Was es heißt zu leben von Maede ================================================================================ Kapitel 1: Schwere Bürde ------------------------ Was es heißt zu leben Kapitel 1 Schwere Bürde Bei jedem Atemzug stehen wir vor der Wahl, das Leben zu umarmen oder auf das Glück zu warten* „Vergib mir Onkel, doch ich kann es nicht.“ Kíli hielt den Kopf gesenkt, während er die wenige Worte sprach. Seine braunen Augen fixierten das Kopfsteinpflaster zu seinen Füßen. Nur wenige Schritte neben ihm standen seine Mutter und sein Bruder. Beobachteten schweigend, was sich zwischen dem König unter dem Berge und dessen Neffe abspielte. Unbändige Wut ließ Kílis Leib erbeben, doch wagte er nicht seinem Onkel jene Worte entgegenzusetzen, welche in seinem Innern brannten. Schier endlose Qualen litt sein Herz, wenn sich der junge Zwerg auch nur einen Moment lang ausmalte, was sein König von ihm verlangte. So war die Schlacht der fünf Heere gerade erst gewonnen. Ihre Heimat gerade erst zurückerlangt. So fühlte es sich zumindest an. Alles war noch so neu, so ungewohnt, so unbedacht. Kaum eine Schlacht geschlagen, als dass das Horn bereits zur nächsten bläst. Aber nicht um in die Schlacht um Leib und Leben zu ziehen. Nicht für einen König. Nicht für Gold. Nicht für Land. Nicht einmal für ein größeres Ziel. Nein. Dieser Kampf galt nur ihm allein. Seinem Leben. Seiner Zukunft. Und dem Rest seines Daseins. Und kaum das seines Herzens Sehnsucht kalt wie Stein ihre letzte Ruhestätte gefunden hatte, sollte der junge Zwerg einer anderen den Hof machen. Vorspielen und gaukeln, was er nicht einmal eine einzige Sekunde seines Lebens empfunden hatte. Ewige Liebe und Treue schwören, die er bereits einer anderen versprochen hatte. Wenn auch nur im Herzen. Denn gab es für ihn und Tauriel niemals eine Zukunft. Niemals einen Moment, in dem er ihr alles hätte sagen können, was er doch tief in seinem Innern empfunden hatte. War sie bereits weit entfernt für ihn gewesen, als sie noch an seiner Seite stand. Er ihren Atem hören konnte und die Wärme ihres Fleisches spüren, so war sie nun an einem Ort unerreichbar für Kíli. An einem Ort, an welchen er ihr am liebsten gefolgt wäre. Hätte sein Bruder ihn nicht zur Vernunft gebracht. Vernunft, die dem Jüngeren scheinbar nun zum Verhängnis wurde. Ein grausames und unbarmherziges Schicksal. Lieber ein kaltes, feuchtes Grab, als diese Bürde. Lieber umgeben von nacktem, kargem Stein, als gefangen in einer Ehe mit einer anderen Frau, welcher er nicht einmal kannte. Dazu verdammt zu sein, einsam und allein zurück zu bleiben in dieser Welt. „Kíli.“, sprach sein Onkel auf den jungen Zwerg ein und legte ihm väterlich eine Hand auf die Schulter. Eine Geste, welche dem Bogenschützen so vertraut war, wie die Stimme des Mannes, welcher vor ihm stand. Niemals wäre Kíli in den Sinn gekommen, am Urteil seines Onkels zu zweifeln. Schätzte und vertraute er seinem König so sehr, wie einem Vater. Thorin hatte ihn an der Seite seiner Mutter groß gezogen, nachdem ihr Vater gestorben war. Tatsächlich konnte sich der Jüngere nicht einmal an ihn erinnern. Nicht an seine Stimme oder wie sein Vater aussah. Man hatte ihm nur erzählt, dass sein Bruder eine große Ähnlichkeit mit ihm zu haben schien. Und so wurde sein Onkel zur ganzen Welt für Kíli. Ihm eiferte er nach. Zu ihm hatte er stets aufgeblickt. Zu ihm hatte er vertrauen. Doch nun, war der Jüngeren in seinen Grundsätzen zutiefst erschüttert. Verlangte sein Onkel doch etwas unaussprechliches von ihm. „Ich würde es nicht von dir verlangen, wenn ich nicht sicher wäre, dass es das Beste für dich wäre. Du musst endlich wieder leben und aufhören im Schatten zu wandeln. Du hast dich bereits viel zu lange deinen Träumen mit diesem Elbenweib hingegeben.“ Die Schulter des Jüngeren fester packend, spürte dieser einen sachten Ruck durch seinen Körper gehen. Als wolle sein Onkel ihn leicht wachrütteln und aus einem traumlosen Schlaf aufwecken. „Doch sie ist tot, Kíli. Sie wird nicht zu dir zurückkehren. Und es ist an der Zeit, dass du deinen Platz in diesem Königreich wieder einnimmst. Wieder beginnst zu leben.“ Seinem Neffen den Rücken zudrehend, schritt der König unter dem Berge auf eines der wenigen Fenster zu, welches Licht und Leben in den einsamen Berg hineinließen. Von hier aus hatte Kíli stets das Gefühl gehabt, ganz Mittelerde erblicken zu können. Vor ihm schien sich die ganzen Welt zu erstrecken. Doch bedeutet dies nichts. Im Angesicht dessen, dass Tauriel fort war. Und nicht mehr zurückkehren würde. Im Angesicht dessen, was sein König von ihm verlangte. Welcher mit verschränkten Händen hinter dem Rücken nach draußen blickte und scheinbar keinerlei Notiz von den Qualen seines Neffen nahm. „Ich kann es nicht länger dulden, dass du in deinen Erinnerungen verweilst und deine Pflichten vergisst. Auch die Zeit der Trauer, muss einmal ein Ende haben.“, fuhr Thorin unerbittlich fort und plötzlich war jegliche väterliche Zuneigung in seiner Stimme verschwunden. Nun sprach er nicht mehr als Onkel, sondern als König zu seinem Neffen, das wusste Kíli. Und dieser König duldete keine Widerrede. Hatte niemals Gehör für die Einwände seines Gegenübers. Dies schürte den Zorn des Bogenschützen. „Und meine Pflicht ist deiner Meinung nach die Heirat in ein anderes Königshaus? Mein Zuhause und meine Familie zu verlassen? Mein Herz einer anderen zu schenken, kaum dass die, die mir nah war, zu Grabe getragen wurde? Wie soll ich nur jemals- “ „Du hast dich dem zu fügen, was ich dir auftrage.“, unterbrach der König unter dem Berge seinen Neffen und neigte nur ein wenig den Kopf in seine Richtung. Die blauen Augen kalt wie Eis, wagte der junge Zwerg für einen Augenblick nicht zu sprechen. Viel zu oft hatte ihn jener Blick in der Kindheit gestrafft. Ihn zum schweigen gebracht, ganz gleich was ihm auf der Zunge lag. Für einen Moment war es still im Saal und keiner wagte einen Ton zu sagen. Das Gesicht des Jüngeren, eine Mischung aus Fassungslosigkeit und maßloser Enttäuschung, musterte Kíli seinen Onkel mit den Augen und schien einem Mann gegenüber zu stehen, welchen er nicht kannte. Einem vollkommen Fremden. „Was habe ich dir jemals getan, dass du mich derart bestrafst?“ Noch ehe Thorin antworten konnte, hatte sein Neffe auf dem Fuße kehrt gemacht und war aus dem Saal gestürmt. Fílis Stimme erklang kurz, rief den Namen seines davoneilenden Bruders, ehe er ihm nach draußen folgte. Dís sah ihren Söhnen einen Moment nach. Ihre Miene war ein einziges Trauerspiel. Tiefe Sorge war in ihren Augen zu lesen. „Du verlangst zu viel von ihm.“, erklang die Stimme der Zwergin in der bedrückenden Stille der Halle. „Diese Verbindung, mit dem Elbenweib, konntest du nicht gut heißen. Kíli hat das gewusst. Und das diese Tauriel in der Schlacht gefallen ist, mag für uns beide kein schwerer Verlust sein. Doch für meinen Sohn war es das.“, gab Dís unmissverständlich zu bedenken, als sie auf ihren Bruder zuschritt. Erst als sie auf gleicher Höhe waren, blieb die Zwergin stehen. In die Ferne blickend, erinnerte sich Dís an eine Zeit, in der auch ihr Herz über ihren Verstand reagiert hatte. Eine Zeit, in der sie nur Augen für einen Mann gehabt hatte. Für den Vater ihrer Söhne. Und wenn gleich diese Verbindung für ihren Bruder und ihren Vater um ein vielfaches leichter zu ertragen war, so hatte auch Dís um ihre Liebe kämpfen müssen. Zwerge haben ein wachsames Auge auf ihre Töchter und Schwestern. Kein Mann scheint ihnen jemals gut genug für ihre Liebsten zu sein. Nicht einmal der eigene Waffenbruder. „Ich habe meinen Sohn noch nie so leiden sehen, Thorin. Sein Herz ist gebrochen. Sein Lebensmut scheint von Tag zu Tag zu schwinden. Niemandem ist es bisher gelungen, zu ihm durchzudringen. Nicht einmal Fíli. Er spricht mit niemandem. Isst kaum etwas, scheint niemals zu schlafen. Schließt sich am Tage in sein Gemach ein und verlässt nur im Schutze der Nacht sein Zimmer.“ Thorin lauschte den Worten seiner Schwester. Doch keine einzige Gefühlsregung zeigte seine Anteilnahme. Wie zu Stein erstarrt fixierte der König unter dem Berge einen Punkt in der Ferne und weigerte sich, die Zwergin auch nur ein einziges Mal anzusehen. „Kíli hat sie aufrichtig geliebt, Thorin. Und nach allem, was ich weiß, muss dieses Weib ähnlich für ihn empfunden haben. Du kannst nicht von ihm verlangen, sein Herz für eine andere zu öffnen, solange es noch in Trauer verweilt.“ „Ich verlange nicht von ihm, dass er ihr sein Herz öffnet. Nicht einmal, dass er mehr als einmal das Bett mit ihr teilt. Er soll dieses Mädchen zur Frau nehmen, weil diese Verbindung von großem Nutzen ist. Sowohl für mich, als auch für Dáin. Weder seine Nichte, noch Kíli stehen in der Thronfolge an vorderster Stelle. Doch diese Allianz würde eine Brücke zwischen uns und den Eisenbergen schaffen. Eine Brücke die noch stärker ist, als die bloße Blutsbande.“ „Also ist mein Sohn nicht mehr, als Mittel zum Zweck?“, fragte Dís erbost und stellte eine verärgerte Miene zur Schau. „Hast du nun endlich eine Verwendung für meinen Zweitgeborenen gefunden? Fíli sollte schon immer dein Nachfolger werden. Mit diesem Gedanken habe ich mich bereits in der Stunde seiner Geburt abfinden müssen. Doch ich hatte mir für Kíli ein anderes Leben gewünscht. Frei von all diesen Zwängen, welchen auch ich mein ganzes Leben ausgesetzt war.“ „Genug!“, donnerte die tiefe Stimme des König unter dem Berge durch die steinerne Halle. Doch ließ sie seine Schwester nicht eine Sekunde erzittern. Nein. Dís hatte kein Furcht vor ihm. Weder vor ihm, noch vor seinem Zorn oder seiner Missgunst. Schon seit frühster Kindheit, hatte die Zwergin ihrem ältesten Bruder die Stirn geboten und stets ihre Gedanken ausgesprochen. Und nicht selten, hatten diese Thorin nicht gefallen. Doch hatte Dís ein Recht auf ihre Meinung. Mochte ihr Sohn inzwischen ein erwachsener und heiratsfähiger Mann sein, so würde er auch sein ganzes Leben lang ihr Sohn bleiben. Und als solcher würde sie ihr Kind verteidigen, mit allem was ihr zur Verfügung stand. Selbst wenn dies nur ihre Bedenken waren, welche Dís ihrem Bruder darlegte. „Wenn du das von Kíli verlangst, verlieren wir ihn. Für immer. Bedenke doch was dein Handeln anrichten könnte, Thorin.“ „Ich vertraue darauf, dass es das Richtige ist. Und du solltest an meinem Urteil nicht zweifeln.“ Um Beherrschung ringend, suchte die Zwergin nach einer Möglichkeit ihrem Bruder ihre Bedenken begreiflich zu machen. Kíli würde in einer arrangierten Ehe niemals glücklich werden. „Aber versteh doch. Kíli würde es uns niemals verzeihen. Ich kann ihn doch nicht fortschicken…“ „Du tust beinahe so, als wäre jene Aufgabe das Ende der Welt. Doch er ist ein erwachsener Mann, Dís. Er hat die Befehle seines Königs…“, doch dieses Mal war es an der Zwergin den König unter dem Berge das Wort abzuschneiden. Jene Worte sollten seinen Mund niemals verlassen. Thorin sprach mit seiner Familie. Der Einzigen, die er noch hatte. Nicht mit seinem Volk. So sollte er sich auch verhalten und nicht wie ein kampflustiger Gockel mit aufgeplustertem Gefieder herumstolzieren. Befehle erteilen, welchen sich seine Familie, seine Schwester und seine Neffen klaglos zu fügen hatten. Im Moment erkannte Dís ihren Bruder nicht wieder. Erinnerte Thorin sie zunehmend an ihren Großvater zu dessen schlechteren Tagen. Als Habgier dessen Herz vergiftete und er keinerlei Gehör für jene Sorgen seiner Enkelkinder hatte. „Ich verliere meinen Sohn!“, warf die Zwergen ihrem Bruder entgegen. Für einen Moment war es Still zwischen den Geschwistern. Und nur langsam schien der König unter dem Berge jene bedeutungsschwere Worte zu begreifen. „Ich gebe nichts darauf, was du oder Dáin als angemessen erachtet, denn ihr kennt Kíli nicht so, wie ich ihn kenne. Wenn wir ihn fortschicken und ihn diesem Schicksal überlassen, wird das sein Tod sein. Stirbt er doch jeden Tag ein wenig mehr, seit jener Schlacht, welche uns zwar unsere Heimat zurück gebracht, doch mir mein jüngstes Kind geraubt hat.“ Auch wenn es Thorin im selben Moment erzürnte, so wusste er, dass seine Schwester nicht unrecht hatte. Er verlangte viel von seinem Neffen. Vielleicht zu viel. Band ihm eine Bürde auf, welche er im Moment nicht bereit war, zu tragen. Doch diese Verbindung mit dem Elbenweib war niemals guter Hoffnung gewesen. Niemals hätte es für Kíli und Tauriel eine Zukunft gegeben. Ein Leben im Exil hätte den Jungen erwartet. Verstoßen vom eigenen Volk. Und obgleich Thorin wusste, dass dies seinen Neffen vielleicht nicht in völliges Unglück gestürzt hätte, so war er auch nicht bereit zuzugeben, dass er Kíli sehr vermisst hätte. Das ihm der Junge gefehlt hätte und das er alles in seiner Macht stehende getan hätte, um ihn von dieser törichten Tat abzuhalten. Ein Zwerg und ein Elbenweib. Welch ein Gedanke! Doch statt Zuspruch und Verständnis für seine nüchterne Anschauung, sah sich der König unter dem Berge nun dem gleichen trotzigen Gesichtsausdruck gegenüber stehen, welche auch seiner jüngster Neffe zur Schau gestellt hatte. Und wie so oft erkannte er die unübersehbare Ähnlichkeit zwischen Mutter und Sohn. Hitzköpfig. Starrsinnig und leidenschaftlich. Fíli schlug mehr nach seinem Vater. Nicht nur äußerlich. War er viel ruhiger und weniger temperamentvoll als sein Bruder und Vernunftgründen immer zugänglich. Mit einem wütenden schnauben wandte sich Dís von ihrem Bruder ab und verließ den Raum. Wundervoll. Nun hatte er nicht nur seine Neffen, sondern auch noch seine Schwester verärgert, welche ihm eigentlich eine Verbündete in dieser Angelegenheit sein sollte. Das diese schweren Tage die seinen sein mussten, ließ Thorin Jahre älter aussehen. Fortsetzung folgt... *Zitat von Andreas Tenzer, in: Momente der Ruhe Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)