Geheimnisse Mordors von MeropeGaunt ================================================================================ Kapitel 1: Einöde ----------------- Es war ein steiniger, grober Abhang, der sich Sam und Frodo eröffnete, als sie mit den Füßen vor einem dunklen Tal standen. Die Berge waren geschliffen und scharf, und Frodo spürte schon jetzt die Risse in den Händen, die diese Felsen bei ihm hinterlassen würden. Es waren immerhin nicht die ersten, und er wusste, dass seine gerade verheilten Wunden wohl oder übel wieder aufreißen würden, wenn er nicht aufpasste. Frodo sog die kühle, nicht gerade gut riechende Luft ein; mit ihr schmeckte er Feuer und Rauch auf der Zunge, und etwas, das leicht moderig war. Er schluckte. „Sam, ich weiß nicht, ob dieser Abhang hier der beste Weg ist. Siehst du, wie scharf die Felsen sind? Ich glaube nicht, dass ich da...“, begann er, doch Sam's ruhige Stimme drang an sein Ohr, noch bevor er den Satz beendet hatte: „Ich weiß, ich weiß... aber ich glaube, Herr Frodo, uns bleibt nichts anderes übrig. Wir haben uns in der letzten Zeit zu oft verlaufen. Wir müssen hier herunter.“ Frodo, dem unwohl war und der eigentlich hatte dagegen sprechen wollen, nickte leicht, während er Sam's bekümmerten Blick auf sich spürte. Es war schon einige Zeit her, sehr lange Zeit, seit sie sich von ihren Gefährten abgekapselt hatten und den langen und gefährlichen Weg nach Mordor zu zweit eingeschlagen hatten. Sie erinnerten sich kaum mehr daran; es war, als wäre es bereits Jahre her gewesen. Vielleicht waren es aber auch nur Tage gewesen. In der Einöde, den groben Felsen und der Einsamkeit vergaß man nur allzu schnell. Sie waren tagelang im Kreis gelaufen, ohne Orientierung, ohne Sinn für eine Richtung. Alles in diesen unwirklichen Landen sah gleich aus und fühlte sich grausam und kalt an. Frodo konnte schon bald die Schwielen an seinen sonst so zähen Hobbitfüßen zählen; manchmal fand er kleine Risse, die sich tief in die Haut zogen, die daher stammten, dass er von einem Felsen abgerutscht war. Einmal wäre er fast gefallen, und nur Sam's schneller Reaktion und Stärke hatte er es zu verdanken, dass er nicht in die Tiefe und die endlose graue Schlucht gefallen war. Und jetzt das: Sie mussten diese scharfkantige Schlucht hinuntersteigen, weil es keinen anderen Weg gab. Natürlich wusste Frodo das, auch wenn er gern noch einen anderen Weg probiert hätte. Doch nur von dieser Richtung aus sah man von weit, weit entfernt die brennenden Schlunde Mordors und des Schicksalsberges. „Bereit?“, flüsterte Sam leise neben ihm und legte ihm eine seiner großen Hände auf die Schultern, und Frodo, der noch einmal tief einatmete, nickte leicht. „Ja, ich denke schon.“ „Ich gehe vor, denn falls ich falle, lebst du wenigstens noch. Und landest auf etwas weichem, solltest du auch fallen.“ Frodo lachte leise, jedoch nicht lange. Ihm war mulmig zumute. Allzu tiefe Höhen waren ihm noch nie geheuer gewesen. Er sah Sam dabei zu, wie dieser beherzt einen Fuß hinunter setzte; die Steine bröckelten leicht, doch Sam hatte einen festen Griff an einem der Felsen. Langsam setzte er einen weiteren Fuß nach unten, und noch einen, immer gefolgt von mechanischen Handbewegungen, die seinen Halt sicherten. Frodo nahm sich vor, es genau so wie Sam zu machen. Vorsichtig und leicht zitternd setzte er ebenfalls einen seiner Füße in die tiefere Ebene; seine Zehen ertasteten den steinigen Abschnitt, der einen kleinen Vorsprung bildete, auf dem er sich halten konnte. Seine Finger wurden ganz weiß, auch seine Knöchel, als er die harten Steine fest umklammerte, um ja nicht abzurutschen. Anders als Sam, der von Mal zu Mal nach unten sah, um die Entfernung abzuschätzen, wagte Frodo nicht einen Blick nach unten, kein einziges Mal. Nicht einmal, als Sam ihm zur Aufmunterung einen kleinen Witz erzählen wollte, dem Frodo aber nur ein Zischen entlockte. „Sam, bitte! Sprich nicht mit mir. Ich hab Probleme genug mit dem Halten...“ Und kaum hatte er diese wenigen Worte ausgesprochen und das Beben leichter Wut in sich gespürt, da merkte er auch schon, wie sich ein oder zwei Finger vom Gestein lösten. Halt dich fest!, schoss es dem braunhaarigen Hobbit durch den Kopf, dessen Herz nun raste und so heftig pochte, als wolle es schleunigst aus der Brust springen. „Ja, Herr Frodo... Tut mir leid!“, hörte Frodo noch, doch das Pochen in seinen Ohren war heftiger als Sam's leise Worte, die sowieso nicht klar genug an ihn drangen. Blut rauschte in seinen Ohren; sein Hals, an dem schon wieder die kleine Ader heraustrat, die Frodo immer hatte, wenn er aufgeregt war, dröhnte vor Pumpen. Schweiß stand dem kleinen Hobbit auf der Stirn und lief bald als Rinnsal die Seiten seiner Schläfen hinunter. „Nicht mehr weit“, gellte Sam's Stimme zu ihm hoch, während Frodo sich weiterhin krampfhaft an jedem Steinchen festhielt, dass ihm in die Finger geriet. „Hmpf“ war Frodo's schluckende Antwort, die schnell in einem Keuchen unterging. Unten hörte er das leise Klatschen auf Steinboden; das mussten Sam's Füße sein, die nun auf festem Grund standen, und ein lautes „Ah!“ bestätigte Frodo's Theorie. Doch um sicher zu gehen, lenkte er seinen Blick für eine Sekunde Richtung Boden; und Tatsache: Sam stand auf glattem Felsgrund. Erleichtert machte Frodo sich an die letzten Schritte die Schlucht hinunter, während ihm der Schwindel im Kopf dröhnte und der Schweiß langsam an der kühlen Luft trocknete; als er den letzten, überaus zittrigen Schritt in Richtung Erde machte, sackte er fast zusammen; Sam's fester Griff um seinen Oberarm hielt ihn aber oben. „Geschafft, Herr Frodo! Jetzt geht es erstmal nur ein ganzes Stück geradeaus.“, sagte Sam. Frodo, der nur leicht nickte, befreite sich aus Sam's Griff und ließ sich auf einem kleinen Fels nieder, der nahe der gerade bekletterten Steinwand lag. Ihm war so schwindelig, dass ihm übel davon wurde. Sam schien es zu bemerken, denn mit leisen Schritten trat er näher an Frodo heran. „Du bist ganz blass, Herr Frodo“, flüsterte er, während er Frodo den kleinen Trinksack mit Wasser reichte, und ebenfalls ein kleines Tuch, dass er aus seiner Hosentasche gezogen hatte. Frodo atmete schwer und nahm erleichtert einen Schluck aus dem Wassergefäß; das kühle Nass tat dem Schwindel gut und seiner trockenen Kehle erst recht. Er nahm ein Poltern wahr; Sam hatte seinen schweren, mit allerlei Sachen beladenen Rucksack abgelegt und schien einige Dinge herauszuholen, um Rast zu machen. „Bleiben wir hier?“, fragte Frodo, bevor er noch einen guten Schluck nahm. Der Schwindel war schon fast wieder weg. „Ja, würde ich sagen. Du bist so blass wie ein Ork in der Sonne. Du brauchst einen Happen zu essen. Schade, dass wir bei dieser Einöde nicht jagen können und nicht einmal ein paar Pflanzen hier sind... Also gibt es wieder mal nur Lembasbrot.“, antwortete Sam, während er nach den kleinen, grünen Paketen wühlte. Frodo seufzte; er ließ ebenfalls seinen kleinen Rucksack von den Schultern hinunter. Seine Schultern taten unheimlich weh; als er sie leicht rollte, knackten sie. „Mir tut alles weh. Ich hasse die Gegend.“, sagte er, während er Sam dabei zusah, wie dieser immer noch nach den Stücken des Brotes suchte. „Ja, ich auch, Herr Frodo. Aber das hilft uns nichts weiter.“ „Ich weiß. Wenn es doch nur mal etwas Vernünftiges zu essen geben würde. Ich komme mir vor, als würde ich jeden Tag dünner werden.“ „Du hast auch schon gewaltig abgenommen, ich hab es wohl gesehen. Du schnallst deinen Gürtel schon etwas länger enger als zuvor.“ „Mag sein... Was gäbe ich jetzt für einen Braten...“ Sam murrte und schien den Gedanken an Braten fast zu verführerisch zu finden; jedoch lenkte ihn das Finden des Lembasbrotes in den Tiefen der Tasche ab. „Hier, Herr Frodo.“ Er warf Frodo ein großes Stück Brot zu; Frodo fing es auf und betrachtete es einen Moment lang, bevor er ein Stück abbrach und es aß. Es schmeckte wie immer. Wenn man immer nur dasselbe zu essen bekam, wurde selbst das köstlichste Mahl irgendwann zu einer Katastrophe. Doch Sam's gute Laune ließ sich auch hierdurch anscheinend nicht vertreiben, als er ebenfalls abbiss und ironisch zu schwärmen begann: „Hmm, lecker. Ich könnte dieses Lembasbrot jeden Tag essen. So frisch und so... mmh. Durch nichts zu ersetzen. Bratkartoffeln? Pah!“ Frodo lachte, während er aß; es tat gut, dass wenigstens Sam immer seine gute Laune zu behalten schien, während Frodo von Tag zu Tag schlechter drauf war. „Du Sam.... wenigstens behältst du immer deine Laune.“, schmatzte Frodo. „Ja, einer muss es ja! Aber Herr Frodo, ich kann es ja nur nachvollziehen, wie es dir gehen muss.. mit dem Ring.. ist er immer noch so schwer?“ Frodo brauchte einen Moment für seine Antwort; seine freie Hand tastete nach der silbernen Kette, an der sich der Ring befand. Kühl war er und schwer; wie immer. Wie ein Klotz baumelte dieses Scheusal an seinem Hals und riss Tag für Tag mehr eine Kerbe in seine Haut – und in seine Seele. „Er schneidet und ist schwer, aber das ist er immer...“ „Wollte nur wissen, ob es schwerer wird, je näher wir...“ „Ja, jeden Tag. Aber mach dir keine Sorgen. Ich wurde ja schließlich auserwählt, ihn zu tragen, also trage ich ihn.“ „Ja, Herr Frodo...“ Einen Moment aßen die beiden Hobbtis schweigend weiter, während nur ein leichter, jedoch irgendwie schneidender Wind um die Wände und die Schlucht streifte. „Es wird langsam dunkel. Wir sollten uns bald ein Nachtlager suchen.“, schlug Frodo vor, als die beiden aufgegessen hatten und wenigstens für den Moment gesättigt waren. „Ja, gute Idee, geradeaus?“ „Ja, immer der Nase nach.“ Die Hobbits gingen weiter, nachdem sie ihr Gepäck wieder aufgeladen hatten. Frodo's Schultern begannen wieder zu schmerzen. „Hier in der Nähe muss ein ekelhaftes Moor sein. Riechst du das Säuerliche, was der Wind manchmal mit sich trägt?“, erzählte Sam, während die beiden die graue Einöde entlangstapften. „Mag sein... Gandalf hat mir einmal erzählt, auf diesem Weg gibt es irgendwann ein Moor und irgendwann auch noch etwas Grünfläche.“ „Hoffentlich! Ich hoffe, da laufen ein paar Kaninchen rum. Ich würde sie fangen und köstlich brutzeln lassen.“ Frodo knurrte der Magen bei dem Gedanken, obwohl er gerade erst gegessen hatte. Sie liefen noch circa zwei Stunden, als sie an eine etwas gedeckte und versteckte Stelle kamen, einen kleinen Felsvorsprung, unter dem sie übernachten konnten. Der Himmel hatte sich mittlerweile zugezogen; von leicht kühl war es zu bitterkalt gewechselt. Die Nächte waren für Frodo fast noch schlimmer als die Tage. Er nahm sich alles, was er für die Nacht brauchte, aus dem Rucksack und versuchte sich ein möglichst angenehmes Lager zu bereiten. Doch auf hartem Stein war dies fast nie möglich. Sam hatte sich unweit neben ihn gelegt; auch ihm schien der Platz nicht zu behagen. Als sie sich mit leichten Decken und ihren Elbenmänteln zugedeckt hatten und die Dunkelheit sie komplett einschloss, sah Sam noch einmal zu Frodo. Er hatte seinen Körper genau in Frodo's Richtung gedreht, der eingekuschelt nahe der Felswand lag; Sam hatte darauf bestanden, „falls irgendwas angreifen wollte, greifen die zuerst mich an“. Frodo sah Sam an, der den Blick erwiderte. „Vielleicht schläfst du diese Nacht ja mal besser, Herr Frodo.“ „Ich weiß nicht. Fällt mir schwer, einzuschlafen.“ „Ja, es ist so kalt...“ Sam legte seinen Kopf nieder; die dichten blonden Locken bildeten ein perfektes Kissen, während Frodo seinen Kopf in seine eigene Armbeuge gebettet hatte. „Gute Nacht, Herr Frodo.“ „ Nacht, Sam.“ Einen Moment lang lauschte Frodo noch den leisen Klängen von Sam's Atmen, das langsam in einen ruhigeren Rhythmus überging. Er konnte immer sofort einschlafen, während Frodo meistens noch ewig wach lag und fror. Was würde er jetzt für einen warmen, kuscheligen Sessel geben würde, für ein Feuer, für ein Bett-... für eine warme Mahlzeit. Er sah Sam dabei zu, wie der große Brustkorb sich hob und senkte; wie manchmal ein leises Schnarchen ertönte; ob Sam warm war? Frodo griff kurz unter seiner Decke hervor und berührte Sam so leicht am Arm, dass es ihn nicht wecken würde; und in der Tat, Sam's Arme waren warm und wohlig. Frodo ließ seine Hand einen Moment da, genoss die auf ihn wirkende Wärme, bevor er die Hand wieder wegzog und sich fester in seinen Mantel kuschelte. Die Nacht wurde bitterkalt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)