Ashes and Camellia von -Miaka- (Bakura x Ryou (Tendershipping)) ================================================================================ Kapitel 1: Grief is a House that Disappears ------------------------------------------- „Ihr wisst genau, dass ich niemanden ins Haus lasse, wenn ihr nicht da seid!“, platzte es aus Ryou heraus. Sein Vater sah nur kurz von seiner Zeitung auf und zog eine Augenbraue nach oben, bevor er sich noch im gleichen Atemzug wieder den Nachrichten zuwendete und seiner Frau damit das Reden überließ. Diese war gerade dabei gewesen ihre morgendliche Tasse Kaffee an die Lippen zu setzen. Nun jedoch stellte sie sie wieder auf den Frühstückstisch zurück und fing dann zu allem Übel an leise zu kichern. Es war einfach nicht zu fassen! „Ach, Ryou. Wie alt bist du? Er wird keine zehn Minuten brauchen, um den Strom abzulesen. Dein Vater und ich sind um die Zeit noch nicht wieder da, also lass ihn bitte rein.“, bat sie ihren Sohn. Den allerdings überzeugte das nicht. „Dann macht einen Termin, wenn einer von euch da ist!“, forderte der sonst so ruhige Junge trotzig. „Ich hab keine Ahnung von diesem ganzen Zeug und ich will damit auch nichts zu tun haben. Und ihr wisst das ganz genau!“, schloss er, stand auf und fing damit an, den Tisch auf seiner Seite abzuräumen, vermied es dabei allerdings seine Eltern anzusehen. „Das ist doch albern, Ryou. Ich bitte dich, dieses eine Mal. Lass ihn rein, geh mit ihm runter in den Keller und lass ihn dann wieder raus. Ist das wirklich zu viel verlangt?“, fragte seine Mutter. Nun war auch der letzte Rest von Vergnügen aus ihrer Stimme gewichen. Sie wusste nicht, weshalb ihr Sohn ein derartiges Verhalten an den Tag legte, zumal es sich in ihren Augen um eine so simple Angelegenheit handelte. „Ryou? Hörst du?“ Angesprochener nickte nur widerwillig und verschwand dann mitsamt seinem Frühstücksgeschirr aus dem Esszimmer in Richtung Küche. Er hasste es einfach, fremden Leuten die Tür aufzumachen, ganz zu schweigen davon, sie ins Haus zu lassen. Warum, wusste er auch nicht genau. Ein Teil seiner Angst war allerdings sicher der Tatsache geschuldet, dass er sich im Falle eines Einbruchs alleine nicht wehren konnte. Und weil er sich einfach unwohl dabei fühlte. Auch wenn das vielleicht nicht unbedingt die plausibelsten Gründe waren. „Machst du das im Laden genauso? Da kannst du dich bestimmt nicht so zimperlich haben.“ Sein Vater war ebenfalls mit Brettchen, Kaffeetasse und Zeitung in Händen aus dem Esszimmer gekommen und nun dabei, den Geschirrspüler einzuräumen, während er mit Seitenblick auf seinen einzigen Sohn auf eine Antwort wartete. „Nein…“, gab Ryou kleinlaut zu. Mit seinem Vater wollte er sich jetzt nicht auch noch anlegen. Vor allem, da dieser in gewissem Maße Recht hatte. Ryou konnte sich auf seiner neuen Praktikumsstelle im Blumenladen nicht so aufführen. Wenn die Besitzerin ihn für einige Minuten alleine ließ - was am Tag öfters passierte -, dann musste er sich um die Kunden kümmern. Und konnte natürlich keinen Aufstand machen, wenn er eine Aufgabe nicht übernehmen wollte. Tatsache war aber auch, dass es einen Unterschied gab zwischen der Arbeit im Laden in aller Öffentlichkeit und der Sicherheit seines Zuhauses. Sein Zuhause war für ihn wie die Erweiterung seiner Selbst und jeder Fremde darin stellte geradezu eine Bedrohung für sein Innerstes dar. Allerdings hatte Ryou gerade herzlich wenig Lust, das mit seinem Vater auszudiskutieren. „Möchten Sie, dass ich sie Ihnen in Folie einpacke?“, fragte Ryou die Frau vor ihm höflich. Vor ihnen auf dem Tresen stand ein herrlicher Strauß roter Chrysanthemen. Mit einem ziemlich abgelenkt wirkendem Nicken bejahte die Kundin seine Frage, während ihre ganze restliche Aufmerksamkeit ihrer kleinen Tochter galt, die zwischen den vielen verschiedenen Blumen im Raum umherwuselte. „Lina, pass bitte auf und schmeiß nichts um.“ Das Mädchen - Ryou schätzte sie auf höchstens fünf Jahre - hielt neben dem Eimer mit den Rosen inne, sah kurz verstohlen zu seiner Mutter auf und wendete den Blick gleich darauf wieder den Blumen zu. „Ohhh!“, rief es plötzlich begeistert. „So schööön!“ Ryou musste unweigerlich lächeln. Die Mutter der Kleinen allerdings schien all das nicht im Geringsten amüsant zu finden. Dazu kam, dass Ryou, während er die kleine Lina beobachtet hatte, völlig vergessen hatte, dass er die Chrysanthemen einpacken sollte. Entschuldigend sah er die Frau vor sich an, die mittlerweile durchaus ein wenig ungeduldig wirkte. Oh Mann. Wenn er so weiter machte, würde sein Praktikumsbericht nicht besonders gut ausfallen. Kaum dass die Frau mit ihrer Tochter und gut verpacktem Blumenstraß aus dem Laden verschwunden war, trat auch schon der nächste Kunde herein. Ryou, der sich von der Theke weggedreht und angefangen hatte, das Chaos, das er beim Zurechtschneiden der Folie angestellt hatte, zu beseitigen, seufzte leise. Wann kam nur seine Chefin endlich wieder? „Tag. Jemand da?“ Ryou sah auf, drehte sich allerdings nicht sofort um. Sein Kopf fühlte sich urplötzlich leer an. Der Klang der tiefen Baritonstimme schien noch einige Sekunden in seinen Ohren nachzuhallen. Und warum war ihm auf einmal so heiß? Völlig verdattert starrte Ryou die Folienrolle an der Wand an. „Hallo?“, fragte der Mann verwundert. Oder ungeduldig? Erst da fiel Ryou wieder ein, wofür die verflixte Folienrolle, die er hier so eingehend betrachtete, überhaupt gut war. Blumen. Das brachte ihn auf Blumenladen. Und das wiederum erinnerte ihn an… ach, verdammt! Wie konnte er sich nur so aus dem Konzept bringen lassen, wo er doch sowieso schon nur ein kleiner Praktikant war!? Ryou zwinkerte einige Male heftig und hätte sich beinahe die Hände vor Scham ins Gesicht geschlagen. Schnell und mit hochrotem Kopf drehte er sich um. Und starrte in zwei matte, tiefbraune Augen. „Sag mal, stör ich dich und die Wand irgendwie? An der Tür steht doch, dass offen is'.“ Der Mann, der nun vor ihm stand, klang plötzlich weniger freundlich. Trotzdem war Ryou nicht fähig, sich aus seiner Starre zu befreien. Wie hypnotisiert sah er seinen Gegenüber an. Es hätte sein Spiegelbild sein können! Zumindest an einem rebellischen Tag, dachte Ryou. Er kannte solche Tage zwar nicht wirklich von sich selbst, aber er wusste, dass sein Spiegelbild an einem solchen Tag dem Bild des Mannes vor ihm wahrscheinlich sehr nahe gekommen wäre. Sein weißes Haar ungebändigt, sein intensiver Blick voll rauher, unausgesprocher Emotion. Er war um einiges größer und deutlich muskulöser als er. Oder es lag einfach nur daran, dass Ryou mit jeder Sekunde, die verging, kleiner und schmächtiger zu werden schien. Gott verdammt, er musste sich endlich zusammenreißen! „Gu-guten Tag! Nei-nein, es ist na-türlich offen. Sie stören ni-“ „Aha. Ich brauche einen Kranz.“ Ja, das klang dann doch eindeutig nach Ungeduld. Schon wieder ein unzufriedener Kunde! 'Super, Ryou!', klatschte er sich gedanklich Beifall. Dass der Laden durch ihn noch mehr in Verruf kam, konnte Ryou sich jetzt echt nicht leisten. Er blinzelte dreimal hintereinander, bevor er endlich in die Wirklichkeit zurückkehrte, beziehungsweise hart mit dem Kopf darin aufschlug „Einen Kranz... ääh, natürlich... zu welchem Anlass denn?“, fragte er kurzerhand. Wo verbargen sich eigentlich seine sich sonst doch so schnell und automatisch einstellenden Freundlichkeitsfloskeln, wenn er sie mal wirklich brauchte? Es fiel ihm tatsächlich schwer zu denken und er wusste nicht, warum. Normalerweise kam er mit Kunden sehr gut klar. Einmal hatte seine Chefin ihn sogar für seine freundliche Art gelobt. Aber mittlerweile war er sich ziemlich sicher, dass sie ihn diesmal rausschmeißen würde, sobald sie Wind von dieser ganzen Sache hier bekam. „Es wird einer verscharrt.“, sagte der Größere kurz und emotionslos, ja beinahe gelangweilt. Dann grinste er. Ryou zwinkerte. Das konnte doch nicht wahr-. Er sah ihn eingehender an. Nein, das Grinsen musste er sich eingebildet haben. „Begräbnis.“, fügte der Andere hinzu, als Ryou nichts erwiderte. Er rollte mit den Augen. „Kriegst du das hin oder nicht, Kleiner?“, fragte er. Es schien keine echte Frage zu sein. Es klang vielmehr danach, als ob er schon von Vorherein an Ryous Fähigkeiten zweifelte. Oder, viel schlimmer noch - an seinem Verstand! Dieser Typ nahm ihn doch eindeutig nicht ernst! Auch dass er mit den Fingern seiner rechten Hand auf der Holzplatte des Tresens trommelte und den Blick abwesend durch den Raum schweifen ließ, statt ihn anzusehen, bestätigte Ryous Annahme nur umso deutlicher. Und er hasste es, wenn die Leute ihn nicht ernst nahmen! Das hatte er schon seine ganze Schulzeit über ertragen müssen. „Aber sicher doch.“, sagte er nun bestimmter. Langsam hatte er Mühe damit freundlich und professionell zu bleiben. „Welche Blumen möchten Sie für den Kranz? Welcher Text soll auf das Band und welche Farbe soll das Ba-“ „Egal. Machen Sie irgendwas. Was Sie wollen.“ Der Mann zuckte mit den Schultern. „Ich brauche das Ding dann am Mittwoch.“ Ryou hatte es die Stimme verschlagen. Zum dritten Mal an diesem Tag! Und diesmal wusste er wirklich, wirklich nicht, was er sagen sollte. DAS hatte definitiv nicht in seiner Praktikumsausschreibung gestanden. Nicht ein Wort davon! „Bringen Sie mir den Kranz dann hier im Ort ans Kirchtor oder so.” Oder so. Irgendwas bei dem Typen lief doch nicht ganz richtig. „Halb zehn.“, sagte er noch und mit diesen Worten öffnete der Größere sein Portemainne, nahm einen Batzen Geld heraus und legte es mit einer Bestimmtheit vor Ryou auf den Tresen, als ob durch diese bloße Handlung das Gespräch beendet und alles Weitere gelöst war. Gleich danach wandte er sich zum Gehen. Und das war auch der Moment, in dem Ryous Hirn sich plötzlich wieder einschaltete. „F-für wen de-…“ Oh mann, es klang einfach so taktlos und falsch, wie er es in Gedanken auch drehte und wendete. Aber was blieb ihm denn Anderes übrig? „Für w-wen … ist denn d-der Kranz?“, fuhr er schnell fort, ehe der Andere den Laden verlassen konnte. „Für das Band, die Widmung, wissen Sie, ich-” „Für meinen Bruder.“ Der Größere zuckte nochmals mit den Schultern. „Akefia. Steck einfach was von diesem ganzen Unkraut hier zusammen. Steht doch genug rum.” Mit einer abschätzigen Geste zeigte er dabei auf die Blumen. „Das wird ja wohl selbst jemand so mickriges wie du noch auf die Reihe kriegen.”, schnaubte er. Dann verschwand er ohne ein weiteres Wort durch die Tür. Ryou war auf hundertachtzig. Genauer gesagt auf hundertdreiundachtzig, Tendenz steigend. Am liebsten hätte er den Laden verlassen, die Tür hinter sich zugeknallt, jede einzelne Distel im Umkreis von zehn Kilometern persönlich aufgelesen und diesem Typen am Mittwoch ins Gesicht gepfeffert! Was dachte der sich eigentlich? Ihn zu beleidigen, das war ja die eine Sache. Das war Ryou gewöhnt. Klein, schmächtig, schwach, mickrig, wertlos. Wie oft schon hatte er Beschreibungen wie diese zu seiner Schulzeit über sich ergehen lassen müssen? Das alles kannte er zur Genüge und zum größten Teil machte es ihm nichts mehr aus. Aber die Blumen, seine gliebten Blumen, Unkraut zu nennen! Das hatte noch keiner gewagt. Leider hatte er keine Wahl. Der Typ war nun einmal ein Kunde. Und er hatte gezahlt. Moment mal. Ryou sah zu den Geldscheinen auf dem Tresen, die der Andere wenige Minuten zuvor dort hingelegt hatte. Er rechnete kurz nach und nickte zufrieden. Erst dann realisierte er es. Seine Augen weiteten sich geschockt. Der Typ hatte viel zu viel bezahlt! Mindestens dreimal so viel, wie er hätte zahlen müssen, stellte Ryou fest, als er die Scheine direkt danach in die Hand nahm und genauer nachzählte. Na super, seine Chefin würde ihn umbringen! Nun gut, er war ein toter Mann, in mehr als einer Hinsicht. Vielleicht sollte er im Anschluss an das Gesteck direkt sein eigenes zusammenstellen. Er hatte auch schon einen Spruch, den er sich als Widmung aufs Band schreiben würde: „Einem Menschen, am Ende der Woche geschaffen, als Gott schon sehr müde war”. 'Ja, das passt', dachte er höhnisch und seufzte dann. Dabei fiel ihm auf, dass er absolut keine Ahnung von Grabgestecken und Trauersprüchen hatte. Andererseits hatte der Typ auch nicht gewirkt, als ob es ihn sonderlich stören würde, wenn er 'Du mich auch!' darauf schreiben würde. Da konnte Ryou genauso gut machen, was er wollte. Noch während er mehr oder weniger gereizt darüber nachdachte, wieviele Brennesseln er wohl benötigte, um einen ganzen Kranz zu binden, dämmerte in ihm langsam die Vernunft. Vielleicht war der Andere ja nur unfreundlich gewesen, weil er momentan nicht anders konnte. Immerhin hatte er offensichtlich erst vor Kurzem seinen Bruder verloren. Ryou wusste nicht, wie es war ein Familienmitglied zu verlieren, aber er konnte sich durchaus vorstellen, dass er in einer solchen Situation selbst nicht in der Lage sein würde auf die Gefühle Anderer in gewohnter Weise Rücksicht zu nehmen. Irgendwie, dachte er, war es ja sogar an ihm ein wenig Mitgefühl für den Anderen zu zeigen. Und da war es wieder: sein viel zu weiches Herz. Ein Lächeln formte sich auf seinen Lippen und im selben Moment verwarf er all seine rachsüchtigen Pläne. Auf jeden Fall würde er sich von so einem nicht dazu hinreißen lassen sein Handwerk schlecht zu verrichten. Ganz im Gegenteil. Das würde der beste Totenkranz werden, den dieser Typ in seinem gesamten Leben sehen würde! Fortsetzung folgt…  Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)