sich ein schwaches Geflecht aus schimmernden Fäden über seine Haut zog. Rene runzelte die Stirn. Strich mit den Fingern darüber. Doch es fühlte sich nicht so an, als wäre es über seiner Haut, sondern eher… Renes Brust fühlte sich auf einmal eng an. Dieses Geflecht musste unter seiner Haut sein. Und es schimmerte, wie…wie Eis! Mit einem Male hörte er die Worte des Wolfsprinzen, als er ihm seine Hand auf die seine presste und zischte:„ Und damit du es nicht vergisst!“ Was hatte er da mit ihm gemacht? Hatte er ihm ein Brandmal verpasst? Wollte er ihm so zeigen, dass ihm sein Leben gehörte? Rene wollte nicht wirklich darüber nachdenken, aber diese und ähnliche Gedanken drängten ihn sich immer wieder auf. Ließen in seinem Kopf Bilder auftauchen, die ihn einen kalten Schauer nach dem anderen über seinen Rücken laufen ließen, die die Wärme wieder aus seinem Körper vertrieb. Schnell zog er sich wieder das Hemd über den Kopf und ging in sein Zimmer zurück. Hastig schlug er die Bettdecke über sich und versuchte noch etwas zu schlafen. Doch kaum dass er die Augen schloss, sah er dieses feine Netz aus Eis, wie es sich unter seiner Haut ausbreitete und sein Blut zum gefrieren brachte. Dementsprechend kurz war sein Schlaf. Immer wieder sah er vor sich, wie sein Arm erst innerlich, dann auch von außen mit Eis überzogen würde… Mit verschlafenen Augen und unordentlichen Haaren, stieg er die Treppe hinunter und sah, wie Flora sich ihren Mantel überzog und einen Schal umband. „Wohin gehst du?“, fragte er und gähnte laut. „Ich besuche Jaque!“, sagte sie und nahm den Korb, der auf dem Boden stand. „Und gebe ihm das Brot, was er bestellt hatte!“, setzte sie etwas zu spät hinzu. Rene runzelte die Stirn. Irgendwas stimmte da nicht. Er brauchte nicht lange um zu wissen was. Ein berechnendes Grinsen erschien auf seinem Gesicht. „Ist klar!“, sagte er dann und verschränkte die Arme vor der Brust. Flora, sichtlich verlegen, dass sie ertappt wurde, wurde rot und machte ein zerknirschtes Gesicht. „Als ob dich das wirklich überraschen würde, dass was zwischen mir und Jaque was ist!“, murrte sie dann. „Eigentlich nicht. Das wusste ich ja vorher schon. Aber ich bin überrascht, wie schnell du ihm inzwischen verziehen hast!“, erwiderte Rene grinsend. „Jetzt mach mal einen Punkt. Du warst es doch, der mich bekniet hat, ihm zu vergeben. Weil es ja deine Schuld war!“, sagte sie und sprach den letzten Satz in einem wimmernden Ton aus. Nun war es Rene, der verlegen war. „Jaja, schon gut!“, maulte er. Flora grinste. „Also ich gehe dann mal!“, sagte sie und wandte sich zur Tür. Renes anfängliche Müdigkeit und diebische Freude verflog schnell, als ihm bewusst wurde, dass Flora in Begriff war, alleine hinaus zu gehen und eine dunkle Woge von Sorge überkam ihm. „Warte! Ich komme mit!“, sagte er daher hastig, rannte hoch und machte sich daran, schnell seine Klamotten an zu ziehen. Er wollte nicht dass seine Schwester allein durch die Gassen lief. Er hatte Angst, dass diese Kerle, nachdem sein Vater sich für ihre Prügelei an seinem Sohn gerächt hatte, es nun auf seine Schwester abgesehen hatten. Für eine erneute Rache, die zwar anders, aber nicht minder grausam, aussehen würde. Zwar rechnete er sich keine großen Chancen aus, dass er gegen diese etwas entgegen setzen und sie beschützen konnte. Die blauen Flecken, in seinem Gesicht sprachen deutlich dafür. Aber vielleicht würde es schon reichen, wenn sie zu zweit unterwegs wären und es sich diese Kerle es sich noch mal genauer überlegen würden. Immerhin schienen sie nur mutig zu sein, wenn ihr Opfer allein war. Um ganz sicher zu sein, schnappte er sich einen Knüppel, den er den Feiglingen über den Schädel ziehen konnte. „So! Wir können!“, sagte er und verstaute seine Waffe im Mantel. Flora sah ihn daraufhin mit verwirrter Stirn an. Sagte aber nichts. Offensichtlich schien sie zwar zu ahnen, was er damit vorhatte, bezweifelte aber, dass er diesen einsetzen konnte. Rene las ihre Gedanken, als wären sie ihr auf dem Gesicht geschrieben. Er verzog beleidigt das Gesicht. „Das ist nur zur Sicherheit!“, sagte er. Jaque war dabei, ein Pferd mit neuen Hufeisen zu beschlagen und so in seine Arbeit vertieft, dass er nicht merkte, wie Flora und Rene in den Hinterhof kamen. Das Pferd witterte sie oder vielmehr das frische Brot und reckte neugierig den Hals. Es wieherte und scharte mit dem Huf. Als sie an dem Pferd vorbeiging, versuchte es sogleich seine samtene Schnauze in den Korb zu graben, um an das Brot zu kommen. Doch Flora entzog ihm diesen und kraulte ihm stattdessen mit einem Lächeln den Hals. „Lima, halt gefälligst still!“, schnaubte Jaque und hielt den Huf fester. Lima schnaubte und stieß mit seiner Schnauze gegen Jaques Hintern. Als wollte er ihm sagen:„ Dreh dich um!“ Jaque, dadurch natürlich genervt, drehte sich um und wollte das Pferd anschnauben. Da aber sah er Flora vor sich stehen. Mit einem amüsierten Lächeln hielt sie ihm den Korb hin. „Wenn du das Brot nicht willst, gebe ich es gerne Lima. Er würde sich sicher freuen!“, sagte sie kichernd. Lima spitzte die Ohren, als habe er ihre Worte deutlich verstanden und reckte den Hals zu ihr. Seine Nüstern blähten sich, als würde er den köstlichen Geruch des Brotes in sich aufnehmen wollen. Jaque schüttelte hastig den Kopf und entriss ihr den Korb. „Nichts da. Lima ist viel zu dick!“, sagte er schnell, woraufhin das Pferd beleidigt schnaubte. Jaque gab ihm daraufhin nur einen Klaps auf die Flanke. Flora lachte. Da bemerkte Jaque Rene, der hinter ihr stand. Jaque schob sie sanft zur Seite, um nun Rene anzuschauen. Er pfiff und schüttelte den Kopf. „Als Flora mir davon erzählte, dachte ich mir schon, dass es schlimm aussieht. Aber so schlimm…!“ Rene hob nur die Schultern. Was nützte es noch darüber zu reden, wenn es so wieso schon geschehen ist. „Wenn du mich fragst, war dein Vater noch zu sanft bei der Wahl seiner Rache!“, sagte Jaque düster und ließ seine Fingerknöcheln knacken. „Du hättest ihnen sicher den Schädel eingeschlagen?“, fragte Rene, dabei war es mehr eine Feststellung. Jaques Gesicht wurde noch finsterer und Rene wurde sich bewusst, dass dies für diese Kerle noch zu harmlos sei und Jaque sich etwas anderes überlegt hatte. Rene wurde es flau im Magen. „Lass uns nicht mehr darüber reden, in Ordnung?“, fragte er. Keiner schien was dagegen zu haben. Gemeinsam saßen sie beisammen und aßen das Brot. Versuchten über andere weniger ernste Dinge zu sprechen, doch irgendwie wollte es ihnen nicht gelingen. Immer wieder kamen sie auf die Prügel Renes zu sprechen und auf die kleine Racheaktion seines Vaters. „Ihr könnt Euch sicher denken, dass Gustave nun alles versucht, euch schlecht zu machen!“, sagte Jaque bitter. „Er sieht sich als das Opfer!“ Flora schnaubte. „So ein Unsinn!“ „So ist es aber. Er hatte sich hier aufgeplustert, wie ein Gockel und beteuert, dass euer Vater sich das nur ausgedacht hat, um die Schuld seines Sohn auf jemanden anderen abzuwälzen und aus der Schusslinie zu ziehen!“ „Das ist doch absurd. Wenn dann sollte es Rene sein, der sich das ausdenkt!“, empörte sich Flora und malte mit dem letzten Wort Gänsefüßchen in die Luft. „Nun, Euer Vater schien seiner Meinung nach besser für die Rolle des Lügners infrage zu kommen. Immerhin ist es für einen Vater nur üblich, einen seiner Kinder in Schutz zu nehmen. Egal mit welchem Mittel!“, sagte Jaque mit einem matten Lächeln. „Aber dass dieser Schuft so eine infame Lüge herumerzählt…!“, sagte Flora und schüttelte wütend den Kopf. „Wenn ich den in die Finger bekomme…!“ Jaque lachte, nahm ihre Hand und hauchte ihr einen sanften Kuss auf den Handrücken. „So wie ich dich kenne, würdest du ihm die Augen auskratzen!“ „Selbst das wäre für ihn noch zu milde. Wenn, dann werde ich mit einem Tritt sorgen, dass er erstmal nicht an den Beischlaf mit seiner Frau denken wird!“ Jaque lachte erneut. Dieses Mal herzhafter, beugte sich aber etwas zurück. „Man sollte dich wohl nie wirklich wütend machen?“ „Nicht, wenn es sich um denjenigen hierbei um einen Mann handelt!“, sagte sie mit einem Grinsen. Jaque erwiderte dies. Wurde aber dann wieder ernst. „Pass aber trotzdem auf dich auf. Ich bezweifle zwar, dass Gustave noch einmal auf solch eine Schnapsidee kommt, aber wenn, dann würde er es sicher nun auf dich abgesehen haben!“, sagte er dann. Flora schluckte. Ihre großen Worte waren schnell vergessen und nun machte sich ehrliche Furcht in ihr breit. Sie wusste von der Feigheit mancher Männer, die hier lebten und sich nur stark fühlten, wenn sie in der Mehrzahl waren und ihr Gegner schwächer war. Rene war das Beste Beispiel dafür. Mit trauriger Miene schaute sie zu ihm und bemerkte, dass er wohl mit seinen Gedanken ganz woanders war. Sie wusste auch, warum er sie begleiten wollte. Um sie zu beschützen. Sie lächelte schwach. Wandte sich dann wieder an Jaque. „Ich werde schon achtgeben!“, versprach sie. Fügte dann aber etwas verlegen hinzu:„ Wobei mir wohler wäre, wenn du in der Nähe bist!“ Jaque lächelte. Strich ihr zärtlich über die Wange. Flora lehnte sich dabei etwas an ihn. „Solange es noch hell ist, mache ich mir keine Sorgen. Aber wenn es dunkel wird und du bist noch unterwegs, komme sofort zu mir!“, sagte er leise. „Ich werde mit meinem Vater sprechen. Er wird sicher nichts dagegen haben!“ Flora war gerührt von seiner Fürsorge. „Das werde ich. Versprochen!“, sagte sie und küsste ihn auf die Wange. Rene schien die beiden ausgeblendet zu haben und ganz in seinen Gedanken versunken zu sein. Sah dabei unentwegt auf seinen Unterarm, wo er das Geflecht unter seiner Haut zu sehen glaubte. Jetzt im Tageslicht war nichts mehr davon zusehen. Mittlerweile dachte er, dass er das nur geträumt hatte. Vielleicht hatten ihm seine überreizten Sinne einen Streich gespielt? Um aber sicher zu sein, strich er langsam mit den Fingern über die Stelle, wo er glaubte, dass Geflecht gesehen zu haben. Immer wieder und wieder. Wartete darauf, dass seine Finger was spürten, was er nicht sehen konnte. Doch nichts dergleichen passierte. Hatte er sich das nur eingebildet? Aber dieser Schmerz. Er war so echt! Viel zu echt, als das er nur Einbildung gewesen sein konnte. Wieso aber sah er nichts mehr davon, obwohl er es zu vor noch deutlich gesehen hatte? Sie blieben noch eine Weile, dann aber machten sich Rene und Flora wieder auf den Heimweg. Dabei musste sie Jaque mehrmals versprechen keinen Umweg zu machen und sich vor dunklen Gassen fernzuhalten. Nicht stehen zu bleiben, wenn es nicht nötig ist. Flora hatte immer wieder beteuert, dass sie kein Risiko eingehen wird und hatte ihn als viel zu besorgt gescholten. „Ich mache mir eben Sorgen um dich!“, hatte sich Jaque daher verteidigt und dabei verstohlen zu Rene geschaut. Flora folgte diesem und verstand sofort. Wenn sie sich schon auf einen jungen Mann stürzten, würden sie vor einer Frau sicherlich nicht Halt machen. Ein letztes Mal hauchte sie ihm einen Kuss auf die Wange. „Ich werde auf mich achtgeben!“, versprach sie und ging mit Rene nachhause. Der Himmel war ohne Wolken und strahlend blau. Ungewöhnlich, da in der Zeit des weißen Schleiers sonst immer dunkle Wolken über ihnen ihre Bahnen zogen und kaum Licht hindurchließen. Aber an diesem Tag schienen sich die Wolken zurück zu halten und die Sonne ihre warmen Strahlen auf den Boden werfen zu lassen. Rene und Flora saßen auf der Bank im verschneiten Garten und schauten auf den Schnee, der in der Sonne glitzerte. Als sei er mit winzig kleinen Diamanten bestreut. Nachdenklich neigte Rene den Kopf. „Eigentlich sieht der Schnee wunderschön aus!“, dachte er. Es war verrückt, dass er so dachte. Er hatte die Zeit des Weißen Schleiers immer gehasst, weil er alles lebendige, alles Farbige verschlang und unter einer dicken eisigen Schicht begrub. Aber im Schein der Sonne hatte der Schnee irgendwie nichts Böses oder gar erstickendes. Sondern etwas Magisches. Als würde sich etwas Geheimnisvolles darunter verbergen. Ein Schatz vielleicht? Rene streckte die Hand aus und strich mit den Fingern über die glitzernde Pracht. Es war kalt und in seinen Fingerspitzen kribbelte, als würden sie einschlafen. Dann aber schienen seine Fingerkuppen zu glühen und schmelzen den Schnee an seinen Fingern. Seltsam. Wie leicht es der Hitze doch fiel, das Eis zu schmelzen. Renes Gedanken verloren sich immer mehr in nie gekannte Richtungen, die ihm eigentlich absurd vorkommen sollten. Aber Rene spann diese weiter, wie einen Faden, der sich mit anderen Fäden verknotete und zu einem Netz wurde. Ein Netz, in dem so viele Fragen verstrickt waren, als dass Rene jemals eine Antwort auf diese finden könnte. Ob sich das Herz dieses Wolfsprinzen auch so einfach erwärmen ließ, begann Rene zu sinnieren. Doch da meldete sich seine Vernunft. Zerfetzte das Netz aus Fragen, Wünschen, und Hoffnungen. Sei kein Narr. Nichts und niemand kann das Herz dieses grausamen Ungeheuers erwärmen. Wie um die bittere Wahrheit seiner Vernunft zu unterstreichen, spürte er ein eisiges Brennen in seinem Handgelenk und er blickte auf dieses. Wo er zuvor gedacht hatte, er hätte sich das nur eingebildet, sah er es nun wieder. So deutlich, sodass er nicht mehr daran zweifeln konnte, dass es da war. Es begann oberhalb von seinem Handgelenk und erstreckte sich vier Fingerbreit nach oben hinauf. Es glitzerte wie der Schnee vor ihm unter seiner Haut hervor und sorgte wieder dafür, dass ihm das Herz zusammengepresst wurde. Rene strich mit dem Daumen darüber und spürte, dass es unter dem Druck zu pulsieren begann und das Brennen noch stärker wurde. Rene zischte, als das Brennen seinen Arm hochkroch und wie ein Krampf sich verhärtete. Flora bemerkte dies. „Tut es sehr weh?“, fragte sie mit schwacher Stimme. Rene zog schnell den Ärmel über sein Handgelenk und verschränkte die Arme. „Es geht!“ „Musst du auch immer wieder daran denken? Träumst du immer noch von…von ihm?“ Rene presste die Lippen aufeinander. Traut sich nicht sie zu fragen, woher sie wusste, was ihm beschäftigte. Er konnte es sich irgendwie selber denken. Sie träumte ebenso von diesem Monster. Aber sicherlich nicht so, wie er. Rene nickte. Sah sie dann mit ernster und düsterer Miene an. „Und du?“ „Es vergeht keine einzige Minute, in der ich die Augen schließe und diese schrecklichen Bilder sehe. Du, wie du auf dem Boden liegst. Dein Blut, das den Schnee rötlich färbt und diese Bestien, die sich auf dich stürzen wollten!“, flüsterte Flora und ihre Stimme wurde von Schluchzern erschüttert. Rene nahm seine Schwester in den Arm und drückte sie fest an sich. Flora vergrub sich tiefer in seiner Brust und schüttelte unter heftigem Schluchzen den Kopf. „Dieses Monster…dieses gewissenslose Monster!“, schluchzte sie wütend und schlug gegen seine Brust. Rene konnte deutlich die Wut in ihrer Stimme hören. Die Wut, die aus Verzweiflung geboren worden war, weil sie ihrem Bruder nicht helfen konnte. „Ich würde so gerne zu unseren Eltern gehen. Ihnen alles erzählen und dann…!“, sagte Flora. Rene schob sie sanft von sich und sah ihr fest in die Augen. „Du weißt, dass das nicht geht und was das für Folgen hat!“, sagte er düster. Flora wusste es, aber dennoch war etwas in ihren Augen, dass ihn fürchten ließ, dass sie etwas dummes tun würde. Daher packte er sie fester an den Schultern. „Flora, ich will mein Leben nicht für dich…für unsere Familie eingetauscht haben, um am Ende zu sehen zu müssen, wie ihr alle sterbt!“, rief er ihr ins Gewissen. Flora sah ihn nur an und biss sich auf die Unterlippe. Natürlich wollte sie nicht, dass sein Opfer um sonst war. Welcher Beweis für Bruderliebe könnte größer und schwerwiegender sein, als dieser. Dennoch wollte sie ihren Bruder nicht verlieren. Sie öffnete den Mund, um etwas darauf zu erwidern. Doch Rene hob nur die Hand und sah sie einen Moment noch ernst an. Dann lächelte er sanft. „Außerdem…habe ich noch etwas Zeit. Lass uns diese nicht damit vergeuden!“, sagte er. „Denn sonst…kann ich gleich zu ihm gehen und…!“ „Bitte sag sowas nicht!“ „Dann hör auf darüber nach zu denken, was du dagegen tun kannst!“, flüsterte er. Rene fand in dieser Nacht keinen Schlaf. Aber seltsamerweise war es nicht die Angst vor den Träumen in denen er wieder seine Stimme hörte und seine kalten Augen sah. Sondern Floras Worte und die Verzweiflung, die in ihr zu hören war. Es hatte einiges an Mühe gekostet, sie zu beruhigen und sie zur Vernunft zu bringen. Und kam sich dabei wie ein Verräter vor. Er hatte zuvor selber noch so gedacht. Wollte alles dafür tun, seine Schwester zu retten. Rene musste bitter lächeln. Was für eine Ironie, dachte er und drehte sich auf die Seite. Er konnte seine Schwester gut verstehen. Sie lebte zwar, aber dafür würde er sterben. Und sie würde sich ewig vorwerfen, schuld an seinem Tod zu sein. Weil sie es zugelassen hatte und darüber schwieg. Aber wenn sie ihr Wort brach würden alle aus ihrer Familie sterben und am Ende sie. Was mit Rene sein würde, wusste keiner von beiden. Doch was spielte das für eine Rolle. Das was für Rene zählte, war, dass Flora Stillschweigen behielt. Er traute ihr zwar nicht zu, dass sie es im geheimen ihren Eltern verriet, ohne es vorher mit ihm abzusprechen, aber er konnte sich gut vorstellen, dass es ihr irgendwann in einem Anflug aus Kummer und Verzweiflung herausrutschte. Egal ob bei Jaque oder bei ihren Eltern. Und er konnte sich vorstellen, wie dann seine Eltern reagiere würden. Aber eigentlich wäre es so das Beste. Denn dann wüssten auch die Dorfbewohner Bescheid und würden ihn und seine Familie in Ruhe lassen. Sicherlich würden sie dann froh sein, dass doch noch jemand aus seiner Familie geopfert wird und damit wieder die Ordnung hergestellt war. Vielleicht sollte er es sein, der sein Wort brach. Vielleicht konnte er den Wolfsprinzen überreden… Nein, schallte es in ihm und er schüttelte vehement den Kopf. Der Wolfsprinz würde weder seine Schwester noch seine Eltern oder seine Großmutter verschonen, wenn er sein Wort brach. Er hatte schließlich die grausame Härte und Ernsthaftigkeit in seinen Augen gesehen, als er ihm den Handel vorschlug und auch insgeheim gedroht hatte. Und auch das Versprechen, dass er seine Drohung wahrmachte. Nein, er konnte und durfte es nicht riskieren. Egal wie sehr er es drehte und wendete. Er befand sich in einer Zwickmühle. Mit einem Seufzen drehte er sich auf die Seite. Blickte auf die Bodendielen, die von dem Licht des Mondes beschienen wurden. Das Licht war merkwürdig milchig trüb. Als hätte sich ein Schleier um den Mond gelegt und das meiste von seinem Licht geschluckt. Hatte etwa der Wolfsprinz damit zu tun? War er wirklich so mächtig, dass er das Mondlicht trüben konnte? Rene wollte sich darüber keine Gedanken machen. Es reichte schon wenn dieses Ungeheuer es schaffte, in seinen Träumen zu erscheinen. Da wollte er sich nicht vorstellen, zu was er noch in der Lage war. Wie als habe das Brandmal unter seiner Haut seine Gedanken und Fragen gehört, begann es wieder zu brennen. Dieses Mal schien es stärker zu sein. Der Schmerz kroch wie Säure durch seine Knochen und sein Fleisch und ließ immer wieder kalte Schauer über seinen Rücken laufen. Rene umklammerte sein Handgelenk und presste es fest an sich. Wollte den Schmerz ausblenden. Tief amtete er ein und aus. Und allmählich ebbte der Schmerz ab. Erleichtert seufzte er auf und hoffte nun, endlich einschlafen zu können. Aber da spürte er, wie etwas nach ihm griff. Nach seinem Körper und seinem Geist. Als wollte etwas seinen freien Willen nachhinten drängen. Sein Kopf fühlte sich schwer an. Seine Gedanken zäh und dick, wie Honig. Die Schwere breitete sich auf seinen Körper aus. Lähmte ihn. Was war für eine Teufelei war das nun wieder? Reichte es dem Wolfsprinzen nicht, dass er ihm mit diesem Brandmal schon genug peinigte? Rene kämpfte dagegen an. Versuchte sich aus dieser Trance zu befreien. Versuchte seine Gedanken, seinen eigenen Willen wieder zu erlangen und aus der Trägheit zu reißen. Doch der Bann, der auf ihm lag, wurde stärker. Schien ihn nun förmlich auf das Bett zu pressen. Raubte ihm die Luft zum Atmen. Zu der Trägheit, erfasste ihn nun auch wieder die altbekannte Kälte. Und er wusste, wer ihm diesen Bann auferlegt hatte. „Lass mich…lass mich in Frieden!“, stöhnte er. „Komm zu mir!“, hörte er die Stimme des Wolfsprinzen kalt flüstern, ohne seinem Bitten Beachtung geschenkt zu haben. „Nein…ich will nicht!“ „Komm zu mir!“, kam es vom Wolfsprinzen unerbittlich und verstärkte die Kraft, die er einsetzte, um ihn zu sich zu ziehen. Rene wehrte sich wie das Lamm, das geschlachtet werden sollte. Nahm das, was von seinem freien Willen noch übrig ist zusammen und lehnte sich gegen den des Wolfsprinzen auf. Das erzürnte diesen. Um ihn für seinen Ungehorsam zu strafen und deutlich zu machen, dass es besser wäre, sich nicht länger gegen ihn zu wehren, erweckte er das Brandmal erneut zum Leben und dieses Mal mit solch einer Pein, die Rene nicht zu ertragen vermochte. Ein erstickter Schmerzensschrei entwich Renes Mund. Zerstörte das letzte bisschen von seinem freien Willen. „Komm zu mir!“ Es war seltsam, dass er, ohne gesehen zu werden, sich aus dem Dorf schleichen konnte. Er dachte, fürchtete vielmehr, dass in jedem Moment jemand aus dem Haus kam oder durch das Fenster schaute und ihn sehen würde. Aber nichts dergleichen passierte. Womöglich schliefen schon alle tief und fest. Rene wusste nicht, ob er deswegen erleichtert sein sollte. Auf der einen Seite, würde ihm die Verlegenheit erspart bleiben, zu erklären, warum zu so später Stunde herumschlich. Aber auf der anderen Seite, hätte man ihm sicherlich aufgehalten und wieder nachhause geschickt. Doch er musste sich nur daran erinnern, dass man ihn, als er letztens alleine unterwegs war, zusammen geschlagen hatte und er hoffte wieder, dass man ihn nicht erwischen würde. Außerdem bezweifelte er nicht, dass der Wolfsprinz wieder seine Macht einsetzen würde, um ihn wieder raus zu zerren. So ging er weiter. An den letzten Häusern vorbei und den Hügel zum Wald hinauf. Blieb kurz stehen und blickte in diesen hinein. Sah, dass die Dunkelheit tief im Wald lauerte und nur darauf wartete ihn zu verschlingen. Rene schluckte. Und zwang sich dann weiter zu gehen. Auch hier schien das Licht des Mondes diffus zu sein und ließ Rene nur schwach erkennen, wohin er hintreten konnte. Vorsichtig tastete er sich voran. Wie ein Schlafwandler, der nicht wusste wohin er eigentlich ging. Rene war nicht wohl dabei und begann sich nach und nach zu fragen, wie er eigentlich zum Wolfprinzen kommen sollte. Er wusste von alten Erzählungen, dass sein Schloss weit oben, in den Bergen lag. Aber nicht wie er hinkommen sollte. Er konnte sich allerdings denken, dass der Weg durch die Berge schwer und gefährlich sein würde. Wie also sollte er zu ihm kommen? Renes Schritte führten ihn zu der Lichtung, an der er dem Wolfsprinzen zum ersten Mal begegnet war. Er konnte sich selber nicht erklären, warum er gerade hier her ging. Doch etwas in ihm, lenkte ihn genau dorthin. Als er auf die Lichtung trat, rann ihm ein Schauer beim Anblick des Opferpfahls den Rücken hinunter. Bilder der Vergangenheit stiegen in ihm hoch. Er sah seine Schwester an diesem gefesselt, auf ihr Ende wartend. Sich selbst, als er sie losschnitt und sie den Baum hochscheuchte und dann dem Wolfsprinzen gegenüber stand. Sein Angriff mit dem Dolch und die darauffolgende Strafe. Rene schüttelte schnell den Kopf, wollte diese schrecklichen Bilder verdrängen. Aber sie hielten fest gepackt, wie ein Falke eine Maus. Jetzt wo er hier stand, fiel der Bann von ihm ab und er war wieder Herr seines eigenen Willens. Eine innere Stimme schrie ihn förmlich an, sich um zu drehen und weg zu rennen. Dass es noch nicht zu spät sei. Und Rene wollte dieser Stimme gehorchen. Doch als er sich umdrehte, hörte er hinter sich ein Geräusch, was ihn innehalten und wieder zur Lichtung blicken ließ. Sein Herz setzte einen Schlag aus. Er war nicht allein. Nur wenige Schritte von ihm entfernt stand ein großer aschgrauer Wolf. Rene hatte erwartet, dass der Wolfsdämon ihn erwartete oder der andere Wolf, der ihm einst den Gnadenstoß geben wollte. Dieser aber war wesentlich kleiner als die anderen beiden. Wirkte fast harmlos, wie ein Hund. Dennoch hütete sich Rene, ihn zu unterschützen und bedachte ihn mit Vorsichtig und Respekt. Rührte sich nicht vom Fleck um ihn nicht zu provozieren. Der Wolf hingegen schaute ihn an, als würde er abschätzen, was dieser Mensch dachte und vorhatte. Spitzte die Ohren und schnüffelte. Neigte dann den Kopf und ein fragender Ausdruck lag in seinen gelben Augen. Fast schon kam es Rene vor, als erwartete der Wolf irgendwas von ihm. Eine Geste oder etwas, was er sagen sollte. Doch was? Rene wusste nicht, was er tun sollte. Der Wolf schien seine Ratlosigkeit zu riechen. Senkte den Kopf. Hob ihn wieder. Als würde er ihm zu nicken. Rene hob ratlos die Schultern. Verstand nicht, was er von ihm wollte und schalt sich sogleich selbst als einen Narren. Als ob der Wolf wirklich mit ihm sprach. Lächerlich. Doch da sträubte sich das Fell des Wolfes und er begann zu knurren. Rene fuhr der Schrecken in alle Glieder. Hatte der Wolf etwa seine Gedanken gehört? Aber wie konnte das sein? Hatten auch diese gewöhnlichen Wölfe besondere Fähigkeiten? Der Wolf sah ihn nur an. Und Rene hatte das Gefühl etwas Wissendes in seinen Augen zu sehen. Als wollte er ihm in seinen Verdacht bestätigen. Dann spitzte er die Ohren, drehte sie nach hinten und dann den ganzen Kopf. Schien eine Stimme zu hören, die Rene nicht hören konnte. Wieder nickte der Wolf. Dieses Mal aber schnell und hastig. Als wollte er einem stummen Befehl schnell Folge leisten. Dann schaute er ihn wieder an und bevor Rene etwas dagegen tun konnte, trottete er zu ihm und packte mit seinem Maul den Zipfel seines Mantels. Zog daran, sagte ihm, er solle mit ihm gehen. Rene wehrte sich nicht. Was hätte er auch dagegen machen können. Für ihn bestand kein Zweifel, dass der Wolfsprinz zum Wolf gesprochen hatte und ihn befahl Rene endlich zu ihm zu bringen. So ging er mit ihm. Um ihn wohl nicht aus den Augen zu lassen, blieb der Wolf dicht an seiner Seite und schaute immer wieder zu ihm, um sich sicher zu sein, dass Rene sich nicht davonmachte. „Keine Angst. Ich werde nicht weglaufen!“, versicherte Rene ihm mit dünner Stimme. Ignorierte dabei die Stimme seiner Vernunft, die ihm sagte, dass das nur ein Wolf sei und er ihn nicht verstehen würde. Er jedoch brauchte den Wolf nur ansehen und wusste, dass sich seine Vernunft irrte. Dieser Wolf war nicht gewöhnlich. Und noch etwas stellte er fest. Während sie durch den Wald schritten, immer tiefer hinein, bemerkte er, wie still es um sie herum wurde. Nicht mal ein Lufthauch regte sich. Kein Blatt raschelte und kein anderes Waldtier ließ sich blicken. Eine angespannte Stille hatte sich über den Wald gelegt und dröhnte in seinen Ohren, wie Donnerhall. In seinem Magen machte sich ein dumpfes Unwohlsein breit und eine Gänsehaut nach der anderen überkam ihm. Rene schaute um sich. Hoffte ein Tier zu entdecken oder wie ein Windhauch den Schnee aufwirbelte Irgendetwas, was ihm sagte, dass sie nicht ganz allein waren. Aber nichts dergleichen passierte. Es war als hielte der Wald den Atem an. Irgendwann hielt Rene es nicht mehr aus und begann schwach und nervös zu singen. Ein altes Lied, das eigentlich immer die Mädchen sangen, da es von Sehnsucht und einem Liebesschwur handelte. Warum ihm gerade dieses in den Sinn kam, wusste er nicht. „Und der Wolf singt sein Lied in der Einsamkeit Faolan oh Faolan Heute Nacht wird ich ihn trösten gehen. Faolan Oh Faolan. Und der Wolf klagt sein Leid in der Einsamkeit Faolan Oh Faolan Heute Nacht werd ich ihn wiedersehen Tief im Wald nach tausend Jahren“ Tief in Renes inneren schien etwas zu Beben. Er dachte zuerst es war Angst und fand das Lied, welches ihm durch den Kopf geisterte, mehr als lächerlich. Wie eine groteske Verharmlosung seiner misslichen Lage. Aber seltsamerweise schlug sein Herz ruhig, als würde er einen Spaziergang machen. Und nicht in der Gesellschaft eines Wolfes sein. Rene schaute zu diesem. Der Wolf schritt gemächlich neben ihm mehr, hob hin und wieder den Kopf und roch. Schaute dabei auch zu ihm, um sich seiner Anwesenheit zu vergewissern. Oder hinauf zum Mond, als wolle er wissen, wie spät es schon war. Rene folgte seinem Blick und sang die nächste Strophe. „Unterm vollen Mond rufst du mich. Rufst du mich. Dein wildes Herz kommt nicht zu ruh. Seit jener Nacht, die unsre Letzte war. Lang ist´s her. Schon tausend Jahr“ Der Wolf hielt inne und schaute ihn erneut an. Etwas verwirrtes lag in seinem Blick. Als wollte er ihn fragen, wieso er dieses Lied sang. Rene zuckte die Schultern. „Ich bin nervös!“, erklärte er. „Immerhin gehe ich nicht alle Tage mit einem Wolf in einem finsteren Wald spazieren!“ Noch eine kurze Weile blieb der der Blick des Wolfes auf ihm gerichtet, dann verschwand der verwirrte Ausdruck und einer anderer erschien in diesen. Rene dachte, dass er sich das einbildete, aber er konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Wolf seine Worte wie eine Beleidigung vorkam. Rene hob beruhigend die Hände. „Ich bin nur ehrlich!“, sagte er. Der Wolf schien es dabei belassen zu wollen. Drehte sich wieder um und ging voran. Rene folgte ihm. Da er noch nie so tief in den Wald vorgedrungen war und sich gefragt hatte, wie er nun zum Wolfsprinzen kommen würde, war er irgendwie erstaunt, als sie schon bald den Fuß des Berges zu erreichten, der sich unendlich in den nächtlichen Himmel erstreckte. Wie lange waren sie schon gelaufen? Rene kam es vor, als seien sie nicht sehr weit gelaufen. Trotz dass schon Stunden vergangen sein mussten. Aber vermutlich war er so sehr in seinen Gedanken und in dem Lied versunken gewesen, dass er nicht darauf geachtet hatte. Er nahm sich vor beim nächsten Mal seine Schritte zu zählen und schauderte dann. Was sagte ihm, dass er wieder hierher kommen würde? Oder wollte? Statt sich mit dieser Frage zu beschäftigen, schaute er nun die steile Felswand hinauf und seine Augen suchten nach etwas, was ihm beim Aufstieg helfen würde. Doch weder Spalten, Risse oder Vorsprünge, an denen er hochklettern konnte, konnte er entdecken. Ratlos schaute er dann zum Wolf, der neben ihm stand und ebenso hoch schaute. Aber im Gegensatz zu ihm, schien sich der Wolf sicher zu sein, dass sie genau hier richtig waren. Rene zweifelte jedoch daran. Er schaute sich weiter um. Suchte nun den Fuß des Berges ab und wollte an diesem entlang gehen um doch noch einen Weg zu finden. Da biss der Wolf wieder in seinen Mantel, weil er glaubte, Rene wollte weglaufen und hielt ihn fest. Rene schaute zu ihm hinunter, wollte etwas zu seiner Verteidigung sagen, als er jedoch seinem Blick begegnete. Bleib hier, schienen seine gelben Augen zu sagen. Nein, zu befehle. Rene presste die Lippen zusammen. Nickte nur. Der Wolf ließ nicht gleich los. Sondern schaute ihn noch eine Weile forschend an. So, als erwartete er, dass Rene dennoch sich von ihm los reißen und weglaufen wollte. „Verspreche, dass ich nicht weggehen werde!“, sagte Rene dünn. Noch einmal musterte der Wolf ihn, dann, als er sich sicher war, dass Rene sein Wort halten würde, ließ er seinen Mantel los. Langsam, bedächtig. Dann wandte er sich wieder der Felsenwand zu, legte den Kopf in den Nacken und stieß ein schauerliches Heulen aus, das durch den Wald und in den Himmel hinauf zu schallen schien. Rene kroch ein Schauer über den Rücken und stach ihm wie eine eiskalte Klinge ins Genick. In seinem Magen rumorte es, wie bei einem Beben. Als das Heulen verklang, herrschte wieder diese lähmende Stille. Die Zeit schien still zu stehen. Aber dann tat sich etwas. Ein Knirschen und Bröckeln war zu hören. Erst leise, dann wurde es lauter, wurde zu einem Dröhnen und Donnern. Rene schaute zum Gestein und sah, wie sich einige Steinbrocken, nicht größer als eine Faust, aus dem Berg lösten und nach unten polterten. Rene wich zurück um nicht von ihnen getroffen zu werden. Blickte gebannt zum Berg, der zum Leben erwacht schien. Sah dann, wie immer mehr Felsstück rausbrachen. Aber anstatt hinunter zu fallen, wurden sie, wie von einer unsichtbaren Hand zur Seite geschoben. Gaben so einen Spalt frei, der sich von innen nach außen heraus zu schälen schien. Das Tosen und Grollen, welches aus dem Berg kam wurde nun lauter und Rene fürchtete, so absurd es auch klang, dass man es im Dorf hören würde. Irgendwann klaffte eine große Öffnung in dem Berg. Groß genug, dass er ohne Probleme hineingehen konnte. Rene verharrte noch einen Moment. Schaute zum Wolf, der einige Schritte voran ging und ihn erwartend anschaute. Rene zögerte noch einen kurzen Moment, konnte nicht anders, als nach hinten zu schauen. In den Wald, hinter dem sein Dorf lag. Sein Zuhause mit seiner Familie, die schlief und nicht ahnte, wo er war. Eine dünne Stimme rief ihm zu, die Beine in die Hand zu nehmen und weg zu rennen. Aber dann sagte eine andere, dass der Wolf ihn in Handumdrehen einholen und ihn in die Höhle zerren würde. Daher war es das klügste, in die Höhle zu gehen und dem Wolf zu folgen. Ein gespenstisch bläuliches Licht erfüllte den hohlen Raum, der aus Eis und Felsen bestand und auf dessen Stirnseite ein Durchgang war. Die Wände waren grob gehauen, sodass es wirkte, als habe man sich nicht sonderlich viel Mühe gemacht, aus der einstigen Wand diesen zu bauen. Der Boden unter Renes Füßen knirschte und er zuckte zusammen. Es klang in seinen Ohren viel zu laut. Aber vermutlich lag es daran, dass es auch hier unheimlich still war. Der Wolf spürte sein Zögern. Stieß ihn mit seiner Wolfsnase gegen das Bein. Sagte ihm, weiter zu gehen. Rene schluckte den dicken Kloß, der sich in seinem Hals gebildet hatte hinunter und ging weiter. Was blieb ihm auch anderes übrig? Das Licht, was die Höhle beleuchtete wurde von blauen Fackeln gespendet, die in regelmäßigen Abständen an der Wand hingen. Die Wand und die Decke, die zum größten Teil aus grobem Gestein bestanden, wurden nach und nach vom spiegelglatten Eis abgelöst. So auch die Decke. Wie ein Kunstwerk aus geschliffenem Glas wölbte sich diese und verlor sich irgendwann in der Dunkelheit, die das Licht der Fackeln nicht zu durchdringen vermochte. Links und rechts klafften weitere Durchgänge. Und Rene stellte fest, dass, je weiter sie gingen, der Gang immer mehr, dem eines Schlosses glich und langsam nach oben führte. Schon bald zogen sich kunstvolle Reliefs durch das glatte, leere Eis. Nur flüchtig sah Rene diese. Schenkte ihn jedoch keinerlei Beachtung, da er den Blick stets nach vorne gerichtet hatte. Dass er sich tief im Inneren des Berges befand, in dem jeder Laut durch diese betäubende Stille erstickt wurde, ließ in ihm das Gefühl aufsteigen, als wäre er lebendig begraben. Dieser Gedanke behagte ihm gar und so versuchte er nicht weiter daran zu denken. Doch so einfach war das nicht und zu diesem Gefühl machte sich noch ein anderes in ihm bemerkbar. Obwohl es eigentlich lächerlich war, hatte er das Gefühl, beobachtet zu werden. Von Augen, die ihm verborgen blieben und die ihn nicht losließen. Rene spürte, wie er zu zittern begann. Wagte es nicht, nach zu schauen, wer ihn beobachtete, weil er irgendwie ahnte, nichts zu sehen. Irgendwann standen sie vor einer gewaltigen Pforte, die mit zahlreichen Reliefs und Symbolen verziert waren, die Rene noch nie gesehen hatte. Die Pforte selbst bestand, wie die Wände aus glattem Eis, das von innen bläulich leuchtete. Schatten schwirrten dahinter umher, wie Gespenster. Rene fürchtete sich ein wenig durch diese Pforte zu schreiten. Trotz dass diese aus Eis bestand, hatte er das Gefühl vor der Höllenpforte zu stehen und, sobald sich diese öffnete, in das Fegefeuer gezogen zu werden. Rene musste sich zusammenreißen, um nicht doch auf den Fersen kehrt zu machen und weg zu rennen. Der Wolf trat vor die Pforte, hob die Pfote und kratzte daran. Es klirrte und es lief ihn schon wieder kalt über den Rücken. Langsam und ohne einen Laut von sich zu geben, schoben sich die Türen auf und gaben den Blick auf den dahinterliegenden Raum frei. Rene hatte nicht damit gerechnet, solch einen Raum zu sehen. Er hatte gedacht, dass die Behausung des Wolfsprinzen nichts weiter als eine karge Eisgrotte war. Nur mit dem nötigsten eingerichtet. Was er aber stattdessen sah, verschlug ihm den Atem. Er stand in einem gewaltigen Gemach, dessen Wände wie auch alle anderen zuvor aus Eis geschlagen und spiegelglatt waren. Nur die Decke war unberührt. Wie Dolche hingen die Eiszapfen nachunten und schimmerten unheilvoll in dem Licht eines Feuers, welches in einem grobbehauenen Kamin loderte. Felle waren davor ausgebreitet und boten einen gemütlichen Anblick. An den Wänden hingen nun keine Fackeln sondern Kelche an Ketten, die mit Öl gefüllt waren und in denen kleine Flammen brannten. Rene wunderte sich, dass das Eis bei dem ganzen Flammen und der Hitze nicht schmolz, sondern fest und stabil blieb. Aber vermutlich war dieses Eis kälter als normales. Gegenüber der Pforte war eine weitere Türe. Diese jedoch war aus Holz, mit Eisen beschlagen. Rechts von ihm ließen Fenster den Blick nach draußen frei. Davor stand ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen, die mit Fell bezogen waren. Es machte eigentlich einen gemütlichen Eindruck. Aber dies täuschte Rene nicht darüber hinweg, dass hier der Wolfsprinz lebte. Ein Dämon in Menschengestalt. Rene blieb an der Schwelle stellen. Zögerte über diese zu treten. Der Wolf wollte wohl seinen Auftrag erfüllen, egal wie. So biss er wieder in den Mantel von Rene und zog an ihm. Rene stemmte sich zuerst dagegen. Wollte keinen Fuß in den Raum setzen. Er wusste, wenn er hinein ging und die Pforte sich schloss, würde er in der Falle sitzen. Der Wolf zog stärker, gab dabei ein tiefes Knurren von sich. Rene schaute zu ihm hinunter, wollte etwas sagen. Hielt aber inne. In den Augen des Wolfes sah Rene es warnend blitzen. Das reichte aus, um doch noch den Raum zu betreten. Kaum dass er in diesen trat, fiel die Pforte zu und schloss sich mit einem lauten Knall. Rene durchfuhr es schaudernd und hatte nun wirklich das Gefühl in der Falle zu sitzen. Der Wolf setzte sich vor die Tür. Zeigte ihm so, dass er ihn nicht hier raus lassen würde. Rene schluckte. Schaute dann um sich. Er dachte, man würde ihn bereits erwarten. Dass er hier nun allein war, wunderte ihn ein wenig. Aber er schloss nicht aus, dass man ihn lange warten lassen würde. So setzte er sich auf die Felle vor dem Kamin. Blickte in die Flammen. Und selbst in diesen, glaubte er die Umrisse von Wölfen zu sehen, die umher jagten und zu tanzen schienen. Renes Augen begannen zu brennen, je mehr er in die Flammen schaute. Rene rieb sich diese. Dabei sah er wieder auf seine Hand, die zu zuvor geschmerzt hatte. Nun aber nicht mehr. Rene lächelte verbittert. Wieso sollte der Schmerz ihn jetzt noch peinigen? Schließlich war er ja hier. Hatte sich dem Wunsch, dem Befehl des Wolfsprinzen gefügt. Ihm wurde übel, je weiter er diesen Gedanken weiterspann. Was würde der Wolfsprinz von ihm wollen? Sicherlich rief er ihn nicht wegen nichts zu sich. Aber Rene wollte nicht genauer darüber nachdenken. Was immer er von ihm wollte… Es würde nichts Gutes bedeuten. Kaum hörbar öffnete sich die Holztür und schloss sich wieder. Dann hörte er Schritte hinter sich, die näher kamen. Rene schaute nicht auf. Er wusste auch so, wer da in den Raum trat. Aus dem Augenwinkel sah er die hochgewachsene Gestalt des Prinzen, die näher kam und sich dann neben ihm setzten. Jedoch hielt er genug Abstand, dass er sich ihre Schultern nicht berührten. Rene war dies auch irgendwie recht. Schon seine Gegenwart ließ ihn erschauern. Lange Zeit sagte er nichts, sondern schaute ihn nur an. Rene konnte es förmlich spüren. Spürte seine Blicke, die ihn abtasteten, als sei er ein Insekt unter einer Lupe. Rene rutschte unmerklich nervös hin und her. Der Wolfsprinz schaute an Rene vorbei zu dem Wolf, der immer noch gehorsam vor der Pforte hockte. „Du kannst gehen, Nima!“, sagte er knapp und der Wolf verschwand durch eine Öffnung. Dann wandte er sich an Rene. „Ich bin erstaunt, dass du hierhergekommen bist!“, sagte er kühl und wieder spürte Rene seine forschenden Blicke auf sich. Rene biss sich fest auf die Unterlippe. Hielt seinen Blick stetig auf das Feuer gerichtet. Vermied es, ihn nur einmal an zu sehen. Es reichte schon, wenn Rene seine kalten blauen Augen in seinen Träumen sah… „Ich hatte ja wohl keine Wahl!“, kam es dann verstockt von ihm. Umklammerte seine Hand mit dem Brandmal, mit seiner anderen und presste sie an sich. Der Wolfsprinz verstand. Sagte aber nichts, sondern griff in seinen Umhang und holte etwas hervor. Hielt es Rene dann hin. In dem Schein des Feuers schimmerte es golden. Rene blickte auf das funkelnde Ding und erkannte es nach wenigen Augenblicken. Es war der Dolch, den er damals gegen den Wolfsprinzen erhoben und ihn damit verwundet hatte. Rene hatte völlig vergessen, dass er ihn im Wald liegen gelassen hatte. Dass er sich nun im Besitz des Wolfsprinzen befand, sorgte für ein ungutes Gefühl. Dieses wurde jedoch noch verstärkt, als der Prinz ihm die Klinge an Hals hielt. Kalt drückte sich das Metall der Klinge gegen seine Haut und Rene hielt den Atem an. „Woher wusstest du, dass dieses Metall mich verletzten kann?“ Seine Stimme klang genauso kalt wie der Stahl, der sich nun fester gegen Renes Kehle drückte und Rene zurück zucken ließ. Rene versagte die Stimme. Wagte es nicht zu antworten. Aus Furcht, die falschen Worte würden den Wolfsprinzen dazu veranlassen, mit einer schnellen Bewegung die Klinge über seinen Hals zu ziehen und ihm damit die Kehle auf zu schlitzen. Daher schwieg er. Dies schien dem Prinzen auch nicht zu gefallen, denn er drückte die Klinge nun noch fester gegen Renes Kehle, sodass sie schon in die Haut schnitt. „Ich habe dich was gefragt!“, knurrte er. Rene schloss kurz die Augen. Wollte irgendeine Lüge erzählen, seine Großmutter schützen. Doch da spürte er schon wie das Brandmal in seiner Hand wieder zu schmerzen begann. Schwach zwar, aber deutlich spürbar. Ermahnte ihn, keinen Fehler zu machen. „Meine Großmutter hat mir davon erzählt!“, sprudelte es, ohne das er es verhindern konnte, aus ihm heraus. Kaum hatte er dies gesagt, ließ der Druck an seinem Hals nach und die Klinge verschwand. Mandariel schaute ihn nun nachdenklich an. Als würde er sich seine Antwort immer und immer wieder durch den Kopf gehen lassen. Blickte dann wieder auf den Dolch. Drehte ihn. „Interessant! Ich hätte nicht gedacht, dass die Dörfler noch den Mut besitzen, über solche Dinge zu sprechen!“, kam es dann von ihm. In seiner Stimme klang Erstaunen, aber auch Belustigung mit. Fast so als würde es ihn freuen, dass sich die Dorfbewohner ein Fünkchen Mut bewahrt hatten. Oder war es nur ein anderer Ausdruck von Verachtung? „Deine Großmutter scheint eine kluge Frau zu sein!“, sagte er dann wieder ernst. Rene nickte nur. Es war wie ein Zwang, dem Wolfsprinzen die Wahrheit zu sagen. „Das ist sie!“ „Dann sollte sie darauf achten, dass sie sich mit ihrer losen Zunge in Gefahr begibt!“ Panik und auch eine kalte Wut stieg in Rene auf, als der Wolfsprinz diese Worte aussprach. Jetzt bedrohte er auch noch das Leben seiner Großmutter. Dabei trug sie gar keine Schuld an dem Ganzen. „Lass sie da raus!“, kam es erstickt von ihm. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. „Ich werde ihr nichts tun. Einer alten Frau zu schaden ist mir zu wider!“ Rene verbiss sich einen bitteren Kommentar. Alte Frauen anzugreifen ist ihm also zu wider? Und junge Mädchen zu rauben etwa nicht? Elender Heuchler, dachte er. „Wieso hast du mich überhaupt gerufen?“, fragte er stattdessen und sah ihn nun an. Zu seiner stillen Erleichterung stellte er fest, dass der Wolfsprinz sich etwas weiter weg von ihm weggesetzt hatte, als er gedacht hatte. Dabei hatte er deutlich seinen kalten Atem an seinem Ohr gespürt. Oder hatte er sich das nur eingebildet? Der Prinz sah ihn für einen langen Moment schweigend an. Schien sein Gesicht sehr genau zu studieren. Dann wurden seine Augen zu schmalen Schlitzen. Blitzten kalt und gefährlich auf. „Was ist mit deinem Gesicht passiert?“, fragte er mit dünner Stimme, der der Kälte seiner Augen ins nichts nachstand. Renes Hals schnürte sich zu. Seine Verletzungen und seine blauen Flecke waren so gut wie verschwunden. Aber dennoch sah er sie deutlich, als seien sie frisch. Rene spürte das Bedürfnis in sich aufsteigen, ihm davon zu erzählen. Wie ihm Gustave und seine Kameraden aufgelauert und ihn zusammengeschlagen haben. Unterdrückte diesen jedoch. Er wollte nicht auch noch dafür verantwortlich sein, dass der Wolfsprinz sich an den anderen rächt. Wobei... Ein kleiner Denkzettel konnte nicht schaden. Sie hätten es mehr als nur verdient. Und bevor der Wolfsprinz wieder ihn dazu zwang, seinem Befehl Folge zu folgen, hielt er es für das Beste, seine Frage zu beantworten. „Ich hatte eine kleine Auseinandersetzung mit einigen Männern aus dem Dorf!“, erklärte er knapp. „Was war der Grund?“ „Sie…sie wollten mich dafür strafen, weil ich meine Schwester beschützt habe!“ Mandariels Augen wurden noch schmaler. Wurden gerade zu bohrend. Er hätte sich eigentlich denken können, dass man den Jungen für seine „Heldentat“, dementsprechend belohnen würde. Und wieder wurde er in seiner Meinung bestärkt, dass die Dorfbewohner allesamt elende Feiglinge waren. Nur dieser Junge nicht. Er hatte wirklich Mut bewiesen. Auch wenn er ihn schlussendlich reingelegt hatte und versucht hatte, ihn mit diesem Dolch zu töten. Aber er hatte eindeutig Mut bewiesen. Was ihn eigentlich zum Grund zurück brachte, wieso er ihn hierherkommen ließ. „Ich frage mich immer noch, was dich dazu gebracht hat. Es hätte dir klar sein sollen, dass das nicht ohne Folgen bleibt!“, sagte er. Für Rene kam diese Frage einer Ohrfeige gleich. Das Herz dieses Prinzen musste wirklich so kalt wie Eis sein, wenn er an seiner Absicht zweifelte. Aber was hatte er schon anderes erwarten können? Dennoch störte es ihn. „Das war mir bewusst. Ich konnte aber nicht zulassen, dass meine Schwester…dein nächstes Opfer wird!“, sagte er und sah nun doch wieder in die Flammen. „Ich…ich tat es aus…aus Liebe!“ Mandariel blickte ihn nur an. Er hatte nicht an die Beweggründe des Jungen gezweifelt. Ganz im Gegenteil. Nach dem sich sein Zorn über seinen hinterhältigen Angriff gelegt hatte und begann er darüber nachzusinnen und er musste zugeben, dass er ebenso gehandelt hätte. Immerhin waren die Wölfe seine Familie. Und egal ob Wolf oder Mensch: Familie ist Familie! Mandariel wiegte nachdenklich den Kopf. „Aus Liebe!“, sinnierte er vor sich hin. „Ein wirklich seltener Grund. Aber immerhin ein guter!“ Rene traute seinen Ohren nicht. Hatte der Wolfsprinz ihn gerade für seine Tat gelobt? Dabei hatte er doch selbst seine Wölfe auf ihn gehetzt. Wobei… Wenn Rene genauer darüber nachdachte, wollten sie ihn schützen. Und bevor dieser eine größere Wolf ihn den Todesstoß geben konnte, hatte der Prinz ihn zurückgehalten. Aber nur um ihn selbst das Todesurteil auszusprechen. Irgendwie passte das nicht zusammen. Wieso dieser ganze Aufwand? Es wäre doch einfacher und besser gewesen, ihn gleich zu töten. Rene musste fast über seine Gedanken lächeln. Zu vor hatte er Flora selber noch ins Gewissen geredet, dass sie die Zeit, die ihnen noch blieb, genossen und nicht weiter daran dachten. Aber nun musste Rene selbst darüber nachdenken und fragte sich nun immer wieder, wieso der Prinz ihm eine Gnadenfrist gewährt hatte. Er war zwar froh darüber, aber… Unschlüssig, ob er ihn nach dem warum für seinen Handel fragen sollte, biss er sich auf die Unterlippe. Eigentlich sollte er froh sein, dass er noch etwas Zeit hatte. Aber dieses Gefühl ein Fallbeil über seinen Nacken hängen zu spüren, dass irgendwann hinuntersauste, sorgte dafür, dass sich beißende Kälte in ihm breitmachte. Ihn an nichts mehr anderes denken ließ und ihn womöglich weitere Nächte kosten würde. Er musste es einfach wissen. „Kann ich Euch nun auch etwas fragen?“, fragte er daher. Den Blick immer noch auf die Flammen gerichtet, die wild tanzten. Mandariel verzog keine Miene. Sondern machte nur eine auffordernde Handbewegung. „Nur zu!“ Rene holte insgeheim tief Luft, sprach sich selber Mut zu. Dann sah er den Wolfsprinzen wieder an und versuchte seinen Blick fest und entschlossen zu wirken. „Wieso hast du mir diesen Handel vorgeschlagen. Es wäre schneller und einfacher gewesen, mich an Ort und Stelle zu töten. Wieso also dieser Handel?“ Mandariel antwortete nicht sofort. Er hatte sich schon sowas in der Art gedacht, dass der Junge ihm eine Frage bezüglich ihres Handels stellen würde. Noch kein anderer vor ihm hatte das Glück gehabt, eine Begegnung mit ihm zu überleben. Und das er sich fragte, wieso, war nur all zu verständlich. Dennoch erstaunte es ihn, dass dieser Bursche so entschlossen war und es nicht auf sich beruhen ließ. Dabei stellte sich ihm allerdings auch die Frage, was er für Geschichten über ihn gehört hatte. Die Antwort auf diese Frage war allerdings schnell gefunden. Mandariel wusste um die Gräueltaten, die man ihm bezichtigte. Man sagte ihm nach, dass er der Herr über den Schnee und den Wind sei. Dass er nur mit den Fingern schnippen musste, und eine ganze Lawine würde sich in das Dorf hinabwälzen. Oder das der eisige Hauch seines Atems einen zu Eis erstarren lassen konnte. Es hatte schon was für sich, dass man ihm solch eine Macht zu sprach. Denn so würden sich die Leute vor ihm fürchten und ihn in Frieden lassen. Aber dennoch schien es einen Teil in ihm zu geben, der dieses ganze Gerede als eine infame Lüge sah und es am liebsten in die Welt hinausschreien wollte. Er wollte nicht gefürchtet werden. Konnte sich allerdings selbst nicht erklären, warum. Mandariel schob es auf den menschlichen Teil in ihm, der ihn so denken und ihn schwach erscheinen ließ. Wie sehr er sich manchmal wünschte, sich von diesem zu befreien, sodass er nur noch von seinen Instinkten geleitet wird. Den Instinkten eines Wolfes. Er war so in seinen eigenen Gedanken vertieft, dass er für einen Moment Rene und seine gestellte Frage vergessen hatte. Aber dann fand er wieder in die Gegenwart zurück und wurde wieder zum kühlen und undurchschaubaren Mann, den er immer vorgab. „Wäre dir das wirklich lieber gewesen?“, fragte er. Er wollte seine Stimme kalt und ungerührt klingen lassen, aber stattdessen mischte sich ein zweifelnder Ton darin, was Rene wiederum verwirrte. Er hatte nicht damit gerechnet, dass er ihn sowas fragen würde. Sondern eher irgendwas sagen, was ihn immer mehr denken ließ, dass er ein Ungeheuer in Menschengestalt neben sich hatte. So aber wirkte es, als hätte der Prinz eine menschliche Seite an sich. Rene sagte daher nichts darauf. Sondern schüttelte nur den Kopf, weil er wusste, dass es keinen Sinn hatte, ihm irgendwas vorzulügen. Er dachte dabei an Flora, die sicherlich beim Anblick seines Todes durch die Wölfe, den Verstand verloren und dann etwas Dummes getan hätte. Sie machte sich ja jetzt schon Vorwürfe, dass er wegen ihr sterben würde. Mandariel hatte nichts anderes erwartet. „Dann sei froh und frage nicht weiter nach dem Warum!“, sagte er und klang nun wieder so wie immer. Ungerührt und kalt. In Rene kochte wieder Wut hoch. Spielte dieser Wolfsprinz mit ihm, wie die Katze mit der Maus? Wollte er so herausfinden, wie er sich dabei verhielt? War das ein Test? Wenn ja, dann ein ziemlich grausamer. „Denkt Ihr, dass ich mich damit einfach abfinde, wie ein Lamm von Euch geschlachtet zu werden. Ohne dabei sich zu wehren oder gar zu fragen, wieso mein Tod hinausgezögert wird!“, konterte er. „Das passt nicht zu den Geschichten, die man sich über Euch erzählt!“ „Was für Geschichten erzählt man sich denn über mich?“ „Das wisst Ihr doch. Man erzählt sich, dass Ihr ein grausames Ungeheuer seid. Dass jeden bestraft, der es wagt tiefer in den Wald zu gehen. Die Männer, die sich gegen Euch stellten bezahlten dies mit ihrem Leben. Ihnen wurde keine Gnadenfrist gewährt. Wieso sollte es bei mir also anders sein?“ „Das hast du doch noch selber gesagt. Du hast es aus Liebe getan!“ „Und die Männer etwa nicht?“ „Nein, sie wollten sich damit rühmen, den Sohn des Wolfprinzen getötet zu haben. So wie es einst der getan hat, der meinen Vater tötete!“ Renes Augen wurden groß. Sein Vater? Rene hatte immer gedacht, dass der getötete Wolf seine Tochter war. Wieso sonst würde er nach den Töchtern des Dorfes verlangen. Dass es nun sein Vater war, verwirrte ihn. Rene öffnete den Mund, um seine Gedanken zu äußern. Doch kein Wort kam über seine Lippen. Mandariel sah ihn ausdruckslos an. Sah die Verwirrung in seinen Augen. Sagte aber nichts, sondern schaute nun auch in die Flammen. Eisige Kälte lag in seinen Augen und ein harter Zug umspielte seine Lippen. Rene fühlte, dass etwas nicht mit ihm stimmte. Das etwas Dunkles und bedrohliches in ihm wütete, was er aber nur sehr schwer zurückhalten konnte. „Darum lasse ich dich erstmal am Leben. Siehe es als Geschenk für dein selbstloses Handeln!“, sagte er kalt und Rene kam es vor, als sei es in dem Raum schlagartig kalt geworden. Trotz der Wärme des Kaminfeuers. Hier das Lied mit Interpret, dass ich in diesem Kapitel eigebaut habe: Oonagh-Faolan Kapitel 8: Wer im Glashaus sitzt... ----------------------------------- Rene erwachte am nächsten Morgen, als die Sonnenstrahlen schon an Kraft verloren hatten und das geschäftige Treiben von draußen deutlich zu hören war. Er fühlte sich seltsamerweise zerschlagen und nicht in der Lage, auf zu stehen. Dabei hatte er doch mehr als gut geschlafen. Er hatte keinen dieser Träume gehabt, in denen er… Die Erinnerung an die letzte Nacht kam zurück. Traf ihn mit der Wucht eines Hammers. Er war beim Wolfsprinzen gewesen. Hatte mit ihm gesprochen. Trotz dass er die Bilder deutlich vor sich sah, erschien es ihm immer noch unwirklich. Wie ein in vergessen geratener Traum, der nur schwer zu greifen war. Es kam ihm alles so unwirklich vor. Und doch war da die Erkenntnis, dass er neben ihm gesessen und mit ihm gesprochen hatte. Nach und nach kam seine Unterhaltung mit dem Prinzen wieder in den Sinn und ließ sie immer wieder und wieder durchspielen. Allmählich fragte er sich, ob das Gerede über den Wolfsprinzen überhaupt stimmte. Er hatte sich ihm gegenüber gestern nicht wie das Ungeheuer verhalten, wie zu Anfang. Sondern wie ein Mensch aus Fleisch und Blut. Aber er hatte auch wieder seine andere Seite gezeigt. Kalt und unberechenbar. Diese beiden Seiten schienen sich abzuwechseln. Wie Licht und Schatten. So als könne er sich nicht entscheiden, welcher er den Vortritt geben sollte. Merkwürdig. Wirklich merkwürdig. Ein Klopfen holte ihn aus seinen Grübeleien. „Ja?“, rief er und machte sich daran, anzukleiden. Flora öffnete die Tür und steckte ihren Kopf hinein. „Ah, der junge Herr ist auch endlich wach!“, sagte sie und etwas an ihrem Ton verriet ihm, dass sie heute nicht das erste Mal an seiner Tür geklopft hatte. „Wie lange habe ich geschlafen?“, fragte er und bemühte sich verlegen klingen zu lassen. In Wahrheit aber war er sich keiner Schuld bewusst. Immerhin war es nichts neues, das er den lieben langen Tag verschlief und nicht aus dem Bett kam. Es wunderte ihn aber, dass Flora ihm nicht schon längst einen Eimer eisigkaltes Wasser über den Kopf ausgeschüttet hatte, so wie sie es meistens getan hatte. Fast schon wollte er sie fragen, wie er zu dieser Ehre kam, verbiss es sich aber. „Lange genug, um kaum noch etwas in der Backstube helfen zu müssen. Aber es ist noch genug da, um dich für den Rest des Tages zu beschäftigen!“, sagte sie in dem üblichen schwesterlichen-strengen Ton. Juhu, dachte Rene bitter. „Ahh, beehrt der junge Herr uns auch mit seiner Anwesenheit!“, sagte sein Vater schnaubend, während er ein Blech mit rohen Broten in den Ofen schob. Seien Mutter hingegen war dabei, aus dem Hefeteig große Laibe formte und mit Mehl bestäubte. Rene sagte nichts zu dem schroffen Morgengruß, sondern machte sich an die Arbeit. Mit finsterer Miene, fegte er auf dem Boden gefallenes Mehl und Krümel zusammen. Musste dabei immer wieder an letzte Nacht denken. Es ließ ihn einfach nicht los. Dabei fragte er sich immer wieder, warum ihn das so beschäftigte. Eigentlich sollte er froh sein, dass der Wolfsprinz nicht irgendwas Übles mit ihm vorhatte. Wobei…die Schmerzen, die wegen ihm wieder im Arm verspürt hatte, damit er zu ihm ging, reichten schon. Und Rene mochte sich nicht vorstellen, was der Wolfsprinz noch alles tun konnte oder würde, um seinen Willen zu bekommen. „Seid gegrüßt!“, rief Jaque, als er in die Bäckerei kam. Flora strahlte über das ganze Gesicht. „Jaque!“, rief sie und eilte zu ihm. Umarmte ihn und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Rene lächelte etwas. Normalerweise würde er denken, dass das wirklich kitschig ist und er sie damit aufziehen sollte. Wie Brüder eben waren. Aber er freute sich. Immerhin eine von ihnen, die ein glückliches Leben führen würde. Dabei konnte er sich hingegen auch gut vorstellen, dass sein Vater, jetzt wo Renes Familie so in Verruf geraten war, Bedenken hatte. Denn schließlich verdiente er auch sein Brot mit dem Geld dieser Leute. Und wenn er nun zuließ, dass sein Sohn sich mit Flora einließ, würde das sicher seinen Ruf ruinieren. Rene konnte nur hoffen, dass Jaques Vater sich nicht von dem ganzen Gerede beeinflussen ließ. Wobei er ihn nicht so einschätzte. Sein Vater war, wie Jaque selbst, ein Bär. Groß und stark. Auch wenn seine Aussprache etwas derb war und er hin und wieder fluchte. Dennoch war er ein netter Kerl. Es gab nie Probleme mit ihm. Je länger er sie anschaute, sie beobachtete und dabei länger darüber nachdachte, desto sicherer wurde er sich, dass er sich deswegen keine Gedanken machen musste. Immerhin hatte Jaque immer wieder darauf bestanden, sie nachhause zu begleiten, wenn es spät war oder dass sie bei ihm übernachtete. Das hätte er sicher nicht getan, wenn sein Vater was dagegen gehabt hätte. Er gehörte zu den wenigen Menschen, die hier leben, die offen ihre ehrliche Meinung sagten. So schätzte er zumindest ihn ein. Ein lautes Klirren holte ihn aus seinen Gedanken und ließ ihn erschrocken zusammen zucken. Etwas fiel polternd neben seinen Fuß und Rene erkannte es zu nächst nicht. Aber dann wusste, was da vor seinen Füßen lag. Ein Stein! Er schaute nun zu den Fenstern. In einem von ihnen klaffte ein großes Loch. Jemand hatte tatsächlich einen Stein durch das Fenster geschmissen. Auch seine Eltern, Flora und Jaque waren zunächst erschrocken und wussten nicht, was da gerade passiert war. Da flogen ein zweiter Stein durch das Glas, dann ein dritter und ein Vierter. „Was zum…!“, kam es von seinem Vater wütend und ging ans Fenster, während Jaque wie ein wütender Stier nach draußen rannte. Kurz darauf waren entsetzte Schreie und Kampflaute zu hören. Wenige Minuten später kam Jaque mit zwei Jungen im Schlepptau wieder. Die beiden waren kaum älter als Elf Jahre. Sie wehrten sich verbissen. Versuchten sich aus dem eisernen Griff des Schmieds zu befreien, doch dieser dachte nicht daran, sondern schlug die beiden gegeneinander wie zwei Becken. Das ließ sie noch lauter aufschreien. „Lass uns los, du Blödmann!“, rief der eine. Ein rothaariger Bengel mit Sommersprossen und dürren Beinchen. „Ja, oder ich sage es meinem Vater!“, rief nun der andere. Dieser hingegen hatte schmutzig braunes Haar und wohl einige Pfunde zu viel auf den Rippen. Jaque ließ sich von der Drohung nicht beeindrucken. Sondern sah Rene Vater ernst an. „Zum Bürgermeister?“, sagte er nur. Ramon nickte. Es war ihm deutlich an zusehen, dass er genug hatte. Der vergebliche Versuch des Sekretärs die beiden aufgebrachten Männer daran zu hindern, in das Büro des Bürgermeisters einzudringen, schlug fehl. Ohne ihn weiter zu beachten, schoben sie den armen Kerl einfach bei Seite und stießen die Tür auf. Der Bürgermeister, vertieft in seiner Arbeit, schreckte hoch, sah die beiden zunächst verwirrt an. Dann wurde sein Gesicht finster. „Was soll das?“, fragte er und erhob sich. „Ich wüsste nicht, dass wir ein Treffen haben!“ „Spart Euch das!“, schnappte Ramon wütend. „Diese beiden Strolche haben Steine durch die Fenster meiner Bäckerei geworfen!“ „Ist jemand verletzt?“, fragte wiederum der Bürgermeister unbekümmert. Geradezu gelangweilt, als wäre das nichts Besonderes. Das sorgte hingegen dafür, dass Ramon von Minute zu Minute wütender wurde. „Nein!“ „Dann ist es auch nicht weiter der Rede wert!“, sagte der uneinsichtige Mann und wandte sich wieder seiner Arbeit zu. Doch Ramon wollte sich so nicht abspeisen lassen. Wütend schlug er mit der Faust auf den harten Schreibtisch, so dass dieser erzitterte. „Es ist sehr wohl der Rde wert. Das ist nicht der erste Vorfall, der meine Familie betrifft. Vor einigen Tagen wurde mein Sohn zusammengeschlagen. Von Gustave und seinen Freunden, die ihm aufgelauert haben!“ Der Bürgermeister sah ihn über den Rand seiner Brille einige Minuten skeptisch an. „Was erwartest du?“, fragte er schließlich und Ramon traute seinen Ohren nicht. Dieser Esel tat so, als sei Rene selber daran schuld, dass man ihm geschlagen hatte. Ungläubig schüttelte er den Kopf. „Habe ich mich nicht richtig ausgedrückt? Ich sagte, eben gerade mein Sohn ist zusammengeschlagen!“ „Doch, du hast dich richtig ausgedrückt. Aber wie du auch selber gesagt hast, ist das schon Tage her. Also würde es nichts bringen deswegen die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen!“ „Und was ist mit den Steinen, die mir diese Bengel durch die Fenster geschmissen haben?“, fragte Ramon aufgebracht und zeigte auf die beiden, die sich immer noch im Griff Jaques befanden. Als nun die Sprache auf sie kam, windeten sie sich und traten sogar Jaque gegen das Schienenbein, um endlich weg zu kommen. Der Bürgermeister seufzte. „Nur ein dummer Jungenstreich!“, sagte er. Machte eine abfällige Handbewegung. Ramon war kurz davor den Bürgermeister am Kragen zu packen und zu schütteln. Sah dieser nicht, dass das noch viel schlimmer kommen könnte. Er mochte sich nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn einer der Steine Rene, Flora oder seine Frau getroffen hätte und zugleich fragte er sich, ob wirklich erst was schlimmes passieren musste, damit man reagierte. „Nur ein dummer Jungenstreich?“, fragte er daher ungläubig. „Das heißt also, dass hier jeder meine Familie angreifen kann, ohne dafür bestraft zu werden?“ Ramon bekam darauf keine Antwort. Das reichte ihm schon. Doch anstatt ihm an den Kragen zu gehen, lächelte er nur bitter und nickte. „Ein wunderbarer Bürgermeister, bist du. Wirklich. Nur nicht die Finger schmutzig machen!“ Der Bürgermeister öffnete den Mund. Wollte ihm seine Empörung über diese Beleidigung äußern, doch als er Ramons finsteren Blick sah, schloss er sogleich wieder seinen Mund und schaute betreten auf die Tischplatte. „Du bist nicht besser. Gerade als Bürgermeister solltest du dich neutral verhalten und wissen, was Recht und Unrecht ist!“, rief ihm Ramon erneut ins Gewissen. Der Bürgermeister schien nun auf seinem Stuhl zusammen zu schrumpfen. Ramon sah dies mit einer gewissen Genugtuung. „Mir ist es ein Rätsel, dass du dich so lange in deinem Amt handeln kannst. Aber sicher schiebt dir der eine oder andere etwas Geld zu, damit du in seinem Sinne handelst. Anscheinend ist hier jeder käuflich!“ „Also gut also gut. Um des lieben Friedens willen werde ich eine Versammlung einberufen!“, sagte der Bürgermeister, um das Ganze zu beenden. Diese fand wenige Stunden später statt. Natürlich fragte man sich, was der Grund dafür sei. Doch als man Ramon und seine Familie ganz vorne sitzen sah und die beiden Jungen, die zu einem Häufchen Elend zusammengesunken waren, ahnte jeder, was los war. Der Bürgermeister hatte sich an seinen Platz gesetzt und schlug mit dem Hammer auf das Pult. „Wie ich gehört habe, wurden heute in Ramons Bäckerei Steine geworfen. Diese beiden Jungen haben das getan. Und es gilt nun die Frage zu klären, ob sie angestiftet wurden oder selbst so gehandelt haben!“, sagte er an die Menge gewandt. Einige von ihnen begannen zu tuscheln. Während Ramon die Jungen genau musterte. Immer wieder schauten sie verstohlen in die Menge. Schienen nach jemanden zu suchen, der ihnen aus dieser Lage helfen konnten. Das war merkwürdig. Wenn sie wirklich das aus eigenem Willen getan haben, würden sie zu Boden schauen. Daher hatte Ramon den Verdacht, dass ihn jemand angestiftet hatte. „Wenn jemand etwas dazu zu sagen hat, dann trete derjenige hervor und bekennt sich!“ Wie zu erwarten war, meldete sich keiner. Was anderes hatte Ramon nicht erwartet. „Nun? Keiner hat was damit zu tun?“ Als sich keiner erhob um etwas zu sagen, wandte er sich an die beiden Jungen. „Pete! Niklas! Habt Ihr von Euch aus die Steine geworfen? Oder hat jemand euch dafür angestiftet?“ Die beiden Jungen schauten erst sich an, dann zu Boden. Pete, der rothaarige, begann zögernd zu sprechen. „Wir…wir wurden nicht angestiftet. Wir haben es aus freien Stücken getan!“, sagte er. „Ist das wahr, Niklas?“, fragte nun der Bürgermeister seinen Komplizen. Niklas hingegen schien sich noch unwohler zu fühlen als Pete. Nervös biss er sich auf die Unterlippe und die suchenden Blicke, die er über die Versammelten schweifen ließ, wurden deutlicher. „J-Ja…wir waren es selber!“ „Da hört Ihr es! Was für Beweise braucht Ihr noch?“, rief jemand. Rene erkannte die Stimme sofort. Sie gehörte einem der Schläger. Nun wurde auch in Rene der Verdacht wach, dass die beiden nur die Sündenböcke waren. Er drehte den Kopf und schaute zu dem Kerl, der dazwischen gerufen hatte. Er war aufgestanden und schaute mit starrer Miene zu den Jungen. Auch Ramon bemerkte dies. Sah ihn aber länger an. „Noch ist nichts bewiesen!“, sagte der Bürgermeister. „Aber die Jungen haben es doch zugegeben!“, rief nun der andere, der ihn ebenso zusammengeschlagen hatte. Nur Gustave schwieg. „Bestraft sie und dann ist es gut!“, sagte nun wieder der erste. „Was? Dass kann doch nicht Euer Ernst sein?“, rief eine Frau aufgebracht. Zweifelsohne die Mutter von einem der Jungen. „Niklas! Sag die Wahrheit! Habt ihr es wirklich aus freiem Willen getan?“, fragte sie dann ihren Sohn entsetzt und Niklas schrumpfte noch mehr zusammen. In ihrer Stimme war deutlich Sorge und blankes Entsetzten zu hören. Inständig flehte sie ihren Sohn mit ihren Blicken an, die Wahrheit zu sprechen. So auch Petes Eltern. „Pete. Mach den Mund auf und sag die Wahrheit!“, rief sein Vater, während seine Frau ihn an der Schulter festhielt und ihn wohl davon abhalten wollte, nachvorne zu stürmen und seinen Sohn zu packen. Pete hingegen wollte weiterhin zu seiner Tat stehen. Aber die harschen Worte seines Vaters und die darin liegende Drohung auf die darauffolgende Tracht Prügel, ließen seinen jugendlichen Starrsinn die ersten Risse bekommen. Der Bürgermeister beachtete dies nicht, sondern wandte sich erneut an die Jungen. „Wenn Ihr jemanden decken wollt und das rauskommt, wird die Strafe um so einiges härter sein, als wenn ihr es offen zugebt und die Wahrheit sagt!“, sagte er mit ernster Stimme und das schien zu reichen, dass die Jungen mit der Wahrheit rauskamen. „Man hat uns gesagt, wir sollen die Steine durch die Fenster schmeißen. Man versprach und zwei Silberstücke!“, begann Pete. Niklas stieß ihm seinen Ellenbogen in die Rippen. „Sei Still!“, zischte er. „Niklas!“, hörte er daraufhin vom Bürgermeister warnend und schwieg. Jedoch warf er Pete einen finsteren Blick zu. Aber Pete hatte zu viel Angst vor der angekündigten Strafe als vor dem Ärger mit seinem Komplizen, als das er sich davon beeinflussen ließ. „Und wer hat euch das gesagt?“, hakte der Bürgermeister nach. Pete biss sich auf die Unterlippe, schaute verstohlen in die Menge. Suchte nach denen, die ihn und Niklas angestiftet hatten. Und fand sie sogleich. Er hob den Arm und deutete mit dem Finger auf die betreffenden Personen. „Gustave und Emil waren es!“ Es wurde so still, dass man eine Nadel hätte fallen hören. Dann aber meldete sich Gustave zu Wort. „Das ist eine Lüge!“, rief er wütend und einige Oktaven zu laut. Er versuchte entsetzt über diese Anschuldigung zu wirken. Aber sein nervöser Blick strafte seine Worte Lügen. „Ist es das? Gustave? Nach allem was ich gehört habe, würde es passen, dass du die Jungen gegen Ramon aufgehetzt hast!“, sagte der Bürgermeister. „Was habt Ihr so gehört, Bürgermeister?“, fragte Gustave und wirkte nun alles andere als sicher. „Dass du und deine Freunde seinem Sohn aufgelauert und ihn dann zusammengeschlagen habt!“, kam sogleich die Antwort vom Bürgermeister. Sofort begannen die Leute wieder zu tuscheln. Einige von ihnen waren fassungslos, während die anderen es irgendwie geahnt hatten. Emil hingegen schien sich zurück zu halten Offenbar wollte er nicht da mitreingezogen werden. Dabei steckte er genauso tief drin, wie Gustave. „Wer behauptet das?“, fragte Gustave und das Zittern in seiner Stimme wurde stärker. Er war kein guter Lügner. „Ramon. Er hat Euch überrascht!“ Gustave sah Ramon für einen kurzen Moment mit einer Mischung aus Wut und auch Entsetzen an. „Also? Willst du es immer noch leugnen?“ Gustave senkte den Blick, ballte dabei seine Hände zu Fäusten und biss sich auf die Unterlippe. Sagte eine Zeit lang nichts. Dann hob er den Kopf und sagte dann mit grimmiger Stimme:„ Nein. Es stimmt. Wir haben den Jungen zusammengeschlagen und die beiden angestiftet, die Fensterscheiben mit den Steinen einzuschlagen!“, sprach er. „Aber wir haben nur das getan, was jeder andere auch getan hätte!“ Gustave drehte sich ein paarmal herum und sah jeden der Anwesenden an, als würde er von ihnen ein Geständnis erwarten. Aber natürlich sagte keiner was. Sondern wich seinen Blicken aus. „Jeder hier hätte diesen Jungen dafür bestraft, dass er uns alle in Gefahr bringt. Und das mit Recht!“ Da sprang Flor auf. „Mit Recht? Du bist ein elender Feigling. Jeder von Euch!“, schrie sie ihn an. Ihre Anklage schien die anderen zum Schweigen verdammt zu haben, denn keiner schien etwas dagegen einwerfen zu können. Floras Wut und Enttäuschung über die anderen wurde größer. Auch jetzt machten sie nicht den Mund auf. Jetzt wo sie persönlich angegriffen wurden. Aber Flora würde jede Wette halten, dass sie sich, sobald sie die Halle verließen, sich über sie und ihre Anfeindung auslassen würden. „Rene war bisher der einzige, der wirklichen Mut bewiesen hat. Er…!“, sie stockte, bevor ihr die nächsten Worte unüberlegt über die Lippen kommen konnte. „Es reicht. Ich habe genug gehört!“, sagte der Bürgermeister, um wieder die Kontrolle über die Verhandlung zu bekommen. „Ich werde mich mit dem Richter darüber unterhalten und danach das Urteil verkünden!“ Daraufhin verließ der Bürgermeister mit dem Richter und einem Anwalt den großen Saal. Dies nutzten natürlich die Versammelten, um wieder zu tuscheln und sahen dabei immer wieder verstohlen zu Gustave, Emil und zu Rene und seiner Familie. Rene und seiner Familie wäre es lieber gewesen, wenn sie wieder gehen konnten. Denn jeder ahnte, dass sie damit nun nur noch mehr ins Visier irgendwelcher hinterhältigen Angriffe gegen sie geraten würden. Dass man Gustave für sein Vergehen bestrafen würde, würde nicht dazu beitragen, dass sie Ruhe haben würden. Eher im Gegenteil. Gustave und auch die anderen würden ihnen dann erst Recht das Leben schwer machen. Ramon bereute es nun ein wenig, dass er diese Halunken angeschwärzt hatte, aber er brauchte nur an das zerschundene Gesicht seines Sohnes und an die kaputten Fensterscheiben denken, um anders darüber zu denken. „Diese Strolche sollen nicht denken, dass sie damit davonkommen. Genug ist genug!“ So straffte er die Schulten und zeigte somit, dass ihre geflüsterten Anfeindungen ihn kalt ließen. Irgendwann kamen der Bürgermeister, der Richter und der Anwalt wieder in den Saal zurück und ahmen wieder ihre Plätze hinter dem Pult ein und der Bürgermeister richtete das Wort an die Menge. „Wegen Anstiftung zur Sachbeschädigung und falscher Verdächtigung verurteile ich dich, Gustave und dich, Emil zu einer Geldstrafe von zehn Silberstücken. Sowie auch die Kosten zur Reparatur der zerstörten Fensterscheiben zu übernehmen. Wegen der Körperverletzung deines Sohnes, kann ich die beiden leider nicht belangen. Da es noch einen dritten gibt und dieser sicherlich nicht so einfach zu entlarven ist, bleibt es nur für die Verurteilung der aktuellen Straftat!“, sagte der Bürgermeister und sah dabei zu Ramon. Ramon sagte nichts dazu. Auch wenn es ihn am meisten ärgerte. Die zerstörten Scheiben konnte man ohne weiteres ersetzen. Aber dass die schweren Verletzungen seines Jungen mit dieser plumpen Ausrede abgetan wurden, störte ihn. Dennoch akzeptierte er es. Es würde nichts bringen, dagegen auf zu begehren. Denn sonst würde er noch das ganze Dorf gegen sich aufhetzen. Ramon schien hingegen überhaupt nicht damit einverstanden zu sein. Entrüstet sprang er auf. „Bürgermeister, das kann doch nicht Euer Ernst sein!“, begehrte er auf. Emil war ganz still. Offenbar wollte er es sich nicht verscherzen. „Und ob das mein Ernst ist, Gustave!“, sagte der Bürgermeister kühl und verschränkte die Arme vor der Brust. „Sei froh, dass wir dir so eine milde Strafe erteilen!“ Gustave machte den Eindruck, als würde er gleich explodieren. Ramon konnte nicht leugnen, dass er schon etwas wie Schadenfreude empfand. Jeder wusste das Gustave nur ungern Geld ausgab und vor allem, für andere. Aber in der Hinsicht musste er es nun tun und es war seine eigene Schuld. „Zahle das Geld und die neuen Fensterscheiben innerhalb von fünf Tagen und du bist aus dem Schneider. Solltest du das nicht tun, wirst du einen Tag im Gefängnis verbringen!“, setzte der Bürgermeister noch hinzu und schloss dann die Sitzung, als er mit dem Hammer auf das Pult klopfte. Ramon und seine Familie machten, dass sie schnell aus dem Saal kamen. Er drängte sie förmlich. Doch kaum dass er sie fast schon nach draußen gescheucht hatte, hielt ihn eine Hand an der Schulter grob zurück und Gustave tauchte hinter ihm auf. „Glaub nicht, dass es damit getan ist, Ramon!“, knurrte er, dann schob er sich an ihm vorbei und verschwand in der Menge. „Dieser Gustave ist wirklich ein unangenehmer Zeitgenosse!“, murrte Renes Großmutter und nahm einen Schluck heißen Tees. Elsa sah mit kummervoller Miene drein. „Wenn das du weitergeht, werden wir bald keinen Fuß mehr vor die Tür setzen können, ohne dass man uns was zu leide tut!“, bemerkte sie. „Mach dir deswegen keine Sorgen. Gustave ist zwar dumm wie Brot, aber er wird sich sicher nicht nochmal an Euch vergreifen!“, beruhigte ihre Mutter sie. „Woher willst du das wissen?“, wandte Elsa ein. Sie hatte bedenken. Wenn Gustave schon unschuldige Kinder für seine gemeinen Machenschaften einspannte, was würde er sich als nächstes einfallen lassen? „Glaub mir. Ich lebe lange genug in diesem Dorf um zu wissen, wer einen kleinen hat!“, erwiderte die Großmutter und musste glucksen. Elsa sah ihre Mutter erschüttert an. „Das ist nicht komisch, Mutter!“ „Elsa, beruhige dich. Vertrau mir. Die werden es sich jetzt zweimal überlegen, ob sie sich mit deinem Mann anlegen!“ Flora und Rene hatten das Ganze von der Treppe aus belauscht. Verborgen im Schatten, saßen sie auf der höchsten Stufe und schwiegen. Sahen sich nur an. Und jeder von ihnen konnte sehen, was der andere dachte. Dann standen sie auf und gingen den Zimmer. Doch statt das jeder in sein eigenes ging, gingen sie in Renes Zimmer. Es gab noch einiges zu besprechen. Leise schloss Rene die Tür, während sich Flora auf sein Bett setzte. Rene setzte sich neben sie. Zuerst schwiegen sie, aber es war deutlich eine gewisse Anspannung zu spüren. Irgendwann brach Flora das Schweigen. „Es tut mir leid!“, sagte sie. „Was tut dir leid?“ „Dass ich beinahe alles verraten hätte!“, seufzte sie. Rene schüttelte den Kopf und legte den Arm um sie. Sowas in der Art hatte sich Rene schon gedacht. Schon in der Versammlung hatte er bemerkt, dass sie aufgewühlt war, weil Gustave nun die ganze Gemeinde gegen ihn aufhetzen wollte. Und bevor er etwas tun konnte, hätte sie beinahe etwas Dummes getan. Aber er hatte es auch irgendwie geahnt. Flora war jemand, der sich oft von seinen Gefühlen leiten ließ. Vermutlich lag es auch daran, dass sie eine Frau war. Aber was spielte das schon für eine Rolle. Auch Rene ließ sich manchmal von seinen Gefühlen hinreisen. Und er war ein Mann. Dennoch blieb die Gefahr, dass entweder sie oder sich irgendwann verraten könnte. Die Bedrohung hing wie ein Fallbeil über ihnen. Und Rene hatte das ungute Wissen, dass nur er etwas dagegen tun konnte. Er musste mit dem Wolfsprinzen sprechen. Vielleicht konnte er ihn bitten, die Strafe für seinen Verrat etwas abzumildern. „Aber das hast du nicht!“ Flora sagte nichts, sondern schwieg. Und etwas an ihr verriet Rene, dass ein Teil von ihr nur zu gern ihr Geheimnis verraten hätte. Angst stieg in ihm hoch und er ergriff ihre Hand. Seine Sorge wurde größer, als er merkte, wie sie zitterte. Flora hatte die Lippen zu einem harten Strich zusammen gepresst „Flora, du…!“, begann er vorsichtig und es war, als würde all der ganze Frust aus ihr herausplatzen. „Ich weiß, dass es unser aller Ende bedeutet, wenn wir etwas sagen. Aber…es kommt mir so falsch vor. Alle sind gegen uns, nur weil du….und ich nicht…!“ Flora machte eine verzweifelte Geste. Rene konnte sie verstehen. Er selber fühlte sich hilflos, in Anbetracht, was in der letzten Zeit geschehen ist. Er hatte das Gefühl, dass das alles nur wegen ihm passierte. Wagte es jedoch nicht laut auszusprechen. Da es seine Schwester nur noch mehr aufwühlen würde. Dennoch wollte er ihr zeigen, dass er ebenso dachte und empfand. Er nahm ihre Hand und drückte sie. Flora erwiderte dies kurz und lächelte. Dann aber wurde sie wieder ernst. Kaute auf ihre Unterlippe herum. Auf ihrer Stirn bildeten sich nachdenkliche Falten. Als sie dann weitersprach, vermied sie es, ihn an zu sehen. „Meinst du nicht, dass es besser wäre, wenn wir es doch…!“, begann Flora dann vorsichtig und in Rene wurde es mit einem Schlag eiskalt. Dachte seine Schwester tatsächlich darüber nach, ihr Wort zu brechen? Das konnte nicht ihr ernst sein. „Flora! Nein!“, kam es erstickt aus ihm. Wie ein Wahnsinniger schüttelte er den Kopf. „Das…das darfst du nicht…!“ Er sah vor seinem geistigen Auge, den Wolfsprinzen vor sich stehen. Sah wie er von dem Verrat erfuhr und seinen Wölfen Befehl gibt, über seine Familie her zu fallen. Hörte das Jaulen der hungrigen Tiere und die Schreie seiner Angehörigen. Schnell drängte er dieses schreckliche Bild aus seinem Kopf. „Du weißt, was dann passiert…!“ „Aber so kann es doch nicht weitergehen!“, wimmerte sie. „Das alles…!“ Flora brachte es nicht fertig weiter zu reden. Aber das brauchte sie auch nicht, da Rene wusste, was ihr auf dem Herzen lag. Still betrachtete er seine Schwester, die sich die Hände vor das Gesicht schlug und zu schluchzen begann. „Das ist einfach nicht richtig…!“, wimmerte sie durch ihre Hände. „Sie müssen büßen, für das, was wir getan haben!“ Nein, was ich getan habe, dachte Rene bitter und nahm seine Schwester in den Arm und drückte sie fest an sich. In diesem Moment fühlte er sich so, wie ihn die anderen bisher behandelt hatten. Ein Schwerverbrecher. Und seine Familie musste darunter leiden, weil sie ihn in Schutz nahmen. Mit entschlossenen Schritten stapfte er durch den Schnee. Wusste wohin er gehen musste und was er zu tun hatte. Sobald er sich sicher war, dass seine Eltern und auch Flora tief und fest schliefen, hatte er sich aus seinem Zimmer und aus dem Haus geschlichen und auf den Weg in den Wald gemacht. Ihn ließ es keine Ruhe, dass seine Familie unter seiner Tat leiden musste und was sie noch alles erdulden mussten. Er wollte mit dem Wolfsprinzen sprechen. Vielleicht konnte er ihn dazu überreden, die Strafe nur für ihn geltend zu machen. Flora und seine Eltern hatten schließlich nichts damit zu tun. Selbst jemand wie der Wolfsprinz musste das einsehen. Zumindest hoffte Rene das. „Wolfsprinz!“, rief er laut, als er auf die Lichtung trat. „Wolfsprinz!“ Obwohl er entschlossen war, spürte er dennoch eine gewisse Anspannung. Was würde der Wolfsprinz darauf sagen? Wäre er einverstanden? Rene versuchte sich deswegen keine großen Gedanken zu machen. Was natürlich alles andere als einfach war. Immerhin würde er wieder dem Wolfsprinzen gegenüber stehen. Schon allein der Gedanke an diese kalten Augen und seine kühle Stimme ließ es in Rene unwohl rumoren. Er fühlte sich etwas unwohl in seiner Nähe. Umso verrückter war es nun, dass er freiwillig dem Wolfsprinzen gegenüber treten wollte. Wobei… Wieder musste er sich daran erinnern, dass er sich mit ihm unterhalten hatte. Vielleicht, so hoffte er, würde es hier bei genauso sein. „Wolfprinz! Ich weiß, dass du mich hören kannst!“ „Was willst du?“, erscholl plötzlich die Stimme des Wolfsprinzen hinter ihm und Rene wirbelte erschrocken herum. Blickte geradewegs in die blauen, kalten Augen des Mannes, der ihn nicht mehr los ließ und ihn stets heimsuchte. Egal ob in seinen Träumen oder leibhaftig. Für einen kurzen Moment hatte er vergessen, weswegen er hier her gekommen war. Konnte ihn nur ansehen. Ihn schien stets etwas zu umgeben, was ihn unnahbar erscheinen ließ. Als gehöre er nicht wirklich zu dieser Welt. Sondern würde in dieser nur als ein Besucher umherwandeln. Selbst jetzt, wo das Licht des Mondes nur schwach durch die Wolken, die über ihnen am Himmel vorbeizogen, schien ihn ein leuchtender Schimmer zu umgeben. Eigentlich war es egal, wie oft die sich gegenüber standen. Nichts schien sich an seiner außergewöhnlichen Aura zu verändern. Mandariel bemerkte natürlich, wie Rene ihn anstarrte und räusperte sich. „Was willst du?“, fragte er wieder und trat auf ihn zu. Der Schimmer, der ihn umgab verschwand. Und Rene kehrte wieder ins Hier und Jetzt zurück. „Ich will Euch bitten, die Strafe nur auf mich geltend zu machen!“, sagte er. Mandariel hob die Braue. Wusste wohl zunächst nicht, was Rene damit meinte. „Die Strafe, die Ihr meiner Familie zu gedacht habt, wenn ich oder meine Schwester ein Wort über unseren Handel verliere!“ „Und wieso sollte ich das? Du stirbst eh. Was bringt es, die Strafe nur dir teil werden zulassen?“, sagte er und sah Rene skeptisch an. Wieder meldete sich Ärger in ihm. Wie immer, wenn der Wolfsprinz seine ehrlichen und vor allem menschlichen Absichten anzweifelte. Wie kalt musste das Herz von diesem Dämon sein. Dabei hatte Rene ernsthaft gedacht, dass in ihm ein guter Kern steckte. Aber vermutlich hatte er sich geirrt. „Weil ich es nicht sehen kann, dass meine Familie durch meine Tat leiden muss!“, erklärte er. „Man hat dieses Mal sie angegriffen. Mit Steinen hat man die Fenster unserer Bäckerei eingeworfen und nur weil wir deswegen uns gewehrt haben, haben wir nun das ganze Dorf gegen uns!“ Dabei flunkerte Rene etwas. Zwar hatten sie nur Gustave, seine Freunde und dessen Frauen gegen sich, aber wie schnell würde Gustave das restliche Dorf gegen sie aufbringen? Rene war sich sicher, dass das eher der Fall sein wird, als ihm lieb ist. Mandariel sah ihn schweigend an. Und Rene fragte sich, ob er ihm überhaut zu gehört hatte. Das Gesicht des Wolfsprinzen wirkte abwesend, als sei er nicht wirklich da. Das ärgerte ihn umso mehr. „Wenn du wirklich ein Prinz bist, dann hab Gnade mit meiner Familie. Sie hat nichts falsch gemacht!“ Da ging ein Ruck durch den Prinzen und sein Gesicht verfinsterte sich. Noch ehe Rene begreifen konnte was passierte, stand plötzlich der Wolfsprinz vor ihm und packte ihn an der Kehle. Drückte sie zwar nicht zu, aber dennoch hielt er ihn festumklammert und schaute ihn grollend an. „Ich war schon gnädig, in dem ich dich und deine Schwester nicht sofort getötet habe. Und ich lasse dir noch etwas Zeit, ehe ich mir dein Leben nehme. Du weißt genau, was man sich über mich erzählt. Sei also dankbar dafür, anstatt mir etwas zu unterstellen!“, knurrte er. Sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von dem von Rene entfernt. Sein kalter Atem streifte ihn und Rene hatte das Gefühl, als würde er eisige Bergluft atmen. Sein Ärger war blanker Furcht gewichen und er wünschte sich, dass er diese Worte nicht ausgesprochen hätte. Irrwitzig aber verspürte er dennoch einen gewissen Trotz in sich. Er wollte sich von ihm nicht wieder so leicht einschüchtern lassen. Da er zumal ihm einen Vorschlag gemacht hatte. „Dann tue es doch endlich!“, würgte er in seinem Griff hervor. „Bring mich endlich um. Dann haben meine Eltern endlich Frieden und du, was du wolltest!“ „Ist deine Todessehnsucht so groß, dass du deine noch verbleibende Zeit wegwerfen willst?“, war darauf die Frage des Wolfsprinzen. „Ich sterbe doch so oder so. Egal ob jetzt oder später. Oder durch dich oder durch die Dörfler!“ Der Wolfsprinz sah ihn einige Augenbliche an, dann entließ er ihm aus seinen Griff. Rene landete im Schnee und fasste sich sofort an den Hals. Erwartete Abdrücke unter seinen Fingern zu spüren. Aber nichts war da. Er schaute zu ihm hinauf. Er zwar froh, dass der Wolfprinz ihn nicht mehr am Hals festhielt, jedoch war er auch verwundert. So wie er ihn angesehen und gepackt gehalten hatte, hatte er erwartet, dass er ihn nun töten würde. Dass er es nicht tat, wunderte ihn und er fragte sich insgeheim, was er noch tun musste, damit er ihm sein Leben nahm. Es war verrückt und er fragte sich wirklich, ob er eine Sehnsucht nach dem Tod hat, so wie es der Wolfsprinz bemerkt hatte. Aber dabei dachte er nur an seine Familie. „Ich bin es Leid mit dir über diese Lappalie zu streiten!“, sagte er eisig und drehte sich weg von ihm. „Ich gebe dir den guten Rat, es auf zu geben. Egal wie sehr du mich auch zu provozieren versuchst oder wie entschlossen du bist, deine Familie zu schützen: Ich werde dich nicht vorher töten! Lasse es also darauf beruhen und genieße die Zeit, die dir noch bleibt!“ Rene öffnete den Mund, um etwas entgegen zu setzen. Wie soll ich diese Zeit genießen, schrie es in seinem Inneren und er wollte es auch aussprechen, als ihm der Wolfsprinz zu vorkam. „Ich denke, das ist auch im Sinne deiner Schwester!“ Rene zuckte dabei etwas zusammen. Etwas in ihm bejahte die Worte Mandariels. Flora würde noch unglücklicher werden, wenn sie erfuhr, dass er seinem Leben jetzt schon ein Ende gesetzt hatte. Zumal er selbst gesagt hatte, dass sie die Zeit nutzen sollten, in der sie noch zusammen waren. Dennoch… Der Gedanke, was noch seine Familie erdulden musste, ließ die Sorgen nicht kleiner werden. Aber es hatte ganz den Anschein, dass der Wolfsprinz von seinem Entschluss nicht ablassen würde. Egal was Rene tat. Mit einem missmutigem Seufzen schaute er zu Boden. Spielte er mit ihm? „Verflucht sollst du sein, Wolfsprinz!“, konnte er sich nicht verkneifen. „Mein Name ist Mandariel!“, kam es schroff vom ihm. „Und verflucht bin ich schon längst. Die Menschen des Dorfes waren es, die den Fluch über mich und meine Mutter brachten!“ Dann wandte er sich ab und ging. Ließ ihn einfach stehen. Zurück in den Bergen, in seinem Schloss, stand Mandariel auf seinem Balkon und schaute mit finsterer Miene auf den Wald unter sich. Das kurze Treffen mit diesem Jungen beschäftigte ihn. Es hatte ihn schon verwundert, dass dieser Junge ihn freiwillig aufsuchte und mit ihm sprechen wollte. Doch er hatte sich auch schon gedacht, um was es ging und war alles andere als begeistert. Wieso ließ es dieser Narr nicht einfach sein? Wieso war er nicht einfach froh, dass er ihm noch etwas Zeit ließ? Stattdessen versuchte er ihn bis aufs Blut zu reizen. Es war einfach nur nervig. Dabei hatte er ihm etwas gesunden Menschenverstand zu getraut. Aber wenn man bedacht, wie Jung er noch war… Er benahm sich wie ein undankbares Balg. „Ihr habt wirklich eine Engelsgeduld haben, wenn Ihr zulasst, dass er Euch beleidigt und verflucht. Bei den anderen wart Ihr hingegen nicht so gnädig!“, holte ihn eine Stimme aus seinen Gedanken. Dieses Mal war diese männlich. Mandariel sagte daraufhin nichts. Aber sein Gesicht verfinsterte sich umso mehr. „Was hat Euch nur dazu gebracht, solch einen Handel zu schließen?“, fragte dieser wieder. „Stellst du meine Entscheidungen in Frage Ardou?“, kam es nun von Mandariel und seine Stimme war kalt. „Nein! Aber es ist untypisch für Euch!“ „Du hättest ihn wohl zu gern den Hals aufgerissen?“ „Er hat Euch angegriffen. Meine Aufgabe ist es, Euch zu schützen!“, sagte Ardou und trat etwas näher. „Das habe ich Eurem Vater zu seinen Lebzeiten geschworen. Und diesen Schwur werde ich auch halten. Auch wenn es bedeutet, Euch zu kritisieren!“ „Deine Loyalität in allen Ehren, Ardou. Aber ich entscheide, wann und wie du mich zu beschützen hast. Und dieser Junge ist keine Gefahr!“ „Er war zumindest gefährlich, als er diesen verdammten Dolch hatte!“ „Ich muss zugeben, dass er mich in diesem kurzen Moment überrascht hat!“, gestand der Wolfsprinz. „Noch immer frage ich mich, woher er diesen Mut genommen hat!“ „Das war kein Mut. Sondern Dummheit. Er hätte wissen müssen, dass das nicht ohne Folgen bleibt!“, konterte Ardou scharf. Mandariel ließ die Worte seines Vertrauten auf sich wirken. Irgendwie hatten sie einen faden Beigeschmack. Dabei waren es seine eigenen Worte, die er zuvor dem Jungen gegenüber geäußert hatte. Doch statt Ardou zu zustimmen, wankte er nun ein wenig in seiner Einstellung. Wo so er darüber nachdachte, musste er dem Jungen Recht geben. Ihm kam wieder ihr Gespräch in den Sinn, als er ihn sein Schloss holte. „Ich frage mich immer noch, was dich dazu gebracht hat. Es hätte dir klar sein sollen, dass das nicht ohne Folgen bleibt!“ „Das war mir bewusst. Ich konnte aber nicht zulassen, dass meine Schwester…dein nächstes Opfer wird! Ich …ich tat es aus…aus Liebe!“ Aus Liebe, dachte er und sein Gesicht nahm einen bedrückten Ausdruck an. „Bist du sicher, dass es Dummheit war?“, fragte er dann nach einer Weile und seine Stimme war matt. Er erwartete erst gar nicht eine Antwort, sondern blickte weiterhin in das Tal hinunter. Versank in seinen Gedanken, die sich immer wieder und wieder um Rene drehten. Und fragte sich, wie es sein kann, dass ein einziger gewöhnlicher Junge ihn so sehr beschäftigte. Kapitel 9: Familienbande ------------------------ Gustave zahlte den Schaden ohne zu Murren oder eine andere ungehaltene Geste von sich zu geben. Dennoch ließ er es sich nicht nehmen, Ramon und seine Familie mit einem finsteren Blick zu strafen. Ramon ließ sich hingegen davon nicht beeindrucken, sondern verschränkte die Arme vor der Brust. Wies ihm dann mit einem Kopfnicken an, zu verschwinden. Was Gustave auch tat. Laut knallte er die Türe zu. Seit diesem Tag lag eine deutlich spürbare Spannung in der Luft. Zwar gingen die Leute wie gehabt bei Renes Eltern ihr Brot holen, doch irgendwie schienen sie nicht daran interessiert zu sein, mit ihnen höfliche Worte zu wechseln. Sondern nur das nötigste zu sagen. Was sie für Brot haben wollten und wieviel und Ramon hingegen, wieviel er für das Brot haben wollte. Dann gingen die Leute wieder. Auch schienen die jungen Leute Rene gegenüber nicht mehr so begeistert zu sein, was seine Heldentat anging. Sondern mieden es, ihm über den Weg zu laufen oder ihn gar an zu sehen. Was Flora betraf, so tuschelten die alten Weiber, sobald sie ihren Weg kreuzte. Zerrissen sich förmlich das Maul darüber, dass sie mit dem Sohn des Schmiedes angebändelt hatte. Wann immer Flora auf den Markt ging, um einige Besorgungen für ihre Eltern zu machen, fingen sie an zu reden und versuchten nicht einmal die Stimmen zu senken, sodass es Flora nicht mitbekam. Sondern ließen sie deutlichen hören, was sie von ihr hielten. „Seht nur, da ist die Schwester dieses Unglücksraben!“ „Das die sich noch traut hier rum zu laufen und einkauft!“ „Wäre das meine Tochter würde ich sie wegsperren und niemals mehr rauslassen!“ „Man sollte sie steinigen. Sicherlich hat sie ihren Bruder unter Druck gesetzt, damit er sie beschützt!“ „Und dass der Schmied es zu lässt, dass sie mit seinem Sohn anbändelt, ist wirklich die Höhe. Hat der Mann keinen Stolz?“ „Jaque sollte sie fallen lassen, wenn er den Ruf seines Vaters nicht aufs Spiel setzen will!“ „Ich habe immer gedacht, dass er ein vernünftiger Mann ist. Aber er ist ihr offensichtlich zu verfallen, dass er nicht klar denken kann!“ „Das liegt sicher nur an ihrem hübschen Gesicht!“ „Ganz bestimmt. Wenn sie nicht so hübsch wäre, würde keiner sich für sie interessieren!“ „Keiner!“, sagte ein altes Weib gehässig und fügte kichern hinzu:„ Naja; außer vielleicht die Schweine!“ Das reichte Flora. Sie konnte es sich nicht mehr anhören. Mit unterdrückten Tränen rannte sie davon. Wollte diesen bösartigen Tratsch entkommen. „Ich halte das nicht mehr aus. Du hättest hören sollen, wie sie über uns beide gesprochen haben. Sie tun so, als wäre ich eine…eine Dirne…!“, schluchzte Flora und schlug beide Hände vor das Gesicht. Sie war direkt zu Jaque gegangen und hatte ihm erzählt, was man über sie geredet hatte. Jaque hatte zunächst mal nur zugehört, doch jetzt wo er sah, wie sehr seine Flora unter den Gemeinheiten dieser alten Klatschweiber litt, packte ihn eine ohnmächtige Wut. „Ich breche ihnen die dürren Hälse!“, knurrte er. „Nein, lass das. Sonst…sonst werden sich diese Hyänen auch noch auf dich stürzen!“, sagte Flora. „Sollen sie doch. Was gibt Ihnen das Recht, so über dich zu reden?“, schnaubte er abfällig. „Es geht sie doch nichts an, ob wir zusammen sind!“ Flora sagte nichts, sondern ließ einfach nur die Schultern hängen. Für sie wurde es mal zu mal zu einer Tortur. Jaque mag zwar nichts auf das Gerede geben. In seinen Augen waren diese Klatschmäuler missgünstige Weiber, die eifersüchtig auf jede Art von ehrlichem Glück waren. Aber für Flora kam es einer Hexenjagd gleich, bei der man nur darauf wartete, bis sie einen Fehler machte, um sie brennen zu sehen. Im wörtlichen Sinne. „Sie werden keine Ruhe geben. Nicht solange wir…!“, ihre Stimme brach und sie wagte es nicht ihn an zu sehen. Das war auch nicht nötig. Er verstand auch so, was sie ihm damit sagen wollte. „Flora, ist das dein Ernst? Willst du etwa… Nur wegen diesem Gerede…?“, fragte er mit entrüsteter und verletzter Stimme. Flora sah ihn an und ihren Augen spiegelten sich deutlich Schmerz und bittere Wahrheit. „Du musst auch an deinem Vater denken. Wer würde seine Pferde von ihm beschlagen lassen, weil sein Sohn mit einer…wie mir zusammen ist?“ „Aber du hast doch nichts getan. Es war dein Bruder. Nicht du. Du hast am wenigsten damit zu tun. Also hör auf, solch einen Unsinn zu reden!“, schnaubte Jaque. Flora schien nicht ganz überzeugt zu sein. In ihren Augen hatte sie genauso daran Schuld, weil sie es zugelassen hatte. „Aber ich…!“, begann sie und schaute wieder auf ihre Hände, die sie in ihren Röcken gekrallt hatte. „Nichts aber!“, sagte Jaque kniete sich vor sie nieder und ergriff ihre Hände. Drückte sie. „Weder du noch Rene habt etwas falsch gemacht. Er rettete dich, weil er dich liebte!“ Jaque lächelte. „Um ehrlich zu sein, könnte ich mir selbst in den Arsch beißen, weil ich nicht auf die Idee gekommen bin!“ Flora musste daraufhin auch lächeln. „Ja, du hättest ebenso auf die Idee kommen sollen!“, sagte sie ihm einem gespielten vorwurfsvollen Ton. Jaque lächelte noch einmal dann aber wurde er wieder ernst. „Aber dafür habe ich nun die Gelegenheit, dieses Versäumnis wieder gut zu machen. In dem ich dich jetzt vor diesen Hyänen beschütze!“ „Und was ist mit deinem Vater?“ „Mein Vater steht hinter mir!“, sagte Jaque überzeugt und auch stolz. „Mach dir darüber keinen Kopf!“ Flora nickte nur. Sie versuchte ihm zu zeigen, dass sie sich deswegen nicht weiter Sorgen machte. Sie war froh, einen solchen treuen Mann in ihm gefunden zu haben. Jeder andere hätte sie schon längst fallen gelassen, nach allem was vorgefallen war. Aber Jaque nicht. Er hatte das dicke Fell eines Bären und ebenso die Stärke. Während er sich den anderen als ein stiller und auch hin und wieder mürrischer Mann zeigte, war er bei ihr sanft und umsichtig. Sie konnte sich glücklich schätzen, jemanden wie ihn zu haben. Und das tat sie auch. Noch lange blieb sie bei Jaque und ihre trübe Stimmung legte sich. Nach und nach unterhielten sie sich über weniger schmerzliche Dinge. Machten Scherze. Oder vielmehr machte Jaque sie, während Flora lachte. Irgendwann brachte er sie nachhause. Vor der Haustür blieben sie stehen und hielten sich an den Händen. Sahen sich tief in die Augen. Um sie herum war still und sie hatten das Gefühl, ganz allein zu sein. Deutlich war wieder dieses Leuchten in ihren Augen zu sehen, was Jaque so sehr liebte und auch vermisst hatte. Sie war wieder fröhlich. Auch wenn es nur für einen kurzen Moment war. Doch das reichte Jaque um ruhig schlafen zu können. Zärtlich strich er ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Flora ließ es zu und lächelte selig. Sie trat etwas näher an ihn heran, sodass sich ihre Brust gegen seinen Bauch drückte. Er überragte sie einen Kopf, aber das störte sie nicht. Dankbar schaute sie zu ihm hoch. „Danke, dass du mir zu gehört hast!“, flüsterte sie. „Das war doch das mindeste!“, erwiderte er. Flora sagte nichts darauf, sondern sah ihn nur an. Ertappte sich dann dabei wie sie auf seinen Mund schaute und ein tiefverborgener Wunsch kam in hoch. In der ganzen Zeit, hatten sie sich noch nicht ein einziges Mal geküsst. Und Flora fand, dass es nun höchste Zeit war. Daher stellte sie sich auf die Zehenspitzen, schloss ein wenig die Augen. Jaque sah natürlich, was sie vorhatte und musste lächeln. Auch er hatte diesen Wunsch schon lange gehabt. Hatte sich aber bisher zurückgehalten, weil er sie zu nichts drängen wollte. Dass sie nun genauso dachte wie er und das gleiche Ziel hatte, freute ihn und nahm damit die letzte Hürde. Er beugte sich etwas zu ihr hinunter, damit sie es nicht so schwer hatte und atmete dabei tief ihren Duft ein. Er roch das frischgebackene Brot, welches sie mit ihren Eltern in der Backstube gebacken hatte. Wie sehr er diesen Duft an ihr liebte. Und gleich würden sich ihre Lippen zum ersten Mal berühren. Jaque fürchtete ein wenig, dass dieser eine Kuss ihm nicht reichen und er nach mehr verlangen würde. Doch diese Sorge verschwand schnell, als Flora seinen Namen hauchte und seine Knie weich wie Butter werden ließen. Er mochte zwar ein Schmied sein, der mit Leichtigkeit den Hammer schwingen konnte, aber in diesem Moment, war er ein Mann, der gleich die Frau küssen würde, die er über alles liebte. Flora kam es vor, als würden die wenigen Zentimeter, die sie noch trennten sich wie Tagesreisen hinausdehnen und sie wollte diese Entfernung so schnell wie möglich überwinden. Schon konnte sie die Spitze seiner Nase an ihrer vorbeistreichen spüren. Floras und auch Jaques Herz schlugen im gleichen Takt. Schnell und heftig… Gleich würden sich ihre Lippen berühren. Miteinander verschmelzen. Da wurde auf einmal die Tür aufgerissen und Rene erschien in der Tür. „Flora, kommst du jetzt endlich rein? Oder wie lange willst du hier noch draußen stehen bleiben?“, fragte er genervt und Jaque und Flora aus ihrer Zweisamkeit so heftig rausgerissen, dass sie zu nächst dastanden, wie zu zwei Salzsäulen erstarrt. Dann drehte sich Flora langsam um und sah ihren Bruder mit einem Blick an, der deutlich sagte:„ Fall tot um!“ Rene wich daraufhin zurück. Er hatte sich schon so etwas in der Art gedacht, da Flora zwar vor der Tür stand, aber nicht reinkommen wollte. Aber dass ihn gleich so ein vernichtender Blick treffen würde, hatte er nicht erwartet. „Äh…ähm…macht ruhig weiter. Lasst Euch nicht stören!“, versuchte er noch immerhin etwas zu retten, doch es war zu spät. „Danke fürs Nachhause bringen. Schlaf gut!“, sagte sie knapp und drückte Jaque schnell einen Kuss auf die Wange. Dann drängte sie sich an Rene vorbei, wobei ihm einen Tritt verpasste. Jaque sichtlich enttäuscht, sah Rene an, als dieser im Begriff war die Tür zu schließen und schluckte, als er wiederum sah, wie Jaque Floras stillen Fluch wiederholte. Schnell schlug er die Tür und wisch einen Schritt zurück. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass Jaque ihm bei der nächsten Gelegenheit eins mit dem Hammer überziehen würde. „Vielen Dank, das du alles vermasselst hast!“, giftete Flora am nächsten Tag, während sie und Rene die Backstube saubermachten. Die ganze Nacht und seit dem Morgen hatte sie nicht mit ihm geredet, sondern ihm mit einem eisigem Schweigen gestraft. Zuerst hatte sich Rene gefragt, warum sie so sauer auf ihn war. Aber im Nachhinein begriff er, dass dies ein besonderer Moment für sie gewesen war und dass er diesen, mit seinem barschen Auftreten, kaputtgemacht hatte. Das schlechte Gewissen überkam ihn. Er wusste ja, wie sehr sie Jaque liebte und dass sie es sich insgeheim gewünscht hatte. Nach so langer Zeit, in der sie sich kannten, war es nur denkbar, dass sie sich auch küssen wollten. Und Rene hatte es vermasselt. „Tut mir leid. Wirklich!“, sagte er. „Ich…ich habe mir dabei nichts gedacht!“ „So? Dachtest du, ich stehe einfach so lange vor der Tür?“ „Nein. Aber ich habe mir Sorgen gemacht. Du…kamst einfach nicht nachhause. Da dachte ich…das Gustave und seine Freunde…!“ Rene sprach nicht weiter. Das musste er auch nicht. Sie wusste auch so, was er befürchtet hatte. Ihr Ärger flaute etwas ab. „Es tut mir leid. Ich hätte Euch Bescheid geben sollen!“, sagte sie und küsste ihn sanft auf die Wange. Rene lächelte etwas. Froh, dass zwischen ihnen wieder alles gut war. „Das heißt aber nicht, dass ich dich davon kommen lasse!“, sagte sie grimmig. Rene schluckte. Das hätte er sich denken können. Warum Frauen immer so nachtragend sein müssen, dachte er. „Ich werde es wieder gut machen!“, sagte Rene. Flora sah ihn mit hochgehobenen Brauen an. „Achja? Und wie willst du das machen?“, fragte sie und stützte sich an dem Besen ab, mit dem sie gerade den Boden gefegt hatte. Rene wollte was sagen, hob dann aber die Schultern. „Ich lasse mir was einfallen!“, sagte er dann zögernd. „Ein guter Anfang wäre, dich auch bei Jaque zu entschuldigen. Immerhin bist du auch ihm in die Parade gefahren!“, sagte Flora und Rene machte ein zerknirschtes Gesicht. „Ich weiß nicht. Der wird mir doch sicher den Schädel einschlagen!“ Flora kicherte. „Das wird er schon nicht. Aber er wird dir sicher einiges Takte erzählen!“, sagte sie. Rene wusste nicht, ob er sich dadurch beruhigter fühlen sollte. Dennoch ging er ihrem Rat nach und ging, sobald er mit der Arbeit in der Backstube fertig war, zu Jaque. Dieser war gerade dabei ein Rat mit neuem Eisen zu beschlagen. Beim Anblick, wie er den Hammer immer wieder auf das Eisen schmetterte, um es zu biegen und an das Holz an zu bringen, ließ ihn kurz zögern. Doch dann riss er sich zusammen. Jaque würde sicherlich nicht den Hammer gegen ihn heben. Soviel Vernunft sprach er ihm zu. Aber er hatte dennoch das Gefühl, dass er gleich etwas an den Schädel bekommen würde. „J-Jaque?“, fragte er vorsichtig. Jaque hielt inne in seiner Arbeit und drehte sich zu ihm herum. Rene machte einen Schritt zurück als er ihn anschaute. Für einen langen, quälenden Moment war wieder dieser finstere Ausdruck. Dann aber verschwand dieser und er legte den Hammer weg. „Rene! Was gibt es denn?“, fragte er. „Ich…ich wollte mich bei dir entschuldigen. Dafür das ich euch gestört habe!“, sagte Rene und versuchte entspannt zu sein. „Ich habe mir nichts dabei gedacht. Ich war einfach nur besorgt, wegen Flora. Nach dem ganzen Zirkus der vergangenen Tage!“ Noch ehe Rene weitersprechen konnte, hob Jaque die Hand und brachte ihm so zum Schweige. „Schon gut. Du musst nicht weitersprechen. Ich bin nicht sauer auf dich!“, sagte Jaque mit einem belustigten Lächeln. Es amüsierte ihn ein wenig, Rene kleinlaut vor sich zu sehen und wie ein kleiner verlegener Junge eine Entschuldigung vor sich hin stammelt. Aber er hatte auch etwas Mitleid. Er ahnte schon, dass Flora ihm deswegen gehörig den Kopf gewaschen hat. Und zu Anfang war er ebenso wütend auf ihn. Doch sein Ärger hatte sich gelegt. Er konnte ja nicht wissen, dass sie beiden sich küssen wollten. Sondern hatte sich Sorgen gemacht. „Du meintest es ja gut!“ Rene fiel sichtlich ein Stein vom Herzen. „Danke, Jaque!“, sagte er mit einem erleichterten Seufzen. „Aber…das nächste Mal ziehe ich dir meinen Hammer über den Schädel!“, sagte Jaque im nächsten Moment und machte dabei ein ernstes Gesicht. Rene zwang sich zu einem Lachen. „Hahaha, guter Witz, Jaque!“, sagte er. Aber Jaque lachte nicht und Rene hatte das ungute Gefühl, dass er dies bitterernst meinte. Flora brach in schallendes Lachen aus, als Rene ihr beim Mittagessen von seinem Gespräch mit Jaque erzählt hatte. Rene machte ein verkniffenes Gesicht und zerpflückte das Brötchen, welches er eigentlich essen wollte. „Ohje, Bruderherz. Das solltest du ernst nehmen!“, gluckste sie. „Wie schön, dass dich meine Angst so sehr amüsiert!“, sagte er bitter. Nur schwer konnte sich Flora wieder beruhigen. „Och…nun sei doch nicht böse. Ich kenne Jaque. Er würde das niemals tun!“, sagte sie und strich ihm beruhigend über den Rücken. „Bist du sicher?“, fragte Rene. Flora lächelte wissend. „Todsicher!“ Das beruhigte ihn nicht wirklich. „Ich an deiner Stelle, würde nicht so große Töne spucken!“, sagte nun ihre Mutter streng. „Ich hätte große Lust, dich übers Knie zu legen und dir den Hintern zu versohlen!“ Flora machte ein entsetztes Gesicht. Ramon lachte leise. „Uns so einen Schrecken ein zu jagen!“ „Aber es ist doch nichts passiert!“, wehrte sich Flora. „Jaque war doch da!“ „Er kann aber nicht immer da sein!“, kam es von ihrer Mutter. „Deine Mutter hat Recht, Flora!“, sagte nun ihr Vater, der nun wieder ernst wurde. „Uns steht sicher noch einiges bevor. Diese Hunde werden sich nicht so einfach zurückhalten lassen. Sie werden weiterhin nach einem Grund suchen…!“ Rene wurde es daraufhin flau im Magen, weil er wusste, dass sein Vater Recht hatte. „Was ist mit Großmutter?“, fragte Rene. Wie als hätte sie es selbst völlig vergessen, schlug Elsa die Hände vor den Mund und sah ihren Mann erschrocken an. „Mutter…! Ramon, Rene hat Recht! Was wenn sie auch noch auf sie losgehen?“ Elsa wurde immer blasser, mit der Silbe, die sie aussprach. „Das werden sie nicht!“, versuchte er ihr zu versichern, aber Elsa wollte sich davon nicht beruhigen lassen. Sie hatte zu große Angst, dass man ihrer Mutter etwas antun würde und Rene konnte ihre Angst gut verstehen. Wenn sie sich einen nach dem anderen aus seiner Familie vornahmen, würden sie als nächstes seine Großmutter vornehmen. „Was macht dich da so sicher?“, verlangte Elsa zu wissen. Sie rang verrückt die Hände. Sah ihren Mann mit großen, flehenden Augen. Ramon hätte alles dafür gegeben, die richtigen Worte zu sagen. Doch er brauchte seine Frau nur an zu sehen, um zu wissen, dass er sie von ihrer Sorge nicht befreien kann. Daher nahm er sie in die Arme und drückte sie an sich. Elsa begann zu weinen. „Ich halte das nicht mehr aus!“, wimmerte sie, so wie Flora, „Wie wäre es, wenn Großmutter bei uns lebt!“, schlug Rene vor. Seine Eltern sahen ihn kurz verwirrt an. Schienen erst nicht zu verstehen. Doch nun schien seine Mutter neue Hoffnung zu bekommen. Sie sah ihren Mann hoffnungsvoll an. „Ramon, bitte!“, flehte sie. „Lass sie bei uns wohnen!“ „Und wie stellst du dir das vor?“, fragte Ramon zweifelnd an. Er verstand, dass seine Frau nach jedem Halm griff, der sich ihr bot. Aber wo sollte sie schlafen? Ihr Haus war nicht groß genug für vier Leute. Aber er traute sich nicht, es laut auszusprechen. Rene kam seinem Vater zur Hilfe. „Sie kann doch in meinem Zimmer schlafen!“ Jetzt, wo er es laut ausgesprochen hatte, klang es in seinen Ohren irgendwie falsch. Wie soll sie die Stufen hochkommen, ging es ihm bitter durch den Kopf. „Wie soll sie die Stufen hochkommen?“, fragte Flora und sah ihn an, als habe er einen dummen Witz gemacht. „Dann eben in der Wohnstube!“ Ramons Augenbrauen wanderten immer weiter nach oben. War wohl von den Vorschlägen seines Sohnes nicht wirklich überzeugt. Und Rene merkte, wie ihm diese schon längst ausgegangen waren. „Vater, bitte. Sie würde uns doch nicht zur Last werden!“, mischte sich nun Flora ein, die wohl sah, dass Rene es nicht allein schaffte. Ramon sah von Rene zu Flora In seinem Gesicht war deutlich zu sehen, dass in seinem Kopf arbeitete. Wog das Pro und Contra ab. Er liebte seine Frau und würde alles tun, um ihr die Angst zu nehmen. Aber er fragte sich auch, wie sie das bewerkstelligen sollten. Er hatte nichts gegen seine Schwiegermutter. Im Gegenteil. Doch wie würde es dann weitergehen? Darüber sollten wir uns keine Gedanken machen, sondern an das hier und jetzt konzentrieren, sagte er sich selbst. „Also gut!“, sagte er und Rene, Flora und seine Frau atmeten erleichtert auf. „Das ist doch lächerlich!“, schimpfte seine Großmutter, während sie einige Habseligkeiten in ihren Beutel packte. „Einfach lächerlich!“ „Aber das Risiko ist einfach zu groß!“, gab Rene zu bedenken. „Bah! Diese Feiglinge würden es nicht wagen, mich an zu greifen. Ich bin zwar alt, aber das heißt nicht, dass ich mich nicht wehren kann!“, murrte sie und zog den Beutel zu. „Trotzdem! Es ist doch nur für ein paar Tage!“ Martha schüttelte nur den Kopf. Als sie aus der Haustür traten und diese wieder schlossen, sah Martha mit kummervoller Miene zu ihrem Haus. Ihr war deutlich an zu sehen, dass es sie schmerzte, ihr Haus, in dem sie aufgewachsen war, verlassen zu müssen. Nur wegen diesen Mistkerlen! Sie hatte zwar gesagt, dass sie sich nicht davor fürchtete. Aber das war gelogen. Gerade weil sie alt war und diesen falschen Heiligen die Meinung gegeigt hatte, würden sie sie als nächstes zu ihrem Opfer machen. Das schien auch ihre Tochter zu ahnen. Jeder aus ihrer Familie. Dass sie wollten, dass sie nun bei ihnen wohnen sollte, zeigte wie sehr sie um ihre Sicherheit fürchteten. Dennoch verspürte sie so etwas wie Wut. Wut auf die anderen, die ihre Familie so sehr zu setzten. Sie zu solchen Maßnahmen zwangen. Martha wollte eigentlich nicht gehen. Aber sie wusste auch, dass ihre Tochter nicht so einfach nachgeben und wahre Todesangst um sie haben würde. Elsa war in dieser Hinsicht wie ein kleines Kind, dass sich vor seinem schlimmsten Alptraum fürchtete. Und wollte auf keinen Fall auch noch ihre Mutter verlieren. Zumindest nicht vor ihrer Zeit. Also blieb ihr nichts anderes übrig als zu gehen. So schwer es ihr auch fiel. Rene sah, dass sie deswegen großen Kummer hatte und verstand es. Doch es war zu ihrer eigenen Sicherheit. Fröstelnd legte er ihr seine Hand auf die Schulter. „Komm, Großmutter. Gehen wir!“, sagte er. Während sie zu Renes Elternhaus gingen, kreuzten einige Dorfleute ihren Weg und kaum, dass sie an ihnen vorbeiliefen, steckten sie die Köpfe zusammen und tuschelten wiedermal. Natürlich waren dies allesamt alte Frauen, die sowieso mit Martha auf Kriegsfuß standen. „Sieh nur. Da läuft die Hexe und der Unglücksjunge!“ „Sie denkt wohl, dass sie in Sicherheit ist, wenn sie zu ihrer Familie geht!“ „Der Blitz soll sie treffen!“ „Ihre ganze Familie! Der Herr soll sie alle für ihr Verbrechen strafen!“ Etwas in Rene zerbrach. Es reichte ihm. Er wusste nicht genau, was genau in ihn gefahren war, aber es gab ihm den nötigen Mut, sich zu den Schandmäulern um zu drehen und seine Antwort ihnen entgegen zu brüllen:„ Wenn hier jemand vom Blitz getroffen werden soll, dann Ihr. Ihr alten Schachteln!“ Jede der Frauen hielt die Luft an, angesichts dieser Beleidigung. Martha hingegen musste sich ein Lächeln verbieten. Ohne auf eine Reaktion der Frauen zu warten, drehte sich Rene herum und ging mit seiner Großmutter weiter. „Das hast du nicht wirklich zu ihnen gesagt?“, staunte Flora, als Martha mit einem breitem Grinsen von Renes scharfen Worten erzählt hatte. Rene kam sich nicht gerade stolz vor, während Flora ihm einen anerkennenden Blick zu warf. Jetzt, wo er sich bewusst gemacht hatte, was er da eigentlich getan hatte, wünschte er sich, es nicht gewagt zu haben. So wie manches andere. Verdammt, wieso? Wieso musste er nur so unvernünftig sein? „Das hättest du nicht tun sollen, Rene!“, sagte Elsa, die alles andere als begeistert war. „Aber Mutter, du hast doch gehört, was sie gesagt haben. Sie wünschen sich unseren Tod!“, wandte Flora ein. „Und wenn das so weitergeht, werden wir auch bald tot sein!“, kam es von ihrer Mutter. Nein, das wird nicht passieren, dachte Rene. Woher auch diese Worte kamen. Der Abend kam schnell und die Nacht schneller. Als wollte eine Macht den Tag und das Dorf in Dunkelheit tauchen. Rene schauderte, während er aus dem Fenster schaute und sich vorstellte, dass es der Wolfsprinz sein könnte. Elsa hatte für ihre Mutter in der Wohnstube ein Schlaflager hergerichtet so gut es ging. Martha machte es sich auf dem provisorischen Bett gemütlich. „Brauchst du noch etwas?“, fragte Elsa, als sie sie zu deckte und die Decke glattstrich. Martha musste etwas lächeln. Das hatte sie zuvor getan, als Elsa noch klein war. Nun aber schienen sie die Rollen getauscht zu haben. „Nein, danke!“ „Dann gute Nacht!“ „Gute Nacht!“, sagte Martha, als ihre Tochter ihr einen Kuss auf die Stirn gab. „Gute Nacht, Großmutter!“, sagte Rene. Flora war schon zu Bett gegangen. Rene wollte so lange wie möglich wach bleiben, wie in ihm die leise Furcht war, wieder die Stimme dieses Teufels zu hören. Er hingegen drückte ihr einen Kuss auf die Wange. „Gute Nacht, mein Junge!“, sagte sie. Rene wandte sich um. Wollte in seine Kammer gehen, doch da hielt sie ihn am Arm fest. Rene drehte sich zu ihre herum und dachte, dass sie noch etwas von ihm wollte. „Sollen die anderen nur reden. Ich fand es sehr mutig, was du heute getan hast!“, flüsterte sie und in ihren Augen sah er Stolz schimmern. Rene lächelte schwach. Konnte sich nur schwach darüber freuen, dass sie immer noch zu im hielt und ihn darin bestärken wollte, sich nicht unterkriegen zu lassen. Wieso dachte sie, dass das mutig war? Sagte sie das nur um ihre eigene Angst zu verbergen? Oder ahnte sie etwas von seinem Geheimnis und wollte ihm allen Mut geben, den er brauchte? Rene war nicht im Stande etwas darauf zu erwidern. Er war viel zu verwirrt. So nickte er nur und ging in sein Zimmer. Die Worte seiner Großmutter beschäftigten ihn noch lange. Ließen ihn nicht einschlafen. Aber auch die Frage, wie es nun weitergeht. Was der nächste Tag bringt. Fragte sich, ob es nun besser oder noch schlimmer wird. Darauf keine Antwort zu finden, machte ihm Angst. Dieses Ungewisse. Er fühlte sich dabei so machtlos. Dabei war er der Verursacher. „Rene…!“ Es war nicht mehr als ein Flüstern, doch es ließ ihn zusammen zucken. Auch wenn er wusste, dass es irgendwann wieder passieren würde, würde er sich niemals daran gewöhnen können. Der Wolfsprinz rief erneut nach ihm. Zuerst wollte er sein Rufen überhören. Sich die Hände auf die Ohren pressen und seine Stimme aus seinem Kopf verbannen. Doch er brauchte sich nur an den Schmerz erinnern, der ihn quälte, wenn er sich dagegen wehrt, um doch zu gehorchen. Es war genauso leicht, wie bei den ersten vorherigen Nächten, sich aus dem Haus und aus dem Dorf zu schleichen. Und der Treffpunkt war der gleiche. Ebenso der Wolf, der schon auf ihn wartete. Rene zögerte kurz, als er das große mächtige Tier sah, welches ihn aus seinen gelben Augen anschaute und förmlich darauf bestand näher zu kommen. Dann aber trat er auf ihn zu und verneigte sich leicht. „Guten Abend!“, grüßte er ihn, begegnete ihm mit Respekt und auch Vorsicht. Der Wolf erwiderte seinen Gruß und nickte mit dem Kopf, dann drehte er sich um und trottete los. Rene folgte ihm. Dabei zählte er die Schritte, die er machte. Elf. Zwölf, Dreizehn… Sah dabei zum Wolf, der ungeachtet dessen weiterlief. Zwanzig, Einundzwanzig, Zweiundzwanzig, Dreiundzwanzig… Als es auf einmal heller wurde, schaute Rene nach oben und sah den Mond. Dieser schien sich in der ganzen Zeit nicht verändert zu haben. Er war genauso voll und rund und warf sein helles Licht auf ihn nieder. Rene wunderte sich. War so wenig Zeit vergangen, dass er immer noch so rund war? Oder hatte der Wolfsprinz da seine Finger im Spiel? War er wirklich in der Lage, selbst den Mond zu beherrschen? Kaum das er zum Mond hochgeschaut hatte, hörte er wieder das Lied in seinem Kopf. Leise und dennoch klar und deutlich zu hören. Es schien eine seltsame Wirkung auf ihn zu haben. Während der Anblick des Vollmondes und die Frage nach der Größe der Macht, die der Wolfsprinz innehatte, ihn schauern ließen, schien das Lied hingegen ihm Mut machen zu wollen. Und irgendwie schaffte es, aus seinem Kopf, über seine Lippen zu kommen. „Und der Wolf singt sein Lied in der Einsamkeit Faolan oh Faolan Heute Nacht wird ich ihn trösten gehen. Faolan Oh Faolan. Und der Wolf klagt sein Leid in der Einsamkeit Faolan Oh Faolan Heute Nacht werd ich ihn wiedersehen Tief im Wald nach tausend Jahren“ Der Wolf spitzte die Ohren, lauschte ohne dabei langsamer zu werden. Doch es war deutlich zu merken, dass er sich fragte, wieso dieser Junge wieder dieses Lied sang. Rene achtete nicht darauf, sondern sang einfach weiter. Versuchte stärker zu klingen, während er weiterging. Sah dabei immer wieder zum Mond hoch, der, außer dem Wolf, ihm stumm zu hörte. „Unterm vollen Mond rufst du mich. Rufst du mich. Dein wildes Herz kommt nicht zu ruh. Seit jener Nacht, die unsre Letzte war. Lang ist´s her. Schon tausend Jahr“ Irgendwann standen sie wieder vor der Felsenwand. Diese öffnete sich sogleich. Alles glich dem ersten Mal, als er hierher kam. So wie auch der Gang, den sie durchschritten. Doch das Gefühl, beobachtet zu werden, blieb aus. Darüber erleichtert, ging Rene weiter. Dennoch sah er aus den Augenwinkeln, dass die Wände von etwas verziert wurden. Flüchtig streifte sein Blick über die Wände, sah nichts weiter als verschwommene Gebilde, die sich zu bewegen schienen. Aber vielleicht spielten ihm seine Augen auch nur einen Streich. Um dem sicher zu sein, blieb er stehen und betrachtete die eingemeißelten Während er weiterging, schienen auch die Bilder sich zu immer mehr zu bewegen, ihm sogar zu folgen. Irgendwann blieb er stehen, um sich sicher zu sein, dass er sich das nur einbildete und war über die eingemeißelten Kunstwerke erstaunt. In einander verschlungene Linien, die fremde Symbole bildeten und auch Tiere darstellten. Rene brauchte nicht lange um zu erkennen, um welche es sich hierbei handelte. Wölfe! Auf der rechten Seite von ihm wurden sie im Rudel, bei einer Jagd auf Rehe gezeigt. Auf der linken wiederum beim friedlichen Zusammenleben miteinander. Eine Art Darstellung der zwei Lebensweisen dieser Tiere, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Renes Blick wanderte von einem anderen. Verglich sie. So furchterregend sie bei der Jagd wirkten, bei der sie kein Erbarmen kannten, so schienen sie bei ihrem Nachwuchs liebevolle Eltern zu sein. Einige der gezeigten Welpen spielten und tollten miteinander umher, während die Eltern sie aufmerksam beobachteten. Andächtig und auch ein wenig fasziniert betrachtete Rene diese, während er weiterging. Wer auch immer diese in das Eis eingraviert hatte, hatte sich wirklich Mühe gegeben, diese in einer Schönheit darzustellen, die Rene erstaunte. Sowohl bei der Jagd, als auch in der Familie. Es schien so, als wären diese Tiere in den Augen des Künstlers mehr als nur Tiere, vor denen man sich fürchten sollte. Sondern als wären diese die schönsten, die es je gegeben hatte. Rene blieb stehen, betrachtete sie eine Weile. Und je mehr er diese anschaute, desto mehr schien er sich in diesen zu verlieren. Besonders ihre Darstellung in der Familie berührte ihn. Er hatte immer gedacht, dass sie wilde Tiere waren. Unberechenbar. Aber hier schienen sie sanftmütig zu sein. So wie die Menschen, dachte ein Teil in ihm. Rene hätte darüber schwach gelächelt, aber irgendwie entsprach das der Wahrheit. Egal ob Wolf oder Mensch. Beide liebten ihren Nachwuchs und waren zu allem entschlossen, diesen und ihre Nächsten zu beschützen. Langsam streckte er die Hand aus und legte sie auf einen Wolf, der über seine Jungen wachte, während die Mutter sie stillte. Statt Kälte unter seinen Fingern zu spüren, fühlte sich das Eis merkwürdig warm an und es schien tief drinnen zu pulsieren. Als würde es leben. Als würde der Wolf leben… Wie seltsam, dachte er. War mehr gebannt als erschrocken davon. Ein leises Bellen holte ihn zurück und er schaute zum Wolf, der einige Schritte vorrausgegangen war und ihn nun etwas ungeduldig anschaute. „Jaja, ich komme ja schon!“, sagte Rene und eilte zu ihm. Mit lautem Knarren schwang die Pforte auf und ließ Rene in den großen Raum eintreten. Er war allein. Mal abgesehen von dem Wolf, der seinen üblichen Platz vor der Pforte einnahm. „Denkst du etwa, ich würde versuchen zu fliehen?“, fragte Rene mit einem leichten bitteren Ton. In den Augen des Wolfes funkelte es kurz und er konnte in seinem Kopf die Worte hören, die der Wolf dachte: „ Ich traue dir nicht!“ Da sind wir schon mal zu zweit, dachte Rene wiederum und setzte sich vor den Kamin. Versucht nicht daran zu denken, dass er wieder hier war. Aber sobald er an Zuhause dachte, war es auch nicht besser. Genauso gut konnte er sich fragen, warum der Wolfsprinz ihn dieses Mal zu sich rief. Er hatte gedacht, dass, nach dem die Frage nach dem Warum geklärt war, er ihn erst mal in Ruhe lassen würde. Aber anscheinend gab es noch einige andere Dinge, die er mit ihm klären wollte. Nur wo war er? Irgendwie wunderte es ihn nicht, dass er ihn wieder warten ließ. Schon etwas unhöflich. Und das bei einem Prinzen, dachte er Rene und musste etwas spöttisch lächeln. Er wartete und wartete. Aus reiner Langeweile und weil er nicht wusste, was er sonst tun sollte außer zu warten, schaute er auf seine Hand. Hielt sie ins Licht des Kaminfeuers und sah die feinen Linien, die sich unter seiner Haut entlang zogen. Rene fruchte die Augenbrauen. Täuschte er sich, oder waren die Linien weiter hochgewandert? Er rückte näher an das Feuer um besser sehen zu können und drehte den Arm. Tatsächlich. Sie waren nun nicht mehr knapp oberhalb seines Handgelenkes, sondern hatten sich bis in die Mitte seines Unterarms hochgearbeitet. Wie war das möglich? Er hatte nichts gespürt. Keinen Schmerz. Keine Kälte… Was war das bloß für ein Teufelswerk? Während er darüber nachdachte, geisterte immer wieder ein Wort durch den Kopf, das ihn schauern ließ. Blutvergiftung! Er hatte schon davon gehört und es auch einmal gesehen. Wenn sich eine Wunde entzündet hatte und nicht gleich behandelt wurde, zog sich eine dunkle Linie von der Wunde hinauf zu seinem Herzen und dann…starb man. Rene Inneres verkrampfte sich, als er sich fragte ob es sich hierbei um so was ähnliches handeln könnte. Und auch wenn er eigentlich nicht die Antwort darauf hören wollte, wusste er, dass nur der Wolfsprinz ihm diese geben konnte. Ansonsten würde er noch das letzte bisschen von Ruhe, die ihr in sich hatte, verlieren. Die Zeit verging und Rene hatte den stillen Verdacht, dass der Wolfsprinz ihn absichtlich warten ließ. Um ihn zu zermürben. Er traute ihm sogar zu, dass er ihn beobachtete. Aber das war natürlich absurd. Nicht mal er würde so was tun. Dafür ist er zu stolz. Irgendwann schaute er zum Wolf, der geduldig warten sollte. „Hat mich dein Herr etwa vergessen?“, fragte er. Der Wolf gab nur einen blaffenden Laut von sich. Wollte ihm so sagen, dass er Geduld haben sollte. Und so langsam begann Rene an seinem Verstand zu zweifeln. Er glaubte tatsächlich den Wolf zu verstehen. Er wollte schon laut aussprechen, dass das alles nur Unsinn sei, aber da hörte er wie die Tür hinter ihm geöffnet wurde und Schritte zu hören waren. Rene brauchte sich nicht um zu drehen, um zu wissen, wer da eingetreten war. „Ich dachte schon, Ihr hättet mich vergessen!“, kam es trocken von ihm. Schaute dabei unentwegt ins Feuer. „Ich hatte noch einiges zu erledigen!“, erwiderte Mandariel kühl und schloss die Tür. Rene wagte es nicht, sich zu fragen, womit? Sicherlich unschöne Dinge. Schnell lenkte er das Gespräch in eine andere, nicht ganz so unheilvolle Richtung. „Wieso hast du mich wieder hierher gerufen?“, fragte Rene daher. „Es wurde doch alles gesagt!“ Mandariel sagte erstmal nichts, sondern griff in seinen Umhang und holte etwas hervor. „Deswegen!“, sagte er und hielt ihm den Dolch. Rene stutzte. Er hatte gedacht, dass er ihn hon längst vernichtet hatte. Zögernd nahm er ihn. Sein verwirrter Blick war deutlich in der polierten Klinge zu sehen. „Wieso gibst du ihn mir wieder?“ „Er gehört dir doch!“, sagte Mandariel. „Hast du keine Angst, dass ich ihn wieder gegen dich einsetze?“ Ein müdes Lächeln huschte über Mandariels Gesicht. „Hast du etwa vor es nochmal zu versuchen?“, war seine Antwort auf Renes Frage. Es war eigentlich keine Frage, denn Rene wusste, dass ein weiterer Versuch, wie der erste, misslingen würde. Und dass er sich über ihn in gewisser Weise lustig machen wollte, ahnte er irgendwie. Er wusste, dass er ihm überlegen war und genoss es wohl in vollen Zügen. Rene verfluchte ihn in seinem Inneren. Doch er verbiss sich jegliches Kommentar. „Nein!“, sagte er matt, nahm den Dolch dann an sich. Hielt den Dolch in seiner Hand. Blickte mit düsterem Blick auf ihn. Das so vertraute Gefühl des Dolches, dass ihm Mut und das Kraft vorher gegeben hatte, hatte er nun ein beklemmendes Gefühl von Schuld und Versagen. Hätte er diesen Dolch niemals schmieden und sich gleich von ihm töten lassen, dann wäre das alles nicht passiert. Mit einem beinahe verächtlichen Laut warf er den Dolch ins Feuer, welches ihn auch gleich umhüllte und an ihm leckte. Sah zu wie der Griff Feuer fing und sich langsam zur Klinge hocharbeitete. Das Eisen begann weiß zu glühen und zu dampfen. Es zischte, als das Eisen langsam zerfloss und in die heißen Holzscheite tropfte. Rene sah dies mit einer schwachen Spur von schwarzer Zufriedenheit. „Willst du ihn nicht behalten?“ „Wozu? Er ist eh wieso nutzlos!“ „Als Erinnerungsstück!“ „Und woran? An mein Versagen? Dass ich so dumm war zu glauben, dir etwas anhaben zu können?“ Renes Laune wurde immer schlechter und er gewann immer mehr den Eindruck, als würde er sich noch mehr über ihn lustig machen wollen. Für ihn stand der Dolch für seinen größten Fehler und daran wollte er nicht erinnert werden. „Nein. Daran, dass du den Mut hattest, es zu tun. Nicht jeder kann sich damit rühmen, mich angegriffen und es überlebt zu haben!“, kam es von Mandariel überrascht ehrlich aufrichtig. Rene staunte. Wollte es schon beinahe glauben. Aber dann sagte er sich, dass das alles sicher nur gespielt war. „Ich sterbe doch so wieso!“, kam es bitter von Rene. „Hast du mich nur deswegen gerufen? Um mir meinen Dolch wieder zu geben?“ „Hast du was anderes erwartet? Das ich dich töte?“ Rene sagte darauf nichts. Er hatte sich irgendwie abgefunden, dass er ihm seinen Wunsch nicht erfüllen würde und irgendwie war er es auch müde, ständig damit an zu fangen. So wie auch der Wolfsprinz. „Du hast es also endlich akzeptiert?“ Bleibt mir eine andere Wahl, fragte sich Rene. Sein Schweigen war ihm Antwort genug. Er nickte. Sehr vernünftig, dachte er. Rene blickte wieder auf seinen Arm. Öffnete einige Male den Mund um ihn zu fragen, was da genau unter seiner Haut war. Was er ihm da eingebrannt hatte. Fand aber nicht die richtigen Worte und verfluchte sich für seine Unfähigkeit. Dabei hatte er es sich vorgenommen. Wollte diese Ungewissheit loswerden. Nun aber saß er da wie ein Sack Mehl und starrte auf seinen Arm. Doch er brauchte auch nichts zu sagen. Mandariel sah auch so, was in Rene vorging. „Du fragst dich, was da unter deiner Haut ist?“, fragte er und holte Rene aus seinen Gedanken. Rene schaute auf und sah Mandariel mit einer Mischung aus Verwirrung und Skepsis an. Es gefiel ihm nicht, dass Mandariel seine Gedanken lesen konnte. Aber sich drüber zu äußern verbat er sich. Es würde nichts bringen. Also nickte er nur schweigend, schaute wieder auf seinen Arm. „Lentus Mors!“, sagte Mandariel sachlich. „Das bedeutet: Schleichender Tod!“ Ich wusste es, dachte Rene bitter und umschloss seinen Unterarm mit der anderen Hand. „Du hast mich verflucht!“, murmelte er dann. Schaute finster in die Flammen. Das war schlimmer als eine Blutvergiftung. Aber das würde zumindest erklären, warum es immer zu schmerzen begann, wenn er sich gegen den Wolfsprinzen auflehnte. Und wieso er stets seine Stimme in seinem Kopf hörte. Mit seinem Fluch hat er mich in seine Gewalt gebracht, dachte er grollend und wünschte sich nun doch, dass er den Dolch aufgehoben hätte. Ich bin nichts weiter als eine Marionette für ihn. „Nein!“, sagte Mandariel. „Nur dafür gesorgt, dass du unsere Abmachung nicht vergisst!“ „Nenne es wie du es willst!“, schnaubte Rene. „Ich nenne es einen Fluch!“ „Wäre es ein Fluch, wäre dieser weitaus schlimmer, als du dir vorstellen kannst!“, kam es von Mandariel ungerührt und in Rene stieg Wut auf. Was konnte schlimmer sein, als schleichendes Gift in seinen Adern zu haben? Das Wissen an einem Fluch zu sterben, der sich hinzog und doch weiter voranschritt. Mit jedem Tag, der verging. Für viele Menschen war der Tod schon das schlimmste. Oft hatte er diese Angst in den Augen der Verurteilten gesehen, wenn sie auf dem Platz zum Galgen geführt wurden und ihnen der Strick um den Hals gelegt wurde. Und während die Schaulustigen vor grausamer Freude aufschrien, wenn der Boden unter dem Verurteilten weggezogen wurde und dieser in die Tiefe fiel, musste er wegschauen. Er konnte es nicht mit ansehen, wenn ein Mensch auf solch eine grausame Art starb. Nur widerwillig war seine Familie auf den Markplatz gegangen, um zu zusehen, wie ein Mensch sterben sollte. Sie schienen die einzigen zu sein, die solch einem Treiben nur zu gern ferngeblieben wären. Doch Martha warnte sie davor, nicht zu gehen. Denn sie wusste wohl, dass die Dörfler auf den absurden und für sie gefährlichen Gedanken kommen würden, dass seine Familie Mitleid für den zu Tode Verurteilten hatte und damit in ein falsches Licht stehen würden. Auch wenn Martha selbst es widerstrebte. Jetzt wo er so darüber nachdachte, begann er die Menschen aus dem Dorf immer mehr zu hassen, die sich an dem Leid und dem Tod eines anderen, der in ihren Augen ein Verbrecher war und es nicht besser verdient hatte, weideten. Und er fragte sich, ob der Tod in den Augen des Wolfsprinzen wirklich zu gnädig sei, während er bei anderen Angst auslöste. Konnte es wirklich noch was viel schlimmeres geben? Rene wollte es sich eigentlich nicht vorstellen und fragte sich dennoch, was diesem Mann nur wiederfahren war, dass er solch voller Grausamkeit war. Der Mord an seinen Vater konnte doch nicht der einzige Grund sein. Fast schon hätte er ihn gefragt, doch biss sich auf die Zunge. Weil er es ihm zu sehr vor der Antwort graute und auch weil er sich sagte, dass es ihn eigentlich nichts anging oder kümmern sollte. Einst hatte seiner Großmutter ihm mal gesagt, dass kein Mensch, egal ob Mann oder Frau schon gut oder böse auf die Welt kam und Rene hatte das ihr geglaubt. Das galt aber wohl nicht für den Wolfsprinzen. Weil er kein Mensch ist, dachte er. Sondern ein… Rene wagte es nicht den Gedanken weiter zu spinnen. Aber das Wort hämmerte immer wieder in seinem Kopf. Dämon…Dämon…Dämon… Rene rutschte etwas weiter weg, schaute in die Flammen. Wollte ihn nicht ansehen. Obwohl die Furcht sich in ihm ausbreitete, wie kaltes Feuer, brachte er dennoch die Worte über die Lippen und versuchte sie mit aller Überzeugung klingen zu lassen. „Ich fürchte mich nicht!“ Mandariel sah ihn nur für einen langen Moment forschend an. Konnte eine gewisse Bewunderung für seine Sturheit nicht unterdrücken. Trotz dass er sich wohl so vor ihm fürchtete und in ihm nicht weiter als ein Monster sah, schien er sich diese Furcht anmerken lassen zu wollen. Wollte ihm zeigen, dass er bereit war. Aber es genügte nur ein Blick auf seine Hände, die er in den Stoff seines Mantels krallte, um zu sehen, dass er alles andere als standhaft war. Dennoch wollte er sterben… Er war wie ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite klammerte er sich ans Leben. Wollte es verteidigen, mit allem was er hatte und auf der anderen Seite sehnte er den Tod herbei. Irgendwie seltsam. „Willst du deswegen so schnell sterben?“, fragte Mandariel und Rene hatte das Gefühl, als hätten seine Worte Gewicht, das ihn niederdrückte. „Ist deine Sehnsucht nach dem Tod so groß? Meinst du nicht, dass das selbstsüchtig ist?“ „Selbstsüchtig?“, platzte es aus Rene und er sah ihn empört an. „Was soll daran selbstsüchtig sein, sich für jemand anderen zu opfern und…argghhh…!“ Wütend drehte er sich von ihm weg und schaute finster in das Feuer. „Es ist doch sinnlos!“ „Genauso wie es sinnlos ist, dich zur Vernunft zu bringen! Dir bewusst zu machen, dass deine Familie über dein Ende am Boden zerstört sein wird!“ „Und wieso nimmst du dann nicht diesen Fluch von mir? Wieso willst du mein Leben, wenn du um den Schmerz meiner Familie weißt! Das klingt doch alles…irgendwie falsch!“ „Jeder stirbt einmal. Früher oder später. Der Tod lässt nicht mit sich verhandeln. Ganz im Gegenteil zu mir!“ Rene sagte nichts, sondern schaute zu Boden. Beobachtete die Flammen, die über den glattpolierten Eisboden tanzten und ihn golden schimmern ließen. Musste seinen Ärger unterdrücken. Wie konnte sich der Wolfsprinz nur mit dem Tod vergleichen? Der Tod war zwar etwas Tragisches und endgültig. Aber er war natürlich. Der Wolfsprinz hingegen…seine Grausamkeit…nicht… Das war wirklich ein geschmackloser Scherz. Doch darüber ein Wort zu sagen, wäre sinnlos. Wie alles andere auch. Das einzige, was er tun konnte, war sich damit zufrieden zu geben. So schwer und so wider es ihm auch war. Erneut schaute er auf seinen Unterarm. „Wie…wie wirkt dieser Fluch?“, fragte er vor sich hin. Er konnte nicht leugnen, dass er es wissen wollte. Obwohl er es sich schon denken konnte. Wenn er schon durch diesen Fluch sterben würde, so wollte er wissen, wie dieser ihn tötete. Mandariel sagte nichts, sondern nahm seinen Unterarm und betrachtete ihn wie ein Arzt. Ohne etwas zu sagen, nahm er den Finger und ließ ihn leicht spürbar über Renes Haut wandern. Folgte den Linien. Rene lief es kalt den Rücken runter, bei dieser Berührung. Es war aber nicht unangenehm. Er fühlte, wie sein Herz wild in seiner Brust zu hämmern begann und er fürchtete, aus einem ihm nicht bestimmten Grund, dass der Wolfsprinz es hören könnte. Fragte sich dabei wieso sein Herz so schnell schlug und wieso er es zuließ. Er müsste seinen Arm doch eigentlich wegreißen. Ihn von sich wegstoßen. Stattdessen blieb er still sitzen und sah zu, wie sein Finger auf und ab wanderte. Neben dem Schauer, der immer und immer wieder seinen Rücken hinunter lief, spürte er auch, wie sich die feinen Haare auf seinem Unterarm aufstellten. So als würde er frieren. Aber er fror nicht. Stattdessen spürte er Wärme in sich aufkommen. Was ist das bloß? Wieder ein Trick von ihm? „Das Eis umhüllt deine Blutgefäße. Doch es wird weiterhin fließen. Es durch die Blutbahnen weitertragen, durch deinen Körper. Es wandert immer weiter hinauf, bis zu deinem Herzen!“, erklärte Mandariel, der wohl nichts von Renes Reaktion bemerkte. Sein Finger wanderte nun weiter. Über Renes Oberarm, seiner Schulter, über seine Brust und dann zu der Stelle, wo sein Herz hämmerte. Verweilte nun dort. Rene schluckte, weil sich auf einmal sein Hals trocken anfühlte. Betete, dass der Prinz das Pochen seines Herzen nicht bemerkte. Um sicher zu sein, fragte er:„ Werde ich Schmerzen haben?“ Er war erschrocken, wie sehr seine Stimme zitterte. Wieso brachte ihn der Wolfprinz so aus der Fassung? Mandariel schüttelte den Kopf. „Nein, wenn es so weit sein wird, wirst du nichts spüren. Es ist wie als wenn du einschlafen würdest. Dein Herz wird schwächer werden und dann aufhören zu schlagen!“ „Ein sanfter Tod!“, murmelte er. „Das hätte ich nicht gedacht!“ „Ich sagte doch, wäre es ein Fluch, wäre dieser weitaus schlimmer, als du dir vorstellen kannst!“ Wieder einmal hatte der Herr den Jungen. Warum auch immer. Hatte er zu Anfang gedacht. Als er sah, dass sein Herr ihm den Dolch wiedergeben wollte, fragte er sich, ob er noch bei Verstand sei. Er sollte doch wissen, dass dieser Junge den Dolch ohne zu zögern wieder gegen ihn richten würde. „Haltet Ihr das wirklich für klug?“, hatte er ihm ins Gewissen geredet. „Was wenn er es wieder versucht?“ Aber sein Herr schob seine Bedenken beiseite. „Das wird er nicht. So dumm ist er nicht!“ Mandariel schien sehr überzeugt davon zu sein. Ardou aber nicht. Daher hielt er sich in der Nähe auf und beobachtete sie. Rechnete damit, dass der Junge Mandariel mit dem Dolch angriff. Wenn das der Fall wäre, würde er nicht zögern, und ihm die Kehle durchbeißen. Doch nichts dergleichen passierte. Das wunderte Ardou ein wenig und sein Wundern wurde größer, als er sah, wie Rene den Dolch ins Feuer warf. Was hatte ihn dazu gebracht? Vielleicht das Einsehen, dass es nichts bringen würde. War er doch noch vernünftig geworden? Wobei konnte er sich das bei diesem jungen Heißsporn nicht vorstellen. In seinen Augen sah er nicht so aus, als würde er sich einfach so fügen. Und doch musste er sich etwas dabei gedacht haben, dass ihn dazu brachte die einzige Waffe, die etwas gegen den Wolfsprinzen ausrichten konnte, zu verbrennen. Aber wer weiß. Vielleicht sah er es endlich ein. Dennoch blieb er misstrauisch. So stand er auf dem Balkon und schaute hinunter ins Tal. Sah das Dorf. Seine Bedenken, was diesen Jungen anging, war deutlich auf seinem Gesicht zu sehen. Fragte sich, was er von ihm halten sollte. Er war dabei so sehr in Gedanken versunken, dass er erst die zierliche Frau bemerkte, als sie neben ihm stand und ihn ansprach:„ Was geht dir durch den Kopf?“ „Dieser Junge!“, sagte er. Die Frau nickte. „Was hälst du von ihm, Nima?“, fragte er nun. Ardou und drehte sich zu ihr herum. Sie hob die Schultern. „Er ist zwar ein wenig ungehobelt. Aber ich glaube, er hat ein gutes Herz!“, sagte sie und tippte sich mit dem Finger ans Kinn. „Ein guter Sänger ist er zumindest!“ Ein freches Grinsen huschte über ihr Gesicht. Ardou sah sie zweifelnd an. Sie klang wie ein Mädchen, das für einen Jungen schwärmte. Dabei war sie so alt wie er. Aber sie war auch eine Frau. Und Frauen neigten wohl zu romantischen Dingen, wie wenn ein Mann sang. Mochten sie menschlichen oder wölfischen Blutes sein. Das spielte wohl keine Rolle. Dennoch missfiel ihm das. Sie war ebenso verpflichtet ihm zu dienen und ihn zu schützen, wie Ardou selbst. Und sollte sich davon nicht einwickeln lassen. „Mal von seinem Gesang abgesehen. Fragst du dich nicht auch, was sich der Herr dabei gedacht hat?“, fragte er. „Sicher, sein Handeln ist wirklich ungewöhnlich. Ich habe auch nicht erwartet, dass er dich davon abhielt ihn zu töten!“, sagte sie nun nachdenklich. „Was hat ihn wohl dazu gebracht?“ „Ich habe keine Ahnung. Aber ich werde diesen Jungen im Auge behalten. Ich traue ihm nicht!“, knurrte Ardou. Nimas Gesicht nahm auf einmal einen traurigen Ausdruck an. In ihr kam ein Verdacht, oder vielmehr ein Gedanke, der zwar nicht angenehm war. Aber sie dennoch nicht los ließ. Wie alle Wölfe wusste sie von der Prophezeiung, in der es um ihren Herrn ging und es ließ ihr das Herz schwer werden, bei dem Gedanken, dass sich diese bald erfüllen könnte. Auch wenn Ardou sicher nicht begeistert sein wird, wenn sie es aussprach, musste sie es tun. Zögernd begann sie. „Glaubst du…glaubst du er könnte es sein, der…!“ Ardou drehte sich zu ihr herum und seine Augen durchbohrten sie augenblicklich. Denn auch wenn sie es nicht ausgesprochen hatte, wusste er, von was sie da sprach. „Der die Prophezeiung wahrwerden lassen könnte?“, wagte es Nima dennoch, kämpfte dabei darum ihre Stimme nicht beben zu lassen. Jedoch war ihr an zusehen, dass sie sich nun vor Ardou und seiner Reaktion fürchtete. Sie machte einen Schritt zurück, um seiner Wut ein wenig zu entgehen. Wartete dabei darauf, dass er seine Hand gegen sie erhob. Sie waren beide zwar Wölfe, aber er stand über ihr. Noch einige Minuten hielt er seinen unbarmherzigen Blick auf sie gerichtet. Doch statt sie für ihre unmöglichen Worte zu strafen, wandte er sich ab. Stützte sich dabei an der Brüstung ab. Seine Finger bohrten sich dabei in das Eis von dieser und hinterließen tiefe Risse. In seinen Augen funkelte es bedrohlich. „Wenn er es ist, dann werde ich ihn erst recht töten!“ *Das die dunkle Linie, die sich von der Wunde zum Herzen vorarbeitet und zum Tod führen kann, ist leider nicht wirklich das klassische Merkmal einer Blutvergiftung... Das Symptom deutet auf eine Entzündung der Lymphgefäße hin, eine Lymphangitis. Es ist also kein eindeutiges Zeichen für eine Sepsis, sondern lediglich ein Hinweis auf eine örtliche Entzündung. Aus einer solchen Entzündung kann sich allerdings – wie aus jeder Infektion – im ungünstigen Fall eine Blutvergiftung entwickeln. Die Lymphangitis sollte deshalb trotzdem rasch ärztlich behandelt werden, damit es möglichst gar nicht erst zu einer Blutvergiftung kommt Aber damals mussten die Leute das wohl geblaubt haben... Kapitel 10: Verborgenes Verlangen --------------------------------- Rene war umgeben von Dunkelheit und Stille. Er hörte nichts. Nicht mal das Schlagen seines Herzens konnte er hören und das machte ihm Angst. Wo war er? Wie war er hierhergekommen? Er wusste noch, dass er wieder nachhause gekommen war und sich ins Bett gelegt hatte. Aber was war dann geschehen? Hatte der Wolfprinz ihn irgendwie wieder zu sich geholt? Was wollte er noch von ihm? Rene versuchte sich zu rühren, aber er musste erschrocken feststellen, dass sein Körper ihm nicht gehorchte. Er fühlte sich schwer wie Blei an und Angst ergriff ihn. Wenn der Wolfsprinz wirklich dahinter steckte, was hatte er vor mit ihm und wie konnte er sich dagegen wehren. Er öffnete den Mund oder glaubte es zumindest, es zu tun und versuchte zu rufen. Doch auch seine Stimme schien ihm den Dienst zu verweigern. Immer mehr und mehr wurde er von Angst ergriffen. „Was ist nur mit mir? Wieso gehorcht mir mein eigener Körper nicht?“ Er versuchte mit aller Kraft sich zu rühren. Aber sein Körper blieb unbeweglich wie ein Stein. „Weil er dir schon lange nicht mehr gehört!“, hauchte eine Stimme und es lief ihm kalt den Rücken hinunter. Diese Stimme! Sie klang so weit weg, aber dennoch hörte sie deutlich nahe an seinem Ohr. Rene wagte es nicht, nach dem Ursprung der Stimme zu suchen, da er es sich sowieso denken konnte, wer da diese Worte zu ihm geraunt hatte. „Was hast du mit mir gemacht?“, hörte er sich sagen. „Nichts!“ Noch ehe Rene diese Worte als eine Lüge beschimpfen konnte, spürte er wie etwas sanft über seine Brust strich. Rene stockte der Atem, wobei er froh war, dass er überhaupt atmen konnte. Aber diese Berührung ließ ihn erstarren. Jeder Muskel in ihm verkrampfte sich. Wieder wünschte er sich, die Gewalt über seinen Körper wieder zu erlangen, um dieses Etwas, was ihn an eine Hand erinnerte, weg zuschlagen. Aber dieser blieb ihm versagt und so blieb ihm nichts anderes übrig, als die Hand, die er zweifellos für des Wolfsprinzen hielt, gewähren zu lassen. Immer wieder strich sie über seine Brust, wurde dann fordernder, dreister. Wanderte hinunter zu seinem Bauch und wieder zu seiner Brust, wobei sie sich Zeit ließ. Rene wurde übel. Alles in ihm schrie danach, sich von dieser aufdringlichen Hand zu befreien und diesem Wolfsprinzen eine zu verpassen. Seine Gedanken aber blieben nichts weiter als leere Hoffnungen, die sich niemals erfüllen würden. Der Wolfsprinz schien zu spüren, wie es Rene anwiderte. Lachte leise. „Ist es dir so unangenehm?“, fragte er und Rene hätte am liebsten höhnisch über dieser dumme Frage gelacht, wenn da nicht eine weitere Hand gewesen wäre, die sich zu der ersten gesellte und ebenso seinen Körper erforschte. „Das reicht! Hör sofort auf damit!“, forderte Rene brüllend, wobei kein einziges Wort seine Lippen verließ. „Aber wieso…? Es scheint dir zu gefallen!“ Niemals. Niemals gefällt mir das, schrie es in ihm wieder. „Bist du dir da sicher?“ Bevor Rene darauf antworten konnte, fühlte er wie sein Körper aus seiner Starre erwachte. Zumindest das, was seine Haut anging. Dort, wo die unsichtbaren Hände des Wolfsprinzen ihn berührten, verursachten sie ihm eine Gänsehaut und ließen wieder diese Schauer über seinen Rücken wandern, wie zu vor, als er mit dem Finger über seinen Arm und zu seinem Herzen wanderte. Das Herz in seiner Brust schlug schnell. So schnell, dass er sein Blut in den Ohren rauschen hören konnte. Sein Atem zitterte und ihm drehte sich der Kopf. Was machte er nur mit ihm? Wieso berührte er ihn so? Rene fühlte sich, als würde er schweben und doch so schwer wie Stein sein. Als wäre er nicht wirklich hier. In seinem Inneren tobte ein Chaos von Gedanken und Gefühlen, und Rene war nicht imstande werde von dem einen noch das andere etwas zu greifen. Die Hände hingegen schienen zu wissen, was sie taten. Immer mehr strichen sie über seinen Körper. Ließen ihn erschauern. Diese Berührungen… Fast schon dachte Rene, wie sanft sie waren. So unerwartet sanft. Beinahe wollte er sich ihnen schon hingeben. Doch dann schallt er sich, sich davon nicht einwickeln zu lassen. Rene versuchte sich dagegen zu wehren. Zwar nicht körperlich aber dafür mit Worten. Er verfluchte und beschimpfte ihn. Doch das schien dem Wolfsprinzen nicht zu kümmern. Stattdessen ließ er seine Hände nun eine neue Richtung einschlagen, die nach unten führte. Tief nach unten. Viel zu tief für Rene. Auch wenn er nicht in der Lage war, die Gedanken des Wolfprinzen zu lesen, so wusste er, wo er ihn als nächstes berühren wollte. Der Schrecken fuhr ihm in alle Glieder und schien ihm die nötige Kraft zu geben, sich endlich aus seiner Gefangenschaft zu befreien. „Nein!“, schrie er und sprang auf. Die plötzliche Helligkeit, die die Dunkelheit ersetzte, ließ ihn fast blind werden und Rene schloss die Augen. Wartete, bis sich die Helligkeit hinter seinen Augenlidern ein wenig gelegt hatte und öffnete sie dann wieder. Verwirrt stellte er fest, dass es nicht Tag war, sondern Nacht. Und er war in seinem Zimmer. In seinem Bett. Was war nur geschehen und wie? Hatte er sich das alles nur eigebildet? Was das nichts weiter als ein Traum? Aber es fühlte sich so real an. Rene wollte sich darüber keine weiteren Gedanken machen, obwohl es ihn beschäftigte und ihn nicht loslassen wollte. Derartig zerknirscht kam er runter und setzte sich an den Frühstückstisch. Flora sah natürlich, dass ihr Bruder eine schlechte Nacht hatte. Sprach ihn aber nicht darauf an. Ganz im Gegensatz zu seiner Großmutter. „Himmel, Rene. Junge, was ist denn mit dir passiert?“, fragte sie und schlug erschüttert die Hände auf die Brust. „Ich hatte einen…Alptraum!“, sagte Rene bloß und ließ sich auf den Stuhl plumpsen. „So wie du ausschaust könnte man meinen, der Teufel hätte seine Klaue nach dir ausgestreckt!“, sagte Martha düster und Rene verzog das Gesicht. Der Teufel wohl nicht. Wobei er in dem Wolfsprinzen wirklich den Leibhaftigen sah. Aber daran wollte er nicht weiterdenken. „Es geht schon!“, sagte Rene und schnitt ein Brötchen auf. Während des ganzen Tages saß Rene im Garten hinter dem Haus und schaute auf seinen Unterarm. Er musste immer wieder daran denken, was der Wolfsprinz ihm zu dem Mal erklärt hatte. Es ist also eine andere Form von Blutvergiftung, dachte er und schauderte. Ich weiß nicht, ob mich das beruhigen oder noch mehr beunruhigen sollte. Im Tageslicht war das Eismal kaum zu sehen. Jedoch meinte er es nun deutlich unter seiner Haut zu spüren. Konnte die Linien schwach unter seiner Haut spüren. Nachdenklich fuhr er mit dem Finger darüber. Genauso wie es Mandariel getan hatte. Bei dieser Erinnerung zuckte er zusammen und hörte auf. „Na, was sitzt du hier so allein?“, fragte plötzlich seine Schwester, die neben ihm stand und Rene schrak kurz hoch. „Ich…ich muss nachdenken. Über einige Dinge!“, sagte er. Flora setzte sich neben ihn. „Und worüber musst du nachdenken?“ „Über…über einige Dinge, die mich einfach nicht loslassen!“, kam es von ihm und schaute immer noch auf seinen Arm. Flora folgte seinem Blick. Natürlich konnte sie das Mal nicht sehen, aber sie ahnte, dass etwas auf oder unter seinem Arm war, was ihm so Kopfzerbrechen bescherte. „Willst du darüber reden?“, fragte sie. „Ich glaube, im Moment bist du die einzige, der ich es sagen kann!“, seufzte er und erzählte ihr, was er gestern über das Mal erfahren hatte. „Wie schrecklich!“, flüsterte sie, als er geendet hatte. „Ich frage mich immer noch, wieso er mich nicht gleich getötet hat!“, kam es von Rene. Flora legte eine Hand auf seinen Arm. „Darüber solltest du nicht weiter nachdenken!“, sagte sie. Sie wusste genauso gut wie er, dass es nichts bringen würde. Und Rene wollte es versuchen. Der Rest des Tages verging ohne irgendwelche Zwischenfälle, wofür Rene wirklich dankbar war, aber er fragte sich auch, für wie lange diese Ruhe halten würde. Er hatte den stillen und äußerst beunruhigenden Verdacht, dass das die Ruhe vor dem Sturm war. Dieser brach auch eines Tages los, als es am späten Nachmittag an der Tür klopfte und der Verwalter des Dorfes vor der Tür stand. Ein hagerer Mann mit schwarzen strähnigen Haaren und einem harten Gesicht. Seine Augen funkelten immer wie schwarze Steine. Hart und kalt. Er war immer ganz in schwarz gekleidet und erinnerte an den Gevatter Tod. So wie auch heute. Ramon war sichtlich erstaunt, dass er sie aufsuchte. „Monsieur Jardo‘ n, was verschafft mir die Ehre?“, fragte er und ließ den Mann eintreten. Dieser sagte nichts, sondern klopfte sich den Schnee aus dem Mantel und sah ihn dann finster an. „Ich bin hier um Euch zu sagen, Ramon, dass Eure Miete für das Haus angehoben wurde!“, sagte er kühl und Ramon blinzelte. Verstand zuerst nicht, was der Verwalter da gesagt hatte. Aber dann begriff er. „Angehoben? Um wieviel?“ „Um zwanzig Silberstücke!“ „Was? So viel?“, kam es erschrocken von Ramon. „Aber wie soll ich das bezahlen können?“ „Das ist dein Problem. Nicht meins. Zahle den Preis oder verlasse mit deiner Familie das Haus!“, sagte der Verwalter unnachgiebig. Ramon war fassungslos und konnte immer noch nicht glauben, was der Mann da von ihm verlangte. Aber dann wurde seine Erschütterung von finsterer Vorahnung überschattet. „Ist es auch bei den anderen so? Oder muss nur ich mehr zahlen? Etwa weil mein Sohn Verderben über das Dorf gebracht hat?“ In Ramons Stimme war deutlich zu hören, dass er diesem Mann zu gerne den Hals umgedreht hätte. Und dass er den Grund dafür erraten hatte. Dass alles konnte kein Zufall sein. Diese Elenden versuchten wirklich alles, ihnen das Leben schwer zu machen. Der Verwalter sah dies natürlich. Versuchte sich aber nichts anmerken zu lassen und straffte die Schultern. „Sei kein Narr. Natürlich müssen die anderen ebenso mehr zahlen wie du. Durch den harten Winter ist die Handelsstraße unpassierbar und wir haben nicht genug Geld, um diese von dem Schnee zu räumen, damit immerhin die Hälfte von den Händlern hierherkommen kann!“, sagte er. Ramon musste sich ein spottendes Lachen unterdrücken. Mit dem Wort wir, meint er wohl, den Bürgermeister und sich selbst. Er wusste auch, dass die Händler sich wenig bis gar nicht hierher bemühten. Aus Furcht vor den Wölfen, die nun diese Zeit nutzten um zu jagen. Am liebsten hätte er diese Vogelscheuche gepackt und aus seinem Haus geworfen. Doch das hätte sicher nur noch mehr Ärger nach sich gezogen. Vielleicht sogar für den direkten Rausschmiss aus ihrem Haus gesorgt. Also ließ er es. Doch das hieß nicht, dass er den Verwalter nicht mit bösen Blicken strafte. Dieser schien sich davon nicht einschüchtern zu lassen. Sondern drehte sich um und ging. Ramon stand noch einige Minuten da, stieß dann einen wütenden Laut von sich. „Müssen wir unser Haus verlassen?“, fragte Flora. Sie und Rene von der Treppe aus alles mitbekommen und die Sorge zeigte sich auf ihren Gesichtern ab. Ramon schüttelte den Kopf. „Nein. Macht Euch keine Sorgen deswegen. Das werden wir schon schaffen!“, versicherte er ihnen. Flora und Rene hingegen sahen sich mit zweifelnden Blicken an. Sie wussten, dass ihr Vater sie nur beruhigen wollte. Dabei war er sich selber nicht mal sicher, wie das schaffen sollten. „Ich kann mir doch eine Stelle suchen. Sicher wird mir jemand eine Arbeit geben!“, sagte Flora am Abend, als sie sich zusammen setzten. „Kommt nicht in Frage. Wer weiß, wer dich einstellt?“, sagte ihr Vater. „Das sieht diesen Halsabschneidern ähnlich. Zu solch einem Mittel zu greifen um uns das Leben schwer zu machen!“, schimpfte Martha erbost und schüttelte die Faust. „Mutter, bitte!“, sagte Elsa. „Sich darüber aufzuregen, bringt doch nichts!“ „Ach…lass mich doch. Ich habe allen Grund dazu…!“ „Denk an dein Herz!“, bat Elsa sie wieder. Aber Martha dachte nicht daran. „Ich würde diesem Aasgeier am liebsten meinem Stock über den Schädel ziehen!“ „Und dann nur noch mehr Pech über uns bringen?“, fragte Elsa. „Das kann man doch nicht mehr überbieten!“, sagte nun Flora schwermütig. „Diese Halunken werden sich sicher noch das eine oder andere ausdenken!“, murrte Martha und zerknüllte die Decke in ihren Händen. „Wir sollten nicht weiter darüber nachdenken!“, sagte nun Ramon um die aufgebrachte Stimmung zu besänftigen. Konnte aber die nächsten Worte nicht für sich behalten, weil er selbst sich Sorgen machte. „Zumindest nicht für heute!“ Noch lange blieben alle wach und jeder hing seinen Gedanken nach. Rene wollte genauso wenig wie seine Eltern, dass Flora arbeiten ging. Sie brauchten sie in der Bäckerei und Rene wollte sich, jetzt wo seine Großmutter es ausgesprochen hatte, auch nicht vorstellen, wer sie anstellen würde… Sie aber davon ab zu halten, würde auch nichts bringen. Flora war da in dieser Hinsicht genauso ein Dickkopf wie er. Und er fragte sich, was er tun konnte. Vielleicht sollte er sich eine zusätzliche Arbeit suchen? Aber wer würde ihn einstellen? In den Augen der anderen war er ein Verbrecher. Keiner würde ihm eine Stellung geben. Trotzdem musste er es versuchen. Zumindest so wollte er seinen Eltern helfen. „Du fragst mich, ob ich dich einstelle?“, fragte Geoffrey, der Metzger, als Rene ihm am nächsten Tag aufsuchte und ihn nach Arbeit fragte. Rene hatte sich in aller Früh aufgemacht und war zuerst zum Fleischer gegangen. Er hoffte, dass er ihm eine Arbeit geben würde. Da er keinen Lehrling hatte und alles allein machen musste. Doch jetzt, wo er ihm gegenüber stand und sah, wie finster er ihn anschaute, bekam er doch Zweifel. Nicht zuletzt weil er gerade ein mit frischem Blut verschmiertes Fleischerbeil in der Hand hielt. Rene schluckte. Nickte dann und hoffte, dass Geoffrey ihm dieses nicht in den Schädel rammen würde. Sicherlich war er ebenso gegen ihn und seine Familie. „Ja, ich…ich dachte, du brauchst Hilfe!“ „Von dir nicht!“, schnaubte Geoffrey und ließ das Beil nachunten sausen. Spaltete einen mit Fleischbedeckten Knochen. Rene zuckte zusammen. Mehr brauchte Geoffrey auch nicht zu sagen und Rene würde sich hüten, noch etwas zu sagen. Rückwärts ging er aus der Fleischerei raus und atmete hörbar aus. Da er diese angehalten hatte. Nun das war wohl nichts, dachte er. Aber was anderes habe ich eigentlich erwartet. Dennoch muss ich es weiter versuchen. Doch Geoffrey war nicht der einzige, der ihn abwies. Jeder den er fragte, schien nicht zu wollen ihn bei sich als Aushilfe aufzunehmen. Speiste ihn mit fadenscheinigen Ausreden ab oder schlug ihm gleich die Türe vor der Nase zu, kaum dass sie diese geöffnet hatten. Erschöpft und auch niedergeschlagen schlich er nachhause und ließ sich mit einem schweren Seufzen auf den Hocker fallen. Außer ihm und seiner Großmutter war das Haus leer. Martha sah ihm sofort an, dass er mehr als nur niedergeschlagen war. „Was hast du, Rene?“, fragte sie sanft. „Ich habe jeden gefragt. Aber keiner will mir eine Arbeit geben!“ „War das nicht vor herzu sehen?“, kam es nachsichtig von ihr. „Auch Flora wird sicher nicht von jemandem eingestellt werden. Und wenn doch, dann nur aus den falschen Gründen!“ Rene verzog angewidert das Gesicht. „Aber etwas muss ich doch tun!“, murmelte er mehr zu sich selbst. Martha lächelte mild und tätschelte ihm die Hand. „Es ehrt dich, dass du es auf dich aufnehmen willst. Aber nicht mal das ehrlichste Herz kann etwas gegen die Bosheit verdorbener Seelen ausrichten!“ Rene schlug die Augen nieder. „Soll mich das jetzt trösten?“ Martha hob die Schultern. „Sehe es so oder anders. Für mich jedenfalls scheinst du das einzige Licht zu sein, in der Dunkelheit!“ Rene wurde rot. Ihm war es unangenehm, dass seine Großmutter ihn so sah. Es hatte etwas schwülstiges… „Bitte sag sowas nicht!“, würgte er. Martha lachte leise. Rene spürte wieder diese Hände auf seinem Körper, die da weitermachten, wo sie letzte Nacht auf gehört hatten und gingen dieses Mal etwas weiter. Ungehemmt strichen sie über seine Haut. Berührten dabei flüchtig und doch intensiv seine Brust und dessen empfindliche Brustwarzen. Neckten sie. Rene keuchte und stöhnte. Wand sich dabei umher und versuchte sich diesen aufdringlichen Berührungen zu entziehen. Aber egal wohin er seinen Leib drehte, die Hände schienen ihm zu folgen. Wurden fordernder und reizten ihn bis aufs Äußerste. Ein Schauer nach dem anderen lief ihm dabei den Rücken entlang. In seinem Kopf begann es sich zu drehen und er war nicht in der Lage auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Sondern hörte nur sein Seufzen und Stöhnen und auch diese Stimme, die er schon bei seinem ersten Traum, der diesem ähnelte, hörte. „Wieso wehrst du dich so sehr dagegen? Anstatt es zu zulassen?“, flüsterte sie. Rene verkrampfte sich dabei. Die Hände schienen es endgültig auf die Spitze zu treiben. Wanderten weiter hinunter zu seiner Hüfte. Glitten über die empfindliche Haut, wo sich sein Bauchnabel befand und ließ die Berührungen weiter, immer weiter nachunten ausufern. „Niemals…!“, schrie es in Rene. „Ich werde nicht zulassen, dass du…hnng!“ Sein Protest ging unter, als er nun spürte, wie die Hände sich in seinen Schritt hervorarbeiteten und nun über seine Männlichkeit strichen. Kalter Schweiß brach ihm sogleich auf seiner Stirn aus. Schlug nach den unsichtbaren Händen, doch sein Körper gehorchte ihm nicht. Schien es stattdessen an seiner Stelle zu zulassen. Entsetzt darüber schrie er in die Leere sein Entsetzen hinaus. Während diese Hände immer wieder über seine Männlichkeit strichen und sie reizten. Wo die erste Berührung noch kaum zu spüren war, wurde sie nun fordernder. Immer ungezügelter. Rene konnte, mit seinen Schreien vermischt, auch sein Herz hören, dass wie wild in seiner Brust hämmerte und das Blut in seinen Ohren rauschte. Sein Atem ging schwer und angestrengt. Was macht dieses Ding nur mit ihm? Wieso quälte es ihn so? Irrwitziger weise gab es in ihm einen Teil, tief verborgen, der nichts Quälendes daran fand. Sondern diese Berührungen zu genießen begann. Dieser Teil fing an, Rene an zu stacheln, sich diesen Berührungen vollends hin zu geben. Doch Rene schrie diesen an still zu sein. Versuchte wieder sich dagegen zu wehren. „Du kannst dich nicht länger dagegen wiedersetzen!“, zischte die Stimme und wie als wollte sie ihm doch die Gnade gewähren, nach der er verlangte, entließ sie ihn aus ihrer Gewalt und ließ ihn erwachen. Zitternd und fassungslos lag er in seinem Bett und fragte sich, wer oder was ihn so quälte und wieso. Es brauchte einige Minuten, ehe er sich wieder beruhigt hatte und genug Kraft hatte, auf zu stehen. Mit immer noch zitternden Händen zog er sich an. Dabei vermied er es, in den Spiegel zu schauen. Aus einem ihm nicht erfindlichen Grunde fürchtete er wieder die Augen des Wolfsprinzen zu sehen. Es reichte schon, wenn er seine Stimme hörte und seine Hände spürte. Zwar war es nur in seinen Träumen, aber er war sich sicher, dass es die seinen waren. Dabei fragte er sich auch, wieso er das tat? Was hatte er davon? Rene wurde einfach nicht schlau aus ihm. Hatte er eine Neigung, die er bisher meisterlich verborgen hatte und sie nun in seinen Träumen auslebte? Aber irgendwie schien das nicht zu ihm zu passen. Er verhielt sich ihm stets zurückhaltend. Distanziert. Kühl, wenn er ehrlich sein sollte. Und schien auch kein Interesse an ihm zu haben. Wieso also das Ganze? Noch über den ganzen Tag beschäftigte ihn diese eine Frage. Nur halbwegs konnte er seine Arbeit in der Bäckerei verrichten. Gedankenverloren fegte er die Krümel vom Boden zu einem Haufen zusammen. Glaubte darin ein Gesicht zu sehen. Das Gesicht des Wolfsprinzen! Schnell wischte er es weg. Wollte nicht einen Moment sein Gesicht sehen. Nicht nach dieser Nacht. Doch es verfolgte ihn den ganzen Tag und ließ ihn immer wieder erschauern. Irgendwann hielt er es nicht mehr aus. Als die Arbeit getan war, eilte er nach Nachhause. Seine Eltern und Flora blieben noch in der Bäckerei. So waren er und seine Großmutter allein. Martha hatte sofort gesehen, dass etwas mit ihre Enkel nichts stimmte und bot ihm einen heißen Tee an. Diesen verweigerte Rene überhaupt nicht. Mit zitternden Händen nahm er die Tasse und nippte daran. Seine Großmutter schaute ihn eine Weile nachdenklich an. Sah das Zittern seiner Hände und wie fahrig seine Augen umher wanderten. Doch sie wollte warten, bis Rene sich etwas beruhigt hatte. Sie war noch niemand gewesen, die mit der Tür ins Haus fiel. Und Rene wusste, dass sie darauf wartete zu hören was ihm so zu schaffen machte. „Hattest du schon mal schlimme Träume gehabt?“, fragte er zögernd. „Du meinst Alpträume? Ja! Schon oft!“, sagte Martha. „Wieso? Hast du welche?“ Rene lächelte bitter. Schüttelte aber den Kopf. „Nein. Zumindest nicht diese, die ich als Kind hatte!“, sagte er. Martha sah ihn mit gerunzelter Stirn an. „Und was für Träume sind es dann?“ Nun wurde Rene unwohl. Es war ihm gerade zu unangenehm mit seiner Großmutter darüber zu sprechen. Was mochte sie von ihm dann denken? Krampfhaft suchte er nach den richtigen Worten, die seine Großmutter nicht entsetzen würden. „Ich kann sie nicht genau beschreiben. Um genau zu sein sehe ich nichts außer Dunkelheit. Es gibt nichts anderes…ich sehe nichts und niemanden und dennoch höre und spüre ich, dass ich nicht allein bin!“, erklärte er. Martha hörte ihm aufmerksam zu und ihr Gesicht nahm einen besorgten Ausdruck an. Sie fürchtete, dass sie ihm dabei nicht helfen konnte. Zwar konnte sie ihre Familie gegen die Bosheiten der Dörfler beschützen. Aber gegen die Träume, die ihren Enkel plagten, konnte sie nichts ausrichten. Rene sah es ihr deutlich an und seufzte schwer. „Du kannst mir auch nicht helfen? Oder?“, flüsterte er. Martha schüttelte den Kopf. „Es tut mir leid, mein Junge. Aber dagegen kann ich nichts tun!“ Rene hatte sich fest vorgenommen nicht zu schlafen. Angespannt lag er in seinem Bett und schaute krampfhaft an die Zimmerdecke. Egal was passiert, nicht einschlafen, rief er sich immer wieder in Gedanken. Wälzte sich von einer Seite zu nächsten und versuchte wach zu bleiben. Doch egal wie sehr er es versuchte…irgendwann fielen ihm die Augen zu. Trotz dass er wusste, dass es keinen Sinn hatte, wehrte er sich dennoch gegen die unsichtbaren des Wolfsprinzen, die ohne Scheu oder auch nur einen Ansatz von Rücksicht über seinem Körper glitten und immer wieder ins Ohr flüsterten. „Warum wehrst du dich so sehr? Gib endlich auf. Lass allen Trotz fahren und dich fallen!“ „Nein, niemals!“, schrie Rene zurück in die Dunkelheit und versuchte die Hände weg zu schieben. Die Stimme lachte nur. Und wanderten wieder hinunter zu seinem Schoß. Strichen über seine Lenden, die sogleich auf die Berührung reagierten. Rene verkrampfte sich und sog scharf die Luft ein. Sein ganzer Körper fühlte sich auf einmal schwer an und er hatte das Gefühl nicht mehr atmen zu können. Nicht imstande sich dagegen zu wehren ließ er es zu. Zuckte jedes Mal zusammen, wenn die Hände immer fordernder wurden. Schließlich umfasste eine Hand sein Glied, das durch die Berührungen hart geworden war und begann es zu massieren, während die andere über seinen Oberkörper strich. Ihn liebkoste. Die empfindlichen Spitzen seiner Brustwarzen reizten und sie noch härter werde ließen, als sie es vorher schon waren. Rene biss sich auf die Unterlippe bis er Blut schmeckte. Kämpfte darum keinen Laut von sich zu geben. Wollte dem Wolfsprinzen nicht die Gewissheit geben, dass ihn diese Berührungen auf irgendeine Art ansprachen. Doch diese Berührungen… Sie ließen sein Herz schneller schlagen und gleichzeitig stehen bleiben. Zudem machte sich in seinem Schoß eine Hitze bemerkbar, die ihn zugleich schaudern ließ. Verdammt…was machte er nur mit ihm? Immer schneller bewegte sich die Hand. Und aus der Hitze wurde ein wahres Feuer, welches sich von seinen Lenden zu seinem Glied hochloderte und sich in der Spitze sammelte. Sie zum Pochen und zum Zucken brachte. Und meinte zu spüren, wie aus dieser feuchte Tropfen hervorkamen. „Genug, hör endlich auf!“, rief er und seine Stimme hallte wie ein Echo durch die Dunkelheit. „Nein!“, hauchte eine Stimme. Die Hand malträtierte seine Männlichkeit noch härter und schneller. Übte nun etwas Druck auf die Spitze aus und reizte ihn noch mehr. Rene konnte es nicht mehr zurückhalten. Mit einem lauten Stöhnen ergab er sich dem Unvermeindlichen und spürte, wie die zurückgehaltene Lust aus seinem Glied floss. Zugleich schlug er die Augen auf. Schwer nach Luft ringend schaute er an die Decke und sein Körper fühlte sich immer noch an als sei er aus Stein. In seinem Kopf herrschte gähnende Leere. Dabei wirbelten hunderte von Gedanken darin umher, doch er war nicht in der Lage, nur einen von ihnen zufassen. Nur langsam drang das eben passierte in sein Bewusstsein und kalte Wut machte sich in ihm breit. .Dieses Mal ist er zu weit gegangen, dachte er. Wenn er ihm wieder gegenüber stehen würde, würde er… Rene hielt inne als er die Hand zusammenballte und verharrte kurz. Dann schlug er die Bettdecke zurück und erstarrte, als er auf seine Hand blickte. Wo er zuvor gedacht hatte, dass der Wolfsprinz dahinter steckte, so wurde er nun eines besseren belehrt. Zwischen seinen Fingern quoll eine zähe weiße Flüssigkeit hervor. Was zum…? Ungläubig schaute er auf seine geschlossene Faust, dann auf seinen Unterleib und er hatte das Gefühl als würde man ihn mit Eiswasser übergießen. Er selbst hatte Hand an sich gelegt! Den nächsten Tag hätte Rene gerne übersprungen. Denn an diesem mussten sie in die Kirche zum Gottesdienst. Und Rene fühlte deutlich wie sich sein Magen umdrehte. Am liebsten hätte er eine Krankheit vorgetäuscht und sich im Bett verkrochen. Aber dennoch, wie an Fäden gezogen, stieg er aus dem Bett. Als er sich wusch, vermied er es dabei sich im Spiegel an zu sehen. Die Scham über die letzte Nacht hatte ihn immer noch erfasst und angewidert dachte er an das, was in dieser geschehen war. Dieser elende Mistkerl hatte es wirklich geschafft! Er hatte irgendwie die Kontrolle über ihn erlangt und ihn dazu gebracht! Hass und Wut auf ihn stieg in ihm hoch. Das ging eindeutig zu weit. Das gesamte Dorf strömte in die Kirche und setzte sich. Rene, seine Schwester, seine Eltern und seine Großmutter setzen sich in den hintersten Teil. Dennoch waren die meisten Blicke auf ihnen gerichtet und kaum dass sie sich setzten wurde auch schon getuschelt. Rene wünschte sich insgeheim, jedem einzelnen den Mund zu zunähen und sie zum Schweigen zu bringen. Seine Großmutter tätschelte beschwichtigend seine Hand. Mach dir nichts draus. Sie werden sich niemals ändern, wollte sie ihm damit sagen. Rene nickte nur und versuchte sich nun auf den Gottesdienst zu konzentrieren. Doch kaum dass der Pfarrer begann zu sprechen, rutschte er auf seinem Platz nach unten und wollte die Predig nicht hören. „Der Teufel hat viele Gesichter. Und noch viel mehr Möglichkeiten Menschen zu seinen Marionetten zu machen. Geschickt setzt er sein Können als Verführer ein um reine Seelen zu verderben und sie dann ins Fegefeuer zu ziehen!“ Mit jedem Wort des Pfarrers verkrampfte sich Renes Magen immer mehr und er hatte das ungute Gefühl, dass der Pfarrer ihn indirekt damit ansprach. Auch glaubte er, dass er ihn kurz anschaute und in seinen Augen sah Rene eine stille Warnung. Doch er war nicht der einzige: Jeder der Dorfbewohner warf ihm verstohlen finstere Blicke zu. Das ließ ihn noch tiefer in seinen Stuhl sinken. Rene hoffte dass der Gottesdienst schnell vorbei gehen würde. Den gesamten Tag verbrachte Rene draußen hinter dem Haus. Saß eingepackt in seinem dicken Mantel auf der Bank und schaute hinauf zu den Hängen, die mit Schnee bedeckt waren und in der schwachen Sonne flimmerten. Dahinter konnte er die hohen Berge sehen. Das Reich des Wolfsprinzen! Er schauderte. Fast schon hätte man denken können, dass er deutlich seine Nähe, seine Blicke spüren konnte. Und es erschreckte ihn wieder was für eine Macht er auf ihn hatte. Wie von selbst fanden seine Finger die dünnen, kaum und dennoch spürbaren Ausläufer des Mals, welches der Wolfsprinz ihm eingebrannt hatte. „Es ist wie als wenn du einschlafen würdest. Dein Herz wird schwächer werden und dann aufhören zu schlagen!“ Ein Schauer lief ihm über seinen Rücken als er an seine Worte denken musste. Sie halten wie ein Echo in seinem Geist wieder. Nachdenklich strichen seine Finger immer wieder über das Mal. So wie der Wolfsprinz. Vorsichtig und sanft… Rene erstarrte und hörte sofort auf. Wieso musste er gerade jetzt, in diesem Moment an ihn denken? Mit einem frustrierten Laut zog er den Mantelärmel weit über seinen Unterarm. Versuchte nicht mehr an ihn zu denken. Er blieb noch bis zum Anbruch der Nacht und wäre am liebsten noch länger draußen geblieben. Die ganze Nacht wenn es ginge Denn dann bliebe es ihm erspart, wieder dieses Grauen zu erleben. Doch als es eiskalt wurde und seine Mutter ihn ins Haus bat, ging er doch hinein. As mit seiner Familie zu Abend und ging dann in sein Zimmer. Wie aus weiter Ferne hörte er Flora noch etwas sagen. Doch er hörte es nicht. Wie von selbst gesteuert begann er sich aus zu kleiden. Und legte sich ins Bett. Aus reiner Gewohnheit schloss er die Augen ohne wirklich schlafen zu wollen. Kaum dass er aber diese geschlossen hatte, hörte er seinen Ruf. Die Wölfin wartete bereits auf ihn. „Guten Abend!“, grüßte er sie. Verbeugte sich dabei leicht. Die Wölfin nickte, als habe sie ihn verstanden, drehte sich dann um und ging vor ran. Während sie gemeinsam durch den Wald liefen, schaute Rene zu Boden. Folgte nur den Spuren, die die Wölfin im Schnee hinterließ. Verspürte aber nicht den Wunsch, wieder das Lied zu singen. Es war ihm vergangen. Das wiederrum schien die Wölfin zu wundern. Hin und wieder blieb sie stehen und schaute ihn fragend an. Zuerst dachte er, sie wolle so sehen, ob er ihr noch folgte. Was eigentlich überflüssig war. Denn sie wusste, dass er sich nicht davon machen würde. „Was ist?“, fragte er dennoch. Die Wölfin schaute ihn nur an. Aber dennoch meinte er in ihren Augen die Frage zu sehen. „Warum singst du nicht?“ Rene war sich sicher, dass er genau diese Worte auch in seinem Kopf gehört hatte. Doch er verdrängte diesen Verdacht. Schüttelte energisch den Kopf. „Lass uns weitergehen!“ Dieses Mal ging er vor ran. Ließ die Wölfin einige Schritte hinter sich. Diese sah ihm nach. Eilte ihm dann hinter her. Wenig später saß er wieder vor dem Kamin. Fragte sich nicht warum der Wolfsprinz ihn wieder zu sich rief. Irgendwie war er froh, denn dann würden ihm diese Träume erspart bleiben. Aber wenn er bedachte, dass der Wolfsprinz sicher einen bestimmten Grund hatte, ließ ihn innerlich zu Stein erstarren. Zumal ärgerte es ihn, dass der Wolfsprinz wohl dachte, dass er ihn wie einen Hund rufen konnte, wann es ihm passte. Und würde nicht so viel auf dem Spiel stehen, würde er… Noch ehe er den Gedanken zu Ende denken konnte, spürte er ein vorsichtiges Stupsen und ein leises Winseln. Verwirrt schaute Rene hinunter und sah einen kleinen Wolfswelpen. Ohne dass er es bemerkt hatte, hatte sich der kleine Kerl wohl in den Raum und zu ihm geschlichen. Nun saß er neben ihm und versuchte an seinem Knie hoch zu klettern. Rene blickte auf das kleine Wollknäuel nieder und musste unweigerlich lächeln. Irgendwie lustig wie der kleine Kerl versuchte hoch zu klettern. Immer wieder verlor er den Halt. Rutschte an dem Stoff ab und landete auf seinem pelzigen Po. Als er dann das sechste oder siebte Mal runterfiel, schaute er zu Rene hinauf. Hilf mir doch mal, schien sein Blick zu sagen und Rene lachte kurz. Nahm dann das Kleine vorsichtig hoch und setzte ihn auf seinem Oberschenkel ab. Neugierig sah sich der Kleine um. Schnüffelte an Renes Bein und tastete mit den Pfoten. Er erinnerte Rene mehr an ein neugieriges Hundejunges als an das Junge eines wilden Tieres. Er war so klein, dass er ohne Probleme auf einem Oberschenkel sitzen konnte. Wenn er bedachte wie groß die Wölfe waren, musste deren Wurf nicht minder beeindruckend groß sein. Der hier aber war winzig. Nur sein Fell verriet ihn als das was er war. Zumal er noch nie so einen Hund mit diesem Fell gesehen hatte geschweige denn dass jeder Wolf hier, der hier in diesem Wald lebte, eine ungewöhnliche Fellfarbe hatte. Seins hatte einen cremefarbenen Ton, der leicht ins weiß überging. Seine Pfoten waren dunkel. Leicht gräulich. Ebenso die Spitze seines kleinen Schwänzchens und die Ohren. Sein Näschen hingegen war zartrosa. Nachdenklich schaute Rene auf ihn hinunter und nahm ihn dann hoch. Hielt ihn sich vors Gesicht betrachtete ihn. Der Kleine ließ es zu. Wehrte sich nicht. Sondern schaute ihn ebenso neugierig an. Seine kleine Nase zuckte dabei als er wieder schnüffelte. „Eigentlich bist du ganz niedlich!“, sagte Rene nach einer Weile. „Kaum zu fassen, dass so eine halbe Portion wie du mal ein reisendes Tier wird und…!“ Rene stockte als er auf einmal etwas Warmes und Feuchtes auf seinem Bauch spürte und schaute hinunter. Fassungslos klappte ihm die Kinnlade hinunter, als er die letzten Tropfen fallen sah und schaute zu dem kleinen Wolf. Dieser hatte auf einmal einen triumphierenden Ausdruck in den Augen. Fast könnte man meinen, dass er grinste. „Hast du mich angepinkelt?“ In den Augen des Kleinen blitzte es belustigt. Kurz streckte er auch die Zunge raus. „Du hast mich angepinkelt!“ „Du hast ihn immerhin beleidigt!“, kam es auf einmal amüsiert vom Wolfsprinzen. Rene erschrak ein wenig und drehte sich dann zu ihm herum. Sein Gesicht begann sofort zu glühen. Zum einen vor Verlegenheit und auch vor Wut. „Ich soll ihn beleidigt haben? Dafür pinkelt er mich an?“, kam es entrüstete von ihm. „Du hast ihn als „halbe Portion“, bezeichnet. Für einen Wolf ist das eine Beleidigung!“, erklärte der Wolfsprinz während er auf ihn zu ging und setzte sich neben ihn. Nahm ihm dann den kleinen Frechdachs ab. Legte ihn auf seinen Arm und fing an ihn hinter dem Kopf zu kraulen. Mit geschlossenen Augen ließ er sich das gefallen. Renes Gesicht nahm einen finsteren Ausdruck an. „Dieser kleine…!“, dachte er. Da stieg ihm der beißende Geruch in die Nase und er verzog angewidert das Gesicht. Auch Mandariel musste es bemerkt haben. „Soll ich jemanden dein Hemd zum waschengeben?“, fragte er. Rene überlegte kurz. Zuerst wollte er sich dagegen entscheiden. Doch dann hielt er es für das Beste ausnahmsweise das Angebot des Prinzen an zu nehmen. „Ja, bitte!“, sagte er daher. Zog wortlos seinen Mantel und sein Hemd aus. Reicht es ihm dann. Mandariel nahm es. „Talon?“, rief er und wenige Minuten kam ein Junge kam herein. „Bitte wasch das!“, bat er ihn. Der Junge nickte und ging. Rene saß nun mit nacktem Oberkörper da und fühlte sich alles andere als wohl. Verstohlen schaute er zu Mandariel. Rechnete damit ihn dabei zu erwischen wie er ihn anstarren würde. Was eigentlich völlig übertrieben war. Aber genau das ging ihm durch den Kopf. Vor allem weil die Träume, die er irgendwie verdrängt hatte, kamen wieder. Und ein erschreckender Gedanke kam in ihm hoch. Will er diese Träume, die er ihm geschickt hatte, nun Wirklichkeit werden lassen? Mit einem Mal wurde ihm eiskalt. Er umschlang seinen Oberkörper. Wollte ihm so nicht den Blick auf seine nackte Brust gewähren. Dabei fragte er sich ob der kleine Wolf das nicht nur gemacht hatte, weil Rene ihn beleidigt hatte. Sondern auch vielleicht weil es der Wolfsprinz ihm aufgetragen hatte. Doch dann sagte er sich, dass das nun zu weit ging. So abgebrüht und verschlagen war er sicher nicht. Das hoffte Rene zumindest. „Ist dir kalt?“, hörte er Mandariel fragen. Es brauchte einige Zeit ehe er nickte. Mandariel nahm es ebenso wortlos als ein Ja und nahm eine Decke aus Wolfsfell und legte sie über seine Schultern. Rene ergriff die Ränder der Decke und zog sie sich enger an sich. „Danke!“ Mandariel setzte sich wieder neben ihm. Rene konnte seine Wärme, trotz der Decke, hindurch spüren. Schaute zaghaft zu ihm. Er wurde einfach nicht schlau aus ihm. Wieder fragte er sich: Was ist er? Mensch oder Wolf? Mandariel merkte natürlich wie er ihn ansah. Er bewegte nur die Augen. Das reichte jedoch aus. Rene wandte sofort den Blick ab. Mandariel sah ihn weiterhin. Schien ihn förmlich mit seinen Blicken zu erforschen. Rene konnte deutlich spüren, wie seine Blicke ihn durchleuchteten. Er würde sich niemals daran gewöhnen können. „Wieso seht Ihr mich so an?“, fragte er als er es nicht mehr aushielt. „Wie sehe ich dich an?“ „So als würdet Ihr mich…abschätzen. Oder belauern!“, sagte er zögernd. Mandariel hob etwas die Brauen. „Belauern?“, wiederholte er. Rene biss sich auf die Unterlippe. „Denkst du dass ich mich in ein wildes Tier verwandle und mich auf dich stürze!“ Seine Stimme hatte einen amüsierten Unterton. Das ließ Ärger in ihm hoch kommen. Machte er sich lustig über ihn? „Wollt Ihr es genau wissen?“, konterte er scharf. Mandariel seufzte. „Fällt es dir so schwer zu glauben, dass ich dennoch ein Mensch bin?“ Rene sagte nichts. Sondern schaute grimmig in die Flammen. „Ich hatte dich irgendwie anders eingeschätzt!“, sprach der Wolfsprinz dann. „Zu Anfang konnte ich es irgendwie verstehen, dass du so wiederborstig bist. Es ist nur verständlich, dass man sich gegen sein vorbestimmtes Schicksal wehrt. Aber jetzt…Ich hielt dich immer für jemanden, der mehr auf sich selbst hört. Seinen eigenen Kopf hat. Etwas, was ich hin und wieder schätze. Und nicht auf das hört, was andere sagen!“ „Und jetzt habe ich alle Sympathie bei Euch verspielt?“ „Sagen wir es mal so: Auch wenn ich einige Fähigkeiten habe, die weit über das menschliche hinausgehen, fließt immer noch rotes Blut durch meine Adern!“, sagte Mandariel kühl. „Brauchst du einen Beweis?“ Ohne auf Renes Antwort zu warten, holte er einen Dolch hervor und streckte seinen Arm aus. Mit einem sachlich kühlen Blick krempelte er den Ärmel seines Hemdes hoch, setzte die Spitze an die Hand und zog dann eine gerade Linie in das Fleisch. Sogleich perlten rote Tropfen hervor. Rene saß einfach nur ungerührt da. Sah wie das Blut aus dem Schnitt sickerte. Fragte sich dabei warum er gerade zu solch einem Mittel griff, um ihm zu zeigen, dass er menschlich ist. Die Antwort fand er jedoch schnell. Wie sollte er es ihm sonst beweisen? Und Rene fragte sich warum es ihm so wichtig war, dass er in ihm einen Menschen sah? Wollte er Mitleid? Dass ihn jemand verstand, warum er so handelte? Er schien so undurchsichtig zu sein, dass es jeden Grund haben könnte. Und er war nicht in der Lage, sich nur eine Antwort darauf zu geben. So sah er zu nur wie das Blut langsam wieder versickerte und der Wolfsprinz seinen Ärmel wieder zurück schob. Mandariel sah ihn ebenso an und versuchte etwas in dem Gesicht des jungen Mannes zu finden, was ihm verriet, was ihm gerade dabei durch den Kopf ging. Als Rene weder was sagte noch etwas tat, sagte Mandariel hingegen:„ Siehst du? In meinen Adern fließt das gleiche Blut wie in deinen! Macht mich das nicht zu einem Menschen?“ „Wenn Ihr wirklich ein Mensch seid, wieso sucht Ihr mich dann in meinen Träumen heim?“ Es war ihm einfach so rausgerutscht und am liebsten hätte er sich dafür selbst eine Ohrfeige verpasst. Doch nun war es draußen und Rene fühlte auch irrwitziger Weiße eine gewisse Erleichterung Endlich hatte er es ausgesprochen und damit den Täter damit überführt. Mandariel sah ihn mit gerunzelter Stirn an. „In wie fern suche ich dich denn in deinen Träumen Heim?“, fragte er. „Was sind das für Träume?“ Rene merkte wie er sofort rot wurde und wich seinem Blick aus. „Träume, die mich bald in den Wahnsinn treiben!“, fuhr er mit belegter Stimme fort. „Außer Ihr nehmt sie von mir!“ Mandariel sah ihn nachdenklich an. Schüttelte dann den Kopf. „Ich bedaure. Aber ich habe dir keine Träume geschickt, die dich heimsuchen sollen!“ Rene öffnete den Mund um etwas zu sagen, doch seine Stimme versagte und er schaute wieder ins Feuer. So wie der Wolfsprinz das sagte, musste es die Wahrheit sein. Das konnte er spüren. Wobei sich Rene fragte, wieso er sich da so sicher war. Aber etwas an seinen Worten und auch seine Augen, sagten ihm, dass er die Wahrheit sagte. Aber wenn er ihm diese Träume nicht geschickt hatte, wer dann? Diese Frage beschäftigte ihn noch lange. Auch als er wenig später wieder in seinem Haus war und sich für die Nacht erneut fertig machte. Mit einem Blick sah er zum Bett, als würde er einer Falle gegenüber stehen. Zuerst dachte er auch daran sich einfach hin zu setzen und die Nacht mit offenem Auge zu verbringen, doch kaum dass diesen Entschluss in die Tat umsetzen wollte, spürte er plötzlich einen Anflug von Müdigkeit. „Ach, was soll es…!“, knurrte er und legte sich nieder. Wie zu erwarten war, fand er sich wieder in diesem grauenhaften Traum, in dem er sich nicht wehren konnte. Doch anders als beim letzte Mal, hatte sein unbekannter Peiniger nicht das geringste Bedürfnis sein Tun zu wiederholen. Stattdessen spürte er streichelnde Berührungen. Doch die reichten schon aus, um Rene stocksteif werden ließ. Und noch etwas war anders. Wo vorher noch absolute Dunkelheit um ihn herum herrschte, war diese nun etwas lichter geworden und Rene konnte schemenhaft eine Gestalt über sich sehen. Endlich, schoss es ihm durch den Kopf. Endlich sehe ich, wer mich da heimsucht! Da hörte diese Stimme. Sie lachte. „Kannst du mich endlich sehen?“ „Ja, und dieses Mal wirst du es nicht so einfach mit mir haben!“, rief Rene. War selbst erstaunt, dass seine Stimme so kraftvoll klang. Die Stimme oder vielmehr die Gestalt lachte wieder. „Denkst du wirklich, dass du mir die Stirn bieten kannst?“ „Und ob! Ich weiß nun, wer du bist!“ „So? Dann sag es mir. Sag mir, wer ich bin!“, verlangte die Gestalt. „Du bist der Wolfsprinz!“, schrie Rene ihr förmlich entgegen. Auch wenn er wusste, dass das nicht stimmte. So wollte er diese Gestalt dennoch damit aus der Reserve locken und sie enttarnen. Zum dritten Mal folgte ein Lachen und Renes Nackenhaare stellten sich auf. „Ich muss dich leider enttäuschen. Aber ich bin nicht der, für den du mich hälst!“ „Und wer bist du dann?“, rief Rene wütend. Dieses Spielchen ging wirklich zu weit und es war Zeit dem ein Ende zu setzen. Die Gestalt beugte sich vor und zum ersten Mal schien so etwas wie Licht die diffuse Dunkelheit zu durchdringen und fiel auf die Gestalt. Wo Rene vorher ein Gefühl von Sicherheit und Triumph in sich verspürte, so wandelten sich diese blankes Entsetzen. Die Gestalt, die über ihn war und ihn immer gequält hatte und nun ihr Gesicht zeigte, war er selbst. „Ich bin du!“ Kapitel 11: Von Hyänen und Wölfen --------------------------------- Renes Hände zitterten. Die ganze Zeit. Der Traum, die Wahrheit, die ihm in diesem offenbart wurde, hatte ihn mit der Wucht eines Hammers getroffen. Noch immer ließ ihn der Traum nicht los. Die Tatsache, dass nicht der Wolfsprinz, sondern er selbst dieses Verlangen hatte. Verlangen nach diesen Berührungen. Rene schauderte. Schämte sich dafür. Dabei hörte er eine leise Stimme flüstern, dass es keinen Grund gab, sich dafür zu schämen. Was war schon dabei? Solange es kein anderer erfuhr. Dennoch blieb das bedrückende Gefühl der Schande und er wusste nicht, wie er dieses loswerden konnte. Mit jemanden darüber zu reden konnte er nicht. Zumindest nicht mit jemanden aus seiner Familie. Zu groß war die Angst davor, was sie von ihm denken würden. Aber mit wem dann. Auch wenn es ihm unangenehm war und sich davor scheute, musste er es sich von der Seele reden. Und er wusste da nur einen, dem er sich anvertrauen konnte. Auch wenn es auch da ihm ein wenig graute. „Vergib mir Vater. Denn ich habe gesündigt!“, sagte er und schlug das Kreuzeichen. Auf der anderen Seite des Beichtstuhls wurde das kleine Fenster geöffnet und hinter dem Gitter tauchte das Gesicht des Pfarrers auf. „Erzähl mir von deinen Sünden!“ Rene biss sich auf die Unterlippe. Zögerte kurz. Suchte nach den richtigen Worten. Überlegte auch ob es richtig war, sich diesem Mann an zu vertrauen. Auch wenn er Pfarrer war und damit verpflichtet war, alles was man ihm anvertraute, für sich zu behalten, hieß das nicht, dass er sich daran hielt. Besonders da es hierbei um Rene ging, den alle verfluchten. Ob der Pfarrer ihn ebenso als eine Bedrohung sah? Schnell verwarf er diesen Gedanken. Dennoch vorsichtig begann er. „Ich…ich weiß nicht wo ich anfangen soll und es…es ist nicht leicht, es aus zu sprechen!“ „Ich versichere dir, dass alles was du mir anvertraust, mich nicht schlecht von dir denken lassen wird. So sprich dich aus und mache dir ein reines Gewissen!“ „Also gut. Mich plangen seit einiger Zeit Träume!“ „Träum?“, fragt der Pfarrer. „Was für Träum?“ „Ich kann sie nicht genau beschreiben. Aber sie…sie lassen mich immer wieder erschauern!“ „Versuche es. Denn nur so kann ich dir helfen!“ Wieder zögerte Rene. „Also gut. Es…in diesen Träumen ergreift eine unheimliche Macht von mir Besitz und bringt mich dazu Dinge zu tun, die ich niemals tun würde!“ „Und was für Dinge wären das?“ „Das…das kann ich nicht sagen. Aber…es erfüllt mich immer wieder voller Grauen!“ Der Pfarrer ließ diese Worte erstmal auf sich wirken. Legte die Stirn in tiefe Falten und dachte nach. Als er dann wieder das Wort ergriff, klang er ernst. „So wie ich das sehe, kann ich dir nur den Rat geben, bevor du dich schlafen legst, fünfmal das Vaterunser zu beten!“ Die Antwort war so simpel und banal, dass es Rene erstmal die Sprache verschlug. Er wusste nicht, was er eigentlich erwartet hatte. Vielleicht tröstende Worte oder ein wenig mehr als nur zu beten, um diese Träume nicht mehr zu bekommen. Aber das stimmte ihn irgendwie unzufrieden. Dennoch wollte er nicht unhöflich sein und bedankte sich. Mit steinerner Miene schritt er aus der Kirche und über den Marktplatz. Er hatte eigentlich mehr von dem Geistlichen erwartet. Und kurz hatte er den Verdacht, dass der Pfarrer absichtlich ihm so einen schwachen Trost gegeben hatte. Wo er vorher noch gedacht hatte, dass der Pfarrer alldem Gerede erhaben war, war er sich nun nicht mehr so sicher. Hatten die Dörfler ihn irgendwie bestochen? Oder gar ihn erpresst? So langsam fragte er sich ob nicht alle hier, die in diesem Dorf lebten, irgendwie und jeder für sich auf eine gewisse Weise, böse ist. Von außen lächeln sie einen an und hinten rum würden sie einem mit einem Dolch erstechen. In diesem Fall wäre es Rene. Dieser Gedanke ließ ihn nicht los und brachte ihn dazu immer wieder verstohlen über seine Schulter zu schauen. Und wirklich meinte er in den Gesichtern, in die er flüchtig blickte, einen Ausdruck in den Augen derer zu sehen, der wahrlich mörderisch war. Rene konnte sich den Eindruck nicht erwehren, dass er ein Lamm in mitten von Wölfen war. Wobei er sich verbessern musste. Sie mit Wölfen zu vergleichen kam ihm wie eine Beleidigung vor. Da war es naheliegender in ihnen Hyänen zu sehen. Aasfresser! Aber nicht minder bedrohlicher. Er schluckte und beeilte sich nun weiter zu gehen. Gerade ging er an einem Mann vorbei, der einen Hund mit sich führte. Kaum dass er an dem Tier vorbeilief, regte es seinen Kopf zu ihm, schnüffelte und begann sofort zu knurren. Aus dem Knurren wurde ein wütendes Bellen und er riss an der Leine. Wäre dieser nicht gewesen, hätte sich der Hund auf ihn gestürzt. Dennoch wisch Rene zurück. Der Mann verzog keine Miene. Entschuldigte sich nicht mal. Hatte aber Mühe das aufgebrachte Tier zu beruhigen. Immer wieder versuchte es sich von ihm los zu reißen und bleckte die Zähne. In den Augen des Hundes konnte Rene deutlich einen angewiderten Ausdruck sehen. „Du stinkst nach Wolf!“, konnte er in seinem Kopf hören. Rene zuckte dabei zusammen. Sah dann wieder zum Mann. „Wollt Ihr mir Euren Hund aufhetzen?“, fragte er dumpf. Das Gesicht des Mannes verfinsterte sich. „Wenn ich das wollte, hätte ich ihn schon längst los gelassen!“, knurrte er. Ging dann weite, wobei er das aggressive Tier hinter sich her zog. Rene sah ihm nur nach. War ein wenig erschrocken, dass er nun auch noch Hunde denken hören konnte. Verlor er langsam den Verstand? Mit zitternden Beinen ging er weiter. Der Vorfall mit dem Hund hatte sich tief in Rene eingebrannt. Als er zuhause war, roch er erstmal an sich. Konnte aber nichts Ungewöhnliches feststellen. Dann ging er davon aus, dass sein Hemd noch nach dem Wolfswelpen roch. Doch das konnte auch nicht sein. Das Hemd war, wie der Wolfsprinz es aufgetragen hatte, gewaschen. Also wieso riecht er nach Wolf und vor allem, wieso konnte er die Gedanken von Wölfen und Hunden hören? Das fragte er sich immer wieder, während er sich im Bad abschrubbte. Seine Haut war schon rot wie ein Krebs als er fertig war. Aus einer naiven Hoffnung heraus dachte er, dass er so mit den Geruch losgeworden war. Die Zeit verging. Und in dieser Zeit rief der Wolfsprinz nicht nach ihm. Aber dafür häuften sich die Träume. Da er nun wusste, dass er es selbst war, der diese Fantasien auslebte, machte es natürlich nicht besser. Aber sich dagegen wehren brachte auch nichts. Sein zweites Ich schien hier die Kontrolle zu haben. Mit einem Verlangen in den Augen beugte er sich über Rene und strich mit den Händen über seine nackte Brust. Schien dabei jede Kontur von ihm in sich aufnehmen zu wollen. Rene ließ es zu. Auch wenn alles in ihm danach schrie, die Hände seines Ebenbildes wegzuschlagen. Stattdessen lag er einfach nur da und schaute ins Leere. Sein anderes Ich schien zu merken, wie sehr es ihm zu wider war. Es wunderte ihn aber auch, dass sich Rene nicht dagegen wehrte. Mit einem fragenden Blick schaute er auf ihn nieder. „Du scheinst dich ja schnell mit deinem Schicksal abgefunden zu haben?“ Rene presste die Lippen auf einander. „Wozu sollte ich mich noch wehren?“, kam es dann von ihm. „Du machst doch sowieso, was du willst!“ „Ich mache nur das, wonach du dich sehnst!“ „Mich danach sehnen? Bist du verrückt? Wie könnte ich mich nach sowas sehnen?“ „Tief in deinem Inneren tust du es. Seit du ihm das erste Mal getroffen hast!“ „Das…das ist nicht wahr!“ „Hör auf dir was vorzumachen. Tief in dir weißt du, dass das wahr ist!“, raunte sein Doppelgänger, beugte sich zu ihm hinunter und hauchte sanfte Küsse auf seinen Hals. Renes Körper versteifte sich. „Du sehnst dich danach. Nach seinen Berührungen. Nach seinen Küssen!“, hauchte er zwischen seinen Küssen. Ließen immer wieder kalte Schauer über Renes Rücken laufen. Nährten seinen Unglauben. Jeder Faser in seinem Körper war erfüllt von Trotz und er wollte sich dagegen stemmen. Sein Spiegelbild weg stoßen. Aber er konnte es nicht. Zu sehr nahmen ihn die Berührungen und Küsse in Besitz als das er sich dagegen wehren konnte. Und dennoch war da so etwas wie Widerwille… „Gib es ruhig zu. Du willst…das ich dich so küsse!“, hauchte wieder sein Doppelgänger und als er sich wieder aufrichtete, sah er sich nun dem Wolfsprinzen gegenüber, der ihn immer noch mit diesem verlangendem Blick anschaute. Da reichte es Rene. „Sei endlich still!“, rief er wütend und fand endlich die nötige Kraft. Mit seinem Arm holte er aus und schlug nach ihm. Doch kaum dass er ihn berühren konnte, zerfaserte seine Gestalt und löste sich im Nichts auf. Der Tag zog sich endlos in die Länge und Rene hatte das Gefühl, dass er nicht enden wollte. Auch vermied er es das Haus seiner Eltern zu verlassen. Er war nicht erpicht darauf nur einem dieser Hyänen über den Weg zu laufen, die sich als Menschen bezeichneten. Er hatte, ohne dass er es sich erklären konnte, eine Abneigung gegen diese entwickelt. Aber vermutlich war schon zu viel passiert als das er einfach darüber hinwegsehen konnte. Stattdessen verbrachte er die meiste Zeit im Garten. Flora hingegen schien sich nicht von den Anfeindungen der Dorfbewohner unterkriegen zu lassen. Sie besuchte so oft es ging Jaque und kam dann immer mit einem seligen Lächeln nachhause. Rene fand das ein wenig bewundernswert. Obwohl sie ebenso mit diesem schrecklichen Geheimnis leben musste und auch mit der Gewissheit, dass Rene eines Tages nicht mehr da sein wird, schien sie weiterhin ihr Leben weiter zu leben. Rene ertappte sich dabei, wie er ein wenig neidisch auf sie wurde. Aber vermutlich lag es daran, dass sie jemanden hatte. Natürlich lagen die Angst und die Sorge um ihren Bruder wie ein dunkler Schatten auf ihrer Seele. Und er konnte sich gut vorstellen, dass sie sich immer noch Vorwürfe machte. Dennoch lebte sie weiter und eigentlich war er froh darüber. Sie sollte nicht darunter leiden… Sondern froh sein, dass sie mit Jaque zusammen sein konnte. „Hat er dich bereits gefragt?“, fragte er sie eines Tages als sie im Garten saßen. Flora sah ihn ein wenig verwirrt an. Offensichtlich war sie mit ihren Gedanken ganz woanders gewesen. Vielleicht malte sie sich gerade aus wie ihre Hochzeit aussehen soll, dachte er und musste lächeln. Flora wurde dann aber rot und schaute verlegen zu Boden. „Mich was gefragt?“ „Na, ob du ihn heiraten willst?“ Flora zuckte zusammen und ihr Gesicht glühte nun förmlich. „Wie…wie kommst du nur auf so einen Unsinn?“ „Wieso? Ich dachte nach all der langen Zeit dachte ich, dass er dich endlich mal gefragt hat!“, sagte Rene, den es zum Teil amüsierte, dass seine Schwester so verlegen war und sich aber auch wunderte. Er hatte wirklich gedacht, dass er sie endlich mal fragen würde. Immerhin konnten sie nun zusammen sein. „Nein…hat er nicht!“, sagte Flora und ihre Hände krallten sich in den Stoff ihres Mantels. Ihre Stimme war nun belegt und er konnte auch so etwas wie Kummer darin hören. Renes Stirn runzelte sich. „Wieso das denn?“ Seine Schwester konnte nur die Schultern heben. „Ich weiß es auch nicht!“ „Dann frag ihn doch ob er dich heiraten will!“, kam es prompt von Rene. „Ich kann ihn das doch nicht einfach fragen!“ „Und warum nicht?“ „Weil…weil sich das nicht gehört. Der Mann muss der Frau den Antrag machen. Aber zuerst muss er um den Segen der Eltern bitten!“, belehrte ihn Flora mit hochrotem Kopf. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Mutter und Vater nicht Ihren Segen geben werden!“, behauptete Rene, der ihr nun etwas Mut zu sprechen wollte. Flora nickte Auch sie hatte daran keine Zweifel. Aber was war mit Jaques Vater? War er vielleicht der Grund warum Jaque ihr nicht den ersehnten Antrag gemacht hatte? Insgeheim wünschte sie sich auch nichts sehnlicher als endlich von ihm gefragt zu werden, ob sie seine Frau werden will. Dass er es aber schon so lange hinauszögerte, ließ ihr Hoffen und Sehnen immer schwächer werden. „Hm…dann werde ich ihn fragen!“, hörte sie Rene sagen und sah ihn mit einem entrückten Blick an. „Du willst ihn fragen, ob er dich heiraten will?“ Rene sah sie nun ebenso an als habe sie den Verstand verloren. Schüttelte dann fassungslos den Kopf. „Nein, natürlich nicht. Spinnst du? Ich meine, dass ich ihn frage, warum er dich noch nicht gefragt hat!“ „Was? Nein! Auf keinen Fall!“, rief Flora. „Warum denn nicht?“ „Dass…das kannst du einfach nicht…!“ „Flora, mal ehrlich. Wie lange willst du noch warten? Ich möchte dich gerne vor dem Traualtar sehen, bevor ich…!“, seine Stimme brach ab und Schweigen folgte. Nun verstand Flora worauf er hinaus wollte. „Glaub mir. Ich wünsche es mir auch. Aber…es ist einfach nicht richtig. Nur deswegen darauf zu drängen…!“ „Das ist mir schon bewusst…Nur mir kommt es so vor, als habe ich nicht mehr so viel Zeit. Und immerhin das möchte ich noch erleben!“, murmelte Rene. Flora ergriff seine Hand und drückte sie. Lehnte ihren Kopf an seiner Schulter und schloss die Augen. In diesem Moment waren sie sich so nahe, wie es Bruder und Schwester nur sein konnten. Dabei war es dieses schreckliche Geheimnis, das sie wahren mussten, was sie so sehr verband und auch die Angst vor dem, was unweigerlich passieren würde. Und genau das ließ das Band zwischen ihnen noch stärker werden. Am Abend gingen sie wieder hinein. Keiner sagte etwas, sondern ging einfach zur Treppe und wollten hinauf zu ihren Zimmer gehen. Doch da hörten sie aufgebrachte Stimmen. „Ich habe langsam keine Geduld mehr. Wo ist das Geld?“ „Ihr verlangt unmögliches. Soviel Geld in so kurzer Zeit! Das…das ist einfach nicht zu machen!“, hörten sie ihre Mutter auf die erzürnte Stimme antworten. Es brauchte nicht lange um zu erraten, wer sie da besuchte und so außer sich war. Der Verwalter! Beiden wurde es eiskalt in ihren Mägen. Still und darauf bedacht keinen Laut von sich zu geben, schlichen sie näher an die Tür, die zur Stube führte und nur einen Spaltbreit auf stand und hörten ihnen zu. „Wenn Ihr nicht zahlen könnt, müsst Ihr das Haus verlassen!“, schrie der Verwalter. „Und wohin sollen wir gehen?“ Das war nun Ramon. Er schien sich nicht so sehr zurück halten zu wollen. Im Gegenteil. Am Klang seiner Stimme konnte jeder der Beiden hören, wie er darauf brannte, ihm den dürren Hals zu brechen. „Wie es bereits sagte: Das ist nicht mein Problem. Ich soll nur der Geld holen!“ „Du bist wirklich ein Blutsauger!“, keifte Martha nun. „Mutter, bitte!“, sagte Elsa. Wandte sich dann wieder an den Verwalter. „Bitte…gibt es nichts, was wir tun können, um mehr Zeit zu bekommen?“, fragte Elsa hilflos. Rene und Flora mussten nicht hineinschauen um zu sehen wie sie die Hände rang. Sie tauschten einen sorgenvollen Blick. Die Lage musste mehr als ernst sein. Dabei konnten sie sich gut vorstellen, dass einige hochstehende Personen ihre Hände im Spiel hatten. Wie den Bürgermeister zum Beispiel. So etwas wie Groll stieg in beiden hoch. Dass diese Leute so weit gehen würden… Das glich ja schon einer Hexenjagd. Mit einem dumpfen Gefühl lauschten sie nun weiter. Zuerst war es still. Offensichtlich dachte der Verwalter über die Bitte ihrer Mutter nach. Nach einer Weile sprach er dann weiter. „Nun ich wäre bereit dieses Mal eine Ausnahme zu machen, wenn…!“, er ließ das letzte Wort in der Luft hängen. „Wenn was? So sprecht doch weiter!“, drängte Ramon ihm. Seine Geduld neigte sich langsam dem Ende zu. „Ihr habt doch eine schöne Tochter!“, sprach er weiter und seine Stimme hatte auf einmal einen dunklen Unterton. Flora griff nach Renes Hand, als sie hörte dass das Gespräch nun auf sie zuging. Rene drückte ihre Hand. Wollte ihr so Kraft geben. Gespannt und auch mit einem unguten Gefühl lauschten sie weiter. „Wie gesagt. Ich würde eine Ausnahme machen, wenn Ihr sie mir für eine Nacht überlasst!“ Darauf herrschte Schweigen. Entsetztes Schweigen. Sowohl ihre Eltern, Martha, als auch Rene und Flora glaubten einen Schlag bekommen zu haben. Verlangte er das wirklich? Wollte er Flora etwa wirklich kaufen? Für eine Nacht? Wie eine…? Ramon war der erste, der das Schweigen brach. Wütend sprang er auf. Das hörten sie an dem Stuhl, der zu Boden polterte und im nächsten Moment schrie Ramon den Mann an:„ Was erlaubt Ihr Euch? Denkt Ihr meine Tochter ist eine Dirne, über die man verfügen kann, wie man will. Habt Ihr nicht das kleinste bisschen Ehrgefühl. Ich sollte Euch…!“, tobte Ramon. „Bevor Ihr weitersprecht, überlegt es Euch lieber noch einmal!“, versuchte der Verwalter es nun mit Vernunft, dabei war seine Stimme so ölig, dass es jedem der mithörenden schlecht wurde. „Das ist das letzte. Du solltest dich in Grund und Boden schämen, Paul. Dein Vater würde sich in Grab umdrehen!“, zeterte Martha wütend. Doch der Verwalter hörte nicht auf sie. Wandte sich wieder seinen Eltern zu. „Es wäre nur zu Eurem Besten. Eure Frau sagte doch, dass Ihr so viel Geld nicht zusammen bekommen könnt. Und es wäre nur für eine Nacht. Ich versichere Euch: Ich werde sie gut behandeln und sie Euch im guten Zustand wieder zurück bringen!“ Da war das Fass für Ramon voll. Noch ehe seine Frau etwas sagen oder tun konnte, stürzte er sich schon auf den Verwalter. Packte ihm am Kragen und schleifte ihn hinaus. Vielmehr schubste er ihn. Das ließ sich der Mann natürlich nicht gefallen. Schimpfend und fluchend setzte er sich zur Wehr und wollte sich von Ramon losreißen. Doch der aufgebrachte Vater war zu wütend, als das er das bemerkte geschweige denn zu lassen würde. Ohne Halt beförderte er ihn zur Haustür und kaum das er diese aufgestoßen hatte, warf er ihn im hohen Bogen hinaus. Schreiend landete der Mann im Schnee und blieb erstmal liegen. Elsa schlug entsetzt die Hände vor den Mund. Auch wenn sie selbst entsetzt über dieses widerwärtige Angebot war und insgeheim stolz auf ihren Mann war, dass er diesen Strolch rausgeworfen hatte, fürchtete sie nun, dass er ihn umgebracht oder auch nur schwer verletzt hatte. Doch als sich der Mann rührte und sich mühsam aus dem Schnee herausarbeitete, atmete sie erleichtert auf. Zuerst noch ein wenig wackelig auf den Beinen, stand er auf und richtete sich seine Kleider. Dann warf er Ramon einen finsteren Blick zu. „Das werdet Ihr noch bereuen!“, knurrte er dann. „Ihr werdet es bereuen, wenn Ihr nicht sofort verschwindet!“, kam es von Ramon, der dabei noch drohender klang und damit dem Verwalter deutlich machte, dass es besser wäre wenn er jetzt schnell Fersengeld gab. Elsa und Ramon standen da. Sahen ihm nach. Während ihr Mann noch immer kochte, hatte Elsas Gesicht einen sorgenvollen Ausdruck. Sie ahnte, dass das nur die Spitze vom Eisberg war. Rene und Flora hingegen standen nur da und wussten nicht was sie sagen sollten. So weit war es schon gekommen, dass einige Leute schon zu solchen Mitteln griffen um ihnen das Leben noch schwerer zu machen als es jetzt schon ist. Es sogar nun vollständig zu zerstören strebten. Flora begann am ganzen Körper zu zittern. Das man sie kaufen wollte, war mehr als sie ertragen konnte. Ein Schluchzen kam ihr über die Lippen und sie presste sich schnell die Hände auf diese. Rene legte ihr den Arm um die Schultern. „Gehen wir hoch!“, sagte er leise. Flora sagte nichts sondern nickte nur. Schweigend stiegen sie die Stufen hoch. Doch als Rene in sein Zimmer wollte, hielt ihn Flora am Ärmel fest und fragte mit erstickter Stimme:„ Kann ich bei dir schlafen?“ Rene zögerte erstmal. Überlegte ernsthaft ob das wirklich eine gute Idee war. Immerhin fürchtete er, dass er auch in dieser Nacht von seinem zweiten Ich heimgesucht wird. Wenn das passiert, würde Flora das sicher mit bekommen und darüber noch entsetzter sein als das sie es jetzt schon war. Doch er brauchte sie auch nur an zu schauen, um zu sehen, dass sie jetzt nicht allein sein wollte. So nickte er. Trotz dass sein Bett viel zu klein war für zwei Personen, kuschelten sie sich zusammen. Als sie noch klein waren, haben sie das oft gemacht, wenn einer von ihnen einen schlimmen Alptraum gehabt hatte oder sich zu sehr gefürchtet hatte. Nun war es Flora, die die Nähre ihres Bruders suchte. Vermutlich kam ihr das eben geschehene wirklich wie ein Alptraum vor oder sie kam sich so wertlos vor, dass sie nun jemanden brauchte, der für sie da war und ihr darüber hinweg half. Dabei musste er an Jaque denken. Irgendwann wird er es sein, der für sie da sein wird, wenn Rene… Aber auch wenn ihn das ein wenig über diese Tatsache beruhigte, hatte er große Sorge, wenn Jaque von diesem Angebot erfuhr. Sicher würde er noch wütender sein als sein Vater es schon war und dem Verwalter noch weitaus mehr antun. Das würde dazu führen, dass nun auch Jaque und sein Vater in die Missgunst der Dorfbewohner fallen würden. Sicher. Es wäre das Beste wenn er es nicht erfuhr. Und er hatte auch keine Bedenken was Flora anging. Dafür schämte sie sich zu sehr als das sie es ihm sagen würde. Aber was die Leute hier betraf… Der Verwalter braucht es nur einem zu sagen, und das wird er, da war er sich sicher und es würde ein bis zwei Tage dauern und jeder wird es wissen. Es würde also nichts bringen. Vielleicht, so überlegte er, wäre es das einzig Richtige von sich aus es öffentlich zu machen. Denn so hätte der Verwalter keine Gelegenheit es noch aus zu schmücken, so dass er das Opfer ist. Rene wollte sich dabei nicht ausmalen, was er womöglich erzählen würde. Dass seine Eltern ihm angeboten hatten, für dieses eine Mal eine Ausnahme zu machen, wenn sie ihm Flora überließen. Und als er sich weigerte, hat sein Vater rot gesehen und ihn rausgeschmissen. Sicher. Es klang schon irgendwie unglaubwürdig. Doch das hieß nicht, dass die Dorfbewohner es glauben würden. Immerhin glaubten sie alles, wenn es darum ging, Rene und seine Familie in die Pfanne zu hauen. Rene seufzte schwer. Egal wie er es auch drehte und wendete: Sie würden immer den Kürzeren ziehen! Flora war inzwischen eingeschlafen. Doch Rene blieb noch lange wach. Versuchte fieberhaft nach einer Lösung zu suchen. Aber auch ihm wurden irgendwann die Augenlider schwer. Ramons Wut hielt noch bis zum nächsten Morgen an. „Am liebsten würde ich diesem falschen Pack Rattengift ins Brot mischen!“, grollte er, während er den Teig zu Brotlaiben formte. „Und was würde das bringen?“, wandte Elsa ein. „Man würde dich anklagen und an den Pranger stellen!“ Ramon schnaubte. „Das würde ich locker in Kauf nehmen!“ Rene und Flora sahen sich daraufhin an. Zwar hatten sie nicht erwähnt, dass sie die gestrige Unterhaltung mitbekommen haben, aber das war auch nicht nötig. Sie mussten nur ihrem Vater zu hören. Ramon schaute flüchtig zu Flora. „In meiner Tochter eine Dirne sehen…!“ „Lass gut sein, Liebling!“, sagte Elsa, doch ihr Mann dachte nicht daran. An diesem Tag kamen nur wenige in die Bäckerei. Und Ramon beschlich der Verdacht, dass der Verwalter seine Finger im Spiel hatte. „Dieser Elende..!“, dachte er und fühlte sich in seiner Idee, Gift ins Brot zu mischen, bestärkt. „Auch wenn ich deinen Entschluss durchaus verstehen kann und es auch selber tun würden, muss ich Elsa Recht geben. Es würde nichts bringen. Sondern nur schlimmer machen!“, sagte Martha am Abend. „Und was sollen wir stattdessen machen?“, fragte Ramon. „Damit zum Bürgermeister gehen? Mich würde es nicht wundern, wenn er dahinter steckt. Am Ende will er sie noch für sich haben. Oder auch noch für diese Taugenichtse, die er seine Söhne nennt!“ „Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass sie so tief sinken würden!“, murmelte Martha. „Und was wenn ich doch…?“, begann nun Flora zögernd. Ihr schlug das alles zu sehr auf die Seele als das sie noch mithören könnte und nur zu schweigen. Kaum das sie es ausgesprochen hatte, sahen ihre Eltern, Rene und ihre Großmutter an, als habe sie den Verstand verloren. „Nein, Flora. Auf gar keinen Fall!“, rief ihr Vater außer sich. „Aber was anderes bleibt uns doch nichts übrig. Wenn wir seinen Vorschlag nicht annehmen, verlieren wir das Haus…!“ „Willst du dich deswegen zur Dirne machen?“, fragte Ramon mit bebender Stimme. „Denkst du damit ist es getan? Diese Aasfresser werden dann noch öfter danach verlangen!“ Flora sagte nichts. Schaute nur zu Boden. Natürlich war ihr bewusst, dass es damit nicht aufhören würde. Sie sah deutlich vor ihrem Geiste, dass jeden Tag andere kommen würden. Sie solange benutzen würden, bis sie gebrochen war und dann wirklich nichts weiter als eine Dirne. Rene sah seine Schwester an. Konnte an ihrem Gesicht sehen, was ihr gerade durch den Kopf ging. Auch Elsa musste es gesehen haben. Behutsam legte sie ihm die Hand auf den Arm. Ramon sah wiederum zu ihr und für einen kurzen Moment leuchtete der Zorn und die Fassungslosigkeit in seinen Augen. Dann aber war diese verschwunden und Niedergeschlagenheit war darin zu sehen. Er schüttelte den Kopf. „Was auch immer sie noch verlangen oder uns androhen würden: Wir werden es Ihnen nicht geben!“, sagte er mit fester Stimme. „Selbst wenn sie uns mit dem Tod drohen!“ Rene biss sich auf die Unterlippe. Etwas Bitteres lag in diesen Worten und kurz fürchtete er, dass die anderen wirklich ihm und seiner Familie mit dem Tod drohen würden. Für Flora begann nun eine schwere Zeit. Sie konnte Jaque nicht gegenüber treten und ihm in die Augen zusehen, ohne dabei ihm zu erzählen, was man ihr aufgedrängt hatte. Zwar schien er noch nichts davon gemerkt zu haben und dank ihres Vaters ist es nicht so weit gekommen, dass sie das Angebot des Verwalters angenommen hatte, aber sie schämte sich dennoch. Die Gefahr, dass er es irgendwann erfahren würde, schwebte wie ein Damokles-Schwert über ihr. Über ihre Liebe. Über ihrer Seele. Wie sollte sie ihm nur gegenübertreten? Oder sollte sie es ihm gleich gestehen? So sehr es ihr auch auf dem Herzen lag: Sie konnte es nicht. Sie schämte sich zu sehr. So ging sie ihm die nächsten Tage aus dem Weg. Natürlich verstand Jaque die Welt nicht mehr. Oft kam er sie besuchen und wollte mit ihr sprechen. Doch Flora lehnte mit schweren Herzen ab. Verkroch sich förmlich in ihrem Zimmer. Ihre Eltern hingegen verstanden es. Vertrösteten ihn. Schwiegen dabei auch über den Grund, weil sie genau wie Flora wussten und fürchteten, dass Jaque auf dem Mann losgehen würde. Irgendwann aber hielt er es nicht aus. In einem Moment wo weder Renes Eltern, seine Großmutter noch Flora etwas mitbekamen, bat Jaque Rene zu einem Gespräch unter zwei Augen. Rene war ein wenig mulmig zu mute. Denn er fürchtete, dass er auch wenn er zu verhindern versuchte, es aus ihm raussprudeln würde. Von außen aber versuchte er sich nichts anmerken zu lassen. Jaque und Rene gingen zu der Schmiede und setzten sich in den hinteren Teil, damit sie keiner belauschte. Kaum dass sie sich gesetzt hatten, platzte es aus Jaque heraus. Ließ seinem Kummer freien Lauf. „Ich werde noch verrückt!“, kam es aus ihm. „Wieso geht Flora mir aus dem Weg? Und deine Eltern sagen mir auch nichts!“ Seine Stimme hatte einen flehenden Unterton. Doch das war ihm egal. Ihm machte das alles sehr zu schaffen. „Vielleicht liegt es daran, dass du sie noch nicht gefragt hast?“, log Rene schnell, der sich nicht traute mit der Wahrheit raus zu rücken. Jaques Gesicht wurde blass. Und Rene atmete innerlich erleichtert auf. Damit hatte er zumindest das nahe liegende angesprochen und damit hatte er sich etwas Zeit verschafft um weiter zu ihn an zu flunkern. „Willst du sie denn heiraten?“ „Natürlich will ich das!“, kam es entrüstet von Jaque. „Was denkst du denn?“ „Und was hält dich davon ab?“ Nun wollte es Rene genau wissen. Immerhin könnte es Flora ein wenig helfen wieder zur Ruhe zu kommen und ihre Bedenken in dieser Sache beiseite zu wischen. Jaque machte ein bedrücktes Gesicht. „Was glaubst du? Oder vielmehr wer?“, fragte er dann und ein Schatten legte sich über sein Gesicht. Rene musste nicht lange überlegen. Dafür kamen nur zwei in Frage. Sein Vater oder die Dorfbewohner. Oder sogar beide?! „Dein Vater?“, riet Rene freiheraus. Damit hatte er wohl ins Schwarze getroffen, denn Jaques Gesicht verfinsterte sich nun und er fluchte leise. „Er meinte es wäre erstmal besser, wenn ich noch solange warte bis Gras darüber gewachsen ist!“ „Aber das wird nie passieren!“ „Glaubst du, ich weiß das nicht?“, blaffte Jaque ihn an. Wurde dann aber wieder niedergeschlagen. Es tat ihm sofort leid, dass er ihn angeschnauzt hatte. „Bitte, verzeih…Ich habe genau das gleiche gesagt. Dass das niemals vergessen sein wird. Dafür sorgen diese…diese…ach…Himmel Arsch und Zwirn…!“ Jaque wischte sich über das Gesicht. Er wirkte müde und angespannt. „Ich sagte auch, dass egal, was die anderen oder er sagte, es etwas an den Gefühlen ändern, die ich für deine Schwester habe!“ Rene war tief berührt über Jaques Worte und war froh, dass Flora das Glück hatte, in ihm den richtigen gefunden zu haben. Fast wollte er ihn schon ermutigen zu ihr zu gehen und ihr das gleiche zu sagen. Damit sie sich immerhin seiner Treue und seiner Liebe versichert war. Doch würde sie ihn dafür sehen wollen? Sicher nicht! Zu groß war die Scham. Da kannte er seine Schwester ziemlich gut. Und dafür würde er sie am liebsten packen und schütteln. Ihr ins Gesicht schreien, dass sie endlich den Mut haben sollte. In ihrem beiden Interesse. Immerhin da sollten sie sich aussprechen. Für das andere war noch nicht die rechte Zeit. „Rene. Du bist Ihr Bruder. Bitte…ich bitte dich als Freund. Rede mit Ihr!“, bat Jaque ihn und faltete die Hände wie zu einem Gebet. Rene schluckte, da er glaubte, dass sich seine Kehle mit einem Male trocken anfühlte. „Das…das kann ich versuchen. Aber ich kann dir leider nicht versprechen, dass sie nun wieder mit dir reden möchte!“, sagte er und erschrak wie schwach seine Stimme war. Kurz huschte ein dankbares Lächeln über sein Gesicht. „Bitte…tu alles was nötig ist!“ Renes Kopf schwirrte wie ein Bienenstock als er wieder zuhause war. Natürlich war sein Verschwinden dem Rest seiner Familie aufgefallen. Vor allem aber Flora. Ohne dass die beiden Männer es bemerkt hatten, hatte sie sie aus dem Fenster ihres Zimmers beobachtet und schon so ein komisches Gefühl gehabt. Als sie nun sah, dass er abwesend wirkte, fühlte sie sich in ihrem Verdacht bestätigt. Mit steinerner Miene schritt sie die Stufen hinunter. „Was war los? Warum wollte Jaque dich sprechen?“ Rene blieb wie angewurzelt stehe. Auch wenn er sie bemerkt hatte, zuckte er zusammen und sah sie an als sei sie ein Geist. „Er wollte wissen, wieso du ihn zappeln lässt!“, sagte er monoton. Sein Blick war leer. Flora biss sich auf die Unterlippe. So wie ihr Bruder aussah konnte man meinen er wäre dem Tod begegnet. „Und was hast du ihm gesagt?“, fragte sie schwach. Am Zittern ihrer Stimme und dem feuchten Schimmern in ihren Augen, sah er, dass sie mit Tränen kämpfte. Es ging ihr ebenso schlecht wie Jaque. „Ich sagte ihm, dass du auf seinen Antrag wartest!“, kam es nur von ihm. Floras Körper wurde auf einmal ganz steif, dann sackten ihre Schultern hinunter und sie ließ den Kopf hängen. „Du musst es ihm sagen!“, sagte Rene nach einer Weile und schaute sie ernst an. Flora zuckte zusammen als habe er sie geschlagen. „Wenn nicht du. Dann werde ich es tun!“, sagte Rene. Ihm war klar, dass er ihr damit die Pistole auf die Brust setzte. Doch er konnte und wollte es sich nicht länger anschauen, wie Flora darunter litt und womöglich noch dabei ihre Beziehung zerstört wurde. Floras Augen weiteten sich vor Entsetzen. Das konnte er doch nicht ernst meinen! Sie schüttelte den Kopf. „Nein, Rene…bitte…!“ „Es kann nicht so weitergehen!“ „Aber wenn er es erfährt…!“ „Willst du das er…!“ „Rene, es ist gut!“, sagte Martha, die den Zwist der beiden mitbekommen hatte. Auch sie war der Meinung, dass Flora das Schweigen brechen sollte. Dass es ihr aber auch schwerfiel, wusste sie ebenso. „Flora. Du kannst doch nicht länger die Augen davor verschließen!“, sagte Martha. Trat an sie heran und nahm ihre Hand, drückte sie sanft. „ Der arme Kerl hat es nicht verdient so zu zappeln!“ Flora warf ihr einen flehenden Blick zu. „Großmutter, wie soll ich denn…?“ „Sage es ihm einfach!“, beruhigte Martha sie. „Er wird es verstehen!“ Flora warf Rene einen skeptischen Blick an. Sie wollte nicht wirklich daran glauben. „Begleitest du mich. Allein traue ich mich nicht!“, bat sie dann ihren Bruder. Rene nickte. Flora war zumute als würde sie zu ihrer Hinrichtung gehen, als sie mit Rene am nächsten Tag zu Jaque in die Schmiede ging. „Am liebsten würde ich mich um drehen und wieder nachhause gehen!“, sagte Flora und verlangsamte ihre Schritte. Rene zog sie mit sich. „Da musst du durch!“ „Du hast gut Reden. Du steckst ja nicht in meiner Haut!“, murmelte Flora verkniffen. Rene drückte tröstend ihre Hand. „Glaub mir. Ich zittere auch!“, schwor Rene. Er tat es auch. Denn er fürchtete, dass, wenn Flora ihm vom Verwalter erzählte, Jaque nicht zu bremsen wäre und alles niedermachte, was sich ihm in den Weg stellte. Aber er konnte es auch wiederrum verstehen und er hegte die diebische Freude, dass Jaque diesem Aasgeier den Schädel einschlug. Doch er sagte nichts. Sondern ging mit ihr weiter. Als sie die Schmiede betraten, fragte sie Jaques Vater wo sie ihn finden konnten. Mit dem Daumen wies er hinter sich. Zur Werkstatt. Flora bedankte sich bei ihm und ging mit Rene nach hinten. Dabei versuchte sie seinen mürrischen Blick zu ignorieren. Offensichtlich hatte auch hier schon das Gift der Dorfbewohner und des Verwalters seine Wirkung gezeigt. Flora wurde ein kleines Stückchen kleiner und er konnte an ihrem Gesicht sehen, dass sie sich noch unsicherer war. Rene legte die Hände auf ihre Schultern und schob sie vor ran. „Nur Mut. Ich bin bei dir!“, flüsterte er. Sie hörten bereits die Hammerschläge als sie in die Werkstatt traten und sahen wie Jaque in einer Arbeit vertieft war. So wie er den Hammer schwang konnte man meinen, dass er es bereits wusste und seinem Ärger somit freie Luft ließ. Flora schluckte. Schaute ein letztes Mal zu ihrem Bruder, der ihr mit einem Kopfnicken zu verstehen gab, es endlich hinter sich zu bringen. Flora holte einmal tief Luft, dann trat sie vor und tippte ihm auf die Schulter. Jaque schrak zusammen und wirbelte herum. Den Hammer dabei hoch erhoben. Flora wiederum machte einen Schritt zurück. Als er sie dann richtig ansah, ließ er den Hammer fallen und schüttelte fassungslos den Kopf. „Flora!“, kam es dann erstickt aus ihm. Breitete die Arme aus und umarmte sie. Nach so langer Zeit in der sie ihm aus dem Weg gegangen war, erschien ihm nun ihr plötzlicher Besuch, wie ein kleines Wunder. Flora, nicht minder glücklich ihn doch wieder zu sehen, erwiderte seine Umarmung. Rene lächelte ein wenig. Es dauerte eine Weile ehe sie sich voneinander lösten. „Was ist nur mit dir los gewesen? All die Zeit bist du mir aus dem Weg gegangen. Wolltest mich nicht sehen…Ich dachte schon…!“, sprudelte es dann aus Jaque hervor. Flora biss sich auf die Unterlippe. Zögerte einen Moment. „Es…es tut mir leid…Aber ich wusste nicht, wie ich dir ins Gesicht schauen soll…!“ „Was meinst du damit? Flora? Rene, was meint sie damit?“, fragte Jaque. Rene hatte sich bisher im Hintergrund gehalten und wollte auch eigentlich Flora nur beistehen, doch nun sollte er auch etwas dazu sagen. „Gehen wir wohin, wo wir ungestört sind!“, sagte er. Jaque zuerst ein wenig verwirrt, nickte dann und die drei gingen in den hinteren Teil der Werkstatt. „Es ist nicht leicht und gerne würde ich darüber schweigen. Aber…ich kann es auch nicht länger zurückalten. Und ich will auch nicht, dass du denkst, dass…!“, begann Flora und ihre Stimme versagte. Rene stand hinter seine Schwester. Hatte seine Hände auf ihre Schultern gelegt. Stand ihr so bei. „Flora…sag endlich was dir auf der Seele liegt. Egal was es ist, es wird mich nicht schockieren!“, sagte Jaque, der ihre Hände nahm und drückte. Flora biss sich auf die Unterlippe. Rang mit sich. „Vor einigen Tagen kam der Verwalter zu uns. Er drohte uns, das Haus weg zu nehmen, wenn wir die Miete nicht zahlen!“, fing sie mit schwerem Herzen an. Konnte ihm dabei nicht in die Augen schauen. „Es sei denn…er bekommt mich für eine Nacht. Dann würde er ein Auge zu machen!“ Jaques Gesicht wurde zu einer ausdruckslosen Maske und sein ganzer Körper krampfte sich zusammen. Floras Worte quetschten sich wie zäher Sirup in seinen Verstand. Nur langsam wurde er sich dessen bewusst. Doch dann verfinsterte sich sein Gesicht. „Ich bringe diesen Bastard um!“, knurrte er. So verlockend diese Vorstellung auch war, aber Flora schüttelte den Kopf. „Nein, Jaque. Bitte nicht. Ich weiß du meinst es gut, aber es würde das alles noch viel schlimmer machen!“ „Soll ich etwa die Füße still halten?“, kam es wütend von ihm und sprang auf. „Wie kommt dieser Mann dazu, sowas zu verlangen?“ „Der Bürgermeister könnte dahinter stecken!“, kam es dann von Rene. „Tse…wer sonst…dieser…!“, keifte Jaque. Ihm war deutlich an zu sehen, dass er sich bemühte nicht etwas Dummes zu tun. Flora drückte sich an ihm und vergrub das Gesicht in seinem Hemd. „Denk bitte nicht schlecht von mir!“, wimmerte sie. Jaque schloss sie in seine Arme. Küsste sie auf die Stirn. „Wie könnte ich!“, flüsterte er. Rene, erleichtert dass es endlich zwischen den beiden geklärt war, hielt es für das Beste, die beiden allein zu lassen. Als er draußen war, atmete er erleichtert auf. Doch die Erleichterung hielt nicht lange. Zwar war zwischen den beiden wieder alles geklärt, aber da war ja noch der Verwalter, der ihnen ohne weiteres das Haus wegnehmen wird, wenn er nicht das Geld bekommt. Sie waren kein Stück weitergekommen. Sondern saßen immer noch in der Zwickmühle. Wenn sie nicht bald zahlten… In der folgenden Nacht, suchte ihn sein zweites Ich wieder heim und führte seine üblichen Spielchen fort. Strich sanft aber gierig über die nackte Brust. Hauchte Küsse auf seine Haut und umspielte seine Brustwarzen mit der Zunge. Doch Rene ließ das völlig kalt. „Was ist mit dir? Du scheinst nicht bei der Sache zu sein. Du sträubst dich nicht?“, fragte sein Zwilling. Rene verzog das Gesicht. „Ich habe andere Probleme, als mich über deine Grabscherei auf zu regen!“ Sein Zwilling hörte auf und sah ihn nachdenklich an. Rene wunderte sich ein wenig. „Geht es um diesen Widerling und was er Euch androht?“ „Du bist doch ich. Also solltest du es wissen!“ Darauf sagte sein Doppelgänger erstmal nichts, sondern richtete sich auf. Nach langer Zeit, in der er ihn nachdenklich anschaute, sagte er dann:„ Und wenn du den Wolfsprinzen um Hilfe bittest?“ Rene glaubte er hätte sich verhört. Den Wolfsprinzen um Hilfe bitten? Hatte er den Verstand verloren? Rene musste über diesen Vorschlag bitter lächeln. „Machst du Witze? Was kümmert es ihn, was mit mir und meiner Familie geschieht?“ „Frag ihn doch einfach?“, riet er ihm. Noch ehe Rene darauf etwas sagen konnte, sah ihn sein Doppelgänger mit hochgezogenen Brauen an. „Außerdem gehört ihm dein Leben doch schon längst!“ Das stimmte nun auch wieder. Aber dennoch weigerte er sich. Beim Wolfsprinzen zu Kreuze zu kriechen war ihm zu wider. Er wollte nicht diesen Schritt machen. Und damit in den Augen des Wolfsprinzen als jemand dasteht, der auf die Hilfe von jemanden wie ihm angewiesen war. Er war schon tief genug gesunken. Doch irgendwie konnte er den Gedanken ihn um Hilfe zu bitten, nicht gänzlich abschütteln. Zumal er, während er weiter daran dachte, der Meinung war, dass der Wolfsprinz ihm diesen einen Gefallen tun konnte, nach dem er ihm sein Leben und seine Seele verkauft hatte. Im Vergleich dazu war das nichts. „Schön, dass du wieder lächeln kannst!“, sagte Rene als er mit Flora am nächsten Tag ein wenig spazieren ging. Nachdem sie und Jaque sich ausgesprochen hatten, schien aller Kummer von ihr abgefallen zu sein. Sie hatte ihr Lächeln wiedergefunden. Auch jetzt lächelte sie. „Ja. Ich dachte schon, dass ich es nie wieder kann!“, sagte sie. „Nach allem was passiert ist…!“, kam es aus Rene und seine Worte blieben ihm in Halse stecken. Flora nickte. „In dieser Zeit, die wir durchmachen, ist es schön mal wieder zu lächeln!“ Sie hakte sich bei ihrem Bruder ein, „Man kann nur hoffen, dass Jaques Vater nicht auf dumme Gedanken kommt!“, meinte Rene. „So wie er geschaut hat, könnte man meinen, dass er auch gegen die Beziehung zwischen Euch ist!“ Ihm war klar, dass er damit ein Thema anschnitt, dass ihr das Herz schwer machte. Aber es nützte nichts mit der Wahrheit vor dem Berg zu halten. Sie musste es ebenso bemerkt haben. Floras Gesicht nahm einen bekümmerten Ausdruck an. „Ja, das ist mir auch aufgefallen!“ „Ich dachte immer, er ist da unparteiisch. Oder hält da zumindest zu seinem Sohn!“ „Naja…mich wundert das nicht. Er ist ebenso gut der einzige Schmied wie unser Vater der einzige Bäcker ist!“, erklärte er. „Wenn er keine Kunden hat, gerät er genauso in Schwierigkeiten wie wir!“ „Das…das ist einfach nicht gerecht!“ „Da hast du Recht. Aber dagegen sind wir machtlos. Das einzige was wir tun können, ist die Füße still zu halten und zu hoffen das Jaque keinen Fehler macht!“ In diesem Moment wurden sie auf einen Tumult aufmerksam, der sich wenige Meter vor ihnen abspielte. Eine Traube von Menschen hatte sich gebildet und riefen wild durcheinander. „So unternehmt doch etwas!“ „Er schlägt ihn noch tot!“ „Ruft den Bürgermeister!“ „Und den Schmied. Seinen Vater!“ Als sie das hörten wurden beide kreidebleich und sie bekamen weiche Knie. Flora krallte ihre Finger in seinen Arm. „Sag mir bitte, dass das nicht wahr ist!“ „Los, komm!“, sagte er und eilte mit ihr zu der Menschenmenge. Die Proteste der Umstehenden ignorierend, schoben sie sich durch die Menge bis sie den Mittelpunkt erreichten und sahen sich in ihrer Befürchtung bestätigt. Jaque, schnaubend vor Wut, stand über dem Verwalter, der mit blutender Nase auf dem schneebedeckten Boden lag. Seine Fäuste waren geballt und er sah so aus, als würde er sich gleich wieder auf ihn stürzen. Das hätte er womöglich auch getan. Doch Flora kam ihm zuvor. „Jaque. Hast du den Verstand verloren?“, rief sie entsetzt. „Es tut mir leid. Aber ich konnte nicht anders. Nicht nachdem ich gehört habe, was für widerliche Dinge er über dich erzählt!“, sagte Jaque und sah den Verwalter mit glühend heißen Hass an. Einer der Umstehenden half ihm hoch. „Das…das wirst du bereuen…Dein…dein Vater wird dafür bluten!“ „Du kannst von Glück sagen, dass ich dir nur die Nase gebrochen habe. Ich hätte dir auch deinen dürren Geierhals brechen können!“, brüllte er und wollte sich an Flore vorbeischieben. Doch Flora stellte sich ihm in den Weg. „Nicht! Bitte! Lass gut sein!“, flehte sie ihn an. „Mach es nicht noch schlimmer!“ „Was ist hier los?“, hörte man plötzlich den Bürgermeister, der sich auch sogleich durch die Menge schob. Als er sah was los war, verfinsterte sich sein Gesicht. Für ihn war klar, wer Schuld hatte. „Was hast du dir nur dabei gedacht?“, fragte Flora wenig später, als sie bei ihren Eltern zuhause waren. Jaque, vorher noch kochend vor Wut, saß nun mit hängenden Schultern am Tisch und ließ den Kopf hängen. Nun tat es ihm leid. Nicht wegen des Verwalters, sondern wegen Flora. Nach dem was er getan hat, wird sie und ihre Familie nun noch mehr Ärger haben. „Ich…ich konnte einfach nicht anders. Nachdem du mir alles erzählt hast und ich diesen Kerl sah, da…da brannten mir alle Sicherungen durch!“ „Du kannst nicht erwarten, dass er ruhig bleibt!“, wandte nun ihre Großmutter ein. „Aber so wird alles noch schlimmer!“, sagte nun Elsa. „Mal ehrlich, Elsa. Wie schlimmer kann es noch werden?“, fragte Martha ihre Tochter. Elsa sagte darauf nichts. Roman musste ein wenig lächeln, wurde aber dann wieder ernst. „Ich mag mir nicht vorstellen, was als nächstes kommt. Sicher wird der Bürgermeister jetzt zu Jaques Vater gehen und ihm alles erzählen!“ „Davor graut es mir am meisten!“, murmelte Jaque und vergrub das Gesicht in den Händen. „Wenn du willst kannst du hier schlafen?“, bot Flora an. Daraufhin sahen ihre Eltern sie verwundert an. „Und wo soll er schlafen? Wir haben nicht mehr viel Platz!“ „Er schläft bei mir!“, schoss es sogleich aus Flora, wobei die Blicke ihrer Eltern noch verwirrter wurden. Flora erkannte sofort, was sie da gesagt hatte, presste die Lippen zusammen und schaute verlegen zu Boden. „Nur…nur wenn Ihr es erlaubt!“ Ein wütendes Hämmern ließ alle zusammen zucken und zur Tür schauen. Sie brauchten sich nicht zu fragen, wer da vor der Tür stand. Ramon stand mit einem warnenden Blich zu seiner Familie werfend auf und öffnete die Tür. „Wo ist er?“, hörten sie schon, ehe Jaques Vater schon in die Wohnstube reingestürmt kam. Als er seinen Sohn sah, schien sein Gesicht noch röter vor Wut zu werden als es jetzt schon war und packte seinen Sohn am Kragen. „Hast du den Verstand verloren?“, schrie er ihn an und schüttelte ihn. „Vincent! Beruhige dich!“, mischte sich nun Ramon ein und wollte den aufgebrachten Mann von seinem Sohn trennen. Vincent aber ließ sich das nicht so einfach gefallen. Sondern sah Ramon an als habe er ebenso Schuld daran. „Du…!“ „Wäre deine Tochter nicht…deine ganze Familie nicht, dann…!“ „Vincent, wie lange kennen wir uns schon!“, kam es von Ramon und er versuchte ruhig zu bleiben. Dabei trafen die Worte Vincents ihn sehr. Er war wirklich der letzte, von dem er das gedacht hätte. „Momentan wünschte ich mir, dass wir uns nicht kennen!“, sagte Vincent bitter. „Und vor allem bedaure ich es, dass sich unsere Kinder kennen!“ Dabei sah er zu Flora, die ihn wiederrum ansah, als würde er ihr ein Messer ins Herz stoßen. „Du glaubst diesem Mistkerl doch nicht?“, fragte Jaque ihn schließlich. Vorwurf und Unglauben schwangen in seiner Stimme. „Willst du mir erzählen, dass er sich selbst die Nase gebrochen hat?“, blaffte Vincent seinen Sohn an. „Nein, aber er hat es nicht anders verdient!“, wehrte sich sein Sohn. „Ist dir klar, was das für Folgen nach sich ziehen wird?“ „Ehrlich gesagt: Ist mir das egal!“, schnappte Jaque, ging zu Flora und ergriff ihre Hand. „Ich liebe Flora!“ Vincent sah seinen Sohn mit einem Blick an, der deutlich sagte, dass er ihn am liebsten wieder schütteln will. Dieses Mal stärker. Um ihn wohl wieder zur Vernunft zu bringen. „Du wirst mit deiner Liebe uns noch bettelarm machen und auf die Straße bringen!“ Jaque presste die Lippen zusammen. Soweit hatten der Verwalter und der Bürgermeister ihn eingewickelt? Er wusste nicht, was er fühlen sollte. Wut? Enttäuschung? Er glaubte einen Fremden vor sich zu haben. Flora legte ihm die Hand auf den Arm. Als er zu ihr schaute, schüttelte sie den Kopf. Dann wandte sie sich an seinen Vater. „Es tut mir leid, dass auch Sie damit hineingezogen wurden. Und ich verstehe auch, dass Sie sich jetzt Gedanken machen, was nun aus Ihnen und Jaque werden wird!“, begann sie vorsichtig. Ihr Gesicht nahm einen schmerzlichen Ausdruck an. Sie biss sich auf die Unterlippe. Ihre Hände begannen zu zittern. Jaque ahnte, was sie nun sagen wollte. Er erfasste ihre Hand und sie fassungslos an. „Flora!“, flüsterte er. Flora hingegen schüttelte den Kopf. Löste sich dann von ihm. „Darum…werden Jaque und ich uns…trennen!“ „Nein!“, rief Jaque außer sich. „Das…das ist nicht dein Ernst!“ „Doch, Jaque. Mein voller Ernst. Ich will nicht schuld daran sein, dass es zu einem Zerwürfnis zwischen dir und deinem Vater kommt!“, sagte sie und Tränen brannten in ihren Augen. „Flora…nicht…!“, versuchte Jaque sie um zu stimmen. Er wollte nicht, dass es so endete. Wollte sie nicht auf solch eine Weise verlieren. Flehend und doch sanft umfasste er ihre Schultern und sah sie mit einem nicht minder flehenden Blick an. Berührte dann mit seiner Hand ihre Wange. Flora schmiegte diese an seine. So, als wollte sie diese Berührung in sich aufsaugen. Sie schloss die Augen weil er nicht sehen sollte, dass ihr Herz gerade in tausend Fetzen zerrissen wurde. Sie legte ihre Hand auf seine und verflocht ihre Finger mit den seinen. Wollte diesen Moment nicht vergehen lassen. Doch dann löste sie die Berührung und ging einige Schritte von ihm weg. Jaque streckte die Hand nach ihr aus. Wollte sie wieder ergreifen und zu sich ziehen. Flora schüttelte ein letztes Mal den Kopf und eilte dann die Treppe zu ihrem Zimmer hinauf. Als die Tür laut zu geschlagen wurde, herrschte Schweigen. Jaque stand da wie erstarrt. Konnte nicht glauben, was Flora da gerade getan hatte. Erschüttert schaute er zu Rene und Floras Eltern. Diese waren genauso sprachlos. Nur ihre Blicke sagten ihm, dass es ihnen leidtat und dass sie nichts dagegen tun konnten. Sie mussten, wie auch Jaque, ihre Entscheidung akzeptieren. „Gehen wir, Sohn!“, sagte Vincent in die Stille hinein und nahm seinen Sohn bei der Schulter. Doch Jaque entwand ihm diese und sah ihn mit einem mörderischen Blick an. Vincent wich diesem beschämt aus. Beide gingen dann, mit einem enormen Abstand hinter einander aus dem Haus. „Flora? Kann ich reinkommen?“, fragte Rene als er an ihre Zimmertüre klopfte. Er erhielt keine Antwort. Kurz dachte er daran, einfach rein zu gehen. Ermahnte sich aber es nicht zu tun, da es falsch war. So wartete er noch eine Weile. Als sie immer noch nicht antwortete, bekam Rene so ein ungutes Gefühl. Ihm war bewusst gewesen, dass Flora schon vorher darunter gelitten hatte, dass sie wegen ihrer Liebe zu ihm, ins Fadenkreuz der gehässigen Dorfbewohner geraten war und damit dem Spott praktisch hilflos ausgesetzt war, aber dass sie nun mehr unfreiwillig als freiwillig die Beziehung zwischen sich und ihm beendet hatte, musste ihr den Rest gegeben haben. Er befürchtete schon, dass sie sich was angetan habe. „Flora? Flora! Mach die Tür auf!“, rief Rene nun und hämmerte förmlich gegen die Tür. „Rene! Hör auf. Lass sie!“, sagte auf einmal seine Großmutter. „Aber was ist wenn sie sich…!“, brach es verzweifelt aus Rene heraus, der sich nicht den Rest vorstellen wollte. Die Angst um seine Schwester stieg ins grenzenlose. „Das wird sie nicht. Sie ist ein vernünftiges Mädchen!“, erwiderte Martha ruhig. „Ja, aber…!“ Martha hob die Hand. „Sie hat Jaque soeben den Laufpass gegeben und es hat ihr das Herz gebrochen. Sie braucht nun etwas Zeit. Und sie braucht sie besonders für sich allein!“ Rene öffnete den Mund um darauf etwas zu sagen, doch Martha schüttelte den Kopf. „Geh jetzt schlafen. Morgen wird sicher alles anders aussehen!“ Doch Rene wollte nicht schlafen. Er sah sich in dem Gedanken, den Wolfsprinzen um Hilfe zu bitten nun bestärkt. Auch wenn sich immer noch ein kleiner Teil in ihm sich dagegen sträubte. Doch nur er konnte ihm noch helfen. Er wusste zwar nicht wie er das anstellen sollte und um was genau er ihn bitten sollte, aber es war nicht mehr zu leugnen, dass er sich nicht länger dagegen wehren konnte. Er sah keine andere Möglichkeit. In der Not frisst der Teufel fliegen, heißt es ja so schön. So schlug er die Decke zurück, stieg aus dem Bett zu und zog sich an. Die Lichtung lag einsam und verlassen da. Wie sollte es auch anders sein? Der Wolfsprinz hatte ihn immerhin nicht gerufen. Aber warum sollte er nur hierherkommen, wenn er ihn sehen will. Es konnte ja auch mal anders sein. „Wolfsprinz? Wolfsprinz, ich muss mit Euch reden!“, rief er laut und sein Echo hallte durch die nächtliche, kalte Luft. Er war sich sicher, dass er ihn hörte. „Wolfsprinz!“ Es dauerte einige Zeit ehe sein Rufen endlich erhört wurde. Die Wölfin, die ihm beinahe schon vertraut war, erschien und sah ihn mit einem fragenden Blick an. „Ich mit deinem Herrn sprechen!“, kaum hatte er das gesagt, huschte die Wölfin auch schon davon. Für Rene begann nun eine schier kaum aus zu haltende Warterei. Nervös begann er auf und ab zu laufen. Suchte nach den richtigen Worten. Jetzt wo er ihr war, war er sich nicht mehr so sicher. Sondern begann zu zweifeln. Würde er ihm überhaupt helfen? Und wenn ja, würde er was dafür verlangen und was genau würde er als Preis für seine Hilfe haben wollen? Fast schon wollte er sich umdrehen und gehen. Doch da hörte er schon die Stimme des Wolfsprinzen hinter sich. „Nima sagte, dass du mich sprechen willst?“ Rene zuckte zusammen. Zu sehr war er in seine Grübeleien vertieft gewesen, als das er ihn gehört hatte und wirbelte erschrocken herum. Kaum dass sich ihre Blicke trafen, war sein Kopf wie leergefegt. Die anfänglichen Sätze, die er sich bereitgelegt hatte, waren weg und er konnte ihn daher nur anschauen. Mandariel hingegen hob die Brauen. Konnte dabei deutlich sehen, dass ihm etwas auf der Seele brannte. „Ich habe zwar einige Fähigkeiten, aber Gedankenlesen gehört nicht dazu!“, sagte er dann und ging ruhigen Schrittes auf ihn zu. Renes Mund fühlte sich staubtrocken an. Machte einen Schritt zurück. Trotz dass er ihn um Hilfe bitten wollte, fühlte sich nicht wohl ihm gegenüber. In seinem Kopf herrschte immer noch gähnende Leere. „Reiß dich zusammen und spuck es endlich aus, du Trottel!“, schallt er sich selbst. Holte dann tief Luft und sagte in einem einzigen Satz:„ Ich brauche Eure Hilfe!“ Etwas wie Erstaunen flackerte in den eisblauen Augen des Wolfsprinzen auf. Und auch er glaubte zunächst mal nicht, was er da gehört hatte. Ausgerechnet er, der ihn für ein Monster hielt, wollte ihn um Hilfe bitten? Schnell verbarg er sein Erstaunen und versuchte ruhig und gelassen zu wirken. „Und bei was?“ „Das…das wisst Ihr doch genau. Der Hass der Dörfler auf uns wird von Tag zu Tag immer schlimmer. Sie…sie schrecken wirklich vor nichts zurück, um uns aus dem Dorf zu vertreiben. Ginge es dabei nur um mich, wäre das noch zu ertragen. Aber Flora…Sie…sie leidet am meisten darunter!“ „Und wie kann ich dir da helfen?“ „Das weiß ich auch nicht!“, gestand Rene nun und wirkte ein wenig verlegen. „Könnt Ihr diesen Verbrechern nicht eine Heidenangst machen?“ Madariels Mundwinkel zuckten ein wenig amüsiert nach oben. Sowas kann nur von einem Kindskopf kommen, dachte er. „Ihnen Angst einjagen? Tue ich das nicht schon?“, fragte er, konnte dabei das Lachen nicht ganz unterdrücken. Rene verzog das Gesicht. Wo er Recht hatte, hatte er Recht. Aber in seinen Augen war das nicht genug. Mandariel spürte förmlich wie sich Rene darüber ärgerte und versuchte es nun mit Geduld. „Wie genau sehen Ihre Schikanen denn aus?“ „Ich weiß nicht wo ich da anfangen soll. Da gibt es so einige Dinge!“ „Ich bin ganz Ohr!“ Zuerst ein wenig skeptisch und auch vorsichtig von dem Interesse des Wolfsprinzen denkend, begann er zu erzählen und ließ dabei kein Detail aus. Die Miene des Wolfsprinzen wurde von interessiert zu nachdenklich und dann zu einem bitteren Lächeln. „Das sieht diesem falschen Pack ähnlich!“, knurrte er. „Niemals allein sich die Hände schmutzig machen, sondern schön in Gruppen. Und einer der natürlich am längeren Hebel sitzt und das schaltet und waltet, wie es ihm passt!“ Rene ließ sich auf einen schneebedeckten Baumstumpf nieder und schaute betreten zu Boden. Dem Wolfsprinzen von der Schikane der Dorfbewohner zu erzählen, hatte ihn förmlich die Kraft genommen. Doch die Worte des Wolfsprinzen gaben ihm immerhin etwas Mut. „Also…helft Ihr mir?“ „Ich wüsste nicht wie?“ Rene Kopf flog nach oben und er sah ihn entsetzt an. „Ja, aber Ihr…Ihr seid doch der Wolfsprinz. Ihr…Ihr habt doch die Macht. Ihr befehlt doch den Wind und den Schnee. Man erzählt sich doch nicht umsonst, dass Ihr einen Menschen mit einem Fingerschnippen zu Eis erstarren lassen könnt. Wieso sollten die Menschen Euch sonst fürchten?“, platzte es aus Rene. Mit Schwung sprang er auf und kam auf ihn zu gestampft. Dabei gestikulierte er wild mit den Armen. Für ihn war es unbegreiflich, dass der Wolfsprinz keine Idee hatte, wie er ihm helfen konnte. Mandariel musste nun ein wenig mehr lächeln. „Wenn ich wirklich so grausam wäre, glaubst du, dass noch irgendein Mensch da leben würde? Mein Hass auf diese verdorbenen Menschen gibt es nicht seit gestern. Ich hätte wirklich nicht übel Lust, sie hier und jetzt unter einer Eisschicht zu begraben!“ „Und wieso macht Ihr es nicht?“, konterte Rene scharf und sah ihn herausfordernd an. Da trat Mandariel nun näher, sodass sie sich nahe gegenüber standen und sah Rene mit einem kalten Funkeln in den Augen an. „Weil ich sie vor Angst zittern sehen will. Sie sollen langsam leiden. Was wäre das für eine Verschwendung, wenn sie einen schnellen, schmerzlosen Tod erleiden!“, kam es kalt und mit einem grausamen Lächeln von ihm. Rene schluckte, als er sich sagte, dass es die Wahrheit sprach und dass er wahrlich nicht ohne Grund zum fürchten war. „Außerdem würde deine Familie ebenso sterben!“ Dabei nahm Mandariels Blick nun wieder einen etwas weicheren Ausdruck an, was Rene verblüffte. Dieser Mann…dieser Dämon war so wechselhaft wie das Wetter. „Ich kann zwar verstehen, dass du alles erdenkliche tun willst, um deine Familie…deiner Schwester zu helfen, aber ich kann dir dabei nicht helfen. Und wenn ich es täte, würden diese Elenden es merken. Sie mögen zwar verlogen und falsch sein, aber dumm sind sie nicht!“ „Ich verlange auch nicht viel. Aber ich weiß mir keinen anderen Rat. Und wenn Euch schon mein Leben gehört, so kann ich doch eine Gegenleistung erwarten!“, kam es brüchig aus ihm. Beim letzten Satz jedoch hätte er sich zu gerne auf die Zunge gebissen. Alles in ihm schrie, ob er noch bei Verstand war. Aber die Worte waren einfach so aus ihm heraus gesprudelt. Auch Mandariel schien erstmal überrascht über seine Worte zu sein. Doch wirklich wütend auf diese konnte er nicht sein. Immerhin sagte er nur das, was ihm gerade durch den Kopf ging und sie entsprachen auch irgendwie der Wahrheit. Er hatte sein Leben praktisch in der Hand und hatte ihn und seine Schwester zum Schweigen verdammt. Genau deswegen hassten die Dorfbewohner ihn und seine Familie. Das eine zog das andere hinter sich her, wie eine Kette. Da konnte er wirklich von ihm verlangen, ihm eine kleine Gegenleistung dafür zu geben, wenn er schon in den Augen der Bewohner so tief gefallen war. „Na, schön…!“, seufzte er. Griff dann unter seinen Mantel und holte ein Säckchen aus Leder hervor. Es klimperte innen drin, als er es leicht schüttelte. „Ich denke, dass das hier mehr als reichen wird, um Eure Schulden zu begleichen!“, sagte er und reichte es Rene. Als Rene es nahm, merkte er wie schwer es war und er hatte das Gefühl, dass da mehr drin war als er brauchte. „Ich…!“, brachte er nur hervor, während er auf das Säckchen niederschaute. Er kniff paarmal die Augen zusammen, weil er dachte, er bildete sich das nur ein. Aber das Säckchen war und blieb in seinen Händen. Aus dem Augenwinkel sah er, dass der Wolfsprinz ihn ruhig anschaute. Sicher wartet er auf eine Antwort, dachte er, straffte die Schultern und sagte im ruhigen Ton: „Ich danke Euch!“ Mandariel nickte nur. Dann drehte sich Rene um und verließ die Lichtung. Mandariel stand auf dem Balkon und schaute in die Ferne. Noch immer fiel es ihm schwer zu begreifen, dass Rene ihn um etwas gebeten hatte. Dabei dachte ich, dass er eher sich die Zunge abbeißen würde, als mich um Hilfe zu bitten, dachte er. Aber vermutlich wusste er sich wirklich nicht anders zu helfen. Und sicher wird das nichts an seiner Haltung zu mir ändern. Beim letzten Gedanken spürte er wie sich sein Herz verkrampfte. Sofort fragte er sich, was das zu bedeuten hatte. Ihm war es doch eigentlich egal was Rene über ihn dachte. Aber aus einem ihm nicht ersichtlichen Grund wollte er das Rene in ihm einen Menschen sah. So auch wie das letzte Mal. Er versuchte sich darauf eine Antwort zu geben, konnte es jedoch nicht. Zu absurd war es. Hinter seiner Stirn fühlten sich seine Gedanken wie ein tobender Eissturm an. Mandariel versuchte diesen zu lichten und zum Schweigen zu bringen. Doch es wurde schlimmer. Mit einem frustrierten Seufzen rieb er sich die Stirn. „Du siehst aus als würde dir etwas schwere Kopfschmerzen bescheren!“, sagte seine Mutter, die hinter ihm stand und an seine Seite trat. „Nicht etwas. Sondern jemand!“ „Du meinst den Jungen!“ „Ja,!“, brummte Mandariel und sein Blick wurde finster. „Was hat er denn angestellt?“ „Nichts!“ „Dann würdest du nicht so ein Sauerteiggesicht machen!“ Mandariel konnte das Lächeln in ihrer Stimme hören. Kurz ärgerte er sich über seine Mutter. Dann seufzte er nochmal. „Er hat mich gebeten ihm zu helfen!“ Liras Augen wurden groß als sie das hörte. Das hätte sie ebenso nicht erwartet wie ihr Sohn. Aber im Gegensatz zu ihm freute sie sich ein wenig. „Und das beschäftigt dich so?“ „Ja! Ich frage mich wirklich, wieso er…?“ „Wieso er gerade dich bat?“, beendete sie seinen Satz. Mandariels Lippen wurden zu einem harten Strich. Lira trat näher an ihn heran und legte ihm sanft die Hand auf den Arm. „Ist das nicht offensichtlich. Du warst der einzige, der ihm helfen konnte. Das hast du doch sicher selbst gehört!“ Und ob er das hatte. Woher seine Mutter das jedoch wusste, ließ ihn stutzen. „Hast du etwa Nima zum Lauschen geschickt?“, fragte er. Seine Mutter machte ein schelmisches Gesicht. „Wer weiß…!“, sagte sie. Mandariel wünschte sich manchmal seine Mutter würde sich nicht in seine Angelegenheiten einmischen. Da gab ihm Lira einen Klaps auf die Schulter. Sie kannte ihren Sohn wirklich gut. „Um wieder auf das eigentliche Thema zurück zu kommen: Ich habe den Eindruck, dass dieser Junge so langsam beginnt, vor dir zu keine Angst zu haben!“ Keine Angst? Das würde wirklich einem Wunder gleichen, ging es ihm durch den Kopf. „Und was wenn nicht? Wenn ich zwar der einzige bin, der ihm helfen kann, aber er mich weiterhin als ein Monster sieht?“ Darauf sagte Lira erstmal nicht. Sondern sah ihren Sohn erstmal nur an. Sie konnte deutlich in seinen Augen sehen, dass Zweifel ihn plagten. Und sie konnte es ihm nicht verdenken. Nach all dem Schmerz und dem Hass, den er immer empfunden hatte, wenn er an die Menschen unten im Dorf dachte, die einst seine Mutter vertrieben und dann seinen Vater ermordet hatten, schien es ihm schwer zu fallen, zu denken, dass einer von ihnen, ihm nicht hintergehen würde. Zu oft waren ihm die Geschichten und die Ablehnung herangetragen worden, die die Dorfbewohner miteinander ihm gegenüber teilten. Mit schwerem Herzen musste sie mit ansehen, wie er immer mehr diese Leute zu hassen begann und sich gegen jeden Versuch wehrte, Frieden zu schließen. Ihnen zu vergeben. „Ich werde Ihnen weder vergeben, noch werde ich Ruhen!“, hatte er immer wieder geschworen. Irgendwann hatte sie es aufgegeben. Dass es aber nun jemand geschafft hatte, ihm in seinem Zorn und harten Entschluss, den Menschen da unten, den gleichen Kummer zu bereiten, ins Wanken brachte, ließ wieder Hoffnung in ihr hochkommen. „Nun…ich kann dir da nur den Rat geben, es darauf ankommen zu lassen- Hör auf ihm Gründe zu geben, dich zu fürchten!“, sagte sie. „Ich weiß nicht mal, ob ich das kann!“, murmelte er unsicher. Lira lächelte nun wieder. Beugte sich ein wenig zu ihm und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. „Sicher kannst du das. Schließlich bist du ein Mensch!“ Trotz dass ihm fast die Augen zu fielen, lag Rene wach im Bett. Das Säckchen, das der Wolfsprinz ihm gegeben hatte, lag auf seiner Brust. Er hätte nicht gedacht, dass es möglich war. Er konnte es immer noch nicht glauben. Er hatte sich sogar in die Hand gekniffen um ganz sicher zu sein. Der blaue Fleck auf seinem Handrücken war immer noch zu sehen. Immer wieder sah er sich vor dem Wolfsprinzen stehen. Hörte sich selbst reden. Er erschien ihm wie ein Traum. Aber es war die Wirklichkeit gewesen. Und gerade mal einige Stunden her. Nun lag er da und fragte sich, wieso er ihm geholfen hatte. Dabei kannte etwas tief in ihm die Antwort, doch im Vergleich zu seinen Zweifeln, war dies nur ein Flüstern. Zuerst hatte es so ausgesehen als ob es ihn nicht sonderlich interessierte. Doch dann schien sich etwas in ihm verändert zu haben. Und Rene war auch froh darüber gewesen. Dennoch blieb die Frage nach dem warum. Es wollte ihm einfach nicht in den Kopf. War vielleicht doch mehr Mensch als Wolf in ihm? Wieso schaffte es der Wolfsprinz immer wieder Renes Meinung ihm gegenüber Stück für Stück zum Einbrechen zu bringen? Ob ich es wagen und ihm die Chance geben soll, mir sein anderes, menschliches Ich zu zeigen, fragte er sich. Aber was wenn das nur gespielt war? Hör einfach auf das, was dein Herz dir sagt! „Mein Herz?“, fragte er sich und legte seine Hand auf die Brust. Unter seinen Fingern konnte er es sanft schlagen spüren. Rene schloss die Augen, lauschte dem Klopfen seines Herzens, das ihn nun immer mehr an den Rand des Schlafens trieb und ihn dann hineinsinken ließ. Gleich am nächsten Tag suchte Rene den Verwalter auf, um ihm das Geld zu geben. Während er durch die Straßen und Gassen lief und an den vorbeigehenden Menschen vorbeilief, konnte er deutlich die verachtenden und gehässigen Blicke auf sich spüren. Eigentlich sollte er es gewohnt sein. Doch es war dieses Mal schlimmer. Nachdem Jaque den Verwalter beinahe zu Tode geprügelt hätte, schien die anderen seiner Schwester die Schuld zu geben. Dabei hatten sie auch manchmal ihre Not und ihren Ärger mit ihm. Aber offensichtlich schweißt sie das zusammen und lässt sie ihre Sorgen und Nöte vergessen. Rene konnte nur hoffen, dass sie nicht auf die Idee kommen und ihn angreifen. Er war sich sicher, sollten sie ihn überfallen und das Geldsäckchen sehen, dass sie es ihm wegnehmen werden. Daher beschleunigte er seine Schritte und zog den Kopf zwischen die Schultern. Die Blicke der Vorbeigehenden wurden dabei umso finsterer. Umso erleichtert war er als er vor der Tür des Verwalters stand und anklopfte. Ein dürres, bleiches Mädchen in Dienstmädchenkleidung öffnete ihm. „Sie wünschen?“ „Ich muss mit dem Verbre…mit dem Verwalter sprechen!“ Bei seinem kleinen Versprecher musste das Mädchen kurz grinsen. „Kommen Sie rein. Ich werde sie ankündigen!“, sagte sie und ließ ihn eintreten. „Kann ich Ihnen was bringen. Tee? Ein Stück Kuchen?“ Ein wenig Verwirrt von der Freundlichkeit des Mädchens, schüttelte er den Kopf. „Ich will einfach nur den Verwalter sprechen und dann wieder gehen!“ „Nagut!“, sagte es und eilte davon. Es dauerte etwas, dann kam sie zurück und sagte ihm, dass er ihn erwartete. Das Büro des Verwalters war ein kleiner stickiger Raum, der nur von einem Schreibtisch und einigen Schränken eingenommen wurde. Eine schwache Öllampe brannte und tauchte alles in ein diffuses Licht. Den Verwalter konnte er daher nur schwer ausmachen. Als er näher herantrat, sah er ihn hinter seinem massigen Schreibtisch sitzen. Als sie Jaque von ihm trennten, bot er schon einen schlimmen Anblick und er hatte auch nicht überhört, dass Jaque ihm die Nase gebrochen hatte. Doch nun sah er das wirkliche Ausmaß. Jaque musste mehr als nur seine Nase gebrochen haben, denn sein Gesicht war grün und blau und geschwollen. Wirkte im Vergleich zu dem Rest seines Körpers grotesk. Rene verspürte bei diesem Anblick kein Mitleid. Eher Genugtuung und auch Schadenfreude. Als der Verwalter Rene sah, schien er hinter seinem Schreibtisch noch kleiner zu werden, als er es schon war und sah ihn mit entsetzten Blicken an. „Was…was willst du?“, fragte er dann mit bebender Stimme. „Ich bin hier um die Schulden meiner Eltern zu bezahlen!“, sagte Rene nur knapp und warf das Säckchen auf den Schreibtisch. Dabei ging es ein wenig auf und einige Goldmünzen rollten heraus. Ungläubig schaute der Verwalter zu diesen und griff sich eine von ihnen. Drehte sie in dem Licht der Lampe, sodass sie funkelte und sah wieder zu Rene. „Woher…?“, brachte er nur hervor. „Woher ist egal. Hauptsache damit sind die Schulden meiner Eltern getilgt und Ihr lasst sie in Ruhe!“, sagte Rene, wandte sich ab und ging. Ein wenig erleichtert, dass er es hinter sich gebracht hatte, ging er nachhause. Dabei kam er auch an der Schmiede vorbei. Schnell beschleunigte er seine Schritte. Doch Jaque hatte ihn bereits gesehen und rief nach ihm. Rene verzog das Gesicht. „Warum muss ich ausgerechnet ihm über den Weg laufen?“, fragte er sich, blieb aber dennoch stehen und drehte sich zu ihm. „Gut, dass ich dich treffe!“, sagte Jaque erleichtert. Da bist du leider der einzige, dachte Rene bitter. „Was möchtest du?“ „Hier…!“, sagte Jaque und hielt ihm einen Brief hin. „Bitte. Gib das deiner Schwester!“ Rene zögerte zuerst. Dann aber nahm er ihn. „Wo kommst du denn her?“, fragte seine Mutter, als er in die Stube trat. Wie bei etwas erwischt, blieb er auf der Schwelle stehen und sah sie nur an. „Ich…ähm…war nur frische Luft schnappen!“, sagte er dann und machte dass er hoch zu seinem Zimmer kam. Doch bevor er in sein Zimmer ging, blieb er noch vor dem seiner Schwester stehen. Seine Hand glitt in die Manteltasche und fand den Brief, den Jaque ihm noch in die Hand gedrückt hatte. Zuerst sagte er sich, dass er ihm Flora nicht geben sollte. Sicher war ein Brief ihres Geliebten das letzte was sie brauchte, da es ihr wieder das Herz brechen würde. Aber er konnte ihn ihr auch nicht vorenthalten. So holte er tief Luft und klopfte an ihrer Tür. Es dauerte etwas, doch dann wurde die Tür geöffnet. Ein Häufchen Elend tauchte vor ihm auf, was mal seine Schwester war. Ihr Gesicht war bleich, wobei ihre Augen vom vielen Weinen gerötet waren. Ihre Hände zitterten. „Was gibt es denn?“ „Jaque bat mich dir das hier zu geben!“, sagte er. Flora verzog das Gesicht. Ihr war deutlich an zu sehen, dass Ihr Jaques Versuch, wieder mit ihr zusammen zu kommen, es noch schwerer machte, dabei zu bleiben. „Du…du musst es nicht lesen, wenn du nicht willst. Aber nehme ihn. Das habe ich Jaque versprochen!“ Flora sah schweigend auf den Brief. Überlegte ob sie ihn nehmen sollte. Dann seufzte sie. „Also gut!“, sagte sie dann und nahm den Brief. Es war später Abend. Und Flora hatte nicht einmal ihr Zimmer verlassen. Selbst als ihre Mutter ihr sagte, dass das Abendessen fertig war, war sie nicht heraus gekommen. Elsa machte sich Sorgen um ihre Tochter. „Rene, geh bitte nach deiner Schwester sehen!“, bat sie ihn daraufhin. „Ist gut!“, kam es nur von ihm und stieg die Stufen hinauf. Dabei hatte er ein ungutes Gefühl. Er fragte sich ob es wirklich eine gute Idee war, ihr den Brief gegeben zu haben. Hat das ihr noch mehr das Herz gebrochen? „Flora? Alles in Ordnung?“, fragte er, nachdem er wiedermal an ihre Tür geklopft hatte. Und auch wieder wurde die Tür nicht gleich geöffnet. Dieses Mal aber wartete er nicht sondern öffnete gleich die Tür. Auch wenn er sich Sorgen um sie machte, war er dennoch genervt. „Flora?“, fragte er vorsichtig und trat ein. Flora lag auf dem Bett. Das Gesicht in den Kissen vergraben. Auf dem Bett neben ihr lag der Brief. „Flora? Was ist nur?“, fragte Rene wieder, ging nun auf sie zu. Flora rührte sich nicht. Sondern lag einfach nur da. Langsam streckte er die Hans aus und berührte sie an der Schulter. Flora zuckte etwas zusammen. Drehte dann den Kopf und sah ihn an. Ihre Wangen glänzten von Tränen. Rene bekam auf der Stelle einen Kloß im Hals. Oh, nein. Was stand in diesem Brief, fragte er sich. „Flora, bitte. Was hat Jaque in dem Brief geschrieben?“ Statt etwas zu sagen, schaute sie ihn mit bebenden Lippen an, nahm den Brief und reichte ihm diesen. Rene nahm ihn und begann zu lesen. Meine geliebte Flora, Ich weiß, du hast unser Band getrennt, weil du nicht willst, dass auch ich Opfer der Grausamkeiten dieser Unmenschen werde. Aber ich kann das nicht einfach so akzeptieren. Und ich werde es auch nicht. Du bist meine einzig wahre Liebe und ich werde dafür kämpfen. Ich weiß auch, dass du es dir wesentlich romantischer vorgestellt hast, aber… Ich will dich fragen, ob du meine Frau werden willst? Als Rene den Brief fertig gelesen hatte, klappte ihm der Mund auf und er starrte auf die Zeilen. Sie kamen ihm unwirklich vor. Um sicher zu sein, las er den Brief nochmal. Doch es veränderte sich nichts. Die Worte blieben wie sie waren. Rene schüttelte den Kopf. „Das…das glaube ich nicht!“, flüsterte er. „Da sind wir schon zu zweit!“, kam es zitternd von Flora. Sie richtete sich auf und wischte sich über das Gesicht. Rene, immer noch sprachlos, deutete er auf den Brief. Er hatte alles Mögliche erwartet, aber das nicht. „Wirst du seinen Antrag annehmen?“ „Ich weiß es nicht!“ „Du…?“, wollte Rene sahen und brach mitten im Satz ab. „Flora!“ „Ich kann ihn nicht heiraten!“ „Willst du oder kannst du nicht?“ „Du weißt doch die Antwort!“ „Das er diese Zeilen schreibt und dich heiraten will, sagt doch deutlich, dass er dich wirklich liebt!“ Flora biss sich auf die Unterlippe. Es war überflüssig, dass er ihr das sagte. Sie wusste es selbst und auch wenn sich ihr Herz darüber freute, stürzte es sie in einen tiefen Abgrund. „Glaub mir, wenn ich könnte, und ich will seine Frau werden, würde ich seinen Antrag annehmen. Aber keiner würde das einfach so hinnehmen!“ Sie hatte Recht. Keiner würde die Trauung erlauben. Weder Jaques Vater noch der Pfarrer. Und schon gar nicht die Dörfler. Jeder würde alles dafür tun, um eine Eheschließung zu verhindern. Er spürte wie wieder der Zorn auf diese Menschen in ihm hochkam. Diese Hyänen werden noch alles zerstören, ging es ihm durch den Kopf. Sie sollten alle… Rene schüttelte den Kopf. Wollte diese Gedanken loswerden. „Also…was soll ich tun?“ „Sag Jaque, dass du seinen Antrag annimmst. Aber ihn erst heiratest, wenn die Zeit des weißen Schleiers vorbei ist!“ Flora Augen weiteten sich als er dies aussprach. „Was aber…!“ „Wenn er vorbei ist, wird auch alles andere ein Ende haben!“ „Du meinst damit dein Leben!“, kam es entrüstet von ihr. Rene schloss kurz die Augen. Er wusste dass es egoistisch von ihm war. Aber er dachte dabei nur an sie. „Tu es einfach!“ Kapitel 12: Undank ist der Weltenlohn ------------------------------------- „Ja, so wahr ich hier sitze: Es war mehr als verlangt!“, sagte der Verwalter nachdem er den Becher mit starkem Rum in einem Zug geleert hatte. Nachdem er dem Bürgermeister davon erzählt hatte, hatte dieser ihn nochmals genau darüber ausgefragt. „Wie können Sie auf einmal so viel Geld haben?“ „Das weiß ich auch nicht. Aber damit sind vom Haken!“ „Oh nein. Noch lange nicht!“, sagte der Bürgermeister. „Ich lasse mir was einfallen!“ „Und was genau?“ „Lass mich nur machen!“, sagte der Bürgermeister. Noch spät in der Nacht saß der Bürgermeister in seinem Sessel und dachte darüber nach, wie sie wieder Ramon und seiner Familie zu setzen könnten. Es ging ihm nicht darum sie aus dem Dorf zu vertreiben. Sondern sie nur für das zu bestrafen, was ihr Sohn getan hatte. Dass es dabei nicht zu weit gehen darf, war ihm bewusst. Aber er wusste auch, dass Ramon und seine Familie nie auf die Idee kommen würden, das Dorf zu verlassen. Der Pass und alle anderen Straßen, die aus dem Tal führten, waren durch den Schnee stark zu geschneit und daher unüberwindbar. So waren sie dazu gezwungen hier zu bleiben und sich alles gefallen zu lassen. Wenn aber der Schnee schmolz… Bis dahin war aber noch Zeit. Er teilte die Angst der Dorfbewohner. Bisher hatte es keine Probleme gegeben. Jeder hat, so schwer es ihm auch gefallen war, es akzeptiert. Keiner hat sich dagegen gewehrt. Aber nun hatte ein Junge es gewagt. Und damit Unheil über sie gebracht. Er hatte die stille Hoffnung, dass wenn sie die Familie nur lange genug zermürben müssen, dann würde ihr Sohn freiwillig das Weite suchen. Nur jetzt hatte es dieser Bengel irgendwie geschafft, soviel Geld auf zu treiben. Er musste sich also was Neues einfallen lassen. Vielleicht sollte er den Müller bestechen, damit er den Preis für das Mehl höher zu setzen, sodass Ramon keins mehr holen kann. Aber dann würde auch der Müller den Kürzeren ziehen. Er musste sich also was anderes einfallen lassen. Plötzlich jagte ein kalter Wind den Kamin hinunter und ließ das Feuer erlöschen. Es wurde schlagartig dunkel und eine eisige Kälte erfüllte den Raum. Der Bürgermeister schauderte und schaute sich erschrocken um. Für einen langen Moment blieb er wie erstarrt. In der plötzlichen Stille dröhnte sein Herzschlag in seinen Ohren wie Trommelschläge. Doch dann riss er sich zusammen. „Wo sind bloß die Streichhölzer?“, fragte er und tastete in der Dunkelheit nach ihnen. Als er sie fand, nahm er eins und entzündete es. Aber kaum das es brannte, wurde es von einem Lufthauch ausgeblasen. „Was zum…?“ Er wollte ein zweites nehmen, doch da zog sich eine Schicht aus Eis über das Glas der Fenster. Kroch dann über die Fensterbank über das Holz der Wände. Überzog dabei alles mit einer glatten Eisschicht. Die Möbel, der Boden. Unaufhaltsam kroch die Eisschicht weiter. Bis zum Bürgermeister, der entsetzt die Beine anzog. Kurz vor seinem Sessel blieb die Eisschicht stehen. „Was geht hier nur vor sich?“, fragte er panisch. Wollte nach seinem Diener rufen, doch da schoss plötzlich ein Schmerz durch seinen Kopf. Kälte breitete sich in diesem aus und presste sein Hirn zusammen. Dann breitete sie sich weiter wie ein kaltes Feuer über seinen ganzen Körper. Lähmte ihn. Er war nicht in der Lage einen klaren Gedanken zu fassen. Es herrschte gähnende Leere. Und in dieser Leere hörte er deutlich eine bedrohliche Stimme. „Hör mir gut zu. Du und die anderen werden die Familie des Bäckersohns in Frieden lassen. Sein Leben und das ihrige gehören mir. Und nur mir. Andern falls werdet Ihr alle sterben!“ Die Botschaft war kurz gewesen, dennoch verstand der Bürgermeister jedes Wort und auch wenn er diese Stimme noch nie gehört hatte, wusste er, wer da zu ihm gesprochen hatte. Der Wolfsprinz! Die Augen des Bürgermeisters wurden vor Entsetzen groß. Es spielte für ihn keine Rolle woher er von den Machenschaften wusste. Die Drohung, die in den Worten lag, ließ ihn noch mehr erstarren. Und so plötzlich wie die Kälte kam, so verschwand sie auch wieder. Die Wärme kehrte wieder in den Raum zurück. So auch das Feuer im Kamin. Doch es dauerte eine Ewigkeit, ehe die Wärme die Kälte, die den Bürgermeister in ihren Klauen gehalten hatte, vertrieb. Unweit vom Dorf auf einem Hügel stand ein großer weißer Wolf. Mit blauleuchtenden Augen blickte er auf das Dorf. In seinen Augen schimmerte es kalt. Und ein tiefes Knurren entwich seiner Kehle. Er wusste dass er damit gegen seine eigenen Prioritäten verstieß. Und eigentlich hatte er sich gesagt, dass es ihm nichts anging, was genau da unten sich im Dorf zu trug. Doch etwas hatte ihn nachdraußen getrieben. Eine innere Unruhe. So hatte Mandariel die Gestalt eines Wolfes angenommen und war in das Tal gerannt. Schon von weitem konnte er die hinterhältigen Gedanken des Bürgermeisters hören und hatte das tiefe Bedürfnis verspürt, diesem Elenden klar zu machen, wer hier wahre Macht hatte. Es bereitete ihm eine kalte Freude, diesem Mann einen Schrecken ein zu jagen. Mit Absicht hatte er es so aussehen lassen, dass die gesamte Familie ihm gehörte. Denn wenn er nur den Jungen als sein Eigentum bekundet hätte, hätten sie vermutlich eine Verbindung zwischen ihm und sich festgestellt. Sie waren zwar dumm. Aber so dumm auch wieder nicht. Und in ihrer jetzigen aufgebrachten Stimmung würden sie nicht lange brauchen, um darauf zu kommen. Und es war auch nicht sonderlich schwer sich von anderen zu irgendwelchen Schandtaten anstiften zu lassen oder gar in die Herzen anderer Angst und Unsicherheit zu säen. Sie erinnerten ihn an eine Viehherde. „Ich frage mich wirklich, was in Eurem Kopf vorgeht?“, hörte er Ardou sagen. „Sein Leben gehört mir!“, erklärte Mandariel kühl. „Er gehört mir. Und damit steht er unter meinen Schatz!“ „Und wieso dann seine Familie?“, hakte Ardou nach. Auch er hatte die Gestalt eines Wolfes angenommen. Beide standen da und schauten gemeinsam zum Dorf. „Das dient nur zur Täuschung!“ Ardou sah seinen Herren ein wenig skeptisch an. „Ist das wirklich so? Oder Liegt es daran, das Euer Herz beginnt durch diesen Jungen auf zu tauen? Reicht sein Einfluss schon so weit, dass Ihr eine ganze Familie unter Euren Schutz stellt?“ „Du begibst dich auf sehr dünnes Eis!“, warnte Mandariel ihn in Gedanken, wobei ein tiefes Knurren zu hören war. „Ich will Euch nur zur Vernunft bringen!“, wandte Ardou ein. Senkte ein wenig den Kopf. In seiner Stimme schwang bitterer Ernst mit. „Danke. Aber das ist nicht nötig!“, sagte Mandariel, wandte sich um und wollte gehen. „Was ist mit der Prophezeiung?“ Mandariel blieb stehen. „Habt Ihr vergessen was die Eisfeen prophezeit hatten?“ Lange sagte Mandariel nichts sondern schaute nur vor sich hin. Seine Wolfskiefer pressten sich zusammen und kurz legte sich ein Schatten über sein Gesicht. „Nein, das habe ich nicht!“, sagte er schließlich. Dann lief er davon. Ardou blickte ihm nach. Sah noch ein letztes Mal zum Dorf hinunter. Seine Augen verfinsterten sich. Kurz dachte er darüber nach, in das Dorf zu gehen und den Jungen zu töten. Tat es jedoch nicht. Auch wenn er über den Wandel seines Herren besorgt war und ahnte, dass dieser Mensch ihm noch gefährlich werden konnte, wollte er das Vertrauen, welches er bei seinem Herren genoss, nicht zerstören. So drehte er sich um und lief seinen Herren nach. Am nächsten Tag berief der Bürgermeister eine Versammlung, ohne das Ramon und seine Familie in Kenntnis gesetzten wurden. Vincent wohnte dieser bei, nicht jedoch sein Sohn. Nach dem ganzen Schlamassel hielt er es für unklug seinen Sohn mit zu nehmen. In kurzen Worten erzählte er was ihm letzte Nacht geschehen war und was der Wolfsprinz ihm angedroht hatte. Den Leuten lief es gleichermaßen kalt den Rücken hinunter. Sogleich begannen sie zu tuscheln. „Das wird ja immer schlimmer und schlimmer!“ „Jetzt sollen wir alle sterben!“ „Wir hätten sie gleich aus dem Dorf jagen sollen!“ „Ruhe! Ich verlange Ruhe!“, rief der Bürgermeister. „Die Warnung war klar und deutlich: Lassen wir sie nicht in Ruhe, wird der Wolfsprinz uns alle töten!“ Daraufhin kehrte Stille ein. „Wenn das so ist…soll er sie doch alle holen. Was kümmert es uns!“, flüsterte wieder jemand. „Das stimmt. Warum uns die Hände weiter an denen schmutzig machen, wenn dieser Teufel und seine Bestien sie irgendwann zerfleischen werden!“ „Sei es wie es sei. Tatsache ist, dass wir von nun an nichts mehr gegen sie unternehmen werden!“, sagte der Bürgermeister. Da waren sich die Leute einig. Auch wenn einige von ihnen der Meinung waren, dass sie sich davon nicht abhalten lassen sollten, diesen Verdammten weiterhin das Leben schwer zu machen. Aber dann sagten sie sich, dass sie nicht ihr Leben riskieren wollten und schlossen sich den anderen an. „Was willst du?“, fragte Vincent als Flora mit Rene vor seiner Tür standen. Flora wich einen Schritt zurück. So wie er sie ansah, hätte man denken können, dass er ihr am liebsten die Tür vor der Nase zu geschlagen hätte. Rene gab ihr einen leichten Stoß. „Ich muss mit Jaque sprechen!“, sagte sie. Versuchte dabei so viel Entschlossenheit in ihre Stimme zu legen, wie sie konnte. Vincents Augen wurden schmal. „Warum?“ „Das…das kann ich Ihnen nicht sagen. Das ist eine Sache zwischen mir und Jaque!“ „Willst du ihm etwa wieder das Herz brechen?“, warf er ihr wütend vor. Floras Hände ballten sich zu Fäusten. Er tat gerade so, als ob sie sich nichts dabei gedacht hätte. Jaque leichthin von sich gestoßen hatte. „Nein!“ „Was ist es dann?“ „Bitte. Es ist wichtig!“, kam es aus Flora flehend. Sie wollte sich schon an ihm vorbeischieben. Doch Vincent versperrte ihr den Weg. „Wenn es so wichtig ist kannst du es auch mir sagen. Jaque ist momentan nicht in der Verfassung erneut von dir verletzt zu werden!“ „Sie ihn verletzen?“, mischte sich nun Rene ein. Er war fassungslos über Vincents Kaltschnäuzigkeit. „Denkst es machte ihr nichts aus, als sie ihm sagte, dass sie sich trennen sollten? Ihr alle habt sie doch dazu getrieben!“ Vincent und auch Flora sahen ihn gleichermaßen mit großen Augen an. Bis jetzt hatte er sich zurück gehalten. Doch nun war ihm der Kragen geplatzt. Vincent brauchte eine Weile, dann aber schien er wieder sich gefangen zu haben. „Was denkst, wer du bist?“, schnaubte er. „Macht Euch davon. Oder ich…!“ Mit diesen Worten griff er nach seinem Schmiedehammer und hob ihn drohend. Daraufhin machten Flora und Rene einen Schritt zurück. In ihren Augen war deutlich Unsicherheit und auch etwas Furcht zu sehen. Sie erkannten den sanftmütigen und auch nachdenklichen Mann, den sie schon seit sie Kinder waren, kannten, kaum wieder. Er war wie ausgewechselt. Machte er das wirklich, um seinen Sohn vor mehr Herzschmerz zu schützen oder steckte da mehr dahinter? „Los! Worauf wartet Ihr? Macht endlich, dass Ihr wegkommt!“, brüllte er. Hob den Hammer noch ein wenig höher. Rene nahm Flora bei der Hand. Zog ein wenig an ihr. Es würde nichts bringen weiterhin darauf zu bestehen, zu Jaque zu wollen. Das sah auch Flora ein. Ihre Augen begannen feucht zu schimmern. Mühsam kämpfte sie gegen die Tränen an. Steif und staksig lief sie hinter ihrem Bruder her, während er sie weiterhin an der Hand hielt und sie nachhause führte. Er glaubte, wenn er sie nicht an der Hand halten würde, würde sie davon laufen. Fort aus diesem Dorf und fort vor dem Schmerz, der in ihrer Brust tobte. Hin und wieder schaute er nach ihr. Sie hielt ihren Kopf gesenkt, sodass ihr Haar ins Gesicht fiel wie ein Vorhang. Es gab so vieles was er sagen oder sie fragen wollte, doch er schaffte es nicht eine Silbe heraus zu bringen. Aus Angst, dass sie hier auf offener Straße zusammen brechen würde. So ging er mit ihr weiter bis sie zuhause waren. Wortlos stieg sie dann die Stufen hoch und verschwand wieder in ihrem Zimmer. Rene stand am Fuße der Treppe und sah ihr nach. Er fühlte sich seltsamerweise erschöpft und ausgelaugt. Wie mochte es da erst seiner Schwester geben. Er fürchtete, dass sie irgendwann daran zerbrechen würde. Wohin soll das noch alles führen, fragte er sich und rieb sich den Nacken. Flora lag auf ihrem Bett. Sie hatte das Gesicht tief ins Kissen vergraben. Im Nach hinein musste sie erkennen, dass sie es sich viel zu einfach vorgestellt hatte. Nach allem schien er nun genauso verstockt zu sein und für jeden Versuch, Jaque wieder zu sehen, blind und taub zu sein. Sie zweifelte dass sie ihn jemals wieder sehen wird. Schon allein bei diesem Gedanken traten ihr Tränen in die Augen. Auch wenn sie nicht gedacht hatte, dass sie überhaupt noch weinen konnte. Mit einem leisen Fluch wischte sie sich die Tränen weg und wollte die Augen schließen. Doch da klopfte es. Sicher war es Rene. Flora seufzte schwer. „Nein!“, rief sie zur Tür. Ihre Antwort blieb aber nicht beachtend. Ein weiteres Klopfen erklang. Dann ein drittes und viertes. Flora stöhnte genervt, kletterte aus dem Bett und stapfte zur Tür. „Ich sagte: Nein!“, rief sie und schlug gegen die Tür. Erst als es zum fünften Mal klopfte, wurde ihr klar, dass es nicht die Tür war, sondern das Fenster. Flora runzelte die Stirn und trat an das Fenster. Schaute hinaus. Ihr blieb kurz das Herz stehen, als sie eine dunkle Gestalt unter ihrem Fenster stehen sah. In ihrem Kopf überschlugen sich sogleich die Gedanken. War das einer Dörfler, der ihr einen Schrecken einjagen wollte? Sofort machte sich Ärger in ihr breit. „Na warte…!“, zischte sie, eilte aus dem Zimmer ins Bad, schnappte sich die Waschschüssel und füllte sie dann mit Wasser. Schnell lief sie zurück in ihr Zimmer, vergewisserte sich mit einem raschen Blick, dass er noch da war und öffnete das Fenster. Kaum dass es offen war, kippte sie das Wasser schwungvoll raus, auf den Besucher. „Ahh…was soll das…!“, rief dieser sogleich erschrocken und Floras Ärger wisch schnell Entsetzen. „J-Jaque…?“, rief sie und ihr wäre beinahe die Schale aus der Hand gefallen. Im nächsten Moment merkte sie, dass sie viel zu laut gesprochen hatte und flüsterte dann. „Was machst du denn hier?“ „Ich wollte dich sehen. Und nicht geduscht werden!“, kam es zerknirscht von Jaque. Flora merkte wie sie rot wurde. „Es…es tut mir leid…ich… ich dachte, du wärst…!“, stammelte sie. „Kommst du runter? Ich muss mit dir reden!“, drängte Jaque. „Gib mir fünf Minuten!“ Schnell hatte sich Flora ihren Mantel über geworfen und war hinunter in den Garten geeilt. Ihre Schamesröte hielt noch an, als sie nun Jaque gegenüber trat und sah, welchen Schaden sie mit ihrem Wasserangriff wirklich angerichtet hatte. Das Wasser hatte ihn vom Kopf bis zu den Schultern durchnässt und bei der Kälte, die momentan herrschte, würde er sich noch eine schwere Erkältung zu ziehen. „Tut mir leid, das mit dem Wasser. Ich…ich dachte du…!“, versuchte sie sich zu entschuldigen. Jaque winkte mit einem schwachen Lächeln ab. „Schon gut. Ich kann es dir nicht verübeln!“, sagte er. „Was…was möchtest du denn?“, fragte dann Flora. „Ich habe gehört, wie du meinen Vater gebeten hast, mich mit dir sprechen zulassen und das er…naja…es nicht wollte. Also habe ich mich rausgeschlichen!“ Flora musste ein wenig lächeln. Wurde aber dann wieder ernst. Auch über Jaque legte sich ein dunkler Schatten. „Ich nehme an, du wolltest mich wegen meinem Antrag sprechen!“ Flora nickte. „Ich…ich habe lange überlegt. Ich weiß, dass ich ihn eigentlich nicht annehmen sollte. Es würde alles nur noch schlimmer machen. Aber das würde auch bedeuten, dass ich meine Gefühle zu dir verleugnen und dir das Herz brechen würde!“ Jaque sagte nichts, sondern hörte nur zu. Ihm war an zusehen, dass er ihre Worte als etwas deutete was einem Nein gleichkommen würde. Sein Gesicht wurde trübsinniger und trübsinniger. „Und das würde ich nicht ertragen. Darum…!“, fuhr sie fort und nahm seine Hände. „Ja, ich will deine Frau werden!“ Sofort hellte sich Jaques Gesicht auf und er umarmte Flora stürmisch. Drehte sich mit ihr einmal um sich selbst und lachte. „Du machst mich damit zum glücklichsten Mann der Welt!“ Auch Flora freute sich. Dennoch wirkte sie ein wenig geknickt. „Ich habe da nur eine Bitte: Lass uns erst heiraten, wenn die Zeit des Erwachens anbricht!“, kam es dann von ihr. Jaque sah sie ein wenig verwirrt an. Doch dann hob er die Schultern. „Was immer du willst!“ Am nächsten Tag hatte Rene größte Mühe, sein Frühstück nicht über den Tisch aus zu spucken, als Flora ihm von ihrem Missgeschick mit dem Wasser und Jaque erzählte. „Das ist nicht lustig!“, murrte Flora. „Doch. Irgendwie schon!“, kicherte Rene. „Was wollte er denn?“ Flora wurde nun rot und lächelte verlegen. „Er wollte mich wegen dem Antrag fragen!“ „Und?“ „Ich habe ihm gesagt, dass ich ihn annehme!“, sagte sie mit einem verlegenen Lächeln. Rene strahlte über das ganze Gesicht. Dennoch wussten beide, dass die Freude über die baldige Vermählung von Flora und Jaque nur von kurzer Dauer war und das schmerzlichste nur wenig verbarg. „Wirst du es unseren Eltern sagen?“ „Das werde ich wohl müssen. Aber erstmal müssen wir es seinem Vater beibringen!“, sagte sie mit schwerer Stimme. „Das dürfte nicht gerade leicht werden!“ Da stimmte Rene ihr zu. Vincent würde Zeter und Mordio schreien, wenn sie ihm davon erzählten. „Soll ich mitkommen?“ „Nein. Dieses Mal muss ich das allein machen. Zumindest mit Jaque!“ Floras Bedenken was Vincents Ablehnung betraf, waren mehr als bestätigt. Denn kaum dass sie und Jaque ihm von der Verlobung der beiden erfuhr, begann er los zu brausen. „Das kann nicht Euer Ernst sein!“, rief er außer sich. „Jaque sag mir, dass das ein dummer Scherz ist!“ „Nein, das ist es nicht, Vater!“, erklärte Jaque inbrünstig und ergriff Floras Hand. Vincents Blick wechselte zwischen den beiden hin und her und sein Gesicht wurde immer entsetzter. Beinahe schon panisch. Dann schüttelte er den Kopf. „Du weißt gar nicht, was du dir da einbrockst, du Narr!“ „Mir ist bewusst, dass ich damit den Groll sämtlicher Dorfbewohner vollkommen auf mich ziehe und dich dabei mit ins Unglück stürze!“, sagte Jaque trocken und sah seinen Vater kühl an. „Aber ich sehe nicht ein, warum ich noch länger mein Glück hinter das der anderen stellen soll. Mir ist gleich was die Leute darüber denken. Und vor allem was du darüber denkst. Von mir aus verstoße mich ruhig. Das ist mir gleich…!“ Bei diesen Worten verkrampfte sich Floras Herz und sah ihren Liebsten erschrocken an. Wollte er wirklich sich von seinem Vater lossagen, nur um mit ihr zusammen zu sein? Trotz dass sie ihn dafür ein wenig bewunderte, wollte sie dennoch nicht, dass es so weit kam. Jaque brauchte seinem Vater. Außer ihm hatte er niemanden aus seiner Familie. „Jaque….nicht…!“, sagte sie. Doch Jaque schüttelte den Kopf. „Lebe damit oder lass es!“ Vincent sah mit finsterer Miene seinen Sohn an. In seinem Gesicht zeigte sich deutlich, dass es innerlich in ihm brodelte. Wut und Fassungslosigkeit wechselten sich ab. Dann packte er seinen Sohn an den Schultern. „Ich werde nicht zulassen, dass du wegen Ihr dein Leben wegwirfst!“ „Mein Leben wegwerfen? Was redest du da?“ Vincents Lippen wurden zu einem harten Strich und er ließ seinen Sohn los. Sein Blick wurde nun finster und er sah zu Flora. „Wieso sagst du es ihm nicht?“ Flora versteifte sich augenblicklich. In ihrem Kopf drehte es sich kurz, während ihre Gedanken etwas formten, was ihr das Blut in den Adern gefroren ließ. Jaque sah sie daraufhin an. Verwirrung war deutlich in seinem Blick zu sehen. „Was meint er damit Flora?“ Flora konnte nichts darauf sagen. Sondern schaute nur vor sich hin. Es vergingen einige Augenblicke in denen sie schwieg. Jaque fasste sie an der Schulter. Drückte sie. „Flora. Sag doch etwas!“ „Wenn ich es tue, sind wir alle des Todes!“, flüsterte sie und schloss die Augen. Jaque schrak zurück. „Was…was meinst du damit?“ „Sie meint damit, dass sie und ihre Familie verdammt sind. Der Bürgermeister hat es uns erzählt. Ihre Leben gehören dem Wolfsprinzen. Früher oder später wird er sich die ihrigen holen. Und ich werde nicht zulassen, dass er dich auch noch bekommt!“ Schweigen legte sich wie ein schweres Tuch über sie. Jaque sah Flora an und auch wenn sie ihn nicht anschaute, konnte sie seinen fassungslosen Blick auf sich gerichtet spüren. Vincent stand da und schien darauf zu warten, was sie dazu sagen würde. Und nach langer Zeit sagte sie etwas. „Es ist wahr!“, sagte sie nur, aber das reichte schon aus. „Was dein Vater gerade gesagt hatte, stimmt!“ Dann drehte sie sich auf dem Absatz um und stürmte davon. Mit einem lauten Knall warf sie die Tür zu und lehnte sich von heftigen Schluchzern geschüttelt gegen die Tür. Sie sank in die Knie und umschlang die Knie mit ihren Armen. „Flora? Bist du das?“, hörte sie jemanden rufen und Rene kam aus der Wohnstube. Als er seine Schwester so sah, eilte er sofort zu ihr. „Flora? Was hast du denn?“ Vorsichtig berührte er sie an der Schulter. Kaum dass sie seine Hand spürte, warf sie sich schon in seine Arme und vergrub das Gesicht in sein Hemd. Er konnte spüren wie ihre Tränen seinen Stoff durchnässten. Er hatte das dumme Gefühl, dass sie bei Jaques Vater nicht gerade auf Verständnis getroffen waren. Langsam zog er sie auf die Füße und führte sie in die Stube. Mit sanftem Nachdruck bugsierte er sie auf die Couch. Dann setzte er sich neben sie und legte tröstend den Arm um die Schulter. „Erzähl was passiert ist!“, sagte er. Flora schluchzte noch einige Male und rang die Hände. Sie kämpfte deutlich mit sich. Dann aber begann sie mit zittriger Stimme zu erzählen. „Er weiß es…Sie alle wissen es. Dass unsere Leben ihm gehören…!“ „Wo-woher sollen sie das wissen?“ „Der…der Wolfprinz muss es ihnen gesagt haben. Ich weiß auch nicht wieso…aber sie wissen es…!“ Nur langsam drangen ihre Worte in seinen Verstand und lösten ein heilloses Durcheinander in seinem Kopf aus. Der Wolfsprinz hatte es ihnen gesagt? Aber wieso? Was hatte ihn dazu getrieben? Da gab es aber etwas, was in ihm noch mehr in Aufruhr versetzte. Ist nun ihr Leben verwirkt? Wird er sie nun bald schon holen? Aber wieso? Wieso hatte er gegen seine eigene Bedingung verstoßen? Spielte er damit leichthin mit ihren Leben? Rene wurde schwindelig von all diesen Fragen, die sein Herz immer mehr zusammen drückten. „Was hat er sich nur dabei gedacht?“ Die Nachricht, dass Vincent nicht seinen Segen gegeben hatte, ließ ihre Eltern und ihre Großmutter fassungslos nach Luft schnappen. „Ist dieser Mann von allen guten Geistern verlassen!“, kam es von Ramon durch zusammen gebissenem Zähnen. Flora hatte natürlich verschwiegen, was der wirkliche Grund war. Wobei sie sich genau wie Rene fragte, ob es nicht schon längst an Absurdum grenzte. Immerhin wussten nun alle, außer ihrer Familie natürlich Bescheid. Auch wenn der Wolfsprinz die Tatsachen ein wenig verdreht hatte, waren sie dennoch zum Schweigen verdammt. Schließlich hatten sie den Pakt und nicht ihre Familie. „Ich glaube ich werde mal mit ihm ein ernstes Wort reden!“, hörte sie ihren Vater sprechen und alles in ihr gefror zu Eis. „Nein, bitte. So machst du alles noch schlimmer!“ Ramon hob die Brauen. „Wie soll ich es damit noch schlimmer machen?“, fragte er seine Tochter entrüstet. „Schau dich doch mal um. Es ist bereits schlimmer. Wegen diesen Scheusalen kannst du nicht mal heiraten!“ Flora sagte nichts. Sondern schaute nur zu Boden. „Ich werde jetzt Vincent zur Rede stellen und das ein für alle Mal klären!“, erklärte er, drehte sich um und wollte gehen. Da mischte sich Martha ein. Ramon. Wie gut kennst du deine Tochter?“ Ramon hielt inne und sah sie zweifelnd an. „Was hat das jetzt damit zu tun?“ „Eine Menge. Flora ist nicht wie die anderen hysterischen Hühner. Wenn sie dich um etwas bittet, ist es etwas Ernstes!“, erklärte Martha und stellte sich neben ihre Enkelin. Fasste sie an der Schulter. „Sie hat Recht. Egal was auch passiert ist, mach es nicht schlimmer!“ Flora sah ihre Großmutter dankbar an. Noch in der gleichen Nacht suchte Rene den Wolfsprinzen auf um ihn zur Rede zu stellen. Und man musste ihn bereits erwartet haben. Denn die Wölfin saß da und sah ihn an, als sie damit gerechnet, dass er auf die Lichtung kam. „Wartest du schon lange?“ Die Wölfin neigte ein wenig den Kopf. „Nein!“, schienen ihre blauen Augen zu sagen. Rene nickte. Versuchte sich nicht zu wundern, dass er wieder die Gedanken des wilden Tieres hören konnte. „Ist dein Herr zu sprechen?“ „Er erwartet dich!“ Etwa in Rene schnürte die Kehle zu. War es so weit? Würde er nun sein Ende finden? Aber warum? Er hatte nichts verraten. Oder hatte der Wolfsprinz das alles geplant umso schneller sein Recht ein zu fordern. „Denkst du wirklich so schlecht von unserem Herrn?“, hörte er die Stimme der Wölfin. Rene sah sie einige Minuten nur an. Schüttelte dann den Kopf wobei er gleichzeitig die Schultern zuckte. „Inzwischen weiß ich nicht mehr, was ich denken soll!“, kam es von ihm. „Dann komm mit und frage ihn!“ Wortlos folgte er der Wölfin. Kaum das er in den Raum trat, wurde er auch schon einem weiteren Wolf begrüßt. Zuerst erkannte Rene ihn nicht. Doch als er genauer hinsah, erkannte er in dem Wolf den Welpen wieder, der sich auf seinem Schoß erleichtert hatte. Nur war dieser um einiges größer geworden und wirkte nun nicht mehr putzig. Er reichte ihm mit dem Rücken bis unterhalb seiner Knien. War dennoch halbwegs eine halbe Portion, doch die Zähne, die er entblößte, flößten durch aus Respekt ein. Daher machte er einen großen Schritt zurück. Die Ohren des Wolfes zuckten kurz, dann ließ er sie hängen und schaute ihn geknickt an. Deutlich konnte er hören, was der Wolf dachte. „Ich bin es doch? Wieso hast du Angst vor mir?“ Rene stand erstmal nur da und sah den jungen Wolf nur an. Dann wandte er sich an die Wölfin. „Wird er mich beißen?“ „Nicht wenn du ihm die Hand gibst!“, hörte er in seinem Kopf sie lachen. So machte Rene einen halben Schritt auf ihn zu, beugte sich ein wenig vor und streckte ihm die Hand hin. Sofort gingen wieder die Ohren hoch und der Wolf begann seine Hand zu beschnüffeln. Seine Nase war nass aber dennoch warm. Stieß leicht dagegen. Dann leckte er über die Fingerknöchel. Rene musste dabei ein wenig lachen, da es kitzelte. Dennoch vorsichtig drehte er dann ein wenig die Hand und schob sie langsam in das Fell des Wolfes. Dieser ließ es zu. Auch als Rene begann ihn zu kraulen. Er legte sogar den Kopf ein wenig schräg, sodass Rene seinen Hals kraulen konnte. Mit geschlossenen Augen und aus dem Maul heraushängender Zunge genoss er die Streicheleinheiten. Rene kam es vor, als würde er einen Hund und keinen Wolf vor sich haben. „Wie es aussieht habt Ihr Euch vertragen!“, hörte er plötzlich den Wolfsprinzen und hörte abrupt auf. Der junge Wolf bekundete sein Missfallen deutlich durch ein Schnauben und drehte sich wiederwillig zu seinem Herrn herum. „Eigentlich ist er nicht so übel!“, sagte Rene. Sanft klopfte er ihm auf den Rücken. „Als ob ich derjenige war, der jemand anderen als halbe Portion bezeichnet hat!“, schnappte er der Wolf. „Dafür hast du dich ja gerächt!“ „Und ich würde es wieder tun!“ „Ich störe Eure Unterhaltung nur ungern. Aber ich habe den Eindruck, dass Rene nicht aus reiner Höflichkeit zu Besuch ist!“, mischte sich Mandariel ein. „Würden du und Nima uns allein lassen?“ Nur ungern wich der Wolf ihm von der Seite. Mit hängendem Kopf trottete der Wolf zu Mandariel und verschwand durch die Tür. Nima folgte ihm. Als sie allein waren, kam Rene sich ein wenig verloren vor. Ihm wäre es lieber gewesen, wenn die beiden geblieben wären. Irgendwie hatte er die stille Hoffnung, dass der Wolfsprinz sich in ihrer Gegenwart zurückhalten würde. Egal was auch immer er vorhatte. Wobei er sich das kaum vorstellen konnte. Immerhin war er ihr Herr. „Nun? Was verschafft mir die Ehre?“, fragte Mandariel und holte ihn aus seinen Gedanken. Für einen kurzen Moment wusste Rene es selbst nicht. Doch dann fiel es ihm wieder ein. Um ihm nicht zu zeigen, dass er sich unwohl in seiner Haut fühlte, straffte er die Schultern. „Wieso habt Ihr das getan?“, platzte es aus Rene. Mandariels Brauen hoben sich etwas. „Was meinst du damit?“ „Wieso habt Ihr dem Bürgermeister gesagt, dass das Leben meiner Familie Euch gehört?“ Für einige Atemzüge war es still. Doch dann nahm das Gesicht des Wolfsprinzen einen kühlen Ausdruck an. „Stimmt es denn nicht?“ „Nein. Es war ausgemacht, dass Ihr nur mein Leben bekommt!“ „Und wenn du was ausplauderst, dass ich das Leben deiner Familie nehme!“ „Aber ich habe nichts verraten. Nur Ihr! Also warum?“ „Es war die einzige Möglichkeit!“ „Für was?“ „Bist du wirklich so dumm oder willst du es nicht verstehen?“, fuhr der Wolfsprinz ihn an und Rene wich einen Schritt zurück. In den Augen des Wolfsprinzen blitzte es gefährlich. Doch dann wirkte er erschöpft. „Nach allem was du mit erzählt hast, fand ich es für das einzig Richtige diesen Elenden genügend Angst zu machen, damit sie Euch in Ruhe lassen. Ich habe gesehen, wie sehr es dich bedrückt, deine Schwester unglücklich zu sehen. Ich wollte dir damit zeigen, dass ich es verstehe. Und so habe ich behauptet, dass Euer aller Leben mir gehört!“, sagte Mandariel und sah ihn enttäuscht und vorwurfsvoll an. „Und anstatt mir dafür dankbar zu sein, wirfst du mir vor, dich hintergangen zu haben!“ Daraufhin sagte Rene erstmal nichts. Schaute zu Boden und kam sich wie der letzte Dreck vor. Als er so darüber nachdachte, musste er zugeben, dass er ihm mehr nur Unrecht getan hatte. Am liebsten wäre er vor Scham im Boden versunken. Doch das hieß nicht, dass damit die Wogen geglättet waren. Denn mit seinem Vorhaben hatte er dafür gesorgt, dass Flora und Jaque gar nicht mehr zusammen sein konnten. So gut er es auch gemeint hatte. „Mir wäre es lieber gewesen, wenn Ihr bei der Wahrheit geblieben wärt!“, flüsterte er. „denn dann könnten meine Schwester und Jaque zusammen sein. Und heiraten!“ „Und was soll das nun wieder heißen?“, fragte Manadriel etwas genervt. Wieso musste dieser Junge so unzufrieden sein. „Ganz einfach. Wegen Euch hat der Vater von Jaque die Hochzeit der beiden verboten!“, kam es aufgebracht von Rene. „Jaque ist der Mann, der deine Schwester liebt?“ „Wer sonst!“ „Wie kommt dessen Vater dazu?“ „Weil er denkt, dass dann auch das Leben seines Sohnes verwirkt ist!“, sagte Rene. Mandariel seufzte und sagte etwas fremdsprachiges, was wohl ein Fluch sein sollte. „Was diese Narren da hineininterpretieren…darauf habe ich keinen Einfluss!“, sagte er dann. Rene presste hart die Lippen aufeinander. „Kannst du es denn nicht richtig darstellen?“, fragte Rene. Er wusste wie dumm, wie kindisch das klang. Aber er wollte nicht länger dass seine Schwester darunter litt. „Wie stellst du dir das vor? Soll ich etwa hingehen und sagen, dass das alles ein Irrtum war?“, fragte Mandariel zweifelnd. Seine Liebe zu seiner Schwester in allen Ehren. Aber er musste auch einsehen, dass das nicht so einfach war. Außerdem wenn dieser Jaque seine Schwester wirklich so sehr liebt, sollte er dazu stehen und seinem Vater die Stirn bieten. Dies sagte er auch. „Was Ihr…was deine Schwester und er daraus machen, ist Ihnen überlassen. Wenn sie sich so sehr lieben, sollten sie sich davon nicht abhalten lassen!“ „Es ist nicht Jaque, der davor zurück schreckt. Sondern Flora. Sie will nicht, dass er und sein Vater sich zerstreiten!“, erklärte Rene und hatte deutlich vor Augen, wie sie mit Tränen in den Augen davongeeilt war. „Wenn das so ist, sollte sie sich es nochmal genau überlegen, was sie wirklich will. Entweder tun was ihr Herz sagt oder weiterhin tun, was die anderen von Ihr verlangen!“ Etwas an seinen Worten ließ Ärger in Rene hochkommen. Wütend ballte er die Hände zu Fäusten. „Wart Ihr schon mal verliebt?“, kam es gepresst aus Rene. Mandariel sah ihn lange schweigend an. War kurz verwirrt über diese Frage, erkannte aber den Grund, der sich hinter dieser Frage verbarg. Ein leichtes, ironisches Lächeln huschte über sein Gesicht. „Nein!“ Noch bevor Rene darauf etwas erwidern konnte, fragte der Wolfsprinz ihn wiederum: „Und du?“ Nun war es Rene, der nichts sagte. Zu verwirrt und nicht wissend was er darauf antworten sollte, schüttelte er den Kopf. Um Mandariels Mundwinkel zuckte es. „Dann hör auf von Dingen zu sprechen, von denen du nichts verstehst!“ „Das tut Ihr doch auch nicht!“, ging es ihm wütend durch den Kopf. Was nahm sich dieser…dieser Mistkerl heraus? Wusste selbst nicht, was es bedeutet zu lieben und belehrte ihn stattdessen. In Rene brodelte und kochte es. Zuvor glaubte er noch etwas menschliches in ihm gesehen zu haben und nun…!? Nein. Egal was der Wolfsprinz auch versuchte um ihm davon zu überzeugen, dass ein menschliches Herz in ihm schlug… Er würde sich davon nicht einwickeln lassen. „War es das? Oder gibt es noch etwas was du mir an den Kopf werfen willst?“, fragte Mandariel kalt, der die ablehnende Haltung Renes deutlich spürte. Mal abgesehen von einem Ziegelstein, dachte Rene. Verbiss es sich aber. „Nein. Das war das einzige!“, sagte Rene stattdessen schroff, drehte sich um und wollte aus der massiven Tür gehen. „Warte!“ Nur widerwillig blieb Rene stehen. Mit einem Blick, der deutlich sagte, dass er nicht noch länger hierbleiben wollte, schaute er über die Schulter. „Was?“, wollte er schon fragen, da wandte sich Mandariel den Kopf zur anderen Tür. „Nima!“ Sogleich war die Wölfin wieder da und schaute fragend zu ihrem Herren. „Geleite unseren Gast nachdraußen und zur Lichtung!“, wies er sie an. Noch immer stocksauer auf den Wolfsprinz, stapfte Rene durch den Schnee neben der Wölfin her. „Von wegen, dass ich nichts von Liebe verstünde. So ein Unsinn!“, murrte er vor sich hin. „Warum kannst du nicht aufhören, ihn als Monster zu sehen?“, fragte die Wölfin irgendwann. Sie klang dabei traurig. Und auch dabei ein wenig entrüstet. Rene sah sie kurz grimmig an. „Warum kann er nicht aufhören, so zu tun als würde ihn das nicht kümmern?“, konterte Rene scharf. De Augen der Wölfin wurden plötzlich zu schmalen Schlitzen. Rene lief es dabei kalt den Rücken hinunter. Und ermahnte sich dabei, dass er einer Dienerin des Wolfsprinzen gegenüber stand, die für ihren Herren einstehen würde. Sogleich versuchte er noch das Ruder herum zu reißen, doch da bleckte die Wölfin die Zähne. „Anstatt weiterhin Groll ihm gegenüber zu empfinden, solltest du froh sein, dass er sich für deine Familie eingesetzt hat. Nicht jeder kann das von sich behaupten!“, hörte er sie in seinen Gedanken. Rene schluckte. Senkte den Kopf. „Es tut mir leid. Ich wollte…!“ „Spar dir das. Entschuldige dich nicht bei mir. Sondern bei ihm!“, fuhr sie ihm durchs Wort. Ging dann weiter. Rene folgte ihr. „Sowas undankbares. Ich verstehe nicht wieso Ihr Euch das bieten lasst?“, fragte Ardou, nachdem Nima und Rene das Schloss verlassen hatten und seinem Herren aufgesucht hatte. Die Undankbarkeit und Ignoranz dieses Jungen brachten sein Blut zum köcheln. Der Wunsch ihm die Kehle zu zerfetzen, war wieder deutlich greifbar. Dennoch hielt er diesen zurück. Sein Herr hatte ihm deutlich gemacht, dass er-und nur er-dem Leben des Jungen ein Ende setzte. Jedoch blieb da immer noch dieser Zorn, den er kaum verbergen konnte. „Ihr hättet mir erlauben sollen, ihn dafür zu bestrafen, dass er Euch verletzt hat!“, sprach er nach einer Weile als Mandariel nichts dazu sagte. Erst da schien Mandariel ihn bemerkt zu haben. Er sah seinen Getreuen mit einem schiefen Lächeln an. „Höre ich da etwa Neid in deiner Stimme?“ „Unsinn. Es geht mir nur darum, dass Ihr noch nie zuvor sowas getan habt!“ „Manche Dinge ändern sich eben!“, meinte Mandariel nur und ließ seine Gedanken wieder zu Rene wandern. Obwohl er ihm mit seinen Worten vor den Kopf gestoßen hatte und Grund hatte auf ihn wütend zu sein, begann er sich zu fragen, ob er es nicht doch falsch angegangen hatte. Dabei fragte er sich zugleich, wieso es ihn so beschäftigte. Ardou hatte Recht. Noch nie war es vorgekommen, dass er sowas getan hatte. Was war nur mit ihm los? Kapitel 13: Der erste Schritt in die richtige Richtung ------------------------------------------------------ Es war bereits früher Morgen als Rene spürte, dass ihm die Blase drückte und zog sich noch schlaftrunken Schuhe und Mantel über. Der Schnee knirschte unter seinen Stiefeln als er zu dem kleinen Holzhäuschen ging, das die Toilette war. Mit einem Gähnen zog er die Tür auf und ging hinein. Wenige Zeit später verließ er es wieder, erleichtert und noch müder und ging zurück zum Haus. Da hörte er plötzlich hinter sich etwas durch den Schnee huschen und war sofort hellwach. Hastig drehte er sich um und suchte mit den Augen nachdem, was das huschende Geräusch verursacht hatte. Sah jedoch nichts. Sicherlich ein Eichhörnchen, beruhigte er sich und ging dann weiter. Doch kaum das er einige Schritte gemacht hatte, war da wieder dieses Huschen zu hören und dieses Mal war es klar und deutlich zu hören, sodass Rene es erkannte. Das Auftreten von Pfoten. Wolfspfoten! Mit wildschlagendem Herzen wirbelte er herum und konnte gerade noch die Spitze einer Wolfsrute sehen. Weil er fürchtete das nicht die Wölfin sondern ein anderer fremder Wolf sich an ihm heranschleichen wollte, schnappte er sich schnell einen Holzscheit und hielt ihn schützend vor sich. „Komm raus. Ich weiß dass du da bist!“, rief er leise drohend. Einige Augenblicke verstrichen, dann kam hinter einem Schneehügel ein Wolf hervor, den Rene kannte. Sprachlos öffnete er den Mund als er den Welpen vor sich stehen sah. Verlegen schaute der junge Wolf zu ihm, verließ dann sein Versteck und trottete auf ihn zu. Als er jedoch den Holzscheit in Renes Hände sah, blieb er ruckartig stehen und sah das Stück Holz mit großen Augen an. „Willst du mich etwa totprügeln?“ Rene war sich bewusst, wie es für den Wolf wirken musste und warf schnell den Holzscheit weg. „Was machst du hier?“, flüsterte Rene und kam auf den Wolf zu. Dieser senkte den Kopf. „Ich wollte wissen warum du so…warum du uns nicht leiden kannst?“ „Und?“, echote Rene verwirrt. Nie hatte er gesagt, dass er die Wölfe nicht mochte. Wie kam dieser Wolf nur dazu? Aber dann dämmerte es ihm. „Du meinst weil ich Euren Herren nicht…!“, begann er zögernd. Die Ohren des Wolfes spitzten sich. Und auch wenn er ihn nur anschaute, wusste Rene, dass er damit ins Schwarze getroffen hatte. Rene seufzte. „Euer Herr macht es mir nicht gerade leicht!“ „Du ihm auch nicht!“ Wieder seufzte Rene. Er hatte das Gefühl als würde er mit einem kleinen Kind diskutieren. „Er weiß einfach nicht wie es ist!“ „Doch. Denn auch er hat Familie. Wir sind seine Familie!“ „Und wieso will er, dass ich ihn als Mensch sehe?“ „Weil er einer ist!“, sagte der Wolf und bellte sogar. Rene zuckte zusammen und sagte hastig, dass er still sein sollte. Sonst würde man sie noch hören und seinen Eltern erklären zu müssen, wieso ein Wolf in ihrem Garten ist, wollte er nicht wirklich. „Schon gut. Schon gut. Nur sei ruhig!“, zischte Rene und schaute hastig hinter sich. Niemand schien das Bellen gehört zu haben. Erleichtert atmete er durch. Dann wandte er sich an den Wolf. „War es das jetzt? Wenn ja, dann. Ehe man uns erwischt!“, sagte er und versuchte den Wolf mit einer Handbewegung weg zu schicken. Doch dieser blieb an Ort und Stelle stehen. Rene fluchte innerlich. „Worauf wartest du? Los, geh schon!“, flüsterte er. Der Wolf neigte den Kopf. „Warum?“ Rene gab einen entrüsteten Laut von sich. „Warum? Was glaubst du wohl, wird man mit dir machen, wenn man dich hier findet?“ „Dann nehme mich mit hinein!“, schlug der Wolf vor. Rene verschlug es fast die Sprache. Er sah den Wolf an. Es dauerte lang ehe er wieder etwas sagte. „Bist du von Sinnen?“ „Geh zurück zu deinem Herren!“ „Das geht nicht!“ „Und warum nicht?“ „Weil ich nicht den Weg zurück weiß!“ Renes Brauen hoben sich. „Und wie bist du dann hierher gekommen?“ „Ich bin dir nachgegangen!“ „Dann folge deiner Spur!“, kam es von Rene nun ein wenig gereizter. Der Wolf drehte sich um. „Die Spuren hat der Wind schon längst verweht!“ „Und was soll ich deiner Meinung nach machen?“ „Nimm mich mit hinein!“, schlug der Wolf vor und Rene wollte schon vor Entsetzen laut aufstöhnen. Hielt sich aber zurück. Zu gern hätte er gesagt, dass er das vergessen kann. Doch bevor er auch nur eine Silbe von sich geben konnte, huschte der Wolf an ihm vorbei und lief zum Haus. Rene keuchte entsetzt auf und eilte ihm nach. „Hey hey hey hey…!“, rief er leise und stellte sich ihm in den Weg. „Was soll das werden?“ „Na…ich will hinein gehen…!“, sagte der Wolf und legte den Kopf schief. „Das geht nicht!“ „Wieso nicht?“ „Weil meine Familie totumfallen würden vor Schreck wenn sie dich sehen!“, sagte Rene gepresst. „Wenn ich mich verstecke, werden sie mich nicht sehen!“ Der Wolf zog seine Lefzen hoch. Es sah aus als würde er grinsen. Rene verzog ein wenig das Gesicht. Es sollte wohl lustig wirken, aber Rene empfand nicht so. Es lag nicht daran dass der Wolf sich nicht verstecken konnte. Sondern daran was morgen sein wird. Wie sollte er den Wolf unbemerkt aus dem Haus schmuggeln? Er schaute zweifelnd über seine Schulter. Zum Haus seiner Familie. Begann dann zu überlegen. Wenn er sich leise verhielt, würde keiner was merken. Und den Wolf morgen aus dem Haus schaffen konnte er eigentlich nur Nachts. Wenn alles und alle schliefen. Anders wusste er nicht zu helfen. „Also gut!“, seufzte er. Rene ermahnte den Wolf ruhig zu sein und sich zu beeilen. Eilig flitzte der Wolf die Stufen hinauf und verursachte-zu Renes Erleichterung-keinen einzigen Laut. Kaum dass sie oben in seinem Zimmer waren, verschloss er sofort die Tür. Da merkte er, dass er wohl die Luft eingehalten hatte. Mit einem langen Seufzer atmete er aus und lehnte sich gegen die Tür. Schloss die Augen. Musste seine Gedanken ordnen. Dann schaute er zum Wolf, der vor ihm auf dem Boden saß und ihn nur anschaute. „Wenn ich wegen dir Ärger bekomme…!“, sagte er dann und ging zum Bett. „Ich werde mucksmäuschenstill sein!“, versprach er und blinzelte. Rene seufzte. Hoffentlich, dachte er und streifte sich den Mantel und die Stiefel ab. Er schaute noch mal zum Wolf, der es sich auf dem Boden bequem gemacht hatte und schon zu schlafen schien. Rene schüttelte den Kopf. Und hoffte dass er das nicht bereuen würde. Als Rene am nächsten Tag erwachte, hatte zuerst gedacht, dass er das alles nur geträumt hatte. Doch als er den Wolf auf dem Boden schlafend sah, musste er erkennen, dass das kein Traum war und seufzte. Mit kummervoller Miene stützte er das Gesicht mit der Hand ab und schaute zu diesem. Dieser Wolf… Er mag zwar ein Wolf sein. Ein wildes Tier. Aber er kam ihm wie ein kleiner Junge vor. Der seinen Willen haben wollte. Und Rene hatte das Gefühl, dass er wegen ihm noch eine Menge Ärger haben würde. Obwohl… Vielleicht konnte er ihn als Hund ausgeben. Der ihm letzte Nacht zugelaufen war. Wie ein klassischer Wolf sah er nicht gerade aus. Eher wie ein Mischling. Dabei fragte er sich aber auch, ob ihm das jemand überhaupt abkaufen würde. Rene hatte da so seine Zweifel und er wollte sich nicht vorstellen, was die Dorfbewohner mit ihm machen würden, sollten sie ihn entdecken. Nein. Ihn als Hund aus zu geben würde nicht funktionieren. Außerdem kam ihm das irgendwie eine Beleidigung vor. Sicher würde der Wolfsprinz toben, sollte er davon erfahren. Ihm blieb also nichts anderes übrig, als den Wolf solange in seinem Zimmer zu lassen, bis die nächste Nacht anbrach. Nur…würde da der Wolf auch mit machen? Rene hoffte es. Wobei er ahnte, dass das reines Wunschdenken war. Leise, um den Wolf nicht zu wecken, stand er auf und zog sich an. Als er aus dem Zimmer und nach unten zum Frühstück gehen wollte, hörte er, wie sich der Wolf hinter ihm zu rühren begann. Er erhob sich, streckte sich kurz und gähnte dafür herzhaft. „Guten Morgen!“, hörte er ihn sagen. Rene erwiderte seinen Gruß knapp und wandte sich um. „Hey, wo willst du hin?“ „Frühstücken!“ „Dann will ich auch was!“ „Ich bringe dir was mit rauf!“, versicherte Rene ihm schnell und verließ dann das Zimmer. Am Frühstückstisch herrschte bedrücktes Schweigen. Rene wusste warum. Und versuchte erst gar nicht gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Sondern setzte sich an den Tisch und nahm das Frühstück ebenso schweigend zu sich wie seine Familie. Dabei schaute er zu Flora, die teilnahmslos da saß und in ihrem Essen herum stocherte. „Flora. Iss doch was!“, bat Elsa sie dann mit brüchiger Stimme. Flora schüttelte den Kopf. „Ich habe keinen Appetit!“, flüsterte sie und legte die Gabel beiseite. „Willst du etwa verhungern?“ Flora presste die Lippen zusammen, sodass sie blass wurden. Sie musste nichts sagen. Das reichte ihrer Mutter vollkommen aus. „Das kann nicht dein Ernst sein?“, rief sie fassungslos. „Flora. Ist das es das wirklich wert?“ „Wenn ich mit Jaque nicht glücklich werden kann, dann…!“, kam es schluchzend von Flora. Doch sie kam nicht dazu den Satz zu beenden, denn damit war sie zu weit gegangen. Und sie konnte nicht anders als ihr eine Ohrfeige zu geben. Es war einfach zu viel für sie. Es hatte das Fass eindeutig zum Überlaufen gebracht. Elsas Augen wurden rot und sie begann zu weinen. „Denkst du, du bist die einzige, die hier leidet?“, schrie sie sie an. „Denkst du wirklich, dass dein Tod der richtige Ausweg ist?“ Flora sagte nichts, sondern schaute nur auf die Tischplatte. Ihre Wange hatte sich durch den Schlag rotgefärbt. Auch wenn man ihr ansah, dass sie jetzt weinen wollte, tat sie es nicht. Sie schien wie weggetreten zu sein. „Hast du da auch mal an uns gedacht? Du und Rene! Ihr seid unsere Kinder und wenn einem von Euch etwas passieren würde, dann…!“ Elsas Stimme brach und sie schlug sich die Hand vor den Mund. Presst die Augen zusammen und konnte nun die Tränen nicht mehr zurückhalten. So als habe sie keine Kraft mehr sank sie in sich zusammen. Flora rührte und sagte immer noch nichts. Rene fürchtete, dass sie sich nun völlig aufgegeben hatte. „Das weiß ich…!“, flüsterte sie. „Aber ich…ich kann…!“ Mit einem Satz sprang Flora von ihrem Stuhl auf und eilte die Treppe hoch. Die Großmutter seufzte schwer. „Das arme Ding!“ Ramon legte seiner Frau die Hände auf die Schultern. Drückte sie. Beugte sich dann zu ihr. „Gib Ihr etwas Zeit!“, flüsterte er und küsste sie auf die Wange. „Wie lange noch, Ramon? Wie lange und wieviel sollen wir das noch ertragen?“, wimmerte Elsa. Rene saß nur da. Das Frühstück war ihm vergangen. Er stand auf und wollte auch gehen. Blieb aber stehen und nahm den Teller mit dem Speck und Ei mit. Keiner schien etwas dazu sagen zu wollen. Als er in seinem Zimmer war, schien der Wolf ein wenig verunsichert zu sein. Offenbar hatte er den Streit unten mit angehört. Naja. Laut genug waren sie ja. „Es scheint deiner Schwester nicht sonderlich gut zu gehen!“, sagte er und schaute ihn mit betrübten Augen an. Rene schnaubte angesichts dieser Untertreibungen. „Wie sollte es ihr gut gehen?“, fragte er frustriert. „Angesichts dass sie mit dem nicht zusammen sein kann, den sie liebt!“ „Hier. Lass es dir schmecken!“ Der Wolf schnüffelte kurz, dann begann er zu fressen. „Du wirst den ganzen Tag hier drin bleiben müssen!“, sagte Rene nach einer Weile. Der Wolf hob den Kopf. „Wieso das?“ „Weil dich niemand sehen darf!“, erklärte Rene knapp. „Wenn ich mich anstrenge, wird man mich auch nicht sehen!“, sagte der Wolf von sich selbst überzeugt. „Nein. Du bleibst hier oben. Bis es wieder Abend ist. Und dann gehst du nachhause!“ „Ich habe dir doch gesagt, dass ich den Weg nicht mehr zurück weiß!“ „Dann bringe ich dich eben zurück!“, gab Rene entnervt zurück. „Aber du bleibst hier. Und damit basta!“ Trotz dass ihnen nicht danach waren, gingen Renes Eltern in die Bäckerei um ihrer Arbeit nach zu gehen. Martha blieb zu Hause. Doch sicher machte sie ein kleines Schläfchen oder war in ihrer Stickarbeit vertieft, sodass sie nichts mit bekam. Und Flora hatte sich in ihrem Zimmer eingeschlossen. Es sollte also daher keine Gefahr bestehen, dass man den Wolf hören würde. Sofern er sich ruhig verhielt. Doch der Wolf schien nicht daran zu denken. Unruhig lief er hin und her. Mal legte er sich hin, nur um dann wieder auf zu stehen und auf und ab zu laufen. Er kratzte sogar an der Tür. Woraufhin Rene ihn anwies damit auf zu hören. „Wirst du wohl endlich damit aufhören. Dich wird man noch hören und dann sind wir beide dran!“ „Das geht nicht!“ „Und warum nicht?“ „Weil ich mal muss!“, winselte der Wolf und trat mit seinen Hinterläufen hin und her. „Auch das noch!“, stöhnte Rene. „Also gut…!“ Leise öffnete er die Tür und steckte den Kopf nach draußen. Vergewisserte sich, dass sich nichts rührte und machte eine ungeduldige Handgeste. „Los, beeil dich. Und sei leise!“ Der Wolf kam seiner Aufforderung nach und war auch dieses Mal leise. Kaum das sie draußen waren, suchte sich der Wolf auch schon eine geeignete Stelle. Rene stand da und schaute sich immer wieder unruhig um. Hoffentlich sah sie keiner. „Bist du endlich fertig?“, fragte er. „Jaja!“, sagte der Wolf und rannte schnell an ihm vorbei ins Haus. Rene atmete auf, dann ging auch er ins Haus. Der Abend brach an und Rene war mehr als froh. Denn das hieß, dass er den Wolf zurück bringen konnte. Eilig schritt er mit ihm durch den nächtlichen Wald. Dabei war er schneller als der Wolf. „Hey…warte doch auf mich!“, rief er. „Nein. Ich will so schnell wie möglich dich zurück bringen und wieder nachhause!“, schnaubte er. „Ist dir klar, dass ich wegen dir echt Ärger bekommen hätte!“ „Jetzt hör endlich auch so schwarz zu sehen. Mich hat man doch nicht gesehen. Also kein Grund so zu dramatisieren!“ Rene blieb stehen und sah ihn wütend an. „Dramatisieren? Was denkst du wird dein Herr dazu sagen? Machst du dir keine Sorgen, dass du Ärger bekommst?“ Der Wolf blieb nun auch stehen und schaute ein wenig beschämt drein. „Doch!“ Dann sagte er mit einem bittenden Blick:„ Kannst du vielleicht…ein gutes Wort für mich einlegen?“ „Wie bitte?“, fragte Rene und starrte den Wolf ungläubig an. „Du hast dir das ganze doch selber eingebrockt!“ „Ja, aber…wir sind doch Freunde!“ „Wir sind keine Freunde!“, rief Rene außer sich. Wie kam dieser Wolf nur darauf. Bis jetzt hatte er nur Ärger wegen ihm. Der Wolf wirkte verletzt. „Nagut…!“, sagte er und ging weiter. Rene sah ihm nach und hatte auf einmal ein schlechtes Gewissen. Eigentlich hatte der Wolf ihm nicht wirklich in Schwierigkeiten gebracht. Er hatte sich an das gehalten, was er ihm gesagt hatte. Aber dennoch von Freund zu sprechen. Er war immerhin ein Wolf. Ein…wildes Tier. Konnte man mit so einem befreundet sein? „Hey…warte!“, rief er und rannte ihm nach. Der Wolf blieb stehen und sah ihn immer noch betrübt an. „Tut mir leid. Ich wollte dich nicht anschreien. Es ist nur so...ich…meine Familie…wir alle haben schon genug durchgemacht und wenn man noch einen Wolf bei uns entdeckt hätte, dann…!“ Der Wolf schien zu verstehen, was er damit sagen wollte. Denn er nickte. „Ich habe wohl nicht nachgedacht, wie!“ Rene musste nun ein wenig lächeln. „Nein!“, sagte er. „Wieso bist du mir wirklich nachgegangen. Doch nicht etwa nur weil du wissen wolltest, warum ich was gegen deinen Herren habe. Oder?“ Der Wolf schaute zu Boden, als habe er ihn bei etwas ertappt. „Naja…ich wollte wissen wie du lebst? Ich wollte deine Familie sehen?“, sagte er. „Nach allem was ich gehört habe schien sie sehr nett zu sein!“ Rene runzelte die Stirn. „Was macht dich da so sicher? Und von wem hast du das gehört?“ „Jeder Wolf spricht darüber, was zwischen dir und meinem Herren vorgegangen war. Du bist eine Art Berühmtheit!“ Bei diesen Worten wurde Renes Gesicht ein wenig säuerlich. Eine Berühmtheit? Da hatte er so seine Zweifel. Er konnte sich gut vorstellen, dass einige der Wölfe ihn lieber tot sehen wollten. Der eine, der ihn damals, als er den Wolfsprinzen verletzt hatte, die Kehle durchbeißen wollte, war einer davon. Oder stand sogar an erster Stelle. „Und wer mir davon erzählt hat? Meine Schwester. Nima! Die hast du auch schon kennengelernt!“ „Nima? Etwa die Wölfin, die mich immer zu ihm gebracht hat?“ „Genau die!“ „Nima!“, echote Rene. „Ein hübscher Name!“ Der Wolf lachte. „Darüber wird sie sich freuen!“ „Hast du denn einen Namen?“ „Nein!“, sagte der Wolf. „Leider nicht!“ „Warum nicht?“ „Weil ich mir meinen Namen erstmal verdienen muss. Erst wenn ich meine erste Beute gerissen habe, darf ich mit einen Namen geben!“ „Und wann wird das sein?“, fragte Rene. Sie gingen inzwischen weiter. „Das weiß ich nicht. Aber solange darf ich mir keinen Namen geben!“ „Und was wenn ich dir einen Namen gebe?“ Erstaunen war in den Augen des Wolfes zu sehen. „Du willst mir einen Namen geben? Wirklich?“ Rene hob die Schultern. „Warum nicht. Dann müsste ich dich nicht immer Wolf nennen!“ „Das tust du doch nicht!“, wandte der Wolf ein. „Aber es würde es doch einfach machen. Findest du nicht?“ Der Wolf schien zu überlegen. Dann schien sich so etwas wie Hoffnung in seinen Augen zu zeigen. „Wenn du das könntest…dann…dann wäre ich kein Niemand mehr!“, rief der Wolf und wedelte voller Aufregung mit seinem Schweif. „Wieso bist du ein Niemand, wenn du keinen Namen hast?“ „Ich sagte doch, dass ich keinen Namen wählen darf, wenn ich noch keine Beute erlegt habe. Und wenn ich noch keine Beute erlegt habe, bin ich auch kein richtiges Rudelmitglied. Ich bin so zu sagen noch ein Welpe!“ „Ein Welpe? Na ich weiß nicht. Du bist ganz schön groß für einen Welpen!“, murmelte Rene. Ihm wollte es nicht in den Kopf gehen. Für ihn sah es so aus als wäre der Wolf erst ein Wolf, wenn er sich bewiese hat. So wie es hier bei den Menschen war. Ein Mann war erst dann ein Mann, wenn er… Rene schüttelte den Kopf. So was Beschränktes und Dummes hatte er noch nie gehört. Zumindest nicht von seinem Vater. Und er hatte auch erwartet, dass der Wolfsprinz jeden Wolf gleich behandelte. Der Wolf lachte. „Es kommt nicht auf die Größe an!“ Rene musste ebenso lachen. Wurde dann aber wieder ernst. „Ich dachte immer, dass der Wolfsprinz jeden Wolf gleich behandelt!“, sagte er. „Nun…für jeden Wolf gibt es eine Aufgabe. Die einen Jagen, die anderen beschützen unsere Familie und die dritten wiederum helfen bei der Erziehung des Nachwuchses. Ich kann es kaum erwarten, bis ich mich beweisen kann. Im Moment spiele ich das Kindermädchen für meine Geschwister…!“, murrte der Wolf und schüttelte schnaubend den Kopf. Rene grinste ein wenig. Ihn erinnerte dass ein wenig an seine Schwester Flora, die auch öfters als sie Kinder waren, mit ihm nur Scherereien hatte. Er konnte sich gut vorstellen, wie dem Wolf zumute war. „Und wenn es soweit ist, du endlich deinen Namen hast, was willst du dann machen? Jagen oder Beschützen?“ „Jagen!“, kam es prompt vom Wolf. „Mich mit anderen Wölfen prügeln…nein, danke. Das habe ich schon mit meinen Geschwistern!“ „Und was lockt dich ein Jäger zu werden?“ Der Wolf machte eine Bewegung was wohl ein Schulterzucken sein sollte. „Ich stelle es mir schon spannend vor!“ Rene grinste erneut. Er klang ganz wie ein heranwachsender Bursche, der noch nicht ganz trocken hinter den Ohren war. „Deine Schwester? Ist sie Beschützerin oder Jägerin?“ „Jägerin!“, sagte der Wolf und senkte den Kopf. „Schon irgendwie peinlich!“ „Habt Ihr alle den gleichen Vater und die gleiche Mutter? Ist denn der Wolfsprinz dein…?“ Rene merkte auf einmal, wie er rot wurde. Der Wolfsprinz konnte kaum älter sein als er und der Gedanke, dass er der Vater dieser vielen Wölfe war, kam ihm schon etwas bizarr vor. Dabei fragte er sich wie alt er wirklich war? „Nein. Das nicht. Um ehrlich zu sein…haben wir keine Mutter und keinen Vater!“ Rene runzelte die Stirn. Keine Mutter und keinen Vater? Aber wie war das möglich? Der Wolf musste diese unausgesprochene Frage ihm angesehen haben. „Ich selbst habe es nur mal aufgeschnappt aber…der scheint uns aus dem Sturm und dem Schnee geschaffen zu haben. Wie weiß ich nicht!“, begann er zu erklären. „Er ruft den Sturm und den Schnee herbei und formt uns aus diesem. Dabei haben wir die Form eines Welpen und wachsen dann…!“ „Dafür dass du es nur aufgeschnappt hast, weißt du aber eine ganze Menge!“ „Naja…irgendwie weiß es jeder von uns. Tief in uns hören wir das Flüstern des Windes!“ „Und was flüstert es dir zu?“ „Keine Ahnung. Aber wir spüren es. Es…es ist wie…wenn man das erste Mal verliebt bist. Dann spürt man doch dieses Flattern im Bauch. Und so ist es bei uns!“ „Warst du schon mal verliebt?“ „Nein. Du?“ „Auch nicht!“ „Woher willst du dann wissen, wie es sich anfühlt verliebt zu sein?“, fragte Rene skeptisch. „Ich denke, wenn man verliebt ist, wird man es wissen!“ „Woher weißt du das alles?“, fragte Rene. Es wunderte, dass der Wolf über solche Dinge Bescheid wusste. Oder zumindest den Eindruck machte. „Ich weiß es eben…das ist doch nicht anders als bei Euch Menschen!“ „Wie alt bist du nochmal?“ „Spielt das eine Rolle?“, fragte der Wolf zurück. Sagte aber dann schnell als wollte er das Thema wechseln. „Wir sollten uns beeilen!“ Rene blieb erstmal nur dastehen, aber dann lächelte er. Offensichtlich war es ihm ziemlich peinlich. Dann folgte er ihm. Kaum dass sie in den Raum kamen wurden, schien man sie schon ungeduldig erwartet zu haben. Aber nicht von dem Wolfsprinzen sondern von einer jungen Frau mit silbrigen Haaren. Sie schien aufgekratzt zu sein. Ihr gehetzter Blick und das Ringen ihrer Hände sprachen deutlich davon. Als sie dann die beiden sah und vor allem den Wolf, kam sie wie eine Furie herangestürmt. „Wo hast du gesteckt?“, fuhr sie den Wolf an. Der Wolf zog den Schweif ein und versteckte sich hinter Renes Beinen. „Der Herr ist außer sich. Er hat jeden Wolf los geschickt um dich zu finden. Wo warst du?“ „Er war bei mir!“, sagte Rene. Erst als er sich zu Wort meldete schien sie ihn bemerkt zu haben. „Bei dir?“, echote sie und blinzelte. Dann wandte sie sich wieder an den Wolf. „Was wolltest du bei ihm?“ Der Wolf winselte. „Ich wollte ihn besuchen…!“ „Du wolltest…Bist du von allen guten Geistern verlassen? Was wenn dich jemand gesehen hat? Weißt du wie leichtsinnig das war?“ Je mehr sie ihr Entsetzen über ihn ergoss, desto kleiner wurde der Wolf, sodass er nun den Kopf einzog. Die junge Frau atmete tief durch. Wischte sich über das Gesicht. „Du bringst mich noch ins Grab!“, seufzte sie. „Ich werde versuchen den Herrn zu beruhigen und alles auf einen Ausrutscher schieben. Einen einmaligen Ausrutscher!“ Den letzten Satz betonte sie sehr genau. Der Wolf rollte die Augen. „Jaja…!“, kam es von ihm. „Schwestern!“ Renes Brauen hoben sich und er sah vom Wolf zur jungen Frau. „Du bist seine Schwester? Du bist Nima?“ Die Frau sah ihn nun erstaunt an. Dann aber sah sie zum Wolf und ihr Gesicht verfinsterte sich. „Du kannst einfach nicht dein loses Mundwerk halten, was?“, murrte sie. Dann wandte sie sich wieder zu Rene. „Ja. Mein Name ist Nima!“ Rene erinnerte sich daran wie der Wolfsprinz den Wolf, der ihn sonst immer begleitet hatte Nima genannt hatte. Gab es vielleicht zwei Wölfe mit dem gleichen Namen? Eher unwahrscheinlich. Nach allem was der junge Wolf ihm erzählt hatte, schien jeder Wolf einen Namen zu haben, der wie er, einzigartig war. Es konnte also nur der ein und derselbe Wolf sein. „Ich dachte du wärst ein Wolf!“ „Das bin ich auch. Das hier…!“, sagte sie und zeigte dabei auf sich. „Ist meine andere Gestalt!“ „Können das alle Wölfe?“ „Nur die, die der Herr erschaffen hat!“, sagte Nima. Renes Blick ging zum Wolf. „Dann kann er das auch?“ „Nicht wenn er wieder so ein Blödsinn macht. Denn dann wird er den nächsten Tag nicht erleben!“, kündigte sie finster an. Rene musste grinsen. Sie hörte sich an wie Flora. Der Wolf wich vor ihr zurück. „Jedenfalls…Danke, dass du ihn zurück gebracht hast!“, seufzte sie. Lächelte dann. „Keine Ursache!“, sagte er. Erwiderte höflich das Lächeln. „Dann werde ich wieder gehen!“ Nicht das der Wolfsprinz mich hier erwischt und womöglich noch wütend wird, ging es ihm noch durch den Kopf. Da schüttelte Nima den Kopf. „Darüber musst du dir keine Sorgen machen!“, sagte sie. „Unser Herr ist mit den anderen Jägern die ganze Nacht unterwegs. Erst wenn die Dämmerung einsetzt, werden sie zurückkommen!“ „Und warum bist du nicht mitgegangen?“ „Weil ich unserem Herrn zuvorkommen und dem hier eine Standpauke vom feinsten halten wollte!“ Rene schluckte. Etwas an ihren Worten sagte ihm, dass der Wolfsprinz nicht gerade milde über den Wolf richten würde. „Er scheint sehr streng zu sein!“, murmelte er. Der Wolf drängte sich gegen seine Beine. Nima machte ein nachsichtiges Gesicht. „Er hat eben eine große Verantwortung tragen!“ „Er sowohl streng, aber auch gerecht und ich kann mich kein einziges Mal daran erinnern, dass er uns schlecht behandelt hat. Er ist unser Herr, unser Freund und unser Bruder!“ Sie sagte das mit solch einer Inbrunst und einem Leuchten in den Augen, dass er sich des Eindrucks nicht erwehren konnte, dass sie mehr als nur die Hingabe empfand, die eine Dienerin ihren Herren gegenüber zu hegen hatte. „Bist du etwa…?“, wollte er fragen, schaffte es aber nicht den Satz zu beenden. Wurde stattdessen rot. Nimas Gesicht wurde ein wenig erschrocken, dann aber lachte sie wieder und winkte ab. „Um Himmels willen…nein…Auch wenn ich zugeben muss, dass er ein Bild von einem Mann ist und es das höchste Glück wäre, mit ihm das Leben zu verbringen, muss ich leider sagen, dass es bisher noch kein Wesen gab, dass sein Herz berührt hatte!“ „Hat er denn überhaupt ein Herz?“, rutschte es unbeabsichtigt aus ihm heraus. „Wenn er keins hätte, hätte er dich und deine Familie schon längst ausgelöscht!“, kam es von Nima und in ihren Augen war wieder dieser Vorwurf zu sehen, den er schon gesehen hatte als sie ein Wolf war. Auch Nima schien es unangenehm zu sein. Sie umschlang ihren Oberkörper mit den Armen und schaute mit zusammengeschobenen Brauen zu Boden. „Wenn ich dich gekränkt habe, tut es mir Leid…!“ Nima schüttelte den Kopf. „Nein. Das hast du nicht. Aber verstehe endlich, dass der Herr kein böser Mensch ist. Er…er hat nur…er hat seine Gründe und eine Vergangenheit, die ihn so handeln lässt!“ „Du sprichst von dem Mord an seinen Vater?“, fragte er und Nima nickte traurig. „Aber nicht nur deswegen!“ „Was meinst du?“, fragte Rene. Nima schaute ein wenig verlegen drein, so als habe sie viel zu viel gesagt. „Es…es ist auch wegen seiner Mutter…!“ „Seine Mutter? Wurde sie etwa auch…?“ „Wie ich sehe haben wir Besuch!“, sagte plötzlich eine helle Frauenstimme. Nima zuckte etwas zusammen, neigte aber dann ergeben den Kopf. Rene stand mit dem Rücken zu der Dame, die nun eingetreten war. Drehte dann aber um und stand einer Frau gegenüber, die wie eine Königin angekleidet war. Das dunkle, fast schon schwarze Haar fiel ihr einem Vorhang gleich, den Rücken hinunter. Sie trug eine eng anliegende, silberne Robe mit weiten Ärmeln, die knapp über den Boden reichten. Um ihren Hals trug sie eine schlichte Kette aus silbernen Schnüren, an dem ein tränenförmiger Anhänger hing, der bläulich schimmerte. Schön war sie. Doch obwohl sie so jung aussah, kaum älter als Flora zu sein schien, hatte sie etwas in ihren Augen, dass von vor ran geschrittenem Alter zeugte. Als Rene bewusst wurde, wie er sie anstarrte, wurde er verlegen und neigte ebenso den Kopf. „Werte Dame!“, sagte er hastig. Als er keine Antwort erhielt, hob er vorsichtig den Kopf und sah sie an. Da er sie angestarrt hatte, hatte er nicht bemerkt, wie sie ihn wiederum abgesehen hatte. So als würde sie einen Geist vor sich sehen. Ihre Augen waren weit aufgerissen und ihre Lippen zitterten. Ihr Gesicht war blass. Rene fürchtete dass sie sogleich ohnmächtig werden würde. Dann aber schien sie sich gefasst zu haben. Dann wandte sie sich an Nima. „Nima. Sei doch so gut und hole uns etwas Tee und Gebäck!“, wandte sie sich an Nima. Nima nickte und verließ den Raum. Rene schaute ein wenig irritiert drein. „Was…?“, kam unsicher von ihm. Die Frau lächelte. „Ich hoffe doch, dass du die Zeit hast, mit mir Tee zu trinken?“ Rene zögerte kurz. Dann nickte er. Die Frau lächelte. Zeigte auf die Kissen. „Setz dich doch!“ Nach einigen Minuten kam Nima mit Tee und Gebäck wieder und reichte alles an. Die Dame schenkte ihm eine Tasse Tee ein und reichte sie ihm. Der Wolf hatte es sich neben Rene bequem gemacht. Schielte dabei zu dem Gebäck. Rene merkte das natürlich und schob ihm ein Keks zu. Dieser wurde sogleich vom Wolf genommen und verspeiste ihn. Die Frau lachte leise. „Scheint so als hättest du einen Freund gefunden!“ „Eigentlich ist er gar nicht so übel!“, sagte er und kraulte ihm den Kopf. Die Gastgeberin sah dies mit einem zufriedenem Ausdruck. Der Wolf rollte sich auf die Seite. Da musste sie kichern. Wurde dann aber bedrückt. „Was bisher alles geschehen ist, tut mir leid. Das hätte alles nicht sein müssen!“, sagte sie dann. Rene blieb der Bissen vom Keks im Hals stecken. „Das ist nicht Eure Schuld!“, sagte er tonlos. Die Frau holte tief Luft. „Doch. Wenn ich nichts gesagt hätte, dann…!“ Ihr Blick ging ins Leere. Rene sah sie nur an. Sah dabei wie ihre Augen vom großem Kummer erfüllt waren. Fast wollte er sie fragen, was man ihr angetan hatte. Konnte es jedoch nicht, weil er sich sagte, dass es ihm nichts anging. Und weil er nicht unhöflich sein wollte. Es reichte schon, wenn der Wolfsprinz einen Groll auf ihn hatte. Ein langes Schweigen folgte. Welches bald schon vom Knarren einer Tür unterbrochen wurde. „Darf ich fragen, was das zu bedeuten hat?“, erklang auch gleich die ungehaltene Stimme des Wolfsprinzen. Sofort sprangen die beiden auf. Auch der Wolf erhob sich und versteckte sich hinter Rene. Mandariel stand da und sah beide mit einem finsteren Blick an. Rene versuchte sich seinen Schrecken nicht anmerken zu lassen. Doch der Wolf hingegen begann leise zu wimmern. Nur die Dame schien sich davon nicht beeindrucken zu lassen. „Nun. Der junge Mann hier war so freundlich mit mir eine Tasse Tee zu trinken!“, erklärte sie ihm gelassen. Mandariels Gesichtszüge verfinsterten sich kurz. „Das sehe ich. Ich meine den Ausreißer da?“, knurrte er und zeigte auf den Wolf. Sogleich versuchte der Wolf sich noch mehr hinter ihm zu verstecken. „Das wird dir auch nicht helfen!“, sagte Mandariel und ging auf sie zu. Rene stellte sich ihm in den Weg. Wusste selbst nicht was ihn dazu getrieben hatte. Doch das der Wolf hart bestraft wurde, wollte er nicht. „Es ist nicht seine Schuld!“ Mandariel wirkte kurz erstaunt doch dann wurde sein Blick misstrauisch. „Sagst du das nur um ihn in Schutz zu nehmen, obwohl er sich bewusst in Schwierigkeiten gebracht hat…?“, kam es lauernd von ihm. Rene versuchte standhaft zu bleiben, straffte die Schultern. Machte sich damit etwas größer und sah ihn herausfordernd an. „Und was wenn es so wäre?“, erwiderte Rene. Angespanntes Schweigen folgte, in dem Mandariel ihn nur ansah. Deutlich war in seinem Blick zu sehen, das er ihm das nicht glauben konnte. Und Rene konnte es verstehen. Etwas sagte ihm, dass er es immer noch übel nahm, ihn beschuldigt zu haben, alles noch schlimmer gemacht zu haben. Er biss sich auf die Unterlippe, weil ihm da etwas eingefallen, was noch ausstand. „Außerdem…wollte ich mich…bei Euch entschuldigen!“, sagte er und zum ersten Mal wurde das Gesicht des Wolfsprinzen etwas erstaunt. Die Frau hingegen lächelte nur. Ohne abzuwarten was er dazu zu sagen hatte, sprach Rene weiter. „Ich…ich wollte nicht undankbar sein. Ihr wolltet mir und meiner Familie nur helfen. Auch wenn der Schuss ein wenig nach hinten los ging!“ Die Dame musste ein Kichern unterdrücken, während Mandariel ihn nur ansah. „Jedenfalls…tut es mir leid und ich hoffe, dass Ihr meine Entschuldigung annehmt!“, sagte er und streckte ihm die Hand aus. Mandariel schien nicht ganz davon überzeugt zu sein. Sah Renes Hand skeptisch an. Haderte mit sich. Es dauerte lange. Viel zulange wie die Frau fand und gab Mandariel einen Schubs. Mandariel sah finster an. Sagte aber nichts. Der Blick mit dem sie ihn bedachte, sagte deutlich: „ Jetzt nimm schon seine Entschuldigung an!“ Mandariel schnaubte. Nahm aber ohne ein Widerwort Renes Hand. Der Händedruck war kurz aber fest. Und als Rene ihn ansah, hatte er den Eindruck das er seine Entschuldigung wirklich annahm. Nicht nur weil die Frau darauf bestand. Ein wenig erleichtert atmete er auf. Mandariel ließ los und sah ihn kühl an. „Wenn das alles war…?“, sagte er und Rene kam sich auf einmal deplatziert vor. Er machte einen Schritt zurück. „Ich wollte das nur aus der Welt schaffen!“, sagte er und drehte sich um. Doch bevor er ging, hielt die Frau ihn zurück. „Komm mich doch morgen wieder besuchen!“, bat sie ihn. Rene war zuerst unsicher, schaute dann kurz zu Mandariel, der wiederrum alles andere als begeistert zu sein schien. Die Dame sah Mandariel hingegen an. Rene wusste natürlich nicht wie sie ihn ansah, aber drehte sich nur um und murmelte etwas. Dann drehte sich die Frau wieder um. „Also. Morgen dann?“ Rene nickte. Als Rene gegangen war, standen Mandariel und seine Mutter auf dem Balkon und schauten in den Wald hinunter. Jeder hing seinen Gedanken nach. Dem Wolfsprinzen entging dabei nicht, wie sie ihn angrinste. „Du brauchst gar nicht so zu grinsen!“, murrte er. „Du musst zugeben, dass er aufrichtig ist!“, erwiderte sie. Mandariel sagte darauf nichts. „Ich nehme wohl an, dass du bei deinem Entschluss bleibst?“, fragte sie dann mit dumpfer Stimme. „Er ist unschuldig, Mandariel Genau wie all die anderen vor ihm!“ „Das spielt keine Rolle. Sein Leben gehört genauso mir wie das der anderen. Er und die, die noch folgen werden, sollen für das büßen, was ihre Vorväter getan haben!“ Lira sah ihren Sohn nur an. Dann wandte sie sich mit einem schweren Seufzen ab und ging hinein. Doch bevor sie ihn verließ, sah sie ihn noch einmal an und sagte:„ Du denkst nur an deine Rache. Nicht an das was wäre wenn. Und vor allem denkst du nicht an deinen Vater. Er würde niemals so etwas tun!“ Mandariels Körper versteifte sich. „Mein Vater ist tot!“, kam es gepresst von ihm. Kapitel 14: Die Puzzleteile fügen sich zusammen ----------------------------------------------- Dank der unverständlichen Warnung des Wolfsprinzen sahen der Dörfler davon ab, Ramon und seiner Familie zu schikanieren. Besonders der Bürgermeister und der Verwalter nahmen davon Abstand. Dennoch war die Ablehnung deutlich spürbar. Zwar kauften die Leute weiterhin ihr Brot. Doch die Blicke mit denen man sie bedachte, sagten deutlich was ihnen durch den Kopf ging. „Je eher der Wolfsprinz Euch holt, umso besser!“ Elsa und Ramon versuchten es nicht weiter zu beachten. Doch irgendwann konnte es Elsa nicht mehr. „Ich halte das nicht mehr aus!“, sagte sie klagend und vergrub das Gesicht in den Händen. „Wie kommt der Bürgermeister nur darauf, dass wir…?“, sagte sie dann wieder. Rene sagte nichts. Schaute zu Boden und biss sich auf die Unterlippe. Flora saß da und starrte vor sich. „Das alles kann nur eine gemeine Lüge sein!“, kam es bitter von Ramon. „Passen würde es zu Ihnen!“, murrte Martha während sie strickte. „Diesem verlogenden Pack!“ Rene schaute Flora, die nun doch aufsah und zu ihm schaute. Beide schienen sich das gleiche zu fragen. Sollen Sie es wagen und es verraten? Es hieß sowieso, dass sie alle sterben würden. Wieso also das unausweichliche hinaus zögern? Doch dann verwarfen sie wieder diesen Gedanken. Vielmehr war es Rene. Er schüttelte den Kopf. „Egal woher Sie diesen Irrglauben auch haben…sie lassen uns zumindest zufrieden!“, sagte Ramon. Dabei wussten alle, dass das reines Wunschdenken war. Egal wie auch immer… Sie würden weiterhin irgendwelche Anfeindungen ertragen müssen. Nur Flora und Rene wussten wie lange das so gehen würde. Da klopfte es an der Tür. Alle schauten überrascht auf. Und als Ramon die Tür öffnete, waren sie es noch mehr, als sie sahen, wer sie da besuchte. „Jaque…!“, kam es von Flora. Es war mehr wie ein ersticktes Keuchen. Ihr Gesicht war voller Pein. Jaque blieb stehen wo er war und sah sie unsicher an. Er konnte sich denken, dass sein Erscheinen ihr Unbehagen bescherte. Aber man sah ihm an, dass ihm etwas auf der Seele brannte. Er wandte sich an Ramon. „Es tut mir leid, dass ich Sie störe aber…es gibt da etwas, was ich loswerden muss!“, sagte er und sah dabei zu Flora. Sogleich wurde sie ganz starr wie ein Reh, was vor der Flinte eines Jägers stand. Nun ruhten alle Augen auf sie. Alle gespannt, was Jaque zu sagen hatte. Floras Mund fühlte sich trocken an. Und sie wirkte alles andere als gefasst. Fast so als ahnte sie, was Jaque auf dem Herzen lag. „Ich weiß, dass du davor zurück schreckst und nicht willst, dass ich und mein Vater uns entzweien, will ich nicht auf das hören, was er und die anderen dazu sagen. Es ist mir auch gleichgültig. Was für mich zählt, ist, mit dir zusammen zu sein!“, sagte er und ergriff ihre Hand. „Ich verlange ja nicht, dass du mich sofort heiratest. Aber verlobe dich wenigstens mit mir!“ Atemlose Stille breitete sich aus. In dieser sahen Floras Eltern, Rene und die Großmutter zu ihr und Jaque, der weiterhin ihre Hand hielt und sie festentschlossen ansah. Deutlich sah man in seinem Blick, dass er sich nicht davon abbringen lassen würde. „Jaque…ich…!“ „Nun sag doch endlich „Ja“, Kind!“, sagte Martha und brach damit das Schweigen. Sofort warfen ihr alle überraschte und perplexe Blicke zu. Martha hingegen schien sich keiner Schuld bewusst zu sein und stemmte die Hände in die Hüften. „Dieses ganze Hin und her…Mein altes Herz hält das nicht mehr aus und ich will noch in diesem Leben deine Hochzeit sehen. Außerdem…der arme Kerl hat den Mut seinem Vater die Stirn zu bieten und hält um deine Hand an. Tu dir und deinem Seelenheil einen Gefallen und nimm seinen Antrag an…!“ Flora sah ihre Großmutter nur sprachlos an. Sie hatte das ausgesprochen, was ihr Herz schon längst versuchte ihr klar zu machen. Und insgeheim war sie ihr dankbar, dass sie ihr den nötigen Stoß gab. Ihr Blick ging dann zu ihrem Vater. „Vater…?“, fragte sie ihn. Nun sah auch Jaque zu ihm und räusperte sich verlegen. „Ich weiß, dass normalerweise der Vater zuerst gefragt wird. Aber…!“, sagte er dann und sah wieder zu Flora. Ramon lächelte. „Unter bestimmten Umständen kann man da ein Auge zudrücken!“, sagte er. Zwinkerte Ramon Jaque dann zu. Sein Gesicht hellte sich auf. Auch Floras Mundwinkel zuckten nach oben und zum ersten Mal sah Rene wieder das Leuchten in ihren Augen. „An mir soll es nicht scheitern. Die Hand meiner Tochter sei dir gewiss!“ Nun sah er zu Flora. „Vor rausgesetzt sie nimmt deinen Antrag an!“, sagte Ramon dann und sah zu Flora. Das Leuchten in ihren Augen war erloschen und sie blickte nun wieder so drein als würde sie vor etwas zurückschrecken. Ihre Hand, die immer noch in der von Jaque lag, zitterte. „Flora…nun sag doch endlich was!“, sagte Martha. Keiner schien den Kampf zu sehen, der in ihr tobte. Doch Rene konnte es deutlich in ihrem Gesicht sehen, dass sie nichts mehr auf der Welt wollte, als seinen Antrag an zu nehmen, es aber nicht konnte weil… „Flora..!“, fragte Jaque unsicher und sein Mut schwand. „Entschuldigt uns. Ich muss kurz mit meiner Schwester reden!“, sagte Rene. Nahm Flora dann bei der Hand und zerrte sie förmlich aus der Wohnstube. Ungeachtet der Kälte, die des Nachts draußen herrschte, schob er sie hinaus und war dann die Tür hinter sich. „Rene…was soll das?“ „Das gleiche könnte ich dich fragen? Wann hörst du endlich dich von dem, was die anderen denken oder sagen beeinflussen zu lassen und stattdessen mal an dich zu denken. Du liebst doch Jaque oder? Und du willst ihn auch heiraten? Wieso nimmst du seinen Antrag nicht an?“, redete er auf sie ein und Flora schaute betrübt zu Boden. Sie öffnete den Mund um etwas zu sagen und in ihren Augen war Schmerz zu sehen. „Und komm mir jetzt nicht damit, dass du nicht willst, dass sich Jaque und sein Vater damit auseinander gehen. Er sagte selbst, ihm sei es gleich, wenn sie sich entzweien!“ „Aber das ist doch nicht richtig…!“, wandte sie ein. Rene seufzte. „Flora…kämpf doch dafür. Er tut es. Wieso nicht auch du?“ Darauf sagte Flora zuerst nichts, sondern sah zu Boden. „Flora!“, sagte Rene und nahm seine Schwester an der Schulter. „Sei einmal in deinem Leben ehrlich und höre auf dein Herz. Nicht auf das was die anderen sagen oder darüber denken würden!“ „Ich weiß nicht, was ich noch machen soll!“, sagte Jaque und ließ sich auf den Stuhl fallen. „Glaub mir. Auch wir verzweifeln daran. Sie ist manchmal so…unvernünftig!“, sagte Martha. „Sie will eben nicht, dass es bis zum Äußersten geht…!“, verteidigte Elsa nun ihre Tochter. Martha schnaubte und winkte ab. „Sie soll sich ihr Glück nicht von diesem Narren kaputt machen lassen!“ „Tut mir leid, wenn ich so über deinen Vater spreche, Jaque. Aber er sollte lieber zu Euch stehen!“ Jaque lächelte schwach. „Ich kann es dir nicht verübeln, dass du so über ihn sprichst. Auch ich zweifle an dem Verstand meines Vaters. Geschweige denn an seinem Interesse, dass ich mein Glück finde!“ „Ich kann ihn auch ein wenig verstehen. Er will dich nicht verlieren. Er fürchtet, wenn du Flora heiratest, ebenso verdammt bist und sterben musst!“, räumte Ramon nach einer Weile ein. Elsa und Martha sahen ihn verblüfft an. „Es ist die typische Sorge eines Vaters um seinen Sohn. Und das Gift, was diese Elenden verspritzen, trifft bei ihm auf fruchtbaren Boden! Darum sei dir sicher, dass Eure Ehe nicht leicht sein wird!“ Jaque nickte. „Das ist mir bewusst. Und das nehme ich gerne in Kauf. Das einzige, was mir Magenschmerzen bereitetet ist, dass Flora…!“ Zu mehr kam Jaque nicht, da Rene und Flora wieder in Haus traten. Jaque stand auf, wollte zu Flora gehen, blieb aber dann stehen und sah sie mit einer Mischung aus Verwirrung und Anspannung an. Flora konnte sich denken, was ihm auf der Seele brannte und trat dann näher. „Ich kann nicht länger so weitermachen. Was hätten wir davon? Nichts! Außer dass es uns irgendwann gänzlich auseinander reißt…!“, begann sie. „Und ich will dich nicht verlieren. Darum…nehme ich deinen Antrag an!“ Kurt schien die Zeit stehen zu bleiben, dann aber explodierte Jaque förmlich vor Freude. Er umarmte Flora stürmisch und drehte sich mit ihr übermütig. Flora quiekte erschrocken auf, lachte dann aber auch und schlang ihre Arme um seinen Hals. Martha klatschte begeistert in die Hände. „Endlich. Der Herr sei gelobt. Endlich!“, rief sie. Rene konnte nicht anders als sich auch darüber zu freuen, dass Flora und Jaque endlich den Schritt gewagt hatten. Und fast wollte er sich mit dieser Freude ins Bett legen, wie seine Familie, doch da fiel ihm ein, dass er jemanden was versprochen hatte. Sobald es ruhig im Hause seiner Eltern und Jaque nachhause gegangen war, schlich er sich aus dem Haus und ging zur Lichtung. Nima wartete bereits auf ihn. Dieses Mal allerdings in ihrer menschlichen Gestalt. Wobei er sich sogleich fragte, ob sie nicht fror. Trotz seines dicken Mantels drang der kalte Wind, der umherwehte, durch diesen als sei er aus Seide. Und sie… Sie trug eine luftige Hose und ein kurz geschnittenes Oberteil, das zeugte was sie als Frau hatte. Rene wurde dabei ein wenig als ihm bewusst wurde, dass er sie etwas zu lange angestarrt hatte. Nima lächelte. „Gibt es in deinem Dorf keine schönen Mädchen? Oder wieso siehst du mich so an?“ Rene errötete noch mehr. „Doch schon. Aber die…!“, versuchte er zu antworten. Schaute dann weg. Fast wollte er sagen, dass er bisher sich nicht für diese Mädchen interessiert hatte Da sie ihn sicher auch nicht in ihrer Nähe haben wollten. „Frierst du denn nicht?“ Nima schien seine Ausrede sofort bemerkt zu haben. Sie sah ihn mit geschürzter Lippe an. Doch dann grinste sie. „Du scheinst dich für Mädchen nicht zu interessieren?“, kam es keck von ihr. „Nein. Aber keine dieser Mädchen würde sich auch nicht für mich interessieren. Wofür ich eigentlich auch dankbar bin!“ „Hm!“, machte Nima und sah ihn sich genau an. Dann seufzte sie theatralisch. „Eigentlich schade!“ Daraufhin sah Rene sie etwas verwirrt an. Gefiel er ihr etwa? Rene wusste nicht, ob er sich davon geschmeichelt fühlen oder sich Sorgen machen sollte. Immerhin wusste er um ihr wahres Ich. Oder sagte sie das nur, damit er sich besser fühlte? „Gehen wir weiter?“, fragte sie dann. Rene nickte. Wenig später fand er sich im Schloss des Wolfsprinzen. Doch dieses Mal hatte ihn Nima in ein anderes Gemach geführt. Dieses unterschied sich erheblich von dem Raum, in dem er immer gebracht wurde. Statt aus Eis waren die Wände aus Fels geschlagen und glatt geschliffen. Der Boden war mit dicken Teppichen und Fellen ausgelegt. Außer einem kurzbeinigem Tisch und einem Diwan, war der Raum leer. Auch hier brannte ein Feuer. Warmes Licht fiel auf die Felsenwände und schien sie in Flammen aufgehen zu lassen. Trotz dass der Raum kleiner war, als der vorherige, schien sich Rene hier wesentlich wohler zu fühlen. „Setz dich. Die Herrin wird gleich kommen!“, sagte Nima und verließ dann den Raum. Rene ließ sich auf dem Fell nieder. Er fragte sich, wie nun das Treffen mit der Herrin verlaufen würde. Beim Wolfsprinzen hatte er immer so einen distanzierten Eindruck gehabt. Würde es bei ihr genauso sein? Sicher nicht. Das konnte er sich nicht vorstellen. Wieso sonst sollte sie ihn treffen wollen? „Wie schön dass du kommen konntest!“, sagte plötzlich die Herrin und lächelte ihn freundlich an. Rene erhob sich schnell und verneigte sich. „Werte Dame!“ „Setz dich ruhig wieder!“, sagte sie und ließ sich ihm gegenüber nieder. Rene folgte ihrer Bitte. Sogleich kam auch Nima rein. Sie trug ein Tablett mit zwei Tassen und einer Kanne, gefüllt mit köstlich duftendem Tee, herein. Außerdem hatte sie eine Schale mit Keksen dazu gestellt. Beim Anblick dieser lief ihm das Wasser im Munde zusammen. Nima stellte alles auf den kleinen Tisch und richtete alles ordentlich her. Als sie fertig war, zwinkerte sie Rene heimlich zu und verließ den Raum dann wieder. Rene sah ihr ein wenig perplex nach. Was sollte das denn wieder? „Nimm ihr das nicht übel. Nima ist noch ein Kind!“, sagte die Dame und nippte an ihrem Tee. „Dafür sieht sie ziemlich erwachsen aus!“, bemerkte er trocken. Die Dame kicherte. „Ich…ich habe Euch noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Rene!“ „Ich weiß wer du bist!“ Rene fühlte auf einmal wie sich sein Hals zusammenschnürte. Zwar lächelte sie aber Rene konnte sich des Eindrucks erwehren, dass ihre Worte einen etwas lauernden Unterton hatten. „S-So?“, fragte er unwohl und konnte das Zittern seiner Hand nicht unterdrücken, die die Tasse hielt. Die Frau lächelte. „Keine Angst. Du musst nicht fürchten, dass ich es dir übel nehme. Im Gegenteil. Ich finde es bewundernswert, dass du den Mut hattest, meinem Sohn die Stirn zu bieten!“ Rene hätte sich beinahe an dem Tee verschluckt. Ihr Sohn? Damit konnte nur der Wolfsprinz gemeint sein. Rene sah sie mit großen Augen an. „Dann seid Ihr die Herrin der Wölfe?“, kam es ehrfürchtig aus ihm. Die Dame sah ihn nun ebenso verwirrt an, dann lachte sie. Sie winkte ab. „Nein. Ich bin nur seine Mutter. Sein Vater war der Herr!“, erklärte sie und ihr Gesicht nahm nun einen traurigen Ausdruck an. „Sein Vater herrschte über die Wölfe…!“ Rene sagt nichts, da er den Kummer sah, der sich wie ein Gewicht auf sie legte und sie niederdrückte. „Könnt…Könnt Ihr mir sagen, wieso er…?“, kam es zögernd von ihm. Die Worte rutschten ihn einfach so raus. Und biss sich sofort auf die Zunge. War er von allen guten Geistern verlassen? Was war nur in ihm gefahren, sie sowas zu fragen? „Bitte…verzeiht…Ich wollte nicht…!“, sagte er schnell. Die Dame hob die Hand. „Schon gut. Du hast jeden Grund das zu fragen!“ Nach einer Weile, in der sie schwieg, holte sie Luft und sprach dann weiter. „Ich fürchte ja. Es liegt schon so viele Jahre zurück. Und ich habe ihn schon oft angefleht, endlich damit auf zu hören…aber er will es einfach nicht vergessen!“ „Den Mord an seinem Vater?“ Die Dame schüttelte den Kopf. „Nein. Zumindest nicht nur!“ „Es steckt mehr dahinter?“, fragte Rene und beugte sich vor. Ihm war bewusst, dass er dabei wirkte wie ein zu neugieriges Kind. Aber er sah auch endlich die Möglichkeit, den wahren Grund hinter all dem zu erfahren. Die Dame nickte. „Ja…Der Mord an seinem Vater war nur der Tropfen, der das Wasser zum Überlaufen brachte. Schon vorher war er voller Zorn den Dörflern gegenüber. Und nur weil ich…!“ Ihre Stimme brach und sie schlug sich die Hände vor den Mund. „Ich stammte auch aus dem Dorf. Und war wie jedes andere Mädchen auch. Voller Träume und Hoffnungen. Nun…bis zu jenem Tag, an dem diese zerstört wurden. Ich will dich nicht mit Kleinigkeiten langweilen…es spielt sowieso keine Rolle mehr. Schlussendlich wurde ich aus dem Dorf vertrieben!“ Rene stockte der Atem als er das hörte. Diese Geschichte hatte er doch schon mal gehört. Von seiner Großmutter als sie über ihre Freundin erzählt hatte. „Dann seid Ihr Lira?“, kam es aus ihm geschossen. Die Dame schien nicht verwundert zu sein, dass er ihren Namen kannte. Stattdessen nickte sie. „Ja, Ich bin Lira. Und du bist sicher mit Martha verwandt?“ „Ja, sie…sie ist meine Großmutter!“, sagte Rene und Lira lächelte. „Das dachte ich mir schon fast. Du hast ihre Augen. Wie geht’s ihr?“ „Soweit gut. Aber…!“ Lira nickte wieder. „Ich verstehe!“, seufzte sie. „Glaube mir. Wenn ich die Macht dazu gehabt hätte, hätte ich es nicht zugelassen. Aber Mandariel ist so sehr von Rache zerfressen, sodass nicht mal ich ihn davon abhalten kann. Sein Vater wäre der einzige gewesen. Und wenn er davon wüsste…!“ So langsam fügte sich das Puzzle zusammen und Rene verstand. Dass alles tat er aus Rache. Nicht aus reiner Grausamkeit. Erst hatte man seine Mutter vertrieben, sie ihrem Schicksal überlassen und dann seinen Vater getötet. Wenn Rene so darüber nachdachte und ehrlich sein sollte, hätte er vermutlich genauso gehandelt. Er selbst hatte schon düstere Gedanken gehabt, weil die Schikane der Dorfbewohner schon die Grenzen sprengte. Wie mochte es da dem Wolfsprinzen gehen? Zum ersten Mal seit er ihm begegnet war, empfand er so etwas wie Mitleid. Bei so viel Hass und Boshaft war es ja kein Wunder, dass ein Herz dadurch zu Eis wurde. „Wie war er denn, bevor er…?“, fragte er dann. Lira lächelte nun wieder. Auch wenn es schwach und mit einer Mischung von Traurigkeit erfüllt war. „Er war…wie jeder andere junge Mann. Voller Leben und Dummheiten im Kopf. Wie oft habe ich ihn schon dabei erwischt, wie er sich mit den jüngeren Wölfen davon stahl und sich herumtreiben wollte. Wenn ich dich so ansehe, sehe ich ihn. Wie er war…und…nie wieder sein wird!“ Eine Träne rann ihr die Wange hinunter. Schnell wischte sie sich diese weg. Rene konnte nicht anders als die Hand aus zu strecken und sie auf die ihre zu legen. Lira sah ihn an und lächelte. Nahm sie dann und drückte sie. Ohne dass es einer von ihnen bemerkt hatte, hatte Mandariel alles mit angehört. Hatte sich hinter der Tür verborgen gehalten und belauscht, was seine Mutter und Rene besprochen hatten. Und zuerst wollte er hineinstürmen und sie anfahren, was ihr einfiele, diesem Jungen erzählen was ihn gar nichts anginge. Aber dann hatte er inne gehalten und weiter zu gehört. Und auch wenn er sie nicht direkt sah, wusste er um den Kummer, der sie ergriffen hatte während sie von ihrem Mann sprach und wie er einst gewesen war. Eine ungekannte Schwere erfasste sein Herz. Für einen kurzen Moment erinnerte er sich selbst daran, wie es früher mal gewesen war. Seine Kindheit. Eine Zeit ohne Sorgen. In der es nur seinen Vater gab und seine Mutter. Doch diese schien so flüchtig wie ein Wimpernschlag gewesen zu sein. Die Zeit danach, in der alles dunkel wurde und nur von Schmerz und Wut erfüllt war, schien eine Ewigkeit zu dauern. Schnell verdrängte er diesen. Zwang sich wieder Bilder vor seine Augen, in denen er den gehäuteten Kadaver seines Vaters fand. Der Schnee unter ihm rot gefärbt von seinem Blut. Die alte gewohnte kalte Wut erfasste ihn nun wieder. Vertrieb den Schmerz, der sein Herz erfasste und die Zweifel, die in ihm hoch kamen an seinem Handeln und machte wieder Platz für den Wunsch nach Vergeltung. „Wieso hast du ihm davon erzählt?“, fragte er wenig später, als Rene gegangen war und er seine Mutter allein in ihrem Gemach aufsuchte. Lira klappte das Buch zu, in dem sie gerade las und sah ihn über die Schulter hinweg an. „Nach allem hatte der Junge ein Recht, zu erfahren wieso das alles…!“ „Was hat es ihn zu kümmern, wieso ich nach den Töchtern verlange?“ „Es sollte am Anfang seine Schwester treffen. Schon vergessen? Denkst du nicht, dass es Grund genug ist. Und wenn er schon sterben sollte, sollte er wissen wieso!“, erwiderte sie kühl und erhob sich. Mandariels Lippen wurden zu einem harten Strich. Ihm war sein Missfallen deutlich an zu sehen und was er davon hielt, dass seine Mutter Rene den Grund für das alles erzählt hatte. Für ihn war es ein gut gehütetes Geheimnis, das niemand etwas anginge. Und außerdem was würde es ändern, wenn Rene es nun wusste. Nichts. Er würde sicher nicht seinen Kopf benutzen und darüber nachdenken. Dafür war er in den Augen des Wolfsprinzen zu verbohrt. Lira trat nun an ihren Sohn heran und legte die Hand auf seinen Arm. „Außerdem ist er der Enkel meiner besten Freundin. Und im Gegensatz zu den anderen, hat sie zu mir gehalten. Denkst du nicht, dass es Unrecht sei, ihn zu töten?“ Fast schon wollte sie sagen, dass es schon Unrecht war, die Mädchen vor ihm geholt und für das bestraft zu haben, was ihre Vorväter getan hatten. Doch sie wusste auch, dass sie bei ihm damit auf taube Ohren stoßen würde. Mandariel sah sie für einen langen Moment schweigend und mit einem grimmigen Blick an. Dann entriss er ihr seinen Arm. „Gib es endlich auf. Du kannst und wirst nichts daran ändern können!“, sagte er dann brüsk und wollte schon gehen. Blieb aber stehen und sagte:„ Tröste dich damit, dass ich ihm einen schmerzlosen Tod gewähre. Weil er der Enkel deiner alten Freundin ist!“ Kapitel 15: Eine ungewöhnliche Bitte ------------------------------------ Die ganze Nacht konnte Rene nicht schlafen und musste immer wieder über das nachdenken, was Lira ihm erzählt hatte. Hinter all dem steckte mehr, als er gedacht hatte. Schon allein der Mord an seinem Vater schien ihm Grund genug zu sein. Dass aber auch seine Mutter unter der Grausamkeit gelitten hatte, schien alles nur noch deutlicher zu machen wie grausam und kaltherzig die Menschen hier sein konnten. Nur um ihren eigenen Ruf nicht in den Schmutz ziehen zu lassen. Und er hatte schon gedacht, dass er und seine Familie hart gestraft sind, in solch einer scheinheiligen Gemeinde leben zu müssen. Dabei fragte er sich, was noch dahinter stecken konnte. Zwar traute er ihnen zu, dass sie ohne einen guten Grund ihn getötet hatten. Aber nun war seine Neugier gefunden und er wollte es wissen. Dabei fragte er sich wieso? Es sollte ihm eigentlich egal sein. Doch das Schicksal seiner Mutter und ihm selbst hatte ihn berührt. Hatte etwas tief in seinem Inneren getroffen. Rene sagte sich, dass es Mitleid sei. Und begann darüber nach zu denken. Über das, was mit dem Wolfsprinzen geschehen war. Wie der Schmerz sich in blanke Wut und dann in glühendem Hass verwandelt hatte. Fragte sich dabei wie groß dieser sein konnte, damit sein Herz zu Eis wurde. Rene versuchte es sich vor zu stellen, doch es war ihm einfach nicht möglich. Wahrscheinlich weil ihm solch ein Schicksal erspart geblieben war. Das was er und seine Familie durchleiden mussten, war zwar auch schlimm. Aber im Vergleich dazu, schien das bloß Schikane zu sein. Erst die Vertreibung seiner Mutter, wo man ihren Tod leichthin in Kauf genommen hatte und dann der Mord an seinem Vater, der, wie Lira es ausgedrückt hatte, das Fass zum Überlaufen brachte. Und wenn er ehrlich sein sollte, würde das alles enden, wenn er sein Leben aushauchte. Dann, so hoffte er, würde seine Familie wieder in Frieden ruhen können. Etwas Gutes musste es ja haben, dachte er und rollte sich auf die andere Seite. Das Entsetzen von Jaques Vater als er über die Verlobung seines Sohnes mit Flora erfuhr war groß. „Bist du von Sinnen?“, tobte er. „Hast du etwa vergessen, was ihrer Familie und Ihr droht!“ Dabei zeigte er auf Flora. „Nein, das habe ich nicht. Vater!“, schnaubte Jaque. „Und es ist mir egal. Mir ist es auch egal, was du und die anderen darüber denken!“ Mit diesen Worten ergriff er Floras Hand. „Ich werde Flora heiraten!“ Vincent sah von seinem Sohn zu Flora, dann wieder zu Jaque. In seinem Gesicht arbeitete es und eine Ader trat an seiner Schläfe hervor. Flora fürchtete innerlich, dass er gleich auf seinen Sohn losgehen würde. Schüttelte aber dann zu Floras Erleichterung den Kopf und fluchte murmeln vor sich hin. Laut sagte er dann:„ Du stürzt dich damit ins Verderben!“ Jaque ignorierte es. „Schlimmer als das was mir blüht, wenn diese Hunde von unserer Verlobung erfahren, kann es nicht sein!“, erwiderte er nur kühl. Vincent sagte darauf nichts, sondern presste die Lippen zusammen. Er konnte sich ebenso gut vorstellen, was die anderen davon halten würden. Schon als sie erfahren haben, dass Jaque und Flora ein Paar waren, haben sie dagegen gewettert. Vor allem aber nach dieser Sache… Und wenn sie nun von der Verlobung erfahren würden, würden sie sich sicher was einfallen lassen, um ihnen beiden auch noch das Leben schwer zu machen. Auch wenn er wusste, dass er es keinen Sinn hatte, seinem Sohn noch einmal ins Gewissen zu reden, versuchte er es dennoch. „Jaque…bitte…!“, sagte er und klang dabei eindringlich und auch besorgt. „Überlege es dir nochmal. Ich weiß ja…Du liebst Flora. Und ich habe auch nichts gegen das Mädchen…Aber bedenke, was das für Folgen haben wird…Diese Menschen…!“ „Bemühe dich nicht weiter, Vater. Ich bleibe bei meinem Entschluss!“ Als nächstes gingen sie zum Pfarrer, da er die Verlobung durchführen sollte. Seine Überraschung war ihm deutlich an zu sehen, dennoch blieb ihm nichts anderes übrig, als dem Wunsch der jungen Liebenden nach zu kommen. Mit einem glücklichen Lächeln betrachtete Flora den Ring an ihrem Finger, den Jaque in Aller Heimlichkeit geschmiedet und in der Kirche dann an ihren Finger steckte. Martha war den Tränen nahe. Elsa und Ramon hielten sich an den Händen und sahen mit einem seligen Lächeln zu Flora und Jaque. Auch Vincent wohnte der Verlobung bei. Trotz dass er Bedenken hatte, wollte er der Verlobung seines Sohnes nicht fernbleiben. Sie hatten sich schon weit genug voneinander entfernt. Er versuchte auch sich über die Verbindung der beiden zu freuen. Doch das nahende Unheil, dem sein Sohn drohte, überschattete dies. Er konnte innerlich zum Allmächtigen beten, dass sein Sohn doch noch verschont wird. Das Strahlen auf Floras Gesicht blieb noch lange als sie nachhause gingen und sie sich mit Rene hinter dem Haus auf die Bank setzten. „Du grinst schon eine ziemlich lange Zeit. Tun dir nicht irgendwann mal die Mundwinkel weh?“, fragte Rene sie nach einer Weile. „Nein!“, sagte sie und drehte die Hand, sodass der Ring glänzte. Rene grinste und schüttelte den Kopf. „Dir ist schon klar, dass du dich damit wie ein kleines Mädchen benimmst. Verliebt über beide Ohren…!“, sagte er. „Mit einem Dauergrinsen!“ „Na und!“, erwiderte Flora. „Warte ab bis du dich verliebst!“ Das Lächeln verschwand auf Renes Gesicht. „Das bezweifle ich!“, sagte er und auch Floras Grinsen verschwand. Ohne es zu wollen hatte sie etwas ausgesprochen, was niemals geschehen würde, da ihm bald ein vorzeitiges Ende erwartete. „Tut mir leid. Das wollte ich nicht!“ „Schon gut!“, sagte Rene und zwang sich zu einem schwachen Lächeln. „Das wird niemals passieren. Ich glaube kaum, dass ich mich jemals in ein Mädchen aus diesem Dorf verlieben werde!“, kam es trocken von ihm. „Die Eltern würden mich auch eher am Galgen sehen wollen, als mit ihrer Tochter vor dem Altar!“ Renes trockener Witz schaffte es nur mäßig ihr ein Lächeln ab zu ringen. Sie nahm seine Hand und drückte sie. „Ich habe mich eigentlich noch gar nicht richtig bei dir bedankt!“ Rene runzelte die Stirn. „Danken? Wofür?“ „Für alles. Dafür dass du mich vor dem Wolfsprinzen gerettet hast und…das du mir den Kopf zurecht gerückt hast!“ Rene lächelte. „Gern geschehen!“ Flora rückte ein wenig näher, schmiegte sich an ihren Bruder und legte den Kopf auf seine Schulter. „Das ist einfach nicht gerecht!“, sagte sie dann und ihre Stimme war voller Kummer. Rene sagte nichts. „Du musst sterben, damit ich leben kann…!“ „Denkt nicht weiter daran!“, kam es schwach von ihm und er drückte ihre Hand. „Wie soll ich nicht daran denken? Die Vorstellung, dass du nicht mehr hier sein wirst, ist einfach…!“, erwiderte Flora und deutlich war zu hören, dass sie gegen die Tränen ankämpfte. Rene sagte erstmal nichts. Es war wirklich dumm von ihm ihr zu rate, nicht daran zu denken. Es verging wohl kein einziger Tag, an dem sie nicht daran dachte. Dennoch wollte Rene nicht, dass ihre Freude auf die nahende Hochzeit getrübt wurde. Rene legte den Arm um seine Schwester und zog sie näher an sich heran. Flora ließ es zu und lehnte ihren Kopf an seine Schulter. „Ich weiß, ich verlange Unmögliches von dir…!“, begann er. „Aber versuche es. Stell dir stattdessen vor, wie du bald mit Jaque vor dem Traualtar stehst und dann dein Leben mit ihm verbringst!“ „Das ist ein schwacher Trost…!“, flüsterte Flora und grub ihre Finger in seinen Ärmel. „Ich würde dich so gerne dabei haben!“ Rene schloss die Augen und seufzte schwer. Auch er würde so gerne seine Schwester in einem Brautkleid sehen. „Mir geht es da nicht anders!“ „Kannst du nicht…den Wolfsprinzen bitten, es auf zu schieben. Ich meine…bis ich mit Jaque verheiratet bin?“, kam es dann zögernd von Flora und sah ihn mit leiser Hoffnung in den Augen an. Rene sah wiederum sie ein wenig verblüfft an, doch dann schüttelte er mit einem traurigen Lächeln den Kopf. „Glaubst du selbst daran?“ Flora seufzte schwer. „Nein!“ Wieder verfielen sie im tiefen Schweigen. Schauten mit nachdenklichem Blick in Leere. Ein ungewohnter sanfter Wind wehte und wirbelte den Schnee auf und ließ ihn tanzen. Renes Blick verlor sich darin. Fast hätte er meinen können in dem Umherwirbeln zarte Gestalten zu sehen. Gestalten wie Elfen. Wie die, die er aus alten Märchenbüchern kannte. Rene blinzelte paar Mal. Und die Erscheinung die glaubte zu sehen, war verschwunden. Das habe ich mir sicher nur eingebildet, dachte er. „Rene?“ Die Stimme seiner Schwester schien wie aus weiter Ferne zu kommen. Es brauchte etwas, ehe er sich ihr zuwandte. Flora wirkte besorgt. „Wird er dich nun eher töten?“, fragte sie. Rene musste nicht lange überlegen, was sie meinte. Auch er hatte sich diese Frage gestellt. Mehr als einmal. Und es hatte ihm immer wieder eisige Schauer über den Rücken laufen lassen. „Das weiß ich nicht. Und ich will es auch…!“, wollte er seinen Satz beenden, doch da sah er etwas sich hinter einem Baum verstecken. Er sah genauer hin um sicher zu sein. Da sah er wie sich etwas hinter dem Baum duckte. Eine pelzige Spitze lugte gerade noch hervor. Und Rene ahnte er sich da versteckte. Nicht schon wieder, stöhnte er. „Rene…stimmt was nicht?“, fragte Flora und sah ihren Bruder verwirrt an. Hastig wandte er sich ihr zu. „Ähm…Flora. Würdest du bitte schon mal reingehen!“, sagte er schnell. Flora Verwirrung wurde größer und wollte ihn fragen, was los sei. Doch schüttelte den Kopf. „Ich komme gleich auch rein. Aber bitte geh zuerst. Ich muss nur was nachschauen!“ Immer noch verwirrt stand Flora von der Bank auf und ging zu Renes Erleichterung ins Haus. Rene wartete einen Moment noch, dann ging er zum Baum. „Ich weiß dass du da bist. Komm schon raus!“, meinte er und der junge Wolf kam aus seinem Versteck. Mit zurückgelegten Ohren und eingekniffenem Schweif kam er hervor. „Hast du dich etwa wieder heimlich hierher geschlichen?“, fragte Rene und verschränkte die Arme vor der Brust. „Nein. Dieses Mal nicht. Ich wurde hierher geschickt!“ Rene traute sich nicht zu fragen, wer ihn geschickt hatte. „Die Herrin wünscht dich wieder zu sehen!“ Rene atmete sogleich erleichtert auf. Wenn die Herrin ihn wieder sehen wollte, brauchte er sich ja keine Gedanken zu machen. Sie war nicht so distanziert und furchteinflößend wie ihr Sohn. Wobei er sich fragte warum sie ihn sehen wollte. Sie hatte doch eigentlich nichts mit ihm zu schaffen. Mal abgesehen davon, dass er der Enkel ihrer alten und einzigen Freundin war. Also warum? Neugierig und weil er ihre Bitte nicht abschlagen wollte willigte er ein. Erleichtert wandte sich dann der Wolf ab und wollte zurückgehen. Dann blieb er jedoch stehen. „Hast du dir schon einen Namen für mich überlegt?“ Das hatte Rene vollkommen vergessen. Umso größer war das schlechte Gewissen. „Ich…ich werde mir einen überlegen!“, versprach er schnell. Daraufhin verschwand der Wolf. Nima geleitete ihn wie immer durch die Korridore des Schlosses und führte ihn zu den Gemächern der Herrin. „Kannst du mir sagen, warum deine Herrin mich sehen will?“, fragte er. Es hatte ihm keine Ruhe gelassen. Nima schaute ein wenig nachdenklich drein. „Nein. Leider nicht!“ „Aber warum auch immer. Ich glaube kaum, dass sie böse Absichten hat!“, sagte sie dann nach einer Weile. Rene war sich dessen auch sicher. Dennoch war er neugierig. „Rene. Wie schön dich wieder zu sehen!“, begrüßte Lira ihn als er eintrat. Rene lächelte ein wenig. Setzte sich dann und Lira schenkte ihm Tee ein. Ein wenig verwirrt, es aber nicht zeigen wollend, nahm er die Tasse Tee an und nippte daran. „Ich muss zugeben, dass ich ein wenig erstaunt war, als Ihr darum batet mich wieder zu sehen!“, sagte er nach einer Weile. Lira lächelte etwas. „Das kann ich mir denken!“ „Warum habt Ihr mich eigentlich rufen lassen?“, fragte Rene dann ein wenig verlegen. Immer wieder hatte er sich diese Frage gestellt. Und jetzt wo er es ausgesprochen hatte, fühlte es sich irgendwie eigenartig an. So falsch. Als hätte er kein Recht nach dem Grund zu fragen. Doch Lira schien sich an dieser Frage nicht zu stören. Stattdessen lächelte sie. „Ich wollte dich näher kennenlernen!“ Rene runzelte die Stirn. Die Frage nach einem weiteren Warum lag ihm schon auf der Zunge, verbiss es sich aber. Er sagte sich dafür, dass er froh sein sollte, in der Mutter des Wolfsprinzen einen freundlichen Menschen gefunden zu haben. Dabei fragte er sich, wieso nicht auch sie so voller Hass auf die Dörfler war wie ihr Sohn. „Auch wenn ich aus dem Dorf komme, aus dem man Euch vertrieben hatte?“ „Du hast damit nichts zu tun. Genauso wenig wie die anderen Mädchen vor dir!“, erklärte sie und schaute bitter drein. „Mein Sohn scheint das allerdings nicht zu kümmern!“ „Hattet Ihr sie nicht auch dafür gehasst, für das was sie Euch angetan haben?“ „Gehasst? Nein! Aber ich verlor den Glauben an das Gute im Menschen. Als mich sein Vater aufnahm und wir uns lieben lernten, vergaß ich es und nichts, was sich außerhalb dieses Schlosses abspielte, interessierte mich!“, erklärte sie. „Zumindest bis zu jenem Tag!“ Rene wusste sofort was sie damit meinte. „Was hatten die Dörfler für einen Grund Euren Liebsten zu töten?“, fragte er dann. Wobei er sich selbst sagte, dass diese Dörfler keinen besonderen Grund brauchten, um jemanden zu lynchen. Lira lächelte ironisch. Sie schien seine Gedanken gelesen zu haben. „Es reichte ihnen aus, dass ich mit dem Herrn der Wölfe zusammen war. Er von ihnen musste uns gesehen, als wir zusammen des Nachts durch den Wald spazieren gingen. Warum auch immer er sich dort herumtrieb. Als er uns dann beide zusammen sah, war wohl einiges für ihn klar. Sicher erzählte er den anderen davon und sogleich machten sie sich gegenseitig Angst. Sie fürchteten, dass der Herr der Wölfe sich für das rächen wollte, was sie mir angetan hatten. So stellten sie ihm eine Falle…!“ Den traurigen Teil konnte sich Rene denken. Wut und Bitterkeit stiegen in ihm hoch. Nur wegen ihrer Dummheit und Ignoranz geschah das alles. „Sie sollten alle unter eine Lawine begraben sein!“, murmelte er. Lira lächelte traurig. „Sage das nicht. Kein Mensch hat das Recht so zu reden. Und sei sein Hass und sein Zorn noch so groß!“ In diesem Moment fragte sich Rene wie alt sie wirklich war. Vom Gesicht her wirkte sie nicht älter als seine Mutter. Aber so wie sie sprach musste sie so alt sein wie seine Großmutter. Vermutlich war sie das auch. Wie war das aber möglich? „Wenn das so einfach wäre!“, kam es zögernd von ihm. Lira lachte. Tätschelte ihm die Hand. „Mein Sohn denkt genauso. Du scheinst aber noch ein wenig Vernunft zu haben!“ Rene wurde ein wenig rot. „Ist das so?“ „Manchmal komme ich mir wie ein dummer, kleiner Junge vor!“, sprach er dann nach eine kurzen Pause. „Nun ich hingegen sehe einen jungen tapferen Burschen vor mir. Der zwar erst handelt und dann denkt, aber es dennoch mit ganzem aufrichtigem Herzen tut!“, erklärte Lira. „Das ist ein schwacher Trost, wenn ich das so sagen darf. Und was bringt es mir, wenn ich sowieso sterben muss!“ Lira sah ihn mit traurigen Augen an. „Ich wünschte, ich könnte dir helfen!“ „Könnt Ihr Euren Sohn nicht bieten, mich erst dann zu töten, wenn meine Schwester verheiratet ist?“, fragte er dann. Lira sah ihn ein wenig verwirrt an. Kurz huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. Dann schüttelte sie den Kopf. „Ich fürchte, dass das nicht möglich sein wird!“ Rene ließ die Schultern hängen. Er hätte sich das eigentlich denken können. Wenn nicht mal seine Mutter ihren Sohn umstimmen konnte, konnte es keiner. „Das habe ich mir fast gedacht!“ Lira sah ihn traurig an. Beugte sich dann vor und strich ihm über die Hände. Rene schloss die Augen und schüttelte den Kopf. „Ich frage mich ob das jemals ein Ende haben wird?“, flüsterte er. Lira seufzte. Sie teilte seine Sorge, dass es immer so weitergehen wird. „Ich fürchte nein. Mandariel ist so verbissen in seinem Entschluss, dass ich bezweifle, dass es sich jemals ändern wird!“ Renes Magen fühlte sich an als würde er von innen vereisen. Die Worte Liras hatten etwas Endgültiges und Niederschmetterndes. „Und doch…will ich nicht daran glauben, das alles Gute in ihm mit seinem Vater gestorben ist!“ Nach einem Atemzug sagte sie: „ Dass du noch lebst spricht dafür!“ Dann sah sie ihn an und in ihren Augen war etwas zu sehen, was er nicht ganz deuten konnte. Er rang sich ein schwaches Lächeln ab. „Als ob das was wirklich Gutes wäre!“, kam es trocken von ihm. „Wer bereitwillig sein Leben für das eines geliebten Menschen hergibt, kann sich als mutig betrachten!“ Rene war sich nicht sicher ob er diese Ansicht teilen sollte. Wie oft hatte er sich gewünscht, dass der Wolfsprinz ihn jetzt und gleich tötete. Denn dann wäre alles vorbei und seine Familie hätte Ruhe. Aber jetzt wo der Wolfsprinz selbst offenbart hatte, was er so lange geheim halten sollte, hatte sich einiges wieder verändert. Dabei fragte er sich nun auch wieder, wieso er noch atmete? „Ihr habt doch sicher auch mitbekommen, dass er die Dörfler davor gewarnt hatte, weiterhin meiner Familie Schaden zu zufügen?“, begann er. Lira nickte ernst. „Könnt Ihr Euch erklären, wieso er mich noch nicht…!“, setzte er fort und fuhr sich statt seinen Satz zu beenden mit dem Finger über seinen Hals. Lira lächelte ein wenig. Schüttelte aber den Kopf. „Nein. Aber ich bin froh!“ „Froh?“ „Ja. Das zeigt mir, dass mein Sohn nicht gänzlich von diesem Ungeheuer verschlungen ist, vor dem sich alle fürchten!“ „Fürchtet Ihr Euch auch?“, fragte Rene vorsichtig. Wobei er sich nicht vorstellen konnte, warum sich seine Mutter vor ihm fürchten sollte. „Nein. Aber ich fürchte mich vor dem, was kommen könnte, wenn er nicht bald aufwacht!“, sagte Lira und sah in den Tee als würde sie dort etwas sehen, was ihr die Zukunft zeigt. Dann schwiegen sie und Rene ebenso. Wollte sie bei ihren Gedanken nicht stören. Natürlich fragte er sich auch, über was sie nachdachte. Nach einer Weile stellte sie die Tasse ab und sah ihn nun bittend an. „Darf ich dich um einen Gefallen bitten?“ Rene nickte nur. Fragte sich dabei um was es sich dabei handeln konnte. In seinem Magen begann es seltsam zu rumoren. Wie als wenn er vor einem Abgrund stand und ein Schritt reichte, um sich hinunter zu stürzen. Sein Mund fühlte sich auf einmal trocken an und auch wenn er fürchtete, dass es etwas sein konnte, was ihm nicht gefiel, wollte er nicht forsch sein. Wenn er ehrlich sein sollte, mochte er sie sogar ein wenig. Trotz allem schien sie sich ihre Menschlichkeit bewahrt zu haben. „Würdest du versuchen meinen Sohn näher kennen zu lernen. Auch wenn es dir schwer fällt und ich es verstehen kann, wenn du nur Groll für ihn empfindest, schmerzt es mich dennoch, dass alle in ihm nur ein Monster sehen. Dabei denke ich, dass du von allen anderen mehr Verstand und Ehrlichkeit im Leib hast als jeder andere im kleinen Finger!“ Rene war sprachlos. Glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Hatte sie das wirklich gesagt? Meinte sie es auch so? Oder wollte sie damit etwas Bestimmtes bezwecken? Lira sah, dass ihm einiges durch den Kopf ging und das er mit sich haderte ihre Bitte an zunehmen. Sie lächelte mild. „Versuche es zumindest!“, bat sie ihn erneut. Und klang dabei ganz wie eine Mutter. In ihrer Stimme lag so viel Hoffnung aber auch Flehen, dass Rene es nicht übers Herz bringen konnte ihre Bitte abzuschlagen. So sagte er zu. Noch lange überlegte er, wie er den Wolfsprinzen näher kennen lernen sollte. Und ob sich das überhaupt lohnen würde. Ob der Wolfsprinz sich darauf einlassen würde? Er konnte sich das nicht wirklich vorstellen. Er war immer so kühl und abweisend. Wobei…wo Rene so darüber nachdachte, gab es auch Momente in denen er eine andere Seite zeigte. Bisher hatte Rene es nicht wirklich wahrhaben wollen. Doch nun… Nun fing er an darüber nach zu denken. Außerdem schien der Mutter des Wolfsprinzen sehr viel daran zu liegen, dass er sich mit ihrem Sohn verstand. Nur fragte er sich wieso. Es war wie ein Irrgarten aus Fragen. Wann immer er dachte, er hätte die Antwort auf seine Frage gefunden, kam er zu einer anderen. Und kaum hatte er sich auch diese beantwortet oder es zumindest versuchte, befand er sich in einer Sackgasse. Aus der er erstmal hinausfinden musste. Und je länger er es versuchte, desto schwerer wurden seine Lider. Bis sie irgendwann gänzlich zu vielen. Rene fand sich in einem vom Schnee bedeckten Wald. Ob es der gleiche Wald am Rande seines Dorfes war, wusste er nicht. Wenn ja schien er sich in einem ihm unbekannten Teil zu befinden. Doch das schien nebensächlich zu sein. Er stand auf einer Lichtung, die umringt war von Bäumen, die vollkommen mit Eis bedeckt waren. Der Schnee reichte ihm kaum bis zu den Fußgelenken. Über allem spannte sich ein mondloser Nachthimmel und es regte sich auch nichts. Rene fühlte sich nicht gerade wohl und schaute sich um. Fragte sich wie er hierhergekommen war. War er schlafgewandelt oder hatte der Wolfsprinz ihn gerufen und er war wie unter einem Bann hierhergekommen? Sowohl das eine als auch das andere ließ ihm kalte Schauer über den Rücken laufen. Dass er ganz allein auf der Lichtung zu sein schien, machte es nicht besser. Und je länger er in die Dunkelheit schaute und je länger die Stille, die über der Lichtung lag, andauerte, desto mehr hatte er das Gefühl doch nicht allein zu sein. Er glaubte auf einmal huschende Geräusche zu hören und drehte sich schnell in die Richtungen um, in denen er sie zu hören glaubte. Aber kaum dass er in diese schaute, sah er nichts. Rene Herz schlug immer schneller und er wünschte sich woanders zu sein. „Komm raus...Ich weiß, dass du hier bist!“, rief er in den Wald hinein. Und dann stand er plötzlich vor ihm. Mandariel! In einem Mantel aus weißem Pelz gehüllt. Seine schwarzen Haare wehten in einem Wind den es nicht gab. Trotz dass er aufrecht stand und Kraft ausstrahlte, hatte Rene den Eindruck, dass das nur Oberflächlich war. Und das etwas schwer auf seiner Seele lag. Ein Knoten bildete sich ihn seinem Hals. Rene wusste nicht mit wem oder was er gerechnet hatte, doch das war es nicht. Minutenlang sahen sie sich an. Keiner sagte etwas. Da hörte er die Stimme des Wolfsprinzen. Doch seine Lippen bewegten sich nicht. „Siehst du mich immer noch als Monster?“ Rene schluckte. Wusste nicht was er darauf sagen sollte. So blieb ihm nur eines übrig. Hilflos die Schultern zu heben. Mandariels Augen nahmen einen schmerzlichen Ausdruck an. Schien in sich zusammen zu schrumpfen. Dann stob Schnee auf und umhüllte ihn und die Gestalt des Wolfsprinzen schrumpfte nun gänzlich zusammen. Nahm eine andere Form an und als sich der Schnee legte, stand nun ein großer weißer Wolf vor ihm. Rene verschlug es dem Atem. Er erkannte das Tier. Er hatte es schon einmal gesehen. Sowohl im Dorf als auch in seinen Alpträumen. Es war der weiße Wolf mit dem Zeichen auf der Stirn. Rene stockte der Atem als er allmählich begriff, dass der Wolfprinz und der Wolfsdämon der ein und der selbe waren. Unwillkürlich machte Rene einen Schritt zurück. In den Augen des Wolfes flackerte es. Das schien ihm Beweis genug zu sein. Ein Seufzen war zu hören. Wobei es auch der Wind hätte sein können. „Dachte ich es mir doch. Egal was ich tue: In deinen Augen bin und bleibe ich es wohl!“, flüsterte er. Dann verschwamm alles um ihn herum. Kapitel 16: Wer mit den Wölfen heult... --------------------------------------- Zu Erleichterung aller hielt der Pfarrer inne was die Verlobung Floras und Jaque anging. Denn so wurde damit verhindert dass auch noch Jague in Ungnade der Dorfbewohner fiel. Und keiner der beiden wollte daran etwas ändern. Sie wollten ihre Verlobung solange wie möglich geheim halten. Jaque und Flora hatten damit keine Schwierigkeiten. Sie wussten genau, dass die Dorfbewohner eine erneute Hetzjagd auf sie veranstalten würden, sollten sie davon erfahren. Und sicher würden sie es auch auf Vincent absehen, sollte irgendwas nach außen dringen. Flora saß in der Stube auf einem Stuhl. Auf ihrem Schoss das Hochzeitskleid, welches sie getragen hatte als sie in den Wald gehen musste. Eigentlich war es ein Pfand einer unliebsamen Erinnerung. Flora lehnte sich zurück und schloss die Augen. Sah sich selbst auf einem Baum klettern und musste mit ansehen, wie ihr Bruder sich mit dem Wolfsprinzen anlegte. Und dann diesen schrecklichen Handel einging. Gedankenverloren strich sie mit den Fingern darüber. Eigentlich sollte sie es verbrennen. Da es sie immer wieder an diese Nacht erinnerte, in der alles begann. Außerdem war es an einigen Stellen zerrissen und hatte hässliche Löcher. Es wäre besser gewesen ein neues zu nähen. Ein neues Hochzeitskleid für einen neuen Anfang. Aber in dem Kleid steckten viele Stunden, viel Stoff und viel Liebe ihrer Mutter. Es den Flammen zu überlassen wäre ein Verbrechen. Und sie hatte die Idee, es wieder neu zu nähen. Die Löcher und Risse zu stopfen. Sah auch dies als eine Art von einem Neuanfang. Flora lächelte ein wenig. Rene beobachtete sie am Türrahmen zur Stube angelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt und schweigend. Sah, dass sie sich über ihre Verlobung mit Jaque freute. Aber auch dass sie sich fragte, welche verschlungenen Pfade sie gemeinsam entlang gehen und wohin diese sie führen würden. Ob es doch noch ein Licht am Ende geben würde? Rene hoffte es für sie. Er wollte schließlich nicht diese Welt verlassen im Wissen, dass sein Opfer umsonst war und seine Schwester kein ruhiges Leben führen konnte. Auch wenn er dabei ziemlich blauäugig war, sagte er sich, dass sie es irgendwann verschmerzen würde und sich nur an die schönen Dinge zurückerinnern würde, die sie erlebt hatten. Es war zwar nur ein kleiner Trost. Aber dennoch ein Trost. Dabei musste er selbst an das Labyrinth denken, in dem er sich befand. Seine Neugier und Abscheu dem Wolfsprinzen gegenüber schienen sich immer wieder überbieten zu wollen. Der war auf der einen Seite seine Mutter, die ihn darum gebeten hatte, in das Innerste ihres Sohnes zu schauen und auf der anderen Seite, der Trotz in ihm, der es nicht zulassen wollte und sich weigerte, es auch nur zu versuchen. Er musste sich wieder an seinen Traum letzte Nacht erinnern. Wie er vor dem Wolfsprinzen in seiner anderen Gestalt stand. Wie die Furcht ihn übermannt hatte. Und wie er den Kummer in den blauen Augen des Wolfsprinzen sah. So als habe er ihn sehr verletzt. Rene biss sich auf die Unterlippe und begann darüber nach zu denken. „Egal was ich tue: In deinen Augen bin und bleibe ich es wohl!“ Diese Worte hallten immer wieder durch seinen Kopf und er hörte darin immer mehr so viel Schmerz und Enttäuschung, dass es ihm sein Herz zusammen krampfen ließ. Ein schrecklicher Gedanke kam ihm. Überfiel ihn wie ein wildes tollwütige Tier und grub tief seine Krallen in seine Seele. Riss an ihr wie an einem Stück Fleisch. „Was wenn nicht er, sondern ich das Monster bin?“, fragte er sich. Rene konnte diesen Gedanken einfach nicht mehr abschütteln. So sehr er es auch versuchte. Und seine Gedanken gingen immer mehr in diese Richtung. Sein Mund wurde trocken und ihm schlug das Herz bis zum Hals. Bisher war er es immer gewesen, der dem Wolfsprinzen mit Misstrauen und Abscheu begegnet war. Und der Wolfsprinz wiederum hatte auf seine deutlich, offenbare Ablehnung mit der einzig möglichen Antwort reagiert: Mit unverhohlener Gleichgültig. Nun aber hatte die Mutter ihn gebeten sich mit ihrem Sohn an zu freunden. Und der Traum hatte ihn in seiner Haltung dem Wolfsprinzen zum Wanken gebracht. Etwas tief in ihm rührte sich. Es fühlte sich an wie ein Tasten. Zaghaft und vorsichtig. Wie das Streichen von Schmetterlingsflügeln. Angefangen in seinem Magen und dann sich immer weiter im gesamten Körper ausbreitend. Trotz dass es irgendwie angenehm war, machte es ihn auch unruhig. Ließ ihn mit den Fingern seiner rechten Hand auf seinen linken Arm trommeln. Irgendwann hielt er es nicht mehr aus und verließ die Stube. Trotz dass die Sonne noch nicht untergegangen war und ihre letzten Strahlen über den Bergkamm sandte, legte sich schon Dunkelheit über das Dorf und dort wo sich die Nacht anbahnte, schimmerten bereits die ersten Sterne. Die Luft war kalt und klar. Sie hatte etwas Beruhigendes. Tief und gierig sog er diese ein. Dabei merkte er erst jetzt, dass es wohl im Haus so stickig war, dass er kaum Luft bekam. Oder waren es seine Gedanken, die ihm die Luft nahmen? In seinem Kopf drehte es sich wie als hätte er zu viel getrunken. Das unruhige Gefühl schwoll ein wenig ab, verschwand aber nicht gänzlich. Rene umschlang seinen Oberkörper mit den Armen. Kurz dachte er daran, wieder hinein zu gehen und seinen Mantel zu holen. Sagte sich aber, dass die Kälte ihm vielleicht helfen konnte, wieder klar im Kopf zu werden. Diese Unruhe los zu werden. „Du siehst aus, als läge dir etwas auf der Seele!“ Rene machte einen Satz zur Seite als er die Stimme hörte und schaute erschrocken zur Seite. Er hatte erwartet, dass Nima oder ein anderer Wolf neben ihm stand. Eine Überraschung, die er eigentlich nicht erleben wollte. Nicht nach dem was ihm gerade durch den Kopf ging. Doch es war nur seine Großmutter. Erleichtert atmete er auf. Rene nickte. Setzte sich dann neben sie. Sie hatte sich in eine Dicke Wolldecke gehüllt um sich vor der Kälte zu schützen. Als er sich neben sie setzte, legte sie ihm diese um die Schultern. Zusammen kuschelten sie sich aneinander. Das erinnerte Rene an die Zeit, wo er klein war. Seine Eltern waren bis in die Nacht in der Bäckerei und arbeiten. Flora schlief schon. Nur Rene war noch wach und hatte seine Großmutter um eine Gute Nacht Geschichte nach der anderen gebeten. Dabei saß er so wie jetzt neben sie. Unter einer Decke und mit gespannter Neugier auf das was seine Großmutter ihm nun erzählen würde. Was konnte seine Großmutter für wunderbare Geschichten erzählen. Mal waren sie so gruselig, dass er sich immer unter der Decke verkroch und erst dann raus kam, wenn seine Großmutter fertig war. Dann waren sie so unglaublich, dass er noch Tage darüber nachdachte und seine Großmutter mit Fragen löcherte. Rene lächelte etwas als er sich daran erinnerte. Wie unbeschwert doch seine Kindheit war. Da gab es nichts vor dem er sich fürchten musste. Nur die Monster in den Geschichten. Doch dort waren sie nichts weiter als Schatten. Aber da gab es noch etwas. Eine lang verblasste Erinnerung. Ein Heulen, dann eine Wolke, die wie ein Wolf geformt war. Rene schauderte ein wenig. Kehrte wieder zu den hellen Momenten zurück. Sorglos verlebten er und Flora ihre Tage. Saßen unter den Apfelbäumen im kleinen Garten und träumten vor sich hin, während sie dem Wind lauschten. Wie sehr sich Rene nach solchen Momenten sehnte. Sie schienen weit weg zu sein und wurden von den Schatten der frischen Erinnerungen verhangen, wie ein Leichentuch. Umso schmerzlicher war es sich daran wieder zu erinnern. Dabei fragte er sich, wie es dabei dem Wolfsprinzen erging. Erinnerte er sich an seine Kindheit oder hatte er sie begraben, wie einst seinen Vater? Er erinnerte sich, was seine Mutter über ihn erzählt hatte. „Er war…wie jeder andere junge Mann. Voller Leben und Dummheiten im Kopf. Wie oft habe ich ihn schon dabei erwischt, wie er sich mit den jüngeren Wölfen davon stahl und sich herumtreiben wollte. Wenn ich dich so ansehe, sehe ich ihn. Wie er war…und…nie wieder sein wird!“ Es schien ihm fast unmöglich sich den Wolfsprinzen als jemanden vor zu stellen, der Spaß am Leben hatte. Der glücklich war. Und keine einzige Minute damit vergeudete zu hassen. Es musste solange zurück liegen, dass er es selbst vergessen haben musste. Rene merkte wie ihm das Herz schwer wurde. Er verspürte eine gewisse Spur von Mitleid. Erst wird seine Mutter vertrieben. Aus dem Dorf und in einen Sturm, in dem sie vermutlich gestorben wäre, wäre sein Vater nicht gewesen. Und dann der feige Mord an seinem Vater. Wieder musste er an das Wolfsfell denken, dass an der Wand in der Stadthalle hing und ihm wurde übel. Dazu mischte sich heiße Wut. Er konnte ihn irgendwie verstehen. Wäre das seine Mutter und sein Vater… Dabei ertappte er sich wie er manchmal daran gedacht hatte, was er den Dörflern antun würde. Sein Gesicht begann zu glühen. „Was hast du, Rene?“, fragte seine Großmutter. Rene sah sie an. Wollte zuerst den Kopf schütteln und sagen, dass nichts sei. Doch dann überlegte er es sich anders. „Denkst du, dass man schon mit einer dunklen Seele geboren wird?“ Es war eine rein rhetorische Frage. Rene glaubte nicht, dass der Wolfsprinz bereits mit einem Herzen aus Eis geboren wurde. Die Worte seiner Mutter sprachen schon deutlich dagegen. Martha legte die Stirn in Falten. „Nein. Das war auch die Meinung meiner Mutter. Jeder Mensch wird ohne Hass und ohne Groll geboren. Erst durch das, was er erlebt, macht aus ihn den, den wir sehen!“, sagte sie und klang dabei leicht melancholisch. „Das zumindest sage ich mir!“ „Und wie ist es mit den Dörflern?“, fragte er. Marthas Gesicht wurde bitter. „Bei denen bin ich mir nicht sicher. Manchmal denke ich, dass sie schon so geboren wurden. Doppelzüngig und allesamt wert, dass man sie zum Teufel jagt!“ Seine Großmutter seufzte und bekreuzigte sich. „Ich weiß, dass ich nicht so reden sollte und Gott möge mir vergeben. Aber sowas falsches und…ach was soll es!“ Rene lächelte schwach. „Wieso fragst du mich das?“ Rene hob die Schultern. „Nur so!“ Einen Moment sah seine Großmutter ihn skeptisch an. Dann aber seufzte sie und stand auf. Streckte sich. Und ohne ein Wort ging sie ins Haus. Rene blieb draußen sitzen. Zog die Decke enger um sich. Schaute zu den Bergen hinauf, hinter denen nun die Sonne untergegangen war und die dunkel über dem Dorf aufragten. Der Mond war als dünne Sichel zu sehen. Dennoch warf er genug Licht um den Wald zu erhellen. Ließ den Schnee aufleuchten als wäre er selbst aus Mondlicht. Auf einmal ergriff Rene eine ungeahnte Sehnsucht. Rene konnte es sich nicht erklären woher sie auf einmal kam. Doch sie war so stark, dass Rene nicht dagegen ankämpfen konnte. Es zog ihn an wie einst als er das erste Mal in den Wald ging. In seinem Hinterkopf kam ihm der unschöne Gedanke, dass er sich wie die Motte zum Licht hingezogen fühlte. Drängte diesen aber weg. Ich bin keine Motte, sagte er sich und ohne dass er sich noch um entscheiden konnte, ging er auf den Wald zu. Im beklemmenden Schweigen nahmen Jaque und sein Vater ihr Abendmahl zu sich. Vincent sah man deutlich an, dass er noch immer an der Richtigkeit der Verlobung seines Sohnes zweifelte. Doch er hatte es auch aufgegeben dagegen an zu fechten und seinen Sohn nochmal ins Gewissen zu reden. In dieser Hinsicht war Jaque ein richtiger Dickkopf. Dennoch war er auch froh, dass er so aufrichtig war und zu seiner Verlobten stand. Er hatte immer befürchtet, dass er nach dem Tod seiner geliebten Frau Laura, nicht in der Lage sei, seinen Sohn richtig zu erziehen. Mehr als einmal hatten die anderen ihn dazu gedrängt, sich eine neue Frau zu nehmen. Zum Wohle Jaques. Dabei hatten sie natürlich ihre eigenen Töchter angeboten. Vincent hatte sich geweigert. Niemals mehr würde er eine Frau so sehr lieben wie Laura. Der Zweifel jedoch nagte an ihm wie eine Ratte und kostete ihm die eine oder andere Nacht. Umso erleichterter war er, dass seine Befürchtungen umsonst waren. Und doch blieb so etwas wie Unbehagen. Nicht weil die Dörfler doch noch von der Verlobung erfahren konnten. Das war noch das kleinere Übel. Sondern was mit seinem Sohn passierte, sollte der Wolfsprinz irgendwann die Leben der Familie einfordern. Würde er auch sein Leben rauben wollen? Der Gedanke ließ ihn erschauern und seine Miene verfinsterte sich. Sein Blick ging dann zu seinem Sohn, der ebenso den Blick gesenkt hielt und gedankenverloren auf seinem Brot herumkaute. Sicher dachte er ebenso über die Zukunft nach. Vermutlich aber in eine andere Richtung. Dennoch hoffte Vincent, dass sein Sohn sich bewusst war, was passieren könnte. „Sobald du und Flora verheiratet seid und der Schnee geschmolzen ist, verlasst ihr das Dorf!“, sagte er und durchbrach damit die Stille. Jaque schaute auf und blinzelte ein wenig verwirrt. Verstand erst mal nicht, was sein Vater gesagt hatte. Doch dann drangen die Worte seines Vaters in sein Bewusstsein und seine Augen wurden sich groß. „Was sagst du da?“ „Du hast mich verstanden!“, sagte Vincent. „Sobald die Handelsstraßen frei sind und Ihr verheiratet seid, werdet Ihr dieses Dorf verlassen!“ Jaque sah ihn nur an. Fragte sich was in seinen Vater gefahren war. Dann schüttelte er den Kopf. Noch er bevor er etwas sagen konnte, kam ihm sein Vater zuvor. „Keine Wiederrede. Hör nur einmal auf deinen alten Vater!“ Jaques Gesicht spiegelte Sorge und Verzweiflung. „Und was ist mit dir?“ Er wollte seinen Vater nicht verlassen. Nicht in diesem Dorf voller Wendehälse. Vincent lächelte bitter und winkte ab. „Ich komme schon zurecht!“ Das reichte Jaque nicht. „Nein. Wenn ich gehe, kommst du mit!“, sagte er schroff. „Ich lasse dich hier nicht zurück!“ Vincent sah seinen Sohn eine Weile an. Dann lächelte er. Ganz wie seine Mutter, dachte er. Ein Dickkopf! Rene wusste eigentlich nicht wohin er gehen sollte. Es zog ihn einfach in den Wald. So wie als würde man ein kleinen Spaziergang machen. Ein ironisches Lächeln huschte über sein Gesicht. Ein Spaziergang im Wald, der von Wölfen beherrscht wird. Der von ihm beherrscht wird. Sogleich ging sein Blick suchend durch den Wald. Suchte nach Spuren von Wölfen. Fand aber keine. Das wunderte ihn ein wenig. Er hätte gedacht, dass Nima oder einer ihrer Brüder sich hinter einem Baum versteckten und ihn beobachteten. Aber vermutlich war das einfach nur wahnhaft und unnötig, dass er sich Gedanken darüber machte. So ging er weiter. Kam an den gewohnten Treffpunkt. Und es dauerte nicht lange als Nima kam. In ihren Wolfsaugen zeigte sich Verwunderung. „Was machst du denn hier?“ Rene zuckte die Schultern. „Wollte ein wenig spazieren!“ Dann sagte er. „Ist dein Herr da?“ „Nein!“, sagte Nima und ihr Blick wurde verwirrter. „Warum möchtest du zu ihm?“ Nun war es Rene, der verwirrt dreinblickte. Bis jetzt hatte er sich keine Gedanken darüber gemacht. Er war einfach in den Wald gegangen. Doch nun stand er da und fragte sich, wieso er hier war. Ein wenig verlegen strich er sich durch das Haar. Nima sah ihn weiterhin fragend an. „Ich…ich wollte deinen Herren sehen!“, schoss es auf einmal aus ihm und nun sah Nima ihn an als habe er etwas Unglaubliches ausgesprochen. Vielleicht hatte er das auch. Dass er ihren Herren freiwillig sehen wollte, musste für sie eine Offenbarung sein. Da sie immerhin wusste, welche Haltung er ihm gegenüber hatte. Und nun wollte er ihn sehen. Nima legte den Kopf schief und überlegte. „Dann komm mit!“, sagte sie und trottete los. Rene folgte ihr. Sie gingen in einen anderen ihm fremden Teil des Waldes und Rene wurde sich bewusst, wie groß wirklich dieser Wald war. Während sie liefen, schwiegen sie. Doch Rene konnte deutlich die Blicke spüren, die Nima ihm hin und wieder zu warf. Was mochte ihr gerade durch den Kopf gehen? Sie stiegen eine leichte Anhöhe hoch. Nima lief leichtfüßig durch Schnee während Rene Mühe hatte seine Beine daraus zu ziehen. „Wolf müsste man sein!“, schnaubte er und hörte Nima lachen. Sie hatte die Anhöhe schon längst überwunden und schaute mit einem amüsierten Blitzen in den Augen auf ihn hinunter. „Wir Wölfe sind eben gute Kletterer!“ „Jaja…!“, motzte Rene. Dann hatte er es auch geschafft. Musste jedoch nach Luft schnappen und stützte sich auf den Knien ab. Nima kicherte. Dann wackelten ihre Ohren und sie wandte den Kopf. Sie schien etwas zu hören. Denn sie raunte ihm zu, dass er nun leise sein soll und ging weiter. Rene, ein wenig nervös durch ihre Worte, folgte ihr. Sie blieben hinter einem blätterlosen Busch stehen und verharrten dort. Nima, in respektvoller Geduld und Rene aus reinem Erstaunen. Vor ihnen einige Meter entfernt stand der Wolfsprinz. Allein und mit dem Blick nach vorne gerichtet. Es sah so aus als würde er auf etwas warten. Rene und Nima gingen hinter einem mit Schnee bedeckten Gebüsch in die Hocke und schauten zu ihm hinüber. Es vergingen einige Atemzüge als sich dann endlich was auf der Lichtung tut. Langsam und mit vorsichtigen Schritten trat etwas auf die Lichtung. Auf den Wolfsprinzen zu. Und Renes Augen wurden groß als er es erkannte. Ein Zwölfender. Noch nie hatte Rene solch ein Tier gesehen. Es war so groß, dass sein Kopf mit dem des Wolfsprinzen auf gleicher Höhe war und dessen Geweih ihm überragte. Sein Fell war silbrig, fast schon weiß. Seine Augen dunkel und dennoch klar. Ruhig stand es ihm gegenüber. Schien sich nicht vor seinem Gegenüber zu fürchten. Erstaunt und in stiller Demut beobachtete Rene sie. Mandariel verneigte sich leicht und sah den Hirsch dann an. Ebenso der Hirsch. Sie schienen eine Unterhaltung zu führen, ohne dass sie was sprachen. Gelegentlich schnaubte das Tier, blies ihm seinen warmen Atem ins Gesicht. Mandariel lächelte. Nickte. Dann hob er die Hand, nicht als wolle er es berühren sondern als wollte er es um was bitten. Der Zwölfender roch kurz an ihr, dann legte er seinen Kopf in die Hand des Wolfsprinzen und der dieser wiederum berührte mit seiner Stirn dies des Zwölfenders. Renes Mund klappte voller Sprachlosigkeit auf. Es wirkte so surreal, dass er glaubte zu träumen. Er schüttelte den Kopf, rieb sich die Augen. Doch das Bild blieb gleich. „Das ist Kyriel R’azsal Bühl!“, hörte Nima ihn wie aus weiter Ferne. Dabei klang sie sehr erfurchtsvoll. „Wieso hat er keine Angst vor ihm?“ „Weil er ihm vertraut!“ Endlich schaffte es Rene sich von diesem Anblick zu lösen und sah sie erstaunt an. „Er vertraut ihm?“, widerholte er. Noch immer war das alles wie in einem Traum. Ein Hirsch vertraute einem Wolf. Das war einfach unglaublich. Nima sagte nichts, sondern sah wieder zu ihrem Herren. Rene ebenso. Und während er zu ihnen hinschaute, begannen sich seine Gedanken zu überschlagen. Ein Hirsch vertraute einem Wolf. Dabei sollte der Hirsch gute Gründe haben, um ihm misstrauisch oder gar überhaupt nicht zu zeigen. Wölfe fraßen Hirsche und Rehe. Sie waren Beute für sie. Dass sich nun solch ein Tier ihm näherte und Vertrauen zu ihm hatte, hielt ihm deutlich den Spiegel vors Gesicht. Vielleicht sollte ich ihm auch vertrauen, dachte er. In seinem Magen wurde es kalt. Wenn ein Hirsch es schon tat… Rene kaute auf seiner Unterlippe herum. Nima sah ihn an und schien seine Überlegungen deutlich in seinem Gesicht zusehen. Ein kurzes Lächeln huschte über ihr Wolfsgesicht. Mandariel trat nun einen Schritt zurück, verneigte sich. Kyriel tat es ihm gleich und verließ dann fliegenden Schrittes die kleine Lichtung. Mandariel sah ihm nach, dann drehte er sich auf einmal in Nimas und Renes Richtung „Wie lange wollt Ihr noch da hinter dem Busch hocken?“, fragte er unverhohlen. Renes Körper wurde sofort steif und er kauerte sich noch enger zusammen. Dabei warf er einen hilflosen Blick zu. Wir sollten verschwinden, schienen seine Augen zu sagen. Auch Nima schien etwas verlegen zu sein. Doch dann richtete sie sich auf und trottete aus ihrem Versteck. Rene zögerte kurz, dann kam auch er hervor. Kaum das sich ihre Blicke trafen, zuckte Rene zurück. Ihm war es, als hätte er ihn bei etwas Persönliches gestört. Beschämt senkte er den Blick. Mandariels Blick ruhte lange und fragend auf ihm. „Was machst du hier?“, fragte er nun und seine Frage klang wie eine Anklage. „Ich…ich…!“, stammelte er und kam sich wie ein dummer kleiner Junge vor. „Er wollte Euch sprechen, Herr!“ In diesem Moment hätte Rene Nima zu gerne die Schnauze zu gehalten. Aber da wurde ihm bewusst, dass sie mit ihm in ihren Gedanken gesprochen hatte. Peinlich berührt trat er von einem Fuß auf den anderen. Mandariel sah von Nima zu Rene. In seinem Gesicht war deutlich Neugier zu sehen. „Um was geht es?“, fragte er dann. Rene zauderte. Wusste nicht was er sagen sollte. Dabei gab es eigentlich so viel, was gerade durch seinem Kopf wirbelte. Die Bitte seiner Mutter. Die Frage nach dem Warum. Warum er so geworden ist und ob er auch mal eine glückliche Zeit hatte? Wieso kann er die Gedanken von Hunden und Wölfen hören? So viele Fragen. Und doch war er nicht im Stande auch nur eine zu greifen. „Nun?“, fragte Mandariel als er die Ratlosigkeit in Renes Blick sah. Fast amüsierte es ihn, den Jungen so zu sehen. Wo er doch sonst kein Blatt vor den Mund nahm. „Wieso hatte der Hirsch keine Angst?“, platzte es plötzlich aus Rene und hätte sich am liebsten selbst auf die Zunge gebissen. Mandariels Augenbrauen hoben sich. Auch Nima sah ihn verwirrt an. Das sagte ich doch schon, schien ihr Blick zu sagen. Rene ignorierte dies und konzentrierte sich auf den Wolfsprinzen. Mandariels Gesicht nahm einen Ausdruck an, der Verwirrung und Erstaunen zeigte. Dann aber sah er ihn gleichgültig an. „Er vertraut mir!“ „Trotz dass Ihr ein…!“ Renes Stimme versagte. Mandariels Augen schmal und er presst die Lippen zu einem harten Strich zusammen. „Trotz dass ich ein Wolf bin?“, kam es schroff von ihm. Nima seufzte und senkte den Kopf. Rene merkte wie das Blut aus seinem Gesicht wich. Wie er zu Eis erstarrte. Er schluckte. Ohne dass er es wollte, hatte er ihm wieder gezeigt, was er von ihm hielt. „Nein, das…das meine ich nicht!“, verteidigte er sich schnell. Falls er hoffte seine Worte könnten den Wolfsprinzen besänftigen, dann erfüllte sich seine Hoffnung nicht. Die Augen des Wolfsprinzen wurden schmaler und schienen wie kaltes Eis zu leuchten. Dann aber legte sich so etwas wie Schwermut über sein Gesicht. Oder bildete sich Rene das ein. Unsicher was er sagen oder tun soll, stand er einfach nur da. Sah zu Mandariel, der sich durch das Haar strich und seufzte. Er wirkte in diesem Moment um hundert Jahre gealtert. Als hätte die Angst, die Abscheu und der Hass der Dorfbewohner ihm alle Kraft genommen. Rene biss sich auf die Unterlippe. Wünschte sich tief in, mit Schnee bedeckten Erde zu versinken. „Wenn es das ist, was dir unter den Nägeln brannte…?“, kam es ausgelaugt von ihm. Rene schüttelte den Kopf. Mandariel sah ihn daher prüfend an. Fragte sich was er noch von ihm wolle. „Ich wollte Euch nicht beleidigen. Aber als ich Euch mit dem Hirsch sah, da…!“, sprach Rene weiter und wusste, dass er sich dabei um Kopf und Kragen redete. Mandariels Gesicht wurde zu einer regungslosen Maske. Nima wurde an seiner Seite unruhig. Sie rutschte hin und her. Sah ihn mit ihren Augen flehend an. Riet ihm, endlich still zu sein. Aber Renes Zunge hatte ein Eigenleben entwickelt. „Es sah so aus, als würdet Ihr und der Hirsch eine Art Handel haben!“ Sei endlich still, schrie es in seinem Kopf und ein Teil wünschte sich, diese Worte rückgängig zu machen. Doch nun hatte er sie ausgesprochen. Mandariel sah ihn für einen flüchtigen Moment konsterniert an. Dann aber musste er beinahe Lächeln. „Nun…das könnte man so sagen!“, sagte er und ging nun ein paar Schritte auf Rene zu. Plötzlich wurde Rene nervös. Er bewegte sich wie als wollte er sich an ihn heranschleichen. „Und wie sieht dieser Handel aus?“ „Ich würde es nicht als Handel nennen!“, sagte er und blieb einen Schritt vor ihm stehen. „Es ist eine Art…Symbiose!“ Renes Gesicht wurde ratlos. Mandariel lächelte als würde er einem Kind etwas Schweres erklären. „Ich und meine Wölfe jagen keine jungen Rehe. Keine jungen Weibchen und auch nicht den Nachwuchs. Nur die, die schon alt und krank sind. Dafür sorgen sie, dass der Wald nicht von all den Pflanzen überwuchert wird!“ Nun verstand Rene. „Ein Zweckbündnis also!“ Mandariel nickte. „Wenn du es so nennen willst. Ja. Auch wenn es für dich nicht nach vollziehbar ist: Aber ohne das eine kann es nicht das andere geben. Gibt es hier keine Rehe, verhungern meine Wölfe. Und gibt es keine Wölfe, wird es nicht genug Gras für alle geben. So ist es auch mit den Kaninchen. Und die vermehren sich bekanntlich wirklich schnell!“ Dabei lächelte er. Rene merkte wie sich seine Mundwinkel nach oben zogen. War das ein Scherz? Dann aber wurde er nachdenklich. Begriff so langsam, dass alles hier in einem Kreislauf war. Wölfe fressen Rehe…Rehe fressen Gras…Wölfe fressen Rehe…Rehe fressen Gras… Da wurde Mandariels Gesicht nachdrücklich. „Auch wenn man in uns Tiere sieht, die nur das töten kennen und alles fressen, was ihnen über den Weg läuft…kann ich dir versichern, dass das alles nur übles Gerede ist. Denn wenn es so wäre und wir alle Rehe und alle Kaninchen, und alle anderen Tiere töten würden, würde es zwar erstmal genug zu essen geben, doch dann würde es Krieg geben. Zwischen uns, den Bären und den Füchsen. Und was dann? Dann müssten alle anderen Hunger leiden. Es sei denn…!“ Seine Stimme brach und in seinem Blick lag tiefer Schmerz. Rene wagte es nicht nach dem es sei denn zu fragen. Das musste er auch nicht, denn Mandariel sah wieder auf und seine Augen waren hart wie Eis. „Es sei denn ich und meine Wölfe suchen das Dorf heim und nehmen uns, was wir wollen!“ Rene lief es kalt den Rücken hinunter. Vor seinem inneren Auge sah er wie die Wölfe, wie eine Lawine über das Dorf hinweg rollten und alles auslöschten, was sie finden konnten. Auslöschten aus purem Hunger. In dieser Version sah er sogar Flora. Wie ihr zarter Körper von einem Wolf angefallen und zerrissen wurde. Er fröstelte. Umschlang mit seinem Armen seinen Oberkörper. Schnell sagte er sich, dass er wegen der Kälte fror. Immerhin stand er nur mit seinem Leinenhemd hier. Den Mantel oder die Decke hat er einfach zuhause liegen lassen. Mandariel sah dies und ohne ein Wort zu sagen, nahm er den silbrigen pelzigen Mantel von seinen Schultern und legte ihn um die Schultern. Dabei streiften seine Hände seine Schultern und Rene zuckte etwas zusammen. Ließ es jedoch zu. Der Mantel war angenehm warm und Renes Körper sog diese sofort gierig auf. Rene zog diesen enger an sich. Dabei stieg ihm ein angenehmer Geruch in die Nase. Der Duft von Kiefern und Tannen, gemischt mit dem Geruch von kalter Bergluft. Rene ertappte sich dabei wie er verstohlen den Kragen an seine Nase zog und daran roch. Als er es merkte, wurde er schlagartig rot und ließ den Kragen los. Was machst du da, du Idiot, schrie er sich in Gedanken an. „Gehen wir ein Stück!“, sagte Mandariel und Rene nickte. Schweigend gingen sie nebeneinander her. Doch dann… „Und was für einen Zweck hat der Handel, den Ihr mit den Dörflern habt?“, fragte er dann. Es war als würde jemand, der unter Schock stand, immer wieder das gleiche tun oder sagen. Nur um sich vor das zu schützen, was vor ihm lag oder dahinter. Und auch wenn Rene die Antwort kannte, dass er es nur aus Rache diesen Handel gewollt hatte, fragte er ihn dennoch. „Ein Leben für das von vielen!“, erklärte Mandariel knapp. „Eigentlich wäre es das Beste, sie alle zu töten. Denn dann könnten die Tiere ohne Angst leben. Sie müssten sich nicht davor fürchten, gejagt, getötet zu werden. Oder als Trophäe zu enden. Das wäre das schlimmste. Nur aus Freude und Stolz getötet zu werden, damit andere sich mit ihrem Kopf brüsten können!“ Den letzten Satz spie er förmlich aus. „Sowas würden ich oder meine Brüder und Schwestern niemals tun. Wenn wir jagen, dann nur um uns am Leben zu erhalten! So will es die Natur!“ „In Euren Augen sind wir die Monster…!“ „Seid Ihr das nicht? Macht Ihr Euch nicht gegenseitig das Leben schwer. Verratet Ihr Euch nicht, wenn es Euch einen Vorteil verschafft? Belügt und betrügt Ihr euch nicht aus irgendwelchen Gründen? Warum auch immer? Sei es aus Hass, Eifersucht, Wut oder Neid?“ Rene sagte nichts. Der Wolfsprinz hatte genau das ausgesprochen, was ihm durch den Kopf ging. Was wenn wir die Monster sind? In seinen Worten hörte Rene nicht nur Zorn und Hass, sondern auch Schmerz. Schmerz über den Tod seines Vaters. Und wieder dachte sich Rene, dass er genauso denken würde, wenn man ihm das gleiche angetan hätte. Aber hasste er sie mittlerweile nicht genauso? Diese falschen Menschen, die, sobald man ihnen den Rücken zukehrt, einem die Pest an den Hals wünschen. Und im Moment zuvor noch einen angelächelt hatten. Rene fühlte eine heiße Welle von Wut hochkommen, die die Kälte ein wenig zurückdrängte. Wie als wolle er sich beruhigen, wickelte er sich noch enger in den Mantel und der Geruch, dieser herrliche Geruch stieg wieder in seine Nase. Erstaunlicherweise beruhigte ihn dieser. „Seht Ihr das auch in mir?“, fragte er und war erschrocken wie erstickt seine Stimme klang. Als fürchtete er, dass es wirklich so war. Mandariel blieb stehen. Sah ihn an. Prüfend, als suche er nach etwas. Tief in Rene verborgen. „Zuerst ja!“, war seine Antwort und Renes Herz bekam einen Stich. Dann aber sagte Mandariel mit nachdenklichem Klang:„ Aber jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher!“ Renes Wangen glühten. „Das…das geht mir genauso!“ Seine Worte waren nicht weiter als ein Flüstern. Dennoch hörte Mandariel sie. Ein zaghaftes Lächeln legte sich flüchtig um seine Mundwinkel. Doch das reichte aus um Renes Herz schneller schlagen zu lassen. Nun trat Mandariel näher an ihn heran, so nahe, dass sich ihre Oberkörper beinahe berührten. In seinem Kopf drehte sich wieder alles. Und seine Knie begannen plötzlich weich zu werden. In seinen Ohren hörte er das Blut rauschen. Der Geruch kam wieder, drängte sich förmlich in seine Nase und raubte ihm die Luft. Ließ den Blick verschwimmen. Er konnte nichts mehr sehen. Nur die Augen des Wolfsprinzen, die sich tief in seine brannten und in seine Seele blickten. Es schien eine Ewigkeit zu dauern als er den Blick von ihm löste. Leicht schüttelte er den Kopf. „Ich werde aus dir nicht schlau!“ Wie aus weiter Ferne hörte er sie und es dauerte einige Augenblicke ehe sie in seinen Verstand drangen. Rene blinzelte. Wusste nicht wie er das verstehen sollte geschweige denn darauf reagieren sollte. Wie meint Ihr das, schienen seine Augen zu sagen. Mandariel lächelte. „So wie ich das meine. Auf der einen Seite siehst du mich so wie die anderen. Als ein Monster. Aber auf der anderen Seite…scheinst du zu versuchen, mich zu verstehen!“ Renes Wangen begannen zu glühen. Nicht scheinen. Ich will es versuchen, schrien seine Augen. Auch das sah Mandariel. Langsam hob er die Hand und berührte Renes Wange. Seine Finger waren kalt und Rene zuckte etwas zusammen. Doch seine Berührung hatte etwas Sanftes. Beruhigendes. Sofort schmiegte sich seine Wange an Mandariels Hand. Und da erwachte ein Wunsch, tief in seinem Inneren, der sich nach und nach in den Vordergrund drängte. Küss mich! Die Stimme war laut und drängend. Rene versuchte nicht, sie zum Schweigen zu bringen. Es würde nichts bringen. Stattdessen schaute er ihn an. Vielmehr seine Lippen. Diese herrlich geschwungenen Lippen, die ihn dazu lockten, sich ihm entgegen zu strecken und ihn um einen Kuss zu bitten. In Renes Magen machte sich ein Flimmern breit. Das gleiche, was ihn schon einmal ergriffen hatte und was sich auch nun wieder in seinem Körper ausbreitete. Mandariel musste gesehen haben, was Rene sich wünschte. Er neigte ein wenig den Kopf. In Rene jubelte etwas auf. Er will mich auch küssen, schrie es und das Flimmern wurde stärker. Nur wenige Zentimeter trennt ihre Gesichter voneinander. Rene schloss die Augen und freute sich, dass er gleich seine Lippen auf den seinen spürte. Doch diese blieb aus. Wie als sei er aus einem Traum gerissen worden, wich Mandariel zurück, schaute mit aufmerksamer Miene um sich. Seufzte dann. „Ich glaube, du solltest gehen!“, sagte er leise und klang dabei so wie sich Rene fühlte. Wie vor den Kopf gestoßen und enttäuscht. Rene sah ihn an, als habe er ihn geschlagen. Öffnete den Mund um nach dem Grund zu fragen. Mandariel antwortete trocken:„ Deine Eltern suchen dich schon!“ Der Schrecken verdrängt das Flimmern in seinem Magen und kalte Angst ergriff ihn. Seine Eltern! Mein Gott, schrie es in seinem Inneren und er wich vor ihm zurück. Wie konnte er das vergessen? Er wandte sich in irgendeine Richtung. Lauschte nach dem Rufen seiner Mutter. Versuchte den Schein einer Fackel zwischen den Bäumen zu sehen. Doch nichts dergleichen passierte. Fast wollte Rene ihn schon fragen, woher er das wusste. Ärger mischte sich nun in die Angst. Hielt sie aber zurück. Fühlte sich aber auch dadurch verletzt. Wollte er ihn so schnell wie möglich loswerden. Nur weil…was? Weil er fürchtete, er könnte sich für ihn erwärmen? Weil es mehr gibt als Hass und Vergeltung? Mandariel wies mit einem Kopfnicken in eine bestimmte Richtung. „Du solltest lieber gehen. Ehe sie sich noch mehr Sorgen machen!“ Rene blieb noch kurz wie angewurzelt stehen, dann streifte er den Mantel ab, reichte ihn Mandariel und drehte sich um, um zu gehen. Doch da ergriff Mandariel seine Hand. Hielt ihn zurück. Rene drehte sich ruckartig zu ihm und sah ihn mit großen Augen an. Mandariels Gesicht war eine steinerne Maske. Aber in seinen Augen leuchtete es intensiv. „Komm morgen Abend wieder!“, sagte er mit rauer Stimme. Rene nickte nur, weil er sprachlos war und verwundert, über Mandariels Worte. „Wo kann er nur sein?“, wimmerte Elsa, zog das Tuch um ihre Schultern enger und schaute mit angsterfülltem Blick in den Wald, der sich drohend über sie erhob. Ramon hielt eine Fackel hoch und sah auch zum Wald. Allerdings mit finsterer Miene. „Was hat sich dieser Junge nur dabei gedacht?“, knurrte er. Noch deutlich waren Renes Spuren im tiefen Schnee zu sehen, die ohne zu zweifeln zum Wald hoch führten. Flora und Elsa standen hinter ihnen, Arm in Arm und zitterten. Nicht vor Kälte, sondern vor Angst. Als die Eltern von der Arbeit nachhause kamen und sich alle zum Abendessen an den Tisch setzen wollten, war ihnen aufgefallen, dass Rene nicht mehr da war. Martha war zuerst verwirrt, dann aber besorgt. Und als sie die Spuren sahen, war ihre Sorge in Panik umgeschlagen. Ramon lief auf und ab wie ein eingesperrtes Tier. Schaute wütend zum Wald. Er wusste um die Gefahr, die das Betreten des Waldes mit sich brachte. Aber die Sorge um seinen Sohn drängte diese zurück. „Ich gehe und hole ihn!“, sagte er und machte einen Schritt nach vorne. Elsa schrie entsetzt auf und hielt ihren Mann zurück. „Nein, Ramon. Nein!“, rief sie. „Nicht allein. Das ist zu gefährlich!“ „Hast du eine bessere Idee?“, fuhr ihr Mann sie an. „Unser Junge ist in dem Wald, der von diesen Bestien beherrscht wird!“ „Dann hol ein paar Männer, die dich begleiten. Vielleicht…!“ Ramon lachte hart. „Denkst du wirklich, dass sie uns helfen werden, Rene zu finden?“ Elsa presste die Lippen zusammen und senkte den Blick. Nein. Keiner der Dörfler würde ihnen helfen. Wie als hätte man ihre Kräfte genommen, sanken ihre Arme nach unten und sie wich einen Schritt zurück. Sie schaute zu Boden und unterdrückte ein Schluchzen. Martha und Flora sahen nur zu. In ihren Gesichtern war Angst und Sorge zu sehen. Sie schauten dann hoch zum Wald. Und stießen zugleich einen überraschten Schrei aus. Elsa und Ramon sahen zu beiden, folgten dann ihrem Blick und sie schnappten nach Luft. Rene lief mit großen Schritten den Hang hinunter zu ihnen. Als er die erreicht hatte, fiel ihm Elsa um den Hals. Weinte, lachte. „Was…wo warst du nur?“, brachte sie bebend hervor. Strich über seine Wangen und schien an zu sehen als könne nicht glauben, dass er wirklich vor ihr stand. Rene sagte nichts. Schüttelte den Kopf. Wo er so seine Mutter sah, völlig außer sich vor Angst, war das schlechte Gewissen übermächtig. Flora kam dazu und umarmte ihren Bruder. Martha bekreuzigte sich und stieß ein Dankesgebet gen Himmel. Ramon stand da wie zu Stein erstarrt. Seine Miene war ausdruckslos. Die Hand, mit der er die Fackel hielt, verkrampfte sich sodass die Adern auf dem Handrücken hervortraten. Seine Kiefer knirschten. Rene sah das natürlich, löste sich von seiner Schwester und seine Mutter. „Vater, ich…es tut mir leid. Ich wollte…!“ Doch Ramon schnitt ihm mit einer scharfen Geste das Wort ab. „Darüber reden wir später!“, sagte er finster und ging ins Haus. Elsa, Martha und Flora folgten ihm. Rene blieb noch draußen stehen. Ein Kloss bildete sich in seinem Hals. Sein Vater war mehr als nur wütend auf ihn. Er musste sich furchtbare Sorgen um ihn gemacht haben. Sie alle. Aber sein Vater… Rene hatte den unguten Verdacht, dass er ihn am liebsten windelweich geprügelt hätte. Egal ob er erwachsen war. Rene schluckte. Schaute nochmal zum Wald, dann ging auch er hinein. Mandariel saß in seinem Gemach, dass in vollständiger Dunkelheit lag. Nur das Feuer im Kamin war die einzige Lichtquelle. Die Flammen warfen flackerndes Licht auf sein Gesicht, das abwesend ins Leere schaute. Die letzten Minuten wiederholten sich immer wieder. Wie ein Traum, der ihn einfach nicht los lassen wollte. Er schloss die Augen und sah Rene vor sich. In seinem Mantel gehüllt. So nahe, dass er seinen Herzschlag zu spüren glaubte. Und dann dieser seltsame Blick mit dem er ihn bedachte. Noch nie hatte er ihn so angesehen. Beinahe wollte er schon darüber lachen. Doch es beschäftigte ihn. Machte ihn nachdenklich. Zog ihn immer tiefer in den Strudel lauter Fragen. Abgesehen davon hatte er noch immer seinen Geruch in der Nase. Ein warmer Duft von brennendem Holz und frisch gebackenem Brot. Ein sonderbares Kribbeln machte sich in seinem Inneren bemerkbar. Breitete sich in seinem Körper aus. Und es wurde stärker je länger er an Rene dachte. An seinen Geruch, seine Nähe. An diesen Blick, der in seinen grünen Augen lag. Und auch wenn er nichts gesagt hatte, wusste Mandariel was er wollte. Zumindest was er sich wünschte. „Küss mich!“ Ein Lächeln huschte über seine Lippen. Ausgerechnet er war er, der ihn so angesehen hatte. Er, der immer wieder deutlich gezeigt hatte, wie sehr er ihn verachtete. Er, der ihn täuschen und hintergehen wollte. Der ihn mit einem Eisendolch erstechen wollte. Das alles schien wie ein absurder Traum zu sein. Er hätte darüber spöttisch gelacht. Wäre da nicht diese Stimme, die ihm zu raunte, dass er es glauben sollte. Zulange und zu oft hatte er mit angesehen wie sie sich gegenseitig das Leben schwer machten. Sich offen ins Gesicht anlügen und dem anderen irgendwann früher oder später ein Messer in den Rücken bohrten. Mochte es mit Worten oder mit Taten gewesen sein. Er hatte auch gedacht, dass es mit Rene nicht anders war. Dass er genauso falsch und verbohrt war. Aber je länger er darüber nachdachte, schien er dabei ins Wanken zu geraten. Dass er seine Schwester retten wollte war der beste Beweis. Er erinnerte sich daran wie er ihm zum ersten Mal gegenüber getreten ist. Sah noch einmal die Entschlossenheit seine Schwester zu beschützen in den Augen. Der Junge hat nur so gehandelt wie jeder andere auch um einen geliebten Menschen zu beschützen, dachte er. Er hätte es ebenso getan. Wieso erwartete er also, dass Rene sich anders verhielt? Dass er es einfach so hinnehmen würde, dass seine Schwester geopfert wird? Mandariel schüttelte den Kopf. Über sich und seine Blindheit. Fragte sich dabei ob der Hass und der Zorn ihn wirklich so blind gemacht hat? Es musste so sein denn seine Mutter schien es schon längst gesehen zu haben. Trotz dass man ihr auch Unrecht getan hatte. Aber nun schien auch in ihm eine Wandlung vor zu gehen. Er spürte es deutlich. Tief in seinem Inneren. Es fühlte sich ein Tasten an. Tasten von feingliedrigen Fingern. Strichen über seinen Geist und seine Seele. Ließen beides erbeben wie der Wind die Zweige eines Baumes. Madariel wischte sich über das Gesicht. Wusste nicht, was von seinen Worten und seinen Gedanken halten soll. Konnte es wirklich sein, dass ein Junge aus dem Dorf es vermochte die dicke Eisschicht, die er um sich aufgebaut hatte, zum Schmelzen zu bringen. Verflucht und vertrieben aus Angst und vor Abscheu. Geboren in der kältesten Kälte. Ohne die Liebe kennengelernt zu haben und erfüllt von tiefstem Hass. Einsam und verbittert. Den Glauben an die Güte und Wärme verloren und wissend um das Schlechte, welches in den Menschen wohnt. Kann nur ein anderes Herz das welches zu Eis erstarrt ist und leblos im eisigen Körper steckt, erwärmen und es wieder schlagen lassen. Doch mit dem neu erwachten Herzschlag kommt Leid und Schmerz. Und der Tod! Mandariel versteifte sich als sich diese Prophezeiung wieder durch seine lange fast schon vergessene Erinnerung hervorgrub. Er wusste um die Bedeutung dieser und auch um die Gefahr, die die Erfüllung der Prophezeiung mit sich brachte. Ein kalter Schauer rann ihm über den Rücken hinunter. Und ein Gefühl, was er schon lange nicht mehr empfunden hatte, ergriff ihn. Angst! Sie lähmte ihn. Zwar für einen kurzen Moment aber dennoch deutlich zu spüren. Beißende Kälte verdrängte das Kribbeln. Mandariels Finger gruben sich tief in die Lehnen seines Sessels. Es kostete einige tiefe Atemzüge ehe die Kälte wieder von ihm abließ Ihre Krallen aus seiner Seele zog und ihn wie ausgezerrt zurück ließ. Zurück blieb ein eisiges Flüsterns, dass ihm zuraunte, sich in Acht zu nehmen. Es sich sehr genau zu überlegen. Und sich zu fragen, ob das richtig sei. Mandariel hatte nie befürchtet, dass die Prophezeiung sich bewahrheiten könnte. In all der Zeit hatte es nie den Hauch eines Verdachts gegeben. Nie hatte es einen Menschen gegeben, der ihm so nahe gekommen war. Rene war der erste und sich der einzige. Eine Tatsache, die nicht zu leugnen war und irgendwie wollte es Mandariel auch nicht. Sein Herz schlug dabei stärker. Hoffnung kam in ihm hoch. Vielleicht hatte seine Mutter Recht. Vielleicht war es wirklich an der Zeit, den Hass zu begraben? Die Zweifel, die vorher noch da waren, verblassten. Lösten sich auf wie der Nebel im warmen Sonnenschein. An ihrer breitete sich neben der Hoffnung auch Neugier aus. Es lockte ihn ein wenig. Wie das bekannte Spiel mit dem Feuer. Feuer! Des Eises größter Feind. Es wäre eigentlich vernünftiger davon Abstand zu nehmen. Sich weiterhin hinter der Maske der Distanz und Unnahbarkeit zu verstecken. Nur erschien es ihm falsch. Feige! Etwas was Mandariel verächtlich schnauben ließ. Dennoch wog er sorgfältig ab, was er tun oder wie er sich ansonsten verhalten soll. Vermutlich sollte er erstmal weiterhin die Rolle des kühlen Prinzen spielen, der nichts von dem offenbarte, was in ihm vorging. Und dabei beobachten wie Rene sich verhielt. Ja, das wäre das Beste, dachte er. Mal sehen was die Zukunft bringt! Mandariel war nicht der einzige, der grüblerisch vor sich hinschaute. Auch Rene ließ das Treffen nicht los. Es lag zwar nur wenige Augenblicke zurück aber Rene kam es wie eine Ewigkeit vor. Dennoch fühlte es sich so echt an. Dabei fragte sich Rene, was ihn geritten hatte. Wollte er wirklich, dass der Wolfsprinz ihn küsste? Woher dieser Wunsch? Hatte er den Verstand verloren? Sie beide waren Männer! Noch dazu war Mandariel… Rene hielt inne bei seinem inneren Konflikt. Er wollte schon den Satz beenden mit…er ist ein Dämon… Seltsamerweise erschien ihm der Wolfsprinz nicht mehr als Dämon wie zu Anfang. Als habe das Treffen die letzten Vorurteile wegewischt. Die Art wie er ihn angesehen und seine Wange berührt hatte. Kein Dämon würde so etwas tun. Sondern ein Mensch. Da fragte sich Rene wieder was in Mandariel wiederum gefahren war. War das Absicht? Oder war das ebenso etwas Unerwartetes wie Renes Wunsch nach einem Kuss des Wolfsprinzen? Rene kaute auf seiner Unterlippe herum und versuchte sich einen Reim darauf zu machen. Doch es gelang ihm nicht. Mandariel war dermaßen undurchschaubar und voller Widersprüche, dass es Rene nicht möglich war, daraus schlau zu werden. Rene stöhnte auf und rollte sich auf die Seite. Grub das Gesicht ins Kissen. Versuchte nicht mehr daran zu denken. Aber Mandariels Berührung an seiner Wange brannte so heiß wie kaltes Feuer. Eisfeuer! Wie von selbst wanderten seine Finger zu dem Mal, dass unter seiner Haut verborgen war und unter seinen Fingerspitzen zu brennen schien. Rene wollte nicht wissen wie weit es schon vorrangeschritten war. Es zeigte ihm wieviel Zeit ihm noch blieb. Etwas, was er zu ignorieren versuchte. Seufzend schloss er die Augen und sagte sich, dass es besser wäre sich darüber erstmal keine Gedanken zu machen und jetzt zu schlafen. Morgen wäre ein neuer Tag. Ein Tag, an dem er sehen würde was die Zukunft noch bringen würde. „Du willst das Dorf verlassen?“, fragte Flora Jaque als sie sich am nächsten Tag heimlich trafen und er ihr von seinen Plänen erzählt hatte. „Nicht ohne dich!“, verteidigte sich Jaque schnell, was Flora genauso wenig gefiel. Sie sah ihn mehr als skeptisch an. „Wie kommst du darauf?“, hakte sie dann nach. Jaque schaute etwas verlegen drein. „Das war eigentlich nicht meine Idee. Mein Vater wollte das so!“ „Und was soll aus deinem Vater und meiner Familie werden?“ In Floras Stimme war Sorge, Zweifel und Angst zu hören. Der Gedanke, dass sie ihre Familie hier zurückließ und wohl auch nie wieder sehen würde, ließ sie innerlich frösteln. Sie wollte sich nicht ausmalen, was mit ihnen passieren würde. Es reichte schon, dass sie um Renes Schicksal wusste. Jaque schien erstmal selbst zu überlegen. „Sobald der weiße Schleier vorbei und die Straßen frei sind, werden wir uns Richtung Westen aufmachen. Dort hat Vater einige Verwandte, die uns sicher aufnehmen und solange unterstützen bis wie auf eigenen Füßen stehen!“, sprach er beruhigend auf sie ein. Doch die Skepsis in ihren Augen blieb. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass das so leicht werden würde. „Und meinen Vater und deine Familie holen wir nach!“ Flora sah ihn nur an. Gerne wollte sie ihm glauben. Die Aussicht aus diesem Dorf zu verschwinden und ein neues Leben mit Jaque zu beginnen war äußerst verlockend und Flora wollte schon nachgeben. Doch da kam ihr eine grausige Erkenntnis, die diese verlockende Aussicht zertrümmerte. „Denkst du wirklich, dass der Wolfsprinz uns gehen lassen wird?“ Diese Frage hatte sich Jaque auch gestellt. Er glaubte kaum daran, dass sie so einfach das Dorf verlassen konnten. Zum einen waren da die Dörfler. Sicher würden sie alles tun um das zu verhindern. Nur warum? Sie können eigentlich nur froh sein, wenn sie verschwinden. Aber wer weiß schon was in deren Köpfen vorging. Er hatte aber schon eine Vorahnung, dass sie, sobald er und Flora im nächstgelegenen Dorf waren, üble Gerüchte durch die fahrenden Händler streuen würden. Haltet Euch vor einem schönen blonden Mädchen und einem jungen Schmied fern. Sie sind verflucht! Diese und noch andere üble Worte gingen ihm durch den Kopf. Wenn er sich so darüber Gedanken machte, schien ihm der Tod durch die Wölfe wesentlich gnädiger. Dennoch wollte er es versuchen. „Wir müssen es einfach wagen!“ „Was hast du dir nur dabei gedacht?“, herrschte Ramon seinen Sohn an. Ließ nun all seine Enttäuschung und seinen Missmut heraus, die er letzte Nacht noch zurück gehalten hatte. Rene saß auf einem Stuhl am Tisch und schaute wie ein kleiner schuldbewusster Junge auf das Holz der Tischplatte. Das Donnerwetter seines Vaters hätte er am liebsten übersprungen. Aber diesem aus dem Weg zu gehen war auch zwecklos. Da war sein Vater unerbittlich. Und es war immer besser sich diesem sofort aus zu setzen anstatt es hinaus zu zögern. Denn da würde es schlimmer werden. Rene hob die Schultern. Ramon schnaubte. „Sicher nichts!“ Er wandte sich kurz von seinem Sohn ab. Schüttelte den Kopf und murmelte vor sich hin. Dann drehte er sich wieder zu ihm um. „Was wolltest du im Wald? Wolltest du sterben?“7 Rene merkte wie ihm das Blut aus dem Gesicht wich. Er schüttelte den Kopf. „Was dann?“, hakte Ramon nach und sah ihn nun besorgt an. „Ich wollte mir nur die Beine vertreten!“, sagte er matt. „Und habe dabei die Zeit vergessen!“ Dabei schaute er seinen Vater an. Legte alle Wahrheit darin, die er hatte. Ramon sah seinen Sohn lange und schweigend an. Zweifel war deutlich in seinen dunklen Augen zu sehen. Rene schluckte und wich dann seinem Blick wieder aus. „Tut mir leid!“ Ramon schwieg. Lange. Und endlich und qualvoll lange und Rene fürchtete schon, dass er sich eine besondere Strafe für ihn ausdachte. Da hörte ihn seufzen und zuckte dabei etwas zusammen. Ließ sich dann seinem Sohn gegenüber auf den anderen Stuhl niedersinken und wischte sich das Gesicht. Erschöpfung und auch Erleichterung zeigte sich darauf. Schon gut. Dieses Mal ist nichts passiert. Aber tu das nie wieder. Verstanden!“ Rene nickte. Elsa und Ramon gingen in die Bäckerei um den Teig für neue Brote vor zu bereiten. Rene, Flora und Martha saßen in der Stube und schwiegen. Martha bestickte gerade ein Tuch. Begann dann zu summen, weil sie die Stille nicht mehr ertragen konnte. Doch ihr Gesicht war konzentriert und schaute gelegentlich dabei zu ihren Enkelkindern, die wiederum ins Leere schauten. Sah ihnen an, dass ihnen etwas auf der Seele brannte. Flora schien es jedoch mehr zu belasten. „Was hast du, Flora?“, fragte sie und legte die Stickerei beiseite. Flora schien sie gar nicht gehört zu haben. Dann aber wandte sie sich um und schaute sie an als sie aus einem Traum erwacht. Sie blinzelte etwas und Rene glaubte, dass ihre Augen nass schimmerten. Sind das Tränen? „Jaque will das ich mit ihm fortgehe!“, sagte sie mit brüchiger Stimme. Renes Augen wurden groß. Martha schien das nicht zu überraschen. Sie nickte. „Und wirst du mit ihm gehen?“ Flora hob die Schultern. „Ich sagte, dass ich es mir nochmal überlegen muss!“, erwiderte sie. „Was gibt es da zu überlegen? Geh mit ihm und werde woanders glücklich! Meinen Segen hast du“, sagte Martha. „Aber was wird aus Euch?“, fragte Flora dann und schaute zu Rene. Dieser erwiderte ihren hilflosen Blick. „Wir werden schon zurechtkommen. Mach dir deswegen keine Sorgen!“ Flora sah sie traurig an. Dann schaute sie wieder zu Rene. Ihr wurde das Herz schwer. Auch Rene hatte bedenken. Und auch wenn er wusste, dass es egoistisch von ihm war: So wollte er nicht, dass sie ging. Aber er musste auch Martha Recht geben. Wo anders hatte sie ein besseres Leben als hier. Das überwog natürlich seinen Wunsch, dass sie Jaques Bitte abschlug und sah sie fest an. Großmutter hat Recht. Mach dir keine Sorgen, versicherte er ihr mit seinen Blicken. Flora presste die Lippen aufeinander. Wenig später saß sie draußen. Rene gesellte sich zu ihr. „Hast du es schon unseren Eltern gesagt?“, fragte er. Flora schüttelte den Kopf. „Ich fürchte mich davor, es ihnen bei zu bringen!“ „Irgendwann musst du es ihnen sagen!“, rief er ihr ins Gewissen. Flora schwieg. „Flora!“, kam es von Rene warnend. „Du wirst es ihnen doch sagen, wenn du gehst?“ „Natürlich sage ich es ihnen. Was denkst du denn von mir?“, schnaubte sie bissig. „Was hast du eigentlich gestern im Wald gemacht?“ Rene stöhnte innerlich auf. Als ob es nicht schon reichte, es seinem Vater zu erklären. Warum ritt Flora nun auch darauf herum? Obwohl Rene eigentlich nicht gewillt war, es ihr zu sagen, tat er es dennoch. Denn sonst würde sie keine Ruhe geben. „Ich weiß auch nicht. Aber es zog mich einfach in diesen Wald!“, erklärte er lahm und blickte dabei auf die Bäume. Raureif überzog diese. Flora runzelte die Stirn. „So wie damals? Als du das erste Mal in den Wald gegangen bist?“ Rene nickte. Anders konnte er es sich nicht erklären. „Hat der Wolfsprinz etwa…?“ „Nein. Ich weiß auch nicht, was mich in diesen Wald gezogen hat. Aber der Wolfsprinz war es nicht!“ Zumindest nicht dieses Mal, dachte er. Flora legte den Kopf an seine Schulter. „Mach das jedenfalls nie wieder, ja?“, bat sie ihn dann mit leiser Stimme. Rene schloss die Augen. Nickte dann wieder. Wobei er sich wie ein Schwindler vorkam. Die Bitte, die der Wolfsprinz an ihn hatte, kam ihm wieder in den Sinn. Bisher hatte er ihn noch nie um was gebeten. Das war das erste Mal und brachte Rene ins Grübeln. War das ein Versuch seinerseites ihn wiederum kennen zu lernen? Hatte auch seine Mutter ihm ins Gewissen geredet? Rene merkte, wie sich neben der Verwirrung auch Neugier mischte und auch dann überwog. Ein Teil von ihm brannte darauf der Wahrheit auf den Grund zu gehen und konnte es gar nicht erwarten, dass die Sonne bald unterging und er zu ihm zurückging. Dennoch ermahnte er sich zur Vorsicht. Er muss warten bis alle tief und fest schliefen. Wie als wenn die Sonne ihn hinhalten wollte, schien sie kaum unter zu gehen. Rene wurde von einer noch nie erlebten Unruhe ergriffen. Immer wieder schaute er aus dem Fenster und fluchte. Nun geh schon unter, sagte er finster. War dabei erstaunt, dass er so redete. Wieso war er so erpicht, dass er ihn wieder sah? Rene war über sich selbst verwundert. Schob das aber auf die Neugier. Versuchte ruhiger zu werden. Irgendwann ging die Sonne unter und die Nacht senkte sich über das Dorf. Rene gab vor sich wie seine Familie schlafen zu legen. Saß jedoch angezogen im Bett und lauschte angestrengt. Es dauerte eine Ewigkeit, ehe er keinen Mucks mehr hörte und sich daher sicher sein konnte, dass nun alle schliefen. Um aber nicht doch erwischt zu werden, öffnete er leise die Tür und schlich sich auf Zehenspitzen auf den Flur. Hielt dann immer inne und lauschte sobald er an den Schlafzimmertüren seiner Eltern und seiner Schwester vorbei kam und atmete erleichtert auf, als er hörte, dass sie noch schliefen. Als er unten in der Stube war, schaute er zu seiner Großmutter, die auf dem provisorischen Bett schlief. Erleichtert lief er die letzte Schritte, öffnete die Hintertür und schlüpfte hinaus. Als er draußen war, merkte er wie die Anspannung von ihm abfiel. Ein aufatmen stahl sich von seinem Lippen und er machte sich sogleich auf den Weg. Unnötig zu erwähnen dass Nima auf ihn wartete, ging er mit ihr hinein. Die Wölfin schien aus irgendeinem Grund aufgeregt zu sein. Immer wieder warf sie Rene verstohlene Blicke zu. Er merkte das natürlich und sah sie fragend an. „Ist irgendwas?“, fragte er und versuchte so beiläufig wie möglich zu klingen. Nima blieb stehen. Sah ihn lange an und wirkte etwas betreten. „Seit du…letzte Naht da warst…ist der Herr irgendwie seltsam!“, kam es von ihr und er glaubte eine Spur von Sorge zu hören. In Renes Magen machte sich Kälte breit. „In wie fern seltsam?“, fragte er nach. „Nun ja…!“, kam es zögernd von ihr. „Er ist in sich gekehrt und scheint nicht ganz bei sich zu sein!“, erklärte sie. Rene kam ein vager Verdacht. Konnte es wegen seinem Wunsch für einen Kuss liegen? In Rene reifte das Bedürfnis so schnell wie möglich zu ihm zu gehen. Hielt sich aber zurück. „Sicher ist es nichts!“, versuchte er sie zu beruhigen. Ging dann mit ihr weiter. Als sie ihn in den Raum gebracht hatte, der ihm schon vertraut war, verabschiedete sie sich und verließ ihn. Gerne hätte er gewollt, dass sie noch ein wenig bei ihm blieb. Er kam sich seltsamerweise verloren vor. Verloren mit seinen Gedanken, die den Wolfsprinzen betreffen. Die gleichen Fragen stürzten wieder auf ihn ein und ließen ihn nicht mehr los. In diesen versunken saß er da und schaute in die Flammen des Kamins. Es dauerte lange, ehe er wie durch Watte gefiltert hörte, dass sich die Tür öffnete, Schritte erklangen und die Tür sich wieder schloss. Er schaute auf. Mandariel stand da. Verharrte an Ort und Stelle als zögere er sich ihm zu nähern. „Sicher wundert es dich, dass ich dich um dieses Treffen bat?“, kam es dann mit einem schwachen Lächeln. Rene nickte. Sagte nach einigen Atemzügen:„ Nun ja…bisher war es auch Eure Frau Mutter, die darum gebeten hatte!“ Mandariels Lächeln wurde kurz breiter. Setzt sich dann neben ihn. Achtete dabei aber darauf einen armlangen Abstand zwischen sich zu halten. Schweigen legte sich über sie. Und Rene zermürbte dies. Es war die Art vom Schweigen, in der man sich langsam aber sicher unwohl fühlte. In der man das Bedürfnis hatte, dieses durch irgendwas zu durchbrechen. Irgendwann hielt es Rene nicht mehr aus. „Wie meintet Ihr das? Dass Ihr nicht aus mir schlau werdet?“ Mandariel schien noch ganz in seinen eigenen Gedanken gewesen zu sein. Dann aber wandte er sich an ihm. Erneut trafen sich ihre Blicke und Rene glaubte in seinen Augen zu versinken. Er konnte förmlich spüren, wie sie ihn in ihren Bann zogen. Schnell schaute er weg. Denn er wusste, wenn er noch Länge in diese Augen schauen würde, würde er sicher wieder was Dummes tun. Wie nach einem Kuss bitten. Ein Stich durchdrang sein Herz. Was ist daran so dumm, zischte eine Stimme, die er aber schnell wieder zum Schweigen brachte. Mandariel sah ihn aber weiterhin an. Das konnte er spüren. Dann holte er tief Luft. „Nun…auf der einen Seite scheinst du mich wie die anderen zu verachten. Aber manchmal habe ich den Eindruck, als wolltest du hinter der Fassade des Dämons schauen und den Menschen sehen, der sich in diesem verbirgt!“ Rene schwieg. „Wünscht Ihr Euch das nicht?“, fragte er leise und senkte die Augen nieder. Versuchte dabei das Glühen in seinen Wangen zu ignorieren. „Wie kommst du darauf?“ Die Stimme des Wolfsprinzen klang kühl und unbeteiligt. Wieder spürte Rene einen Stich in seiner Brust. „Ich…meine Großmutter sagt, dass niemand von Geburt an böse ist. Erst durch das, was man ihm antut, wird man zu dem…!“ Mandariel ließ diese Worte lange auf sich wirken, dann nickte er. „Eine weiße Frau!“ „Bist du etwa auch dieser Meinung?“, fragte er nun und sah Rene erwartend an. Rene hob die Schultern. „Ein Versuch ist es doch wert!“ „Und was wenn du dich dabei irrst? Wenn ich wirklich das bin, was du zuerst dachtest?“ Nun klang seine Stimme irgendwie lauernd und Rene schauderte. Dennoch nahm er all seinen Mut zusammen. „Dann…dann habe ich es zumindest versucht!“ Mandariel sagte nichts, sondern schaute nur vor sich hin. Dann sah er ihn an. Hatte wieder diesen nicht zu deutenden Blick. Schien in seinem Gesicht lesen zu wollen. Rene merkte wie ihm das Herz bis zum Hals schlug und seine Wangen zu glühen begannen. Und so sehr er sich auch bemühte den Blick ab zu wenden, er konnte es nicht. „Was…warum seht Ihr mich so an?“ „Ich versuche nur dich zu verstehen!“, sagte er und stützte das Gesicht mit der Hand ab. Rene fühlte sich etwas verlegen berührt. Er hatte das Gefühl als ob er in seine Seele blicken wollte. Endlich und nur mit Mühe schaffte er es den Blick von ihm zu lösen. Suchend und in der Hoffnung irgendwie sich ab zu lenken schaute er um sich und entdeckte in einer Ecke einen Tisch mit zwei bequemen Stühlen. Auf dem Tisch lag ein Spielbrett mit geschnitzten Figuren. Rene stand auf und ging darauf zu um es sich mit gespielter Neugier an zu sehen. Trotz dass er ihm den Rücken zugewandt hatte, spürte er die Blicke Mandariels in seinem Rücken. Das Brettspiel erkannte er sofort. Es war ein Schachbrett! Rene betrachtete es eingehend. Die Figuren sowohl die schwarzen und weißen waren mit einer Fertigkeit geschnitzt waren, die er selbst bei den Tischlern und Spielemachern noch nicht gesehen hatte. Er nahm eine von ihnen, den König, auf und sah sie sich genauer an. Jeder Einzelheit war perfekt ausgearbeitet und verlieh der Figur so etwas wie Leben. Rene meinte, dass sie ihm gleich zuzwinkern würde. „Ist dir dieses Spiel vertraut?“, fragte plötzlich der Wolfsprinz, der hinter ihm stand. Rene machte einen Satz zur Seite und sah ihn erschrocken an. Er hatte nicht gehört, wie er hinter ihn getreten war. Sein Kopf war wie leer gefegt, sodass er ihn einfach nur anschaute. Dann nickte er hastig. Er selbst hatte nie gespielt. Aber als sein Großvater noch gelebt hatte, hatte er ihn oft dabei zu geschaut. Mandariel schien kurz zu überlegen. Dann wies er auf den Schachtisch. „Magst du eine mit mir eine Partie spielen?“ Wie durch Watte hörte er seine Frage, nickte wie betäubt. Fragte sich, was mit ihm los war. Fing sich dann aber nach und nach wieder. Dann nahm er Platz. Erstaunt sah er, dass er die weißen Figuren hatte. Mandariel die schwarzen. Demnach hatte Rene den ersten Zug. Ein wenig ratlos und über sich selbst schimpfend weil er eigentlich nichts über dieses Spiel wusste, schaute er auf die Figuren und überlegte welche der Figuren er zuerst auf das Feld schicken sollte. Mandariel sah ihm dabei zu und musste fast schon ein wenig lächeln als er die tiefen Falten auf Renes junger Stirn. Dennoch sagte er nichts. Drängte ihn auch nicht. Sondern beobachtete ihn einfach nur. Rene war sich dessen bewusst und ärgerte sich. Jetzt mach doch endlich, du Idiot, fuhr er sich an. Nahm dann eine der Figuren und stellte sie einfach ohne zu überlegen aufs Feld. Mandariels Brauen hoben sich, dann erwiderte er seinen Zug. Schon bald erkannte Rene, dass er überhaupt keine Ahnung von Schach hatte. Immer wieder nahm Mandariel eine seiner Figuren, sodass er selbst kaum noch welche hatte. Und irgendwann sagte Mandariel:„ Schach Matt!“ Renes Kopf sank ihm auf die Brust. „Das war so klar!“, sagte er bitter. „Es ist wohl etwas her als du gespielt hast!“, kam es von Mandariel ein wenig amüsiert. Rene verzog das Gedicht. „Möchtest du eine Revanche?“ Rene überlegte. Eine Revanche und sich dann noch mal die Blöße geben, fragte er sich. Und obwohl sich sein Stolz sträubte, stimmte er zu. Dieses Mal achtete er darauf, nicht wieder den gleichen Fehler zu machen. Und so dauerte es etwas länger ehe Mandariel auch diese Partie gewann. Mit einem geheimnisvollen Lächeln lehnte er sich zurück. „Dieses Mal warst du vorsichtiger!“, bemerkte er dann anerkennend. „Ich wollte eben nicht die gleichen Fehler machen!“, gab Rene kleinlaut zu. „Sehr klug. Aber manche Fehler kann man nur einmal machen!“, sagte Mandariel trocken. Rene sah sofort den Wolf, der ihn zu Boden gerissen hatte und ihm die Kehle durchbeißen wollte. Noch jetzt spürte er den heißen Atem des Tieres und sah die kalte Entschlossenheit in seinen Augen. Unwillkürlich glitten seine Finger zu seiner Kehle und er schluckte. Mandariel sah was Rene gerade durch den Kopf ging. „Habt…Habt Ihr schon mal einen Fehler begangen?“, fragte Rene dann erstickt. „Nein!“, kam es prompt von Mandariel und Rene sah wie vor dem Kopf gestoßen an. „Bisher war noch nicht der Fall eingetreten, indem mich hinreißen ließ und einen Fehler beging!“, erklärte er dann sachlich. Rene presste die Lippen aufeinander. Kurz spürte er einen Anflug von Ärger in sich hochkommen. Kein Mensch war perfekt. Jeder machte mal den einen oder anderen Fehler. „Wollt Ihr damit sagen, dass Ihr immer wisst, was Ihr tut?“, fragte er dann nach einer Weile. Mandariel holte tief Luft. „Das muss ich. Denn wenn ich mich zu irgendwelchen Dummheiten hinreißen lassen würde, würde ich damit mein Rudel in Gefahr bringen!“ Das leuchtete Rene ein. Dennoch war es für ihn irgendwie befremdlich, dass Mandariel fehlerlos sein sollte. Es wollte ihm einfach nicht in den Kopf gehen. „Aber dennoch seid Ihr ein Mensch…!“, sagte er hohl. Mandariels Mundwinkel zuckten kurz nach oben. „Ja…aber…das heißt nicht, dass ich einen Freibrief habe um Fehler zu machen!“ Etwas melancholisches war in seiner Stimme zu hören und Rene verspürte es auch. Es ließ sein Herz schwer werden. Ihm ging es durch den Kopf, dass der Wolfsprinz gefangen war. Gefangen in seiner Pflicht als Herr und auch Beschützer der Wölfe. Er erinnerte sich was Nima gesagt hatte, wie die Wölfe erschaffen wurden. Aus Eis und Wind werden sie geformt. Mit einem eigenen Bewusstsein und einem freien Willen. Und dennoch mit einander verbunden. Wie eine Familie! Und er war das Oberhaupt. War es daher verwunderlich, dass er sich so verhielt. Dabei fragte sich Rene, ob er sich jemals verliebt hatte. Oder zumindest für jemanden geschwärmt hatte. Rene konnte sich nicht vorstellen, dass dem nicht so war. „Und wie würdet Ihr es nennen, wenn Ihr Euch verliebt?“, hörte er sich auf einmal selbst fragen und merkte, wie ihm die Röte ins Gesicht schoss. Mandariel blinzelte etwas erstaunt, dann aber umspielte ein geheimnisvolles Lächeln seine Lippen. „Bis jetzt ist mir noch nicht die Person begegnet, in die ich mich verlieben könnte!“, war seine Antwort. Diese Worte brachten in Rene etwas zum Klingen. Unbewusst stieg so etwas wie Hoffnung in ihm hoch. Doch er unterdrückte sie schnell wieder, kaum dass sie da war. Fragte sich dabei was und warum diese Hoffnung heraufbeschworen wurde. Dennoch blieb ein Echo davon. Ein wenig nervös und verlegen rutschte er auf dem Stuhl herum. „Wie müsste diese Person sein? In die Ihr Euch verlieben könntet?“ „Darum habe ich mir noch keine Gedanken gemacht!“, gab Mandariel zu. Seine Antwort hatten etwas ernüchterndes. Und Rene glaubte ihm. Wie einsam muss er sich in Wahrheit fühlen, schoss es ihm durch den Kopf. „Das ist auch nicht weiter wichtig. Ich bezweifle sehr, dass ich diese Person jemals treffen werde. Von dem Männer werde ich gehasst und von den Frauen gefürchtet!“ Ein Schatten legte sich über Mandariels Gesicht. Sein Blick ging ins Leere, als er suche nach etwas, was er niemals finden wird. Gerne wollte ihm Rene wiedersprechen, doch seine Zunge schien an seinem Gaumen zu kleben, sodass kein Laut aus ihm kam. Außerdem wusste er, dass Mandariel die Wahrheit sagte. Außer den Wölfen und seiner Mutter, schien er wirklich von niemandem geliebt zu werden. „Und das macht Euch nichts aus?“, fragte er mit brüchiger Stimme. Im hintersten Teil seines Verstandes hörte er seine Vernunft ihn fragen, wieso er auf einmal sowas aussprach oder darüber nachdachte. Rene wusste es selbst nicht. Versuchte aber auch nicht länger darüber nach zu denken. Redete sich ein, dass es wohl an Mitleid liegen mochte. Mitleid? Wieso bemitleidete er ihn? Rene begriff einfach nicht. Mandariel, ebenso erstaunt über seine Worte, schloss kurz seine Augen, seufzte und stand dann auf. Er umrundete den Tisch und stellte sich neben Rene. „Gib mir deine Hand!“, sagte er. Rene zögerte kurz, doch dann gab er sie ihm. Und zu seiner Überraschung, schob er sie unter sein Hemd und drückte sie auf seine nackte Brust. Rene sog scharf die Luft ein als seine Finger die kalte glatte Haut berührten. Sein Herz setzte einen Schlag aus und raste dann umso mehr. Mandariel beobachtete ihn sehr genau. Sah das Staunen in seinen Augen und musste fast lächeln. Er verhält sich wie eine Jungfrau, dachte er und schob dann Renes Hand dann zu der Stellte, wo sein Herz saß. Mandariel merkte dabei, wie sich dort eine Gänsehaut bildete, wo er Rene Hand entlang führte. Und sich dann ausbreitete als sie über seinem Herzen verharrte. Mandariel war erstaunt, wie weich sich Renes Hände anfühlten. Für einen kurzen aber dennoch intensiven Moment ließ er diese Berührung auf sich wirken, kostete sie aus. Dann aber sagte er sich, ruhig zu bleiben und sich davon nicht aus der Fassung bringen zu lassen. „Was fühlst du?“, fragte er mit dumpfer Stimme. Rene blinzelte und sah ihn an als würde er seine Worte nicht verstehen. Dann aber hob er die Schultern. „Nichts!“, sagte er. „Was sollte ich denn fühlen?“ Mandariel schnaubte, ließ dann Renes Hand los und sie fiel schlaff hinunter. „Genau das. Nichts!“, sagte er dann finster. Trat dann einen Schritt zurück und sah ihn kalt an. „Du musst wissen, dass mein Herz schon lange zu Eis erstarrte. Es schlägt zwar, aber…es ist dennoch aus Eis. Und es gibt nichts, was dieses Eis zum zerschmelzen bringen würde!“ Rene lief es kalt den Rücken hinunter. „Ist es zu Eis erstarrt als man Euren Vater ermordete?“ Eigentlich hatte er nicht diese Frage stellen wollten, aber sie war ihm einfach herausgerutscht. Das nahende Unheil, was nun spürbar in der Luft hing, schien ihm die Lungen zusammen zu pressen. Instinktiv machte er sich darauf gefasst von Mandariels wütenden Worten überrollt zu werden. Er konnte sich gut vorstellen, dass es eine ziemlich persönliche Sache war. Etwas worüber er nicht gerne sprechen oder gar erinnert werden wollte. Mandariels Kiefermuskeln zuckten und kurz wurde sein Blick finster. Dann ließ er seine Hand los. „Ich glaube, du kennst die Antwort!“, sagte er. Sah hinaus aus dem Fenster. „Du solltest gehen. Die Sonne geht bald auf!“ Seine Worte waren so nüchtern und ohne irgendein Gefühl, dass es Rene einen Stich gab. Dennoch wiedersprach er nicht und stand auf. Noch immer meinte Mandariel die Hand Renes auf seiner Brust zu spüren. Und es kostete ihn einiges an Kraft um sein Herz nicht wie wild galoppieren zu lassen. Sein Vorsatz, erstmal sich zurück zu halten und das Ganze als eine Art Experiment zu sehen, schien wie in weiter Ferne gerückt zu sein. Und er fragte sich, was er da getan hatte. Wieso hatte er ihn berühren lassen? Was erhoffte er sich davon? War es die Neugier auf Renes Reaktion? Oder der insgeheime kindische Wunsch, dass Rene es vermochte sein Herz doch noch irgendwie zum Schlagen zu bringen? Mit einer einfachen Berührung seiner Hand? Kurz legte sich ein spöttisches Lächeln über seine Lippen. Doch das verschwand wieder und er schaute nachdenklich drein. Geistesabwesend legte er seine Hand an die Stelle, wo Renes Hand ihn berührt hatte. Unter seinen Fingerkuppen meinte er ein Prickeln zu spüren. Und es lief ihm den Rücken hinunter. Scharf sog er die Luft ein und schloss die Augen. Ließ sich in den Stuhl zusammensinken und strich dann mit der Hand weiter über seine Brust. Stellte sich vor, dass es Rene wäre. Sah ihn förmlich vor sich, wie er ihn anblickte. Mit diesem verlegenen Ausdruck in den Augen. Ein wohliges Schaudern kroch seinem Rücken hinunter und ließ ihn zittern. Fragte sich erneut wie es ein einfacher Junge aus dem Dorf schaffen konnte, ihn so zu beeinflussen. Es war als würde Rene irgendwie die harte Schale, die er um sich aufgebaut hatte, zum Brechen bringen. „Mir gefällt nicht, wie die Dinge sich entwickeln!“, hörte er eine ihm vertraute Stimme und lächelte bitter. Ardou stand neben ihm und sah Mandariel mit einer Mischung aus Sorge und Missfallen an. „Mir auch nicht, alter Freund!“ „Wieso dann treibt Ihr weiterhin dieses Spiel? Anstatt diesen Jungen zu töten?“ „Vielleicht weil es mich irgendwie reizt, mir selbst was vor zu machen!“, kam es von Mandariel und klang müde. Das war er auch. Er war es müde, mit Ardou immer wieder über dieses eine leidige Thema zu diskutieren. Ardou schnaubte abfällig. „Weil es Euch reizt!“, grollte er vor sich hin. Setzte sich dann an den Tisch, auf dem noch die Schachfiguren standen und schaute mit einem finsteren Blick auf diese. Schüttelte dann den Kopf. „Wisst Ihr eigentlich, dass Ihr meine Aufgabe mit dieser Unvernunft alles andere als leicht macht!“, sagte er dann. „Mich ständig zu bemuttern und mir auf die Nerven zu gehen, nennst du eine Aufgabe?“, fragte Mandariel und verzog dabei die Lippen zu einem schiefen Lächeln. Ardou schnaubte erneut und verdrehte die Augen. „Ihr wisst ganz genau, was meine Aufgabe ist!“ Mandariel seufzte. „Ja. Das weiß ich. Aber ich frage mich, ob du es nicht ein wenig übertreibst!“, sagte er dann. „Mein Leben zu schützen, ist eine Sache. Aber so zu tun als sei ich noch grün hinter den Ohren, ist wirklich lächerlich!“ „Das ist es nicht!“, rief Ardou nun und wischte mit seiner Hand die Figuren vom Tisch hinunter. Die Ruhe und die Gleichgültigkeit seines Herren machte ihn rasend. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er diesem Jungen sofort die Kehle durchgebissen. Einzig der Befehl seines Herrn und die Loyalität, die er ihm gegenüber zollte, hielten ihn davon ab. Aber Ardou verlor langsam die Geduld. „Denkt Ihr wirklich, dass ich zusehen werde, wie Ihr in Euer Verderben lauft. Nur wegen einem nichtsnutzigen Dorfjungen!“ Mandariel sah ihn nur an, dann erhob er sich. Sah Ardou an. Ruhig und mit festem Blick. Er empfand weder Ärger noch Empörung über den Ausbruch seines Untergegebenen. Denn trotz seiner ungehaltenen Worten und dem Ton, den er ihm gegenüber anschlug, sah Mandariel, was wirklich dahinter steckte. Und als er ihn noch genauer anschaute sah er den Schmerz und die Wut in den Augen Ardous. Wut über sich selbst. Wie brüderlich legte er die Hand auf Ardous Schulter und sah ihn ernst an. „Das verlange ich nicht von dir. Aber ich verlange auch nicht, dass du dich mit deiner Aufgabe bestrafst. Oder vielmehr mit dem, an dem du glaubst Schuld zu sein!“, sagte er. Ardou presste die Lippen aufeinander, sodass sie zu einem schmalen Strich wurden. „Das hat damit nichts zu tun!“, stieß er zwischen den Zähnen hervor. „Ich denke schon. Hör endlich auf, grundlos dir die Schuld an dem zu geben, was so lange zurück liegt!“ Mandariels Stimme hatte nun einen weichen, bittenden Ton angenommen. „Ich kann es mir nicht länger mit ansehen, Bruder!“ Kapitel 17: Ein Hauch von Frieden --------------------------------- Wie immer wenn er vom Wolfsprinzen zurückkehrte, konnte Rene nicht einschlafen. Zumindest nicht sofort. Es hatte etwas Befremdliches. Und es schien immer stärker zu werden. Eigentlich sollte es ihm Sorge bereiten. Aber dies lag schon lange hinter ihm. Jetzt hatte er das stille Bedürfnis mehr über den Mann zu erfahren, der sich hinter dem Monster verbarg. Ein Mann, der bisher die Liebe noch nicht kennen gelernt hatte. Wie müsste diese Person sein? In die Ihr Euch verlieben könntet? Darum habe ich mir noch keine Gedanken gemacht! Das ist auch nicht weiter wichtig. Ich bezweifle sehr, dass ich diese Person jemals treffen werde. Von den Männer werde ich gehasst und von den Frauen gefürchtet! Rene merkte wieder diesen Stich in seinem Herzen. Jetzt, wo er so darüber nachdachte, fielen ihm tausend Dinge ein, die er gerne gesagt hätte. So etwas wie: Ich fürchte Euch nicht. Vielleicht habt Ihr diesen jemanden schon längst gefunden? Was wenn ich dieser jemand wäre? Dabei merkte er wie ihm ein seltsames Kribbeln durch den Körper rann. Wie das Tropfen von tausend Regenperlen auf nackter Haut. Rene schauderte etwas. Es war jedoch kein beunruhigendes Schauern. Eher eines was einem vor dem Enthüllen eines Geheimnis ergriff. Oder vor dem was noch kommen könnte. Das Unerwartete. Und es hatte etwas Reizvolles. Verlockendes. Die Stimme, die ihn schollt und ihn als leichtsinnig beschimpfte und fragte, ob er den Verstand verloren hatte, schien gegen dieses kaum an zu kommen. War nicht mehr als ein leises Flüstern. Rene hob die Hand, die vor kurzem noch auf der Brust des Wolfsprinzen gelegen hatte und betrachtete sie nachsinnend. Sein Herz schlug schneller. Meinte wieder die Haut Mandariels unter seinen Fingern zu spüren. Kalt und glatt, wie die Oberfläche einer Marmorstatue. Kalt wie Stein. Und doch konnte er deutlich die Wärme darunter spüren. Das Schlagen eines Herzens. Er irrt sich, dachte er. Sein Herz ist nicht aus Eis. Wenn es aus Eis wäre, würde es nicht schlagen. Er ist so in seinem Hass auf die Dörfler versteift, dass er selbst nicht weiß, was er da eigentlich da redet. Nur wie sollte Rene ihn davon überzeugen. Obwohl er ihm eine andere nicht ganz so bedrohliche Seite gezeigt hatte, hatte Rene immer noch den Eindruck, als ob weiterhin eine Mauer aus Eis zwischen ihnen bestünde. Sie ein zu reißen schien unmöglich zu sein. Dennoch wollte Rene es versuchen. Es war wie ein Drang. Ein Drang, der ihn noch lange beschäftigte und kein Auge zutun ließ. Am liebsten wäre Flora im Bett liegen geblieben. Denn auch wenn sie sich vorgenommen hatte, ihren Eltern nichts von ihrer Flucht mit Jaque zu erzählen, lag diese Last schwer auf ihrer Seele. Sie wusste nicht, wie sie Ihnen in die Augen schauen und auf unschuldig machen sollte. Es dauerte lange, ehe sie sich doch durchringen konnte, auf zu stehen. Schleppend und mit einer Sauerteigmiene zog sie sich an und stieg die Stufen zur Stube hinunter. Als ihre Eltern, ihre Großmutter und Rene sie sahen, merkten sie sofort, dass etwas mit ihr nicht stimmte. Was musste sie für einen Anblick bieten. Flora wich ihren Blicken aus. Ohne ein Wort zu sagen, setzte sie sich an den Tisch und goss sich Milch ein. Im schwer wiegendem Schweigen nahmen sie ihr Frühstück zu sich. Rene warf hin und wieder verstohlene Blicke zu seiner Schwester. Als sie es bemerkte, wurde ihr Blick finster. Denn sie wusste, was ihm gerade durch den Kopf ging. „Du musst es Ihnen sagen!“ „Ich sage es, wenn der richtige Moment gekommen ist!“, erwiderte sie sogleich mit ihren Blicken. Martha merkte, dass zwischen den Geschwistern ein stiller Streit von statten ging. Dennoch schwieg sie. Auch wenn es ihr zu wider war, ihre Tochter und ihrem Schwiegersohn ins Gesicht zu lügen und so zu tun als sei nichts. Aber sie war der Meinung, dass Flora alt genug war, um ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Und dass sie sich da raushalten sollte. Wenn das Ganze in eine andere verkehrte Richtung geht, kann sie immer noch einschreiten und ihrer Enkelin zur Seite stehen. Irgendwann hielt es Rene nicht mehr aus. Er hatte das Gefühl zu ersticken, wenn er noch länger im Haus blieb. So dick war die Luft, dass man sie beinahe schon schneiden konnte. Also beschloss er sich ein wenig die Beine zu vertreten. Dabei versuchte er auf andere Gedanken zu kommen. Die Blicke der Dorfbewohner und ihre hinter der Hand geflüsterten Gemeinheiten, schien er nicht zu hören. Es kümmerte ihn auch nicht mehr wirklich. Diese Leute würden niemals ihre Meinung oder ihr Verhalten ihm und seiner Familie gegenüber ändern. Sie waren so sehr in ihren Groll festgefahren, dass nicht mal sein Tod sie umstimmen würde. Sicher würden sie sogar auf seinem Grab tanzen und Freudenlieder anstimmen. Ihm wurde übel dabei und drängte diesen makabren Gedanken beiseite. Wünschte sich hierbei aber wieder, dass all diese Heuchler von einer eisigen Lawine aus Schnee und Eis begraben werden. Plötzlich merkte er einen heftigen Stich in seinem linken und er verzog das Gesicht. Umfasste ihn mit der Hand seines anderen Armes. Er blieb stehen. Wartete bis der Schmerz abebbte. Er brauchte sich nicht zu fragen woher der Schmerz kam. Das Brandmal! Aus einem ihm unbegreiflichen Grund meldete es sich plötzlich mit solch einer Intensität, wie er sie noch nie gespürt hatte. Dabei hatte er es immer kaum bemerkt. Es war wie ein schleichendes Gift. Es war das erste Mal, dass es so schmerzte. Und Rene fragte sich warum. Wollte ihm das Brandmal irgendwas sagen? Ihn daran erinnern, was er schon längst vergessen hatte? Oder wollte es ihm bewusst machen, dass er sich gerade nicht besser verhielt als die anderen? Rene kroch es den Rücken hinauf bis in den Nacken und ließ ihn schauern. Schnell verdrängte er die düsteren Gedanken, damit das Mal ihn nicht nochmal schmerzte. Setzte dann seinen Weg fort und sah aus dem Augenwinkel etwas Großes. Er schaute hin und sah das Rathaus. Sofort zog sich sein Innerstes zusammen. Wieder sah er das Wolfsfell an der Wand hängen, das mal einst dem Vater vom Mandariel gehört hatte. Er wollte es eigentlich nicht, aber deutlich sah er vor sich, wie sie Mandariels Vater töteten und sein Fell abziehen. Konnte das warme Blut reichen, welches in den Schnee sickerte und die Muskeln und das Fleisch sehen, dass darunter zum Vorschein kam. Den Triumph in den Gesichtern, der Männer die diese widerliche Tat vollbracht hatten. Konnte ihre Beglückwünsche hören und die Freude darin, dass sie diesen Dämon endlich dem garaus gemacht hatten. Ekel und Wut ballten sich wie ein Ball in ihm zusammen. Wurden immer größer und es fiel ihm schwer, nicht in Richtung des Rathauses zu spucken. Jetzt wo er wusste woher und aus welchem Grund das Wolfsfell an die Wand gehängt wurde, gelangte er mehr und mehr zu der Erkenntnis, dass an Mandariels Worte was Wahres dran war. Dass sie die wahren Monster sind. „Eigentlich wäre es das Beste, sie alle zu töten. Denn dann könnten die Tiere ohne Angst leben. Sie müssten sich nicht davor fürchten, gejagt, getötet zu werden. Oder als Trophäe zu enden. Das wäre das schlimmste. Nur aus Freude und Stolz getötet zu werden, damit andere sich mit ihrem Kopf brüsten können!“ Rene erinnerte sich daran wie mal der Pfarrer sagte, dass die Toten in Frieden ruhen sollten. Dass man sie nicht in ihrem Todesschlaf stören sollte. Egal in welcher Weise. Man sollte weder schlecht über sie reden noch sie aus welchen Gründen auch immer ausgraben. Dabei fragte er sich, wer sowas auch tun sollte, der bei Verstand war. Er hatte schon oft von sogenannten Leichenräubern gehört, die für gutes Geld die Toten aus ihren Gräbern holten und an irgendwelchen Instituten verkauften. Konnte sich aber nicht vorstellen, dass es auch hier solche Subjekte gab. Und wenn dann mussten sie sehr gerissen sein, um sich nicht zu verraten. Die Leute hier würden das sicher merken und denjenigen oder diejenigen sofort hängen. In Dingen wie Selbstjustiz sind sie sehr schnell und nicht zimperlich. Diese Erfahrung erlebten er und seine Familie jeden Tag. Ein spöttisches Lächeln huschte über sein Gesicht. Wenn es sich bei den Toten um Menschen handelte, durfte man sich nicht an ihnen vergreifen. Aber bei erlegten Tieren war es wohl was anderes. Da war es ein Zeichen von Stärke sie zu präparieren und auf zu stellen. Was für eine widerliche Doppelmoral, ging es ihm durch den Kopf. Zu gern würde er ihnen eins auswischen. Ihnen zeigen, dass sie nicht besser waren, als die Ungeheuer, die sie so sehr fürchten und hassten. Und zum anderen… Um Mandriel zu zeigen, dass nicht alle Menschen schlecht sind. Dass es auch einige gab, die ihm freundlich gesinnt sind. Wie er. Und ein kleiner Teil von ihm versprach sich, dass er es damit vollbringen könnte, die eisige Mauer um sein Herz zum zerschmelzen zu bringen. Plötzlich sah er es klar und deutlich vor sich. Wie als habe man einen dichten Schleier von ihm genommen. Vorher hatte er sich noch den Kopf darüber zerbrochen, wie er Mandariel zeigen könnte, dass er es ernst meinte. Nun schien die Lösung wie auf einem Silbertablett vor ihm zu liegen und er musste einfach nur zu greifen. Dennoch wusste er, dass er das alleine nicht schaffen konnte. Er brauchte Hilfe. Flora wollte er nicht fragen, da sie selbst genug eigene Probleme hatte. Aber er wusste jemanden, der ihm sicher helfen könnte. „Irgendwann musst du es Ihnen sagen!“, sagte Martha nachsichtig zu Flora, während sie hinter dem Haus saßen. Sie strickte während Flora nur vor sich hinschaute. Als Martah dies sagte, seufzte sie frustriert und verschränkte die Arme vor der Brust. „Besser sie erfahren es von dir als von jemand anderem!“ „Ich weiß, Großmutter!“, seufzte sie. Kaute auf dann auf ihrer Unterlippe herum und schielte verstohlen zu ihrer Großmutter. Sie musste ihrer Großmutter Recht geben. Irgendwann würden sie es erfahren. Und es wäre besser, wenn sie es von ihr erfuhren. Dennoch spürte sie deutlich ein Unbehagen in sich. Es fühlte sich an, wie als wäre sie wieder ein Kind, was etwas vor den Eltern verheimlicht und womit sie nicht einverstanden sein würden, wenn sie mit der Wahrheit herauskam. Sie fühlte sich hin und her gerissen. Ihr fiel es schwer, sich zwischen der Liebe zu ihren Eltern und zu der Liebe zu Jaque zu entscheiden. Konnte sie das denn? Es versetzte ihr einen Stich ins Herz, bei dem Gedanken einer der beiden Seiten den Rücken zu kehren. „Kannst du es tun? Es Ihnen sagen?“, brachte sie dann zögernd hervor. Martha sah sie nachsichtig aber auch streng an. Schüttelte den Kopf. „Nein. So gern ich das auch würde. Aber du bist erwachsen und musst selbst zu deiner Entscheidung stehen!“ Floras Gesicht wurde ausdruckslos. Sie hatte sich schon gedacht, dass Ihre Großmutter so etwas sagen würde. Martha hatte stets jedem in ihrer Familie den Rücken gestärkt und Mut zu gesprochen, wenn dieser nicht mehr weiter wusste. Unabhängig ob es sich hierbei um ihre Tochter, ihren Schwiegersohn oder ihrer Enkel handelte. Aber ab einem gewissen Punkt hielt sie sich zurück. Dies war so einer. Und Flora wünschte sich in diesem Moment, dass sie nun wieder ein Kind sein könnte. Denn dann würde es ihr vielleicht leichter fallen. Zwar waren ihre Eltern damals auch nicht gerade begeistert davon, wenn sie und Rene was ausgefressen hatten, aber dann beruhigten sie sich schnell wieder. Sagten sich dann, dass sie ja nur Kinder waren, die nicht richtig nachdachten. Nun aber waren sie erwachsen und das bedeutete, dass sie nun nicht mehr unter dem Schutz der kindlichen Naivität standen. Sie brauchte sich auch nicht lange aus zu malen, wie ihre Eltern darauf reagieren würden, wenn sie Ihnen von ihrer Flucht mit Jaque erzählen würde. Sie wären am Boden zerstört. Und würden alles tun um sie zur Vernunft zu bringen. Würden sie anflehen. Sie konnte deutlich vor sich sehen, wie ihre Mutter ins Tränen ausbrach. Ihr Vater würde nur stumm da stehen, die Fäuste geballt und mit leerem Blick vor sich hin starrend. Aber das reichte schon aus, um ihr Herz zusammen zu pressen. Sie wusste, dass sie das allein nicht schaffen konnte. Dass sie sich davon abbringen lassen würde, aus Kummer, dass sie ihren Eltern solch einen Stich versetzte. Sie grub ihre Finger in den Stoff ihres Mantels und kämpfte gegen die Tränen an. Martha sah, wie sich ihre Enkelin damit quälte und legte tröstend ihre Hände auf die von Flora. „Keine Angst. Ich werde hinter dir stehen!“, versprach sie. Rene war sowohl angespannt als auch aufgeregt. Unruhig lief er in seinem Zimmer auf uns ab und wartete, so wie immer, bis die Nacht vorrangeschritten war und seine Familie tief und fest schlief. Als er sich dann sicher war, schlich er sich aus dem Haus in den hinteren Garten und schaute konzentriert in das Dunkel des Waldes hinein. Fragte sich dabei, ob Nima oder ihre Bruder sich hier versteckten, wie immer. Hoffte es insgeheim. Wobei er auch bezweifelte, dass sie nur förmlich darauf warteten, dass er hier raus trat und sie sehen wollte. Dennoch wollte er daran festhalten. „Nima?“, flüsterte er. „Bist du hier?“ Nichts rührte sich. Kein Rascheln, kein knirschender Schnee. Nur Stille. Rene seufzte innerlich enttäuscht und ernüchtert. Dass hätte er sich denken sollen. Nima oder irgendein andere Wolf würden sicher hier nicht wie auf der Lauer liegen und darauf warten, bis er sie rief. Wie Hunde! Sicher hatten sie etwas Besseres zu tun, auch wenn er gehofft hatte, dass sie hier wären. Er wollte sich umdrehen um wieder hinein zu gehen. Da hörte er ein Rascheln. „Rene!“ Rene drehte sich um und sah Nima vor sich. Ohne dass er es gehört hatte, war sie hierhergekommen und sah ihn nun fragend an. „Was möchtest du?“ „Woher wusstest du, dass ich…!“, begann Rene verwirrt, auch wenn er erleichtert war, dass sie dennoch hier war. Nima machte in ihrer Wolfsgestalt eine Bewegung, die wohl ein Schulterzucken war. Rene ließ es dabei und kniete sich dann vor die Wölfin nieder. „Ich brauche deine Hilfe!“, vertraute er ihm Flüsterton an, auch wenn er sich bewusst war, dass sie keiner hören würde. Das Dorf schlief tief und fest. Dennoch wollte er sicher gehen. Nimas Augen sahen ihn verwirrt an. Sie legte den Kopf schief und spitzte die Ohren. „Wobei denn?“ Rene zögerte kurz. In seinem Kopf hatte sich das Erläutern seines Plans leichter angehört als er es nun aussprechen wollte. Wusste Nima eigentlich was man mit dem Fell des Vaters ihres Herren gemacht hatte? Würde sie es überhaupt wissen wollen? Er schaute verlegen und zweifelnd drein. „Nun sag schon. Ich habe nicht die ganze Nacht Zeit!“, hörte er Nima sagen und er sagte schlichtweg: „Ich brauche deine Hilfe, um das Fell von Mandariels Vater zurück zu holen!“ Die Worte sprudelten wie aus einer Quelle aus ihm heraus. Ohne Pause zu machen und in einem einzigen Satz. Nima blinzelte etwas verwirrt, schien erstmal nicht zu verstehen was er von ihr wollte, doch dann zog sie den Kopf zwischen ihre pelzigen Schultern. Ein Schaudern ging durch ihren Leib. Sie wusste, was sie erwartete. „Wieso fragst du mich?“ „Weil du die einzige bist, bei der ich mir sicher bin, dass sie mir helfen kann, es zurück zu bringen, ohne dass es jemand merkt!“, versuchte er ihre Zweifel und ihr Unwohlsein zu zerstreuen. Nima schien das nicht so ganz zu überzeugen. „Meine Schwester oder meinen Schwager in spe kann ich nicht fragen!“ „Sie werden es trotzdem merken!“, gab Nima zu bedenken. Das wusste Rene. Spätestens wenn die nächste Versammlung stattfand würden sie es sehen. Und er konnte sich gut vorstellen, wen sie dafür verantwortlich machen würden. Doch das schien erstmal nicht so wichtig zu sein. Er wollte auch nicht weiter darüber nachdenken, da es ihn in seinem Entschluss zum Wanken bringen würde. „Vielleicht können wir sie austricksen!“, meinte Rene. „Mit einem anderem Fell!“ Nima schien nun darüber nach zu denken und in ihren Wolfsaugen schimmerte es nun schalkhaft. „Vielleicht mit einem Wildschweinfell!“ Kurz zog sie die Lefzen hoch, sodass er ihre Zähne sehen konnte. „Man müsste es nur weiß färben!“ Rene grinste nun auch, weil er wusste, dass das Fell eines Wildschweins borstig und alles andere als ansehnlich war in den Augen derer, die sich gern mit was edlen brüsteten. „Kannst du welches beschaffen?“ „Natürlich!“ sagte Nima und blinzelte verschwörerisch. „Dann treffen wir uns Morgen Nacht wieder hier und holen uns das Fell!“, beschloss Rene. Wo vorher Nima noch gezögert hatte, schien sie nun festentschlossen zu sein. „Ich werde alles vorbereiten!“, sagte sie voller Begeisterung und mit einem knappen wiedersehen, eilte sie davon. Rene sah ihr nach und atmete erleichtert auf. Das wäre zumindest geschafft. Und er war froh, dass er Hilfe bekommen würde, die er sich erhofft hatte. Kaum dass er im Bett lag, merkte er wie ihm die Augen zu fielen. Den letzten Gedanken den er noch hatte, ehe er in den Schlaf sank, drehte sich darum wie Mandariel reagieren würde, wenn er ihm das Fell seines Vaters brachte. …Sie schritten eine Treppe hinunter, die aus Eis geschlagen war und so glatt wie blank poliertes Spiegelglas. Sie tief hinab ins unendliche und Rene fragte sich, wie tief diese noch ging. Ob sie irgendwann im Bauch der Erde ankommen würde. Doch diesen lächerlichen Gedanken verwarf er wieder. Sei nicht so dumm, schalt er sich und ging weiter. Dabei sah er zu Mandariel, der nur wenige Schritte vor ran ging. Bis jetzt hatte er nicht ein einziges Wort gesagt. Seit er ihm das Fell überreicht hatte. Er wusste nicht warum und wieso. Ein einfaches Danke oder ein Nicken hätte eigentlich gereicht. Mehr erwartete er auch nicht. Doch statt einem von beiden von sich zu geben, hatte er ihm nur mit hohler Stimme befohlen, ihm zu folgen und nun schritten sie die Treppe hinunter. Zuerst hatte Rene die Stufen gezählt, die sie hinter sich ließen. Aber irgendwann hatte er bei hundert aufgehört und wünschte sich, bald am Ziel zu sein. Denn je tiefer sie gingen, desto mehr hatte er das beklemmende Gefühl lebendig begraben zu werden. Rene hoffte, dass sie bald ihr Ziel erreichten. Und irgendwann hatten sie die Treppen endlich überwunden. Sie standen nun einem kleinen, runden Raum. Dieser schien aber nicht so aufwendig gestaltet zu sein wie die üblichen Räume, die er bisher gesehen hatte. Die Wände waren grob beinahe nachlässig aus dem Eis geschlagen und die Decke war gewölbt und gespickt von einigen Eiszapfen. Dabei war sie so tief, dass sich Rene nur die Zehenspitzen stellen und die Arme ausstrecken musste, um sie zu berühren. Der Raum war eigentlich leer. Bis auf eine Art Altar an der Stirnseite des Raumes. Zumindest dachte, dass es ein Altar war. Als er dann die beiden Wölfe sah, die Wache hielten und sofort sich erhoben, sobald sie ihn sahen, hatte er das Gefühl, dass das mehr als nur ein einfacher Raum war. Die beiden Tiere standen auf und ein tiefes Knurren war zu hören. Rene machte einen Schritt zurück. Mandariel trat an die beiden Tiere heran und strich ihnen über die pelzigen Schädel. Murmelte beruhigende Worte und die Wölfe zogen sich zurück. Bedeutete dann Rene näher zu kommen. Rene gehorchte und trat neben ihn. Schaute ihn dann fragend an. Dann zum Altar und ihm verschlug es die Sprache. In das glattgeschliffene Eis war die Gestalt eines Menschen eingraviert. Eines Mannes. Und Rene erkannte sofort die Ähnlichkeit zwischen ihm und Mandariel. Und nach und nach dämmerte ihm, dass das nicht ein Altar war, sondern ein…Grabmal. Das Grabmal seines Vaters. Ein Schauern rann ihm den Rücken hinunter. Betrachtete das Relief, welches so realistisch aussah, als würde das Eis nur eine Glasscheibe sein und er auf den Toten blicken konnte. Ein Kloß bildete sich in seinem Hals. Er mochte sich nicht vorstellen, wie der Leichnam von Mandariels Vater aussah. Er blickte zu Mandariel, der mit ausdrucksloser Miene auf das Grabmal hinunterschaute, dann mit langsamen Bewegungen das Fell hochhob und es sorgfältig darüber ausbreitete wie eine Decke. Strich mit den Händen über das Fell. Es war eine Geste, in der so viel Sehnsucht und Kummer lag, dass es Rene das Herz zusammenpresste. Er konnte sich nicht annährend vorstellen, wie sich Mandariel fühlte. Beobachtete nur wie angespannt und zugleich losgelöst er wirkte. Als sei etwas Schweres von seiner Seele abgefallen. Rene stand nur da und sah zu ihm. Es dauerte lange ehe Mandariel sich umwandte. Wie immer gab sein Gesicht nichts preis, was er gerade dachte oder fühlte. Mandariel machte auf Rene einen verlorenen Eindruck. Hoffte dennoch ihm damit etwas Gutes getan und auch etwas Frieden gegeben zu haben. Mandariel stand einfach nur da. Reglos wie eine Statue. Sein Gesicht immer noch ausdruckslos und die Stille war beinahe erdrückend. Rene wollte etwas sagen oder tun, um diese zu durchbrechen. Doch er wusste nicht, wie er das anstellen sollte. Der Wolfsprinz sah so entrückt und abwesend aus, dass er sicher nichts bemerken würde. Egal was er auch tat. Rene merkte, wie er sich zu ärgern begann. Genauer gesagt ärgerte er sich über Mandariel. Wieso schleppte er ihn hierrunter und schwieg sich nun aus. Er hätte auch alleine hierher kommen können. Wieso hatte er ihn also dann mit nach unten genommen? Siehst du es nicht, schalt eine Stimme ihn. Er wollte nicht allein bei diesem schweren Gang sein. Aber was soll ich hier, fragte er sich. Was soll ich tun? Unsicher und ein wenig fehl am Platz, trat Rene von einem Fuß auf den anderen. Überlegte ob er nicht doch die Stufen hochgehen und ihn allein lassen sollte. Doch kaum dass er sich umdrehen wollte, schien ihm die gleiche Stimme zu befehlen, bei ihm zu bleiben. So blieb er wo er war und dachte fieberhaft darüber nach, ob es nicht doch etwas gab, was er tun konnte. Dabei erinnerte er sich, wie er einst seine Mutter getröstet hatte, als ihr Vater gestorben war. Damals hatte er sie immer umarmt und sich an sie gekuschelt. Diese Geste aber reichte aus, um sie zu trösten und den Kummer ein wenig zu lindern. Rene fragte sich, ob dies auch hier helfen würde. Würde Mandariel es zu lassen? Wieso nicht! Mandariel war auch ein Mensch und wie jeder Mensch hatte auch er ein Recht auf Mitgefühl und Trost. Nur konnte er immer noch diese Kluft zwischen sich und Mandariel spüren. Eine Kluft, die der Hass auf die Dörfler und der Zorn und Schmerz über den Tod des Vaters aufgerissen hatte. Ähnlich wie eine Wunde, die sich einfach nicht schließen wollte. Es braucht Zeit, ehe Wunden heilen, ging es ihm durch den Kopf und hörte dabei die Stimme seiner Großmutter. Ein Satz, den sie oft gesagt hatte, wenn etwas schlimmes passiert, war, dass es einem die Welt zusammenbrechen ließ. Und Rene wollte diesen Rat hier annehmen und befolgen. Dennoch verspürte er wieder den Wunsch etwas zu tun. Und bevor Rene richtig verstand, was er da hat, streckte er die Hand aus und berührte Mandariel am Arm. Sofort spannten sich jeder Muskeln in ihm an und Rene erstarrte. Doch dann ließ sie Anspannung Mandariels Starre schien sich zu lösen. Ohne ein Wort oder eine Geste, blieb er si, schien diese Berührung lange und schweigend auf sich wirken zu lassen. Dann hob er seine rechte Hand und legte sie auf die von Rene. Kaum dass sie sich berührten, durchfuhr es Rene wie ein Blitzschlag und konnte ein Schaudern nicht verhindern. Mandariel blieb das nicht verborgen und so drehte er sich um, sah Rene direkt und fest in die Augen, fasste ihn dann an die Schultern und beugte sich zu ihm hinunter. So tief und nahe, dass sich ihre Nasenspitzen fast berührten. Mandariels Atem strich über Renes Gesicht. Renes Herz fing auf der Stelle an zu rasen als er sich gewahr wurde, was gerade passierte und er schloss die Augen. Mandariels Hände wanderten von den Schultern hinauf und strichen mit den Fingern über seinen Hals. Es fühlte sich so ungewohnt sanft und erregend an, dass Rene ein Seufzen nicht unterdrücken konnte. Wie sehr hatte er sich insgeheim nach so einer Berührung gesehnt. Genauso so sehr wie nach einem Kuss. Vielleicht noch mehr. In ihm erwachte das Verlangen, ihm nach sein zu können. Diesem ging er auch sogleich nach. Stellte sich auf die Zehenspitzen und reckte den Kopf hoch. Spitzte dabei etwas die Lippen. Eine stumme Aufforderung, die der Wolfsprinz sicherlich-so hoffte er zumindest- nachkam. Stattdessen löste sich alles auf einmal um ihn herum auf. Und Rene erwachte. Enttäuscht und frustriert, dass das alles nur ein Traum war, stöhnte er auf. Nur ein Traum, jammerte eine kleine Stimme in ihm. Bloß ein Traum. Rene blieb mit gebeugtem Rücken und hängendem Kopf im Bett sitzen. Er wusste nicht, was er am meisten fühlte. Wut, Enttäuschung oder Kummer. Vielleicht von allem ein wenig. Dabei war er erstaunt, dass er keine Spur von Entsetzen verspürte. Zu Anfang wenn er von ihm träumte oder sich gar vorstellte, von ihm berührt zu werden, hatte ihn blanke Panik gepackt. Doch nun war nichts dergleichen zu fühlen. Eigenartig, dachte er. Wollte sich aber auch nicht einreden, dass das nur vorrübergehend war. Vielmehr das nach und nach so etwas wie Sympathie sich in ihm bemerkbar machte. Doch welche Sympathie sorgte dafür, dass er von ihm geküsst werden wollte? Vermutlich, dachte er sich, ist das ein Zeichen, das er seine Freundschaft wollte. Das schien plausibel zu sein. Doch es blieb ein nagender Zweifel. Ein Kuss hatte viele Bedeutungen. Und ebenso viele Bedeutungen kann man missverstehen. Rene biss sich auf die Unterlippe. Würde Mandariel es ebenso missverstehen? Etwas in ihm weigerte sich, so darüber zu denken. Schnell lenkte er seine Gedanken zu dem, was vor ihm lag. Heute Nacht würde er zusammen mit Nima in das Rathaus einbrechen, das Wolfsfell stehlen und es dem Wolfsprinzen bringen. Was danach kam, würde er auf sich zukommen lassen müssen. Der Gedanke auf das nächtliche Abenteuer machte ihn irgendwie kribbelig. Ein Hochgefühl des nahenden aufregendem und gefährlichen. Nie hatte Rene so etwas verspürt. Nicht mal als er als Kind anderen ein Streich gespielt hatte. Das war was ganz neues für ihn. Dieses Gefühl hielt noch lange an und trieb ihn schließlich aus dem Bett und die Stufen hinunter nach dem er sich angekleidet hatte. Dort saßen seine Eltern und seine Großmutter am Tisch. Nur Flora fehlte. Das Hochgefühl schwand nun und Rene fürchtete, das schlimmste sei eingetroffen. Dass Flora bei Nacht und Nebel mit Jaque durchgebrannt war. „Wo…wo ist Flora?“, brachte er mit erstickter Stimme hervor. Martha wusste sofort was ihm durch den Kopf ging und lächelte milde. „Bei Jaque. Die beiden wollen was besprechen!“, sagte sie nur und Rene atmete hörbar erleichtert auf. „Komm setz dich. Du siehst so blass aus!“ Trotz das Rene Hunger hatte und das Frühstück verführerisch roch, bekam er kaum etwas runter. Zu aufgeregt war er. Zumal er sich fragte, was Flora und Jaque genau zu besprechen hatten. Ob sie gemeinsam ihre Flucht planten? Im Stillen und ohne jemandem Bescheid zu sagen? Oder ob sie es doch bleiben lassen wollten? Er war schon fast versucht hinzu gehen und sie zu belauschen. Das hatte er oft getan, als sie noch Kinder waren. Was war schon dabei? Aber da hörte er eine Stimme zischen:„ Wag es ja nicht!“ Das war unverkennbar die mahnende Stimme seines Gewissens. Außerdem sollte er sich selbst an die Nase fassen, da er ebenso etwas im Schilde führte. Dabei überlegte er, wie sie es angehen würden. Von Vorne würden sie nicht einsteigen können, da man sie entdecken würde. Also blieb nur die Möglichkeit von hinten rum rein zu kommen. Nur wie? Die Fenster waren einfach zu hoch über den Boden, sodass es beinahe unmöglich war. Raus ginge es natürlich leichter, da sie nur springen mussten. Doch würden sie sich da nicht was brechen? Langsam bekam seine Euphorie erste Risse und er fragte sich, ob er sich nicht doch alles zu optimistisch ausgemalt hatte. Vielleicht hatte Nima ja eine Idee, wie es anstellen könnten. Hand in Hand gingen Flora und Jaque zurück zu ihren Eltern. Sie hatte ihn gebeten, dabei zu sein, wenn sie ihren Eltern beichtete, dass sie nach ihrer Hochzeit, das Dorf verlassen würden. „Ohne dich schaffe ich es nicht!“, hatte sie mit tränenerstickter Stimme gewimmert und hatte das Gesicht in den Händen vergraben. Jaque hatte sie genommen und nach unten gezogen, sah sie liebevoll an. „Ich werde mitgehen und dir beistehen. Zu jeder Zeit. Das verspreche ich dir!“, hatte er ihr zu geflüstert und küsste sie auf die Stirn. Nun standen sie vor der Tür und Flor hob die Hand um die Tür zu öffnen, hielt dann aber inne und schaute zweifelnd drein. Blickte zu Jaque, der ihr ermutigend zu nickte. Flora holte einmal tief Luft, legte die Hand auf die Türklinke. Hielt ein letztes Mal inne, dann öffnete sie die Tür und trat ein. Während sie ihren Eltern reinen Wein einschenkte, hielt sie Jaques Hand und versuchte das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken. Sie hatte den Blick gesenkt. Sie konnte ihnen einfach nicht in die Augen sehen. Doch sie brauchte sie nicht an zu sehen, um zu wissen dass sie ihnen gerade das Herz zerriss. Ein langes Schweigen setzte ein. Was Flora unerträglich war. Zaghaft schaute sie nun doch zu ihren Eltern, die mit bleicher Miene da saßen. Sagt doch was, flehte sie innerlich. Schreit, tobt oder sonst was. Aber hörte auf zu schweigen. Stumm rann Elsa eine Träne über die Wange. Flora merkte, wie ihr das Herz schwer wurde und sie selbst den Tränen nahe war. Sofort bereute sie, es ihnen gesagt zu haben. Sie schaute von ihrer Mutter zu ihrem Vater, der mit steinerner Miene vor sich hin schaute. Auch in seinen Augen schimmerte es verräterisch. „Ich…ich werde nur gehen, wenn Ihr es mir auch erlaubt!“, sagte Flora mit belegter Stimme und sah kurz zu Jaque. Er erwiderte ihren Blick und schlug die Augen nieder. Presste dabei die Lippen aufeinander. Schnell schaute sie wieder zu ihren Eltern. Sie wusste, dass sie ihm damit in den Rücken fiel, wenn sie nun ihren Eltern die Wahl überließ. Aber sie wollte sie nicht noch mehr verletzen als das sie es schon jetzt getan hatte. Ramon blickte zu seiner Frau, die stumm da saß. Fasste sie dann an der Hand. „Elsa…wir sollten sie gehen lassen!“, sagte er matt. Elsa sah ihn mit weitaufgerissenen Augen an. Ihr war an zu sehen, dass sie damit nicht einverstanden war. Dass sie dagegen protestieren wollte. Doch ihre Stimme gehorchte nicht. Nur ein ersticktes Keuchen kam aus ihr heraus. „Hier wird sie niemals glücklich werden. Woanders hätte sie sicher mehr vom Leben!“ Ramon bemühte sich ruhig und vernünftig zu klingen, aber die Nachricht hatte ihn ebenso getroffen. Immerhin würde seine Tochter sie verlassen. Dass sie irgendwann ihnen nachfolgen und wiedersehen würden, war nur ein schwacher Trost. Es fiel ihm ebenso schwer sein kleines Mädchen gehen zu lassen. Doch er wusste auch, dass das der einzige richtige Weg war. „Das weiß ich doch selbst!“, kam es erstickt von Elsa, die sich eine Träne wegwischte. „Dann hör auf dich dagegen zu sträuben!“, sagte Martha inbrünstig. „Denkst du, mir fällt das leicht? Sie ist meine Tochter. Ich habe sie geboren, sie groß gezogen und nun verlangt jeder von Euch, dass ich sie in die Wildfremde ziehen lasse?“, platzte es aus Elsa wütend und sah ihre Mutter mit einer Mischung aus Wut und Trauer an. „Wer verspricht mir, dass wir sie je wieder sehen? Wer verspricht mir, dass es ihr gut gehen wird?“ „Keiner!“, sagte Martha mit bedrückter Stimme und lieferte Elsa damit das Argument, was sie brauchte, um ihre Tochter zum Hierbleiben zu bewegen. Elsa wollte gerade etwas sagen, doch da ergriff Flora das Wort. „Mutter!“ Flora stand auf, ging um den Tisch herum und fasste ihre Mutter an den Schultern. Auch ich habe Angst, dass ich Euch nicht wieder sehe. Und wenn es anders ginge, würde ich hier bleiben. Aber wenn die anderen von unserer Verbindung erführen, dann…dann würden sie…!“, weiter brachte Flora den Satz nicht zu ende, da ihr auch Tränen in die Augen traten. Sie blinzelte sie schnell weg und sprach zu Ende:„ Vater hat Recht. Es ist das einzig richtige. Und ich verspreche dir, dass wir uns wiedersehen werden!“ „Ich werde Flora mit meinem Leben beschützen. Das ist mein Versprechen!“, schwor Jaque, der sich zu Flora stellte und seinen Arm um ihre Schulter legte. Flora sah ihn dankbar an. Elsas Blick wechselte von ihrer Tochter zu ihrem künftigen Schwiegersohn. In ihrem Gesicht spiegelte sich immer noch der Widerwille und der Schmerz. Sah aber auch ein, dass es keinen Sinn hatte und ließ den Kopf sinken. Ramon erhob sich und nahm seine Frau in die Arme. Redete ihr flüsternd gut zu. Dann wandte er sich an Flora und Jaque. „Gebt Ihr noch etwas Zeit!“, bat er sie. Flora und Jaque nickten. Gingen dann hinaus. Martha blieb noch einen Moment an Ort und Stelle, dann ging auch sie. Rene hatte alles von der Treppe aus mit angehört. Neben dem Schmerz, der ihn aufs Neue überfiel, verspürte er auch das Gefühl als sei er ihr in den Rücke gefallen, weil er nicht an ihrer Seite gewesen war. Dabei hätte er ihr eigentlich beistehen sollen. Sie bei ihrem Bitten unterstützen sollen. Doch Flora hatte ihm widersprochen. Ihm gesagt, dass sie allein durchstehen musste. Mit Jaque. Das kränkte ihn ein wenig. Sie hatten sich immer gegenseitig unterstützt, wenn es darauf ankam. Nun aber sollte er sich raushalten. Er fühlte sich wie vor den Kopf gestoßen. Sagte sich dann aber, dass sie es wirklich alleine mit ihren Eltern besprechen sollte. Es gab Dinge, aus denen sich Geschwister manchmal raushalten sollten. Dennoch hatte er sich auf die Treppe gesetzt um zu lauschen. Auch wenn er sich etwas unwohl fühlte und sich sicher war, dass er mächtig Ärger bekommen würde, sollte sie ihn hier erwischen. Aber er blieb. Hatte sich vorgenommen, ihr doch noch zu helfen, sollte es nötig sein. Sah jedoch, dass es Flora allein gelungen war und atmete erleichtert auf. Konnte aber ein Gefühl der Schwermut nicht verleugnen. Flora würde bald fortgehen. Sobald der Schnee schmolz und die Zeit des Erwachens anbrach. Er würde sie nicht mehr sehen. Aber…er würde sie sowieso nicht mehr wiedersehen. Genauso wenig wie er seine Familie wieder sehen würde. Denn wenn die Zeit des weißen Schleiers vor rüber war, würde auch sein Leben vor rüber sein. Ein dicker Kloß bildete sich in seinem Hals als er sich ins Gedächtnis rief, dass er nicht mehr lange zu leben hatte. Für ihn kam sein ganzes bisheriges Leben nun viel zu kurz vor. Als habe er nichts erlebt. Sein Leben war genauso langweilig und eintönig wie das der anderen. Dabei hatte er sich als Kind immer gewünscht genauso Abenteuer zu erleben, wie die Helden in den Geschichten, die ihre Mutter immer vorgelesen hatte. Genauso böse Drachen erschlagen und Jungfrauen retten. Doch mit der Zeit als er älter wurde verblasten diese Wünsche, wichen der harten Realität und die Jungfrauen, die ihm über den Weg liefen, waren die wahren Drachen. Giftspeiende Ungeheuer, die sich vom schönen Schein blenden ließen. Aber beschweren wollte er sich auch nicht. Sein Tod hatte etwas Gutes. Ich sterbe nicht für umsonst, sagte er sich, während er die Treppe wieder hochstieg. Flora würde dadurch weiterleben. Sie würde mit Jaque weggehen, heiraten und eine Familie gründen, redete er sich ein. Sie kann das Leben führen, was sie sich gewünscht hat. Mit dem Mann, den sie liebt. Nur das zählte. Daher versuchte er nicht weiter daran zu denken. Doch er konnte es einfach nicht aus seinem Kopf kriegen. Immer wieder kreisten seine Gedanken darum wie er sterben würde. Insgeheim ertappte er sich dabei, wie erleichtert er war, dass er nicht qualvoll starb. Sondern eher sanft entschlief. Es hätte wirklich schlimmer kommen können, dachte er. Er hätte mich auch zerfleischen können. Das erste Mal verstand er wirklich, warum er ihn am Leben gelassen hatte. Und kam sich wie ein Idiot vor. Er hat mich die ganze Zeit mit der Nase darauf gestoßen und ich war zu blind um es zu sehen, warf er sich vor. Aber nun würde er sich erkenntlich zeigen. All das Unrecht, was er ihm getan hatte, wieder gut machen würde. Das war ein Grund mehr um mit Nimas Hilfe das Fell seines Vaters zu holen. Und erneut erfasste ihn eine Woge der Euphorie. Er konnte es kaum erwarten. Als endlich die Nacht anbrach und alle zu Bett gegangen waren und tief und fest schliefen, schlich sich Rene hinaus und wartete hinter dem Haus auf Nima. Unruhig trat er von einem Fuß auf den anderen und stierte angestrengt in die Nacht. Für einen flüchtigen Moment fürchtete er, Nima habe es sich doch anders überlegt. Doch dann kam ihm wieder in den Sinn, wie sie sich diebisch gefreut hatte. Nein. Nima würde sicher nicht einen Rückzieher machen. Es schien ewig zu dauern, als er endlich das Rascheln und Knirschen hörte, dass die Ankunft der Wölfin ankündigte. Und als sie auftauchte, atmete er erleichtert auf. Nima war dieses Mal in ihrer menschlichen Form erschienen und in ihren Augen blitzte es voller Vorfreude. Und nahender Schadenfreude. In ihren Armen trug sie die Haut eines Wildschweins. Weißgefärbt, wie sie es versprochen hatte. „Wollen wir?“, fragte sie dann und hatte ein breites Grinsen im Gesicht. Ihr ist an zu sehen, dass sie es kaum erwarten konnte. Rene ließ sich davon anstecken und nickte. „Hier entlang!“, sagte er nur und die beiden machten sich auf den Weg zum Rathaus. Sie schlichen hinten rum entlang, damit sie keiner sehen konnte, der womöglich zu so später Stunde noch herumlief. Aus einigen Häusern und der Schankstube hörten sie Lärm und duckten sich noch mehr in den Schatten. Um einige Umwege gelangten sie dann zur Rückseite des Rathauses. Dunkelheit herrschte hinter den Fenstern. Rene und Nima lauschten. Hörten nichts und niemanden, was sie erwischen könnte. Dann lehnte sich Rene an die Wand und verschränkte die Finger ineinander. Machte eine Räuberleiter. Nima stellte ohne zu zögern ihren Fuß darauf und stützte sich an Rene ab. Rene war erstaunt wie leicht sie war und drückte sie nach oben. Nima untersuchte das Fenster nach einer Schwachstelle, wo sie das Fenster am besten öffnen konnte. Sie fand sie nach einigen Minuten, beugte sich vor, holte tief Luft und hauchte die Stelle an. Eine Wolke aus kalter Luft entströmte aus ihrem Mund und als sie auf das Schloss traf, bildete sich eine Schicht aus Raureif darauf. Es knirschte und knackte. Mit einem sanften Stoß schwang das Fenster auf und Nima kletterte hinein. Dann half sie Rene hinein. Erstaunt sah er sie an. Deutete dann auf das geöffnete Fenster. Nima hob die Schultern, grinste dann aber. „Nicht nur der Wolfsprinz hat magische Kräfte. Wir wurden immerhin mithilfe seiner Magie erschaffen. Ein Teil davon ruht also auch in uns!“ „Erklärt das auch, dass du mich einfach hoch ziehen kannst, als würde ich nichts wiegen!“, flüsterte Rene. „Was denkst du denn?“, fragte sie mit einem noch breiteren Grinsen. Doch das Grinsen verschwand als sie sich umsah und ihr Blick auf etwas haften blieb. Rene folgte ihrem Blick und sah, was sie so erstarren ließ. Das Wolfsfell von Mandariels Vater! „Diese elenden…!“, hörte er sie knurren. Rene konnte gut nachempfinden, was sie fühlte und was sie am liebsten tun würde. Doch er wollte sie auf das eigentliche Ziel ihres Vorhabens lenken. „Komm. Beeilen wir uns. Je eher wir es hinter uns bringen, desto besser!“, flüsterte er und nahm sie bei der Hand. Er spürte dabei, wie sie zitterte. Ihm war selbst nicht ganz wohl bei der Sache. Seine Euphorie war um einiges geschrumpft. Was wenn sie hierbei erwischt werden? Dass sie es irgendwann bemerken würden, war so sicher wie das Amen in der Kirche. Nur was würden sie mit ihnen machen, wenn sie bei frischer Tat erwischten? Was würden sie mit Nima machen? Würden sie erkennen, wer und was sie wirklich war? Rene drängte schnell diesen und damit verbundene Gedanken weg. Konzentrierte sich stattdessen auf das, was ihm unter den Nägeln brannte. „Das ist viel zu hoch. Da komme ich nicht ran!“, flüsterte Nima bitter. „Vielleicht…vielleicht gibt es hier eine Leiter!“, gab Rene hoffnungsvoll zurück und sah sich sogleich um. Doch in der hier herrschenden Dunkelheit konnte er sich das sparen. Nima ließ den Blick schweifen und wurde in einer Ecke fündig. „Mit der hier müsste es klappen!“, sagte sie und holte die Klappleiter. Vorsichtig klappten sie sie auf. Rene hielt sie fest, während Nima hinauf stieg und die Halterung untersuchte. Sie stieß einen erleichterten Laut aus als sie sah, dass das Fell an einfachen Haken befestigt war. Mit flinken geschickten Fingern löste sie es von diesen und rollte es vorsichtig zusammen. Reichte es Rene und nahm stattdessen das Wildschweinfell. Mit einem Kichern brachte sie es an den Haken an und stieg hinunter. Ihr Blick glitt zum Fell des Vaters ihres Herren und alle Schadenfreude war verflogen. Ein schmerzlicher Ausdruck lag auf ihrem Gesicht während sie das Fell in den Armen hielt. Mit zitternden Fingern strich sie darüber. In ihren Augen bildeten sich Tränen. Rene sah, dass sie darum kämpfte diesen nicht freien Lauf zu lassen. Da hier keine Zeit dafür war. „Los komm. Wir müssen hier verschwinden!“, drängte er sie sanft. Nima nickte. Sie kletterten wieder aus dem Fenster und Nima verschloss es mit Eis. „Das sollte für eine Weile halten!“, sagte sie mit belegter Stimme. Mit schnellen großen Schritten liefen sie in den Wald und ließen das Dorf hinter sich. Nima trug weiterhin das Fell in ihren Armen. Drückte es dabei fester an sich und konnte nun nicht mehr an sich halten. Stumm liefen ihr heiß Tränen über die Wangen. Rene wollte sie trösten und legte den Arm um ihre Schultern, während sie weiterliefen. Nima schmiegte sich an ihn. „Und der Wolf singt sein Lied in der Einsamkeit Faolan oh Faolan Heute Nacht wird ich ihn trösten gehen. Faolan Oh Faolan. Und der Wolf klagt sein Leid in der Einsamkeit Faolan Oh Faolan Heute Nacht werd ich ihn wiedersehen Tief im Wald nach tausend Jahren“ Rene kam es so vor als hätte er dieses Lied schon lange nicht mehr gesungen. Doch als er es tat hatte er das Gefühl das richtige zu tun. Denn Nima schien sich zu beruhigen. Das Schluchzen und Beben ihrer Schultern ließ etwas nach. „Danke!“, flüsterte sie. Rene lächelte und rieb ihre Schulter. „Geht es wieder?“ „Ja!“, kam es schwach von Nima. Dann straffte sie die Schultern und wischte sich die Tränen weg. „Ich kann es kaum erwarten, wenn du meinem Herrn das Fell seines Vaters bringst!“, sagte sie und versuchte dabei aufgeregt zu klingen. Rene lächelte wieder. Ihm erging nicht anders. Er spürte wie ihn eine Welle von Ungeduld und Freude erfasste. Er konnte es ebenso wenig erwarten. Dennoch regte sich etwas in ihm, was ihn noch mehr nervöser machte. Der Traum letzter Nacht kam ihm nun in den Sinn und er fragte sich, ob dieser nicht einfach nur ein Produkt seiner Fantasie war- und wenn ja, was um alles in der Welt war das für eine-oder um eine Art Ankündigung, auf das was kommen könnte. Was passieren könnte. Eine verräterische Röte breitete sich auf seinen Wangen auf. Nima sah ihn neugierig an. „Was ist?“, fragte Nima. „Ich…nichts…ich…ich frage mich nur, ob es nicht besser wäre, wenn du es ihm gibst und ihm sagst, dass ich…!“, kam es stammelnd aus ihm. Nima gab ihm einen Stoß in die Seite. „Von wegen. Vergiss es. Du wirst es ihm bringen!“, sagte sie und drückte ihm das Fell in die Hände. Mit festen Schritten und Rene im Schlepptau, schritt sie mit ihm durch den Eiskorridor. Und mit jedem Schritt hatte Rene das Gefühl auf eine Klippe zu zulaufen. Immer wieder fragte er sich, was passieren würde, wenn er ihm das Fell brachte. Wie wird er reagieren, fragte er sich. Wird er wütend sein, weil er ihn damit mit dem Schmerz konfrontierte? Aber wieso? Immerhin brachte er ihm das, was eigentlich ihm gehörte. Ein Teil seiner Vergangenheit. Um endlich auch damit abschließen zu können. Um vielleicht nach vorne sehen zu können. Den Schmerz, Kummer und den Hass zu vergessen. Zumindest hoffte Rene, dass das zutreffen würde. Rene schaute auf das Fell hinunter. Bitte lass es so kommen, wie ich es mir wünsche, dachte er. Plötzlich blieb Nima stehen und zog ihn zur Seite. Rene wollte fragen, was los sei, als sich ihnen auch schon ein hochgewachsener Mann näherte, mit langen blassblonden Haaren und eisigen Augen. Sein Gang war schnell und auf eine gewisse Art und Weise aggressiv. Rene spürte sofort, dass man sich vor ihm hüten sollte. Als er auf gleicher Höhe mit ihnen war, blieb er kurz stehen und sah sie mit bohrenden Blicken an. Vielmehr sah er Rene so an. Sofort machte er einen Schritt zurück. Drückte sich das Fell schützend vor die Brust. Die Augen des blondhaarigen wurden sogleich zu schmalen Schlitzen als nun sein Blick auf das Fell in Renes Armen fiel. „Was hat das zu bedeuten?“, fragte er eisig und Rene glaubte, den Ton schon bei Mandariel gehört zu haben. Nima sprang schnell ein und stellte sich schützend vor ihn. „Rene will unserem Herrn das Fell seines Vaters wiederbringen!“, sagte sie und baute sich zu ihrer vollen Größe auf. Dabei reichte sie mit ihrer Stirn gerade mal zu seinem Kinn, sodass sie zu ihm hoch schauen musste. Ein irrwitziges Bild und wäre das nicht so bitterernst, hätte Rene gegrinst. „Das sehe ich. Ich frage mich allerdings, was dahinter steckt!“, kam es lauernd von ihm und immer noch sah er ihn mit schmalen Augen an. „Ich…!“, kam es nur von Rene, der versuchte sich zu behaupten. Was ihm gründlich misslang. Nima sprang ein, fasste ihn am Arm und zerrte ihn mit sich. „Wer um alles in der Welt war das?“, fragte Rene mit verhaltener Stimme als sie außer Hörweite von ihm waren. „Das war Ardou. Die rechte Hand unseres Herrn!“, erklärte sie. Es lief Rene kalt über den Rücken. Ardou! Diesen Namen hatte er schon mal gehört. Damals auf der Lichtung, als dieser riesige Wolf ihn zerfleischen wollte und Mandariel ihn im letzten Moment abhielt. Ihm wich sämtliche Farbe aus dem Gesicht. „Na, komm. Der Herr fragt sich schon, was los ist!“, sagte Nima und riss Rene aus seiner Starre. Nur um dann noch schockierte zu sein. „Weiß er etwa davon?“ Nima schüttelte verschwörerisch den Kopf. „Was hast du ihm stattdessen gesagt?“ „Nur dass ich mich mit dir treffen wollte um was zu erledigen!“ Rene sah sie skeptisch an. Fragte sich, wieviel sie ihm wirklich erzählt hatte. Nima schien das riechen, denn sie hakte sich bei ihm ein und zog ihn wieder mit sich. Rene hätte nun am liebsten die Fersen in den Boden gerammt. Doch selbst das hätte Nima nicht aufgehalten. Mit einer Inbrunst, die er nicht zu getraut hätte, schleppte sie ihn hinter sicher her. Bis sie vor der Pforte waren, die in das Gemach führte, was Rene schon so vertraut war. Rene schluckte schwer. Fühlte sich wieder so, als würde er nun am Rande der Klippe stehen und kurz davor sein zu fallen. „Ich kann das nicht!“, sagte er mit erstickter Stimme und hielt Nima das Fell hin. „Tu du es!“ „Kommt nicht in Frage. Das ist deine Aufgabe!“ „Aber was wenn er sauer ist?“ „Wieso sollte er sauer sein?“ Rene zögerte kurz mit der Antwort. Diese Frage hatte er sich schließlich auch gestellt. Und darauf keine ausreichende Erklärung gefunden. Dennoch fühlte er sich nicht gerade wohl. Das Wolfsfell hin und her hinhaltend, stritten sie mit einander, wer es ihm nun gab. Als auf einmal die Tür geöffnet wurde und Mandariel sie entnervt ansah. „Darf ich erfahren, was hier vor sich geht?“ Nima und Rene schauten drein, als habe er sie bei etwas verbotenem erwischt. Dann schob sie Rene wieder das Wolfsfell hin. „Rene wollte Euch etwas geben!“, sagte sie schnell. „Das…nein. Nima will es Euch geben!“, verteidigte er sich und kam sich wie ein Kleinkind vor. Doch da war Nima schon weg und ließ ihn stehen. Rene sah auf die leere Stelle und sperrte den Mund zu einem stummen Protest auf. Dann sah er zu Mandariel, der mit einer Mischung Verwirrung und Ungeduld an. Kurz begegneten sich ihre Blicke, dann Mandariel auf das, was Rene hielt und versteifte sich. Scharf sog er die Luft ein und der Blick in seine Augen wurde ausdruckslos. Mit mechanischen Bewegungen reichte er ihm das Wolfsfell. „Ich…!“, kam es nur aus ihm heraus. Seine Stimme zitterte. Vor Angst und entsetzlicher Erwartung, was nun kommen würde. Mandariel nahm das Wolfsfell schweigend an sich. Blickte immer noch mit ausdruckslosen darauf nieder. Rene hatte das ungute Gefühl, dass seine Sorge wegen Mandariels neuentfachten Schmerz und die damit verbundene Wut sich erfüllen würde und machte sich innerlich darauf gefasst. Doch nichts kam. Nichts, was Rene zumindest befürchtet hatte. Mandariel sah noch einige Minuten das Fell in seinen Händen an, dann wandte er sich an Rene. Seine Augen schienen nun eine Menge zu offenbaren. Verwirrung, Trauer und auch etwas anderes, was Renes Hals zusammen schnürte. „Komm mit!“, sagte Mandariel nur. Und wäre Rene nicht so vom Donner gerührt, hätte er das Beben in seiner Stimme gehört. Stumm, ohne sich fragen zu können nach dem warum, folgte Rene ihm. Sie verließen das Gemach und liefen den langen Korridor entlang. Bogen dann nach rechts und schritten in einen kleinen Seitengang, der zu einer türenlosen Pforte, hinter der sich wiederum in schwachem Licht eine Treppe befand. Rene erstarrte augenblicklich als er sah wohin diese Treppe führte. Wie in seinem Traum schritten sie diese hinunter und mit jedem Schritt schlug Renes Herz schneller. Wieder musste er an den Traum denken und hatte dabei das dumpfe Gefühl, dass sich alles nun doch erfüllen würde. Jede Einzelheit. Ein Schaudern durchlief ihn und er zögerte. Blieb wie angewurzelt stehen. Mandariel bemerkte dies und drehte sich zu ihm herum. „Was ist? Wieso bleibst du stehen?“ Rene kaute auf seiner Unterlippe und suchte nach den richtigen Worten. „Geht allein. Ich warte hier oben!“ Doch die Worte kamen ihm nicht über die Lippen. Stattdessen stand er da und sah aus wie ein Trottel. „ Es…ich…es ist nichts!“, sagte er hastig und stolperte dabei über seine eigenen Worte. Mandariel musterte ihn einige Augenblicke. „Dann steh nicht hier so rum!“, wies er ihn an und Rene gehorchte. Sie gingen weiter, bis sie das Ende der Treppe erreicht hatten und als sie vor dem Raum standen, in dem Mandariels Vater zur letzten Ruhe gebettet war. Renes Hals verengte sich. Er wusste was nun kommen würde. Und auch wenn alles in ihm schrie, an Ort und Stelle stehen zu bleiben, ging er wie unter einem Bann weiter und stellte sich neben ihn. Schaute mit schweigsamer Miene zu, wie Mandariel andächtig das Fell auf den eisigen Sarkophag legte und es streichelte. In seinem Gesicht konnte man schwer sehen, was gerade in ihm vorging. Aber Rene glaubte so etwas wie Trauer darin zu sehen. Gepaart mit einer Spur von… Frieden. „Maintenant, tu peux reposer dans la paix, le père!”*, sprach er mit gedämpfter Stimme. Rene spürte so etwas wie eine warme Woge von Erleichterung, die über ihn hinweg rollte. Die Art wie Mandariel es sagte, ließ in ihm die Hoffnung aufsteigen, dass das Eis, welches sich um sein Herz gebildet hatte, nun anfangen würde zu schmelzen. Auch wenn es womöglich zu viel und zu früh verlangt war. Dennoch hoffte es Rene. Er konnte doch nicht für immer so voller Zorn sein. Mandariel stand da und schaute auf das Grab seines Vaters nieder. Schien mit den Gedanken weit weg zu sein. In Rene wisperte etwas, drängte ihn förmlich dazu, dass dies der richtige Moment sei. Nach dem Wofür fragte er nicht. All seine vorherigen Bedenken und Befürchtungen waren wie weggeblasen. Vergessen. Es gab nichts, was ihn noch zögern ließ. Sondern nun handelte. Langsam steckte er die Hand nach ihm aus. Rene kam es selbst so vor, als würde jemand anderes ihn führen. Wie als sei er nur ein Zuschauer, sah er wie sich seine Hand auf Mandariels Arm legte. Trotz des Stoffes fühlte er die sehnigen Muskeln, die sich unter der Haut des Wolfsprinzen anspannten, als sich seine Hand auf ihn legte. Rene schluckte. Es war reiner Reflex. Versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Ihm nicht zu zeigen, dass es er verlegen war, wegen dem was er tat. Mandariel schien es dennoch zu sehen. Sah darauf hin durchdringend an. Blickte ihn so tief in die Augen, dass Rene glaubte, er würde tief in ihn hinein blicken. Nach dem Grund für diese Geste suchen. Ob irgendwelche Hintergedanken steckten. Als er nichts zu finden schien, wanderten seine Augen für einen kurzen Moment auf Renes Lippen und ihm stockte der Atem. Will er mich küssen, ging es ihm durch den Kopf und Hoffnung kam in ihm hoch. Diese erlosch jedoch genauso schnell wie sie aufgekommen war, als er ein Schimmern in den Augen des Wolfsprinzen sah. Sind das Tränen? Rene öffnete den Mund, doch er brachte keinen Ton heraus. Daher schloss er ihn wieder. Sah Mandariel weiterhin an. Es fühlte sich an wie in seinem Traum. Und doch war es real. Rene schwirrte der Kopf und er hatte das Gefühl als würde er schwanken. Dabei stand er fest auf den Beinen. Doch seine Beine versagten beinahe den Dienst als Mandariel näher trat, seine Hand auf Renes Schulter legte und sich zu ihm hinunter beugte. Renes Herzschlag setzte aus und er spürte wie sein Magen vor Aufregung Purzelbäume schlug. Vor Erwartung und Anspannung blieb er wie angewurzelt stehen, schloss dann die Augen. Mandariels Atem strich über sein Gesicht, verhieß Verlockung und Verbotenes. Rene verschwendete keinen weiteren Gedanken, sondern wünschte sich, dass es passierte. Dass er ihn küsste. Doch zu seiner Überraschung und Enttäuschung, neigte Mandariel sein Gesicht, sodass seine Lippen nun sein Ohr streiften. Bei dieser Berührung erfasste ihn ein Schauern. Rene versteinerte und hielt die Luft an. In seinen Ohren rauschte es wie bei einem Wasserfall, als sein Herz nun doppelt so schnell schlug und sein Blut durch den Körper jagte. Trotz des Rauschens konnte Rene aber dennoch die Worte hören, die Mandariel ihm ins Ohr hauchte. „Ich danke dir!“ * „Nun kannst du in Frieden ruhen, Vater!“ Kapitel 18: Neuanfang --------------------- Rene erwachte und wusste nicht ob er geträumt oder das wirklich erlebt hatte. Es schien so surreal, dass er zuerst wirklich dachte, dass das wieder einer seiner Träume war. Mandariel war in diesem Moment so anders. Zeigte Trauer und auch Frieden. Und er hatte sich bei ihm bedankt! Bedankt, weil er ihm das Fell seines Vaters gebracht hatte und ihm damit die letzte Ruhe geschenkt. Ihnen beiden. Renes Hals wurde trocken und spielte das erlebte immer wieder in seinen Gedanken ab. Dabei fragte er sich, wie er überhaupt hier her gekommen war. Das letzte, an das er sich erinnern konnte, wie Mandariel ihm seinen Dank zu geraunt hatte. Danach lag alles in einem dichten undurchdringlichen Grau. War er überhaupt dort gewesen? Hatte er sich das alles nur eingebildet? Nein! Er wusste noch ganz genau, dass er mit Nima in das Rathaus eingebrochen war, um das Fell zu holen. Nur was danach passiert war… Es wollte ihm einfach nicht in den Kopf. Es schien so als wolle sein Verstand es nur schwer oder überhaupt nicht zulassen. Dabei schien es seinem Herzen umso leichter zu fallen. Es jubelte und freute sich förmlich darüber, dass Mandariel einen Schritt auf ihm zu gemacht hatte, nachdem Rene zuvor den ersten Schritt gemacht hatte. Wenn er so weitermachte…? Wäre es möglich das…? Ein aufgeregtes Klopfen riss ihn aus seinen Gedanken. Murrend erhob sich Rene und kletterte aus dem Bett. „Rene…steh auf schnell!“, hörte er von der anderen Seite die Stimme seiner Schwester. Es klang dringend. Sofort war Rene alarmiert und er öffnete die Tür. „Was ist?“ Flora sagte nichts, griff ihn nur an die Hand und zog ihn mit sich. Sie stiegen die Stufen hinunter und hörte schon von weitem aufgebrachte Stimmen. Doch statt zu ihren Eltern zu gehen, blieb sie in der Diele stehen und lauschten. „Wir wissen, dass Ihr dahinter steckt!“ „Könnt Ihr das beweisen?“ „Das brauchen wir nicht. Alles spricht dafür. Immerhin steckt Ihr mit diesem Monster unter einer Decke!“ „Vielleicht wart Ihr das auch selbst, um uns wieder eins rein zu würgen?“, erwiderte ihr Vater schroff. Darauf herrschte Schweigen und Renes Magen drehte sich um. Er wusste, dass sie dahinter und auf ihn kommen würden. Doch nicht so schnell. Insgeheim hatte er sogar gehofft, dass sie sich gegen seitig verdächtigen würden, nur damit sie mit dem Finger auf sie zeigen und ihren Kopf aus der Schlinge ziehen konnten. Nun aber musste er einsehen, was für ein Narr er war. Niemals würden sie so weit gehen. Und seien sie noch so erpicht darauf, ihnen das Leben schwer zu machen. Was hätten sie davon? Da war es doch das einfachste gleich auf ihn los zu gehen. „Wir haben langsam genug von Euch. Denkt bloß nicht, dass wir Euch alles durchgehen lassen. Irgendwann werdet Ihr dafür zahlen!“ Renes Vater lachte schroff. Knallte die Tür zu. Dann war es still. Flora und Rene sahen sich an. Rene versuchte so ruhig wie möglich zu sein, dabei raste sein Herz so sehr, dass er fürchtete, man könnte es hören. Ahnte sie etwas? Wusste sie, dass er dahinter steckte? Ach, Unsinn, dachte er trotzig. Woher sollte sie das wissen. Sicher dachte sie auch, dass die anderen dahinter steckten. Verwarf diese Hoffnung jedoch schnell wieder. Flora war nicht dumm geschweige denn naiv. Es wäre besser wenn er sie jetzt gleich ins Vertrauen zog. „Meinst du, die stecken dahinter?“, hörten sie dann die Stimme ihrer Mutter leise. Ramon schwieg aber das sagte schon viel. Rene und Flora fassten sich an den Händen. „Ich weiß es nicht. Zutrauen würde ich es Ihnen“, knurrte er dann. „Und da wir unter dem Schutz des Wolfsprinzen stehen, ist es natürlich das naheliegende, das wir es waren!“ „Das alles gerät außer Kontrolle!“, sagte Elsa mit bebender Stimme. „Jetzt beruhig dich, Kind. Solange sie uns nichts beweisen können, können die uns gar nichts!“, sagte nun Martha. „Kein Gericht der Welt wird etwas anderes behaupten!“ Kaum hatte sie das gesagt, merkte sie selbst wie falsch sie damit lag. Sie waren hier in einem kleinen Dorf, weit abseits jeglicher menschlicher Zivilisation und hier hatte der, der das meiste Geld hatte, alles Recht der Welt. Das zog den Bürgermeister und den Richter insbesondere mit ein. Keiner der Dörfler hatte zwar genug Geld, um sie zu bestechen. Aber sie brauchten nur genug Druck zu machen, dann würden sie etwas unternehmen. Dass sie momentan unter dem Schutz von Mandariel standen, war das einzige, was diese Hyänen davon abhielt, sich auf sie zu stürzen. Rene schluckte als sich in seinem Hals ein dicker Kloß bildete. „Ich kann es kaum erwarten, von hier zu verschwinden!“, kam es Flora zwischen den Zähnen als sie mit Jaque hinter dem Haus saßen und seine Hände ergriffen hatte. „Vor einigen Tagen hast du noch ganz anders geklungen. Da hättest du alles gegeben, um deinen Eltern nichts von unsere Flucht zu erzählen!“, sagte Jaque und versuchte dabei zu lächeln. Aber nachdem ihm Flora von dem Raub des Wolfsfelles und die Reaktion der Dörfler darauf erzählt hatte, war ihm jeglicher Humor vergangen. „Ich habe es mir anders überlegt!“, gab sie gepresst zurück. „Wie…wie soll das alles überhaupt gehen?“ „Vater hat einen Freund, der ihm noch einen Gefallen schuldet. Der wird uns raus bringen, sobald der Schnee geschmolzen ist“, erklärte er. „Wird er uns nicht…verraten?“ Flora verschluckte sich fast an ihrer Frage und sie konnte ein Zittern in ihrer Stimme nicht unterdrücken. Jaque schüttelte den Kopf. „Nein. Mein Vater vertraut ihm und ich vertraue meinem Vater. Sollte dieser es dennoch tun, ziehe ich ihm meinen Hammer über den Schädel!“ Flora musste nun doch etwas lächeln. Es war ein halbherziges und schwaches Lächeln. Ein flackerndes Licht in dieser Dunkelheit, die sich in ihrem Leben ausgebreitet hatte. „Lass uns hoffen, dass das nicht nötig sein wird!“ Seit dem Rene Mandariel das Fell des toten Vaters gebracht hatte, vergingen Tage und Nächte, ohne dass Rene Besuch bekam. Weder von Nima noch ihrem Bruder. Geschweige denn das Mandariel ihn in seinen Gedanken zu sich rief. Oder ihn in seinen Träumen heimsuchte. Es war absurd, aber so etwas wie Enttäuschung und Kummer erfasste ihn und ließ ihn kaum Schlaf finden. Er vermisste es irgendwie. Das Treffen mit Mandariel. Ihn zu sehen und mit ihm zu sprechen. Trotz dass er nicht immer seiner Meinung war. Er hatte sich dennoch daran gewöhnt und er misste es nun. Fragte und fürchtete sich sogar, dass er nun nie wieder sehen wollte. Auch wenn er nicht wusste, was der Grund dafür sein sollte. An einem dieser Tage saß er auf der Bank hinter dem Haus und schaute sehnsüchtig zum Wald. Hoffte insgeheim darauf, dass die Gestalt eines Wolfes auftauchen würde. Nima oder ihr Bruder. Einer von beiden, die ihn dann zu ihrem Herren brachten. Um ihn wieder zu sehen. Doch nichts dergleichen passierte. Und Renes Laune sank immer mehr. Als es schon später Nachmittag war, stieß er ein Schnauben aus und ging dann hinein. Ärgerte sich schließlich darüber, dass der Wolfsprinz ihn so zappeln und im Ungewissen ließ. Was war nur sein Problem? Wenn er ihm doch irgendwie zu nahe getreten war, sollte er es ihm sagen. Immerhin hielt er sonst nicht so lange mit der Wahrheit hinterm Berg. Zumindest was seine Meinung anderem gegenüber anging. Aber vielleicht musste er das selbst erst verdauen. Schließlich war das der Grund für all den Hass, der ihn dazu gebracht hatte, solch einen grausamen Preis zu fordern. Dass er nun keinen Grund mehr dazu hatte und Frieden damit schließen konnte, schien ihn erstmal aus der Bahn geworfen zu haben. Ihn dazu zu bringen, darüber nach zu denken und sich zu fragen, wie es weitergehen würde. Wie die Zukunft aussah. Rene hoffte ein wenig, dass er nun diesem Handel ablassen würde. Da dieser nun keine Rechtfertigung mehr hatte. Zwar hatten die Dörfler sich nicht gerade von ihrer besten Seite gezeigt, keine Gelegenheit ausgelassen, ihnen Steine in den Weg zu werfen. Aber er sagte sich auch wieder, dass die kommende Generation nichts damit zu tun hatte. Dass sie unschuldig war. Und so sehr er es sich auch wünschte, musste er sich eingestehen, dass er keinen Einfluss hatte. Dass es ganz allein an Mandariel lag. Er hatte sich redlich bemüht sich nichts anmerken zu lassen. Aber selbst wenn man es ihm angesehen hätte, so schien es keinem auf gefallen zu sein. Seine Eltern und Flora waren damit beschäftigt, die Hochzeit aus zu richten. Schmiedeten dabei auch Pläne, wie sie es am besten anstellen konnten, ohne Aufsehen zu erregen. Vielleicht, so überlegte sein Vater, sollten sie den Pfarrer ins Haus holen lassen, damit er hier die Messe abhalten konnte. Martha war dagegen. „Wenn schon Hochzeit, dann richtig und in einer Kirche. Sollen diese Esel doch vor Wut platzen!“ Elsa sagte nichts. Sondern nähte fieberhaft an dem Kleid, welches Flora getragen hatte, als… Sie hatte Flora gefragt, warum sie bloß dieses Kleid haben wollte. Flora hatte mit einem schwachen Lächeln gesagt, dass es doch eine Schande wäre. Immerhin hatte ihre Mutter sich so viel Mühe gegeben und es sollte nicht daran scheitern, nur weil sie es zu ihrer Opferung getragen hatte. „Ich kann dir doch ein neues nähen!“, hatte Elsa vorgeschlagen. Flora winkte nur ab. „Von welchem Händler könntest du Stoff bekommen? Keiner würde weder dir noch einem anderen von unserer Familie was verkaufen. Für sie sind wir Ausgestoßene. Außerdem…sehe ich in diesem Kleid nicht das, was eigentlich sein sollte!“, sagte Flora und schaute dabei auf das Kleid. Mit sonorer Stimme erklärte sie:„ Wenn ich dieses Kleid trug, an der Nacht, in der ich sterben sollte, sehe ich darin einen Neuanfang. Schließlich hat mich Rene doch gerettet und daran möchte ich denken, wenn ich dieses Kleid trage. Daran, dass Rene sein Leben für mich hergeben wollte!“ Elsa war den Tränen nahe und kämpfte dagegen an, in einen Weinkrampf zu versinken. In den letzten Tagen war sie nur noch ein Schatten ihres Selbst. Das alles wuchs ihr immer mehr über den Kopf und auch wenn sie sich bemühte, dass alles irgendwie durch zu halten, Flora zu liebe und sich auch darüber freute, dass Jaque sich auf ihre Seite gestellt hatte, fühlte sie sich dennoch wie unter einer schweren Last. Es kam nicht selten vor, dass Ramon seine Frau des Nachts weinend im Bett hörte und alle Mühe hatte sie zu trösten. „Bald ist alles vorbei und wir können dieses verdammte Dorf verlassen!“, sprach er auf sie beruhigend ein. „Versuche noch etwas Geduld zu haben. Sei stark, Elsa. Für Flora!“ Ramon schloss Elsa in die Arme und drückte sie fest an sich. „Wieso nur? Wieso tun Sie uns das nur an?“, wimmerte Elsa. „Wir haben Ihnen doch nichts getan!“ „Ich weiß. Und ich verstehe es selber nicht. Aber was auch geschieht, wir dürfen uns von ihnen nicht kleinkriegen lassen!“ Auch Martha riet ihr das in einem ernsten Gespräch. „Es ist ja nicht so, dass das alles an mir spurlos vorbei geht, aber zu weinen und zu jammern, bringt nichts. Das wollen diese Dummköpfe doch nur!“, sagte Martha. „Aber es…das ist alles einfach so…!“, begann Elsa und machte eine hilflose Geste. „Es kommt mir so vor, als wenn sich alles gegen uns stellt!“ Martha tätschelte ihr tröstend den Rücken. „Denk nicht weiter an diese Schikanen. Sondern freu dich lieber. Deine Tochter heiratet. Sie heiratet einen Mann, den sie liebt und der sie liebt!“, riet ihr Martha. „Wie hätte sie es besser treffen können?“ „Lass die anderen doch reden und weiter ihr Gift verspritzen. Irgendwann werden Sie sich daran selbst verschlucken!“ Elsa sah ihre Mutter nur an, dann nickte. Wischte sich die Tränen weg. „Du hast Recht, Mutter!“, flüsterte sie. „Sicher habe ich das!“, sagte Martha mit gestählter Brust. Rene beobachtete das von der Treppe aus. Und wieder kehrten seine Gedanken zu Mandariel zurück. Fragte sich, wie es ihm ging und was er gerade machte. Ob er sich wieder gefasst hatte? Wann würde er ihn wieder zu sich rufen? Rene hatte das Warten satt. Wenn er hier weiterhin rumhockte und darüber grübelte, würde er es niemals erfahren. Und auch wenn es ziemlich riskant war, nahm er sich vor, die Sache nun selbst in die Hand zu nehmen. Heute Abend, so schwor er sich, würde er auf eigene Faust zu ihm gehen. Nima hätte nicht überraschter sein können, als sie Rene vor der Felsenwand stehen sah. „Was machst du denn hier?“, fragte sie, freute sich aber dennoch ihn wieder zu sehen. „Ich muss mit deinem Herren sprechen!“, kam es atemlos von ihm. Kaum dass er sich sicher war, dass ihn keiner hören würde, hatte er sich aus dem Haus geschlichen. Und ohne noch einen Augenblick zu verschwenden, lief er los. Dabei lief im straffen Laufschritt durch den Schnee. Konnte es kaum erwarten, ihn zu sehen. Nun stand er vor Nima. Nima blinzelte etwas und verstand erst nicht. Dann aber machte sie ein erstauntes Gesicht und sagte immer noch ein wenig verwirrt:„ Na-Natürlich! Komm mit!“ „Geht es dir wieder einigermaßen gut. Gestern warst du so…es muss dich tief ins Mark getroffen haben…ihn so zu sehen?“, kam es zögernd von ihm, während sie die Gänge schritten. Er wusste, dass er damit einen schmerzlichen Punkt traf, aber das Schweigen war einfach unerträglich. Nimas Gesicht verzog sich vor Schmerz. Nickte dann langsam. „Ja…es...!“, sagte sie mit brüchiger Stimme und kämpfte gegen die neuen Tränen an. Holte dann tief Luft und versuchte ruhig zu klingen. Doch Rene hörte deutlich ein Grollen in ihrer Stimme. „Ich muss zugeben, für einen Moment hätte ich die Beherrschung verloren und hätte jeden einzelnen zerfleischt!“ Rene lächelte bitter. Er selbst hatte auch dergleichen Gedanken gehegt. „Dass er jetzt aber wieder bei uns ist…!“, sprach sie dann weiter und klang nun erleichtert. „Auch wenn du es dir nur schwer vorstellen kannst, aber wir alle sind dir dankbar!“ Kurioserweise fiel es Rene nicht schwer sich das vor zustellen. Er sah es deutlich vor seinem inneren Auge. Und spürte dabei, wie stark das emotionale Band sein muss, das sie miteinander als Familie verband. „Und was ist mit Manda…deinem Herrn?“ Rene hatte noch rechtzeitig gemerkt, dass er beinahe Mandariels Namen ausgesprochen hatte und biss sich sogleich auf die Zunge. Hoffte dabei, dass Nima es nicht gehört hatte. „Dem Herrn hast du damit einen großen Gefallen getan. Von uns allen ist er am meisten glücklich darüber, dass sein Vater nun in Frieden ruhen kann!“ Rene biss sich auf die Unterlippe. Er war glücklich und ließ sich deswegen nichts von sich hören? Nun ja, jeder hatte seine eigene Art erleichtert und glücklich zu sein. Aber dennoch ließ es in Rene innerlich alles zu Eis werden. Statt weiter darüber nach zu denken, redete er sich nun ein, dass vielleicht alles wieder gut wird. Dass das nicht umsonst war. Immerhin hatte er sich bei ihm bedankt und das ließ doch hoffen. Als sie dann vor der Pforte standen, hinter der sich die Gemächer Mandariels befanden, kam es Rene so vor, als wäre diese nun ein Hindernis, dass es zu überwinden galt. Nima stand einige Schritte hinter ihm. Sie wollte ihn zwar nicht alleine lassen, hielt es aber für unangebracht neben ihm zu stehen und womöglich ihn zu verunsichern. Er war ohne hin schon nervös. Sie konnte es ihm deutlich ansehen. Und sie fragte sich auch, was sich ihr Herr nur dabei gedacht hatte. Warf ihm heimlich vor, dass es nicht richtig war, ihn so im Ungewissen zu lassen und hoffte inständig, dass er das auch einsehen würde. Rene stand nun da und wusste nicht, wie es weitergehen würde. Dabei war es eigentlich ganz einfach. Er brauchte einfach nur die Hand heben und anklopfen. Wieso also zögerte er? Nun mach schon, du Feigling, schimpfte er sich selbst. Du wolltest ihn doch zu ihm, also hab dich nicht so, klopf an und rede mit ihm! Aber so sehr Rene es auch versuchte, er konnte sich einfach nicht überwinden. Zumal was sollte er ihm sagen? Jetzt, wo er hier stand, und nur noch wenige Schritte nötig waren, wusste er nicht was er sagen sollte. Zuvor hatte er sich noch mürbe gemacht, weil er nichts mehr von Mandariel gehört hatte und sich gefragt, was mit ihm sei. Doch jetzt war sein Kopf wie leergefegt. Nach einigen Augenblicken gab es Rene auf. Mit einem niedergeschlagenen Seufzen, lehnte er die Stirn an das polierte Eis. Es brannte sich wie Feuer in seine Haut und lähmte seine Gedanken. Und unter dieser Eischicht in seinem Geist, spürte er deutlich, wie etwas dagegen pochte. Er schloss die Augen. Versuchte zu verstehen, woher und wieder dieses Pochen kam. Und je länger er darauf lauschte, wurde ihm bewusst, dass es sein Herz war, welches so schnell klopfte. In seinem Takt meinte er deutlich zuhören, was ihm sagen wollte. „Steh nicht so rum. Sondern sag, was du zu sagen hast!“ Rene zögerte, wobei er dem Befehl seines Herzens Folge leisten wollte. Aber wie und was sollte er sagen? Würde er ihn überhaupt hören? Rene öffnete den Mund, aber es kam kein Laut über seine Lippen. Dabei war es doch so einfach. Er musste doch einfach nur das sagen, was ihm gerade durch den Kopf ging. Frei von Skepsis und Sorge, wie es klingen würde und ob seinen Worten Gehör geschenkt wird. In seinem Kopf fiel es ihm allerdings leichter, das aus zu sprechen, was ihm auf der Seele lag. Und umso mehr kostete es ihm Kraft, diese dann über seine Lippen zu bringen. „Wolfsprinz…Mandariel…Ich…Ich hoffe, es geht Euch gut!“ Leise, sehr leise sprach er diese Worte aus. Hielt dabei immer noch die Augen geschlossen und stellte sich vor, wie er mit ihm in der Gruft seines Vaters stand und sah, wie er das Fell auf den Sarkophag legte. Sein Mund fühlte sich auf einmal trocken an und er musste schlucken, ehe er weitersprechen konnte. „Ich…bitte…wenn Ihr mich hört…Lasst mich nicht im Ungewissen. Ich mache mir Sorgen um Euch und will wissen, wieso Ihr mich nun nicht mehr um Euch haben wollt!“ In ihm war ein kleiner Teil seines Selbst, der Ihn nun dafür schelte, egoistisch zu sein. Doch das war Rene egal. Es war die Wahrheit. Auch wenn er ihm Zeit geben wollte, sich wieder zu fassen, wollte er ihn dennoch wieder sehen. Warum war Rene eigentlich nicht weiter wichtig. Etwas tief in ihm sehnte sich wieder danach den Wolfsprinzen wieder zu sehen. Mit ihm zu sprechen und zu streiten. Rene hoffte, dass Mandariel ihn erhören würde. Trotz dass er leise sprach. Aber vielleicht hörte er ihn ja. Wünschte sich, dass sich gleich die Türe öffnen würde und sie sich gegenüber standen. Doch nichts passierte. Die Tür blieb geschlossen. Nach einer Weile, musste Rene schweren Herzens einsehen, dass er noch ewig dort stehen bleiben konnte und es würde sich nichts tun. Mit einem schweren Seufzen, öffnete er die Augen, trat von der Tür zurück und sah sie an, als wäre sie ein Monster, das ihn besiegt hatte. Nima trat neben ihn und legte ihm tröstend die Hand auf seine Schulter. Sie ihm deutlich angesehen, was in ihm vorging, wie sehr er mit sich gekämpft hatte und dass er nun niedergeschlagen war. „Komm…ich bin sicher, dass die Herrin sich freuen wird, dich zu sehen!“, sagte sie sanft und zog ihn von der Tür weg. Rene folgte ihr ohne Einwände und ging mit ihr in den Nebengang. Bevor sie jedoch aus dem Blickfeld verschwand, drehte sich Rene noch einmal und sah sie mit einem flehenden Blick an. Trotz dass Rene leise gesprochen hatte, hatte Mandariel sie deutlich gehört und sein Gesicht verzog sich zu einer bitteren Grimasse. Schimpfte den Jungen als einen Narren. Wieso musste er nur zurückkommen und ihn sprechen wollen? Er sollte doch froh sein, dass er sich nun von ihm fernhielt. Ihn nicht mehr zu sich rief. Aber stattdessen suchte dieser Bursche nun von sich aus seine Nähe. Und würde das alles nicht selbst so sehr an seiner Seele zerren, hätte Mandariel über so viel Torheit gelacht. Was trieb diesen Jungen nur dazu? Glaubte er, jetzt wo er ihm das Fell seines Vaters gebracht hatte, würde sich alles nun zum Guten wenden und er würde von seiner Rache ablassen? Zu Anfang hatte Mandariel nur höhnisch darüber gelächelt. Knapp hundertjähriger Hass konnte nicht so einfach getilgt werden. Dafür waren die Wunden zu tief. Und er hatte sich auch gefragt, wieso gerade er dieses Risiko auf sich genommen hatte, das Fell zu stehlen. Schließlich war er ohne hin schon in Ungnade gefallen. Er sollte doch wissen, dass er damit noch alles viel schlimmer machte. Also wozu? Mandariel dachte ununterbrochen darüber nach und zog sich dabei immer mehr in sich zurück. Lauschte in sich hinein. Lauschte dabei Stimmen, die nicht unterschiedlicher hätten sein können. Die eine sagte, dass er mit besten Absichten getan hatte. Um ihm zu zeigen, dass auch Gutes in den Menschen steckte. In ihm steckte. Die andere jedoch beharrte darauf, dass er sich sicher von einen Vorteil gar eine Gegenleistung erhoffte. Vermutlich um den Bann von ihm zu nehmen, der bald sein Ende sein würde. Waren denn nicht alle Menschen so? Immer darauf aus, sich selbst zu retten, egal was es auch kostete. Eine Erinnerung aus einer weit zurückliegenden Zeit kam wieder hervor, doch sie war noch so wirklich, als würde er es wieder erlebe. In dem stand er einem Mädchen gegenüber. In einem weißen Kleid und vor ihm zitternd und weinend. Geschüttelt von unzähligen Schluchzern flehte es ihn an, er möge sie doch verschonen. Sie sei noch zu jung, um zu sterben. Als Gegenleistung würde sie ihm ihre dreijährige Schwester bringen. Sie sagte, dass schon als sie geboren wurde, man sah, dass sie ein Leben als Krüppel führen würde und dass es nur gnädig wäre, dass sie an ihrer Stelle stirbt. Doch Mandariel durchschaute sie. Durchschaute die Lüge in ihren Worten. Der einzige Grund dafür, dass ihre Schwester sterben sollte, war, dass ihre Eltern ihr mehr Beachtung schenkten als ihrer erstgeborenen Tochter und daher diese aufs äußerste Eifersüchtig war. Sie wollte nicht länger die Liebe ihrer Eltern mit ihrer jüngeren Schwester teilen. Das zeigte Mandariel erneut, dass diese Menschen im Dorf, egal ob Jung oder Alt weder ein Gewissen noch ein Herz besaßen. Wütend und voller Gleichgültigkeit warf er ihr dies vor. Immer und immer wieder beteuerte sie, dass das die Wahrheit sei. Als Strafe dafür, befahl er seinen Wölfen, sie auf der Stelle zu zerfleischen. Das lag nun ewig lange zurück. Dennoch kam es Mandariel vor, als sei es erst gestern geschehen und sein Herz verkrampfte sich. Fragte sich dabei, wie es sein kann, dass ein Mädchen die eigene kleine Schwester opfern wollte, nur um sich selbst zu retten. Wie viel Hass musste dafür in einem sein? Oder lag es einfach nur daran, dass sie leben wollte und keine andere Möglichkeit hatte als ihre Schwester dafür her zu geben? Nein! Egal wie sehr man am Leben hängt, einen Blutsverwandten dafür zu opfern, war einfach nur widerwärtig. Rene war da anders. Er wäre für seine Schwester gestorben. Hatte sich ohne nach zu denken auf ihn geworfen und ihn verletzt. Noch immer spürte er die Narbe auf seiner Wange, wenn er mit den Fingern drüber strich. Ein schwaches Lächeln umspielte dabei seine Lippen. Dieser Junge ist so ungestüm und denkt niemals nach, dachte er. Aber dafür er Mut und… Mandariel sah wieder Rene vor sich stehen, der das Fell seines Vaters brachte. Dabei sah er so unsicher aus als fürchtete, Mandariel würde ihn dafür was antun. Stattdessen aber sah er ihn nur an und wusste nicht was er sagen sollte. Es war, als fiele etwas von der Last, die er sich seit damals selbst auf die Seele geladen hatte, ab und ließ ihn nun anders über Rene denken. Wo er wieder zum Ausgangpunkt seiner Gedanken gekommen war. Nun aber schien die erste Stimme, die ihn davon überzeugen wollte, dass Rene keine Hintergedanken hatte, lauter zu reden. Und machte ihm zugleich schwere Vorwürfe, weil er ihm nun nicht die Türe öffnete. Sich ihm zeigte und ihm sagte, wieso er ihn nun auf Abstand hielt. „Geh zu ihm!“, schrie sie ihn an. „Nachdem er nun den nächsten Schritt getan hat, ist es nur fair, wenn du den darauffolgenden machst!“ Aber Mandariel zögerte. Lange. Viel zu lange. Dabei spürte er deutlich den Wunsch…das Verlangen in sich, hin zu gehen und diese Pforte auf zu stoßen. Renes Worte hallten dabei immer wieder in seinem Kopf wieder. „Ich…bitte…wenn Ihr mich hört…Lasst mich nicht im Ungewissen. Ich mache mir Sorgen um Euch und will wissen, wieso Ihr mich nun nicht mehr um Euch haben wollt!“ Sie ließen sein Herz sowohl stolpern als auch schnellerschlagen. Er macht sich Sorgen um mich, ging es ihm durch den Kopf. Und will mich sehen! In seinem Inneren rumorte es. Es fühlte sich seltsam an. So flimmernd wie als wenn tausend zarte Federn umherwirbeln. Dennoch vermochten es diese nicht, dass er die nötige Kraft aufbrachte, auf zu stehen. Erst als Rene fort war, hatte er wieder Gewalt über seinen Körper und erhob sich. Dabei fühlte er sich so schwer und schwach, als wäre er um hundert Jahre gealtert. Ging langsam auf die Pforte zu und blieb dicht davor stehen. Reue stand deutlich in sein Gesicht geschrieben und er verfluchte sich, dass nicht fähig war, Rene die Pforte zu öffnen. Dass er schwach war. Wie Rene zuvor legte auch er die Hand auf das Eis und meinte selbst durch das dicke Eis Renes warme Hand immer noch zu spüren. Sein Hals schnürte sich zu und sein Kopf fühlte sich an, als würde eine unsichtbare Kraft ihn zusammenpressen. Jegliche Gedanken darin erstickte. Mandariel schloss die Augen und presste die Lippen zu einem harten Strich zusammen. Zum ersten Mal seit langem fühlte er sich wie ein Mensch, der versagt hatte. Im Gegensatz zu Mandariel verweigerte seine Mutter Rene nicht den Zutritt. Mit einem freundlichen Lächeln hieß sie ihn willkommen und bat ihn hinein. Nima brachte den Tee und etwas Gebäck und zog sich, mit einem Zwinkern an Rene gerichtet, zurück. Nun saßen die beiden da und aßen und tranken. Noch immer war Rene mit seinen Gedanken bei Mandariel und der verschlossenen Pforte. Er war sich natürlich im Klaren, dass er ihn nicht gehört hatte. Immerhin hatte er leise gesprochen. Aber er wollte sich mit aller Macht an der Hoffnung festhalten, dass er seine Anwesenheit irgendwie gespürt hatte. Er war doch schließlich im Besitz enormer Macht. Da war es doch eine Kleinigkeit, die Nähe eines anderen zu spüren. Lira hatte ohne aufdringlich zu sein gefragt, was ihn hierher führte und Rene beichtete ihr, mit niedergeschlagenen Augen, dass er sich um ihren Sohn Gedanken machte und ihn sprechen wollte. Liras Augen wurden daraufhin groß. Dann aber lächelte sie. „Ich kann dir nicht genug dafür danken!“, sagte sie bedächtig. „Was du für meinen Sohn getan hast, werde ich dir niemals vergessen!“, sagte sie leise und stellte dann die Tasse ab. Rene presste die Lippen aufeinander. „Du hast ihm damit endlich einen Grund zu geben, damit ab zu schließen! Auch wenn es mich traurig macht, dass er dich nun von sich fern zu halten scheint!“ Es tröstete Rene etwas, dass sie ihm ihren Dank aussprach. Dass sie es auch nicht für Gut hieß, dass ihr Sohn ihn nun so leiden ließ. Dennoch gab es etwas, was Rene ebenso auf dem Herzen lag. „Glaubt Ihr…dass er damit aufhören wird? Nach den Leben der Mädchen zu verlangen, meine ich?“, fragte Rene. Liras Blick ging ins Leere und sie schien selbst darüber nach zu denken. Dann seufzte sie schwer. „In all den Jahren, in denen sein Herz zu Eis wurde, sollte ich eigentlich keine Hoffnung mehr haben und es würde um einiges leichter machen, wenn ich die Augen verschließe. Aber das kann ich nicht, weil ich nicht länger zu sehen will, wie er sich mehr und mehr verliert!“ Liras Stimme schwankte, während sie sprach. Rene konnte die Tränen sehen, noch bevor sie ihr über die Wangen liefen. Und konnte sich gut vorstellen, wie ihr zumute war. Es musste ihr unendliche Schmerzen in der Seele bereiten. „Aber Ihr scheint die Hoffnung nicht zu verlieren!“, flüsterte er. Wieso sonst sollte sie auch die Hoffnungen verlieren? Immerhin war er ihr Sohn. Jede Mutter würde bedingungslos zu ihrem Kind stehen. Lira lächelte nun. „Nein. Und das verdanke ich dir!“ Ein Leuchten ging nun von ihren sonst melancholischen Augen aus. Ein Leuchten, welches neue Hoffnung erahnen ließ. In Rene kam der Verdacht auf, dass sie in ihm jemanden sah, der er nicht war. Jemand, der diesen Fluch brechen konnte, den sich der Wolfsprinz selbst auferlegt hatte. Jemand, der er niemals sein konnte. Dabei spürte er jedoch, dass es einen kleinen Teil in ihm gab, der genau dieser sein wollte. Der Einzige, der es vollbringen konnte. Aber was wenn er versagte? Dieser Gedanke überschattete das alles und begrub sie unter sich. Verunsichert zog er den Kopf zwischen seine Schultern. „Danke, aber…ich glaube kam, dass ich dazu in der Lage bin!“ Lira sah ihn forschend an. Er konnte es deutlich spüren und fühlte sich dabei unwohl. „Bis jetzt hast du Dinge vollbracht, die sich keiner getraut hat!“, tadelte sie ihn. Rene lächelte wenig bitter. Sie musste nicht weitersprechen, da er wusste was sie meinte. „Auch wenn du es selbst nicht erkennst: In dir ist so viel mehr, als nur das was man von außen sieht!“ Lira sah ihren Sohn lange an. Sie machte keinen Hehl daraus, dass sie enttäuscht von ihrem Sohn war. Rene tat ihr unendlich leid und sie begriff nicht, wieso ihr Sohn nun so abweisend war. So tief die Wut und die Trauer auch in ihm saß… Es wurde Zeit, damit ab zu schließen und endlich zur Vernunft zu kommen. „Du bist grausam zu ihm!“, sagte sie. „Ist dir klar, dass du ihm damit nur wehtust. Und dir!“ Mandariel sagte nichts, sondern schaute nur stoisch vor sich hin. Es brauchte nicht die Vorwürfe seiner Mutter, um sich das vor Augen zu führen. Er wusste selbst, dass es nicht der richtige Weg war. Aber er konnte nicht so einfach alles vergessen, was passiert war, sondern brauchte Zeit, um zu verstehen. Um sich Gedanken darüber zu machen, wie es nun weitergehen würde. Dass er dabei Rene vor den Kopf stieß, fiel ihm schwerer als er es selbst für möglich gehalten hatte. Bis jetzt hatte er erfolgreich gegen das schlechte Gewissen ankämpfen können, was seine plötzlich Abwesenheit Rene gegenüber betraf, doch jetzt wo er vor seiner Pforte gestanden hatte und ihm Kundgetan hatte, was ihm auf dem Herzen lag, war er sich seiner Sache nicht mehr so sicher. Sollte er es wagen und sich Rene öffnen? Oder sollte er weiterhin den Unnahbaren spielen? Letztes wäre vermutlich das Beste gewesen. Schließlich verrann Renes Lebenszeit und was würde es bringen, wenn sie während dieser Zeit sich näher kamen und dann Lebewohl sagen würden? Dann wäre er wieder allein… Mit sich und dieser Leere in seiner Brust. „Ich sollte dem Ganzen ein Ende setzen. Ein für alle Mal!“, dachte er bitter. „Mandariel! Hörst du mir zu? Vergiss einmal deinen Stolz. Hör endlich auf, jede Hand, die man dir helfend hinhält, weg zu schlagen!“, sagte Lira und zum ersten Mal war so etwas wie Zorn in ihrer Stimme zu hören. Mandariel drehte sich zu ihr herum und sah sie an. Liras Unterlippe bebte und in ihren Augen war ein wildes Flackern zu sehen. Schon lange nicht mehr hatte sie ihn so angesehen. Seit dem Mord an seinem Vater, waren ihre Augen traurig gewesen. Selten hatten sie wirklich gelacht. Nun aber sprühten sie vor Wut und Entrüstung. Von ihnen beiden war sie in diesem Moment am menschlichsten. Menschlich! Lange hatte er das einfach nur für einen Begriff gehalten. Etwas, was eine Sache beschrieb, nicht mehr. Und selbst diese Beschreibung hatte so viele Facetten, dass unmöglich war, herauszufinden, was eher zutraf. Mandariel wurde sich, je länger er darüber nachdachte und sie dabei ansah, bewusst, dass er bisher nur die negativen Eigenschaften gezeigt hatte, die man als Mensch besaß. Wut, Hass, Rache…Schmerz! Es erschien ihm wie ein Schattendasein. So schwer und endlos, dass es ihm das Herz zusammenkrampfte. Ich bin nicht besser als sie, dachte er voller Zorn auf sich selbst. Solange habe ich mich hinter meinem Hass versteckt! War blind für das, was eigentlich deutlich zu sehen war! Seine Finger krallten sich in die Brüstung des Balkons, so dass das Eis darunter zu knirschen anfing. In Ihren Augen bin ich ebenso ein Monster, wie sie es in meinen sind! Wie ich es in seinen Augen bin! Lira sah, wie es ihren Sohn erging und verflogen war die Enttäuschung über ihn und sein Verhalten. Mit ruhigen Schritten ging sie auf ihn zu und legte dann die Hand auf seinen Arm, dessen Muskeln zum zerreißen gespannt waren. Mandariel lockerte etwas den Griff um das Geländer, als er die Berührung seiner Mutter spürte und sah sie an. Lira sagte nichts, aber der Blick in ihren Augen sprach Bänder. Es war nicht das erste Mal, dass er diesen sah. Und jedes Mal hatte er ihn ignoriert. Aber nicht dieses Mal. Im Gegenteil. Er sah diesen mit solch einer Aufmerksamkeit an, als würde er endlich diesen verstehen wollen. Lass die Vergangenheit ruhen! Vielleicht hatte seine Mutter Recht und es war wirklich Zeit damit ab zu schließen. Damit er wieder lernte, was es hieß menschlich zu sein. Und damit er einen Neuanfang machen konnte. Trotz der Worte Liras, fühlte sich Rene weiterhin schlecht. Zumal er sich selbst dafür verfluchte, dass er nicht den Mut hatte an zu klopfen. „Wieso war ich nur so feige!“, warf er sich immer wieder selbst vor, als er noch spät in der Nacht im Bett lag und auf das Holz seiner Zimmerwand schaute. Irgendwann verschwammen die Astlöcher und die Maserungen des Holzes. Rene rieb sich die Augen und blinzelte. Wenn er weiterhin so auf das Holz starrte und nicht bald versuchte Schlaf zu finden, würde er am nächsten Tag wieder aussehen, als sei er aus einem Grab entstiegen. Wobei das vielleicht nicht das schlimmste wäre. Denn so hätte er einen Grund im Bett zu bleiben. Um seine Gedanken und Gefühle zu sortieren. Um sich klar zu werden, was als nächstes kommen würde. Selbst als er endlich eingeschlafen war, ließ die Enttäuschung über sich selbst nicht von ihm ab und suchte ihn in seinen Träumen heim. Seine Gedanken-oder vielmehr seine Wehmut-schien ein Eigenleben entwickelt zu haben und schaffte eine graue Leere um ihn herum. Trotz dass es in dieser keine Quelle für Licht gab, konnte Rene dieses Mal seine Hand vor Augen sehen. Dennoch hatte die Leere etwas Erdrückendes an sich. Oder war es eher die Stille, die in dieser Leere herrschte. Rene ließ den Blick um her wandern. Es wunderte ihn nicht im geringstem, dass er nichts sah außer diesem Nichts, das ihn umgab. Rene seufzte und sank in die Knie. Wie und warum war er hierhergekommen? Und wie lange würde es dauern, ehe er aus dieser Leere befreit wurde? Fast schon wünschte er sich, dass der Wolfsprinz erschien und ihn hier raus holte. Bei dem Gedanken an Mandariel wurde Renes Herz schwerer als es ohnehin schon war und er konnte spüren, wie die Leere nun begann, sich auch in ihm aus zu breiten. Rene versuchte dagegen auf zu begehren. Diese elende Leere, die für diese Nacht sein Gefängnis war, zu vertreiben. Doch je mehr er es versuchte, desto stärker dachte er an Mandariel. Wie bei einem Teufelskreis, gewann dabei auch seine Zerknirschtheit an Macht und rang ihn nieder. Was ist nur los mit mir, fragte er sich. Wieso macht es mich so fertig, dass ich ihn nicht sehen konnte? Und wieso wünsche ich mir so sehr, dass er mich endlich aus dieser Ungewissheit holt? Wie aus dem Nichts, strich ein Lufthauch ihn. Zumindest glaubte Rene, es sei nur ein Lufthauch, doch dann spürte er, wie sich eine unsichtbare Hand auf seine Wange legte. Rene zuckte zu nächst zusammen, entspannte sich jedoch wieder, als er spürte wie angenehm warm und tröstend diese Berührung war. Es fühlte sich genauso an, wie damals als er noch ein Junge war und seine Mutter ihn in den Arm nahm, nachdem ein Alptraum ihn aufwachen ließ. Ihn all die Angst vergessen ließ. So als ob nichts und niemand ihm schaden konnte, solange er diese Berührung spürte. Und Rene gab sich dieser nur als zu gerne hin. Nach all dem ganzen auf und ab, tat es gut, sich von Frieden und Ruhe einlullen zu lassen. Er lächelte sogar ein wenig und schloss die Augen. Wo er zuvor nichts als Einsamkeit und Leere gespürt hatte, fühlte er nun die Präsenz einer weiteren Person. Obwohl sie unsichtbar war und nur zu fühlen war, fürchtete sich Rene nicht. Stattdessen lehnte er sich an diese Unsichtbare und genoss die Nähe und die Berührung, die sie ihm schenkte. Nur ein Hauch von Misstrauen regte sich. Dieser war aber nicht stark genug, um ihn aufspringen zu lassen und nach zu schauen, wer oder was ihn so berührte. Und so blieb er sitzen und dämmerte vor sich hin. „Rene!“, flüsterte eine Stimme und wie als habe diese Öl ins Feuer ergossen, wurde das Misstrauen nun doch stärker und ließ Rene hochschrecken. Er drehte sich um und strauchelte kurz. Fing sich aber wieder und schaute an die Stelle, an der er die Präsenz zu meinen glaubte. Doch da war nichts! Nur ein Schimmern, das ihn an seinen Verstand zweifeln ließ. Und doch hatte er die Stimme gehört. Diese Stimme! Seine Stimme! Ein dicker Kloß bildete sich in seinem Herzen. War der Wolfsprinz doch hier? Hatte er ihn die ganze Zeit beobachtet? Ihn solange zappeln lassen, bis er nachgab? Wie zuvor auch? Wut und Enttäuschung stieg wie bittere Galle in ihm hoch und verbannte das Gefühl von Geborgenheit aus seinem Herzen. Er ballte die Fäuste und schaute finster in das graue Nichts. Meinte in diesem wieder das Schimmern zu sehen, dass um ihn herum schwirrte, wie ein Geist. Rene folgte diesem und stieß ein Schnauben aus. „Zeigt Euch endlich!“ Aus dem Augenwinkel, sah er eine Bewegung und drehte sich blitzschnell um. Zuerst dachte er, der Geist würde verblassen, sobald er sich ihm zeigte und somit seine Wut Nahrung geben. Doch nichts dergleichen passierte. Rene blickte den Wesen, welches ihn belauert und ihn auf so heimtückische Art getäuscht hatte, geradewegs ins Gesicht. Oder zumindest das, was er für ein Gesicht hielt. Nur ein blasser Schemen, nichts weiter. Aber Rene glaubte darin ein Abbild des Wolfsprinzen zu sehen. Was dachte er sich nur dabei? Wieso war er nur so grausam zu ihm? „Bin ich das wirklich? Oder versuchst du es dir nur selbst ein zureden, weil du der Wahrheit nicht ins Gesicht sehen willst?“, hörte die Stimme Mandariels in seinem Kopf. Rene zuckte zusammen, als habe er ihn geschlagen. Dann aber fasste er sich, und ließ sich von seiner Wut hinreißen. Mit Schwung holte er aus und traf mit der Faust die schemenhafte Gestalt mit in das unsichtbare Gesicht. Diese zerfaserte so gleich und löste sich im Nichts auf. Ein kurzes Triumphgefühl erfüllte ihn. Doch das verging ihm schnell als er plötzlich den Boden unter den Füßen verlor und in die Tiefe stürzte. Rene riss mit einem Keuchen die Augen auf und starrte an die Zimmerdecke. Er befand sich wieder in seinem Zimmer. Aber es fühlte sich immer hoch so an, als würde er fallen. Rene krallte die Finger ins Lacken und schloss für einige Atemzüge die Augen. Dann öffnete er sie wieder und das Gefühl des Fallens ließ nach. Dennoch blieb er im Bett liegen und hing seinen Gedanken nach. Fragte sich dabei, was sich sein Unterbewusstsein nur dabei gedacht hatte. Wieso es gerade den Wolfsprinzen in seinen Traum heraufbeschwor und sich in seiner Umarmung wohlfühlen ließ? Auch wenn er ihm nicht mehr zürnte und versuchte, mit ihm irgendwie Frieden zu schließen, so fand er, dass das doch etwas zu weit ging. Immerhin… Immerhin…was? Renes Gedanken versuchten einen vernünftigen Weg ein zu schlagen, der alles erklären und zu gleich auch alles abstreiten konnte, was gerade in ihm vorging, doch er stieß dabei auf eine Mauer. Und so sehr er sich auch bemühte, er konnte diese Mauer nicht einreißen. Mit einem frustriertem Seufzen setzte er sich auf und schaute aus dem Fenster. Es war schon recht hell und sicher würde es nicht lange dauern, bis seine Mutter oder Flora an seiner Türe klopften um ihn aus dem Bett zu holen. Doch bevor sie dazu die Gelegenheit haben sollten, wollte er ihnen zuvor kommen und so schwang er die Beine aus dem Bett und zog sich an. Martha war es, die Rene im Laufe des Tages, auf seine Grabesmiene ansprach und ihren Enkel dabei wachsam anschaute. Aber auch mit einer Spur aus Sorge. Sie war gerade dabei Garn zu einem Knäuel zu wickeln, während Rene die lange Schnur mit beiden Händen hochhielt, damit sie sich nicht verknotete. Dabei schaute er so grimmig drein, dass Martha fürchtete, dass diese Falten sein jugendliches Gesicht für immer entstellen würden. „Diese Falten stehen dir nicht!“, bemerkte sie tadelnd. Rene blinzelte und sah sie nun verwirrt an. „Wie?“ „Du solltest dich mal im Spiegel betrachten. Du machst solch ein bitteres Gesicht, dass die jede Milch sauer wird!“ „Ich weiß nicht, von was du sprichst, Großmutter!“, sagte Rene eine Spur zu bissig als das er es eigentlich wollte. Martha unterbrach nun ihre Arbeit und schaute ihn mahnend an. „Ich denke, du weißt genau, von was ich spreche!“ „Du läufst schon seit einigen Tagen mit diesem Sauertöpfchen Gesicht herum. Man könnte meinen, dass man auf deinem Herzen herumgetreten ist!“ Ihre Worte waren wie ein Schlag in die Magengrube. Rene wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte, also senkte er den Blick und biss sich auf die Unterlippe. Martha deutete dies als ein Ja und seufzte. Ihre Miene nahm nun einen sanften Ausdruck an und tätschelte ihm wie es nur eine echte Großmutter konnte, sein Knie. „Mach dir nichts draus, Junge. Andere Mütter haben auch schöne Töchter!“, sagte sie. Setzte dann aber mit einem Augenrollen hinzu „Auch wenn es in diesem Dorf eher selten ist!“ Rene lächelte ein wenig. Dass sie ausgerechnet davon ausging. „Es ist nicht wegen einem Mädchen, Großmutter!“ „So?“, fragte Martha und hob die Brauen. „Wegen was dann?“ So gern es Rene ihr anvertraut hätte, weil er sich endlich von dieser Last des Schweigens und der Geheimniskrämerei befreien wollte, so konnte er sich dennoch nicht dazu überwinden. Er bezweifelte nicht, dass sie darüber Stillschweigen bewahren würde, wenn er sie darum bat. Es war vielmehr die Ungewissheit über sich und seine eigenen Gefühle. Das alles stürmte auf ihn ein wie eine Lawine und machte es ihm schwer vernünftig zu denken. Der Diebstahl des Wolffelles war der beste Beweis dafür. Aber Rene bereute es nicht. Nicht im Mindesten. Dennoch hatte er das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben. „Hast du jemals etwas getan, wovon du denkst, es sei richtig und warst trotzdem von dir enttäuscht?“ Die Frage kam schwach über seine Lippen, aber Martha hörte sie und hörte auch, wie deprimiert ihr Enkel dabei war. Martha lächelte wieder. „Natürlich. Viele Male sogar. Aber das gehört zum Leben dazu!“, sagte sie altklug. Irgendwie hatte Rene was anderes, was aufbauendes erhofft. „Was genau ist es denn, was dir so auf der Leber liegt?“ Rene haderte mit sich. Es gab so vieles, was er sich von der Seele reden wollte. Doch kaum dass er in Erwägung zog, eine davon an zu sprechen und sich an zu vertrauen, spürte er, wie ihm jemand die Brust eindrückte. Dabei war seine Großmutter der Mensch mit dem man über alles sprechen konnte. Selbst seinen Eltern sagte er nicht alles. Und jetzt wo sie so damit beschäftigt waren, für Flora und Jaque die Hochzeit zu planen, wollte er sie damit nicht auch noch belasten. Er sah vor allem seiner Mutter an, dass ihr das alles schwer auf dem Herzen lag. Da wollte er ihr wirklich ersparen, dass er es war, der das Fell gestohlen hat. Aber seine Großmutter… Ihr konnte er es doch sagen. Er war sich sicher, dass sie es für sich behalten würde. „Ich…nun ja…ich weiß, nicht wie ich es sagen soll, aber…!“, begann Rene stockend und mied es weiterhin sie an zu sehen. Martha hingegen hielt den Blick auf Rene und sah, wie er sich innerlich windete und zögerte die Wahrheit aus zu sprechen. „Was es auch ist, du kannst es ruhig sagen. Ich werde ganz sicher nicht durch die Decke gehen!“, versprach sie ihm, was Rene ein wenig entspannte. Dennoch hielt er den Blick starr auf den Boden und rang nun die Hände. „Ich…dieses Wolfsfell…was die Leute sagten, es…es stimmt!“ Sobald er diese Worte ausgesprochen hatte, fühlte Rene wie etwas Schweres von ihm abfiel. Als habe er sich endlich von seiner Schuld losgesprochen. Zumindest von einem Teil. Daraufhin folgte ein Schweigen, das Rene wieder verunsicherte und ihn dann noch hochschauen ließ. Martha hatte sah ihn mit weitaufgerissenen Augen an und ihr Mund stand weit offen. Wie zu einem Schrei, der ihr jedoch in der Kehle stecken blieb. Rene fühlte, wie alles Blut aus seinem Gesicht wich und sein Magen sich zusammenzog. Er rechnete ernsthaft damit, dass sie ihn gleich ausschimpfen würde. Doch statt laut zu werden, presste sich Martha de Hand auf den Mund und begann nach wenigen Augenblicken, am ganzen Leib zu zittern. Rene sprang besorgt auf und beugte sich zu ihr. „Großmutter? Großmutter?!!!“ Mit der Angst, dass sie einen Anfall bekommen hatte, fasste er sie an den Schultern und hielt sie fest. „Was hast du? Was ist mit dir?“, fragte er. Seine Stimme überschlug sich und die Sorge um sie lähmte ihn. Machte ihn unfähig etwas anderes zu tun als sie an zusehen und sich das schlimmste vor zu stellen. Aber dann endlich nahm Martha die Hand vom Mund und anstatt eines Schreis, drang ein heiteres Lachen aus ihrer Kehle. Es klang so laut und ausgelassen, dass sie wieder wie ein junger Mensch klang. Rene sah sie nur an und verstand nicht, was in sie gefahren war. „Gro-Großmutter?“ Als sich Martha wieder beruhigt hatte, sah sie ihren Enkel mit strahlenden Augen an. Umfasste sie sein Gesicht mit beiden Händen und sagte so feierlich, wie als habe er einen Krieg gewonnen:„ Das hast du gut gemacht, Junge!“ Marthas vor Freude strahlendes Gesicht ging Rene nicht aus dem Kopf. Nicht mal als er wieder des Nachts vor der Felswand stand. Dass sie die anderen Bewohner des Dorfes nicht gerade sympathisch fand, war nicht von der Hand zu weisen. Aber dass sie sich so sehr darüber freute, dass er ihnen solch ein Schnippchen geschlagen hatte, erstaunte ihn. Tief von Stolz erfüllt, fragte sie ihn aus, wie er das gemacht hatte. Die Erklärung versuchte er so simpel und runter zu spielen, wie es nur ging. Erzählte, dass er sich des Nachts hineingeschlichen und dass Fell vom Haken genommen hatte. Dass er es dabei durch ein anderes ausgetauscht hatte, verschwieg er, da er nicht zu erklären wusste, woher das andere hatte. Aber auch so beeindruckte er seine Großmutter, die den Kopf schüttelte und wieder ihrer Begeisterung Ausdruck verlieh. „Brillant!“ Dann sprang sie auf und marschierte durch die Stube. „Einfach brillant!“ Als sie sich dann setzte, um mit ihrer Arbeit fort zu fahren, hatte sie ein breites Gesicht und murmelte immer wieder vor sich hin, wie begeistert sie von Rene Meisterstreich war. Rene war es beinahe schon unangenehm und er hoffte inständig, dass sie sich in der Gegenwart seiner Eltern zurückhalten würde. Was sie zu seiner Erleichterung auch tat. Ließ es sich aber nicht nehmen, ihm hin und wieder einen verzückten Blick zu zuwerfen. „Guten Abend!“, sagte Nima und riss ihn aus seinen Gedanken. „Abend!“ Nima sah ihn mit schiefgelegtem Kopf an und lächelte etwas. „Was für eine schöne Überraschung!“ Ihre Worte waren ehrlich und ließen keine Spur von Zweifel übrig. Rene lächelte auch. „Kann ich reinkommen?“ „Was für eine Frage!“, erwiderte Nima pikiert, hakte sich bei ihm ein und schritt durch den Eingang. Rene sah wie erblüht und ausgelassen Nima in diesem Moment war. Genau wie seine Großmutter zu vor. Und er fragte sich, welchen Grund sie dazu hatte. „Gibt es einen Grund, dass du wie die Sonne strahlst?“, fragte Rene nach einer Weile. Nima kicherte wie ein kleines, verliebtes Mädchen. Rene merkte, wie er verlegen wurde, auch wenn er sich nicht erklären konnte, warum. „Du Charmeur!“ Dann aber wurde sie ernst. Hatte aber dennoch ein Lächeln auf den Lippen. „Unser Herr…!“ „Was…was ist mit ihm?“ fragte Rene und war beunruhigt. „Er…er scheint endlich bereit zu sein!“ „Bereit für was?“, fragte Rene. Nima sah ihn ebenso feierlich an wie Martha und so verheißungsvoll, wie als wenn eine Offenbarung stattgefunden hatte, ohne dass er es mit bekommen hatte. „Bereit für einen Neuanfang!“, hauchte sie und ihre Augen leuchteten. „Und das ist dir zu verdanken!“ Renes Mund wurde trocken. Wieso um alles an der Welt dachten alle, dass er was Großes vollbracht hatte? Wieso feierten sie das nur? Gerade wollte er dies aussprechen, da zog Nima ihn weiter. Die Gemächer des Wolfsprinzen waren schon ins Sichtweite, als ein Mädchen, im gleichen Alter wie Nima, aus einem Nebengang gelaufen kam und vor ihnen stehen blieb. Sie hatte, anders als Nima, weißes Haar, das ihr bis zum Kinn reichte und honigfarbene Augen. Sie war auch anders gekleidet als Nima. Im Gegensatz zu Nima, trug sie ein wallendes weißes Kleid, mit silbernen Stickereien und weiten Ärmeln. Ihr Ausschnitt reichte so weit, dass Rene einen Einblick in ihr Dekolletee hatte. Schnell flog sein Blick zu ihrem Gesicht. Dabei hoffte er, dass niemand sehen würde, wie rot er wurde. Doch wenn eine der beiden es merkte, so ließ sie es sich nicht anmerken. „Mirelle!“, rief Nima und sah das Mädchen erstaunt an. „Was ist denn los?“ Mirelle holte einige Male tief Luft. Sie musste einen weiten Weg zurückgelegt haben, wenn sie so außer Puste war. Dann zeigte sie zu dem Gang, aus dem sie gekommen war. „Ich…ich glaube, du solltest nach deinem Bruder sehen. Er scheint Schwierigkeiten zu haben!“ Nima schien sichtlich besorgt um ihren Bruder zu sein. Ohne ein weiteres Wort lief sie zum Gang, den ihr Mirelle wies. Mit Rene im Schlepptau. „Was…was ist mit ihm? Was glaubst, hat er für Schwierigkeiten?“, brachte Rene hervor. Er hatte den jungen Wolf schon lange nicht mehr zu Gesicht bekommen und fragte sich was aus ihm geworden war. Sorge wallte in ihm auf und er hoffte, dass sie nicht zu spät kamen. Nima sagte nichts, was Renes Sorge noch größer werden ließ. Als sie dann vor eine Türe standen, holte Nima einmal tief Luft und riss sie auf. Was immer Rene erwartet hatte, dass, was sich da vor ihm abspielte, war es mit Sicherheit nicht. In einem großem Raum, der mehr einem Schlachtfeld aus aufgeplatzten Kissen, umher fliegenden Federn und zerrissenen Stoffvorhängen, tobten und tollten…Welpen! Unzählige kleine Wolfswelpen! Und in mitten diesem Trubel ein großer Wolf, der auf dem Boden lag. Doch das schien die frechen Welpen nicht weiter zu stören. Sie sprangen entweder über oder auf ihm herum. Einige vorwitzige von ihnen, machten sich einen Spaß daraus und attackierten seinen Schweif. Bissen hinein und sobald er diesen hochhob, schlug sie mit ihren tapsigen Pfoten nach ihm, drückten ihn wieder zu Boden und machten weiter. Nur mit Mühe ließ er das alles über sich ergehen. Aber der Blick, den er den beiden zu warf, kaum dass er sie sah, war deutlich. Holt mich hier raus! Während Rene ehrlich Mitleid und auch so etwas wie Schadenfreude empfand, prustete Nima hinter vorgehaltener Hand los und schüttelte sich vor Lachen. „Oh, der arme Kerl!“ „Willst du ihm nicht helfen?“ Nun musste auch Rene ein Lachen unterdrücken. So sehr er ihn auch verstehen konnte, immerhin war er selbst ein Kind gewesen und wusste, wie schwer es seine Schwester mit ihm hatte, fand er es dennoch lustig. Nima überlegte und machte eine gekünstelte nachdenkliche Miene. Dann grinste sie und klatschte in die Hände. Sofort waren die Welpen ruhig und alle Augen waren auf Nima allein gerichtet. Keinen Atemzug später, rannten sie auf sie zu. „Nima…Nima…Nima…Nima!“, hörte Rene unzählige aufgeregte Stimmen rufen, während die kleinen Welpen Nima förmlich umringten. Mit einem erleichterten Seufzen erhob sich Nimas Bruder und schüttelte sich. Völlig erledigt trottete er zu den beiden und setzte sich. Nima nahm einen der Welpen, ein kleines Kerlchen mit Aschgrauem Fell und einem Fleck auf der Stirn, sah ihn liebevoll an. „Ihr kleinen Frechdachse!“, sagte sie. „Was macht Ihr bloß mit Eurem großen Bruder!“ „Als ob es dich kümmern würde!“, grunzte ihr Bruder bitter und warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu. Rene ignorierte er dabei. Nima grinste schadenfroh. „Jetzt weißt du, wie es mir ergangen ist, als ich auf dich aufpassen musste!“ „Jaja…!“, grummelte der Wolf und schaute finster drein. „So ist das eben mit älteren Schwestern!“, sagte Rene, der den Wolf ein wenig trösten wollte. Doch dieser beachtete ihn immer noch nicht und Rene fragte sich, womit er ihn beleidigt hatte, dass er ihn so schnitt. Als nun auch Mirelle zu ihnen gab, drehte sich Nima zu ihr herum. „Kannst du weiter auf die Kleinen aufpassen?“, bat sie sie. „Kann ich!“, sagte Mirelle. „Sie hat gelacht?“, fragte Nima. Rene nickte. „Ja, und als nächstes hat sie immer wieder gesagt, wie großartig sie das fand. Es hat nur noch gefehlt, dass sie einen Freudentanz vollführte!“ „Wie alt ist sie denn, wenn ich fragen darf?“ Rene überlegte. „Ich denke, so um die achtzig!“ „Ziemlich lebhaft, die Gute!“, bemerkte Nima mit einem bewunderndem Lächeln. „Wem sagst du das!“, kam es trocken von ihm. „Wie kommt es eigentlich, dass ich bis jetzt noch keine…älteren Wölfe gesehen habe?“, fragte er dann. Er war neugierig geworden. Bis jetzt waren ihm nur junge Wölfe begegnet. Keine Älteren. Und das ließ ihn stutzen. Nimas Lächeln erlosch nun und sie machte den Eindruck als würde sie nicht gern darüber sprechen. Mit belegter Stimme fuhr sie jedoch fort. „Wenn wir älter werden, bleiben wir zwar immer noch jung, aber...auch unsere Kräfte verlassen uns irgendwann und wenn unsere Zeit kommt, dann…dann werden wir wieder zu Wind und Schnee, aus dem uns der Herr geschaffen hat!“, erklärte sie. So wie sie das sagte, musste sie schon oft gesehen haben, wie die, die vor ihr ihr Ende fanden, sich in Wind und Schnee verwandelten. Er sah wie die Trauer sich auf ihr Gesicht legte, wie ein Schleier und ihren Blick trübte. Rene fühlte, wie sie sich fühlte. Wusste um die Trauer und um den Schmerz, als damals der Ehemann seiner Großmutter und die Eltern seines Vaters starben. Trauerte mit seinen Eltern und weinte, weil sie weinten. Konnte es nicht ertragen, dass sie so litten. Die Erinnerung daran, ließ ihm seinen Hals eng werden und er schluckte um ihn wieder frei zu bekommen. „Es tut schon weh, sich von denjenigen zu verabschieden, die man liebt, wenn sie vor einem vor raus gehen. Dennoch sollte man sich sagen, dass es kein Lebewohl für immer ist und sie irgendwann wieder sieht!“ Ein zaghaftes Lächeln huschte über ihre Lippen. Versuchte den Schatten über ihr Gemüt zu vertreiben. Rene nickte nur. Sie sprach genau das aus, was er sich damals in seinen Kinderträumen vorgestellt hatte. Und wie oft es ihn über seine Traurigkeit hinweggetröstet hatte. „So da wären wir!“, sagte Nima und Rene sah, dass sie wirklich wieder vor der Pforte zu Mandariels Gemächern standen. Rene hatte es nicht bemerkt und merkte sogleich wie ihm die Knie weich wurden. Der Traum von letzter Nacht drängte sich wieder in sein Bewusstsein und er schauderte. „Hey, alles in Ordnung? Du zitterst ja!“, fragte Nima besorgt. Rene verscheuchte die Beklemmung, die von ihm Besitz ergriff und schüttelte den Kopf. „Ja...ja!“, versicherte er ihr. Nima sah ihn mit einer Miene, die deutlich sagte, dass sie ihm nicht so recht glaubte. Aber sie drängte ihn nicht weiter. „Soll ich anklopfen?“, fragte sie stattdessen. Rene zögerte etwas. Nima nahm das als ein Ja und gerade als sie die Hand hob, um an die Tür zu klopfen, erklang eine eisige Stimme. „Was macht er hier?“ Sofort drehten sich alle drei um und Rene erstarrte. Vor Ihnen stand Ardou. Sein Gesicht eine Maske der Wut. Rene merkte, wie ihm kalt wurde. Es war als würde Ardou ihn mit seinem Blick zu Eis erstarren lassen. „Er möchte den Herrn sprechen!“, sagte Nima und versuchte dabei selbst ihre aufkeimende Unsicherheit zu verbergen. Offensichtlich hatte auch sie Angst vor ihm. In diesem Moment. „Der Herr hat keine Zeit!“, kam die schroffe Antwort und bedachte Rene mit einem bohrenden Blick. Und wenn es nach mir ginge, würdest du ihn niemals wieder sehen! Rene machte einen Schritt zurück. Und wäre am liebsten wieder gegangen. Doch etwas hielt ihn zurück. Ermahnte ihn, sich nicht unterkriegen zu lassen und ihm die Stirn zu bieten. Wenn er es schon beim Wolfsprinzen konnte, so würde er es auch sicher bei dessen Rechte Hand schaffen. „Ich muss ihn aber sprechen!“, sagte er daher und versuchte alle Entschlossenheit in seine Stimme zu legen, die er aufbringen konnte. Ardous Augen wurden schmal und Rene wurde das Gefühl nicht los, dass er durch aus in der Lage war ihn auch mit Gewalt fort zu schaffen, wenn es sein musste. Seine nächsten Worte waren nur ein drohendes Knurren. „Sei vernünftig und verschwinde!“ Kurz blitzte in Renes Geist eine Vision auf. In dieser sah er sich einem Wolf gegenüber, der die Zähne fletschte und bereit war, ihm den Garaus zu machen. Rene wurde mulmig. Und bereute nun, dass er ihm Kontra gegeben hatte. „Ardou!“ Eine fünfte Person kam nun dazu und als Rene sah, um wen es sich handelte, atmete er erleichtert auf. Mandariel! Er schritt langsam und ruhig auf sie zu. Und obwohl nichts in seinem Gesicht darauf hinwies, dass er über das Verhalten seines Vertrauten nicht erheitert war, so war es deutlich zu spüren. Wie ein eisiger Wind, der sie umwehte. Ardou hingegen schien sich nicht davon beeindrucken zu lassen. Mit zerknirschter Miene sah er seinen Herrn an und sträubte sich sichtlich, zurück zu weichen. Mandariel und Ardou fochten mit ihren Blicken einen Kampf aus, der den anderen verborgen blieb. Und irgendwann gab Ardou sich geschlagen. Mit einem bitteren Schnauben wandte er sich ab und stapfte davon. Nicht jedoch ohne Rene einen letzten drohenden Blick zu zuwerfen. Erst als er außer Sichtweite kam, atmete Rene auf und schaute dann zu Mandariel. Ein seltsamer, nachdenklicher Ausdruck lag in seinem Blick. Aber nur flüchtig. Dann aber setzte er die Rene so vertraute Maske von kühler Gelassenheit auf. „Du wolltest mich sprechen?“ „Ich…ja…!“, stammelte Rene. Straffte dabei seiner Schultern und versuchte genauso gelassen zu wirken. Doch wieder fühlte er sich an seinen Traum erinnert. An die Berührung und das Flüstern des Wolfsprinzen, der seinen Namen hauchte. Ihm lief es kalt den Rücken hinunter. Und merkte aber auch, wie sich kochende Wut in ihm ausbreitete. An dieser hielt Rene sich fest und sammelte aus ihr die nötige Kraft, um nicht zurück zu weichen. „Ich wollte wissen, ob es Euch besser geht!“ Mandariel konnte den erbosten Ton in der Stimme des Jungen deutlich hören und war kurz erstaunt. Dann aber fasste er sich wieder und musste innerlich lächeln. „Wie du siehst geht es mir gut!“ „Wie schön!“, presste Rene hervor. Nima sah ihn mit hochgezogenen Brauen an. Fragte sich wieso er auf einmal so bitter war. Sie konnte deutlich spüren, wie sehr es in ihm tobte und fragte sich, was ihn die Laune verdorben hatte. Zuvor war er doch wie losgelöst hier her gekommen. Auch wenn er ein wenig verlegen war. Dennoch hatte sie deutlich gesehen, dass er aus freien Stücken hier war. Ohne Zwang. Sie legte behutsam die Hand auf seinen Rücken. Rene sah sie an und sah wie sie ihn mit ihren Blicken bat, wieder zu Vernunft zu kommen. Ganz egal was gerade passiert war. Rene seufzte und wie als habe ihr Blick eine magische Wirkung, erlosch die Wut in ihm wie eine Flamme, der man den Sauerstoff abdrehte. Mit einem Male fühlte sich Rene schlecht. Was mache ich da, fragte er sich sogleich. Ich sollte mich nicht von diesen Träumen beeinflussen lassen! „Ich meine, es ist schön, dass Ihr...!“, mehr brachte Rene nicht über die Lippen und senkte wieder den Blick. Er fühlte sich auf einmal so klein. Dass er spürte, wie Mandariel ihn anschaute, machte es nicht besser. Seine Gefühle fuhren auf und ab. Und wieder verfluchte sich Rene, dass er so unfähig war. Mandariel trat einen Schritt zur Seite und wies ihm mit dem Arm zur Pforte. „Möchtest du mit mir eine Partie Schach spielen?“, fragte er und Renes Herz setzte kurz aus, als er merkte, wie sanft Mandariel zu ihm sprach. „Äh…j-ja…!“, sagte Rene und ohne eines weiteren Wortes gingen die beiden hinein. Nima und ihr Bruder blieben draußen stehen und schauten auf die Pforte, die sich hinter Rene und Mandariel geschlossen hatte. „Wenn das nicht ein gutes Zeichen ist!“, staunte Nima und lächelte. Stumm sah Rene zu wie Mandariel die Figuren auf dem Brett aufstellte. Rene hatte die weißen Figuren. Wiedermal. Und wappnete sich innerlich darauf, dass er wieder diese Partie verlieren würde. Doch das störte ihn irgendwie nicht. Er war offen gesagt froh, dass er seine Gedanken auf andere Bahnen bringen konnte. Denn so würde er nicht wieder an den Traum denken, der nun wie ein Schatten auf seiner Seele lag und sein Herz stolpern ließ. Als Mandariel die Figuren auf die ihnen zugehörigen Plätze gestellt hatte, sah er Rene abwartend, beinahe schon auffordernd an. Rene hob langsam die Hand und blieb einige Augenblicke in der Luft schweben. Überlegte welche der Figuren er zuerst bewegen sollte. Sollte er erst einen Zug machen, um seine Verteidigung auf zu bauen oder gleich zum Angriff übergehen? „Wie wäre es wenn…!“, holten Mandariels Worte ihn aus seinen Grübeleien und ließ ihn aufschauen. Ein Flackern war in diesen eisblauen Augen zu sehen. Und was seinen Hals eng werden ließ. „Wenn wir diese Partie ein wenig interessanter machen?“ Interessanter? Rene traute sich kaum nach zu fragen. „Wie…was stellt Ihr Euch da vor?“ „Nun, wann immer es einem von uns beiden gelingt, dem anderen eine Figur zu nehmen, hat dieser eine Frage, die der andere zu beantworten hat!“ Mehr nicht, fragte Rene in Gedanken und war zugleich auch erleichtert. Er konnte sich selbst nicht erklären warum, aber bei den Worten Wie wäre es…kamen in ihm ungeheuerliche Gedanken und Vorstellungen, die ihn sich nun selbst schelten ließ. „Damit bin ich einverstanden!“, sagte er. Dann konzentrierte er sich wieder auf die Figuren vor ihm. Rene entschied sich erstmal eine Verteidigung auf zu bauen. Auch wenn er selbst darauf brannte, ihm einige Fragen zu stellen, so zögerte und ermahnte sich zur Vorsicht. So nahm er den Bauer und wollte ihn auf das erstbeste Feld stellen, dass er für geeignet hielt. „Wenn ich dir einen Rat geben darf…!“, wieder holte Mandariel ihn aus seinen Gedanken und deutete auf eine andere Stelle. „Wäre es klüger, wenn du deinen Bauern dort platzierst!“ Rene wollte ihn schon fragen, wieso. Wieso er seinen Rat annehmen sollte? Ob das nicht doch ein Trick war? Besann sich dann eines besseren und setzte die Figur des Bauern auf die von Mandariel angeratene Fläche. Dann machte Mandariel seinen Zug. Und es dauerte nicht lange, da hatte Mandariel die erste Runde für sich gewonnen. Rene spannte sich innerlich an und fragte sich, was er ihn nun fragen würde. Mandariel schien selbst erstmal zu überlegen. Dann breitete sich ein diebisches Grinsen auf seinen Lippen aus, was Rene tiefer in den Stuhl drückte. „Wie haben die Dorfbewohner darauf reagiert? Als du ihnen das Fell meines Vaters gestohlen hast? Sicher haben Sie Gift und Galle gespuckt!“ „Und wie!“, sagte Rene und stellte erstaunt fest, dass er ebenso nun grinste. Und auch wenn er eine gewisse Freude verspürte, dass er ihnen eins reingewürgt hatte, so spürte er auch, wie ihm das Herz schwer wurde. „Und natürlich denken Sie, dass es einer von meiner Familie war!“ „Das kann ich mir vorstellen!“, stimmte Mandariel ihm zu und das Lächeln erlosch. „Damit haben Sie einen Grund mehr, um Euch das Leben schwer zu machen!“ Auch das war Rene bewusst. Und das Wissen, dass sie nun noch mehr gegen ihn und seine Familie hetzen werden, trübte seinen Blick auf die Zukunft. „Ich weiß, aber…!“, murmelte er und krallte seine Finger den Stoff seiner Hose. „Ich bereue es nicht!“ Zu seinem eigenen Erstaunen waren Renes Worte ernst und voller Inbrunst. Mandariel blickte ihn an, sah es deutlich in seinen grünen Augen und lächelte wieder. Es war dieses Lächeln, das Renes Herz erwärmte und es schneller schlagen ließen. Es war weder spöttisch noch kalt. Sondern warm und freundlich. Dankbar. „ Und wiedermal erstaunst du mich!“, flüsterte er. Renes Wangen begannen zu glühen und er senkte schnell den Blick. Begann nun auch der Wolfsprinz in ihm etwas zu sehen, was ihm verborgen blieb? „Lasst uns…lasst uns weitermachen?“, bat er ihn kleinlaut und Mandariel widersprach seiner Bitte nicht. Schließlich, nach einigen verzweifelten Versuchen, gelang es Rene, Mandariel eine Figur zu nehmen. Doch Rene wurde das Gefühl nicht los, dass das irgendwie zu glatt ging. Mit gerunzelter Stirn sah er seinem Gegenüber an. „Habt Ihr das mit Absicht gemacht?“ Mandariels Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Grinsen. „Vielleicht!“ Rene war völlig perplex, dann aber riss er sich zusammen und fragte:„ Wie alt wart Ihr, als das mit Eurem Vater passiert?“ „Du hast bereits deine Frage gestellt!“, sagte Mandariel und seine Stimme klang auf einmal distanziert. „Was? Nein!“, widersprach Rene. „Hast du mich den nicht eben gerade gefragt, ob ich dich mit Absicht gewinnen ließ?“ Rene hielt kurz inne. „Ja, aber…!“ „Nichts aber. Du hast deine Frage gestellt!“, beendete Mandariel und machte eine abwehrende Handbewegung. Rene kam sich betrogen vor. Wie hätte er ahnen können, dass der Wolfsprinz seine Bedingungen so vehement durchsetzt? Ein Anflug von Ärger überkam ihn. Doch er sagte nichts mehr, sondern beschloss die nächste Gelegenheit, die sich ihm bot, eine Frage zu stellen, nicht verschwenden würde. So spielte er weiter und wieder verlor der Wolfsprinz eine Figur. Erneut kam es Rene vor, als habe er das mit Absicht gemacht, aber er hütete sich davor, ihn darauf an zu sprechen. Rene dachte nach. Was sollte er ihn fragen? Ihm war nie wirklich bewusst gewesen, wie viele Fragen ihm auf der Seele brannten. Erst als er darüber nach grübelte, wurde es ihm klar und ihm wurde kurz schwindelig. Dann aber beruhigte sich. Atmete tief ein und stellte dann die Frage, die für ihn die höchste Priorität hatte. „Was…Wie wird es nun weitergehen? Werdet Ihr weiterhin nach den Töchtern des Dorfes verlangen?“ Mandariels Brauen hoben sich. „Ich dachte, du wolltest wissen, wann das mit meinem Vater passiert ist!“ Rene biss sich auf die Unterlippe. Ja, das wollte er ebenso wissen, aber das was die Zukunft betraf, war ihm wichtiger. „Außerdem…was kümmert es dich, wenn ich weiterhin den Blutzoll einfordere. Das Schicksal der Menschen dort unten, sollte dich eigentlich kalt lassen!“ Seine Stimme hatte wieder diesen kühlen Klang angenommen. Eigentlich hatte er Recht. Es sollte Rene nicht weiter kümmern, was mit den Menschen passierte. Ihr Wohl sollte ihm am wenigsten am Herzen liegen. Trotzdem… Er hatte sich erhofft, dass es damit ein Ende nehmen würde. Dass der Wolfsprinz damit seinen Frieden machte. Wie töricht von ihm. „Ich dachte nur, dass…jetzt wo Euer Vater in Frieden ruhen kann, dass Ihr…!“ „Dass ich auf das verzichte, was mit zusteht!“ Seine Worte schnitten wie eiskalte Dolche in sein Herz. Er hörte sich wieder ganz nach dem Wolfsprinzen an, den er damals auf der Waldlichtung begegnet war. Kalt und grausam. Zu allem entschlossen. „Ich dachte nur…!“, kam es erstickt wieder von ihm. Fühlte sich wie damals, als Mandariel ihn nach seinem Angriff, auf den Boden presste und ihn bedrohte. Er begann sich wieder vor ihm zu fürchten. Mandariels Gesichtszüge wirkten noch einige Herzschläge lang so, als würde er sich nicht erweichen lassen, dann aber wurden sie weich. Er schloss die Augen und seufzte. „Ich verstehe dich einfach nicht. Trotz alldem willst du nicht, dass weiterhin ein Mädchen stirbt!“ „Sie sind doch unschuldig!“, sagte Rene bedrückt. „Sie haben nichts falsch gemacht. Nur…nur ihre Vorväter!“ „Sagst du das nur, weil es deine Schwester hätte treffen sollen? Oder weil dir wirklich an den Leben der Mädchen, und denen, die noch geboren werden, etwas liegt?“ Rene sagte nichts. Sondern sah nur auf das Schachbrett, das mal vor seinen Augen verschwamm, dann aber wieder deutlich zu sehen war. Rene glaubte einen Blick in die Zukunft zu erhaschen. In dieser, lebte er zwar nicht mehr, aber das war nicht schlimm. Immerhin wusste er ja, dass er mit dem Ende des Winters sterben würde. Das Schlimme, was ihn erstarren ließ, war das Bild, welches er vor sich sah. Flora, die mit Jaque in einem kleinen Garten saß und mit einem glücklichen Lächeln auf ein kleines Bündel blickte, welches sie in den Armen hielt. Das kleine Gesicht eines Neugeborenen, war zu sehen und schlief. Ein Mädchen! Das wusste er sofort. Ein Mädchen, das irgendwann, wenn es alt genug war, ebenso bald in den Wald geschickt wurde, um geopfert zu werden. Auch wenn er bezweifelte, dass Flora und Jaque in diesem Dorf bleiben würden, sobald der Schnee geschmolzen war, war die Vorstellung, dass seine Nichte eine von vielen Opfern sein würde, kaum zu ertragen. Wer garantierte ihm überhaupt, dass der Wolfsprinz sie verschonen würde, wenn sie außerhalb des Dorfes zur Welt kam. Genauso gut, könnte er sie holen. Egal wo sie aufwuchs und vollkommen ahnungslos war. Rene wurde speiübel bei dieser Vorstellung. „Du hast Recht. Jetzt wo mein Vater seine Ruhe gefunden hat, hat mein Handel mit den Dörflern jeglichen Sinn verloren!“ Rene fühlte, wie die Erstarrung von ihm abließ und konnte ein erleichtertes Aufatmen nicht zurückhalten. „Im Grunde ist es mir gleich ob sie sich weiterhin vor mir fürchten. Solange sie mich in Frieden lassen, ist mir alles Recht!“ Rene widersprach nicht. Natürlich würde er seine Haltung den Menschen im Dorf nicht überdenken. Zu tief saß noch der Schmerz in ihm. Zu tief war die Wunde, die ihre Gräueltaten in seine Seele geschlagen hatten. Und wenn er ehrlich war, würde es ihm nicht anders ergehen. „Wollen wir weiter spielen?“, fragte Mandariel dann. Dieses Mal war es an Mandariel Rene zu schlagen. Und Rene wappnete sich innerlich vor der Frage, die Mandariel ihm nun stellen würde. „Wieso bist du nun freiwillig zu mir gekommen?“ Diese Frage traf ihn mit einer Wucht einer Pistolenkugel und ließ sein Herz stocken. Wieder verschwamm alles um ihn herum. In seinem Kopf schien sich ein Karussell zu drehen. Was soll ich nur darauf antworten, schrie es in ihm. Sag ihm die Wahrheit! Die Wahrheit? Was war die Wahrheit? Dass du dir Sorgen um ihn gemacht hast? Dass es dir gefehlt hat, ihn zu sehen und mit ihm zu sprechen! Trotz dass es so einfach klang und so richtig, so vermochte es Rene nicht, diese Worte aus zu sprechen. Mandariel sah ihn nur an. Wartete geduldig. Und dennoch hatte Rene den Eindruck, als ob er in seine Gedanken eintauchte und las, was er dachte. „Ich…ehm…!“ „Nachdem Ihr Euch solange nichts von Euch hören ließet, machte ich mir…Sorgen!“ „Du hast dir Sorgen um mich gemacht? Ich dachte, du verabscheust mich?“ Ja, aber jetzt weiß ich, dass Ihr kein Monster seid. Dass Ihr ein Mensch seid! „Ich…ich will versuchen, in Euch mehr zu sehen, als nur eine…Bestie!“ Mandariel ließ diese Worte auf sich wirken und etwas Warmes legte sich um sein Herz. Diese Wärme breitete sich dann in ihm aus und erfüllte ihn. Ein Lächeln zeigte sich auf seinen Lippen. Lange blickte er den jungen Mann an, der ihn einst mit einem Dolch angegriffen hatte und sah ihn in einem neuen Licht. Könnte es sein, dass…? Langsam erhob er sich von seinem Stuhl, ging zu ihm und legte seine Hand auf die schmalen Schultern Renes. Rene zuckte kurz zusammen, blickte dann zu ihm hoch. Sah in das lächelnde Gesicht des Wolfsprinzen. Auch sein Herz wurde von Wärme erfüllt, die sich rasend schnell ausbreitete. „Das freut mich zu hören!“, raunte Mandariel. Und Renes Herz hämmerte so schnell in seiner Brust, dass er fürchtete, der Wolfsprinz würde es hören. Die Art wie er die Worte ausgesprochen hatte, hatte einen verheißungsschwangeren Klang. Rene konnte nicht anders als ihn an zu schauen. Versank in den tiefen seiner eisblauen Augen. Ein wohliger Schauer rann ihm über den Rücken. Ließen seine Knie weich werden und seine Gedanken zäh wie Honig werden. Er hätte noch lange in diese Augen blicken können. Sie waren so hypnotisch und fesseln, dass es unmöglich war, ihnen zu widerstehen. Wie durch einen Nebel sah er wie Mandariels Gesicht dem seinen näher kam. Träum ich, dachte er. Bitte lass es kein Traum sein! Wie zu einer stummen Bitte reckte Rene seinen Kopf zu ihm hinauf. Sehnte sich nach einem Kuss des Wolfsprinzen. Doch dieser kam nicht. Und als er spürte, wie seine Sehnsucht zu bitterer Enttäuschung schrumpfte, sah er wieder klar. Mandariels Gesicht war immer noch dem seinen sehr nahe, aber in seinem Blick lag etwas Nachdenkliches. Als wollte er herausfinden, was in dem Jungen vor ihm vorging. Rene fühlte sich nun als habe man ihn mit Eiswasser übergossen. Fragte sich zugleich, was in ihr gefahren war. Hatte er den Verstand verloren? Wieso verlangte es ihn so, vom Wolfsprinzen geküsst zu werden? Schon wieder! „Wenn du nichts dagegen hast, beenden wir diese Partie!“ Ardou lief wie ein unruhiges-ein sehr unruhiges und vor allem wütendes -Tier auf und ab und stieß einen Fluch nach dem anderen aus. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er den Jungen erst gar nicht in die Nähe seines Herren gelassen. Ihn fortgejagt. Wenn es sogar hätte sein müssen, mit Gewalt. Aber Mandariel war ihm in den Rücken gefallen. Hatte den Jungen empfangen, als wären sie Freunde und ihn, Ardou, hintergangen. Er verstand einfach nicht, wieso sein Herr zu ließ, dass dieser Junge… „Auch wenn du noch so sehr umherläufst, wird es nichts ändern!“, sagte Lira, die unvermittelt neben ihm auftauchte und ihn bekümmert anschaute. Ardou blieb wie angewurzelt stehen und schaute die Frau an. Vorwurf war deutlich in seinen Augen zu sehen. Wie konnte sie, seine Mutter, das zu lassen? „Ist Euch bewusst, dass Euer Sohn im Begriff ist, die Prophezeiung zu erfüllen?“, presste er zwischen zusammen gepressten Zähnen hindurch. Ein Schatten legte sich auf ihr Gesicht und ließ ihre Züge schwer werden. „Ja. Dennoch…was geschehen muss, muss geschehen…!“ Für Ardou kamen ihre Worte einer Ohrfeige gleich. Fassungslos starrte er sie an. Seine Wut war kaum noch in Worte zu fassen. „Was?“, kam es erstickt von ihm. Dann war seine Stimme fest und kalt vor Zorn. „Wie könnt Ihr nur sowas sagen? Er ist Euer Sohn. Ist es Euch gleich, wenn er…!“ Die letzten Worte wollten nicht über Ardous Lippen kamen, als sich eine Klaue der Angst um sein Herz legte und es zu drückte. Lira verstand ihn dennoch. Mit vorsichtigen Schritten ging sie auf ihn zu. Sah ihm fest, aber auch sanft in sein aufgebrachtes Gesicht. „Nein, ist es nicht. Auch mir macht es Angst, dass mein Sohn womöglich…sterben könnte!“, sagte sie und in ihren Augen sah Adrou Tränen schimmern. Seine Wut flaute ein wenig ab. „Wieso lasst es Ihr dann geschehen?“ Lira antwortete nicht. Sondern hob die Hand und legte sie zärtlich auf Ardous Wange. Zuerst versteifte er sich bei der Berührung, dann aber entspannte er sich und schloss die Augen. Es war lange her, dass er die Berührung eines anderen zugelassen hatte. „Weil ich dennoch die Hoffnung habe, dass die Prophezeiung auch anders zu deuten ist!“ Die Inspiration, zu diesem Traum hatte ich als ich mir den Kurzfilm "Gravity!", auf Youtube anschaute. Hier der Link, falls Ihr ihn Euch ansehen wollt^^ Natürlich geht es in den nächsten Kapiteln weiter. https://www.youtube.com/watch?v=2m1Ek6Pjw7s Kapitel 19: Versuchung! ----------------------- Der Traum begann dort, wo er aufgehört hatte. Rene fiel. Fiel ins unendliche und nichts schien seinen Fall stoppen zu können. Panik wallte in ihm auf und raubte ihm die Luft. Wie lange werde ich noch fallen, ging es ihm durch den Kopf. Und wie tief werde ich noch fallen? Plötzlich erfasste etwas seine Hand und bremste je seinen Sturz. Er wurde herumgewirbelt, wie als wenn er in einen Wirbelsturm geraten und verlor beinahe das Bewusstsein. Dann aber ließ das Taumel in seinem Kopf nach und er glaubte wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Die Erleichterung hielt jedoch nicht lange, als er spürte, dass er nicht allein war. Trotz dass er nichts sah, spürte er es. Es war wieder diese Präsenz, die er schon im vorherigen Traum gespürt hatte. Rene atmete zitternd ein. Wartete. Auch wenn er nicht wusste, auf was er wartete. Darauf, dass er wieder fiel. Oder dass er wieder dieses Flüstern hörte, dass ihm seinen Namen ins Ohr hauchte. Doch nichts dergleichen passierte. Vielleicht, dachte er. Vielleicht will mich dieses etwas auch nur testen! Ein kalter Lufthauch, strich ihm über den Nacken und ließ ihn herum wirbeln. Da sah er es! Die schemenhafte Gestalt. Wo vorher noch ihr Gesicht reine Erahnung war, schienen sich nun Schatten darauf gebildet zu haben, die Augen, Nase und Mund erkennen ließen. Rene glaubte darin die Gesichtszüge des Wolfsprinzen zu sehen. Er machte einen Schritt zurück. Die Gestalt schien ihm zu folgen. „Bleib…bleib mir vom Leib!“, keuchte er. Die Gestalt sagte nichts. Sondern schaute ihn nur an. Und auch wenn sie keine Augen hatte, so spürte Rene, wie sie ihn unverwandt anschaute. Bewegte sich dann wie eine Schlange hin und her die ihr Opfer anstarrte und gleich zu schlagen würde. „Lass mich in Ruhe!“, schrie er sie an. Und wie als wollte die Gestalt seiner Aufforderung nachkommen, wich sie zurück. Dann aber sauste sie auf ihn zu. Rene reagierte und hielt schützend die Hand vor sich. Die Gestalt löste sich auf, als sie auf seine ausgestreckte Hand traf und zerfaserte. Rene hatte die Augen geschlossen, als er sie wieder öffnete, fand er sich in einem Wald. Der Boden war mit einer dünnen Schneeschicht bedeckt und trotz dass es Nacht war, erstrahlte der Wand in einem hellen Licht, als würden die Bäume von innen heraus leuchten. Rene war verwirrt. Und beunruhigt. Wo war er jetzt gelandet? Nervös drehte Rene um sich selbst. Auch wenn er nichts sah, konnte er deutlich spüren, dass er nicht allein war. Dass diese Gestalt immer noch hier war. Irgendwo. Angestrengt schaute er zu den Bäumen. Versuchte darin eine verdächtige Bewegung zu erspähen. Doch er sah nichts. Was ihn noch mehr beunruhigte. Als ihm dann die Augen schmerzten, von dem ganzen Starren, rieb er sich diese und versuchte seine durcheinanderhuschenden Gedanken zu ordnen. Ein Lufthauch strich über seinen Kopf hinweg und er erstarrte. Sofort schaute er nach oben und seine Augen weiteten sich. Über ihm, am Himmel schwebte die Gestalt über ihm. Windete sich im Wind wie eine Schlange und stürzte sich dann auf ihn zu. Rene vergeudete keinen einzigen Atemzug und nahm die Beine in die Hand. Warf dabei immer einen Blick über die Schulter. Sah mit Schrecken, dass die Gestalt ihm auf den Fersen war. Schneller, feuerte er sich an. Ich muss schneller laufen! Als er dann wieder nach vorn schaute, blieb er abrupt stehen. Starrte dann in einen tiefen Abgrund. Einige Erdbrocken fielen in die Tiefe. Rene wollte nicht wissen, wie tief es da hinunter ging. Vorsichtig machte er einen Schritt zurück. Aus dem Augenwinkel sah er eine Bewegung und wieder war die Gestalt bei ihm. Sie umschwirrte ihn. Rene ließ sie nicht aus den Augen und wirbelte herum. Dabei verlor er das Gleichgewicht. Und fiel… Rene schlug die Augen auf. Mit einem Seufzen legte er sich die Hand aufs Gesicht. Nicht schon wieder, dachte er. Wieso träumte er das nur? Und wieso fiel er immer wieder? Wollte ihm sein Unterbewusstsein irgendwas damit sagen? Aber was? Ein kurzer Blick nach draußen verriet ihm, dass es noch Nacht war. Aber an Schlaf war nicht mehr zu denken. So stieg er aus dem Bett, zog sich etwas an und stieg die Stufen leise hinunter. Wie oft habe ich mich schon aus dem Haus geschlichen, fragte er sich. Leise öffnete er die Tür und als ihm der beißend kalte Wind ins Gesicht blies, schloss er sie wieder und setzte sich dann auf die Bank. Sein Blick flog hoch zum Wald, hinter dessen Bäumen sich die Felsen befanden, in denen das Schloss des Wolfsprinzen geschlagen war, in dem er lebte. Es war nur wenige Stunden her, aber es fühlte sich an als seien nur Minuten vergangen. In denen er ihm gegenüber gesessen und mit ihm Schach gespielt hatte. Es hatte sich dabei so vertraut angefühlt, als würden sie schon Jahre mit einander spielen. Aber neben dieser Vertrautheit war auch wieder dieses Verlangen da. Das Verlangen, ihn zu küssen. Kurz hing er diesem nach und der Leere, die sie in seinem Herzen hinterlassen hatte. Seine Brust wurde eng und er glaubte keine Luft zu bekommen. Was war nur mit ihm? Verlor er den Verstand? Nein, daran lag es sicher nicht. Schließlich konnte er klar denken. Nur, immer wenn er Mandariel so nahe war, schien seine Vernunft weit fort zu sein. Verlor sich in seinen Augen und vergaß alles um sich herum. Und auch wenn es ihm nicht ganz geheuer war, dass Mandariel solch eine Macht über ihn hatte, so hatte es auch etwas Verlockendes. Welchem er nicht widerstehen konnte. Am liebsten würde er jetzt gleich wieder zu ihm zurück. Fast schon wollte er aufstehen und zurückgehen, als eine Stimme ihn zurückhielt. „Rene!“ Rene drehte sich um und sah Flora in der Türe stehen. Mit wirren Haaren und schlaftrunkenen Augen. Sie musste wachgeworden sein, als er sich hinausgeschlichen hatte. Rene merkte, wie er ganz starr wurde und sah seine Schwester für einige Augenblicke an. Flora blinzelte. „Was machst du denn hier draußen?“, fragte sie und rieb sich die Augen. „Es ist mitten in der Nacht!“ Flora sah in diesem Moment genauso aus wie damals, als sie ihn dabei erwischt hatte, als er sich davonstehlen wollte. Wie auch hier war es in der Nacht gewesen. Nur wollte er damals die reifen Äpfel vom Baum klauen. Jetzt wollte er wieder zu Mandariel. Und kam sich sogleich ziemlich lächerlich vor. Er benahm sich wie ein verliebter Jüngling. „Ich…ich wollte nur frische Luft schnappen!“, sagte er lahm. Flora blinzelte wieder und sah ihn nun etwas misstrauisch an. „So spät noch?“ Rene machte kehr und kam auf sie zu. Schüttelte den Kopf. Versucht dabei ein Lächeln. „Komm wieder rein!“, bat sie ihn schließlich. Klang dabei ganz wie die große Schwester. „Es ist kalt draußen!“ Rene lächelte. Folgte ihr dann. Schaute jedoch über die Schulter und zum Wald. Er würde bis morgen warten müssen. Den darauffolgenden Tag verbrachten Flora, Rene und ihre Großmutter damit, den Keller aus zu räumen. Um Platz zu machen und einige nette Dinge zu finden, die sie für die Hochzeit gebrauchen konnten. „Glaubst du wirklich, dass Jaque und sein Vater sowas als Mitgift haben wollen?“, fragte Flora zweifelnd als sie ein altes verblichenes Bild hervor holte, dass eine Landschaft zeigte. Martha hob die Schultern. „Keine Ahnung. Aber immerhin werden wir dadurch einige Sachen los, die wir nicht mehr brauchen!“, bemerkte Martha. „Vielleicht können wir sogar welche verkaufen!“ „Ich bezweifle, dass die Leute etwas von uns kaufen wollen!“ „Wenn Sie schon unser Brot kaufen, werden sie das sicher auch haben wollen!“, versprach ihr Martha, doch an dem Klang ihrer Stimme, konnte Flora deutlich hören, dass sie es selbst nicht so recht glaubte. Diese Leute würden ihre Sachen eher verbrennen, als das sie es in ihrem Haus haben wollten. „Vielleicht…vielleicht sollten wir es lieber erstmal noch behalten und dann erst verkaufen, wenn wir nicht mehr in diesem Dorf sind!“, schlug Flora vor, die das gleiche dachte. Drückte dabei einen alten Stoffbären an ihre Brust, den sie aus einer Kiste hervorgeholt hatte. In ihrer Kindheit war das ihr liebstes Kuscheltier gewesen. Und sie würde den Teufel tun, als es weg zu geben. Rene hatte bis jetzt nur zugehört und einige Kisten aufeinander gestapelt und sie an einen anderen Platz gestellt. Auch er wollte nicht, dass die Sachen wegkamen. Er hing genauso daran, wie Flora. Aber sein Vater und seine Mutter hatten gesagt, dass es das Beste wäre. Denn so hätten sie weniger zu packen und zu schleppen. „Sucht das raus, was nicht mehr gebraucht wird und stellt es hinter das Haus. Eure Mutter und ich werden dann entscheiden, was damit geschieht!“, hatte sein Vater gesagt. Sicher würden sie es einfach stehen lassen, bis es verrottete, dachte er und für einen kurzen Moment spürte er heiße Wut in sich aufsteigen. Doch diese verging schnell und er fühlte sich schlecht. Nichts von diesen Dingen wurde nicht gebraucht. Jeder Gegenstand, selbst das kleinste Stück Papier, erschien ihm in diesen Moment so wertvoll wie ein Schatz. Rene sah eines der alten Kinderbücher, die er damals so gern vorgelesen bekommen hatte. Zärtlich damals als Kind träumen ließ. Wie Flora zuvor drückte er das Buch an sich. Schloss die Augen und hing seinen Erinnerungen nach. Hörte in seinem Kopf die Stimme seiner Mutter, die ihm daraus vorlas. Es schien eine Ewigkeit zu vergehen als Martha ihren Enkel aus seinen Gedanken holte. „Rene!“, sagte sie. Rene kam nur widerwillig aus seiner Erinnerung und schaute dann zu seiner Großmutter. Martha lächelte ihn an. In ihren Augen schimmerten Tränen. Ihr erging es genauso wie ihm. Sie blickte sich um. Suchte wohl nach etwas, was sie unbedingt aufheben wollten. Ihr Blick fiel auf eine kleine verstaubte Holzschachtel, mit einem Drehschlüssel an der Seite. Sie ging langsam darauf zu, nahm sie in die Hand und klappte den Deckel auf. Eine Melodie erklang. Martha rann nun eine Träne die Wangen hinunter. Rene wusste, dass sein Großvater, Ihr Ehemann, ihr diese Spieluhr zu ihrer Hochzeit geschenkt hatte. Nach seinem Tod wollte sie sie jedoch nicht in ihrem Haus haben, weil die Trauer zu groß und der Schmerz unerträglich war. Jetzt, wo sie sie in der Hand hielt und die Melodie wieder hörte, war der Schmerz wieder da. Marthas Hände zitterten und Rene fürchtete, dass sie sie fallen lassen würde. Doch Martha fasste sich wieder und schloss leise die Spieluhr. Die Trauer war nun aus ihrem Gesicht verschwunden und ein sanftes Lächeln lag auf ihren Lippen. Es schien als würde sie nur noch die schöne Zeit vor Augen haben, die sie mit ihrem Großvater verbringen durfte. Und die sie am stärksten in Erinnerung haben wollte. Diese Spieluhr sollte nicht länger für das Ableben ihres Mannes stehen. „Flora!“, sagte sie und ging zu ihrer Enkelin. Flora sah sie fragend an. Als sie dann die Spieluhr sah, wurden ihre Augen groß. Sie erkannte sie sofort. Wie oft hatte sie spielen gehört und sich von ihr trösten lassen. „Großmutter?“ „Hier!“, sagte sie und hielt sie ihr hin. „Diese Spieluhr habe ich von deinem Großvater bekommen, als Zeichen für unsere Gefühle. Jetzt solltest du sie bekommen!“ Flora war sprachlos. Sie machte Anstalten dieses Geschenk ab zu lehnen, doch Martha schüttelte den Kopf. „Wenn ich irgendwann von dieser Welt gehe, will ich sie in guten Händen wissen. Das ist mein Geschenk für deine Hochzeit!“ „Großmutter, ich…das…das kann ich…!“ „Und ob du kannst!“, sagte Martha inbrünstig. „Tu lieber, was sie sagt, Flora. Sonst wird Großmutter noch sauer!“, bemerkte Rene. Martha sah kurz zu Rene, dann zu Flora und grinste wissend. Dann wurden ihre Gesichtszüge sanft. „Flora, bitte. Tu mir diesen einen Gefallen. Mehr verlange ich nicht!“ Flora zögerte noch, dann nahm sie ehrfürchtig die Spieluhr in die Hände und sah ihre Großmutter an. Lange Zeit sagte keine von ihnen was, dann umarmte Flora sie. „Danke, Großmutter!“ Rene wandte sich um und räumte weiter auf. Dabei merkte er, wie ihm selbst die Tränen kamen. Wie schwer es wohl seiner Großmutter fiel. Aber wie glücklich sie auch war, dass sie die Spieluhr nun in guten Händen wissen konnte. Rene mochte nicht daran denken, dass auch ihre Zeit irgendwann kommen würde. In den letzten Wochen und Monaten hatte er das Gefühl, dass die Zeit mit seiner Familie wie im Flug verging und er wollte jeden Tag davon verinnerlichen. Während er so weiter in den Kisten herumkramte, fanden seine Finger ein Gestell aus Holz und zog es hervor. Seine Augen wurden groß als er es erkannte und gab einen erstaunten Laut von sich. Dann aber hatte er Idee. So verrückt sie auch war, aber er wollte sie umsetzen. „Was ist das für ein Ding?“, fragte Nima neugierig Rene als er in der darauffolgenden Nacht wieder auf die Lichtung trat und den Schlitten, den er im Keller gefunden hatte, hochhielt. „Das ist ein Schlitten!“, erklärte er. „Man setzt sich drauf und rutscht damit einen Berg hinunter!“ Nima sah nicht gerade so aus, als würde sie viel davon halten. Auch ihr Bruder, der bei ihr war, sah das Ding misstrauisch an. Vorsichtig schnupperte er daran. Ansonsten mied er Rene an zu sehen. Rene sah das natürlich und fragte sich, was mit ihm sei? Schon beim letzten Mal hatte er es vermieden ihn an zu schauen oder ihn an zu sprechen. Es war als habe er es sich mit ihm irgendwie verscherzt. „Warum sollte man sowas machen?“ „Weil es Spaß macht!“, erklärte Rene. „Spaß? Also ich weiß nicht!“, sagte Nima skeptisch und betrachtete den Schlitten mit wachsendem Misstrauen. Das Ding war viel zu klein, als dass sich ein Erwachsener draufsetzen konnte. Wie sollte man damit fahren sollen? Rene merkte wohl, wie sie das Gefährt anschaute. „Ich zeig es dir!“, schlug er. „Gibt es hier eine Anhöhe?“ Nima nickte und führte ihn zu einem Abhang, der nicht zu steil und zu gefährlich war. Ganz zu schweigen frei von Bäumen, gegen die man fahren konnte. Rene stellte den Schlitten auf den Schnee und setzte sich darauf. Rutschte etwas nach vorne und kaum dass der Schlitten den Rand des Abhangs erreicht hatte, beugte sich Rene nach vorne und schon sauste er in rasender Geschwindigkeit hinunter. Nima stieß einen entsetzen Schrei aus und wollte hinter ihm her. Ihr Bruder ebenso. Egal wie und warum und mit was Rene ihn gekränkt haben mochte, machte er sich nun Sorgen um den jungen Mann. Da hörten sie, wie Rene lachte und rief. Jetzt hat er völlig den Verstand verloren, dachte sie. Einige Zeit später kam Rene wieder hoch, schwer außer Atem aber mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Nima schüttelte den Kopf. Konnte nicht begreifen, was ihn solch eine Freude machte. „Willst du auch mal?“, fragte Rene immer noch keuchend und stellte den Schlitten in Position. Nima machte einen Schritt zurück. „Keine zehn Pferde kriegen mich dazu!“, sagte sie entschieden und verschränkte die Arme vor der Brust. „Komm schon. Es wird schon nichts passieren. Ich verspreche es!“, versicherte Rene ihr. Nima machte ein verkniffenes Gesicht. „Ich halte dich fest!“ „Wie soll das gehen? Du nimmst ja schon den meisten Platz weg!“, widersprach Nima. Rene seufzte, rutschte dann etwas zurück. „Wenn wir uns kleinmachen, wird es schon gehen!“ So sehr er sich auch bemühte, er schien es nicht zu schaffen, dass Nima ihre Bedenken, was das runter Rodeln betraf, vergas. Und eigentlich hätte er es gut sein lassen. Aber irgendwie wollte er auch Nima zeigen, dass das wirklich Spaß machte und dass nichts Gefährliches daran war. „Komm schon. Nur das eine Mal!“, bat er sie. Hielt ihr dann seine Hand hin. Nima seufzte. „Du gibst nicht auf, was? Du wirst so lange nerven, bis ich nachgebe?“ Rene grinste. Er erinnerte sie kurz an Flora, seine Schwester, die er zu irgendwas überreden wollte. Und auch wenn es ihm kurz einen Stich versetzte, so fühlte es sich dennoch gut an. Nima war mit der Zeit eine sehr gute Freundin für ihn geworden. Zwar rückte sie ihm hin und wieder den Kopf zurecht. Aber sie hatte auch Verständnis wenn er Zweifel in Bezug was ihren Herren betraf, hatte. Aus Dank wollte er sie daher teilhaben lassen, an dem was ihm Spaß machte und bedeutete zu leben. Wie seltsam. Nie hatte er großartig darüber nachgedacht. Aber nun schien es ihm ein großes Bedürfnis zu sein solange wie es nur möglich war die Zeit, die ihm blieb, zu genießen. Vielleicht, so dachte er, würde auch Nima an ihn denken, wenn er… Nima seufzte. „Na gut, na gut. Aber nur dieses eine Mal!“, sagte sie und setzte sich vor Rene hin. Jetzt als sie darauf saß, wurde sie nun umso nervöser. Rene legte seine Arme um ihre Hüfte, drückte sie eng an sich und schob sich zugleich nachvorne. Nima sah wie sie immer näher dem Abgrund kamen und ihre Augen weiteten sich. „Rene…!“, sagte sie und wollte vom Schlitten springen, doch da war es schon zu spät. Langsam neigte sich der Schlitten nach vorne und als Rene dem Schlitten einen letzten Schubs gab, rutschte er schon nach unten. Nimas Inneres rutschte dabei schlagartig nach oben und sie schrie auf als es bergab ging. Nimas Bruder lief den beiden sogleich nach. Während sie hinunter sausten, hörte Nima, wie der Wind an ihnen vorbeirauschte. Und merkte wie ihr Innerstes wieder an seinen Platz rutschte. Dennoch kniff Nima die Augen zusammen und biss die Zähne zusammen. Traute sich nicht sie zu öffnen, da ihr bange war. Sie fürchtete, dass sie mit dem Schlitten gegen einen Baum donnern würden, sobald sie sie öffnete. Versuchte dabei die Neugier nieder zu ringen, die in ihr wuchs. Wollte wissen, was eigentlich passierte und warum Rene so begeistert davon war. Wagte es aber immer noch nicht. Da hörte sie Renes beruhigende Stimme. „Mach die Augen auf, Nima!“ Nima schüttelte den Kopf, presste ihre Augenlider noch mehr zusammen. „Du brauchst keine Angst zu haben. Du kannst mir vertrauen!“, versprach er ihr. Nima zögerte noch einen kurzen Moment. Dann aber öffnete sie sie doch und ihr stockte der Atem. Die Bäume und Büsche. Jeder Hügel verschwamm neben ihnen während sie weiter runter sausten. Es war atemberaubend. Nicht mal als Wolf war sie so schnell durch den Wald gerannt. Und während sie weiter dahinsausten, ließ jegliche Befürchtung und Skepsis nach und nach ab. Stattdessen machte sich nun Begeisterung in ihr breit. Die gleiche Begeisterung, die auch Rene zuvor verspürt haben musste und die ihr vorher so unbegreiflich war. Nun aber konnte sie es verstehen. Es fühlte sich an als würden sie fliegen. Als Rene dann die Füße in den Schnee stieß und somit der Fahrt ein Ende setzte, bedauerte Nima dies. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätten sie noch ewig so fahren können. Nima sprang ab und reckte die Arme in die Höhe. „Das…das war großartig!“, rief sie. „Bitte. Noch mal. Lass uns das noch mal machen!“ Rene hatte nichts dagegen. Mit einem breiten Grinsen nahm er den Schlitten und beide stiegen den Abhang wieder hinauf. Kaum dass sie oben waren, setzten sie sich wieder auf den Schlitten und sausten ein zweites Mal hinunter. Nima war nicht mehr zu halten und gab ihrer Freude laut kund. Jauchzte und jubelte wie ein Kind. Rene war erstaunt, aber dann stimmte er ihren Rufen ein. Beim fünften Mal wollte Nima nun allein auf dem Schlitten den Berg hinunterfahren. Rene war einverstanden. Erklärte ihr wie sie zu bremsen hatte und das sie sich gut festhalten sollte. Nima hörte mit wachsender Ungeduld zu und als Rene endlich zur Seite trat, rutschte sie, wie er zuvor an den Rand und schon schlitterte sie hinab. Rene sah ihr nach und grinste etwas. „Wie ein kleines Kind!“, bemerkte er. „Pffff!“, hörte er nur Nimas Bruder von sich geben und sah zu ihm hinunter. „Willst du auch mal?“ „Nein, danke!“ Dabei klang er so wie jemand dem man in die Suppe gespuckt hatte. Rene runzelte die Stirn. Was war nur los mit ihm? Gerade wollte er ihn darauf ansprechen, da hörte er wie Nima laut aufschrie und abrupt verstummte. Sofort schaute er den Hang hinunter und sah, dass der Schlitten in einem Schneehaufen steckten. Und darüber zwei Füße. Schlagartig war die Heiterkeit verflogen und Sorge überkam ihn. „Nima!“, schrie er und lief den Berg hinunter. Der Wolf folgte ihm. Schlitternd und rutschend eilten sie zu der Verschütteten und als sie bei ihr ankamen, fingen sie sogleich an, sie aus dem Schnee zu befreien. „Nima!“, rief Rene besorgt. „Um Himmels willen!“ Nach und nach befreiten sie Nima aus dem Schnee und halfen ihr hoch. Rene klopfte dabei den Schnee von ihr, während ihr Bruder sie abschnupperte und sich dann an sie drängte. „Alles in Ordnung?“, fragte Rene und legte seinen Arm um sie. Doch statt zu zittern und erschrocken aus zu sehen, grinste sie von einem Ohr zum anderen und kicherte. „Nochmal!“ Rene blinzelte verwirrt. Dann aber schüttelte er den Kopf. „Ist mit dir alles in Ordnung?“, fragte er dann zweifelnd, da er fürchtete, dass sie sich etwas getan hatte und es noch nicht merkte. Er wollte sich nicht ausmalen was der Wolfsprinz mit ihm machen würde, wenn er erfuhr, dass eine seiner Schützlinge zu Schaden kam. „Darf man erfahren, was hier vor sich geht?“ Alle drei zuckten zusammen als sie die Stimme des Wolfsprinzen hörten und drehten sich dann um. Mandariel stand vor ihnen und sah sie mit der Miene eines Vaters an, der seine Kinder bei einem dummen Spiel erwischt hatte. Selbst Nimas Heiterkeit schien verflogen zu sein. Aber nur kurz. Dann strahlte sie wieder, ging zu ihm und zeigte auf den Schlitten, der immer noch im Schnee steckte. „Wir sind Schlitten gefahren, Herr!“, erklärte sie. „Rene hat ihn mitgebracht. Es macht Spaß damit zu fahren!“ Mandariel hob die Brauen. Sah von Nima zum Schlitten und dann zu Rene. Kurz flackerte so etwas wie Misstrauen darin auf. Dann aber sah Rene deutlich wie seine Augen Ablehnung ausstrahlten und ihm wurde flau im Magen. Er machte einen Schritt zurück. Er bereute nun, dass er dieses Ding hier her gebracht hatte. Mandariel war sicher wütend auf ihn, weil er es in Kauf genommen hatte, dass Nima oder ihr Bruder sich dabei verletzen konnten. Er öffnete schon den Mund um sich zu entschuldigen, da fiel ihm Nima ins Wort. „Versucht es auch mal!“, sagte sie. Mandariels Gesicht verzog sich als hätte er in eine Zitrone gebissen. „Ich werde mich ganz sicher nicht auf dieses Ding setzen!“, sagte er. Auch Rene bezweifelte, dass Mandariel sich je dazu herablassen würde. Er war nicht die Sorte Mensch dafür. Auch wenn die Vorstellung ihn den Berg hinunterfahren zu sehen, ihn irgendwie schon zum Grinsen brachte. Rene verkniff es sich jedoch. „Außerdem bist du zu alt für solche Kinderein!“ Dann wandte er ihr den Rücken zu. Seine Worte waren wie ein Schlag ins Gesicht, Nima senkte verlegen den Kopf und schaute betroffen zu Boden. Rene legte tröstend die Hand auf ihre Schulter. Merkte dabei wie er sich über Mandariel ärgerte. Was gab ihm das Recht, Nima als kindisch zu bezeichnen. Nur weil er Ihr Herr war? Für Rene war das kein Grund. Und fragte sich ob er immer jedem den Spaß verdarb, nur weil es ihm nicht in den Kragen passte? Schließlich hatte Lira ihm ja erzählt, dass Mandariel damals wie jedes andere Kind war. Flausen im Kopf und ohne irgendwelche Sorgen. Und Rene wollte insgeheim auch daran glauben, dass noch immer dieses Kind, diese Unbeschwertheit, in ihm steckte. Kein Mensch konnte stets so bitter ernst sein. Umso größer wurde jedoch auch sein Ärger auf ihn. Und aus diesem Ärger wurde etwas, was einer Versuchung gleichkam. Rene wollte dieser zuerst nicht nachgeben, dann aber sagte er sich, wieso nicht. Was konnte es schon schaden, ihn aus der Reserve locken? Ihm zu zeigen, dass seine Verbohrtheit einfach nur lächerlich war. Ohne das Nima oder ihr Bruder es verhindern konnten, bückte sich Rene, sammelte etwas Schnee zusammen, formte daraus einen Ball und warf ihn diesen dem Wolfsprinzen an den Kopf. Eine kleine Wolke aus Schneeflocken stob auf als der Ball an Mandriels Kopf prallte und zerplatzte wie eine Seifenblase. Mandariel blieb stocksteif stehen, dann, ganz langsam, drehte er sich um und sah mit einem finsteren Blick zu den Dreien. Nima und ihr Bruder schritten etwas zur Seite, sodass Rene allein dastand. Aber das machte ihm nichts aus. Sollte der Wolfsprinz ruhig wissen, wer ihn mit einem Schneeball beworfen hatte. Rene drückte seinen Rücken durch, machte sich dadurch größer und reckte trotzig den Kopf nach vorne. In Mandariels Augen blitzte es kurz lauernd. Dann aber huschte sein Blick kurz nach oben, zu etwas, was über Rene war. Dann lächelte er heimtückisch und ehe Rene begriff, was es zu bedeuten hatte, ging ein Regenschauer aus Schnee auf ihn nieder. Rene stieß einen erschrockenen Laut von sich und schaute einen Moment verwirrt drein, dann schaute er nach oben und sah die grünen Wipfel einer Tanne, dessen Äste über ihm hingen. Kein Schnee lag mehr auf diesen darauf. Dann blickte er zu Mandariel und sah nun ein triumphierendes Grinsen auf dessen Lippen. Die Verwirrtheit verflog sofort und auch er verspürte Triumph. Na also, dachte er. Ich wusste es! Er hatte es wirklich geschafft, Mandariels Verstocktheit zu brechen. Dass er dabei nun die Retourkutsche bekam, war für ihn nicht weiter schlimm. Immerhin hatte er den Beweis, dass unter diesem harten Eis auch etwas Warmes, Lebendiges lag. Rene brach in schallendes Gelächter aus. Mandariel lachte hingegen nicht, aber er lächelte nun. Nima und ihr Bruder sahen beide an als würden sie sie nicht kennen. Fragten sich, was da gerade zwischen ihnen vorgegangen war. Von jetzt auf gleich verhielten sie sich wie Freunde. Wenig später aber saß Rene im heißen Wasser, da der Schnee, der in seinen Kragen gewandert war, zu schmelzen begonnen hatte und ihn zum Zittern brachte. Ohne große Umschweife hatte Mandariel ihn sogleich in einen Raum gebracht. In dessen Boden war ein riesiges Loch geschlagen worden, gefüllt mit dampfendem Wasser. Rene runzelte die Stirn. Die Wände, der Boden, die Decke. Alles bestand aus geschlagenem Eis und auch wenn es hier drin angenehm war, beinahe drückend, so rann nicht ein dünnes Rinnsal das Eis hinunter. So als wenn die Hitze des Wassers dem Eis nichts anhaben konnte. „Zieh deine Kleider aus. Ich werde sie Nima zum Trocknen geben!“, wies er ihn an. Rene zögerte kurz, warf dann einen unsicheren Blick zu Mandariel. Er stand einige Schritte hinter ihm und schaute ihn abwartend an. Sofort war das Gefühl, welches ihn ergriffen hatte, als Mandariel den Schneeball an den Kopf geworfen hatte, verschwunden und Verlegenheit zeigte sich nun in seinen Gesichtszügen. Dabei war das eigentlich lächerlich. Was war schon dabei, wenn er sich in der Gegenwart des Wolfsprinzen entkleidete? Dennoch haderte er mit sich. Mandariel legte den Kopf schief. „Was ist? Zu schüchtern auf einmal sich vor mir aus zu ziehen?“, fragte er und grinste nun schief. Es war eines dieser Grinsen, dass Rene noch mehr das Blut in den Kopf schießen ließ und ihm sagte, dass sein Verhalten wirklich lachhaft. Es war ja schließlich nicht das erste Mal, dass er ihn ohne Kleidung sah. Nur war es nur mein Oberkörper, ging es ihm durch den Kopf. Renes Zögern war Mandariel Antwort genug. Sein Grinsen wurde breiter. Es amüsierte ihn, dass Rene sich nun benahm wie ein schüchterner Junge. „Es reicht doch, wenn ich nur das Hemd aus ziehe. Ich kann doch mit der Hose reingehen!“, schlug Rene schwach vor. Mandariel schüttelte den Kopf. „Du benimmst dich wie eine Jungfrau, die ihrem frisch angetrauten in der Hochzeitsnacht gegenüber steht!“, bemerkte er. Rene schnappte beleidigt nach Luft und würgte eine scharfe Erwiderung hinunter. Wieder war da diese arrogante Art, die ihn so sehr auf die Palme brachte. Mit demonstrativer Gleichgültigkeit, zog sich Rene sein Hemd über den Kopf und warf es ihm zu. Mandariel fing es geschickt auf und legte es sich über den Arm. Danach folgten Renes Stiefel, die er in eine Ecke kickte und zum Schluss, und da wiederum zögerte er kurz, riss sich aber zusammen, schälte er sich aus der Hose. Drehte Mandariel dabei den Rücken zu, sodass dieser nur eine Rückseite sehen konnte und stieg dann in das warme Wasser. Mit der Ruhe einer Mutter, die ihr schmollendes Kind erstmal wieder abkühlen lassen wollte, sammelte Mandariel seine Kleider auf. Wandte sich dann zur Tür um. Schaute aber noch einmal kurz über seine Schulter. „Lass dir Zeit!“, sagte Mandariel, ehe er den Raum verließ. Dabei hörte sich seine Stimme äußerst zufrieden an. So, als habe er einen Kampf für sich entschieden, bei dem er schon vorher wusste, dass er ihn gewinnen würde. Rene Ärger hielt noch lange an. Wenn das Wasser schon nicht warm gewesen wäre, hätte er es mit seiner eigenen Wut zum Kochen gebracht. Was denkt er sich eigentlich, ärgerte er sich und verschränkte die Arme vor der Brust. Denkt er wirklich, er könne mit mir spielen wie eine Katze mit einer Maus?! Du machst es ihm auch wirklich einfach, ermahnte ihn eine Stimme und der Ärger, der ihn noch fest im Griff hatte, fiel von ihm ab. Das stimmte. Er ließ sich wirklich leicht von ihm aus der Bahn bringen. Dagegen war sein Triumph ein Tropfen auf heißem Stein. „Verdammt!“, fluchte er leise vor sich. Versank etwas tiefer ins Wasser, sodass das Wasser bis zu seinem Kinn reichte und schloss die Augen. Das warme Wasser machte ihn schläfrig. Legte sich wie eine schwere, warme Decke über seine grimmigen Gedanken. Es muss doch möglich sein, auch ihn mal aus der Fassung zu bringen!“ „Wen aus der Fassung zu bringen?“, fragte eine Stimme und riss ihn aus seinen Gedanken. Rene schrak hoch und sah durch die Nebelschwaden eine Gestalt auf sich zu kommen. Als sie näher kam und Rene sie genau erkennen konnte, wurde ihm schlagartig kalt. Bis zur Hüfte im Wasser stehend, stand dort Mandariel vor ihm und sah ihn neugierig an. Sein Oberkörper hob sich deutlich vom weißen Nebel ab, der über dem Wasser dahin kroch. Als bestünde er aus weißem Marmor. Ebenso seine muskelöse Brust und die Partien darunter. Insgesamt wirkte seine Erscheinung, als habe ein Meister der Bildhauerei ihn aus einem großen, groben Block Gestein gehauen und ihm Leben eingehaucht. Gepaart mit dem schwarzem Haar, das ihm bis zur Hüfte reichte und mit den eisblauen Augen, wirkte wie ein übernatürliches Wesen, in dessen Brust etwas hauste oder tobte, was Rene immer wieder ein Rätsel war. Dabei blutete er. War verwundbar wie jeder andere Mensch auch. Dennoch…Mandariel schien zwischen beiden Welten zu existieren und es war nicht leicht heraus zu finden in welcher er sich momentan befand. Ohne einen Gedanken zu verschwenden ließ er den Blick auf Madariels Körper auf und ab wandern. Konnte sich nicht satt sehen an diesem Anblick Umso erleichtert war er, dass das Wasser ihm bis zur Hüfte reichte. Dennoch konnte er das Dreieck unterhalb seines Bauchnabels sehen und den Schatten seiner Männlichkeit. Als Rene merkte dass er ihn unverblümt anstarrte, riss er den Blick schnell hoch. Was starre ich ihn so an, schrie er sich selbst an. Mandariels hatte natürlich bemerkt, wie er ihn betrachtet hatte und ein diebisches Grinsen stahl sich auf seine Lippen. Langsam schritt er auf ihn zu und nahm neben ihn Platz. Und auch wenn er einen armlangen Abstand zwischen sich und Rene hatte, so hatte Rene wiederum erneut das Gefühl, dass er ihm sehr nahe war. Dass er nur eine Hand ausstrecken musste, um ihn zu berühren. Rene machte sich sogleich ganz klein. Vermied es dabei ihn an zu sehen. Wieder hatte er es geschafft! Ihn in Verlegenheit zu bringen und ihm zu zeigen, dass er die Fäden in der Hand hielt. Dieser Elende! „Wenn du weiterhin so aufs Wasser schaust, wirst du es noch zum Kochen bringen!“, sagte Mandariel. Rene hingegen schwieg, schaute zur Seite. Sein Blick verfinsterte sich. Wessen Schuld ist das wohl? „Was hat dich eigentlich dazu gebracht dieses Ding mit zu bringen?“, fragte Mandariel nun und klang dabei wieder ganz wie der Herr. Kühl und ruhig. Rene weigerte sich erstmal ihm eine Antwort zu geben. Merkte aber den Blick, mit dem Mandariel ihn bedachte und wusste, dass er ihn solange anschauen würde, bis er mit der Sprache raus rückte. „Ich…ich wollte…keine Ahnung warum. Ich hielt es für eine gute Idee!“, sagte er lahm. „Ich hatte eher das Gefühl als wolltest du Nima eine Freude machen!“, sagte Mandariel. Rene hob nur die Schultern. „Du scheinst sie gern zu haben?“ „Ich…ja…sie erinnert mich an Flora!“ Darauf herrschte Stille zwischen ihnen. Nur das Plätschern des Wassers war zu hören. „Ist dir klar, dass sie um dich weinen wird?“ Die Frage kam so unvermittelt und überraschend, dass Rene erstmal nicht verstand, wen er damit meinte. Dann begriff er und schlug die Augen nieder. Und ob ihm das bewusst war. Er verfluchte sich nun, dass er versucht hatte, Nima eine Freude zu machen. Wollte sich dabei nicht vorstellen, wie sehr es sie treffen würde, wenn er nicht mehr war. Der Versuch sich ein zu reden, dass sie ihn in guter Erinnerung behalten würde, war daher nur schwach. Rene nickte nur. Konnte darüber nichts sagen und wollte es auch nicht. Mandariel sah ihn eine Weile forschend an. „Und dennoch versuchst du, ihr in guter Erinnerung zu bleiben? Wieso?“ Rene wusste darauf keine Antwort und so schaute er nur dumpf vor sich her. Es war eine dieser Fragen auf die es keine Antworten gab. Zumindest, die ihm nicht einfiel oder alles erklärte. Es war viel mehr eine Sache des Herzens. Er hatte es sich zu Anfang selbst nicht vorstellen können, dass er sich irgendwann mit ihr anfreunden würde, es hatte sich einfach so entwickelt. „Vielleicht will ich, dass sie an mich manchmal denkt!“, kam es gedämpft von ihm. Mandariels Blick ruhte noch lange auf ihm. Dann schaute auch er ins Leere. Rene nutzte dies, um verstohlen Mandariel an zu schauen. Dabei fragte er sich, was in ihn gefahren war. Wieso er dieses Verlangen hatte, ihn pausenlos an zu starren. Aber dagegen ankämpfen wollte er auch nicht. Er konnte es nicht mal. Und so schaute er ihn unverwandt an. Jetzt, wo er so nahe bei ihm saß, konnte er seinen Oberkörper nun genauer betrachten. Sah nun auch, dass sein Leib nicht so makellos gewesen war, wie er zuerst gedacht hatte. Einige verblasste Linien durchzogen seine Haut, wie Schnitte. Narben! Rene fröstelte trotz der Wärme des Wassers. Ohne es zu sehen, bemerkte Mandariel wie er ihn anschaute und beim Anblick seiner Narben scharf die Luft anhielt. „Hast du noch nie Narben gesehen?“, fragte er ungerührt. Rene schluckte, biss sich kurz auf die Unterlippe und schüttelte den Kopf. „Nein. Aber ich dachte…!“ „Was dachtest du?“, kam es von Mandariel und sah ihn nun von der Seite an. „Das…das Ihr niemals Narben tragen würdet! Das man Euch keine Wunden schlagen kann!“ Mandariel erwiderte darauf erstmal nichts, sondern sah ihn nur an. Dann vibrierte seine Brust und ein kehliges Lachen kam aus ihm. „Es schmeichelt mich, dass du mich für unverwundbar hälst, aber so ist das leider nicht!“, sagte er amüsiert. Wurde dann aber bitter ernst. „Trotz dem Erbes, das mir mein Vater vermacht hat, habe ich dennoch auch Schwächen eines Menschen!“ Dabei hob er die Hand aus dem Wasser und betrachtete sie nachdenklich. „Wenn man mich angreift und mich verletzt blute ich zwar nicht stark. Keine Kralle, kein Schwert kann mich wirklich töten. Aber das heißt nicht, dass ich keine Spuren davon trage!“ Dann berührte er mit den Fingern die kleine Narbe, die ihn Rene einst zugefügt hatte und das schlechte Gewissen grub seine Krallen in Renes Seele. „Davon durftest du dich ja selbst überzeugen!“ Ein wehmütiges Lächeln umspielte seine Lippen. Machten das schlechte Gewissen umso unerträglicher. Mit einem Mal hatte Rene das Gefühl, als würde die Hitze des Wassers seinen Verstand benebeln. Ihn schwächen. Dabei war es nicht nur das warme Wasser, sondern auch der Blick mit dem Mandariel ihn wieder bedachte. Wehmütig und auch amüsiert. Er wusste, wenn er noch länger hier sitzen würde, würde er den Kopf verlieren. „Ich…ich sollte jetzt besser…!“, stammelte er und sprang auf. Doch kaum dass er stand, schwankte er und kippte zur Seite. Mandariel sprang blitzschnell auf und noch ehe Rene ins Wasser kippen konnte, fing er ihn auch schon auf. Hielt ihn behutsam an sich, um ihn nicht fallen zu lassen. Zuerst dachte er nur, was nun los sei? Wieso dieser Junge auf einmal in sich zusammen sackte? Und wollte ihn dann aus dem Wasser tragen und ablegen. Hielt aber inne. Drückte ihn dann enger an sich und umschloss ihn mit seinen Armen. Renes Atem streifte seine Brust und hinterließ eine Gänsehaut auf seiner nackten Haut. Ließ ihn schauern und sich fragen, wie es sein kann, dass die Berührung eines einfachen Jungen solch eine Wirkung auf ihn hatte. Das war jedoch nebensächlich in Betracht des Gefühls, welches ihn durchströmte, als er sich der Wärme gewahr wurde, die von Rene ausging. Die glatte weiche Haut seiner Hüfte, seines Bauches und seiner Brust, die sich an seine schmiegte, als würde sie dorthin gehören. Als hätte sie schon immer dorthin gehört. Mandariels Herz hämmerte in seinem Inneren und ließ sein Blut in den Adern toben und kochen. Mandariel blickte auf ihn hinunter. Sah das Gesicht dieses Jungen, der schon längst das Leben eines Jungen hinter sich gelassen hat und zum Mann gereift war. Ein Mann, der in seinen Armen lag und dessen Berührung ihn an seiner Vernunft zweifeln ließ. Es wäre das Beste, wenn ich ihn von mir halte, dachte er. Konnte es aber nicht. Zu wundervoll waren die Berührung und die Nähe dieses Mannes zu genießen. So verlockend. Mandariel hob die Hand und strich mit den Fingerspitzen über Renes Wange. Rene rührte sich nicht und so ließ Mandariel die Hand von seiner Wange den Hals hinab und zu dessen Schulter wandern. Strich sanft darüber. Fühlte die weiche Haut und die Muskeln darunter. Dann glitt seine Hand zu Renes Brust, an der sie ein wenig länger verweilte. Sie streichelte und liebkoste. Spürte wie sich die weichen Knospen Renes unter seiner Berührung aufrichteten und hart wurden. Eine Welle der Erregung erfasste ihn und strich intensiver darüber. Ließ die Brustwarzen noch steifer werden. Mandariel konnte nicht anders. Selbst nicht mehr Herr seiner Sinne, ergab er sich diesem Verlangen. Senkte den Kopf und drückte seine Wange an die von Rene. Atmete seinen Duft tief ein. Was ihn vollends aus der Fassung brachte. Mandariels verstand selbst nicht was in ihn gefahren war. Warum er diesen Mann so berührte? Es war dieses Gefühl, dieses Verlangen, welches seine Hand führte und sie dazu brachte, das zu tun, was sie tat. Und Mandariel wollte es auch nicht anders. Binnen einiger Augenblicke hatte er jegliche Zurückhaltung vergessen und wollte nur weiterhin Rene berühren. Als schließlich Mandariels Hand über Renes flachen Bauch strich und zu seiner Hüfte ankam, verharrte sie kurz. Wie als hätte ihn eine unsichtbare Hand gestoppt. Es fehlte nicht mehr viel. Er musste nur weiter die Hand hinunter wandern lassen, um die letzte Grenze weg zu wischen, die ihn zurückhielt. Um endlich die Erfüllung seines Verlangens zu erfahren. Es war verlockend. So verlockend, dass er einfach nicht widerstehen konnte. Zum Teufel mit der Vernunft. Zum Teufel mit allem. Fast schon wollte Mandariel diesem vollends nachgeben. Den letzten Schritt machen. Als sich Rene plötzlich zu rühren begann und vor sich hin seufzte. Das riss Mandariel aus seinen Gedanken, die ihn auf einmal falsch vorkamen und vor sich selbst erschrecken ließ. Behutsam schob er Rene von sich, hob ihn dann auf seine Arme und trug ihn aus dem Wasser. Schwärze. Das war alles, an das er sich erinnern konnte. An Schwärze und…Berührungen! Berührungen, die mehr als nur flüchtig waren. Eher verlangend und verboten. Erschreckend und dennoch heißersehnt. Rene wollte sich nicht länger gegen diese wehren. Selbst. Wenn es nur ein Traum oder eine Einbildung gewesen war, fühlte es sich dennoch so wirklich an als habe man ihn berührt. Als habe er ihn so berührt! Kaum tauchte dieser Gedanke in ihn seinem Verstand auf, schlug er sogleich die Augen auf und wusste zunächst nicht, wo er war. Dann aber, als sich sein Blick schärfte, erkannte er die vertrauten Umrisse des Hauptgemachs Mandariels. Wie war er hier her gekommen? Er drehte ein wenig den Kopf und sah unweit, und dennoch so weit entfernt, wie noch nie zu vor, Mandariel neben sich sitzen. Um seine Hüften hatte er eine Decke gewickelt. So saß er mit bloßem Oberkörper da und schaute mit einem merkwürdigen Blick auf ihn. Rene wollte den Mund öffnen, um nach dem Grund zu fragen. Da aber wurde er sich bewusst, dass er selbst noch entkleidet da lag. Schnell schlug er die Hände über sein Gemächt. Stellte dann erleichtert fest, dass er ebenso eine Decke um seine Hüfte hatte. Erleichtert atmete er auf. Fragte sich dann aber wieso er so reagiert hatte. Immerhin hatte der Wolfsprinz ihn schon längst nackt gesehen. Und so anders war ihr Geschlecht nun auch wieder nicht. Verschämt schaute er nun weg. „Wie…wie spät ist es?“, fragte er dann, weil das Schweigen nicht zum aus zu halten war. „Nicht mehr lange und es dämmert!“, erklärte Mandariel sachlich. Rene blieb einfach nur da liegen. Trotz dass er wusste, dass es bald Zeit war auf zu brechen, wollte er dennoch nicht gehen. Die Berührungen brannten noch lange auf seiner Haut und etwas befahl ihm solange zu bleiben, wie es nur möglich war. „Du solltest gehen!“ Mit mächtigen Sätzen flog der große weiße Wolf durch den Wald. Rastlos und ohne zu wissen wohin lief er immer weiter. Das einzige Geräusch, was er hörte war, das Rauschen des Windes und das Hecheln, welches aus seinem Maul drang. Mandariel hatte eine einfach keine Ruhe gefunden, nach dem Rene ihn verlassen hatte. Kaum dass er allein in seinem Gemach war, überfielen ihn die Einsamkeit und das Wissen, etwas wichtig zurückgewiesen zu haben wie ein Raubvogel und machte ihn schier wahnsinnig. Dabei wäre es doch so einfach gewesen. Rene nicht mehr gehen zu lassen. Ihnen zu unterwerfen und sich das zu nehmen, wonach es ihm am meisten verlangte. Wie hatte er es doch am Anfang selbst gesagt. Sein Leben, seine Seele und sein Körper gehörten ihm. Und er konnte damit machen was er wollte und wie er es wollte. Dennoch konnte er es nicht. Wollte es nicht, weil er sich fürchtete. Es war nicht das erste Mal, dass er so dachte. Doch zuvor hatte er diese Furcht nicht wirklich verspürt. Vielmehr es so gesehen wie eine Art Experiment. Um zu sehen wie weit der Junge gehen würde. Und wie weit er, Mandariel, es kommen lassen würde. Nun hatte er selbst all das verraten, woran er festhalten wollte. Und dafür hatte nur eine Berührung und die Nähe Renes gereicht. „Ach, verdammt!“, schoss es Mandariel durch den Kopf und sprang über einen großen Baumstamm hinweg. „Ich hätte ihn haben können. Wenn ich nicht so…!“ Schlitternd blieb er stehen. Ohne zu wissen wohin ihn seine Pfoten geführt hatten, stand er auf einem Felsvorsprung unter dem das Tal lag, in dessen Kessel sich die Dorfhäuser drängten, wie eine Herde ängstlicher Tiere. In einem dieser Häuser war nun Rene. Rene! Er verwünschte diesen Namen. Verwünschte diesen Mann, der in sein Leben geplatzt war. Sehnte sich aber nach ihm. Es war einfach nur grausam. Wie konnte man jemanden hassen und sich gleichzeitig nach ihm verzerren? War das etwa, das was man Begierde nennt? Mandariel hatte sich bis jetzt nie wirklich für so etwas interessiert und auch nicht daran geglaubt, dass es ihn irgendwann ereilen würde. Aber anscheinend schien das Schicksal andere Pläne mit ihm zu haben. Schicksal! Nicht mehr als ein grausam und launisches Weib, das Gefallen daran hat, andere zu peinigen. Sie um Verstand zu bringen und sie aus zu pressen, wie eine Frucht. Und wenn diese mit einem fertig war, würde nichts weiter übrig bleiben als eine leere, tote Hülle. Aber Mandariel wusste auch, dass es keinen Sinn haben würde, sich dagegen zu wehren. Er hatte es ja versucht und hatte doch zum Schluss die Kontrolle verloren. Dieses Mal jedoch würde er diesem verruchten Weib ein Schnippchen schlagen. Dieses Mal würde er wieder die Fäden in der Hand halten. Und während er so hinunter auf das Dorf blickte, ersann er einen Plan. Um sich selbst auf die Probe zu stellen und Rene. Rene stand allein im Nichts. Und hatte das Gefühl verraten und verkauft worden zu sein. Dabei gab er sich selbst die Schuld. Er hätte mehr energischer sein sollen. Sich nicht so abspeisen lassen sollen. Stattdessen hatte er sich von Mandariel fortschicken lassen wie ein Kind, das man auf sein Zimmer verbannte. „Verflucht!“, schimpfte er. „Verdammt sei meine Unfähigkeit und seine abweisende Haltung!“ Doch so sehr er auch sich selbst ärgerte und verurteilte, es änderte nichts an der Leere, die sich in ihm ausbreitete. Er fragte sich, ob es noch einen Sinn hatte, weiterhin darauf zu hoffen, dass der Wolfsprinz sich für ihn erwärmen würde. Er war so zwiespältig, dass es unmöglich schien. Was musste er noch tun, damit er ihn erhörte? Rene erstarrte sofort als er diesen Gedanken hatte. So wie sich das anhörte, konnte man meinen, er hätte sich… Das war doch nicht möglich! Aber wenn er genauer darüber nachdachte, wie oft er sich gewünscht hatte, dass er ihn küsste. Die Unruhe, die seine Nähe in ihm auslöste. Alles waren deutliche Anzeichen, dass er was für ihn empfand. Etwas, was er nur aus Büchern kannte und nie für möglich gehalten hatte, dass er das für einen Mann empfinden konnte. Aber sich dagegen wehren, es abstreiten, wollte er auch nicht. Vielmehr hing er diesem Gedanken nach. Was bringt es noch, sich dagegen zu wehren? Wie als habe es seine Gedanken gelesen, tauchte die schemenhafte Gestalt auf. Stand ihm gegenüber und schaute nur reglos an. Rene erwiderte den Blick. Doch anders als Ablehnung und Furcht, fühlte er nun Gewissheit. Er wollte nicht länger dagegen ankämpfen, sondern sich dem Gefühl, welches in ihm erwacht war und ihn nun beherrschte führen lassen. Die Gestalt, die ein Schatten des Wolfsprinzen war, spürte seinen Entschluss und reichte ihm die Hand. Rene nickte nur, schloss die Augen, machte einen Schritt nach vorn und ohne hin zu sehen, legte er seine Hand in des Schattens. Ließ sich von ihm umhüllen, wie ein schützender Mantel und davon tragen. Rene öffnete die Augen. Und fühlte noch immer diese Leere. Dabei war diese im Traum, als sich der Schatten um ihn legte, verschwunden. Umso heftiger kehrte sie nun zurück und legte sich wie eine Klaue um sein Herz. Noch mal die Augen zu schließen und zu versuchen zu schlafen, sparte er sich, da es so wieso sinnlos sei. Wie so oft wenn er von ihm träumte. Noch immer spürte er die Berührungen des Wolfsprinzen auf seiner Haut und sehnte sich danach, diesen Moment erneut zu erleben. Wieder ihm so nahe zu sein. Gedankenverloren fuhr er die Linien nach, die Mandariel auf seine Haut gemalt hatte und erschauerte. Auch wenn es sich nicht so anfühlte, wie zu vor bei Mandariel, schien es dennoch seinen Kummer ein wenig zu lindern. Rene schloss die Augen und rief sich das Bild Mandariels in seinen Geist. Wie er ihn hielt, an sich drückte und streichelte. Ein sehnsüchtiges Seufzen stahl sich von seinen Lippen, während seine eigenen Finger weiterhin über seinen Körper strichen und er sich vorstellte, dass es die von Mandariels waren. Wieder kam dieses Verlangen in ihm hoch, welches jeglichen Gedanken der Vernunft vergessen ließ und gegen das er nicht ankämpfen wollte. So glitten seine Finger weiter. Bis sie über seinen Bauch strichen und über seinem Schritt stoppten. Wie zu vor Mandariel, hielt nun auch Rene inne und zögerte. Rene biss sich auf die Unterlippe. Sollte er diesen letzten Schritt wirklich gehen? Sich nun ganz gehen lassen und alle Bedenken bei Seite wischen? Wieso nicht? Warum sollte er noch an so etwas wie Vernunft und Tugend festhalten? Wenn die Grenzen zwischen Richtig und Falsch schon längst verwischt war. Und er dem Verlangen nicht wiederstehen konnte, sich selbst zu berühren. Denn dieses Mal wollte er es. Kein Geist, kein Traum. Sondern er selbst. Rene! „Zum Teufel damit!“, dachte er und ließ die Finger zwischen seine Beine gleiten. „Soll ich doch in der Hölle schmoren, für meine Sünden!“ Kaum dass er seine Männlichkeit berührte, zuckte er zusammen und holte tief Luft. Ließ sie dann langsam hinausströmen und verharrte. Nur einige Herzschläge, dann strich er zögernd darüber und erschauderte wieder. Spürte, wie es ihm kribbelnd vom Nacken den Rücken hinunter lief, während sein Herzschlag sich beschleunigte und das Blut durch seinen Körper jagte. Besonders in die unteren Regionen, sich dort staute und die zu pochen begann. Ein Hochgefühl, welches sich kaum beschrieben ließ, und dennoch alles in den Schatten stellte, mischte sich in das Verlangen. Renes Finger strichen nun immer fordernder über sein Glied, welches unter seinen Fingern steifer zu werden schien. Wollte dieses Gefühl voll aus kosten und nicht so schnell verfliegen lassen. Es war wie eine Droge, die ihn in ihren Bann zog. Die Decke, die auf ihm lag, schien nun schwer auf ihn zu wiegen, ihn ein zu engen. Mit Schwung riss er die Bettdecke von sich hinunter und blickte nun auf sich. Auf seinen nackten Leib, der sich windete und räkelte. Sah, wie seine Hand sein Glied massierte. Es dann umschloss, um es nun stärker zu malträtieren. Sobald er den Druck verstärkte, rollte eine neue Flut der Lust über ihn hinweg und drohte ihn zu ertränken. Renes Blick verklärte sich dabei und sein Innerstes schien zu brennen, dennoch sah er, wie die ersten bleichen Tropfen aus seiner Spitze quollen. Rene stöhnte als es in seinem Glied pulsierte, als könnte es dem Druck, der sich in ihm ausbreitete, nicht länger standhalten. Aber Rene wollte dem so schnell kein Ende setzen. Sondern es noch so lange auskosten, wie es nur ginge. Stöhnte und keuchte immer wieder und stieß schweratmend den Namen des Wolfsprinzen hervor. Konnte ihn deutlich über sich sehen, wie er ihn anschaute und er es war, der ihn immer zum Abgrund trieb. In dessen Sturz er die Erfüllung erleben würde, nach der er sich immer in seinen Träumen gesehnt hatte. Sah diese eisblauen Augen, die ihn verschlangen und alles vergessen ließen, was nur annähernd an Vernunft glich. Geschweige denn ihn darum fürchten ließ, was ihm wiederfahren würde, wenn er auf diesen dunklen Pfad weiterwandelte. Das alles verlor jegliche Bedeutung, sobald er in diese Augen blickte. Und sich an all das erinnerte, was zwischen ihnen geschehen war. Renes Körper spannte sich an, als er spürte wie er sich dem Höhepunkt näherte, den er nicht länger hinaus zögern konnte und rieb nun ein wenig stärker seine Härte. Um das letzte bisschen Lust zu genießen. Die Lust, welche ihn in die Tiefe stürzen ließ. Mit einem erstickten Stöhnen, ergoss er sich in seiner Hand. Schwer atmend lag er da und schaute aus halb geschlossenen Augen auf seine Hand, die mit seinem Samen beschmiert war. Nun hatte er das letzte bisschen Vernunft weggeworfen, wie Ballast. Und fühlte sich dennoch wie ausgelaugt. Aber auch zufrieden. Mit einem seligen Lächeln, ließ er sich in die Kissen zurück fallen und schloss die Augen. „Sag mal, Rene. Geht es dir gut?“, fragte Flora, während sie und ihr Bruder den Abwasch machten. „Natürlich!“, sagte er und legte einen sauberen Teller, den er gerade abgetrocknet hatte, beiseite. Flora warf ihm einen deutlich skeptischen Blick zu. „Sicher? Ich hätte meinen können, dass du gestern Nacht schlecht geschlafen hast?“ Nun wurde Rene ganz steif und wagte es nicht, seine Schwester an zu sehen. Hecktisch und mit zitternden Händen machte er sich daran, einen weiteren Teller trocken zu reiben. Dabei musste er aufpassen, dass er diesen nicht fallen ließ. „Wie…wie kommst du darauf?“ Flora hob die Schultern. „Weil du so gestöhnt hast!“, sagte sie ohne große Umschweife und Rene merkte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss. Dennoch war er dankbar, Flora dachte, er habe einen Alptraum gehabt. Dann aber fragte er sich, ob sie das wirklich so meinte. Ob sie nicht doch irgendeinen anderen Verdacht hatte und sich nicht traute, ihn auf die Wahrheit an zu sprechen. „A-ach…ich ehh…ja, ich hatte nur schlecht geträumt!“, sagte er schnell um den Schein zu wahren. Flora hielt inne und schaute ihn lange sorgenvoll an. „Etwa von ihm?“ Rene hielt inne. Den Blick auf den Teller gerichtet, in dessen flacher Mitte er sein Spiegelbild sehen konnte. Ja, er hatte von ihm geträumt, aber es war eine andere Art von Traum gewesen. Trotz dass er wusste, dass Flora eine Antwort von ihm erwartete und je länger er schwieg ihre Sorge um ihn wuchs, konnte er nichts sagen. Sondern einfach nur vor sich hinschauen. „Ich muss auch immer wieder daran denken, was damals…auf der Lichtung passiert ist!“, gestand Flora mit belegter Stimme. Erst da schaute Rene sie an. Flora hielt sich die Brust, als würde es tief in ihrem Inneren schmerzen. „Und wünsche mir, dass das alles nicht so gekommen wäre!“ „Was redest du da?“, kam es stockend von ihm. „Wäre es dir lieber gewesen, wenn der Wolfsprinz dich…?“ Flora schlug die Augen nieder und war sich ihrer undankbaren Worte bewusst. Aber sie hatte die Wahrheit gesprochen. Wie oft hatte sie sich gewünscht, dass Rene sich nicht gegen den Wolfsprinz gestellt hatte. Denn dann wäre das alles nicht passiert. Sie wäre zwar nicht mehr unter den Lebenden, aber immerhin würde ihre Familie in Frieden leben können. Dann könnte Rene noch weiterleben. Zuerst von Ärger und Enttäuschung ergriffen, schaute Rene sie finster an. Dann aber wurden seine Züge weich und legte den Arm um sie. „Flora…ich habe das nur getan, weil ich dich beschützen wollte. Ich konnte doch nicht zulassen, dass du…!“, sagte er und drückte. „Was wäre ich denn für ein Bruder?“ Flora lächelte schwach. „Auch wenn du jünger bist als ich, benimmst du dich wie ein großer Bruder. Manchmal zumindest!“ Rene lachte leise. Der Tag neigte sich dem Ende zu und Rene ging hinter das Haus, weil er das untrügliche Gefühl hatte, dass er Besuch in Gestalt eines Wolfes bekommen würde. Und so war es auch. Nima erschien in ihrer Wolfsgestalt. Rene lächelte sie an. „Guten Abend!“ Doch Nima sagte nichts, sondern senkte den Kopf und legte die Ohren an. Den Schweif hatte sie zwischen ihren Hinterläufen eingeklemmt. Rene merkte, dass etwas nicht stimmte. Etwas schien der Wölfin arg auf der Seele zu liegen. „Was ist?“ Nima haderte mit sich zu antworten. Dann richtete sich auf und sagte, dennoch mit einem unbehaglichen Ton:„ Der Herr befiehlt dir zu ihm zu kommen!“ „Er befiehlt?“, echote es in seinem Inneren. In seinem Bauch ballte sich alles zusammen. Dass er es ihm befahl und wie Nima vollkommen eingeschüchtert war, machte ihn selbst ganz nervös. Dennoch wagte er es nicht zu wiedersprechen und folgte ihr. Erst als sie im Wald verschwunden waren, wagte Rene es, Nima darauf an zu sprechen, was das alles zu bedeuten hatte. Doch Nima schüttelte den Kopf. „Ich weiß es auch nicht. Der Herr scheint nicht er selbst zu sein!“, sagte sie. Und sorgte dafür Rene sich noch unwohler fühlte. Was nur konnte nur Mandariel dermaßen verändert haben? Etwa er selbst? Aber was hatte er falsch gemacht? Weder er noch Nima wusste wohl die Antwort darauf. Und so blieb ihm nichts anderes übrig, als zum Wolfsprinzen zu gehen. Als sie vor der Pforte standen, entfernte sich Nima. Zuvor flüsterte sie ihm noch ein „Viel Glück!“, und eilte dann davon. Rene blickte ihr verloren hinter her und wollte ihr nachgehen. Ihre letzten Worte sorgten nicht gerade dafür, dass er ruhig blieb. Vielmehr fürchtete er sich davor, was ihm nun bevorstand. Er hatte gehofft, dass Mandariel ihm nun nicht länger Angst einflössen würde. Aber mit irgendwas hatte er ihn verstimmt. Fragte sich nur mit was? Kaum dass er die Hand hob, um an zu klopfen, schwang die Pforte auf und eine eisige Stimme verlangte:„ Komm herein!“ Rene zögerte kurz, trat dann doch ein weil er fürchtete, damit den Wolfsprinzen noch mehr zu verärgern. Als er eintrat, schloss sich die Pforte hinter ihm und er stand nun da, während er zu Mandariel schaute, der am Fenster stand und ihm den Rücken zugewandt hatte. „Ihr…Ihr wolltet mich sehen?“, fragte Rene und trat dann einen Schritt vor ran. Mandariel sagte nichts. Wandte sich zu ihm um und der Blicke seiner eisigen Augen, traf Rene wie einen Schlag. Schnell senkte er den Blick. „Ja!“, war nur Mandariels Antwort. „Um…um was geht es?“, fragte Rene weil er es nicht länger ertragen konnte. Diese Ungewissheit! „Ich will etwas herausfinden!“, erklärte Mandariel. „Und was genau?“ „Ob ich mich beherrschen kann!“, gab Mandariel kryptisch zurück und sah Rene nun herausfordernd an. Rene merkte wie ihm anders zumute wurde. Beherrschen? Inwiefern? Aber Rene traute sich nicht, dies zu fragen. Vielmehr interessierte ihn, welche Rolle er dabei spielen sollte. „Und wieso braucht Ihr dann mich? Wie kann ich Euch dabei behilflich sein?“ „In dem du dich vor mir entkleidest!“, sagte Mandariel und ließ Rene an seinen Ohren zweifeln. „W-was?“ „Du hast mich verstanden. Zieh dich vor mir aus!“ „A-aber…!“ „Ich werde es nicht noch einmal sagen. Tu was ich dir sage!“ Rene kämpfte dagegen an, ihn an zu brüllen. Was ihm einfiele, sowas von ihm zu verlangen. Und zugleich die Flucht zu ergreifen. Weil er wusste, dass es nichts an seiner Situation ändern würde. Höchstens schlimmer machen würde. Dennoch weigerte er sich so lange wie es ihm möglich war. Doch nur ein Blick in das Gesicht des Wolfsprinzen genügte, um ihm einen Besseren zu belehren. Mit steifen schritten er von der Pforte weg und stellte sich in die Mitte des Raumes. So dass ihn Mandariel sehen konnte. „Wenn es Euer Wunsch ist!“, sagte er dumpf und begann dem Befehl des Wolfsprinzen Folge zu leisten. Langsam streifte er seinen Mantel ab, dann seine Stiefel. Bei seiner Hose hielt er inne. Zog dann stattessen sein Hemd über den Kopf. Während er sich ein Kleidungsstück nach dem anderen entledigte, konnte er deutlich die Blicke des Wolfsprinzen auf sich spüren und fragte sich wieder, was er sich dabei dachte. Wozu es dazu dienen sollte, ob er sich beherrschen kann? Kaum dass seine Finger die Knöpfe seines Hemdes aufknöpften und er es sich von den Schultern streifen wollte, packten ihn zwei Hände von hinten und zogen den Überraschten an den Körper des Wolfsprinzen. Rene gab einen überraschten Laut von sich und wollte sich zunächst gegen den Griff stemmen. Doch da spürte er den kühlen Atem des Wolfsprinzen in seinen Nacken und erstarrte wie ein Reh vor dem Lauf eines Gewehrs. Mit einem heftigen Ruck zog und zerrte Mandariel das letzte Stück Stoff von Rene und ließ es achtlos zu Boden fallen. Sog dabei tief den Geruch Renes ein und ließ ein tiefes Grollen hören. Rene erschauderte. Er drehte den Kopf ein wenig und schaute ihn entrückt an. Doch er brachte kein einziges Wort über die Lippen. Zu überrumpelt war er von der Reaktion des Wolfsprinzen. Wehrte sich aber auch nicht, als Mandariel nun begann seine Hände über den entblößten Körper Renes wandern zu lassen. Folgten dabei der Spur, der er vorher schon gefolgt war, als sie allein im Badewasser standen und Rene im Dämmerzustand in seinen Armen hing. Nun aber war Rene im Besitz seiner geistigen Kräfte. Daran ließ sich Mandariel jedoch nicht stören. Dass er es nun gänzlich mitbekommen würde, machte ihn umso entschlossener. Wollte hören wie er unter seinen Berührungen seufzte. Wollte sehen, wie er sich bewegte. Er konnte nicht länger an sich halten. Sondern wollte seinem Verlangen nachgeben. Zu groß war dieses, diesen Mann, diesen Körper zu berühren und zu besitzen, als das er es noch länger unterdrücken konnte. Immer verlangender strichen seine schmalen Finger über die Brust Renes. Umspielten dabei seine Knospen. Rieben und reizten sie. Bis sie sich aufrichteten. Mit einem Keuchen drängte sich Rene den Händen des Wolfsprinzen entgegen. Dieser lächelte leise. Ließ dann seine Hände weiter hinunter wandern. Die Seiten hinunter, bis sie an seinen Hüften ankamen und sie umfassten. Hauchte dann zarte Küsse auf Renes ungeschützten Hals und sah mit dunkler Wonne wie sich eine Gänsehaut auf diesem zeigte. Hielt dann inne um diesen Moment aus zu kosten. Konnte sich nicht satt sehen an diesem Anblick. Rene, der an ihn lehnte, die Augen geschlossen und sich ganz seinen Händen auslieferte. Sah das Zittern, welches seinen Körper erschauern ließ und die leisen Seufzer, die sich ihm entrangen. Das alles reichte aus um ihm den Beweis zu bringen, den er brauchte. „Ich fürchte, ich habe versagt!“, raunte er gegen Renes weiche Haut. „Aber ich hätte es wissen müssen!“ „Was?“, keuchte Rene und wandte sich schwach zu ihm herum. Als sich ihre Blicken trafen, glomm es in den Augen des Wolfsprinzen. „Dass ich dir nicht widerstehen kann. Du bist die reinste Versuchung!“ Rene sog scharf Luft ein und wollte schon wiedersprechen, doch dazu kam er nicht. Mit einem Schmunzeln öffnete Mandariel nun den Mund und ließ seine Zungenspitze langsam und genüsslich über Renes Hals gleiten. Schmeckte dabei das Salz auf seiner Haut und sog tief dessen Geruch ein. Spürte wie sein Blut dabei immer mehr in Wallung geriet. Lange würde er nicht mehr an sich halten. Trotz dass seine Beherrschung schon langsam Risse bekommen hatte, wollte er dennoch nichts überstürzen. Stattdessen drehte er Rene nun herum und drückte ihn mit sanfter Gewalt auf das Fell, welches unter ihnen lag. Rene ließ es zu, sah jedoch den Wolfsprinzen etwas unsicher an. Was würde er nun mit ihm machen? Tief in seinem Innersten, in einem Winkel seines Herzens, wusste er es, und stieß einen innerlichen Freudenruf aus. Endlich! Endlich würde sein Wunsch, nach der Nähe, nach den Berührungen des Wolfsprinzen, in Erfüllung gehen. Jegliche Bedenken waren wie fortgewischt. Er wollte sich gänzlich treiben lassen. Eine Neugier und Ungeduld nahm von ihm Besitz, die ihn auch zur Untätigkeit verdammte. Es war jedoch die Art von Untätigkeit, die er nicht ablegen wollte. Weil er wissen wollte, was der Wolfsprinz als nächstes vorhatte. Nach einem langen, lasziven Blick auf den nackten Leib unter ihm, beugte er sich zu ihm hinunter und fuhr mit den Lippen eine unsichtbare Linie mitten auf dem Oberkörper nach. Atmete tief ein und hielt die Augen geschlossen. Als er dann an dem Schlüsselbein ankam, biß er sanft hinein, ehe er seinen Weg fortsetzte und schließlich Renes Kinn erreichte. Dann war er auch schon über Renes Gesicht, wo er lange verharrte und ihn mit halbgeschlossenen Augen anschaute. Rene konnte Mandariels langsamen Atem spüren und erschauerte. Reckte dann den Kopf ein wenig nach oben. Er wollte einen Kuss vom Prinzen! Mandariel lachte leise und entzog Rene seine Lippen. Rene gab wiederum einen Protestlaut von sich und wollte sich unter ihm aufbäumen, doch Mandariels drückte ihn wieder nieder. Ergriff dann seine Hände mit seiner rechten und hielt sie ihm über dem Kopf fest. Machten es ihm so unmöglich, sich zu wehren oder selbst die Fäden in die Hand zu nehmen. Schob sich dann wieder nach unten und strich nun wieder mit seiner freien Hand über seine rechte Brust, während er mit seiner Zunge nun die linke verwöhnte. Die zarte und empfindliche Knospe reizte und umspielte. Als sie sich erneute aufrichtete, umschloss er sie mit seinen Lippen und begann daran zu saugen und leicht zu knabbern. Presste ihm zugleich seinen Unterleib gegen den seinen und Rene stöhnte umso lauter. Könnte deutlich spüren, wie die Erregung des Wolfsprinzen sich gegen seine eigene drängte und ihn um den Verstand zu bringen drohte. Sein gesamter Körper fühlte sich an als würde er unter Strom stehen. Seine waren butterweich und zu nichts zu gebrauchen. Kurz hielt Mandariel inne, sog die Reaktion in sich auf, konnte nicht genug davon bekommen und ließ dann, mit einem diebischen Grinsen, die freie Hand hinunter zwischen seine Beine wandern. Rieb mit den Fingern sanft über die Länge seines Gliedes entlang. Kreiste mit dem Daumen über die Spitze, die feucht war und sich seidenweich anfühlte. Mandariel selbst erschauderte dabei. Die Lust und das Verlangen schlugen in ihm immer höhere Wellen. Machten es ihm schwer ruhig und beherrscht zu atmen. Rene wand sich unter ihm und stöhnte. Wollte sich aus dem eisernen Griff des Wolfsprinzen befreien. Nur um jedoch es ihm heim zu zahlen. Dass er dazu aber nicht in der Lage war, machte ihn starr vor Wut. Fühlte sich wie ein Spielball. Doch der Ärger und die Zerknirschtheit waren nur schwach, im Gegensatz zu der Lust, die in ihm unweigerlich aufwallte. Es war ein einziges Chaos aus Gefühlen. In seinem Kopf drehte sich alles und er war nicht in der Lage, klar zu denken. Sein ganzer Körper zitterte und bebte. Spürte wie immer mehr diese Lust ihn willenlos machte. Zu einem Sklaven seiner eigenen Triebe. Das alles übertraf das Verlangen der Nacht davor bei weitem. Die Lust, die er verspürt hatte, als er selbst Hand an sich legte. Hier war es intensiver. Befreiender. Und machte ihn schier verrückt. Es dauerte lange, ehe er wieder seine Stimme wiederfand. Dennoch kamen die Worte nur keuchend und stöhnend aus ihm heraus. „H-Hört auf…Hört auf mit…mir zu spielen!“ Kurz unterbrach Mandariel sein Tun und sah Rene herausfordernd an. „Du denkst, dass ich mit dir spiele?“, fragte er. Seine Stimme klang mehr wie ein Knurren als nach der eines Menschen und ließ Rene einen kalten Schauer über den Rücken laufen. Er erstarrte sogleich und sah zum Wolfsprinzen mit dumpfer Angst hinauf. „Ich spiele nicht im Geringsten mit dir!“, fuhr er ungerührt fort und umfasste nun Renes Glied. Rene hielt die Luft an und rührte sich immer noch nicht. „Im Gegenteil. Ich erfülle dir deinen größten Wunsch!“ Kaum hatte er dies gesagt, begann er Rene harte Männlichkeit zu massieren. Langsam und fordernd. Auf und ab. Umspielte mit den Fingerspitzen die zuckende Eichel, aus dessen dunkler Öffnung die ersten Tropfen hervorquollen. Benetzten wiederum seine Finger. Doch das störte ihn nicht. Vielmehr genoss er es alles von Rene in sich auf zu nehmen. Mit einem süffisanten Lächeln hob er seine Finger an die Lippen und leckte sie sich genüsslich ab. Schmeckte den salzig süßen Geschmack des Mannes, nach dem es ihn verlangt. Und sein Verlangen wurde übermächtig. Verflucht! Wie schwer es war, sich zusammen zu reißen, bei solch einem Anblick. Rene sah dies und wurde rot. Wandte dann den Kopf ab. „Was ist? Wieso schaust du weg?“, fragte Mandariel und senkte sich zu ihm hinunter. „Ist es dir peinlich, dass ich deinen Geschmack in mich aufnehmen will?“ Rene sagte nichts, sondern biss die Lippen zusammen. Mandariels Gesicht schwebte nur wenige Zentimeter über dem von Rene und er konnte deutlich spüren, wie er ihn anschaute. Von ihm eine Antwort erwartete. „Ich habe dich was gefragt!“ Um seine Forderung zu unterstreichen, setzte er sein Spielchen fort. Nun etwas fester. Übte einen leichten Druck auf die geschwollene Eicheln aus. Rene bäumte sich unter ihm auf und grub seine Fingernägel in das Fell. „Antworte!“ „Ich…arghhh…!“, stöhnte Rene und windete sich erneut. Warf den Kopf hin und her. Gab jeglichen Widerstand auf. Es hatte sowieso keinen Sinn. Und außerdem wollte er endlich von dieser Pein, die seine Lust selbst entfacht hatte und zu verzerren drohte, befreit werden. Auch Mandariel sah dies und wollte ihn nicht länger leiden lassen. Mit einem sanften Lächeln, hauchte er ihm einen Kuss auf die Lippen. Knabberte dann an diesen, ehe er ihn in einen innigen Kuss verwickelte. Rene entspannte sich nun sogleich und seufzte auf. Mandariel lächelte im Kuss auf. Stupste dann mit seiner Zunge gegen Renes geschlossene Lippen, bat so um Einlass. Den ihn Rene ohne zu zögern gewährte. Tief drang Mandariels Zunge in seinen Mund ein und erkundete die dahinter liegende Höhle ausgiebig. Strich dabei über Renes Zunge und neckte sie. Forderte sie heraus. Rene erwiderte die Neckereien. Erst zögernd und schüchtern, dann aber ebenso fordernd. Drängte und umspielte die seine. Nun endlich ließ Mandariel Rene Hände los und er nutzte dies, um seine Arme um Mandariels Hals zu legen. Ihn tiefer zu sich hinunter zu ziehen. Ohne dabei die Hand des Wolfsprinzen, die weiterhin seinen Riemen* massierte, ein zu klemmen. Mandariels lachte in dem Kuss auf. War erfreut über die Initiative, die Rene nun zeigte. Rieb dabei schneller und Rene stöhnte im Kuss auf. Drängte sich ihm entgegen. Spürte, wie sich alles in seiner Spitze ballte und diese gleich zu platzen drohte. Schweratmend unterbrach er den Kuss. Sah ihn mit verklärtem Blick und geröteten Wangen an. „Man-Mandariel…ich…ich halte das nicht mehr aus…!“, stöhnte er und legte den Kopf in den Nacken. Mandariel lachte leise. Drückte seinen Mund nahe an sein Ohr. „So ungeduldig!“, flüsterte er nahe an seinem Ohr und küsste ihn flüchtig auf seine Wange. Rene gab nur ein Wimmern von sich. Doch das reichte schon aus, um ihm die Bestätigung zu geben. Er hatte ihn so weit. Auch wenn er es ein wenig bereute, dass er es so schnell beenden würde. Aber es wäre sicher nicht das erste und einzige Mal. Diese Aussicht ließ seine Enttäuschung vergessen. „Dann sollte ich dich nicht länger…leiden lassen!“ Ein letztes Mal verstärkte er seinen Griff um sein Glied. Massierte nun nicht mehr kontrolliert, sondern wild. Spürte wie es in seinen Fingern zu pulsieren begann. Provozierte ihn damit förmlich. Eine Ungeduld erfasste ihn und er konnte es nun kaum erwarten, Rene schreien zu hören. Wollte das letzte Quientchen von Unschuld aus ihm aus treiben. Rieb die Spitze zwischen seinen Fingern. Neckte und reizte sie. Massierte ihn dann weiter der Länge nach. Solange bis Rene sich mit lautem Stöhnen in Mandariels Hand ergoss. Zitternd und schwach, als habe dieser Akt ihn sämtliche Kraft geraubt, sank Rene tiefer in das Fell, das feucht von seinem Schweiß war und atmete schwer. Mandariel ließ sich neben ihn nieder und betrachtete ihn eine Weile. Sah den zitternden Leib des Mannes, der ihn um den Verstand gebracht hatte. Der ihn das letzte bisschen Beherrschung geraubt hatte und der den Menschen, den Mann, hervorbrachte, der in dem eisigen Käfig gefangen war, in dem der Wolfsprinz ihn eingesperrt hatte. Den Mann, den er zu Anfang gehasst hatte, weil er ihn so berührt hatte, wie es kein andere zu vor vermocht hatte. Die eisige Mauer, die er um sich aufgebaut hatte, nun zerstört hatte und nun nicht mehr gehen lassen wollte. Zumindest nicht für diese wenigen Augenblicke, die ihnen noch blieben, ehe die Nacht sich dem Ende neigte. Mandariel verlor sich in dessen Anblick. Hob langsam die Hand und strich mit den Fingerspitzen über Renes Wange. Dieser hatte die Augen geschlossen. Dämmerte vor sich hin. Mandariel wollte ihn dabei nicht stören. Zu friedlich sah er dabei aus. Dennoch konnte er nicht wiederstehen, den Arm um ihn zu legen und ihn an sich heran zu ziehen. Rene gab einen wohligen Laut von sich als er Mandariels Körper an seinem spürte und schmiegte sich dann an ihn. Mandariel drückte ihn eng an sich und vergrub das Gesicht in dem blonden Haar. Atmete dabei tief seinen Duft ein. Zwar spürte er wieder wie das Verlangen in ihm aufwogte, doch es war nicht so stark wie zuvor. Offensichtlich war er selbst zu erschöpft. Mandariel lächelte. Das schwand jedoch. Jetzt wo sie so aneinander geschmiegt lagen, nachdem sie ihrem Sehnen nachgegeben hatten, fragte er sich ob, es nicht doch ein Fehler gewesen war? Wie würde es denn nun weiter gehen? Würde sich nun einiges ändern? Mit Sicherheit. Denn sowas würde sicher Spuren hinterlassen, die einen nicht los ließen. Sowohl bei Mandariel als auch bei Rene. Was es für ihn bedeutete, war ihm nicht so wichtig. Er wusste, dass er damit leben würde und abwarten muss, was die Zukunft noch bringt. Aber bei Rene… Wie würde er nun nach dieser Nacht über und von ihm denken. Würde er glauben, dass das alles nur ein Traum war? Und wenn nicht, würde er sich vor ihm verschließen? Ihn nicht in seine Nähe lassen? Aber was für einen Grund sollte er haben? Er hat sich nicht gewehrt. Im Gegenteil: Sondern danach verlangt. „H-Hört auf…Hört auf mit…mir zu spielen!“ Das klang nicht gerade als würde er ihn zurückweisen wollen. Als wollte er es wirklich. Er hätte das aber auch sagen können, weil sein Verstand vernebelt war. Weil er sich vergaß und nicht wusste, was er da im Begriff war zu tun. Mit sich tun zu lassen. Ach, verdammt! Er könnte sich die ganze Nacht darüber den Kopf zerbrechen. Es würde nichts bringen. So lag er einfach nur da und schaute Rene an. Wollte diesen Augenblick nicht vergeuden und ihm solange nahe sein, wie es nur möglich war. *Riemen= So wurde das beste Stück des Mannes wirklich im Mittelalter genannt. Kapitel 20: Kleine Geste, große Wirkung --------------------------------------- Rene erwachte und erwartete, in den Armen des Wolfsprinzen zu liegen. Aber er fand sich wieder in seinem Zimmer. In seinem Bett. In seinen Kleidern. Kein Mandariel, der ihn hielt. Der ihn noch vor wenigen Momenten Dinge empfinden ließ, die er nicht für möglich gehalten hatte und die er nun schmerzlich vermisste. Sich auf einmal allein und verlassen fühlte. Dabei fragte er sich auch, wie es dazu kommen konnte? Hatte er etwa gerochen, dass er, vorletzte Nacht, sich selbst berührt hatte? War das der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte? Ihm kamen wieder die Worte des Wolfsprinzen in den Sinn. „Du bist die reinste Versuchung!“ Zuvor hatte er an ihm gerochen, wie ein Wolf, der Witterung aufnahm. Rene wurde flau im Bauch. Ohne es zu wollen, hatte er ihm praktisch angestachelt. Aber deswegen sich zu verfluchen wollte er auch nicht. Immerhin war es das, wonach er sich jemals gesehnt hatte. Dennoch hatte es einen seltsamen Beigeschmack. Und er fragte sich, ob es dabei nur bei einem Mal bleiben würde. Oder ob es sich wiederholen würde. Ein Kribbeln durchlief ihn und er hoffte, dass es sich wiederholen würde. Noch immer spürte er die Hände des Wolfsprinzen auf seinem Körper. Seine Finger, die sein Gemächt umschlossen und es massierten. Seine Stimme, die ihn Dinge zu flüstern ließen, die sein Blut zum Kochen brachte. Rene merkte wie die Lust wieder in ihm erwachte und es kostete ihn alle Kraft sie zurück drängen. Nein! Hier war nicht der richtige Moment und nicht der richtige Ort. Auf keinen Fall wollte er, dass Flora oder gar ein anderer aus seiner Familie ihn hörte. Und wieder Fragen stellte. Rene blieb noch einige Zeit im Bett liegen und schaute an die Wand. Wartete bis die Erinnerung an die letzte Nacht ein wenig abebbte und er sich sicher auf den Beinen fühlte. Eine ungewohnte Unruhe ergriff von ihm Besitz und er hielt es nicht mehr im Bett aus. So kletterte er aus dem Bett und wickelte seine Decke um sich. Er sparte es sich, sich an zu kleiden, sodass er nur mit seinem weitem Nachthemd die Stufen hinunter ging und hinaus trat. Er setzte sich auf die Bank, legte den Kopf in den Nacken und schaute in den nächtlichen Himmel hinauf. Es dämmerte schwach und es würde nicht lange dauern, ehe der nächste Tag anbrach. Rene wollte nicht den nächsten Tag erleben. Sondern die nächste Nacht. Wollte wieder sich unter dem Wolfsprinzen wiederfinden, sich winden und sich von ihm… „Kannst du nicht schlafen?“, fragte plötzlich eine Stimme und Rene schreckte hoch. Er hatte erwartet, dass Flora hinter ihm stand, wie beim letzten Mal, als er hier draußen war. Aber stattdessen stand Nimas Bruder in seiner Wolfgestalt vor ihm. Rene atmete erleichtert auf. Auch wenn er um die verräterischer Röte in seinen Wangen wusste. Der Wolf legte den Kopf schief und in seinen Augen war eine Spur von Vorwurf zu sehen. „Ich nehme an, dass nicht ich der Grund dafür bin?“ „Warum solltest du der Grund sein?“, fragte Rene irritiert. Die Wolfsaugen wurden zu schmalen Schlitzen und der junge Wolf schnaubte. „Weil du mir vielleicht was versprochen hast und es bis jetzt nicht eingehalten hast?“ Seine Worte waren bitter wie Säure und brannten sich in Renes Gewissen. Zuerst fragte er sich, welches Versprechen er meinte. Dann aber erinnerte er sich und verzog schmerzlich das Gesicht. „Du wolltest mir einen Namen geben!“, kam es vom Wolf bitter und der Ausdruck in seinen Augen wurde vorwurfsvoller. Rene tat es nun leid, dass er das Versprechen, welches er dem Wolf gegeben hatte, vergessen hatte. Dass so an sich selbst gedacht und ihn vergessen hatte. Er biss sich auf die Unterlippe und senkte den Blick. Eine Weile sah der Wolf ihn noch enttäuscht an, dann seufzte er. „Wieso machst du Versprechungen, die du nicht halten kannst?“, fragte er dann. Wandte sich um und wollte gehen. Zuerst wollte Rene ihm wiedersprechen und ihn dafür schelten, dass er so übertrieb. Aber dann erinnerte er sich, wie jung dieser Wolf ist. Praktisch noch ein Kind. Und wenn man einem Kind ein Versprechen gab und es nicht hielt, war es enttäuscht und wütend. Rene hielt ihn zurück. Wollte ihn trösten. „Warte!“, rief er und der Wolf blieb stehen. Drehte sich halb zu ihm. „Was ist?“ „Ich habe es nicht…vergessen. Nur…kamen Dinge dazwischen, die…die mich nicht losließen!“, sagte er und trat auf ihn zu. Langsam streckte er die Hand aus und berührte ihm am Kopf. Kurz versteifte er sich unter der Berührung, doch dann entspannte er sich und schmiegte sich an Rene. „Ich verspreche dir, dass ich mir schon bald einen passenden Namen überlegt habe und ihn dir geben werde!“ Nachdenklich saß Rene am Tisch und grübelte über einem Stück Papier. Es war nicht gerade leicht für den Wolf einen passenden Namen zu finden. Zumal er nicht weiß, welche Bedeutung der Name haben sollte. So hatte er die ersten Namen oder zumindest die ersten Buchstaben aufgeschrieben, die ihm in den Kopf kamen. Und formte dabei einige Namen, die er sogleich aufschrieb. Armo Amor Roma Raom Omar Mora Maro Beim letzten Namen, den er auf schrieb, hielt er inne. Maro! Irgendwie schien er dies ein passende Name für den jungen Wolf zu sein. Schnell knüllte er den Zettel zusammen und warf ihn ins Feuer. Zwar waren seine Eltern in der Bäckerei und Flora bei Jaque, aber Martha war noch da und er wollte nicht, dass sie ihn mit dem Zettel erwischte. Auch wenn er sich sicher war, dass sie Stillschweigen wahren würde. Dennoch… Sie musste es nicht wissen. Wie auf ein Zeichen kam gerade Martha aus der Kochnische. Mit einem Küchentuch trug sie einen frischgebackenen Kuchen raus und stellte ihn zum kühlen auf das Fensterbrett. Der Geruch erfüllte den Raum und ließ in Renes Mund das Wasser zusammen laufen. Dabei war es komisch, dass sie in dieser schweren Zeit Kuchen backen konnte. Aber vermutlich wollte sie sich so ablenken. Martha war zwar für ihr Alter ziemlich robust, aber auch ihr schien es an die Substanz zu gehen. Rene erhob sich und ging zu ihr. Beugte sich über ihre Schulter und betrachtete den Kuchen. „Was ist das für ein Kuchen?“, fragte er neugierig. Er kannte jeden Kuchen, den seine Großmutter gebacken hatte. Nur diesen nicht. Bis jetzt hatte sie noch nie diesen Kuchen gebacken. Und als er sie ansah, sah er wie ihre Lippen bebten, hatte er den Verdacht, dass es mit diesem Kuchen etwas Bestimmtes auf sich hatte. Mit belegter Stimme sagte sie. „Orangenzimtkuchen!“ Sie wischte sich eine Träne weg. Rene war als habe man ihm den Boden unter den Füßen weggezogen. Das ist doch der Kuchen, den die Freundin seiner Großmutter so geliebt hatte. „Hat…hat es einen besonderen Grund, dass du ihn backst?“ Seine Großmutter war nicht der Mensch, der ohne Grund irgendwas macht. Nichts, was mit dem Herzen zu tun hatte. Martha lächelte schwach und traurig. „Heute ist ihr Geburtstag. Wenn Sie heute noch leben würde, wäre sie so alt wie ich. Wenn sie noch leben würde, würde sie diesen Kuchen essen und…!“ Marthas Worte gingen in ein Schluchzen über und sie barg ihr Gesicht in den Händen. In dem Moment war sie so gebrechliches und schwach, wie es ein alter Mensch, der schon viel erlebt hatte, gutes wie böses, war. Rene fühlte einen Kloß in seinem Hals und legte die Arme um seine Großmutter. Drückte sie sanft an sich und tröstete sie. Dass sie den Kuchen backte musste eine Art Andenken an ihre Freundin gewesen sein, dass sie um jeden Preis bewahren wollte. Er konnte sich nicht vorstellen, was für schreckliche Schuldgefühle sie quälten, weil sie ihr nicht beigestanden hatte. Die Erinnerung an ihre Freundin aus Kindestagen war so stark und präsent, als wäre es erst gestern geschehen und nicht vor etlichen Jahren. Das einzige was er tun konnte, war, ihr bei zu stehen und sie halten. Nach einer Weile löste sie sich von ihm und lächelte ihn dankbar an. „Komm, Junge. Essen wir etwas von dem Kuchen. Er schmeckt gut!“ Mit einer bedächtigen Geste, legte Rene den frischgebackenen, den zweiten Orangenzimtkuchen, in einen kleinen Korb. Martha hatte Rech gehabt. Der Kuchen schmeckte wunderbar. So gut, dass er noch einen zweiten wollte. Das war allerdings nur eine Ausrede. Denn Rene wollte diesen Kuchen der Herrin Lira bringen. Zur Feier des Tages. Und weil er sie gern hatte. Mit Schmetterlingen im Bauch, verließ er in der Nacht das Haus und stiefelte los. Während er so durch den Schnee stapfte, merkte er, wie er immer aufgeregter wurde. Nicht nur weil er der Herrin den Kuchen brachte, um mit ihr ihren Geburtstag zu feiern, falls sie ihn überhaupt feierte. Sondern auch weil er Mandariel wieder sehen würde. Der Gedanke verlieh ihm förmlich Flügel und er lief umso schneller. Kaum dass er ankam, wurde er von Nima und ihrem in Empfang genommen. Ihr Bruder umschlich ihn sogleich und reckte schnüffelnd den Kopf hoch. „Was riecht hier so gut?“, fragte er und hechelte hungrig. Rene hob den Korb und brachte ihn so außer Reichweite des neugierigen Wolfes. „Nichts für neugierige Wölfe!“, konterte er spitz. „Ist die Herrin da?“ „Ja, natürlich. Warum?“, fragte Nima ein wenig verwirrt. Rene lächelte und hielt ihr den Korb mit dem duftenden Kuchen unter die Nase und sie sog tief den Duft ein. „Hmmm…!“, sagte sie wohlig. „Ich würde Ihr gern diesen Kuchen zur Feier des Tages überreichen!“ Während Nima Rene ihn zum Gemach der Herrin führte, merkte Rene wie der Wolf ihn immer wieder von der Seite anschaute. Und als Rene ihn anschaute, sah er deutlich die unausgesprochene Frage. Statt aber etwas zu sagen, blinzelte er ihm verschwörerisch zu. Zu gegebener Zeit würde er ihm seinen Namen sagen. Ihre Überraschung, als er mit dem Korb in ihren Salon schritt und ihr ihn dann hinhielt, war groß. Wisch aber großer Freude und unbeschreiblicher Rührung. „Oh…ich weiß nicht, was ich sagen soll!“, hauchte sie den Tränen nahe. Rene lächelte verlegen. „Ich wollte Euch eine Freude machen!“, gab er zu und wirkte wie ein schüchterner Junge. Lira lächelte ihn strahlend an. „Die hast du mir gemacht!“ Lira schritt auf ihn zu und berührte ihn an der Wange. „Zweifellos!“ Zusammen mit Nima, teilten sie den Kuchen untereinander auf und aßen in seliger Ruhe. Wobei diese des Öfteren von Nimas begeisterten Lauten unterbrochen wurde. Sie zappelte und hopste auf ihren untergeschlagenen Beinen auf und ab wie ein Kleinkind. Lira lächelte nur. Hielt den Blick gesenkt, aber auch so sah Rene, dass ihre Augen sich röteten und wie ihre Unterlippe zitterte. Sie weinte. Sie verband mit diesem Kuchen genauso große Erinnerungen und Gefühle, wie Martha. Wie lange sie sie wohl verschlossen gehalten hatte? Aus Schmerz und Kummer? Und wie stark sie nun an die Oberfläche herausbrachen? Fast schon hatte Rene ein schlechtes Gewissen und hatte Mühe die Bissen des Kuchens runter zu schlucken. „Ist alles in Ordnung? Habe ich…ich was falsch gemacht!“ Die Worte kamen zögernd aus ihm heraus und auch wenn alles dagegen sprach, konnte er dieses schlechte Gewissen einfach nicht ignorieren. Lira schüttelte den Kopf. „Nein. Beim besten Willen nicht!“, sagte sie und sah ihn glücklich an. Sie streckte die Hand nach ihm aus und legte sie ihm aufs Knie. „Ich danke dir tausendfach!“ „Wofür dankst du ihm?“, fragte plötzlich eine Stimme und alle fuhren erschrocken herum. Hinter ihnen stand Mandariel und sah einen nach dem anderen forschend an. Nun blieb ihm der Bissen endgültig im Halse stecken und Rene würgte diesen förmlich hinunter. Lira erhob sich würdevoll und sah ihren Sohn stolz an. „Dieser nette junge Mann hat an meinen Geburtstag gedacht. Etwas, was du versäumt hast, mein lieber Sohn!“ Mandariel wirkte kurz ein wenig ertappt, dann straffte er die Schultern. „Ich dachte, du hättest mit deiner Vergangenheit auch diese sinnlose Gewohnheit hinter dir gelassen!“ „Wieso? Was ist schon dabei, wenn ich alte Gewohnheiten aufleben lasse?“, sagte Lira. „Was kann es schon schaden, wenn man alte Erinnerungen aufleben lässt?“ Mandariel sagte nichts. Sondern schien sich vielmehr seinen Teil zu denken. Dann fasste er Rene an der Schulter und zog ihn auf die Füße. „Wenn Ihr nichts dagegen habt, würde ich Rene nun zu einer Partie Schach entführen!“, sagte er gespielt höflich und noch ehe Rene etwas sagen konnte, schleifte er ihn schon hinter sich her aus dem Salon. Kaum dass sie das private Gemach das Wolfsprinzen betreten und die Pforte hinter sich geschlossen hatte, presste Mandariel ihn gegen das massive Eis und verwickelte ihn in einen stürmischen Kuss. Rene gab einen überraschten Laut von sich, ließ sich jedoch in diesem versinken und schlang begierig die Arme um ihn. Presste ihn eng an sich. Wollte ihm wieder nahe sein. Als sie sich voneinander lösten, rangen sie nach Atem. Mandariels sah ihn mit dunklen Augen an. Deutlich konnte Rene das Verlangen darin lodern sehen und sein Hals wurde ihm eng. „Warum bist du her gekommen?“, fragte Mandariel ihn, als er kurz den Kuss zwischen sich und Rene löste. Rene, atemlos von dem langen und intensiven Kuss des Wolfsprinzen, erwiderte seinen Blick verschleiert und verstand nicht. Es brauchte einige Atemzüge, ehe er antworten konnte. „Ich…ich wollte Euch wiedersehen!“, kam es schwach über Renes Lippen. Mandariel ließ die Worte auf sich wirken, sah ihm dabei fest ins Gesicht. Dann machte er einen Schritt zurück und wirkte, als habe man ihm alle Kraft genommen. Mit einem Seufzen wischte er sich die Haare aus der Stirn. „Weil du mich sehen wolltest!“ Ein schwaches Lächeln legte sich auf sein Gesicht. Rene verstand nicht und kurz meinte er einen Schlag in die Magengegend zu spüren. Dann aber nahm er allen Mut zusammen und trat auf ihn zu. „Ja, ich wollte Euch sehen!“ Gerne hätte Mandariel ein unsicheres Flackern in den Augen des Mannes gesehen, der seine Worte Lügen strafte. Aber nichts dergleichen sah er. Nur dass es Rene ernst meinte. „Warum?“ Mandariels Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. In seiner Brust glaubte er, eine Klaue würde sein Herz zusammen pressen, wobei es umso heftiger schlug. Renes Gesicht nahm einen verletzten Ausdruck an. Fast schon empört. „Ist das so wichtig? Zählt es denn nicht, dass ich wieder bei Euch sein wollte? Wieso muss es dafür einen Grund geben?“ Manadriel sah ihn nur an. War fast schon erstaunt, dass Rene so offen zu ihm sprach. Aber vermutlich hatte das, was zwischen ihnen geschehen war, etwas in ihm bewirkt und dass er sich nun unbedingt bewahren wollte. In diesem Moment war er mehr Mann als er es für möglich gehalten hatte. Mandariel lächelte wieder. Dieses Mal aber sanft und berührte Rene an der Wange. Strich zärtlich mit dem Daumen darüber. „Du hast Recht. Es…es sollte mir wirklich genügen, wenn du mich wiedersehen wolltest. Ich sollte nicht allzu sehr darüber nachdenken!“ Dann beugte er sich zu ihm. So nahe, dass sich ihre Gesichter fast berührten. „Um ehrlich zu sein: Ich wollte dich ebenso wiedersehen!“ Mandariel hätte sich denken sollen auf was das hinauslaufen würde. Denn kaum das sie sich vor dem Kamin niedergelassen hatte, hatte er schon Rene das Hemd aus gezogen und begonnen seinen Körper mit den Händen erneut zu erkunden. Doch statt mit dem Rücken zu ihm zu sitzen, saß er ihm nun gegenüber und hatte ihn ebenso aus seinen Kleidern befreit. In der letzten Nacht hatte Rene keine Gelegenheit gehabt Mandariels Körper ebenso zu erkunden. Das wollte er nun nachholen. Strich ausgiebig mit seinen Fingern über Mandariels Brust, dann hinunter zu dessen Bauch, wo er deutlich seine Muskeln spürte und wanderte wieder hoch. Zu den Schultern, die er sogleich begann zu massieren. Mandariel schloss die Augen und genoss es von Rene zu berührt zu werden. Genoss die anfangs zaghaften Berührungen, die nun mutiger wurden. Rene sah dies und fühlte sich ermutigt weiter zu machen. Beugte sich zu ihm und begann Mandariels Hals nun mit Küssen zu bedecken. Wie es Mandariel zuvor getan hatte. Dachte nicht viel darüber nach, sondern tat es einfach. Und fühlte sich dabei gut. Endlich konnte er ihm etwas zurückgeben. Mandariel gab einen kehligen Laut von sich. Grub seine Finger in das weiche blonde Haar und hauchte ihm wiederum einen Kuss auf die Schläfe. Rene hielt inne. Drehte dann seinen Kopf zu ihm und bot stumm um einen weiteren Kuss. Auf seinen Mund. Mandariel kam diesen nur zu gern nach und legte seinen Mund auf den von Rene. Knabberte sanft daran. Öffnete dann diesen. Rene tat es ihm gleich. Gewährte ihm so Einlass und seufzte auf, als sich ihre beiden Zungen trafen. Sich umspielten und aneinander saugten. Rene sank in seinen Armen zusammen und versank wieder in den Wogen seiner Sehnsucht. Mandariel lächelte innerlich. Ließ seine Hände unten gleiten und umfassten Renes Gesäß fest. Löste dann den Kuss, was Rene mit einem enttäuschten Laut quittierte. Dieser wollte ihn wieder in einen Kuss verwickeln, aber Mandariel schüttelte den Kopf. Legte ihn dann auf den Boden und zog ihm die Hose von den Hüften. Rene rührte sich nicht, sondern sah nur mit verhangenem Blick. Er erwartete, dass nun auch Mandariel sich aus seiner Hose schälte. Doch nichts dergleichen tat er. Stattdessen stellte er Rene Beine auf und spreizte sie dann, sodass er genug Platz hatte. Drängte sich zwischen sie und beugte sich dann über Renes entblößte Lendengegend. Rene merkte wie wieder sein Gesicht zu glühen begann und wie sein Herz anfing zu rasen. Ungeduld und Vorfreude überfluteten ihn. Machten ihn bewegungsunfähig. Er schaute zu Mandariel hinunter, der lange so verharrte, dann aber begann die Innenseite seiner Oberschenkel zu küssen. Dabei immer weiter nach unten wanderte und knapp über seinen Lenden stoppte. Dann wechselte er auf die andere Seite. Verfuhr mit dieser ebenso. Biss sanft hinein, nur um dann über diese Stellen zu lecken. Rene erschauderte und schloss die Augen. War zu keiner Regung fähig. Nur ein Seufzen und Keuchen stahl sich von seinen Lippen. Was Mandariel erfreute. Und als sein Blick auf Renes steifer werdendes Glied glitt, wollte er ihn erneut an den Rand der Lust treiben. So nahm er Renes feste Steife in die Hand. Rene zuckte zusammen und stöhnte auf. Sein Körper wurde kurz ganz starr, dann aber entspannte er sich wieder. Mandariel konnte jedoch das Zittern spüren, das Rene durchlief. Zögerte kurz. Nicht jedoch weil er sich fragte, ob es richtig war, sondern weil er alles von Rene in sich aufnehmen wollte. Sein Anblick, die Laute, die sich aus seinem Mund stahlen und seine Reaktionen, sobald er ihn berührte. Wurde sich dabei selbst klar, wie ungeduldig er wurde und es kaum noch erwarten konnte, ihn zum Schreien zu bringen. Mit einem letzten Blick senkte er den Kopf, öffnete den Mund und ließ seine Zunge über die empfindliche Haut unter Renes Bauchnabel gleiten. Fuhr unsichtbare Bahnen darüber und verirrte sich dabei hin und wieder in etwas tiefere Gefilde. Rene sog scharf die Luft ein. Schaute durch schmale Augen zu ihm hinunter. Konnte aber nichts weiter sehen als Mandariels schwarzen Haarschopf. Doch sich aufbäumen… Dazu war er nicht in der Lage und er würde den Teufel tun. Zu berauschend fühlte es sich an. Dieses Schauer, die seinen Körper immer wieder zum erbeben brachte und die Lust, die heiß in ihm loderte. Mandariels Zunge hatte nun einen anderen Weg eingeschlagen. Langsam und quälend strich sie über die untere Seite von Renes Glied und hinterließ eine feuchte Spur. Rene Stöhnte, wand sich nun und tastete blind nach Mandariels Kopf. Als seine Finger nur einige Haare fanden, strichen durch diese. Kraulten die darunter liegende Haut, was Mandariel knurren ließ. Leckte nun immer schneller und verlangender. Stieß dabei mit der Zungenspitze an den Punkt der sich unter der Eichel befand und reizte diesen ausgiebig. Renes Stöhnen wurde nun hemmungsloser. Bewegte sich ruckend, was Mandariel sofort unterband, in dem er mit seinen Händen Renes Hüften festhielt. „Wag es nicht, dich zu rühren!“, knurrte er. Noch ehe Rene etwas darauf erwidern konnte, umschloss Mandariel nun sein Glied mit seinen Lippen und fing an zu saugen. Nun gab es für Rene kein Halten mehr. Das war zu viel, als dass er noch länger an sich halten konnte. Mandariels warme Mundhöhle und seine Zunge, die über seine Steife rieben. Hitze wallte durch seinen Körper wie aufgepeitschte Wellen in einem Sturm und nach jeder Welle folgte ein Schauern, welches ihn erzittern ließ. Dennoch genoss er es. Nur schwach fragte er sich, wie es sein kann, dass ein anderer solch eine Macht über ihn hatte. Dass man es so leicht schaffte, ihn in den Wahnsinn zu treiben. Dass er, der Wolfsprinz, es so leicht schaffte. „Weil du es zu lässt!“, raunte eine Stimme ihm zu. Haltlos und enthemmt bäumte er sich unter ihm auf und schrie nun, weil er es einfach nicht mehr unterdrücken konnte. Es nicht mehr zurückhalten konnte. Diese Lust. Diese unbeschreibliche, herrliche, alles verzehrende Lust. Die heißer brannte als Feuer und alles, was nur ansatzweise Moral und Tugend gleichkam, zu binnen eines Wimpernschlags zu Asche verwandelte. Und Rene war es allerlei. „Soll mich doch der Teufel holen!“, ging es ihm durch den Kopf. „Ich bin schon längst einem anderen zu willen!“ Mandariel schmeckte bald schon den herben-köstlichen Geschmack Renes, der auf seiner Zunge lag und ihm den Rachen hinunterfloss. Ihn noch mehr in Rage brachte. Und dabei seine eigene Lust noch mehr entfachte als zuvor. Merkte wie es in seinen eigenen Lenden zog und pulsierte. Er saugte noch stärker und konnte die Hitze spüren, die Renes Glied ausströmte. Nahm mit dunkler Befriedigung zur Kenntnis, wie es zwischen seinen Lippen immer mehr anschwoll bis es nur noch aus Härte bestand. Der Geschmack wurde intensiver, ebenso Renes Stöhnen, dass schon von den Wänden wiederhallte. Wie unter einem Wahn warf Rene seinen Kopf hin und her. Raufte sich selbst das Haar und konnte nicht glauben, dass Mandariel ihn erneut so nahe an den Abgrund trieb. Er konnte beinahe schon körperlich spüren, wie er langsam über dessen Rand glitt und drohte in diesen mit dem Kopf vor ran hinab zu stürzen. Mit verschleiertem Blick schaute auf den Wolfsprinzen hinab, der nicht einmal sein Tun unterbrach. Sondern immer weiter machte. Aber auch ohne zu ihm auf zu schauen, wusste Rene, dass Mandariel sich erneut von seinem Verlangen leiten ließ und alle Zurückhaltung vergessen hatte. Zeigte wieder, dass er mehr war als nur ein…Prinz. In seine Lust und sein Verlangen, mischte sich auch wieder die Wärme, die ihn einen Blick hinter die Maske aus Kälte und Gleichgültigkeit ermöglichte und den Wolfsprinzen als ein fühlendes Wesen zu sehen. Als einen Mann, der sich seinen Gefühlen hingab. Ein Schauern ließ Rene über den Rücken und er löste die Finger aus dem Fell unter ihm. Ließ sie dann in das schwarze Haar Mandariels wandern und umfasste es sanft. Streichelten es. Rene hörte Mandariel bei dieser Berührung grollen und erschauderte. Lauschte dem Schmatzen und Saugen und ein Schauer nach dem anderen jagte ihm über den Rücken. Verlor sich dabei und merkte wie er zu Wachs in den Händen des Wolfsprinzen wurde. Wehrte sich auch nicht dagegen. Sondern ließ es zu, dass er ihn zu Jemanden neuem formte, der in dieser Nacht existieren konnte. Und in den Nächten, die noch kommen werden. In denen er der sein konnte, der er insgeheim sein wollte. In dem er so sein konnte, wie Mandariel ihn haben wollte. „Man-Mandariel!“, stöhnte er und konnte es nicht mehr verhindern. Heiß floss sein Saft in Mandariels Mundhöhle. Mandariel stockte kurz, dann grollte er erneut, ehe er schluckte und sich dann langsam erhob. Mit glänzenden Augen schaute er auf Rene hinunter, der ihn wiederum durch halbgeschlossene Augen ansah. Ein Lächeln stahl sich von Mandariels Lippen. Er könnte sich in diesem Anblick verlieren. „Ich fürchte, dass ich so langsam süchtig danach werde!“, gestand er dann süfisant. Renes Wangen röteten sich, doch er erwiderte das Lächeln. Ihm ging es nicht anders. Er konnte nie genug von Mandariels Liebkosungen genug bekommen. „Mir geht es genauso!“ Das Lächeln um Mandariels Mundwinkel wurde breiter. Beugte sich dann zu ihm und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen. Rene schloss die Augen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)