Tribal Soul von MarySae (Das Tor zu deinen Träumen) ================================================================================ Kapitel 3: Geschichten ---------------------- Mit weit aufgerissenem Mund starrte sie den Braunhaarigen aus großen Augen an. Hatte er das eben wirklich gesagt? Hatte er wirklich von Dämonen gesprochen? In diesem Moment fragte sie sich ernsthaft, ob wirklich sie diejenige war, die langsam verrückt wurde. „Bitte was? Dämonen?“ Plötzlich übernahm die Wut, die sich in ihren Eingeweiden gesammelt hatte, die Oberhand. „Wollt ihr mich auf den Arm nehmen?“ Ihre Wangen brannten und in ihren Augen funkelte der Zorn. Sie war gerade an einem der schwärzesten Punkte in ihrem Leben angekommen und diesen dahergelaufenen Typen fiel nichts Besseres ein, als sie zu verarschen? Geht’s noch? Doch irgendwie schien ihr kleiner Gefühlsausbruch die anderen gar nicht groß zu stören. Chloé rollte genervt mit den Augen, Riley war ein wenig in Deckung gegangen und Liam sah sie einfach reglos weiter an. Aber Eyleen hätte schwören können, dass kurz etwas in seinen Augen aufgeblitzt war. Etwas, was sie nicht deuten konnte. „Du hast nach einem Geschäft gefragt, was scheinbar aus dem Nichts aufgetaucht war und du nur einmal in deinem Leben gesehen hast. Außerdem hat niemand sonst dieses Gebäude mit der Aufschrift ‚Tribal‘ gesehen.“ Eyleens Wut verrauchte so schnell, wie sie gekommen war und machte einer entwaffnenden Fassungslosigkeit Platz. Absolut sprachlos starrte sie ihn an. Woher um alles in der Welt wusste er das? „Du hattest das Gefühl, dass dieser Ort plötzlich im Mittelpunkt der Welt steht und dass irgendetwas dich in diese Richtung zieht. Anscheinend bist du dem Ruf gefolgt“, meinte der Braunhaarige und zog wissend eine Augenbraue hoch. „Nach dem gestrigen Filmriss hattest du heute Morgen wohl ein ziemlich unsanftes Erwachen.“   Eyleen traute ihren Ohren kaum. Ein völlig Fremder hatte einfach so ihre letzten 24 Stunden beschrieben, obwohl er nicht dabei gewesen war! Was war bloß los hier? Oder … War er etwa doch dabei gewesen? Sofort fand die Blonde ihre Stimme wieder. „Wart ihr gestern etwa dabei? Was habt ihr mit mir gemacht? Warum erinnere ich mich an nichts mehr? Und was ist das für ein Tattoo auf meinem Rücken?“ Ein merkwürdiger Schatten huschte über die Gesichter der drei Fremden, als sie das Wort „Tattoo“ hörten. Der Schwarzhaarige seufzte tief. „Du hattest also tatsächlich Recht, Liam. Unglaublich, wie du sowas immer so schnell siehst.“ Der Angesprochene zuckte bloß mit den Schultern. „Natürlich lag ich richtig. So stark wie ihre Aura ist, kann selbst ein Blinder sie eigentlich gar nicht übersehen.“ „Und was machen wir jetzt? Spielen wir wieder Kindergarten?“ Chloé schien von Minute zu Minute gereizter zu werden. Mit ihrem rechten Schuh schürfte sie ungeduldig über den Fußboden, was die letzten kleinen Steinchen des vergangenen Winters wieder aufschreckte. „Du weißt, dass wir ihr es wenigstens erklären müssen. Du kennst die Regeln. Wir haben sie zuerst entdeckt, also liegt es an uns, ihr zu helfen.“ Riley war die Nervosität anzumerken, die ihn beschlich, wenn er mit der Blondine sprach. Obwohl sie so zierlich wirkte, schien sie es trotzdem faustdick hinter den Ohren zu haben. „Streber“, zischte sie und Riley schien darüber ein bisschen pikiert. „Ist mir ziemlich egal, was ihr mit ihr macht. Ich habe meinen Teil erfüllt und sie ausfindig gemacht. Lehrer dürft ihr jetzt spielen.“ Noch bevor Liam den Satz zu Ende gesprochen hatte, hatte er den anderen bereits den Rücken zugedreht und sich einer Gruppe von Studenten angeschlossen, die gerade aus Richtung Universität tiefer in die Stadt ging. Zwei davon begrüßten ihn sofort mit Handschlag und nur eine Sekunde später war er in der Traube der Studenten nicht mehr zu sehen. Chloé schnaubte. „Vergiss es, Riley. Das ist nun wirklich nichts für mich. Such dir jemand anderes!“ Damit schien das Thema auch für Liams Schwester gegessen zu sein und nur einen Augenblick später standen Riley und Eyleen alleine auf dem Fußweg.   Für einige Zeit blieb es still, während sie ein wenig verdutzt dem Geschwisterpaar hinterher blickten, ohne sie zu sehen. Erst durch das laute Seufzen des jungen Mannes, sah Eyleen wieder zu dem einzigen verbliebenen Gesprächspartner. „Okay, dann machen wir das eben so. Wie immer.“ Ein leicht gequältes Lächeln breitete sich auf Rileys Gesicht aus. „Tut mir leid, dass die beiden sich gerade so aufgeführt haben. Wenn man sie näher kennt, sind sie wirklich nette Leute.“ Das war zu viel auf einmal. Plötzlich war die Wut wieder da. „Das ist mir eigentlich herzlich egal, was die zwei sonst für Menschen sind! Bei mir geht gerade alles fürchterlich schief und dann kommen die daher und dann das! Einer guckt mich an, als hätte ich sein Lieblingshaustier überfahren – mehrmals! - und die andere konnte mich schon nicht leiden, bevor sie mich überhaupt das erste Mal gesehen hat! Und dann labert der noch irgendwas von Dämonen – Dämonen! -, nur um sich dann wortlos zu verziehen! Das ist gerade alles, was mich interessiert!“ Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen wusste Riley nicht, ob er sich wegen seiner Schüchternheit verkriechen oder über Eyleens Wutausbruch lachen sollte. Jedenfalls zuckten seine Mundwinkel gefährlich, was er aber mit größter Mühe zu unterdrücken versuchte. Doch er unterbrach sie nicht, solange sie etwas zu sagen hatte.   „Und du?“, fragte die Blondine weiter und stemmte ganz unbewusst die Hände in die Hüften. „Lässt du mich mit diesen blöden Nicht-Informationen jetzt auch alleine hier stehen und lachst dir beim Gehen leise ins Fäustchen?“ Das schien für den jungen Mann das Zeichen zu sein, sich auch mal zu Wort zu melden. „Nein, das werde ich nicht. Ich werde dir alles erklären, so gut ich kann.“ Er lächelte freundlich „Aber ich befürchte das wird eine lange und verwirrende Geschichte. Wir sollten uns lieber ein wenig hinsetzen.“   Das Café war klein, aber sehr gemütlich. Bilder von Blumen und Wiesen säumten die hellgrün gestrichenen Wände. Die Wand am Eingang war komplett verglast und mit Spitzengardienen verhangen. Trotzdem boten die Fenster einen Blick auf die Straße, wo das Café-Personal Blumenkübel mit Pflanzen in allen Farben aufgestellt hatte, um die dort befindlichen Tische ein wenig vor den Blicken des Durchgangsverkehrs zu schützen. Der Tresen, in dem sie unheimlich lecker aussehende Torten, Kuchenstücke und anderes Gebäck aufgereiht hatten, war aus einem dunklen, edlen Holz gefertigt und stach angenehm aus dem Meer aus hellen Ledersesseln heraus. Ein verführerischer Duft von Backwaren hing in der Luft, der jedem beim Betreten des Cafés sofort den Magen knurren ließ. Zumindest, wenn dieser nicht gerade aus anderen Gründen streikte. Eyleen hatte diesen Ort noch nicht gekannt, aber ihn gleich für einen (hoffentlich stattfindenden) nächsten Ausflug mit Mia vorgemerkt.   Aber vor allem war es leer. Außer Riley und Eyleen war nur eine Gruppe aus drei älteren Damen anwesend, die sich im vorderen Bereich nieder gelassen hatten und gemütlich einen Kaffee tranken. Die beiden hingegen saßen in einer Ecke ganz am Ende des Raums, wo sie möglichst weit vom Tresen und der Toilette entfernt waren, um ungestört reden zu können. Die zwei Tassen Kaffee standen bereits vor ihnen, als Riley ein wenig widerwillig zu erzählen begann. „Das, was ich dir jetzt erzählen werde, wird in deinen Ohren einfach unglaublich klingen. Aber du kannst mir glauben, Eyleen, es ist alles wahr. Ich war selbst am Anfang mehr als skeptisch und hab das alles auch nur schwer glauben können. Doch das letzte Jahr war das Verrückteste meines Lebens.“ Als die Blondine nicht darauf einging, fuhr er fort. „Dieser Laden. Das „Tribal“. Jeder von uns hat ihn in seinem Leben schon einmal gesehen. An ganz unterschiedlichen und teils auch verrückten Orten. Und wir alle sind seinem Ruf gefolgt.“ Ganz automatisch lehnte Riley sich über den Tisch und sah Eyleen direkt ins Gesicht. Seine braunen Augen funkelten vor Aufregung. „Weißt du, nicht jeder Mensch kann dieses Geschäft sehen. Nur ganz bestimmte, auserwählte Personen bekommen die Möglichkeit zu wählen und die meisten davon lehnen unbewusst ab. Es ist so, dass das Tribal diesen Menschen einmal in ihrem Leben erscheint. Irgendwann zwischen dem 15. Und 20. Lebensjahr. Er taucht einfach aus dem Nichts auf und scheint diese Person irgendwie zu rufen.“ Er betonte das letzte Wort besonders und Eyleen wusste sofort, was er damit meinte. Ein kalter Schauer lief über ihren Rücken, als sie sich an den Moment zurück erinnerte, in dem ihr die Neonbuchstaben aufgefallen waren. Es war, als gäbe es nichts anderes auf dieser Welt. Zögerlich nickte sie. „Wer sich entscheidet, dem Ruf nicht zu folgen, der wird einfach vergessen und nie wieder auch nur daran denken. Wer jedoch den Laden betritt … Jeder erzählt dort eine andere Geschichte. Manche bekommen alles um sich herum mit, andere fallen sofort in Ohnmacht. Es kommt immer auf den Menschen drauf an. Am nächsten Tag jedoch wacht man einfach Zuhause auf, ohne sich an viel erinnern zu können.“ Das mulmige Gefühl in ihrem Magen wurde stärker. „Ich habe… alles nur sehr verschwommen gesehen“, meinte Eyleen leise und fühlte sich sofort an diesen Albtraum erinnert, der anscheinend wirklich kein Traum gewesen war. „Ging mir nicht anders. Dort gibt es Wesen, die keinen Namen haben. Sie haben beinahe … vogelartige Krallen statt Hände und sie bewegen sich völlig lautlos. Nur ihre Berührung spürt man. Und sie brennt wie Feuer.“ Sofort war die junge Frau hellhörig. Das Brennen … Sie erinnerte sich daran. „Was tun denn diese Wesen? Was wollen sie von mir?“ Sie schluckte hart, doch der Kloß in ihrer Kehle ließ sich nicht vertreiben. Er schnürte ihr die Luft ab. „Du hast es doch heute Morgen bestimmt selbst gesehen, erinnerst du dich?“ Kalter Schweiß trat auf ihre Stirn. Natürlich. „Die Linien …“, hauchte sie beinahe tonlos und Riley nickte. Er lehnte sich noch etwas weiter über die hellgelbe Tischdecke. „Ja, genau. Dieses Tattoo nennt man „Tribal“. Wie den Laden selbst auch. Tribal ist eine Art der Tätowierung, die aus vielen, schwarzen Linien besteht. Genau so, wie wir es auf dem Rücken tragen. “ Erst langsam begriff Eyleen, was er ihr damit sagen wollte. „Du … besitzt auch ein Tattoo?“ Ein kleines Lächeln huschte über seine Lippen. „Genau wie Liam und seine Schwester, ja. Wir alle sind dem Ruf gefolgt und tragen nun das Zeichen auf unserem Rücken. Das Tattoo, was diese Wesen mit ihren krallenartigen Fingern direkt in unsere Haut tätowieren. Und nur andere Tätowierte – wir nennen uns Tri's - sind in der Lage, es überhaupt zu sehen. Aber das ist noch längst nicht alles.“ Er lehnte sich ein Stück zurück und nippte an seinem Kaffee. Sein Blick schien sich auf einen fernen Punkt zu konzentrieren, den Eyleen nicht sehen konnte.   „Das Tattoo ist aber noch nicht vollständig“, erklärte er weiter. „Es ist nämlich so, dass sich das Tattoo im Laufe des Lebens erweitert. Selbstständig.“ Langsam wurde es wirklich zu abstrus. Wollte er ihr ernsthaft weiß machen, dass sich ein Tattoo ohne Tätowierer selbst erweitert? Wie sollte das denn bitte möglich sein? Riley spürte ihre Ungläubigkeit und zuckte kurz mit den Schultern. „Es ist wirklich so, glaub mir. Keiner weiß genau, wie das funktioniert, aber es tut genau das. Bis zu fünf Erweiterungen kann es geben, auch wenn nur wenige diese Zahl erreichen. Man sagt, dass die zusätzlichen Tattoos die herausragenden Wesenszüge des jeweiligen Menschen symbolisieren. Deshalb gibt es auch keine zwei gleichen Exemplare, auch wenn das Grundgerüst immer dasselbe ist.“ „Das klingt zu verrückt“, Eyleen stöhnte. Plötzlich meldeten sich die Kopfschmerzen wieder zurück. Sie ließ ihren Kopf in die auf dem Tisch aufgestellten Hände sinken und rieb sich die Stirn. Ihr Blick lag auf der pastellfarbenen Tischdecke. „Wie soll das funktionieren? Und warum das alles? Das klingt wie … Magie und es gibt keine Magie.“ „Ist es wirklich Magie? Ich weiß es nicht. Ich konnte es selber lange nicht glauben. Aber die erste Erweiterung kommt sogar schon nach den ersten 24 bis 48 Stunden. Wenn du es selber siehst, wirst du es mir wahrscheinlich glauben können.“ Sie schüttelte kaum merklich den Kopf. Verrückt. „Ich selber besitze bisher zwei zusätzliche Symbole: Ein Pi-Zeichen, was wohl dafür steht, dass ich sehr gut in Mathe bin oder allgemein sehr viel weiß - intelligent bin -, und ein japanisches Symbol für Freundlichkeit und Vertrauen. Ich bin und bleibe eben ein computerverrückter Nerd.“ Seine Stimme war gen Ende hin plötzlich sehr leise geworden und ein leichter Rotschimmer legte sich auf seine Wangen. Beschämt wandte er sich ab und sah sich erst mal in dem inzwischen komplett leeren Café um. Noch einmal nippte er an seinem Kaffee. „Na ja, niemand kann genau sagen, für was die Symbole stehen. Nur der jeweilige Träger scheint sich so gut einschätzen zu können, um das Geheimnis hinter der Symbolik deuten zu können. Trotzdem kann ein und dieselbe Eigenschaft bei verschiedenen Menschen andersartige Zeichen besitzen. Zum Beispiel habe ich schon einige Leute getroffen, die völlig unterschiedliche Bilder für die Eigenschaft Mut besaßen. Einen Löwen, zum Beispiel, oder eine Rune, wie Liam sie trägt. Oder sogar das Wort selbst. Wie gesagt, es gibt keine zwei gleichen Tattoos auf der Welt. Jedes ist für sich einzigartig. Wie ein Fingerabdruck.“   „Das ist einfach verrückt“, murmelte Eyleen durch ihre dunkelblonden Haare hindurch, die sich mittlerweile vor ihr Gesicht geschoben hatten. Wie oft hatte sie dieses Wort an diesem Tag eigentlich schon gesagt? „Ja. Ja, das ist es“, stimmte Riley ihr zu und seufzte leise. „Aber das ist bei weitem noch nicht das Verrückteste.“ Einen kurzen Moment blieb es still. Er suchte wohl nach den richtigen Worten. Eyleen sah jedoch nicht auf. „Du hattest mich gefragt, warum das alles, nicht wahr? Natürlich hat das auch einen bestimmten Grund. Sogar einen ziemlich gefährlichen …“ Er seufzte erneut. „Du hast doch sicherlich schon mal im Fernsehen von Menschen gehört, die abgrundtief Böses getan haben. Und du hast garantiert auch schon den Satz gehört, dass kein Mensch von Geburt an böse ist, stimmt’s? Und genauso ist es. Liam hatte doch vorhin das Wort Dämon erwähnt, du erinnerst dich? Und, so verrückt es auch klingen mag, es gibt sie wirklich. Sie leben sozusagen unter uns. Wir konnten sie bisher nur nie sehen.“ Das war das Stichwort für Eyleen aus ihren Haaren aufzutauchen. Plötzlich lag ein harter Ausdruck in ihren Augen. „Das Thema wieder? Erst erzählst du mir von Vogelmenschen, die mit ihren Fingern tätowieren, dann sagst du, dass diese Tattoos sich von Zauberhand selbst erweitern, wenn sich eine bestimmte Eigenschaft herauskristallisiert und dann soll ich auch noch glauben, dass es Dämonen gibt? Ich glaube, langsam hast du mir genug Schwachsinn erzählt. Ich sollte wohl besser gehen.“ Noch bevor sie sich ganz von ihrem Stuhl erhoben hatte, war Rileys Hand bereits nach vorne geschnellt und umfasste nun ihren Unterarm. Ein wenig verwirrt sah sie ihn an. Sein Gesicht war trotz all der Märchengeschichten tot ernst. Ein Flehen lag in seinen Augen. Das Flehen, dass sie ihm doch glauben sollte. Eine Tatsache, die die Blondine sich zum wieder Hinsetzen bewegte. Sofort zog der Schwarzhaarige seine Hand zurück. „Eyleen, ich weiß, wie abartig das alles klingt! Und ich weiß auch, dass du mir das alles gar nicht glauben kannst! Jeder vernünftige Mensch würde an meinen Worten zweifeln und alles als Humbug abtun! Aber bitte, hör mir bis zum Ende zu. Du wirst später merken, dass ich die Wahrheit sage!“ Einige Minuten verstrichen, in denen sie sich bloß schweigend ansahen.   Erst, als die Kellnerin plötzlich an ihrem Tisch stand, tauchten die beiden aus ihren Gedanken auf. Mit einer flüssigen Bewegung nahm sie Rileys leere Tasse hoch und lächelte ihn freundlich an. „Darf es noch etwas sein?“ Riley lächelte zurück. „Ja, bitte noch einen Kaffee und dazu ein Teller mit diesen kleinen, belegten Baguettes.“ Die Kellnerin nickte, sodass ihr schwarzer Haardutt bei jeder Bewegung mitschwang. „Kommt sofort.“ Nach nur gut zwei Minuten war sie bereits wieder am Tisch, um das Bestellte abzuliefern. „Lassen sie es sich schmecken!“ Sie lächelte erneut ihre Gäste an und verschwand wieder hinter den Tresen. „Bedien dich ruhig, die sind lecker!“, meinte Riley, als er sich ein kleines Lachsbaguette nahm und genüsslich hinein biss. Wie auf das Stichwort begann nun Eyleens Magen zu rebellieren, was sie aus ihrer Starre holte. Sie folgte dem Angebot ihres Gegenübers und bediente sich ebenfalls von dem Teller. Tatsächlich legte sich die Übelkeit in ihrem Magen, sobald das Essen ihn erreicht hatte.   „Soll ich weiter erzählen?“ Ein wenig Sorge schwang in seiner Stimme mit, was Eyleen einerseits schmeichelte und andererseits beschämte. „Es gibt also Dämonen, ja? Wie diese in den Filmen? Aber wieso hat sie dann noch niemand gesehen? Und was hat das alles mit dem Tattoo zu tun?“ So viele Fragen und es kamen ständig neue hinzu! „Ja, es gibt sie wirklich. Aber sie sind nicht so, wie man sie aus Gruselgeschichten kennt. Normalerweise besitzen sie keinen physischen Körper, sondern sind eine Art böse Geister. Geister, die mehr und mehr versuchen in unsere Welt einzudringen. Und das ist unser Problem. Du kannst dir das so vorstellen, als gäbe es eine Tür zwischen unserer ganz normalen Welt und der Welt der Dämonen. Doch seit einiger Zeit sind die Dämonen so stark und mächtig, dass sie es schaffen die Tür aufzudrücken und einigen von ihnen gelang es dadurch zu uns zu kommen. Ich weiß, das klingt wie aus einem schlechten Fantasy-Roman, aber das trifft es ziemlich genau.“ Eyleen kniff die Augen zusammen und ließ ihren Kopf wieder auf die Hände sinken. Diese Kopfschmerzen! „Du meinst also, dass Dämonen durch eine eigentlich geschlossene Tür zwischen zwei Parallelwelten zu uns hinüber kommen? Bösartige Geister, die niemand sieht?“ „Genauso ist es. Und weil diese Dämonenwesen keine feste Form haben, nisten sie sich in den Menschen ein.“ „Die nisten in Menschen?“, sagte Eyleen ein wenig zu laut und sah, wie die schwarzhaarige Kellnerin von eben den Kopf hob und in ihre Richtung blickte. Schnell lehnte sie sich ein Stück weiter über den Tisch und senkte ihre Stimme. „Soll das etwa heißen, dass in uns diese Geisterdämonen leben?“ Ein trauriges Lächeln legte sich auf seine Lippen. Sie wusste, was das bedeutete. „Man befürchtet sogar, dass jeder Mensch von einem Schattenwesen besessen ist. Jeder einzelne auf dieser Erde. Sie schleichen sich in die Träume kleiner Kinder und wachsen mit ihnen heran. Wir vermuten, dass diese Dämonen, von denen es stärkere und schwächere gibt, das Herz eines Menschen nach und nach vergiften, bis dieser sich nicht mehr gegen ihn wehren kann. An dieser Stelle übernehmen die Dämonen diesen Menschen und lassen ihn böses tun. Morde, Anschläge, Verbrechen … Ein Großteil dieser Gräueltaten ist auf das Werk dieser Schattenwesen zurückzuführen.“   „Sie sorgen dafür, dass Menschen Andere töten?“ Ihre Stimme war leiser als ein Flüstern. Sie bekam kaum noch Luft. Der Kloß in ihrem Hals schien sie erwürgen zu wollen. Das Blut in Eyleens Körper war zu Eis erstarrt. „Leider ja. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der menschliche Geist den Dämonen nachgibt. Und je böser die Menschen werden, desto mehr Kraft gewinnen die Schattenwesen. Wir befürchten, dass sich die Macht der Dämonen auf einem kritischen Level befindet. Wenn sie es schaffen, stark genug zu werden und das Tor zur anderen Dimension – wir nennen sie passend: die Hölle – zu öffnen, dann wird die Welt wie wir sie kennen wohl bald schon nicht mehr existieren.“ „Und was haben wir damit zu tun?“, hauchte Eyleen tonlos. Sie fühlte sich, als hätte sie keinen Funken Energie mehr ins sich. „Wir Tri's, die dem Ruf des Tribals folgen und das Zeichen tragen, haben die Möglichkeit diese Wesen zu bekämpfen. Nur wir können verhindern, dass die Dämonen weiter ihre Kräfte sammeln.“ „Und wie?“ Sie öffnete ihre Augen erneut und ließ sich in den Stuhl zurück sinken. Plötzlich völlig ausgelaugt sah sie ihren Gesprächspartner an. Obwohl das alles so abstrus, so verrückt klang, war etwas in ihr, was sie davon abhielt weiter daran zu zweifeln. Sie hatte das Gefühl, als würde die Zeit ihr den Weg weisen. „Tattoo-Träger scheinen eine gewisse Immunität gegen das Gift der Dämonen entwickelt zu haben. Warum und weshalb es zum Beispiel gerade dich und mich getroffen hat, kann jedoch niemand sagen. Zwar sind wir immer noch anfällig für ihren Einfluss, können diesen aber besser kontrollieren. Es ist uns möglich die Schattenwesen zu bekämpfen. In der einzigen Umgebung, in der sie existieren können: den Träumen anderer Menschen.“   Wie sie nach Hause gekommen war, wusste Eyleen nicht mehr. Sie war wohl kurz weggetreten – ohnmächtig – gewesen woraufhin Riley die Geschichtsstunde für beendet erklärt und sie nach Hause gebracht hatte. Nun stand sie in dem kalten, dunklen Flur ihrer Wohnung und starrte einfach nur vor sich hin. So vieles ging ihr durch den Kopf, doch gleichzeitig hätte sie schwören können, dass er völlig leer war. Immer wieder kam ihr das Wort „verrückt“ in den Sinn, denn genau das war das alles. Wie sollte sie das Mia bloß erklären? Vor allem, wenn sie es nicht mal durfte? Nicht viel von dem, was Riley auf dem Heimweg zu ihr gesagt hatte, war auch wirklich zu ihr durchgedrungen. Nur diese eine Tatsache: es war verboten mit anderen Menschen darüber zu sprechen, damit keine Panik ausbrach. Panik. Genau. Das war auch die richtige Reaktion, wenn man erfuhr, dass in seinem Körper ein Dämon haust, der versucht einen zum Massenmörder zu machen. Und Panik würde wohl alles nur noch schlimmer machen …   Es war still in der Wohnung. Trotzdem wusste sie, dass jemand da war. Doch dieser jemand sprach anscheinend noch immer nicht mit ihr, denn auch das laute Poltern im Flur hatte keine Reaktion hervor gebracht. Sie hatte sich noch nie so allein gefühlt. Noch bevor sie an die Tür klopfen konnte, gaben die Beine unter ihr nach und sie sackte vor der Zimmertür ihrer besten Freundin zusammen. Kraftlos lehnte sie ihre Stirn gegen das Holz. „Mia? Kannst du mich hören?“ Die Momente verstrichen, doch keine Regung war hinter der Wand zu vernehmen. Eyleen räusperte sich, um ihren staubtrockenen Mund zu befeuchten. „Es tut mir leid, hörst du? Ich kann dir leider nicht sagen, was gestern passiert ist. So sehr ich es auch will. Aber du musst mir dieses eine Mal einfach so vertrauen. Ich verspreche dir, ich werde nie wieder einfach so verschwinden, aber ich brauche meinen Freiraum und meine Geheimnisse – mehr denn je.“ Salzige Tränen brannten auf ihrer Wange und sie musste ein Schluchzen unterdrücken. Sie war am Ende ihrer Kräfte. „Bitte verzeih mir. Du bist der einzige Mensch auf der Welt, der mir noch etwas bedeutet. Ich hab dich lieb, Mia.“ Keine Reaktion.   Sie machte sich nicht einmal die Mühe ihre Kleidung zu wechseln und bevor sie auf der Matratze ihres Bettes angekommen war, hatte die Erschöpfung sie bereits in einen tiefen Schlaf fallen lassen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)