Special Ark von LockXOn ================================================================================ Kapitel 9: Die Übermacht ------------------------ Es piepte.   Und es piepte.   Und piepte und piepte und piepte und piepte in seinem Ohr! Ark schnitt eine Grimasse, packte unsanft sein Wow und knurrte gereizt: „Ja, Miss Hunnigan?!“ Erst war es totenstill auf der anderen Leitung, doch dann rief ihm ihre Kommunikationsexpertin aufgelöst in den Kopf: „Ich fass es nicht! Sind Sie das wirklich, Ark?! Oh, Gott sei Dank, ich habe bereits befürchtet, dass ...“ Sie brach ab, räusperte sich und begann von Neuem: „Ich verlange eine Erklärung, Mr. Thompson! Seit Ewigkeiten versuche ich, Sie zu erreichen! Warum antworten Sie erst jetzt?!“   Seine Augenbraue zuckte. Er war sich nicht sicher, ob er ihr anvertrauen konnte, was in der Zwischenzeit mit ihm geschehen war. Deshalb murmelte er nur ausweichend: „War verhindert. Wusste ja nicht, dass Sie mich zwischendurch so schätzen gelernt haben, dass Sie sich dermaßen Sorgen machen ...“ Sie ging gar nicht auf den Seitenhieb ein, sondern zischte warnend: „Bleiben Sie dran. Bleiben Sie ja dran! Ich muss sofort Leon Bescheid geben. Wo befinden Sie sich gerade?“ Er kratzte sich seufzend am Kopf und sah sich zum ersten Mal ausgiebig um. Er verharrte und murmelte kaum verständlich: „Leon ist bei mir. Kein Anlass zur Beunruhigung. Überhaupt kein Anlass zur Beunruhigung.“   Dann stellte er das Wow kurzerhand ab und murmelte, während sich Nervosität in seinem ganzen Selbst ausbreitete: „... Was zum Teufel ist das hier?“ Leon, der sich inzwischen vor ihm hingekniet hatte, lugte zur Seite und seufzte ebenfalls: „Das, Ark, sind B.O.W.s. Jede Menge B.O.W.s, die mir vor deinem protzigen Auftritt ziemliches Kopfzerbrechen bereitet haben.“ „Du weißt, dass ich das nicht meine“, knurrte der Detektiv ungehalten, „Warum um alles in der Welt bekämpfen sie sich?!“ Er beobachtete mit wachsendem Unbehagen die um sich schlagenden, heftig zuckenden Untoten, die sich wie von Sinnen von den wuselnden Wespenteppichen zu befreien suchten. „Nein“, berichtigte er sich, „warum um alles in der Welt bekämpfen die Amazonen sie?“ Leon stellte mit einem schnellen Griff sein Headset aus, welches nun ebenfalls zu Piepen begonnen hatte und runzelte die Stirn: „Amazonen?“ Ark wies ungeduldig auf die Wespen: „Ja! Das! Amazonen! Warum greifen sie ...“ Doch dann erinnerte er sich daran, dass Leon sich der Fachbezeichnungen der B.O.W.s wahrscheinlich noch gar nicht recht gewahr war. Er winkte entschuldigend ab und griff in die Überreste seiner Brusttasche: „Oh, klar. Warte. Ich hab den Artenkatalog bei ... mir ...“ Dann bemerkte er ein weiteres Problem und blickte auf zur weit obenliegenden Empore: „Ach, Scheiße ...“ Leon sah ihn erwartungsvoll an und er winkte erneut ab, diesmal verärgert: „Ich hab ihn gelesen, aber liegengelassen! Ich Idiot!“ Sein Freund klopfte ihm nur beruhigend auf die Schulter: „Mach dir keine Vorwürfe. Ich schätze, du warst ziemlich verwirrt. Aber ... Wie ist ... das passiert?“ Er wies halbherzig auf Arks Oberkörper, an dem nur noch traurige Stofffetzen an den einstigen Aufzug erinnerten.   Ark ließ sich seufzend aufs Gesäß fallen und legte ermattet die Hände in den Schoß: „Das ... Ich bin mir nicht sicher, ich ... Als mich dieses wandelnde Efeu verschleppt hat, hat sich mein Arm angefühlt, als würde er längs aufgetrennt! Hab vor Schmerzen kaum noch klar denken können. Außerdem ... hatte ich Angst. Todesangst. An irgendeinem Punkt hab ich wohl aufgegeben. Hab echt gedacht, ich wäre erledigt. Und dann ... nichts mehr. Muss das Bewusstsein verloren haben. Nicht im üblichen Sinne, sondern ... Ich war plötzlich so seelenruhig. Als hätte alles seine Richtigkeit. Es hat nichts mehr wehgetan. Das Verrückte ist, ich kann mich erinnern, weißt du? Ich kann mich genau erinnern, wie ich dem Biest ins Maul gegriffen und es einfach auseinandergezogen hab! Es war so leicht wie Toast zu zerpflücken, Leon! Und es war mir völlig egal! Selbst vorhin, als ich gegen dich ... Ich hab dich gesehen, aber alles, was ich mit dir assoziiert habe, war ... war ...“   „Beute.“   „... Ja. Ich war da und doch meilenweit entfernt. Wenn ich mir vorstelle, was ich beinahe ... Es tut mir leid.“   Leon ging nicht darauf ein. Vielmehr rieb er sich in ehrlichem Unverständnis die Schläfen: „Ich verstehe das nicht! Sicher, T-Veronica ist potent, aber dass du dich so dermaßen veränderst in so kurzer Zeit? Es ist doch erst etwas über zwei Stunden her, seit dich die Dryade erwischt hat!“ Er runzelte die Stirn, als Ark kurz auflachte: „Es war nicht die Dryade, die mich infiziert hat. Das Teufelszeug steckt in mir drin, seit wir das Treppenhaus hinuntergestürzt sind!“   „Was?!“   „Ja, mein Glück ist kaum zu fassen, nicht wahr? Es war das Kanalwasser, Leon. Ich habe weiter oben etwas darüber gelesen, aber es ergibt erst jetzt einen Sinn! Die Übelkeit, diese seltsame Sache mit meinen Augen, mein ... Tod in der Kultivierungskammer ... Das war keine Einbildung. Ich bin tatsächlich gestorben, nicht wahr? Und das Virus ... hat mich zurückgebracht ...“   Der Agent schüttelte entschieden den Kopf, nachdem er sich die neuen Erkenntnisse durch denselben hatte gehen lassen: „Nein, Ark. Ich mag kein Spezialist in diesen Dingen sein, aber es ist völlig unmöglich, dass dich T-Veronica einfach wieder munter gemacht hat. Wenn das Virus etwas mit deinem Überleben zu tun gehabt hätte, wärst du vor meinen Augen mutiert und nicht einfach aufgewacht.“   „Du hast gedacht, ich sei tot! Etwas muss dich dazu bewegt haben, oder etwa nicht?!“   „Nun, du hattest keinen Puls mehr. Und geatmet hast du auch nicht.“   „Ich wusste es ...“   „Aber das muss nichts bedeuten. Lebensfunktionen können sich durchaus ohne entsprechende Maßnahmen wieder einstellen. Vertrau mir. Du warst nicht tot, du hast nur ... kurz ausgesetzt!“   Ark gaffte ihn ungläubig an und verfiel dann in aufrichtiges Lachen: „Das ist das freundlichste ‚Jetzt bist du zwar ein Geist, aber alles davor war nur eine harmlose außerkörperliche Erfahrung‘ das ich je gehört habe!“ Er klang sarkastisch, doch seiner Stimme fehlte die typische unnachgiebige Schärfe. In ihrer Nähe robbte ein Orthos vorbei, der unter der surrenden Schar kaum zu erkennen war, stieß ein letztes kehliges Grollen aus und blieb dann still liegen. Die Wespen flogen auf und stoben auseinander, um anderen Artgenossen Hilfestellung zu leisten. „So“, murmelte er angewidert, nachdem sie einige Sekunden auf die kläglichen Überreste gestarrt hatten, „wie ist es zu diesem merkwürdigen Pakt gekommen?“ „Du meinst, du weißt auch nicht, warum sie uns helfen?“, fragte Leon irritiert. „Hab keinen blassen Schimmer“, gab der Detektiv zu und rieb sich die Schläfen, „ich meine, ich kann mich an alles erinnern, aber einige Dinge waren plötzlich einfach so ... natürlich, dass ich nicht wirklich drauf geachtet habe. Die Amazonen sind ein Teil davon. Sie sind mir einfach gefolgt und haben mich beschützt und mir ... und ... mir ...“ Er dachte plötzlich scharf nach und erbleichte dann sichtlich. Im nächsten Augenblick sprang er auf, stürzte um eine Ecke hinter ein Regal und übergab sich. Leon folgte ihm hastig: „Du lieber ... Was ist los?! Hast du Schmer-“   „BLEIB, WO DU BIST!!!“   Der Ausbruch ließ ihn an Ort und Stelle verharren. Zwischen Würgen und Husten brachte Ark hervor: „Wag es ja nicht ... herzukommen! Wenn du auch nur um ... die Ecke schielst, brech ich dir alle ... Knochen!“ Wenn er ihm noch derartig drohen konnte, musste er zumindest halbwegs in Ordnung sein, und so achtete Leon den Wunsch und lehnte sich mit verschränkten Armen auf der anderen Seite des Regals an. Eine Weile konnte er nur stumm Arks überbordendem Brechreiz zuhören. Ab und zu kam es ihm vor, als wäre es vorbei, doch dann fing es immer wieder von Neuem an. „Wir können drüber reden“, bot er unverbindlich an, fest davon überzeugt, eine rüde Abfuhr erteilt zu bekommen.   Eine Weile blieb es ruhig, doch dann drang Arks leise Stimme zu ihm hinüber: „... Sie haben mich gefüttert. Oder ... nicht direkt gefüttert, mehr ... mehr ... versorgt ...“ Er runzelte die Stirn: „Versorgt womit?“ Ein ersticktes Schluchzen ertönte und brachte ihn völlig aus dem Konzept: „Sie haben mich versorgt, Leon. Und ich habe anstandslos alles vertilgt, was sie mir angeboten haben.“   ... Oh.   Leon bedeckte mit einer Hand die Augen, als kaum vernehmliches Wimmern in seinem Rücken ertönte. Nie hätte er vermutet, welche Last er sich mit diesem Auftrag auf die Schultern laden würde. Wenn er es auch nur ansatzweise geahnt hätte, hätte er sich eher die Pulsadern aufgeschlitzt, als Ark mit hineinzuziehen. Und nun war es zu spät. Niemand konnte rückgängig machen, was er seinem Freund angetan hatte. Ark würde damit leben müssen. Aber zumindest eins musste er dabei begreifen. „Es war nicht deine Schuld“, sagte er fest, „nichts davon ist deine Schuld.“   Ark antwortete nicht, schien aber auch nicht mehr mit übelkeitserregenden Erinnerungen kämpfen zu müssen und als er schließlich ein paar Minuten später aus seinem Versteck heraustrat, war er zwar leichenblass, stand aber erhobenen Hauptes vor ihm. Zögerlich wischte er sich über den Mund: „Wie gehtʼs jetzt weiter?“ Leon atmete unbewusst auf und stieß sich ab: „Ich weiß nicht, wie viel du auf deinem Alleingang herausgefunden hast, aber wir haben ein größeres Problem als dieses Kleinvieh.“ Er wies wie nebenbei auf die Monster, die sich im Raum tummelten. Einige davon lagen bereits besiegt am Boden. Ihre Körper waren aufgedunsen. „Jepp“, nickte Ark zustimmend und überlegte kurz, „Chaos.“ Leon nickte ebenfalls: „Ich habe ihn gesehen. Ich fürchte, er ist verdammt stark. Und vor allem schnell. Eine Warnung im Vorfeld: Lass dich nicht von seinem Aussehen täuschen. Chaosʼ Wirt ist seit sechzehn Jahren tot. Vergiss das nicht.“   „Und du hältst es für notwendig, mich darauf hinzuweisen, weil ...?“   „Ich sage das zu deinem eigenen Besten. Du bist noch nicht daran gewöhnt, dass sie ... extrem menschlich aussehen können.“   Ark öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, aber er kam nicht dazu, denn im nächsten Augenblick stoben die Wespen in Panik auseinander und ein riesiges, deformiertes, grasgrünes Monster landete mitten im Raum, in derselben Manier, wie Ark ihn zuvor betreten hatte. Die beiden Ermittler schnappten nach Luft und wichen schockiert einige Schritte zurück Richtung Empore und Ark entfuhr es entsetzt: „WOAH!!! Wer hat HULK zur Party eingeladen?!“ Mehr bekamen sie nicht heraus, denn es packte sich einen Schrank, hob ihn hoch wie einen Papierkorb und schleuderte ihn ihnen geradewegs entgegen. Sie machten auf dem Absatz kehrt, rannten die Treppe hinauf und duckten sich hinter die Brüstung. „Verdammte Scheiße“, fluchte Leon ungehalten, „Chaos!!! Ich habe nicht damit gerechnet, dass er einfach so zurückkommt!“ „Das ist Chaos?!“, fragte Ark atemlos, „Willst du mich verarschen?! Der sieht kein bisschen menschlich aus!“   „Es ist seine ... andere Form. Sie wurde im Redfield-Bericht beschrieben! Nun, minus der schwarzen Augen natürlich.“   „Ich hab dir bereits gesagt, dass ich nicht mit jedem verfickten Detail eurer Katastrophentagebücher vertraut bin! Wer ist das?!“   „Sein Name ist ... Ach, das ist doch jetzt egal!“   Ein Schreibtisch zerschellte an der Brüstung auf der anderen Seite ihrer Köpfe und sie zuckten zusammen. Leons Blick verfinsterte sich in unliebsamer Erinnerung: „Ich sag dir was: Ich geb dir seinen Spitznamen! Er lautet Herr Ich-vertrau-dir-nicht-aber-damit-du-siehst-was-für-ein-toller-Hengst-ich-bin-rette-ich-dich-ab-und-zu!“ Ark hob beeindruckt eine Augenbraue: „... Wahrlich ungeheuerlich ‚spitz‘. Höre ich da etwa meinen alten, ritterlichen Freund Leon aus diesem aufgeblasenen Muskelpaket sprechen? Ich nehme an, es gibt einen guten Grund für deine offensichtliche Antipa-“ Er wurde rüde unterbrochen von einem Regal aus Metall, welches mit voller Wucht die Mauer traf, zerplatzte und halbiert knapp über ihre Scheitel hinweg segelte. Er blinzelte und räusperte sich: „... Unwichtig. Ich denke, ich werde im Anbetracht der gespannten Lage auf weitere Details verzichten.“   „Vielen Dank, Ark. Ich habe schon befürchtet, das Virus hätte deinen gesunden Menschenverstand ramponiert.“   Chaos brüllte so laut, dass das Mauerwerk vibrierte und schrie wahnsinnig vor Zorn: „Verschwindet! Ver...reckt! Ihr sollt ... verschwinden! Der Stock braucht nur ... eine Königin!!!“ Ark hob irritiert eine Augenbraue und sah Leon verständnislos von der Seite an: „Was zum Teufel meint er damit?“ Leon, der gerade einen Blick über die Brüstung riskiert hatte und nun blitzschnell seinen Kopf wieder einzog, als ihm ein zerfressener Minotaurus entgegenflog, zuckte halbherzig mit den Schultern: „Tja, ich schätze, er sieht in dir eine Rivalin.“ Ark zuckte nicht mal mit der Wimper, während er ihn aufmerksam betrachtete: „... Siehst du mich lachen, Leon?“ Der Agent rollte seufzend mit den Augen: „... Nein.“ „Liegt daran, dass du nicht witzig bist! Und jetzt gib mir deine Jacke! Dank dir fühle ich mich nackt“, zischte der Detektiv erregt und streifte sich den Raketenwerfer ab, der die Transformation zu seiner Erleichterung unbeschadet überstanden hatte.   Leon wusste es besser, als mit ihm zu diskutieren und überreichte sie ihm anstandslos: „Weißt du, du nennst mich ʼne Glücksfee, aber du verlierst deine Schrotflinte und findest dafür ʼne Bazooka!“ Ark bedachte Leons nun freigelegte Hüfte mit einem flüchtigen Blick und schloss den Reißverschluss: „Jepp. Und du ziehst nur mit ʼner Pistole los und kommst mit einer Magnum zurück. Siehʼs ein, Mann, wärst du nicht Fortunas Brunftlöscher, hättest du schon längst den Löffel abgegeben. Auch die größte Widerstandskraft hat Grenzen!“   „Touché.“   Einer der T-103 segelte über die Mauer, schlug zu ihren Füßen auf und kullerte an die Wand, die Wespen, die sich noch an ihm festhielten, unter sich zermalmend. Leon atmete tief durch, ohne den Blick von dem improvisierten Geschoss abzulenken: „Wie viel Munition hat deine sexy Freundin?“ Ark linste ins Magazin und schulterte die Waffe dann wieder: „Es ist ein alter M-202-Flash, aber ich vermute, einen Schuss hat sein Vorbesitzer verpulvert, um sich versehentlich selbst in die Luft zu jagen. War ein ganz schöner Krater, wenn ich so daran zurückdenke. Also noch drei. Wenn er noch funktioniert. Was ich um ehrlich zu sein nur im äußersten Notfall ausprobieren möchte. Und selbst?“   „Sieben Schuss für die Magnum. Die Schrotflinte hat noch Einiges. Und ich hab natürlich noch reichlich für die Handfeuerwaffen, aber die werden gegen Chaos kaum was ausrichten.“   Es lief ihnen kalt den Rücken herunter, als sie über das Toben hinweg erneut das Rattern der Rolltore vernahmen. „Mist“, knurrte Leon zerknirscht, „wir stecken schon in Schwierigkeiten und der Drecksack schiebt noch nach?! Fährt wohl alles auf, was er hat, was?“ Sie rannten los auf die Treppen zum nächsten Stock zu. „Das möchte ich sogar hoffen“, betonte Ark, als er einen Schulterblick riskierte und mehr und mehr B.O.W.s in sein Sichtfeld rückten, „denn ich glaube nicht, dass wir hiernach auch nur noch einen mickrigen Tischtennisball zum Verschießen übrig haben werden, um eventuelle Nachzügler zu versorgen!“   Noch während er sprach, flog eine ganze Wolke von Wespen von den besiegten Gegnern auf, kreiste einige Runden über den Köpfen der Neuankömmlinge, als konnte sie sich nicht entscheiden, wohin sie ihr Weg führen sollte, stieg dann auf und hielt schnurstracks auf ihn zu. Er schrie erschrocken, als er in einem Meer aus Gelb und Schwarz verschwand. Leon taumelte ebenso entsetzt einige Schritte zurück und sah sich hastig nach einer Möglichkeit um, ihm die Gefahr so schnell wie möglich vom Hals zu schaffen. Doch seine Sorge war ungerechtfertigt, denn im nächsten Augenblick schrie es aus dem Pulk.   „HEILIGE SCHEISSE, BLEIBT MIR VOM LEIB!!!“   Leons Unterkiefer sackte entgeistert ab, als die mutierten Insekten ebenso eilig, wie sie gekommen waren, wieder von seinem Partner abrückten. Beide Männer sahen ihnen irritiert nach, wie sie auf respektvollen Abstand gingen und dort beinahe erwartungsvoll hin und her schwirrten. „Hast d...“, begann Leon nach einigen peinlichen Sekunden, befeuchtete sich die trockenen Lippen und versuchte es erneut, „hast du ihnen gerade ... einen Befehl gegeben?“ Ark ließ langsam die Arme sinken, die er sich schützend vors Gesicht gehalten hatte: „... Nein ... Nicht direkt. Ich wollte nur ... Es ist mir so rausgerutscht! Was hättest du getan, wenn sie so auf dich zugesteuert wären?!“ „Das sollte kein Vorwurf sein“, betonte Leon, „Du übersiehst das Wesentliche! Wieso gehorchen sie dir?!“ „Keine Ahnung“, protestierte Ark, „bis vorhin war das irgendwie selbstverständlich, aber jetzt kapier ich die Welt nicht mehr!“   Die Brüstung erbebte, als plötzlich ein höchst erbost wirkender Chaos auf ihr landete und eine aufgedunsene Pranke nach Ark ausstreckte: „Nur eine ... wir brauchen nur eine ... Königin!“ Ark wich alarmiert zurück und zielte mit seiner Pistole auf den grünen Kopf, doch ehe er abdrücken konnte, stürzten sich abermals „seine“ Wespen auf den Gegner. Dieser wirkte besorgniserregend gleichgültig, als er sich ihren vehementen Angriffen ausgesetzt sah und ließ den Blick nicht von Ark abschweifen, während er unter der wuselnden Decke verschwand, bewegte sich jedoch auch keinen Zentimeter weiter. Leon hechtete zu Ark und richtete die Magnum auf den Feind: „Scheiße, das mit der ‚Rivalin‘ war doch nur ein Witz! Willst du mir erzählen, dass dir diese Biester tatsächlich gehorchen?!“ „Ich weiß es nicht“, rief Ark verzweifelt und schüttelte heftig den Kopf, „Fakt ist, dass sie weder in mir noch in dir den Feind sehen! Alles andere übersteigt meinen Kenntnisstand!“   „Wie befehligst du sie?!“   „Keine Ahnung!“   Ark steckte die Pistole weg, streckte dafür einen Arm aus und versuchte, eine nicht mit Zubeißen beschäftigte Wespe heranzuwinken, doch sie schenkte ihm keinerlei Beachtung. Er wies auf die Horde B.O.W.s, die sich gerade beim Aufstieg auf die Empore gegenseitig im Weg standen: „Greift an!“ Keines der Insekten leistete seiner Aufforderung Folge. „Siehst du?“, knirschte er mit den Zähnen, „Sie machen, was sie wollen! Ich habe keinerlei Kontrolle über sie!“   Chaos regte sich. Seine Hand öffnete sich langsam und schloss sich mit einem Ruck, um eine hineingeratene Wespe erbarmungslos zu zerquetschen: „Ihr ... folgt uns nicht? ... Dann ... brauchen wir euch ... nicht.“ Blut spritzte plötzlich aus seinen Adern und bedeckte den Schwarm mit roter Flüssigkeit, die sich unmittelbar nach dem Kontakt mit der Luft entzündete und in einer Stichflamme all die kleinen Helfer um ihn herum vaporisierte. Die beiden Ermittler konnten sich kaum von der Überraschung erholen, als er sich abdrückte und Ark entgegen spurtete.   „WOAH!!!“   Ark besaß zum Glück ähnlich wache Überlebensinstinkte wie sein Freund, und so fuhren seine Hände automatisch zur Bazooka, richteten sie nur grob aus und drückten ab, ehe der Koloss mehr als drei Schritte getan hatte. Die Rakete grub sich in dessen Magen und explodierte, während Ark und Leon bereits zu beiden Seiten ausgewichen waren und die Treppen hinunter hasteten. Sie rutschten über das Geländer, um die wartenden Gegner zu umgehen und rannten durch die Halle zurück zum Haupteingang, vorbei an einigen Zombies, die noch nicht begriffen hatten, was vor sich ging. Dort schnappten sie nach Luft und beobachteten die nun in Flammen stehende Empore. An ihrem Rand richtete sich soeben Chaos wieder auf, schwankte, drehte sich um und suchte fieberhaft den Raum ab. Die beiden Freunde hatten sich rechtzeitig hinter einen umgefallenen Tisch geduckt. Die ihnen so verhasste Frauenstimme meldete sich zu Wort, doch sie bemerkten sie kaum.   „Feueralarm auf Ebene neun! Entriegeln des Feuerlöschsystems. Manuelle Löschung empfohlen. Evakuierung bei sechzigprozentiger Gefahr eines Übergreifens auf Zentrum. Derzeitige Gefährdung: Zwanzig Prozent.“   „Nun“, hauchte Ark abgekämpft, „es steckt noch Leben in dem alten Schätzchen. So weit, so gut.“ „Es ergibt einen Sinn“, nickte Leon währenddessen wie zu sich selbst. Ark schielte über die Tischkante und zischte gereizt: „Nichts ergibt irgendeinen Sinn! Höchstens Wahnsinn! Er zerstört seine Verbündeten!“ Leon legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter: „Ich weiß, du willst es nicht wahrhaben, aber diese ‚Amazonen‘ sind nicht mehr seine Verbündeten. Sie gehorchen dir, Ark, so unzuverlässig sie auch sein mögen! Du bist infiziert, das müssen wir akzeptieren. Das T-Veronica-Virus in deinem Körper lockt sie an und sie reagieren auf irgendetwas – Körpersprache, Mimik ... Zur Hölle, Ausdünstungen von mir aus – und greifen alles an, was dir feindlich gesinnt ist! In dem Moment, in dem sie sich dich als neue ‚Königin‘ auserkoren haben, sind sie zu einem feindlichen Staat geworden!“ „Bitte hör auf damit! Mir läuftʼs kalt den Buckel runter“, beschwerte sich Ark und rieb sich schaudernd die Oberarme, „als ob der Gedanke, die eigenen Wunden zuwachsen sehen zu können, nicht schon befremdlich genug ist!“   „Es könnte sein, dass die Amazonen unsere einzige Chance darstellen, hier lebend rauszukommen!“   „Wie denn, wenn ich nicht weiß, wie ich sie zum Agieren bringe?!“   „Das, mein Lieber, solltest du möglichst schnell herausfinden, nicht wahr?“   Damit rollten sie sich erneut zu beiden Seiten aus dem Weg, kurz bevor der nun angreifende Chaos den Tisch mit einem mächtigen Faustschlag zerteilte. Ark sprang auf und hetzte an einer Reihe geifernder Zombies vorbei. Er wusste, dass Leon recht hatte. Es reichte nicht mehr aus, nur Chaos zu vernichten, nun da dieser so viele der Biowaffen auf engstem Raum zusammengerufen hatte. Um zu entkommen, mussten sie sich erst einmal den Weg aus dem Zentrallabor freikämpfen. Eine Armada mutierter Wespen konnte ihnen dabei eine immense Hilfe sein, doch wie sollte er sich innerhalb einiger Minuten ein System aneignen, von welchem er nicht die Spur einer Ahnung hatte? Ein Orthos griff ihn an und er schoss ihm zweimal mit der Pistole in den ... die Köpfe, ehe seine kleinen Soldaten das Monster zu Fall brachten. Er hatte es ihnen nicht befohlen, noch nicht einmal bemerkt, dass sie ihm in einem langen, surrenden Schweif folgten. Wenn es stimmte und sie ihm seine Feinde vom Hals schafften, hätten sie dann nicht während seiner Transformation nicht die B.O.W.s, sondern Leon angreifen müssen? Schließlich war er es gewesen, der ihm haufenweise Schrot in den Körper gepumpt hatte. Aber nein, sie waren auf ihre Artgenossen losgegangen ...   Er fand sich Auge in Auge mit einer Dryade wieder und konnte sie mit einem beherzten Griff gerade noch am Zuschnappen hindern. Während er mit ihr rang, sah er sich suchend um. Er hoffte, dass es das letzte von diesen Monstern war, denn sie waren im Gegensatz zu den anderen, die lediglich ausdauernd waren, kompliziert zu töten. Er sah viele Zombies, zählte noch fünf verunstaltete Doggen, erkannte erleichtert, dass die Zahl der T-103 und Minotauren nicht gestiegen war und entdeckte zwei große, aber nicht besorgniserregend große Spinnen an den Wänden entlang krabbeln. In der Kanalisation auf Sheena Island hatte er solch derartig mörderische Taranteln erledigt, dass diese Exemplare die gleiche Wirkung auf ihn ausübten wie zornige Shi Tsus auf einen Pitbull. Kein Problem. Überhaupt kein Problem.   Und gerade verschwand ein langer, dunkler Schatten in einem engen Gang. Diese Dryaden ... Sie waren verzwickte Gegner. Er fragte sich, wie man ihnen ohne Flammenwerfer oder sonst wie flächendeckende Waffen beikommen sollte. Oh, halt. Man sollte ihnen ja gar nicht beikommen. Nicht umsonst gehörten sie zu einem der am umfassendsten studierten Projekte, die aus den an diesem Ort durchgeführten Experimenten hervorgegangen waren. Nun, und Chaos natürlich, wobei der Tyrant außerhalb entwickelt worden war.   Ihm wurde bewusst, dass es ungesund war, sich zu lange ablenken zu lassen, während man sich einer übergroßen Venusfliegenfalle erwehren musste, als er das Gleichgewicht verlor und unter einer Masse grüner Blätter begraben wurde. Er hörte Leon rufen. Dann spürte er die Dryade von einigen Schüssen getroffen zusammenzucken und von ihm ablassen. Er rappelte sich atemlos auf und sah sie stattdessen auf seinen Freund zusteuern, der eben einen Zombie mit einem gut gezielten Tritt von sich stieß und einem Hundebiss auswich.   Leon hatte Ark nur helfen wollen, aber nicht erwartet, dass sein Versuch, die Dryade von ihrer Beute abzubringen, so dermaßen erfolgreich sein würde, denn es überraschte ihn maßlos, dass ihm auf einmal ein riesiges aufgesperrtes Maul entgegen sauste. Just in diesem Moment packte ihn auch noch ein am Boden liegender Zombie am Knöchel und hinderte ihn an jedwedem flinken Ausweichmanöver. Ein Treffer mitten in den Rachen der Pflanze zeigte überhaupt keine Wirkung und schon sah er sich in den giftigen Magensäften auflösen, wenn nicht im letzten Augenblick zwei Hände seitlich in den geifernden Kiefer gegriffen und ihn mit einem Ruck mittig aufgerissen hätten. Die Dryade stellte unmittelbar jedes Anzeichen von Leben ein und Ark warf die Überreste angewidert von sich, um sich mit dem Ärmel die rote Flüssigkeit vom Kinn zu wischen, die sie bei ihrem brutalen Ableben verspritzt hatte. Keuchend wankte er einen Schritt zurück und starrte irritiert auf Leon, der sich mit einem beherzten Tritt von dem stöhnenden Klotz, der sich an seinem Bein festkrallte, befreite und ihn dann wortlos musterte: „... Was?“ Leon blinzelte und schüttelte den Kopf: „... Nichts. Danke.“   „Keine Ursache. Überlass diese Viecher lieber mir. Mit Schusswaffen kommt man ihnen nicht bei und ich hab mindestens noch eins hier herumschleichen sehen, also sei vorsichtig.“   „Wie könnte ich ablehnen, wenn du dich schon mal freiwillig meldest?“   Leon entschied sich dagegen, seinen Freund auf seine kohlrabenschwarzen Glaskörper um die gewohnt braune Iris herum hinzuweisen. Ark schien sowieso schon nervös genug zu sein. Außerdem standen sie im Moment weit beängstigeren Problemen gegenüber.   Stattdessen stieß er ihn also zur Seite, als eine der Spinnen ohne Vorwarnung Gift auf sie spie und rollte sich selbst zur anderen, um an ihrer Stelle einen heran polternden Minotaurus in den Schwall laufen zu lassen. Das Monster brüllte, als ihm die Säure das Fell zersetzte und rammte blindlings einen der T-103, der nicht flink genug fürs Ausweichen war. Die beiden Ermittler hielten sich nicht damit auf, die Karambolage mit anzusehen, sondern stoben auseinander in die jeweils gegenüberliegende Richtung.   Ark schwang sich über den Rücken eines stolpernden Tyrants, schlitterte unter einem heran springenden Cerberos her und schoss sich den Weg durch eine kleine Gruppe Zombies frei, immer auf der Suche nach Dryaden, um sie davon abzuhalten, sich an seinem weniger wehrhaften Freund zu vergreifen. Auf der anderen Seite der Halle hörte er Leon randalieren, Schüsse, das Stöhnen der Gegner und das Zerstören von Holz und Metall. Er sah auf zu den Wespen. Sie hielten sich seit seinem Ausraster auffallend zurück, als warteten sie eine günstige Gelegenheit ab, über ihn herzufallen. Ihr Verhalten trieb seinen Puls in die Höhe, obwohl sie keine konkrete Bedrohung darstellten. Leon hatte leicht reden. Als wenn sie auf ein Fingerschnippen reagierten!   Direkt vor ihm landete Chaos auf einem Minotaurus, dessen Mitte er leger zerquetschte und danach auf ihn zu walzte. In den massigen Händen hielt er ein langes und sehr schwer aussehendes Eisenrohr und Ark bezweifelte für keine Sekunde, dass es seinen Schädel spalten konnte, wurde er damit erwischt. Ganz zu schweigen von dem Rest seines Körpers. Aus diesem Grunde legte er im anschließenden Gerangel äußersten Wert darauf, der improvisierten Waffe nach bestem Vermögen auszuweichen und dem Gegner auch nicht allzu viele Gelegenheiten zum Angreifen zu geben. Neben ihm zersplitterten einige Spinde, die Chaos anstatt seiner erwischte und er schützte sein Gesicht mit einem Arm vor den umherfliegenden Trümmern. Chaos war unglaublich schnell für ein Monster seines Gewichts, was er im nächsten Moment am eigenen Leib erfahren musste, als er ihn an eben jenem Arm packte und in einem Halbbogen durch die Luft quer durch den Raum schleuderte. Ark prallte ungebremst auf ein Regal, das in Einzelteile zerbrach und spuckte Blut in die Luft, ehe er japsend zu Boden rutschte. Durch zusammengekniffene Augen sah er, wie Chaos ihm hinterherjagte und erneut die tödliche Waffe hob. Er spannte die Muskeln an, zwang sich in einen festen Stand, fing die Stange mit beiden Händen – er hörte Knochen knacken, vielleicht brechen, spürte in seiner Wut jedoch zum Glück nichts davon – ab, drehte sich ruckartig schräg unter Chaos und schleuderte den Koloss, der nicht ans Loslassen dachte, über die Schulter in eine Reihe von Computern an der Wand. Lautes Krachen und Scheppern ertönte, als er damit kollidierte. Ark sprang zurück, zielte mit dem Raketenwerfer und drückte ab.   Die Sprengung zerfetzte selbst Teile des Bodens der nächsten Etage. Fehlgeleitete Elektrizität erhellte die Umgebung, als zerrissene Kabel wie Peitschen aus den zerstörten Geräten platzten, umherliegende Dokumente entzündeten und das Licht im Stockwerk flackerte, bevor es schließlich ganz erlosch. Wenige Sekunden später tauchte Notbeleuchtung die Umgebung in düsteres rotes Schimmern.   „Feueralarm auf Ebene zehn! Manuelle Löschung dringend erforderlich. Evakuierung bei sechzigprozentiger Gefahr eines Übergreifens auf Zentrum. Derzeitige Gefährdung: Vierzig Prozent.“   „Gut gemacht“, ertönte es sarkastisch aus dem Wow, „im Halbdunkeln können wir ja auch effektiver kämpfen!“ Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse, sprang auf einen Tisch und kletterte von dort aus auf einen Schrank: „Allzu schlecht scheintʼs bei dir ja nicht zu laufen, wenn du mich kritisieren kannst. Wie viele noch?“ „Weiß nicht, hab den Überblick verloren“, kam die Antwort, „Ich habe eine Menge fertigmachen können, aber die großen Brocken sind einfach nicht totzukriegen!“ Ark riskierte einen Schulterblick und sah, wie sich Chaos aus brennenden Überresten grub: „Wem sagst du das. Ich hoffe nur, das Biest ist zu sehr damit beschäftigt, mir den Schädel einschlagen zu wollen, um für Nachschub zu sorgen. Woah!“ Er drückte sich eiligst ab und schlitterte die Länge des Schranks entlang, um dem Giftstrahl einer Spinne auszuweichen und schoss sie mit einem vollen Magazin seiner Beretta von der Wand. Schräg unter ihm polterte ein T-103 mit der Schulter gegen den Schrank und brachte ihn zum Wackeln, sodass Ark auf den nächsten und auf noch einen weiteren springen musste, ehe er das Gleichgewicht wiederfand. Er lugte hinunter und überprüfte die Spinne, während er das Magazin auswechselte. Sie lag auf dem Rücken, die Beine zusammengekrampft in die Höhe gestreckt. Sie würde nicht wieder aufstehen.   Zufrieden folgte er den Kampfgeräuschen bis hin zu Leon und schoss von seiner erhöhten Position einen Orthos nieder, der seinen Partner von hinten anzuspringen suchte. Der Agent trat mit einem Rundumkick einige Zombies von sich und erledigte sie mit der Schrotflinte: „Ich hab deine kleine Flugeinlage gesehen. Du bist gut, nach so einem Schlag so schnell zum Gegenangriff übergehen zu können.“ „Ich möchte um ehrlich zu sein im Moment nicht darüber nachdenken“, erwiderte Ark, „wir wissen wohl beide, warum ich derartig reagieren konnt-“ Der Satz ging in einen kurzen Schrei über. „Ark“, rief Leon erschrocken, als sich der Schrank, auf dem sein Freund stand, zur Seite neigte und der Detektiv in den Gang nebenan purzelte. Ein Ladung Schrot erledigte den letzten Orthos, der sich in unmittelbarer Nähe befand und wenige Sekunden später kam Ark ächzend um die Ecke gewankt, seine Finger um das Horn eines Minotauren gekrümmt. Er hatte ihm anscheinend den Kopf abgerissen. „Puh, sei froh, dass du die Flinte eingesackt hast“, brummte er mit unverhohlenem Neid, „nur mit ʼner Pistole bewaffnet kann das hier echt anstrengend sein!“ Leon hob eine Augenbraue: „Ich würde sagen, du besitzt inzwischen ... andere Stärken.“ Ark runzelte die Stirn und folgte dem skeptischen Blick seinen Arm hinunter. Er schnaubte gereizt: „Hey, starr mich nicht an wie einen von denen, klar? Das Biest hat mich fast niedergetrampelt, die Hörner waren das einzige, was ich auf die Schnelle erwischen konnte! Und als ich ihm das Genick brechen wollte ... ist er einfach abgefallen, okay?!“ Er warf den Schädel achtlos von sich. Wespen landeten darauf. Verärgert sah er sie an: „... Verräter. Wenn ich euch brauche, rührt ihr keinen Finger, aber Mahlzeiten verpasst ihr keine!“   „Du redest mit mutierten Insekten. Versuch, nicht noch weiter abzudriften.“   Er sah Leon perplex an, der ihn mit ernstem Gesicht musterte. Seine Augen weiteten sich, als ihm bewusst wurde, dass sein Partner recht hatte und er sah beschämt zu Boden: „... Okay. Werd mich bemühen.“ Wie sollte er ihm das Gefühl des Verlustes erklären, das er empfunden hatte, als Chaos zuvor Dutzende von ihnen mit einem Schlag vernichtet hatte? Er schien tatsächlich auf dem besten Wege zu sein, sich erneut zu verlieren.   Er wollte eben etwas Zynisches einwerfen, um sich von dem mulmigen Gefühl in seiner Magengrube abzulenken, als er einen Schatten wahrnahm, der sich hinter Leon geschwind aufbaute. Noch ehe sein Gehirn die Information verarbeitet hatte, hatten sich seine Beine schon in Bewegung gesetzt. Mit aller Kraft schleuderte er seinen Freund zur Seite, sodass dieser beinahe das Gleichgewicht verlor und im nächsten Augenblick verschwand er zur Hälfte im Rachen der Dryade. Das Monster, offensichtlich nicht wählerisch mit seiner Beute, krabbelte schneller an der Wand hoch als Leon „Nicht schon wieder!“ schreien konnte. Er machte Anstalten, ihnen zu folgen, doch erhielt ebenfalls unerwünschte Gesellschaft, als er mit einem instinktiven Schritt zurück gerade noch Chaos ausweichen konnte, der in einer Hocke genau auf dem soeben von ihnen verlassenen Platz landete. Betonbröckchen flogen empor und das Monster richtete sich langsam auf: „... Ver...reckt ... Nur ... eine ... Königin ...“ Leon lugte hinter sich, wo sich spitze, verfaulte Fingernägel um die Ecken der Schränke legten und Knurren mit schweren, dumpfen Schritten vermischte. Er richtete den Blick wieder auf Chaos und seine Hand wanderte vorsichtig zur Lendenwirbelsäule: „Wisst ihr, so langsam geht ihr mir wirklich, wirklich auf die Nerven ...“   Ark unterdessen presste verzweifelt die Lippen aufeinander, um nicht vor Schmerz zu schreien. Hätte er den Mund aufgemacht, wäre ihm der ätzende Speichel der Pflanze hineingelaufen und hätte ihn auch noch von innen zersetzt. Seine Arme kratzten umher, um Halt zu finden und den Kiefer auseinander zu stemmen, doch bisher war die Suche nicht von Erfolg gekrönt gewesen. Seine Beine schlugen gegen alle möglichen Gegenstände, doch das war im Moment sein geringstes Problem. Wo zum Teufel wollte das Biest überhaupt mit ihm hin?! Er hoffte inständig, dass es ihn nicht wieder zu weit weg von Leon schleppte, einen Kampf gegen eine solche Übermacht würde er – Top-Agent hin oder her – nicht überleben! Und so tobte und zappelte er weiter in der Hoffnung, der B.O.W. den Rückzug so schwer wie möglich zu machen. Die Säure brannte wie Feuer auf seiner Haut, die sich durch die Infektion immer und immer wieder in Sekundenbruchteilen erneuerte und plötzlich durchfuhr ihn ein Gedanke wie ein Blitz.   Wenn er sich nicht befreien konnte, würde dieses grauenhafte Spiel von Zersetzung und Regeneration stundenlang weitergehen. So lange, bis diese verdammte Pflanze ihn von selbst losließ.   Wochenlang.   Jahrelang.   Er schrie. Keine Vernunft der Welt konnte ihn davon abhalten, seiner Angst vor einer derartigen Folter Ausdruck zu verleihen und im nächsten Augenblick bereute er es bitter. Seine Zunge, seine Kehle, seine ganze Brust flammte in stechendem Schmerz auf, außerdem verließ ihn das letzte Quäntchen Luft, welches er in seinen Lungen gespeichert hatte.   Er wusste nicht, was als Nächstes geschah, doch als er die Augen öffnete, lag er auf festem, kaltem Boden und etwa zwei Meter von ihm entfernt lag ein Haufen zuckendes Gebüsch, das lichterloh brannte. Und die Flammen griffen gierig auf die Umgebung über.   „Feueralarm auf Ebene sieben! Manuelle Löschung nicht möglich. Sechzigprozentige Gefahr eines Übergreifens auf Zentrum gewährleistet. Evakuierung wird eingeleitet. Personal wird gebeten, sich während des Löschvorgangs in die Büroräume zurückzuziehen.“   Schlösser knackten und zu beiden Seiten rasselte es, als die Rolltore geöffnet wurden, die bisher verriegelt gewesen waren. Er blinzelte, noch nicht ganz erholt vom Bewusstseinsaussetzer. Allerdings richtete er sich sofort hellwach auf, als es hinter ihm summte und knirschte. Scheiben senkten sich um ihn herum und schlossen die Emporen erfolgreich vom Mittelteil des Komplexes ab. Zitternd stemmte er sich auf die Beine und strauchelte zum Geländer, in dem sich die Barrieren soeben luftdicht abschlossen. Angestrengt keuchend ließ er den Blick über die unterste Etage wandern. Er konnte kaum noch etwas hören, erst als er das Ohr an das kalte Glas legte, klangen dumpfe Kampfgeräusche zu ihm hinauf. Leon erschien in seinem Blickfeld. Er lief langsam rückwärts und schoss mit seiner Pistole auf einen Gegner, der noch von den Emporen verdeckt wurde. Es war womöglich nur ein Zombie, wenn er es nicht einmal für nötig hielt, das Gewehr zu benutzen. Doch Ark wurde umgehend eines Besseren belehrt, als Chaos unter den Balustraden hervortrat, nur temporär behindert durch das eine oder andere Regal, hinter dem Leon Deckung vor gut gezielten Salven brennenden Bluts suchte. Und nun begriff er, dass er nicht die Pistole verwendete. Er verwendete die Magnum. Was bedeutete, dass die Lage ernst war. Und aus der Richtung, in die er flüchtete, walzten durch die offenen Tore mehr und mehr Untote heran.   Ark schlug entsetzt gegen das Glas: „Scheiße! Leon! Hinter dir! Dreh dich um!“ Natürlich hörte er ihn nicht. Er konnte durch das dicke Glas – Panzerglas, wie es schien – nicht einmal selbst etwas hören! Unten, umgeben von dem Lärmen der Feinde, war es unmöglich, irgendwas zu verstehen. Flink glitten seine Finger zum Wow: „Leon, hörst du mich?! Hinter dir sind zwei T-103 und ein Minotaurus, der schon die Hufe wetzt! Wenn du weitergehst, läufst du ihnen direkt in die Arme!“ Er wartete eine Sekunde und rief dann lauter: „Leon?!“ Das Gerät machte keinen Mucks. Er schaltete die Frequenz um: „Miss Hunnigan, bitte kommen! Können Sie mich hören? ... Hunnigan?!“ Auch nun blieb es still in seinem Ohr und er schrie frustriert. Hastig sah er sich um. Er musste so schnell wie möglich zurück nach unten. Allein hatte sein Freund keine Chance. Aber so wie es aussah, versperrten ihm die Barrieren nun den Weg in die Haupthalle. Er kümmerte sich nicht um das Feuer und spurtete los, auf die Treppen zu und hinunter. „‚Die neuesten Headsets auf dem Markt‘“, äffte er Ingrid zornig nach, „‚Da muss es schon ganz dicke kommen, ehe die den Geist aufgeben‘! PAH! Nicht mal ein bisschen Panzerglas überbrücken eure beschissenen Wunderwerke der Technik! Wenn ich sie schon mal brauche!“   „Evakuierung abgeschlossen. Löschvorgang wird eingeleitet.“   Über ihm knackte es und gleich darauf regnete Wasser in dünnen, aber zahlreichen Strahlen auf ihn hinab. Er achtete nicht darauf und rannte so schnell ihn sein Beine trugen. Nur um – endlich im zehnten Untergeschoss angekommen – erkennen zu müssen, dass die Treppen durch massive Rollläden vom Mittelteil der Etage abgeschlossen waren. Er sah durch die Scheibe und fluchte. Er konnte nur den schwankenden Rücken eines Tyrants sehen, doch Leon schien die brenzlige Lage einfach nicht zu erkennen, denn das Wesen lauerte noch immer geduldig. Er würde es nicht schaffen, zu ihm zu stoßen, geschweige denn rechtzeitig! Er hechtete die Treppen wieder hinauf in der Hoffnung, dass ihn sein Partner auf dieser Höhe bemerken und seine Zeichen verstehen würde.   Er hämmerte lautstark gegen die Scheibe, um ihn auf sich aufmerksam zu machen, doch Chaos, der immer wieder unvorhersehbare Angriffe startete, erlaubte keine Ablenkung. Von seiner erhöhten Position hatte er einen wesentlich besseren Überblick über das Geschehen und wenn das vermaledeite Glas nicht gewesen wäre, hätte er all die B.O.W.s mit Leichtigkeit aufs Korn nehmen können. Es waren weniger übrig, als er befürchtet hatte, doch diese waren stark. Und Leon hatte nur sieben Schuss für seine durchschlagskräftigste Waffe ...   Plötzlich wurde er blass. Hinter einem Regal huschte ein länglicher Schatten schräg auf Leon zu. Kalter Schweiß bildete sich in seinem Nacken und seine Finger fingen an, sich über der Scheibe zu krümmen. Das konnte nicht sein. Er hatte nur zwei gesehen und drei waren erledigt!   Selbst wenn Leon die Schrotflinte benutzt hätte, würde er dieser B.O.W. nur schwer beikommen und in der Zwischenzeit konnte Chaos praktisch alles veranstalten! Frenetisch nahm er die Bemühungen um Bemerkung wieder auf, heftiger und verzweifelter als zuvor, doch sie waren zum Scheitern verurteilt: „LEON! DREH DICH UM! DREH DICH UM, VERDAMMT!!!“ Er packte einen Stuhl und schleuderte ihn gegen das Glas, einen Tisch, mehrere Computermonitore, nichts hinterließ auch nur eine Schramme. Zähneknirschend riss er den Raketenwerfer über die Schulter und zielte zitternd mitten auf die Scheibe, doch er wusste umgehend, dass er nichts damit ausrichten konnte. Raketen durchdrangen keine so stabilen Barrieren und im schlimmsten Fall wäre nicht nur die letzte Rakete verschwendet, sondern er auch noch außer Gefecht gesetzt. Er stürmte wieder nach vorn und ließ seine Faust gegen das Glas sausen: „LEEEEOOOOON!“   Die Dryade sprang. Und er fokussierte all seinen Zorn auf sie.   „VERSCHWINDEEEEEEEE!!!“   Endlich fuhr sein Partner herum. Weil er von dem Ansturm Dutzender Amazonen von seinem Kampf aufgeschreckt worden war. Sie stürzten sich von oben herunter, aus den wenigen trockenen Winkeln, die sie gefunden hatten, brausten unter Tischen, aus offenen Schränken hervor, diejenigen, die nicht rechtzeitig Schutz vor der Sprinkleranlage gefunden hatten, krabbelten schwerfällig über den Boden auf ihr Ziel zu, ungeachtet der anderen Biowaffen, die sie unbeabsichtigt unter ihren Füßen zermalmten.   Es sah ganz danach aus, dass die zum Zwecke der Evakuierung geöffneten Rolltore nicht nur Chaosʼ Armee vergrößert hatten.   Die Dryade begegnete noch im Sprung einer undurchdringlichen Wand aus Stacheln und mächtigen Kauwerkzeugen, die sie mühelos aus der Luft holte und sie in Sekunden vollständig bedeckt hatte. Leon starrte fast ebenso entgeistert auf die sich windende Masse wie Ark, den er jetzt endlich bemerkte. Der Agent sandte ihm einen anerkennenden Daumen, den er ihm am liebsten an Ort und Stelle ausgerissen hätte. Wie konnte er es wagen, so dermaßen abgebrüht zu tun, wenn er gerade nur haarscharf dem Tod entkommen war?!   Doch ein Gutes hatte die Sache. Ark verstand es endlich. Er wusste nicht genau, wie es funktionierte, aber er meinte, das Wesentliche erfasst zu haben.   Sie reagierten nicht auf Dinge, die ihm feindlich gesinnt waren.   Sie reagierten auf Dinge, denen er feindlich gesinnt war!   Sie erkannten seine Mordlust. Vielleicht war das alles, vielleicht hatte er aber auch noch nicht alle Möglichkeiten durchschaut. Aber diese Erklärung musste vorerst ausreichen. Er atmete tief durch und konzentrierte sich angestrengt auf die T-103, die anscheinend begriffen hatten, dass der Hinterhalt gescheitert war und sich nun wieder in Bewegung setzten. Es dauerte etwas länger, doch sogar noch mehr Amazonen flogen aus allen Richtungen heran, einige ließen ihre derzeitige Beute liegen, um seinem „Kommando“ zu folgen und bald darauf tummelte es sich in der Haupthalle wie in einem echten Wespenstock. Man sah Leon das Unwohlsein an, doch so, wie sie sich seit ihrer Zusammenkunft verhalten hatten, waren sie für ihn keine Bedrohung. Und Ark bezweifelte, dass er wirklich einen solchen Hass auf diesen Mann entwickeln konnte, sie zum Angriff übergehen zu lassen.   Die Tyrants beschäftigt und Chaos kurzzeitig mit einem gezielten Schuss aus dem Revolver außer Gefecht gesetzt, hob Leon eine Hand zum Ohr und sagte etwas. Ark erkannte, was er tat, doch sein Wow rührte sich nicht. Er tippte an sein eigenes Ohr und schüttelte den Kopf, um ihm zu verstehen zu geben, dass er ihn nicht hören konnte. Leon hielt inne und schien dann zu fluchen.   „Brandherd gelöscht. Bitte um manuelle Bestätigung auf Ebene zehn und sechs.“   Beide Männer hoben bei dem Erklingen der Stimme irritiert den Kopf und sahen sich um. Hinter Ark piepte etwas und er wandte sich verwundert den Computern an den Wänden zu. Ein Licht auf einer unscheinbaren kleinen Konsole an der Wand blinkte stetig. Er ging hin und zögerte nur kurz, ehe er den Knopf darunter drückte.   „Bestätigung auf Ebene zehn erfolgt. Versiegelung wird bei Bestätigung auf Ebene sechs aufgehoben.“   Jetzt wurde Ark klar, dass sich die Scheiben erst dann heben würden, wenn er sich auch um eine Bestätigung auf der obersten Etage gekümmert hatte. Er lief zum Glas, pochte daran und wies mit den Fingern nach oben. Leon, der sich soeben gegen einige Zombies zur Wehr setzen musste, begriff seine Absichten und nickte ihm zu. Ark konzentrierte sich auf den anrückenden Chaos und umgehend schwirrten Wespen auf ihn zu. Das Monster schwang nur einmal eine Hand und das hervor spritzende Blut verbrannte sie noch im Flug. Ark knirschte mit den Zähnen.   ‚Es hat keinen Sinn. Er ist einfach zu stark für sie. Alles, was ich tun kann, ist, Leon die anderen Mistviecher vom Hals zu halten.‘   Mit diesem Gedanken schickte er seine Armee gegen die restlichen Zombies, Hunde, Minotauren und vor allem die letzte Arachne, die sich behäbig durch einen der Gänge auf seinen Freund zubewegte, ins Feld und hoffte, dass sie sie zumindest lange genug beschäftigten, bis er einen Weg zurück in die Haupthalle gefunden hatte. Dann lief er los, über die Treppen, den ganzen Weg zurück nach oben, während er sich bemühte, sich nicht von dem dumpfen Lärm ablenken zu lassen. Manchmal hielt er es nicht aus und vergewisserte sich, dass Leon noch immer am Leben war, dirigierte unbeholfen die Wespen auf neue Ziele und versuchte ab und zu, auch Chaos aufzuhalten, wenn er ein wenig zu nah für seinen Geschmack an seinen Partner herangekommen war.   Unter diesen widrigen Umständen erreichte er schließlich endlich das sechste Untergeschoss, suchte die Konsole und fand sie schließlich hinter der Tür eines offenstehenden Spindes. Erleichtert ausatmend drückte er den Knopf und hörte es fast umgehend hinter sich summen. Er stürzte zur Brüstung und rief, erfreut darüber, dass endlich einmal etwas reibungslos geklappt hatte, hinunter: „Leon! Ich habʼs geschafft! Ich werde jetzt-“   Seine Worte blieben ihm im Halse stecken.   Leon hatte ihn wahrscheinlich sowieso nicht gehört, denn er hatte im Moment dringendere Probleme. Chaos hatte ihn nicht nur erreicht, sondern auch an der Gurgel gepackt, ihn ohne jedes Anzeichen von Schwierigkeiten in die Luft gerissen und hob nun eine gewaltige Pranke, um den lästigen Gegner ein für alle Mal zum Schweigen zu bringen. Und Leons leidenschaftliche Versuche, sich aus dem Griff zu befreien, waren von nur geringem Erfolg gekrönt. Weder gut gezielte Tritte noch Schläge erzielten das erhoffte Ergebnis. Seine Magnum war restlos verschossen. Und Chaosʼ Faust kam unaufhaltsam angeschossen.   „CHAOOOOOOOOOOS!“   Für einen anderen Gedanken als den Wunsch, das verfluchte Hauptprojekt verschwinden zu lassen, war mit einem Mal kein Platz mehr in Arks Gehirn. Es gab nicht einen seiner kleinen Freunde, der nicht auf den Ruf reagierte. In Windeseile ließen sie von ihrer derzeitigen Beute ab und stürzten sich geschlossen auf den grünen Koloss. In Sekundenbruchteilen bedeckten sie ihn von Kopf bis Fuß. Leon ließ erschrocken den mutierten Arm los, den er gerade noch versucht hatte, von seinem Hals zu lösen und lehnte sich zähneknirschend so weit zurück, wie es ihm möglich war, als sich mehr und mehr der riesigen Insekten dicht vor seiner Nase tummelten.   Im nächsten Moment öffnete sich Chaosʼ Hand.   Leon fiel unsanft auf den Allerwertesten und hustete, erleichtert darüber, wieder mehr Luft zu bekommen und Abstand zu den summenden B.O.W.s gewonnen zu haben. Der Schrei erreichte ihn durch einen Schleier aus Schmerz und Atemnot und er sprang nur deswegen intuitiv auf, weil sein Körper so viele Einsätze Grauen und Nahtoderfahrungen ertragen hatte, dass er wie von selbst handelte.   „DECKUNG!!!“   Nicht nur Leon reagierte auf das Kommando. Auch Chaos hob den Kopf und suchte nach der Quelle. Er fand sie in zornigen, pechschwarzen Augen mit brauner Iris und schlitzförmiger Pupille, weit, weit oberhalb seines Standorts. Die Wespen versperrten ihm immer wieder das Blickfeld, doch die Wut auf die so unverfroren in seinen Stock eingedrungene Konkurrenz ließ die stechenden und beißenden Soldaten um ihn herum verblassen.   „... Wir ... brauchen ... keine zweite ... Königin ...“   Und Chaos ging in die Hocke, drückte sich ab und sprang diesen provokanten Augen mit einem gewaltigen Brüllen entgegen.   Ark drückte ebenfalls ab.   Die Rakete verließ den Lauf der angelegten Bazooka in dem Moment, in der Chaos den Kontakt zum Boden verlor und zischte ihm unaufhaltsam entgegen. Sie kollidierte mit seiner Brust und warf ihn rücklings nach einem kurzen, aber wirkungsvollen freien Fall zurück zu Boden. Schutt, Trümmer und abgerissene Gliedmaßen zerquetschter Wespen stoben um ihn herum auf und einen Wimpernschlag später detonierte der Sprengkörper. Die Explosion verschlang alles in unmittelbarer Nähe, Feinde und Amazonen, erfasste die umstehenden Möbel und zerfetzte sie, Stichflammen schossen meterhoch in die Höhe, vermutlich genährt durch das leicht entzündliche Blut des Monsters.   „Feueralarm. Wasserdepots nicht nachgefüllt. Löschvorgang nicht durchführbar. Sofortige Evakuierung empfohlen. Verwahrung des Forschungsmaterials wird ausgeführt.“   Ark blinzelte und sah auf, als es über ihm laut knackte und surrte. Unten strampelte sich Leon von den Überresten eines zerbrochenen Tisches frei, hinter den er sich hatte retten können und der der Druckwelle zum Glück halbwegs gut standgehalten hatte. Danach starrte er ebenfalls hinauf. Eine runde, etwa fünf Meter durchmessende Deckenluke öffnete sich, dann ertönte ein Geräusch, als hätten sich mehrere Flaschenzüge in Bewegung gesetzt. Noch ehe Ark sich fragen konnte, was vor sich ging, klapperte es laut, einige undefinierbare Bruchstücke fielen durch das Loch in die Halle und landeten mit lautem Krachen am Boden des Inkubators und dann war es still. „Verstehe“, dachte Ark bei sich, „bei Gefahr konnten sie ihr wichtigstes Forschungsobjekt über Säule und Decke wie in einem Lift auf ein sicheres Stockwerk verfrachten. Aber die Säule ist bei Chaosʼ Ausbruch so stark beschädigt worden, dass der Mechanismus nicht mehr funktioniert.“   Er hatte die Überlegung kaum zu Ende geführt, da ertönte ein lauter Knall und Scheppern auch von unten und als er hastig den Blick senkte, wurde er Zeuge, wie sich ein deformiertes, grauenhaft verunstaltetes Ungeheuer aus dem Berg von Schutt und Trümmern grub, die bei der Explosion über Chaos niedergegangen waren. Es erinnerte entfernt an eine Libelle, der man den Unterleib abgerissen hatte, denn es krabbelte mühsam mit langen, dürren Stelzen knapp unter dem Brustkorb voran, zwei auf einer Seite, nur eine auf der anderen. Es schleppte lange, durchsichtige und etwas zerfetzte Flügel hinter sich her, die sich jedoch sofort spannten und aufrichteten, als es der Enge seines Gefängnisses entkommen war.   Drei Raketen und sieben Revolverkugeln hatten Chaos in die Form seines Endstadiums getrieben.   Leon riss die Schrotflinte vom Rücken und richtete sie auf den widerwärtigen Feind, Ark tat hoch oben dasselbe mit der Bazooka. Doch Chaos hatte nicht vor, ein weiteres Mal gegen sie anzutreten. Stattdessen stieß er einen markerschütternden Schrei aus, vor dem sie ihre Ohren ächzend mit beiden Händen abschotten mussten, begann mit den Flügeln zu schlagen und schoss wie ein Pfeil hinauf auf die offene Luke zu. Ark stockte vor Überraschung der Atem und er feuerte, nur um sich daran zu erinnern, dass seine mächtige Waffe gar keine Munition mehr enthielt. Fluchend ließ er sie zu Boden fallen und sah sich hastig nach einer anderen Möglichkeit um, den Feind am Entkommen zu hindern. Er hörte Schüsse, vermutlich von Leon abgegeben und hoffte, die Treffer würden Chaos ein wenig verlangsamen. Sein Blick fiel auf die Konsole, mit deren Hilfe er die Scheiben hochgefahren hatte und seine Augen weiteten sich. Unter ihr hing ein länglicher Schrank und darin befand sich ...   Leon lud unheilige Verwünschungen spuckend sein Gewehr nach. Er konnte nicht glauben, dass ihnen dieses feige Biest nach all den Mühen tatsächlich entkommen sollte! Aber was konnte er tun? Er konnte nicht fliegen! Er zielte und drückte ab, zufrieden feststellend, dass das Wesen getroffen zusammenzuckte und ein wenig an Höhe verlor, da es von der Wucht des Aufpralls aus seiner Flugbahn gedrängt wurde. Es musste doch irgendetwas geben, was es aus der Luft holen konnte?! Er schoss noch einmal und knirschte mit den Zähnen, als es kaum Wirkung erzielte. Die Flinte war auf Kurz- bis Mittelstrecken ausgerichtet und das Monster schon viel zu weit weg. Jetzt konnte er nur hoffen, dass Ark einen Weg fand, die Luke zu schließen, ehe es hindurch schlüpfen konnte. Es schien ihre letzte Möglichkeit zu sein.   Umso größer war seine Verwirrung, als von der Seite ein Geschoss auf Chaos zuhielt, den nur noch wenige Meter von der Freiheit trennten, es auf einer Seite des missgebildeten Körpers ein- und unter einem gellenden Schrei der B.O.W. auf der anderen wieder austrat.   „LEON!“   Sein Kopf drehte sich automatisch und er sah Ark von der Brüstung springen. Sein Herz setzte kurz aus, als er seinen Freund schon auf den unbarmherzigen Fliesen zerplatzen sah, doch dann registrierte er irritiert, dass er nicht so schnell fiel, wie es die Schwerkraft eigentlich vorgesehen hatte. Keine Sekunde später traf er auf dem Boden auf, ließ aber keine Gelegenheit für Fragen und drückte Leon ein langes, schmales Gerät in die Arme: „Mach sie irgendwo fest! Beeil dich!“ Dann rannte er los und jagte die Treppen zur ersten Empore hoch. Leon hatte keine Zeit, nachzudenken, denn sofort riss ihn eine gewaltige Kraft beinahe von den Beinen. Und jetzt merkte er, dass ein dünnes Stahlseil von oben zu ihm hinab reichte. Oder besser: Von Chaos in den Lauf der Handharpune, die ihm Ark so nachdrücklich in die Arme gedrückt hatte.   Dieser sprang gerade wieder über das Geländer, mit einer zweiten Harpune in der Hand, die er mit viel Sorgfalt anlegte und abfeuerte. Auch dieses Mal verfehlte der geübte Scharfschütze sein Ziel nicht. Der gefangene Chaos kreischte ohrenbetäubend und zerrte an den Fesseln, sodass es beide Ermittler all ihre Kraft kostete, nicht mitgerissen zu werden. „Steh da nicht rum“, schrie Ark Leon ungehalten an, „ich hab dir gesagt, du sollst sie festmachen!“ Sie zogen ihren Fang keuchend zu beiden Seiten hin zum Treppengeländer, warfen sich halb darüber und verkeilten die Harpunen mit einigen sicheren Griffen in den Stahlstreben. Als sie den Druck endlich hatten abgeben können, liefen sie sich entgegen und trafen sich, sich ächzend die Schultern massierend, in der Mitte der Halle.   „Leon, ist alles in Ordnung mit dir?!“   „... Ja, noch alles dran. Was ist das für ein Schacht?“   Etwas Helles, Körniges rieselte ihnen vor die Stiefel. Sie starrten nach oben durch das breite Loch hindurch und stutzten erschüttert, als sie weit entfernt strahlendes Himmelsblau erkannten.   „Das ... das geht bis ins Freie durch! Was hatten die vor?!“   „Ist doch wohl logisch. Sie hätten lieber die Siedlungen in der Umgebung gefährdet als ihr kostbares Forschungsobjekt! Wir müssen es dichtmachen, bevor er sich losreißt!“   Ark schüttelte resigniert den Kopf: „Vergiss es. Ich habʼs vorhin schon probiert, aber das verdammte Ding muss sich beim Öffnen verzogen haben. Die Computer melden nur noch Fehlfunktionen. Unsere einzige Chance ist jetzt, diesen Mistkerl mitsamt dem ganzen Höllenloch hier zu pulverisieren.“ Leon lachte humorlos und wies auf die tobende B.O.W. hoch über ihren Köpfen: „Dann sollten wir uns besser damit beeilen! Wir können nicht darauf hoffen, dass er sich ewig von einigen kleinen Schaschlikspießen zurückhalten lässt!“ „Zum Glück ist er noch nicht auf die Idee gekommen, zu landen“, murmelte Ark, „das Fliegen gibt ihm nicht genug Kraft, sie auszureißen. Wenn er sich aber irgendwo abstoßen würde ...“ Er seufzte und schlug seinem Partner auf die Schulter, während er an ihm vorbei auf das Haupttor zueilte: „Komm, ich weiß, wie wir dem Ganzen ein Ende bereiten.“ Er kramte in den Überresten seiner Kleidung und fischte einige einzelne Seiten Papier hervor, die er Leon reichte: „Das hier ist alles, was ich auf die Schnelle gefunden habe, nachdem wir getrennt wurden. Diese Dokumente enthalten einige Hinweise auf das, was hier passiert ist. Das wird deine Vorgesetzten vielleicht interessieren. Darunter ist auch ein Bericht, in dem von einem Selbstzerstörungsmechanismus die Rede ist. Wenn wir den aktivieren, wird hier alles auf einen Schlag dem Erdboden gleichgemacht. Das Problem ist, dass wir eine Zugangskarte brauchen ...“ Leon fiel neben ihm in Gleichschritt und zückte seine Schlüsselkarte: „Nehmen wir doch diese! Sie hat mir schon viele gute Dienste geleistet!“ Ark hob überrumpelt eine Augenbraue und kicherte dann erleichtert: „Gute Idee. Besser, als ziellos jedes Zimmer aufzubrechen und Gefahr zu laufen, auf noch mehr Monster zu treffen.“   Er drückte den Knopf zum Öffnen des nicht mehr verriegelten Rolltors und blickte unterdessen zu Chaos auf. „Es wird nicht mehr lange dauern, bis er sich losreißt“, brummte er, „wir hatten sowieso Glück, dass ihn seine blinde Wut und Panik bisher gehindert hat, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.“ „Ja“, stimmte ihm Leon missmutig zu, „ein Monster wie ihn können wir beim besten Willen nicht auf die Menschheit loslassen. Beeilen wir uns und beenden es.“ Er duckte sich unter dem Rollladen her und marschierte auf Richtung des Aufzugs zu. Hinter ihm kratzte und quietschte es, als sich das Metall wieder senkte. „Übrigens“, murmelte er erwartungsvoll, „wohin gehen wir? Wir schnippen sicher nicht einfach mit den Fingern, halten die Karte in die Höhe und rufen ‚Selbstzerstörung aktiviere dich‘ oder so ähnlich, richtig?“ Er kicherte, was aber schnell verstummte, als er keine Antwort erhielt.   „... Ark?“   Er sah sich um und runzelte verwirrt die Stirn, als er sich allein im Flur stehend wiederfand. Der Rolladen setzte mit einem Knall auf dem Boden auf. Keine Sekunde danach erzitterte die Wand, als sich eine Faust durch sie und das Türschloss hindurch bohrte. Es gab noch einige unregelmäßige piepsende Geräusche von sich und erstarb dann gänzlich. Leon spurtete schockiert zurück und schlug gegen das Tor: „Ark?!“ „Mir gehtʼs gut, keine Sorge“, ertönte es von der anderen Seite und dann erklang ein desillusioniertes Kichern, „So gut, wie es unter den gegebenen Umständen denn möglich ist.“ „Was soll das?“, rief Leon verärgert, „Hat das verdammte Ding ʼnen Kurzschluss?! Warte, ich suche etwas, womit ich es aufstemmen kann!“   „Mach dir keine Mühe. Es hat schon alles seine Richtigkeit. Kümmere du dich lieber um die Selbstzerstörung.“   „Hast du ʼnen Knall?! Während ich nicht weiß, ob du einen Weg rausfindest?!“   „... Kapierst du es echt nicht? Ich habe überhaupt nicht vor, hier rauszufinden!“   „WA... Bist du lebensmüde?!“   Er konnte Arks Gesichtsausdruck nicht sehen, aber die Worte klangen, als ob er schmunzelte: „... Hm. Ja, ich schätze, so kann man es ausdrücken. Ich bin infiziert, Leon. Du kannst dir denken, was das heißt. Nur weil ich mich hier einige Zeitlang zusammenreißen konnte, ist das keine Versicherung, dass ich nicht früher oder später ausraste. Und ich ziehe es vor, das nicht in der Nähe meiner Freunde zu tun. Du hast es doch gerade selbst gesagt. Wir können ein Monster wie mich nicht auf die Menschheit loslassen.“   „Aber damit hab ich doch nicht dich gemeint!“   „Chaos und ich tragen dasselbe Virus in uns. Wir sind gleich. Ich werde es nicht riskieren, mein Leben als eine solch tickende Zeitbombe weiterzuführen. Nicht, solange mir noch was wichtig ist darin.“   Leon schlug mit beiden Händen an das Tor und das Rasseln erstickte seine Worte fast im Keim: „Bitte, Ark, lass mich dir helfen! Komm mit mir, wir finden ein Mittel, dich wieder gesund zu machen!“ „Ich fühle mich gesund, danke der Nachfrage“, ertönte es höhnisch, „und jetzt beeil dich! Chaos scheint sich langsam wieder zu fassen! Ich sorge dafür, dass er nicht von hier flüchten kann und du sorgst dafür, dass er einen heißen Abgang bekommt, verstanden?!“ „Die D.S.O. kann dir helfen“, bestand Leon verzweifelt auf seinem Anliegen, „sie kann das Virus stoppen! Du wirst wieder wie früher werden, ich schwöre es dir!“ Einige Sekunden war es still, doch dann vernahm er ein tiefes, schweres Seufzen von der anderen Seite.   „Leon ... Wenn du dir auch nur einen Hauch deines alten Polizeiinstinkts bewahrt hättest, wüsstest du, dass sie mich niemals freilassen werden. Ich bin zu gefährlich für die Menschheit und zu wertvoll für die Wissenschaft. Gesteh mir meinen eigenen Willen zu, nur dieses eine Mal. Lass mich hier sterben. Bitte. Ich will nicht so enden wie all die armen Schweine aus unseren Berichten ...“   Die letzten Worte waren so leise, dass er sie kaum verstand, doch ihre Bedeutung entging ihm nicht. Leon knirschte mit den Zähnen und boxte noch ein letztes Mal gegen das Tor: „Du wirst nicht so enden, Ark. Verlass dich auf mich.“   Auf der anderen Seite schnaubte Ark zynisch lächelnd: „Kann ich das wirklich?“ Doch dann stieß er sich energisch von der Wand, gegen die er sich gelehnt hatte, ab und rief, während er entschlossen losging: „Der Hochsicherheitstrakt muss sich irgendwo auf der zweiten Ebene befinden. Das Passwort lautet ‚AmazonQueen‘. Vergiss es nicht. Was auch immer passiert, sorg dafür, dass unsere Welt wieder ein kleines Stück sicherer wird, verstanden? Und jetzt GEH!!!“   Die Stahlrohre, an denen Chaos gefesselt war, stöhnten metallisch auf, als sie sich durch den stetigen Druck und die Rucke langsam bogen. Arks Hand hob sich zu seinem Wow: „Miss Hunnigan, hören Sie mich? Bitte kommen.“ Stille begrüßte ihn und er seufzte enttäuscht. Er hätte sich gerne von ihr verabschiedet, auch wenn sie nicht die freundlichste Kollegin gewesen war, mit der er jemals zusammengearbeitet hatte. Er musste sich eingestehen, dass ihm eine letzte erheiternde Auseinandersetzung mit der vorlauten Dame vielleicht auch einen kleinen Teil der Angst genommen hätte, die einen unangenehmen Druck in seiner Brust entstehen ließ. Doch er wusste, dass seine Absichten die einzig richtigen waren. Wer konnte schon mit Sicherheit sagen, wann der T-Veronica-Virus genug von seiner pazifistischen Einstellung hatte und ihn erneut übernehmen würde? Und wer konnte sagen, was die Forscher – und waren sie auch noch so staatlich autorisiert – über den Lauf der Jahre mit ihm anstellten? Eine zweite Lisa Trevor wurde er nicht. Dafür sorgte er. Auch wenn es gegen Leons Ideale verstieß und er seinen Freund mit dem immerwährenden Gedanken belasten musste, ihn zurückgelassen zu haben. Er puhlte das Gerät aus seinem Ohr und begutachtete es. In der Kultivierungskammer hatte es trotz Panzerglas noch funktioniert, also warum hatte es nach dem Ritt auf der Dryade den Geist aufgegeben? Er runzelte irritiert die Stirn. Es war verschmort. Was zum Teufel hatte er damit gemacht? Alles, woran er sich erinnern konnte, war ein brennender Haufen Grünzeug ...   Er stutzte und schnaufte dann geschlagen. Natürlich. In ihm floss dasselbe Blut wie in Chaos! Er warf das Wow achtlos weg und wanderte beinahe lässig zu einem der Seile. Seine Hände schlossen sich wie Schraubzwingen darum und er riss mit aller Kraft daran, die er aufbringen konnte. Ein Ruck ging durch Chaosʼ Körper, der ihm einen schrillen Schrei entlockte.   Sekundenbruchteile später prallte er mit einem dumpfen Krachen am Boden auf. Als er Ark gemächlich auf sich zuschreiten sah, streckte er ihm eine Klaue wie einen hilfesuchenden Arm entgegen: „Wartet! Wir flehen ... euch an! Wir ... sind gleich! Lasst uns ... leben! Wir werden ... euch dienen ... Wir können ... koexistieren!“ Arks Augen leuchteten in maßloser Erheiterung auf: „ʼTschuldige, Kumpel. Aber ich bin nicht mehr naiv genug, um auf ein so leeres Versprechen reinzufallen.“ Die schwarzen Augen weiteten sich in Entsetzen, doch dann zogen sie sich in unverhohlenem Hass zusammen, als Chaos mühsam hervor presste, während er sich angestrengt mit allen ihm verbliebenen Gliedmaßen von seinem Rivalen wegschob: „... Verflucht ... sollt ihr ... sein!“ Und urplötzlich drückte er sich mit den Flügeln ab auf seine Klauen und sprang Ark mit einem markerschütternden Schrei, der alles übriggebliebene heile Glas im Raum zum Bersten brachte, entgegen.   Dessen Adern pulsierten, seine Haut schwärzte sich, brach auf und legte einige besonders dicke Muskelstränge frei, die sich verdickten und sich wie Lianen um seine Extremitäten wanden. Seine Haare verfärbten sich und nahmen ein dunkles Gelb an, welches ein distinktives schwarzgelbes Muster auf seinem Körper bildete. Seine Sicht verschwamm und wurde dann messerscharf. Er schlug seine klauenscharfen Fingernägel in die eigene Handfläche und die Venen platzten auf. Flammen züngelten beinahe umgehend aus den blutenden Wunden.   Arks Mundwinkel hoben sich zu einem amüsierten Grinsen und während sich schwarze Linien durch seine Glaskörper zogen, die um die braune Iris und schlitzförmige Pupillen schnell zusammenliefen und sie bald komplett verdunkelten, murmelte er bedauernd: „Ein Jammer. Jede Menge Feuer und keine einzige Zigarette weit und breit ...“   Er stieß sich ab und raste Chaos entgegen, während er weit ausholte und die brennende Faust schließlich mit dessen deformiertem Kiefer kollidieren ließ.   ---   Leon atmete hastig, als der Orthos endlich mit einem Jaulen zusammenbrach. Er hatte es mit Biegen und Brechen auf die dritte Etage geschafft, doch die Munition wurde knapp und die Aufregung um ihre „Königinnen“ hatten die restlichen Biowaffen so aufgescheucht, dass sie sich nun in Rudeln in den Gängen tummelten. Zu allem Überfluss schienen die Amazonen sich so weit entfernt von Ark nicht darum zu scheren, dass er ihnen den Angriff auf ihn verboten hatte. Oder vielleicht gehörten sie auch zu dem anderen Stock. Wer konnte das schon in dem ganzen Tohuwabohu noch sagen?   Schon wieder kam ein gefährlich großer Schwarm herangebraust und er hatte schon seine Beretta im Anschlag, als plötzlich ein lautes „RUNTER!“ durch den Gang hallte. Er ließ seine Beine einknicken und direkt darauf jagte eine für die Insekten verheerende Feuerwelle über ihn hinweg. Erst, als sich der Regen von brennenden kleinen Körpern etwas gelegt hatte, wagte er wieder aufzusehen. Der Anblick ließ ihn erleichtert aufatmen: „Endlich, verdammt nochmal! Das wird aber auch Zeit! Was habt ihr so lange gemacht?!“   Helena senkte ihre Waffe und reichte ihm die Hand, um ihm aufzuhelfen, während ihr Kompagnon den Flammenwerfer schulterte und ihm zur Begrüßung zunickte. Hinter den beiden standen drei weitere uniformierte Männer mit Maschinengewehren, die ihn aufmerksam musterten. Leon wischte sich Schweiß von der Stirn und legte seiner Kollegin eine Hand auf die Schulter: „Ich bin froh, euch zu sehen, aber jetzt ist keine Zeit für Erklärungen! Helena, Lane, ihr kommt mit mir.“ Er blickte auf die anderen, die respektvoll salutierten: „... B.S.A.A.?“ Helena nickte: „Ja, die F.O.S. hat sie eingeschaltet, nachdem Miss Hunnigan sehr eindringlich den Ernst der Lage betont hat. Und als sie dann auch noch jeglichen Funkkontakt mit Ihnen verloren hat ...“ Den Rest ließ sie in der Luft hängen, denn sie ging davon aus, dass er ihn sich denken konnte. Und sie hatte recht. Verlegen fuhr seine Hand automatisch an sein abgestelltes Headset und er stöhnte schuldbewusst.   Arme Ingrid. Er schuldete ihr wohl eine Entschuldigung. Und eine sehr gute Erklärung.   Doch vorerst mussten die Höflichkeitsfloskeln warten, und so wandte er sich an die Soldaten: „Na schön ... Sergeant. Nehmen Sie Ihre Leute und suchen Sie die oberen Etagen ab. Tüten Sie alles ein, was Rückschlüsse auf die Vorkommnisse an diesem Ort zulassen könnte. Und vor allem: Seien Sie vorsichtig. Hier laufen jede Menge B.O.W.s herum, die wir in dieser Form noch nicht angetroffen haben. Unterschätzen Sie sie nicht! Haben Sie mehr von diesen Flammenwerfern?“ Er händigte dem Soldaten die Karten sowie die Dokumente, die ihm Ark zugesteckt hatte, aus. Der Offizier nickte: „Ja, jeder Trupp hat einen davon.“ „Gut“, erwiderte Leon, „es gibt hier eine B.O.W., die als ‚Dryade‘ bezeichnet wird. Teilen Sie Ihren Leuten mit, dass sie auf keinen Fall Munition verschwenden sollen, wenn sie auf eine wandelnde Efeuhecke treffen sollten ... Sie können später lachen. Diese Wesen sind mit Abstand die gefährlichsten Gegner in diesem verfluchten Bau! Benutzen Sie sofort den Flammenwerfer, verstanden? Alles andere ist absolut wirkungslos!“ Der Mann nickte erneut und wies seine Untergebenen dann an, ihm zu folgen. Leon beobachtete sie, wie sie im Fahrstuhlschacht verschwanden: „Seilzüge?“ Helena wies mit einem Finger nach oben: „Ja, wir sind durch die Fahrstuhlschächte runtergekommen. Die Feuertreppe ist zerstört und die Lifte haben keinen Strom.“   „Das trifft zum Glück nicht auf die unteren zu. Folgt mir. Ich habe noch was zu erledigen.“   Als sie sich auf den Weg machten, lehnte er sich zu Lane hinüber und fragte missbilligend: „Du warst wieder als ich unterwegs?“ „Entschuldige“, gab Lane ein wenig verlegen zurück, „ich bin bei meinem Auftrag Miss Redfield in die Arme gelaufen und dachte, mit dir als Verantwortlichen fiele ihr die Kooperation leichter. Der Rückruf kam so unerwartet, dass ich vergessen habe, zu transformieren. Soll ich es ändern?“   „Nein, lass es so. Es wird der B.S.A.A. suspekter erscheinen, wenn einer von uns plötzlich einfach verschwinden würde. Wir tischen ihnen nachher die Zwillings-Ausrede auf.“   Sie machten sich auf den Weg zurück, mit erhöhter Truppenstärke und Feuerkraft nun ein weitaus weniger kompliziertes Unterfangen. Außerdem benutzte Leon die Strecke, durch die er sich zuvor empor gekämpft hatte und die somit kaum noch Gefahren barg und Ark beschäftigte Chaos offenbar ausreichend, sodass dieser nicht mit den Aufzügen herumspielen konnte. Unterdessen erstattete er den Agents einen groben Bericht mit den notwendigsten Informationen. Als sie schließlich ohne größere Schwierigkeiten das Tor zum Zentrallabor erreichten, legte Leon eine Hand daran und befahl Lane in einem strikten Ton: „Aufmachen.“ Lane legte fragend den Kopf schief und hob eine Augenbraue. „Er hat es hinter mir verriegelt und das Schloss zerstört, Lane“, drängte er ungeduldig, „Jetzt stell bitte keine Fragen und tuʼs einfach, okay?!“ Der Mann seufzte und ging zum Rollladen, während er seine Muskeln knacken ließ. Dann fasste er mit beiden Händen unter die Barrikade und wollte eben anheben, als er innehielt und sich missbilligend umsah: „Würdʼs euch was ausmachen?“ Helena stieß ein erstauntes „Huh?“ aus, doch Leon seufzte und fasste sie bei den Schultern, um sie beide umzudrehen und in die andere Richtung schauen zu lassen. Helena sah ihn misstrauisch von der Seite an und er flüsterte ihr diskret zu: „Sie wissen ungefähr, was er ist?“ Sie zögerte kurz und nickte dann etwas unschlüssig, sodass er fortfuhr: „Er mag es nicht, wenn man ihm dabei zuschaut. Ist ʼne persönliche Sache. Und glauben Sie mir, Sie möchten es auch gar nicht sehen.“   Hinter ihnen ertönte ein lautes Ächzen, Stöhnen und Knacken, dann ein lauter Knall und ohrenbetäubendes Quietschen und Rasseln. Helena knirschte mit den Zähnen und hielt sich die Ohren zu. Als es wieder still wurde, warteten die beiden noch ein wenig, bis Lanes Stimme ihnen das Umdrehen erlaubte: „Ich bin fertig. Wie geht es weiter?“ Leon schwang herum und rannte an ihm vorbei in die Halle, wo er sich hastig um die eigene Achse drehte und die Umgebung überflog.   Die Einrichtung des Labors war vollkommen zerstört. Der Boden war aufgerissen und kaum noch eine Fliese heil, Ruß und Blut verschmierte sich lachenweise zu dreckigen Schlieren an Schutt und Wänden. Kleine bis große Feuer loderten überall. Es war fast unerträglich heiß, doch er entschied sich, sich vom endzeitlichen Zustand der Umgebung nicht entmutigen zu lassen. Und er musste nicht lange suchen.   Chaos lag mitten in der Halle und die Tatsache, dass er zu menschlicher Form zurückgefunden hatte, ließ Leon hoffen, dass er endgültig das Zeitliche gesegnet hatte. Ark lag dicht neben ihm in den Resten eines zermalmten Schranks auf der Seite und rührte sich nicht. Kleine Flammen züngelten hier und da aus seiner halb zerfetzten Jacke.   „Scheiße!“   Sofort lief er zu ihm und fiel neben ihm auf die Knie, um die Brände mit den Händen auszuklopfen. Vorsichtig drehte er ihn auf den Rücken und legte eine Hand auf seine Brust. Er atmete voller Erleichterung aus, als er das leichte Heben und Senken spürte und rief seinen Kollegen zu: „Schnell, helft mir, ihn nach oben zu schaffen! Er braucht ärztliche Versorgung!“ Helena ließ sich neben ihm nieder und starrte auf das halb verbrannte Bündel Mensch: „Leon ... was ist das hier? Haben Sie uns hergebracht, damit wir diese Biowaffen sicherstellen?! Ich dachte, wir sind da, um sie zu zerstören, nicht um ihre kläglichen Überreste einzusammeln!“ „Er ist keine Biowaffe“, fuhr Leon unbeherrscht auf, doch mit ihrem skeptischen Blick auf eine sich langsam schließende Brandwunde fügte er leiserer hinzu, „Keine Richtige auf jeden Fall! Glauben Sie mir, er stellt keine Gefahr dar!“   „Und wie sollen wir die beiden zu dritt nach oben schaffen? Ganz zu schweigen davon, wie Sie sie den B.S.A.A.-Leuten erklären wollen!“   „Ark ist mein Partner. Er ist registriert, sie sollten deshalb sowieso mit zwei Überlebenden gerechnet haben.“   „Und er?“   „... Ihn nehmen wir nicht mit. Er ist eine Biowaffe. Und zwar eine, die ich sicher nicht in einem unserer Labors untergekommen wissen will.“   Man konnte Helena ansehen, wie die Räder in ihrem Gehirn rotierten: „Leon ... warum hat dieser Mann den Eingang hinter sich versiegelt?“ „... Er wollte ihn aufhalten, um mir Zeit zu geben, die Anlage zu zerstören“, erwiderte er unwillig, „Er ... er wollte hier sterben.“ „Dann hat er eine realistischere Sicht auf die Dinge als Sie“, tadelte sie kopfschüttelnd, „Was erwartet ihn denn da oben, Leon?! Meinen Sie, wir könnten ein ... Wesen wie ihn unbeobachtet lassen? Sie sehen, was er angerichtet hat! Können Sie mit felsenfester Überzeugung versichern, dass er das hier in der Zivilisation nicht wiederholen wird?!“ Sie breitete die Arme aus und deutete auf die Umgebung, die deutlich von dem verheerenden Schlagabtausch der beiden Gegner zeugte. „Das ist nicht seine Schuld“, protestierte Leon erbost und richtete einen anklagenden Zeigefinger auf Chaos, „dieser Mistkerl hat-“   „Aber ihn wollen Sie auch nicht mitnehmen, richtig?“   „Er ist eine vollständig entwickelte B.O.W., Helena! Das ist was völlig anderes!“   „Er ist menschlich genug in meinen Augen.“   „Ich wiederhole: Er ist völlig anders!“   „Wo ist der Unterschied, Leon?! Wenn wir Ihren Partner retten, müssen wir auch diesen Jungen mitnehmen und wir wissen so gut wie gar nichts über auch nur einen von beiden! Es ist zu gefährlich!“   „Sie erkennen den Unterschied nicht?! DAS ist der Unterschied!“   Leon packte ihre Handgelenke und zwang sie beidseitig hinunter auf die unbedeckten Brustkörbe der am Boden Liegenden. Das Unbehagen war ihr anzusehen und sie versuchte umgehend, ihre Hände wegzuziehen, doch er hielt sie unbarmherzig fest. Nach anfänglicher Abwehr gab sie schließlich auf und hielt inne. Die Ruhe ermöglichte ihr, auf das zu achten, was sich unter ihren Fingerspitzen abspielte und ihre Augen weiteten sich etwas.   Die Brust des jungen Mannes war kalt und still.   Die von Leons Partner erwärmte ihre Handfläche und ein beständiges Herzklopfen kitzelte die empfindlichen Nervenbahnen.   Sie sah unsicher in Leons ärgerlich funkelnde Augen, bis sich sein Ausdruck plötzlich erweichte und er sie fast flehentlich anblickte: „Helena ... Wenn wir eine Chance gehabt hätten, Deborah mit uns zu nehmen ... Was hätten Sie getan?“ Sie zuckte eine Weile nicht mal mit der Wimper, doch dann seufzte sie schließlich kaum hörbar und befreite sich aus seinem Griff: „... Verstanden. Sie beide stützen ihn. Ich halte ihnen den Rücken frei.“ Er schmunzelte erleichtert: „Danke, Helena. Ich wusste, ich kann auf Sie zählen.“ Lane, der sich die Szene nur schweigend zu Gemüte geführt hatte, trat nun heran und griff einen schlaffen Arm, um ihn sich über die Schulter zu legen. Leon tat es ihm mit dem anderen gleich und zu zweit hievten sie Ark in die Höhe, um ihn anschließend hinter ihrer Kollegin her zu schleifen, die bereits wieder Richtung Ausgang marschierte.   Nur einmal wandte sich Leon noch um und warf einen letzten, bedauernden Blick auf Chaos.   ‚Ruhe in Frieden ... Steve.‘   Mit einem für jeden äußeren Einfluss unempfänglichen Ark in ihrer Mitte dauerte es etwas länger, bis sie es zurück zu dem Punkt ihres Aufeinandertreffens geschafft hatten, doch nach knapp einer halben Stunde standen sie endlich wieder vor dem Fahrstuhl mit den Seilzügen. Über ihnen erklangen Kampfgeräusche und geschäftiges Rumoren und Leon wandte sich an Helena. „Mit all den Soldaten da oben dürften wir keine weiteren Probleme bekommen. Wir schaffen ihn hier raus. Sie schließen sich mit ihnen zusammen und aktivieren den Selbstzerstörungsmechanismus dieses unsäglichen Labors. Das Büro mit den Zugangsvoraussetzungen muss sich auf der zweiten Etage befinden. Versuchen Sie es mit dieser Karte“, er zog sie etwas schwerfällig aus der Brusttasche, weil er Ark dabei auf seiner Schulter balancieren musste und reichte sie ihr, „Sollte sie nicht funktionieren, müssen Sie einen anderen Weg finden, aber Sie schaffen das schon. Das Passwort lautet ‚AmazonQueen‘.“   „Alles klar. Ich kontaktiere Sie, sobald die Vorbereitungen abgeschlossen sind.“   Sie blickten ihr nach, als sie im Schacht verschwand. Danach brummte Leon: „Okay. Ich gehe zuerst. Dann schickst du ihn rauf.“ Lane sah ihn ausdruckslos von der Seite an: „... Du willst ihn wohl wirklich niemandem anvertrauen, was?“ „Lane, ich kann ihn in diesem Zustand erwiesenermaßen nicht mal sich selbst anvertrauen, ganz zu schweigen von Außenstehenden“, seufzte er, „und gerade du solltest doch am besten wissen, was unsere Leute am liebsten mit Biowaffen anstellen, oder?“   „Ich dachte, er wäre keine? Keine Richtige zumindest?“   „... Wann bist du so ein Klugscheißer geworden?“   ---   Er kam mit einem langen, ermatteten Stöhnen wieder zu sich. Die Meisten wären wohl glücklich darüber gewesen, nach einem beinahe fatal endenden Kampf aufzuwachen und festzustellen, dass sie noch atmeten und – was noch wichtiger war – noch über alle Gliedmaßen verfügten. Ark jedoch war nicht glücklich. Er hatte gehofft, die Explosion und das Verschüttetwerden unter meterhohen Bergen von Stahl, Beton und Sand in süßer Bewusstlosigkeit über sich ergehen lassen zu können. Außerdem war er noch durchaus in der Lage, klar zu denken, und so hatte sein Erwachen nur eine einzige Bedeutung für ihn. Ein Gesicht schob sich in sein Sichtfeld und er verankerte Leons erleichterten Blick mit dem eigenen emotionslosen: „Na, wenn das mal nicht Agent Trottel Arschgesicht ist.“   „Du fragst nicht einmal mehr, was geschehen ist, sondern gehst gleich zur Beleidigung über?“   „Ich brauche nicht zu fragen, weil ich weiß, was geschehen ist. Offensichtlich lebe ich noch und wenn ich noch lebe, bedeutet das, dass du meine Anweisungen schon wieder ignoriert und frei nach eigenem Gusto agiert hast und ich darf jetzt die Folgen ausbaden!“   Seufzend lehnte sich sein Freund in den Sitz des Helikopters zurück und legte die Füße auf die Bahre, auf der Ark gut zugedeckt und ebenso sicher festgeschnallt lag. Weder Arme noch Beine, wohlgemerkt, nur so wie es jeder Patient über sich hätte ergehen lassen müssen. „Ganz recht, du lebst noch“, murmelte er erschöpft, „und das allein ist schon ein mittleres Wunder.“ „Tatsächlich? Also ich für meinen Teil bin überhaupt nicht überrascht“, konterte Ark ebenso fertig, aber hörbar zynisch, „Frage mich, woran das liegen könnte ... Oh, natürlich! Ich bin ein Monster!“ Leon runzelte die Stirn: „Hör auf, dich zu quälen, Ark. Du bist kein Monster, solange du nicht wie eines handelst.“   „Oh bitte, Leon, verschon mich damit! Ich kann meine Unterarme öffnen, ohne Schmerzen zu verspüren! Ich bin Privatdetektiv, ich begreife recht schnell, wenn ich in Schwierigkeiten stecke, also tu uns beiden den Gefallen und erspar mir diesen pseudophilosophischen Quatsch!“   „Wie du willst. Aber ich werde trotzdem immer einen Menschen in dir sehen.“   „Wie rührend. Du bist ein echter Freund. Wenn man mal von dieser ganzen Ich-schicke-meinen-Kumpel-auf-eine-einsame-Insel-ohne-ihn-vor-der-lebensgefährlichen-Viruskontamination-zu-warnen-Problematik absieht.“   Leon massierte sich die pochenden Schläfen: „Es wird alt, Ark.“ „Es wird niemals alt genug werden“, murrte der Detektiv, schien aber langsam auch müde ob der stetigen Streitereien zu sein. Ein Sanitäter sprang in den Helikopter, sah, dass er wach war und eilte dann sichtlich erregt zu einem Koffer, dem er eine Spritze mit einer apfelgrünen Substanz entnahm. Ark hob eine Augenbraue, als der Mann anschließend näher rückte und ein stilles Einverständnis mit Leon zu suchen schien. Dieser nickte und wandte sich dann an Ark: „Es tut mir leid, aber wir müssen dich unter Betäubung halten, um kein zu hohes Sicherheitsrisiko einzugehen. Wir wissen nicht, wie sich der Virus weiter entwickeln wird und während eines Fluges ist es ein wenig zu gefährlich, ihn ganz ohne Beschränkungen umherschweifen zu lassen ...“ Ark kicherte: „Ich mag es, wie du von ihm sprichst als wäre er nicht eins mit meinem Körper.“ Er seufzte und drehte den Arm zum Zeichen, dass er sich nicht gegen die Vorschriften zu wehren gedachte und der Sanitäter stieß die Nadel dankbar hinein.   „... Da fällt mir ein: Habe ich dich schon einmal auf meine Trypanophobie hingewiesen? Die Dinger machen mich so nervös, ich könnte glatt aus fliegenden Hubschraubern springen! Da kommt mir das Virus sogar gelegen, vielleicht setzt es mich wieder zusammen, wenn sich meine Gliedmaßen beim Aufschlag nicht über ein zu großes Terrain verteilen.“   Der Sani prustete kurz auf und auch Leon wandte den Kopf ab, um Arks fragwürdigen Humor nicht mit einem ununterdrückbaren Schmunzeln zu honorieren: „Nun, du kannst von Glück reden, dass wir noch nicht abgehoben haben.“ Ark starrte gedankenverloren an die Decke: „Bin mir nicht sicher, ob das Glück ist ...“ Sie schwiegen beide, bis der Soldat seine Arbeit verrichtet hatte und sie wieder sich selbst überließ. Ark spürte schon sehr bald die Wirkung des Betäubungsmittels. Doch wo es andere wahrscheinlich in sanften Schlaf gewogen hätte, löste es bei ihm lediglich ein Empfinden der vollkommenen Ruhe aus. Es erinnerte ihn unangenehm an das Gleichgültigkeitsgefühl des Virus selbst, doch redete er sich zuversichtlich ein, dass die B.S.A.A. sicher genügend Erfahrung mit Biowaffen hatte, um ihn nicht gefährlicher zu machen, als er sowieso schon war. Um sich abzulenken, bemühte er sich um Konversation: „Wie gehtʼs jetzt weiter? Bin ich ab jetzt die persönliche Laborratte der D.S.O.?“ „Nicht, solange ichʼs verhindern kann“, versicherte ihm sein Freund, „vielmehr wird sich die D.S.O. darum bemühen, dich als Agent einzustellen. Ich habe dir doch von Anfang an gesagt, dass uns zuverlässiges Personal fehlt. Das einzig Negative an der Sache ist, dass du das Angebot in deiner Position nicht wirklich ablehnen kannst.“   „Zuverlässig, dass ich nicht lache. Letztendlich haben wir nicht mal in Erfahrung bringen können, welcher Firma die Anlage denn nun gehörte.“   „... Stimmt. Sie waren entweder sehr sorgfältig im Spurenverwischen oder sehr vorsichtig im welche hinterlassen. Aber zumindest wissen wir, dass es nicht Umbrella war.“   „Das heißt wohl, ich werde nie erfahren, wem ich meine versaute Zukunft denn nun wirklich verdanke, hm?“   Leon legte ihm eine Hand auf die Schulter und drückte sie aufmunternd: „Sieh es positiv. Solange du für uns arbeitest, besteht die Chance, dass du die Verantwortlichen doch noch zur Rechenschaft ziehen kannst!“ Ark entfuhr ein klägliches Lachen: „Klingt einladend. Du weißt echt, wie man jemandem Scheiße schmackhaft macht.“ Er hob eine Augenbraue: „Eine Biowaffe im Einsatz gegen Biowaffen. Hn. Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist? Man kann zwar Feuer mit Feuer bekämpfen, aber wenn dafür nicht die absolut passenden Voraussetzungen gewährleistet sind, kann das schnell nach hinten losgehen.“ Leon musterte ihn nur stumm, bis er offenbar einen Entschluss gefasst hatte und ein paarmal kräftig an die Wand des Helikopters schlug. Als ihm sein Freund irritiert den Kopf so weit zuwandte, wie es sein tauber Körper zuließ, faltete er die Hände im Schoß und sah ihn eindringlich an: „Ark, ich möchte dir einen Kollegen von mir vorstellen. Ich glaube, sein Schicksal könnte interessant für dich sein.“ Lane erschien an der Tür und sah ihn erwartungsvoll an, ehe sein Blick auf Ark fiel, der mit gerunzelter Stirn dalag.   „... Leon ... Gibt es einen Grund dafür, dass er dir aufs Haar gleicht ...?“   „Es ist eine lange Geschichte.“   „Zum Glück hat sich mein Leben vor Kurzem verabschiedet. Ich habe also gerade nichts Besseres vor.“   „Es gibt noch einen Initialstörfall. Noch einen außer Raccoon, Rockfort und Sheena ...“   „Oh nein. Sag bitte nicht-“   „Ark, hast du jemals den Bericht über die Jungfernfahrt der ‚Starlight‘ gelesen?“   „... Ja ...?“   „Nun, der Offizielle weicht ein winziges bisschen von der Wahrheit ab ...“   Leon erklärte es ihm. Und er konnte kaum glauben, was er hörte. Während er den nervös schweigenden Lane mit einer Mischung aus Schock, kindlicher Neugier und unverhohlenem Forscherdrang musterte, meldete sich Leons Headset.   „Alles klar. Wir haben alle Vorbereitungen getroffen, Leon.“   „Sind alle bereit? Keiner mehr drin?“   „Bereit wenn Sie es sind.“   „Gute Arbeit“, lobte er und gab dem Piloten des Helikopters ein Zeichen, „dann lasst uns dieses verfluchte Wespennest ausräuchern!“ Zwei weitere B.S.A.A.-Soldaten sprangen zu ihnen in den Laderaum und gleich darauf erwachten zahlreiche Rotoren lärmend zum Leben. Sie hoben ab und bald sah Ark durch die offenstehende Tür in der Entfernung einige andere Hubschrauber neben ihnen herfliegen, weg von der Brutstätte der Monster.   Nachdem sie eine Weile geflogen waren, hielt der Pilot die Maschine an Ort und Stelle in der Luft und richtete sie so aus, dass sie zurücksehen konnten. Danach dauerte es nicht mehr lange, bis ein dumpfer Knall ertönte, die Erde der Wüste erbebte und unzählige kleine bis größere Feuersäulen aus dem Boden schossen. Die Detonation wirbelte den Sand auf, der eine Kilometer umfassende Staubwolke aufsteigen ließ, die sich nur langsam in Richtung der kaum spürbaren Brise verwehte.   Sie nahmen den Anblick für eine Weile andächtig auf und als schließlich viele andere Hubschrauber an ihnen vorbeidüsten und ihr Pilot die Reise wieder aufnahm, murmelte Ark so leise, dass es nur Leon hören konnte, der dicht bei ihm hockte: „Warum hat er es wohl vorgezogen, sich in diesem Loch zu verkriechen, anstatt seinem Namen Ehre zu machen und die Welt in Anarchie zu stürzen?“ Sein Freund dachte lange nach, zuckte aber schließlich mit den Schultern: „Er war die Königin. Die Königin fliegt niemals aus. Er hatte dafür zu sorgen, dass der Stock und sein Volk in Sicherheit wachsen konnten. Wenn wir seinen ‚Pollensammler‘ nicht entdeckt hätten ... Ich frage mich, wie lange er der Ausrottung noch entgangen wäre ...“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)