9 mm - Blut und Schweiß von Luca-Seraphin ================================================================================ Kapitel 12: 12 -------------- Langsam schien die Angst von Jens abzufallen. Er sah elend aus. Die schwache Basis des Vertrauens wackelte, aber vielleicht konnte Christoph sie festigen. Trotz allem schwiegen sie über die ersten Minuten auf der Autobahn. Er gewährte Jens noch eine gewisse Zeit, zu sich zu kommen. Es brachte wenig, ihn gleich wieder zu überfallen, zumal sich sein Beifahrer offensichtlich in seinen Kleidern unwohl zu fühlen begann. Jens zupfte an dem verschwitzten Kapuzenpulli und vermied es, den Stoff allzu lang auf der Haut zu haben. „Du sagtest was von duschen?“, fragte Jens nach einer Weile. Christoph nickte. „Hast du andere Sachen mit, Kleidung, die weniger auffällig ist, meine ich?“ Zögernd schüttelte Jens den Kopf. In seinen Augen lag Unsicherheit. „Nein, nur ein paar leichte Klamotten für den Strand und ansonsten dreckiges Zeug.“ Christoph zog die Brauen zusammen und wies mit dem Kopf in Richtung des schmuddeligen Rucksacks. Es handelte sich nicht mal um die typischen schwarzen BW-Rucksäcke, die bei den meisten Punks beliebt waren, sondern um einen einfachen grauen aus Polyester, ähnlich dem, den Christoph selbst vor fünfundzwanzig Jahren in der Schule benutzt hatte. Jens beugte sich vor und zog ihn heran. Er wühlte den Inhalt heraus. Das Resümee war armselig, soweit Christoph es während der Fahrt beurteilen konnte. Shirts, Unterwäsche, eine Schwimmshorts. Der muffige Geruch ließ darauf schließen, dass es für Jens normal war, seine sauberen und dreckigen Sachen zusammenzustopfen. Wahrscheinlich störte er sich nicht daran. Christoph rann ein Schauder über den Rücken. Automatisch begann seine Haut zu kribbeln. Er hob demonstrativ die Brauen und verzog das Gesicht. „Du sprengst das Bild des sauberen, adretten Schwulen.“ „Ich trink meinen Kaffee auch nicht mit abgestecktem, kleinem Finger.“ „Wenigstens eine weitere Tüte zum Sortieren wäre ganz nett.“ Jens zuckte nur mit den Schultern. Für einen Moment machte es den Anschein, er wolle nichts darauf antworten, aber er konnte offenbar nicht über seinen Schatten springen und wollte das letzte Wort behalten. „Was weißt du schon vom Leben auf der Straße und dem Schwul sein unter Punks?“ Er ließ die halb offene Tasche fallen und gab ihr einen Tritt. Christoph beobachtete den rascher fließenden Verkehr um sich, die PKWs, die ihn überholten und die Masseauslastung der A9. Ob Jens tatsächlich auf der Straße lebte, wagte er zu bezweifeln. Dafür wirkte der junge Mann noch nicht ausreichend heruntergekommen und viel zu gut genährt. Solche Menschen hatten durch ihre schlechte Situation Mangelerscheinungen, waren zumeist krank und schmutzig. Jens‘ fehlende Hygiene hatte vermutlich nur den Grund passender Gelegenheiten. „Vom Leben auf der Straße habe ich keine Ahnung, aber vom Schwul sein und allen damit verbundenen Querelen. Du musst mir zugestehen, dass ich älter bin, länger mit Kerlen ins Bett gehe und geoutet bin.“ Jens schwieg. Zum ersten Mal schien Christoph zu ihm durchgedrungen zu sein. Es war nicht die Sorte der Stille, die aus seiner bisherigen Verstocktheit stammte. Jens dachte nach. Es dauerte sehr lang, bis der junge Mann nickte. Er akzeptierte es, dieses Mal ganz ohne jeden Kommentar. Eine Weile starrte Jens aus dem Fenster. Er zog wieder ein Bein an und stützte seinen Kopf auf der Faust ab. Jetzt war nicht der passende Augenblick ihn zu maßregeln. Christoph beschloss, ihn in Ruhe zu lassen. Der Verkehr nahm wieder seine Aufmerksamkeit in Anspruch. Nicht nur die typische Dichte, viel mehr die Tatsache, dass ein Wagen mit qualmendem Kühler auf dem Randstreifen stand, sorgte für erneute Behinderungen. Kühlwasser rann als stetiger Fluss auf die Fahrbahn und wurde von vielen Reifen auf dem Asphalt verteilt. Der Fahrer stand hilflos neben seinem Auto. „Arme Sau“, kommentierte Jens abwesend. Wahrscheinlich bemerkte er kaum, dass er laut dachte. Christoph ging gar nicht darauf ein. Er schwieg, bis sich Jens vollkommen beruhigt zu haben schien. Der Moment für einen erneuten Vorstoß war sicher kaum günstiger als zuvor, aber das Schweigen wurde unangenehm und das sonore Brummen der Maschine schläferte ihn ein. „Das, was vorhin im Radio gesagt wurde, kannst du mir sicher besser erklären, Jens.“ „Eben nicht“, entgegnete der ungewohnt ruhig, wobei er sich zu Christoph umwandte. In seiner Mimik lag erschütternder Ernst. Aller Widerspruchsgeist schien aus ihm gewichen zu sein. Fragend musterte Christoph ihn, wenigstens so lang, bis er in den Schatten eines anderen LKWs geriet und ganz automatisch abbremste. „Muss ich das jetzt verstehen?“ Hilflos hob Jens die Schultern. „Das war alles so verworren. Es ging schnell und ich weiß gar nicht, was alles passiert ist.“ „Versuch es in eine Reihe zu bringen“, schlug Christoph vor. In seiner Stimme schwang viel zu wenig Motivation mit, das spürte er schon, als er wieder zu Jens schaute. „Es ist total kompliziert.“ Scheinbar wollte Jens sich mit dieser Aussage aus der Affäre ziehen. „Ganz so einfach mache ich es dir nicht.“ Missmutig zuckte Jens mit den Schultern. „Kannst du mich nicht einfach nach Berlin bringen? Ich meine, du …“ „Es geht um eine tote Polizistin, Jens. Du rennst mit ihrer Waffe durch die Gegend, stiehlst einen Wagen, steigst bei mir in den Truck und bedrohst mich mit der Pistole, die du ihr geklaut hast.“ Seine Stimme hatte sich gesteigert. Es klang sehr nach Kasernenhof. Aber er hatte nicht die Absicht Jens entkommen zu lassen, nicht ohne Erklärungen und die Möglichkeit ihn im Blick zu behalten. Bevor der junge Mann antworten konnte, sprach Christoph weiter: „Wenn wir angehalten werden und ich wegen dir …“ „Warum hilfst du mir überhaupt?“, fiel ihm Jens scharf ins Wort. „Warum bist du sicher, dass ich kein Mörder bin?!“ Christoph hatte auf diese Frage schon eine Weile gewartet. „Weil du so unsäglich bescheuert warst, die P7 zu entsichern, indem du den Griff so fest zusammengedrückt hast, dass sich jederzeit ein Schuss hätte lösen können“, schnauzte er Jens an, „aber du Idiot hast mit der Pistole herumgefuchtelt und meine Anlage demoliert, ohne auf die Konsequenzen zu achten!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)