Between the Lines von Karo_del_Green (The wonderful world of words) ================================================================================ Kapitel 25: Von der Kunst, zwischen den Zeilen zu lesen ------------------------------------------------------- Kapitel 25 Von der Kunst, zwischen den Zeilen zu lesen Jeder Muskel in meinem Rücken scheint mit einem Mal zum Bersten gespannt. Ich ziehe die Schultern soweit zurück, dass ich problemlos rückwärts meine Arme verschränken könnte und sehe dabei zu, wie mein Mitbewohner mit undefinierbarer Miene auf mich zusteuert. Er hat eine kleine Falte zwischen den Augenbrauen. Ist er wütend? Verärgert? Sein linker Mundwinkel zuckt. Allerdings in die positive Richtung, nach oben. Es wirkt schelmisch. Also ist er amüsiert? Ich bin verwirrt. Anscheinend braucht meine Emotionserkennung einen Reboot. Mein Blick wandert unruhig zu Abel, der hinter Jeff her trabt und mich mit matten blauen Augen fokussiert. In seinem Gesicht regt sich nichts, außer der permanenten Dämlichkeit. Somit habe ich immer noch kein Anhaltspunkt zu der aktuellen Gefühlslage der einzelnen Parteien. „Und ist es wahr?“, fragt mein Mitbewohner erneut und bleibt unvermittelt vor mir stehen. Sehr nah. Sehr direkt. „Was?“, erfrage ich vorsichtig und sehe unabsichtlich wieder an Jeff vorbei zu Abel. In dessen Gesicht hat sich immer noch nichts getan. Ich könnte auch einen Esel beim Trampeln zu schauen oder einer Kuh beim Kauen. Ich schaue zurück zu meinem Jugendfreund. Dessen Mundwinkelzucken ist noch da. „Dass du Sina halbnackt abserviert hast? Du mieser Filou.“ Mit dieser Aussage stößt er mir seine Handfläche gegen den Arm und ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Ich bin mir gerade nicht mal sicher, was mein Gesicht macht. „Wer erzählt das?“, frage ich atemlos. Ich habe unbeabsichtigt während Jeffs Männergebärden den Atem angehalten und merke schnell den Mangel an Sauerstoff. Wer um Himmelswillen könnten Sina und mich gesehen haben? Es ist doch niemand auf dem Campus. „Sie! Sie hat sich dir lüstern an den Hals geworfen und du hast sie praktisch stehen gelassen“, fasst er malerisch zusammen. Ich greife mir an den Kopf. „Das hat sie dir gesagt?“, frage ich argwöhnisch. Hölle, was hat sie ihm dann noch gesagt? Die Panik findet mit heftigem Herzschlag zu mir zurück. Ich bekomme gleich einen Herzinfarkt. Mit Sicherheit jeden Augenblick. Ich spüre schon den verdächtigen Schmerz in meinem linken Oberarm. Wobei auch das dem Schlag geschuldet sein kann, den mir Jeff verpasst hat. Mein Körper begreift allmählich, dass er auch ohne Zutun einer konkreten Ansage von allein atmen muss. Allerdings begreift er das sehr langsam. Vielleicht helfe ich ihm einfach etwas aus. Atmen. Atmen. Atmen. Beinahe sage ich es laut. „Nein, hat sie nicht. Sie hat mit Kati telefoniert und ich hab es zufällig gehört...“, erklärt er. „Du hast sie belauscht“, stelle ich richtig. Jeff sieht ertappt aus und zögert, bevor er sich rechtfertigt. „Ein bisschen vielleicht... Okay, ja, aber darum geht es nicht!“ Ich runzele die Stirn und sehe ihn entgeistert an. Innerlich kämpfe ich noch immer mit der Aufregung über die mögliche Entdeckung von Kain und meiner sexuell sehr aktiven Neugier. Ich ziehe ein letztes Mal an meiner Zigarette, die sowieso nur noch ein trauriger Stummel voll Asche und Selbstmitleid ist und bereue es. Der Geschmack des Filtermaterials breitet sich auf meiner Zunge aus. Ich verziehe angewidert das Gesicht und schnipse die Zigarette energisch ins Beet. „Die Frage ist eher, wieso lehnst du eine heiße Nacht mit einer hübschen, willigen Frau ab?“ „Wieso nicht?“ „Wer bist du?“, gibt Jeff entgeistert retour. „Echt jetzt?“, frage ich entgeistert, „Du hast das ausschlaggebende Blond vergessen...“ Hört mir eigentlich nie jemand zu? Blond ist nicht mein Fall. „Genau, Robin steht mehr auf dunkelhaarig...schwarz zum Beispiel“, gibt nun auch Abel zum Besten, sieht mich schelmisch an und ich schwöre, dass ich etwas nach ihm werfen würde, wenn ich irgendwas zur Hand hätte. Gern etwas Spitzes, Scharfes oder Schweres. Gern alles zusammen. Mir bleibt allerdings nichts anderes übrig, als bitter zu lächeln. „Also doch die kleine Inderin? Oder vielleicht...“, beginnt Jeff zu mutmaßen und legt grübelnd seine Hand ans Kinn. Nun ist mir doch wieder nach Weinen. Wo ist mein Bett, wenn ich es brauche? Ich will mich einrollen und in Embryonalstellung den Rest meiner Tage fristen. „Verdammt noch mal, sie hat einen Freund!“, belle ich aggressiver als gewollt und unterbreche ihn, bevor er weitere dumme Mutmaßung von sich geben kann. „Als ob dich das stört“, kontert mein Mitbewohner lachend und ich spüre diesen alles beschwörenden Stich mitten ins Herz, der sich schnell in Wut umkehrt. „Klar, weil ich das Arschloch vom Dienst bin...schon verstanden.“ Ich streiche mir durch die Haare und mache das, was ich am besten kann. Mürrisch gehen. Doch diesmal mischt sich Enttäuschung dazu und mein frustrierter, missmutiger Gang ist bei weitem nicht so effektiv und anschaulich. „Robin...so war es nicht gemeint“, ruft mir Jeff hinter. Ich drehe mich noch mal um, lasse ihm eine der Ein-Finger-Gesten zukommen. Allerdings keiner der Netten. Danach schiebe ich meine Hände zurück in die Hosentaschen. Ich fluche leise vor mich hin, während ich ins Wohnheim verschwinde. Verdammt. Vermaledeit und Avada Kedavra. Hätte ich doch mit zwölf meinen Brief bekommen. Ich wäre anscheinend ein vortrefflicher Todesser geworden. Wieso führe ich mich eigentlich so auf? Jetzt wäre der passende Moment gewesen, ihm klar und deutlich mitzuteilen, dass ich die Blondine nicht nötig habe, weil mich ein gewisser Schwarzhaariger viel besser befriedigt. Doch nichts. Ich bin wie ein Volltrottel davongerannt und rege mich jetzt auch noch darüber auf. Irgendwas läuft hier ganz gewaltig falsch. Wieso stelle ich mich an, wie ein Kleinkind, wenn es darum geht, Jeff einfach die Wahrheit zu sagen? Nein, ich stelle mich an, wie eine Primaballerina bei Schokoladeneis essen im rosafarbenen Tütü. Immerhin sagen kleine Kinder immer die Wahrheit, egal ob man sie hören will, oder nicht. Ich allerdings schaffe es nicht einmal, meinem Kindheitsfreund, meinem Jugendfreund und eigentlich auch besten Freund zusagen, dass ich experimentierfreudiger bin als geahnt. Was um alles in der Welt ist mit meiner Schlagfertigkeit und meiner Gelassenheit passiert? Ich verstehe mich selbst nicht mehr. Im Zimmer angekommen führt mein Gehirn weiterhin beharrlich ein lautstarkes Zwiegespräch mit Kopfschmerzen als Nebeneffekt. Ich falle direkt ins Bett und drücke mein Gesicht ins Kissen. Wenn ich lange genug die Luft anhalte, dann haben sich meine Probleme definitiv erledigt. Allerdings ist es keine wirkliche Lösung. Na ja, nur eine endgültige. Ich drehe mich auf den Rücken, starre kurz an die Decke und richte mich gleich wieder auf. Es ist nicht meine Art. Ich setze mich an meinen Computer und schaue seit langem Mal wieder in meine Emails. Brigitta hat mir ein paar Unterlagen zugeschickt. Ich ignoriere sie. Weitere Mails sind von der Fachschaft, AStA und des Qualitätsmanagements der Uni. Es gab bisher nur einen Kurs, bei dem ich beim Ausfüllen des Validierungsbogens wirklich Freude empfand. Methoden der Biochemie und Molekularbiologie beim Frosch. Froschschenkel provencal. Ich habe aus ihm schriftliches Frikassee gemacht. Und es war gut. Richtig gut. Ich zergehe selbst jetzt noch in berauschender Schwelgerei bei der Erinnerung meiner perfekt ausformulierten Diffamierung seiner unqualifizierten Lehrereigenschaften. Hätte ich doch nur sein Gesicht dabei sehen können. Ich finde auch eine Mail der Professorin, die mir das Tutorium aufgedrückt hat in meinem Postfach. Sie bittet mich um einen Terminvorschlag und bestätigt die Worte der hübschen Inderin. Sie sei zufrieden mit meiner Leistung und sie habe gutes Feedback erhalten. Ich kann es nur belächeln, denn ich weiß ja, dass die sogenannte Rückmeldung nur von einer Person kam. Mit dem Gedanken an die schöne Schwarzhaarige kommt auch mein schlechtes Gewissen zurück und frisst sich schmerzhaft langsam durch meine Eingeweide. Danieder ist der kurze Genuss meiner teuflischen Wesensmerkmale. Ich habe mich noch immer nicht entschuldig. Mich nicht erklärt. Auch wenn jegliche Erklärung nichts daran ändert, dass ich mich wie ein Idiot verhalten habe. Mark hat Recht. Ich verdiene den Kompost. Ich ziehe schuldbewusst mein Handy hervor und öffne den Chat mit Shari. Im ersten Moment weiß ich nicht, was ich ihr schreiben soll. Ich tippe mehrere Varianten ein und bin mit keiner zufrieden. Zu Kurz. Zu unpersönlich. Zu unglaubwürdig. Wie entschuldigt man sich richtig? Ich hab es in Grunde nie wirklich gelernt. Lernt man es überhaupt? Nicht-Entschuldigungen sind wesentlich einfacher, weil man die Schuld von sich fortschieben kann und nicht dazu gezwungen ist, sich selbst zu überdenken. Ich bin mir durchaus bewusst, dass ich mich wie ein Vollidiot verhalten habe und auch, dass Shari eine derartige Behandlung nicht verdient hat. Kurzerhand tippe ich genau das ein und sende es ab. Danach atme ich tief ein, lege das Telefon zufrieden zur Seite und falle fast vom Stuhl, als es im selben Moment zu klingeln beginnt. Erschrocken starre ich auf das Display, welches mir Sharis Namen ankündigt und lauthals rumbimmelt. Sie ruft mich an. Jetzt. Wieso? Ich hasse es, wenn Leute unerwartete Dinge tun. Kann sie nicht einfach Blödmann zurückschreiben, wie jeder andere juvenile Smartphoneverrückte auch? Etwas hilflos sehe ich dabei zu, wie es auf meiner Tischplatte tanzt und schlucke schwer. Jetzt nicht ran zu gehen, wäre ein definitives Armutszeugnis. Widerstrebend bestätige ich den grünen Hörer. „Hey…“, entflieht mir langgezogen und zwei Oktaven höher also für mich normal ist. Ein wenig verräterisch, aber was soll ich sagen? Ich bin gerade kilometerweit von meiner üblichen Komfortzone entfernt und führe mich auf, wie der letzte Mensch. Oder auch, wie ein Clown. Der letzte Clown. Urkomisch. „Hey“, erwidert sie mit sanfter Stimme und mein dahin tropfendes schlechtes Gewissen wird zum reißenden Fluss samt Stromschnellen. Das war sicher ihr Plan. Sie weiß, wie süß sie ist und das nutzt sie schamlos los. Wie perfide. Dass es nur ein weiterer fadenscheiniger Versuch ist, die Schuld von mir zu schieben, ignoriere ich wie immer gekonnt. Darin bin ich meisterlich. „Es tut mir leid, dass ich dich verärgert habe, Robin. Ich dachte wirklich, dass…“, beginnt sie aufgeregt, doch ich unterbreche sie sofort. „Himmel, Shari, nein. Du musst dich nicht entschuldigen. Ich hab mich falsch verhalten… also bitte entschuldige. Ich hatte einfach einen beschissenen Tag… und das ist im Grunde auch keine Entschuldigung dafür, dass ich derart scheiße war“, erkläre ich mich. Eher schlecht als recht. Danach folgt betretenes Schweigen auf beiden Seiten, bis Shari leise kichert. „Weißt du, ich habe gar nicht damit gerechnet, dass du rangehst“, bekennt sie lachend. Ich schnaube zustimmend. „Ja, ich auch“, gestehe ich. „Gut, dass du es doch getan hast. Ich hasse es, zu streiten. Wirklich sehr. Ich muss dann immer weinen“, beklagt sie und ich merke so gleich, wie es in meine Magen zu rumpeln beginnt. „Das sagst du absichtlich, um mir ein schlechtes Gewissen zu machen, oder?“ „Funktioniert es?“, gibt sie keck retour. Ja, es funktioniert. Meisterlich. Die Vorstellung, dass Shari wegen mir weint, versetzt mir tatsächlich einen Stich. Ich höre am anderen Ende des Telefons etwas in einer fremden Sprache und die kleine Inderin seufzt theatralisch. „Ja, Papa…“ dringt gedämpft zu mir und nun kann ich mir ein Grinsen nicht mehr verkneifen. Sie antwortet ebenfalls noch etwas auf Hindi. Allerdings scheint es nicht den gewünschten Effekt zubringen, denn gleich darauf vernehme ich erneut das tiefe Brummen ihres Erzeugers. „Ich komme ja… Entschuldige, Robin. Wir haben heute Waschtag und es herrscht blankes Chaos. Meine Brüder laufen seit einer Stunde nur noch in Socken durch das Haus und wir kriegen sie nicht eingefangen.“ Eine urkomische Vorstellung. Ich sage nichts, sondern grinse nur vor mich hin. “Hey, lass uns doch nächste Woche zusammen Mittag essen. Du kannst Kain mitbringen“, schlägt sie freudig vor, wirft noch ein begeistertes ‚Bis dann' hinterher und legt auf, ohne, dass ich antworten kann. Ich hätte es sowieso nicht gekonnt, denn mein Gehirn arbeitet fieberhaft daran zu verstehen, wie sie das mit Kain meint. Seit der Begegnung im Hauptgebäude mit Kain liegen die Kopfhörer um meinen Hals und spielen munter irgendwelche Songs ab. Ich hörte die ganze Zeit über nicht hin. Erst jetzt. Im Takt zu dem dumpf herausdringenden Song von Sam Smith `Like i can´ lehne ich mich in meinem Stuhl zurück. `He could be a sinner, or a gentleman. He could be your preacher. When your soul is damned´. „Hey,...“, dringt es leise von der Tür aus zu mir. Als ich mich mit dem Stuhl umdrehe, sehe ich Jeff im Übergang stehen. Er lehnt an meinem Kleiderschrank und schaut schuldbewusst auf seine Hände. Weil ich nichts sage, kann ich bald dabei zusehen, wie er sich auf der Wange rumkaut und ab und an vorsichtig zu mir schmult. Er denkt, ich schmolle. Er glaubt, meine Reaktion war übertrieben. Vielleicht war sie es. ´He could be a stranger, you gave a second glance. He could be a trophy, of a one night stand. He could have your humour, but I don't understand, 'cause...` „Bist du sauer?“, fragt er mich und ich merke, wie er sich mir vorsichtig nähert und neben meinem Schreibtisch stehen bleibt. Mit der Hüfte lehnt er gegen die Tischplatte. Ich lasse ihn nicht aus den Augen, während sein Blick über meinen Schreibtisch gleitet. Er streckt seine Hand nach der kleinen Voodoopuppe aus, die artig neben meinem Bildschirm sitzt. „Von Lena, oder?“ Ich sehe ihn weiterhin nur an. Jeffs Zeigefinger tippt gegen den kleinen Stoffbauch. Er seufzt. Mein Schweigen quält ihn besonders. Doch ich habe keine Freude daran, ihn damit zu ärgern. „Das vorhin... ich hab es wirklich nicht so gemei-“ „Doch hast du“, schneide ich ihm das Wort ab, „Solltest du dich nicht eigentlich mit Abel vergnügen?“ Wieder sind meine Worte bissig und gemein. Jeff sieht auf seine Hände, weil er weiß, dass ich ihn damit nur noch ein Stück weiter von mir fort stoßen will. „Robin, hör zu, ich weiß, dass es gerade nicht einfach für dich ist...René, er...“ „Nicht...“ Mit der Erwähnung seines Namens ist es wieder da. Das Gefühl, zu fallen. „Ich weiß, er fehlt dir und...“ „Jeff...“ „Ich will nur, dass du weißt, das ich...“ „Lass es einfach... bitte...“, unterbreche ich ihn energisch und stehe auf. Ich will nicht darüber nachdenken, will nicht darüber reden. Ich fahre mir mit beiden Händen durch die Haare und seufze. So laut, dass es auch Jeff bemerkt und sich von mir entfernt. Unwillkürlich greife ich an meine Hosentasche, ertaste mein Portemonnaie mit dem Bild von René. Die kommende Woche ist die schwerste Woche des Jahres für mich. Jeff weiß das. Genauso, wie ich weiß, dass er für mich da ist, wenn ich es zulasse. „Ich wünschte, du würdest mir einfach mehr erzählen, dann würde ich nicht dauernd in dein Minenfeld treten. Ich bin nicht dein Feind. Ich bin dein Freund“, sagt Jeff betrübt. Nun drehe ich mich zu ihm um. Er steht mit gesenktem Kopf mitten im Zimmer. Er hat nicht Unrecht. Ich könnte diese Momente entschärfen, wenn ich nur offener wäre. Aber es fällt mir so schwer. Abwartend sieht mich Jeff mit einem Mal an und abermals erfasst mich dieses Kitzeln, es ihm einfach zusagen. Gradeheraus. Ohne weiteres Gelaber. Meine Überlegung wird je unterbrochen, als es plötzlich heftig an unserer Tür hämmert. „Jeff, komm endlich...“, ruft Abel von draußen und setzt die Klopferei fort. Jeff hat seinen Freund also draußen abgestellt, um mit mir zu reden. Irgendwie ehrt es mich. „Moment!“, keift Jeff zurück und ächzt sein klassisches Jeff-Seufzen. Und dieses Mal kann ich deutlich sehen, dass es ihn furchtbar frustriert. Fast schon nervt. „Wenn er Löcher in die Tür haut, dann bezahlst du das“, sage ich, während Jeff die Augen schließt und sich durch die gestylten Haare fährt. Alles fällt in die perfekte Position zurück. „Wir haben Kinokarten für ein Steven King- Spezial. Beide „Es“- Filme. Danach kommt auch der alte noch.“ „Das ist der mit dem Clown, oder?“, frage ich. Steven King ist nicht unbedingt einer meiner Lieblingsautoren. Eigentlich habe ich bisher nur ´Friedhof der Kuscheltiere´ von ihm gelesen und kann mich kaum noch daran erinnern. „Für dich kriegen wir sicher noch eine Karte“, schlägt er vor. „Du weißt, ich bin kein Kinogänger.“ Und abgesehen von der fehlenden Lust, sinnlose Filme zu gucken, habe ich so gar keine Lust auf einen gemeinsamen Abend mit Pat und Patachon. „Aber sie sollen echt gut sein...“, versucht er es ein weiteres Mal und scheint schon beim Aussprechen zu merken, dass seine Argumentation im Raum verpufft. „Verstanden. Ich gehe mal lieber, bevor er wirklich noch ein Guckloch hineinschlägt.“ Er deutet mit dem Daumen in Richtung Tür, zieht seine Augenbrauen vielsagend nach oben und grinst schief. Für einen kurzen Moment sieht es so aus, als würde er noch etwas sagen wollen, doch stattdessen holt er tief Luft und brüllt Abel durch die Tür hindurch entgegen, dass er jetzt rauskommt und keine Rücksicht auf seinen Kopf nimmt, falls dieser beim Öffnen direkt hinter der Tür ist. Ich sehe ihm erfreut nach. Als Jeff weg ist, beginne ich damit, Brigittas gesendete Unterlagen durchzusehen. Eine Agenda mit Punkten, die besprochen werden sollen. Eine Liste mit den Veröffentlichungen für das neue Quartal. Darunter ist auch mein eigenes Buch. Nicht das von Martin und Ryan. Die Namen der anderen Autoren sagen mir nichts, obwohl ich mir sicher bin, dass Brigitta ab und zu von ihnen spricht. Ich bin nicht wirklich bei der Sache. Es gibt zu viele Dinge, die gerade in meinem Kopf herumschwirren. Als dann auch noch mein Handy vibriert und mir eine Nachricht von Kain ankündigt, schwindet der letzte Rest meine Konzentration vollends. -Ich glaube, die Waschmaschine knabbert an meinen Socken.- Es folgt ein Bild von zwei verschieden farbigen Strumpfwaren. Eine hat ein gigantisches Loch, aus welchem einer von Kains Finger herauslugt. Mir entflieht ein amüsiertes Schnauben und ein Lächeln legt sich auf meine Lippen. Ich lehne mich im Stuhl zurück und scrolle unseren Chat durch bis ich zu der Stelle gelange, an der meine hilflosen Entschuldigungen stehen. Wieder wird es schwer in meiner Brust. Mit jedem weiteren Tag der Woche wird es schlimmer für mich. Dieses Mal ist es wesentlich heftiger als sonst. Ich bin nicht nur abgelenkt und mies drauf, sondern auch durcheinander und im Grunde überfordert mit allem. Gefühle sind nicht mein Ding. Jeden Morgen stehe ich bestimmt zwei Stunden unter der Dusche und schaffe es nicht, die anhaftenden Sorgen abzuwaschen. Es ist schleichend, aber präsent. Am Mittwoch ist einer der Höhepunkte erreicht. Ich fühle mich unausgeglichen und angespannt. Brigitta bombardiert mich mit allerhand Kram für das Vorbereitungstreffen und nach der vierten Änderung der Besprechungspunkte, will ich mir die Haare raufen und irgendwas in seine Einzelteile zerlegen. Ich habe keine Ahnung, was sie von mir erwartet. Ich bin weder Eventplaner, noch bin ich Partyclown. Diese Veranstaltung ärgert mich mehr, als ich dachte, dabei hat sie noch gar nicht stattgefunden. Irgendwann werde ich mich dafür bei Brigitta rächen. Meine Rache wird fürchterlich sein. Ein leises Pling und mir wird eine weitere Nachricht von Brigitta angezeigt. Der Anhang trägt den Namen Version 5. Zu viel des guten. „Es reicht“, rufe ich aus, schlage beiden Hände flach auf den Tisch. Ich brauche Zerstreuung und stehe ruckartig von meinem Platz auf, sodass der Stuhl hinter mir umkippt. Es ist mir egal. Ich verabschiede mich nicht von Jeff, der sich schockiert zu mir umdrehte, greife die Packung Zigaretten und streife mir eine Strickjacke über. Dann verlasse ich das Wohnheim. Draußen stecke ich mir eine Zigarette zwischen die Lippen, doch ich zünde sie nicht an, weil ich weiß, dass sie mir nur eine kurzfristige Befriedigung bringt. Ich brauche etwas anderes. Ich drehe mich in die möglichen Richtungen, in die ich gehen kann und lasse die Zigarette in meinem Mund wippen. Irgendwann und nach mehrmaligen Drehen trabe ich los und finde mich wenig später vor dem Wohnheimkomplex von Kain wieder. Ich schiebe die ungebrauchte Zigarette zurück in die Schachtel und streiche mir mit dem Daumen über die Unterlippe. Das Bedürfnis ist noch da. In diesem Wohnheim ist wesentlich mehr los, als in Jeff und meinem. Beim Vorrübergehen höre ich laute Stimmen aus der großen Gemeinschaftsküche. Der Duft von Tomate und Kräutern weht über den Flur. Auf dem Weg nach oben, kommen mir mehrere Bewohner entgegen. Sie wissen, dass ich hier nicht her gehöre, aber niemand sagt etwas. Ich tippe den Türcode ein und bekomme Gänsehaut. In diesem Moment zögere ich zum ersten Mal. Es ist seltsam. Vielleicht hätte ich klopfen sollen, doch von drinnen ist nichts zuhören. Die geöffnete Tür offenbart nur gedämmtes Licht, welches den Raum nur unerheblich erhellt. Trotzdem sehe ich ausreichend. Das Chaos in dem Zimmer der beiden höheren Semester schockiert mich immer wieder aufs Neue. Überall liegen Klamotten, Bücher und unaussprechliche Dinge. An Abels Bettpfosten baumeln ein paar Handschellen, die ich bei meinem letzten Besuch gar nicht bemerkt habe. Ich verspüre augenblicklich das Bedürfnis, auf dem Absatz kehrt zu machen. Wie hält Kain das hier nur aus? Wenigstens steht nirgendwo Geschirr mit Essensresten rum. Immerhin. Vielleicht sollte ich den beiden beim nächsten Mal applaudieren. Mein Blick bleibt an Kains Bett hängen. Er liegt auf dem Rücken und seine Arme verschränken sich locker auf dem Bauch. Kain schläft. Ich bleibe vor dem ruhigen Körper stehen, sehe dabei zu, wie sich sein Brustkorb im sanften Takt seiner Atmung bewegt. Sein Gesicht schmiegt sich seitlich ins Kissen. Er ist vollkommen ruhig, entspannt und trägt ungewohnter Weise nur legere Kleidung. Eine einfache Stoffhose und einen Kapuzenpulli. Vermutlich kam er vom Training. Obwohl es in meinem Inneren noch immer tobt, merke ich, wie sich seine Ruhe auf mich überträgt. Ich fühle mich leichter. Nur weil ich, nein, weil er hier ist. Das Buch, welches er liest, ist zur Seite gerutscht. Ich nehme es vorsichtig von der Bettkante bevor es fällt und drehe es so, dass ich den Einband sehen kann. Es ist eines meiner Bücher. Mittlerweile scheint er beim vierten Roman angekommen zu sein. Es ist die Story mit Martin und Ryan. Neben dem Kissen liegt das zum Lesezeichen umfunktionierte Bild mit ihm und seiner Schwester. Ich schiebe es nach kurzem Betrachten ins Buch, klappe es zu und lege es auf einen der Türme neben seinem Bett ab. „Das gefällt mir bisher am besten…“, flüstert er und greift nach meiner freien Hand. Obwohl mein Herz kurz stolpert, weiche ich nicht zurück. Kains Augen sind geschlossen. „Du bist wach?“, frage ich. „Es könnte etwas Erotik vertragen.“ „Scherzkeks, das sind Kinderbücher“, kommentiere ich gelassen, richte mich auf und löse mich dabei sachte aus seinem Griff. „Kinderbücher sind in meinen Augen etwas anderes.“ „Gut, Jugendbücher“, gestehe ich ein. „Aber mit etwas Erotik wären sie noch besser. Nicht das ganz harte Sexzeug, aber so ein bisschen mehr.. na ja... lecken und anfassen.“ Ich höre dabei zu, wie er seine Beispiele mit Bedacht wählt und seine Stimme dabei verstellt. Es lässt mich schmunzeln. Was Kain sich wohl bei ganz hartem Sexzeug vorstellt? Leder und Peitsche? Vielleicht Spielzeug. Die Vorstellung lässt mich amüsiert kichern. Ich nehme mir vor, ihn bei Gelegenheit danach zu befragen. „Was verschafft mir eigentlich die Ehre deiner Anwesenheit im Müllparadies?“, erkundigt sich Kain belustigt. Vom Bett ertönt ein Rascheln und Kain setzt sich auf. Er lächelt. Ich lasse meinen Blick durch den Raum wandern und ziehe meine Stirn in Kraus. Es ist mir ein Rätsel, wie Kain das hier aushält. Überall in dem Raum herrscht blankes Chaos. Ob er selbst Verursacher ist? Ich wage es zu bezweifeln, denn so schätze ich ihn nicht ein. „Was?“, fragt er, nachdem ich ihm eine Antwort schuldig bleibe. Kain schwingt seine langen Beine über die Bettkante und streicht sich durch die frischgewaschenen Haare. „Nichts. Ich rate euch nur immer noch zu einer Putzfrau“, sage ich und stupse angewidert ein abgelegtes Stück Stoff mit dem Fuß an. Ich will gar nicht wissen, was es ist. Aber es sieht verdächtig nach Unterwäsche aus. „Bewerbungen nehmen wir gern entgegen...aber vorsichtig, es gibt eine gewisse Arbeitskleidung“, deutet er neckend an und ich habe sogleich ganz bestimmte Bilder im Kopf. So ein Klischee. „Hm, mit Jogginghose und Hoodie komme ich klar...“, kommentiere ich gelassen. Der Schwarzhaarige schaut an sich hinab und beginnt lauthals zu lachen. Noch immer grinsend steht er auf und nun fällt mein Blick auf seine Füße. Er trägt genauso wie ich zwei verschiedene Socken. Eine heimelige Wärme erfasst mich. Sie ist so intensiv, so irritierend, dass ich mich unwillkürlich abwende. „Bist du zum Rumstehen gekommen oder aus einem bestimmten Grund?“, fragt Kain mich nun direkt. Ich bin mir nicht sicher, was ich ihm antworten soll. „Nur so...“, flüstere ich ausweichend. Ich sollte einfach gehen, aber ich kann nicht. Meine Hand drückt halbherzig die Klinke hinab und die Tür öffnet sich einen Spalt breit. Kains Bewegungen sind fast lautlos und ich spüre seine warme Präsenz an meinem Rücken. Er drückt die Tür wieder zu. „Was hat mein Spatz?“, wispert er mir zu. Ich fühle, wie sich die feinen Härchen an meinem gesamten Körper aufrichten. Beginnend am Hals strömt dieses Gefühl immer weiter, tief hinein in jede noch so kleine Zelle. „Lass das...“, murre ich. Es ist nur noch ein Hauch der genervten Energie übrig, die sonst mit meinen Widerworten mitschwingt. Ich schließe die Augen und spüre, wie sich Kains Lippen kurz unterhalb meines rechten Ohres platzieren. Seine Hände legen sich auf meinem Bauch und er zieht sich dichter an mich heran. Er verhindert, dass ich meinen haltlosen Versuch fortsetze, zu gehen. Der sanfte Atem, der meinen Hals streift, lässt mich selbst tief einatmen und erweckt im selben Moment ein ausgiebiges Schaudern. Seine Wärme. Sein Geruch. Sie fangen mich ein, so wie so oft in der letzten Zeit. Kain ist der Grund, weshalb ich hier bin. Ich wollte ihn sehen und genau diese Nähe spüren. Wie seltsam. Denn das passt nicht zu mir. „Muss ich erst eine der Karten einsetzen?“, droht er mir schwach und berührt mit seinen Lippen die Helix meines Ohres. Danach schiebt sich seine Nase in mein Haar. Kain verdreht die Bedeutung unserer spielerischen Abmachung. Doch ich weise nicht darauf hin. „Du hast gar keine...“, argumentiere ich stattdessen halbherzig und meine Finger streichen automatisch über meine Hosentasche. Ich trage keine der Karten bei mir und irgendwie habe ich das Gefühl, sie nicht mehr zu brauchen. Meine Hand legt sich an seinen Unterarm, ohne irgendwas damit zu bezwecken. Nur Haut auf Haut. „Ich mache einfach neue...“, kommentiert er flachs. „Das wäre schummeln...“, entgegne ich und merke, wie ich mich in seine Arme schmiege. „Mein Spiel. Meine Regeln.“ Ein Anflug von Arroganz, die er schon lange nicht mehr blicken lassen hat. Diesmal belustigt sie mich. Meine Augen sind die ganze Zeit geschlossen und mir entflieht ein leises Keuchen, als sich Kains Hüfte nach vorn bewegt. Ich drehe mich aus der Umarmung heraus und wende mich zu ihm um. Kain hindert mich nicht daran, sondern schaut mich nur fragend an. Ich kippe mit meiner Stirn gegen seine Schulter. Er schweigt und ich bin ihm dankbar für die Zurückhaltung. Doch im Grunde liest er mich Zeile für Zeile. Das macht er schon die ganze Zeit. Ich weiß nicht warum. Ich weiß nicht, wie er es macht. Aber er schafft es. Dieses tiefe, vertraute Gefühl hatte ich bisher nur noch bei René. Ich denke an meinen Bruder und das schwelende Gefühl in meiner Brust wird wieder schmerzhaft. Brennend. Ich halte meine Augen geschlossen, als tausende Erinnerungen auf mich einprasseln. Ich hasse diese Zeit, denn so sehr ich es auch versuche, ich kann den Gedanken und den Erinnerungen einfach nicht entfliehen. Wird es jemals leichter werden? Wird der Gedanke an René je weniger schmerzvoll? Fragen, die ich mir jedes Mal aufs Neue stelle und auf die ich nie eine Antwort finde. Irgendwann spüre ich, wie sich Kains Hand in meinen Nacken legt. Erst unbewegt. Stillen Trost spendend. Bis er beginnt sein Daumen über meinen Haaransatz streicheln zu lassen. Wenig später sind es seine Finger, die durch mein Haar fahren und in meinem Nacken stoppen. Ganz sanft. Liebevoll. Kains Gesicht neigt sich tiefer in meine Halsbeuge und ein feines Kitzeln durchfährt mich. Pulsierend breitet es sich in mir aus. Er haucht einen Kuss in den Bogenansatz zwischen meinem Hals und der Schulter. Ein Weiterer folgt auf den Trapezmuskel. Mein Körper verrät mich immer und das hat Kain schnell gemerkt. Ich hebe meinen Kopf, spüre Kains Wange an meiner und dann seine Lippen. Sein Kuss ist zärtlich. Sein Geschmack ist süß. Ich genieße den Hauch der vertrauten Aromen, die sich mit jeder Berührung intensivieren. Nur ein Hauch Ingwer und ich giere nach mehr. Doch Kain löst den Kuss. „Geht es dir gut?“, fragt er mich besorgt. Ich schließe meine Augen. „Was für Erotik hast du dir für die Bücher vorgestellt?“, erkundige ich mich, ohne ihm zu antworten. Kain gibt ein grübelndes Geräusch von sich, während er sich wieder zu meinem Hals neigt. Seine Lippen treffen meine empfindliche Seite. Und obwohl ich zusammenzucke, wehre ich mich nicht dagegen, dass er dort verweilt. Nein, ich genieße sogar das Kribbeln, welches sich heftig brennend durch meinen Körper arbeitet. „Vielleicht ein bisschen hiervon...“, schlägt er vor, küsst sich meinen Kiefer entlang und legt seine Lippen wieder auf meine. Er schnurrt spielerisch. So lange, bis er seine Zunge zwischen meine Lippen schiebt und einen genüsslichen Kampf mit meiner beginnt. Ich genieße seine Dominanz, necke ihn zu mehr. Kains warme Hand schiebt sich unter mein Shirt und über meine Brust. „Davon auch“, raunt er, als wir uns voneinander lösen und er ein letztes Mal mit der Zunge meine empfindliche Haut berührt. „Aber sie küssen sich doch...“, merke ich an. Rasch schießen mir Worte in den Kopf, die diesen Moment beschreiben könnten und wie ich ihn in den Büchern bereits beschrieben habe. Einzelne Szenen. Augenblicke. In jedem meiner Bücher gibt es sie. Mal lang und ausführlich. Mal kurz, aber intensiv. Auch Kain scheint sich an einzelne Passagen zu erinnern. Ich spinne die Gedanken in meinem Kopf weiter, beschreibe den Weg, den seine Hände gehen könnten und den Ort, an den ich seine Lippen wissen will. „Woran denkst du?“, fragt mich Kain und seine Hand gleitet meinem Bauch entgegen. Ich ziehe scharf die Luft ein und keuche heiß, als sein Daumen hauchzart über meinen Rippenbogen flattert. Ich verstehe nicht genau, was er meint. Er will hören, woran ich denke? Unweigerlich schüttle ich meinen Kopf. „Ich sehe doch, wie es in dir arbeitet. Sprich es aus...“ „Wieso?“, erfrage ich. Doch ohne mir eine Antwort zu geben, küsst er mich erneut. Seine Lippen erkunden jeden Millimeter meines Mundes, bis ich ihn für ihn öffne. Unsere Zungenspitzen ertasten einander. Streicheln und verbünden sich. Ich will mehr davon. Viel mehr. Doch mehr gewehrt er mir nicht. „Ich möchte hören, wie du es formulierst“, erklärt er, „Seine weichen Lippen schmeckten die Lust“, säuselt er mir mit tiefer, erregender Stimme zu und gibt mir ein Beispiel für das, was er von mir will. Seine Zungenspitze schiebt sich neckend unter meine Unterlippe. Es kitzelt. „Schmeckten die Lust?“, wiederhole ich danach skeptisch. Ich will ihn aufziehen. „Kann man das nicht sagen?“ „Wonach schmeckt Lust?“, frage ich retour. Wenn Lust einen Geschmack hätte, wüsste ich genau, welchen. Kain gibt ein abwägendes Raunen von sich und lächelt. Ich mag es, wenn er lächelt. „Er wollte den Geschmack seine Lippen kosten“, schlage ich vor. Kain starrt wie gebannt auf meinem Mund. „Na dann.. Er wollte den Geschmack seiner Lippen kosten.“ Mit der Wiederholung des Satzes führt er ihn bereits aus. Sanft nimmt er meine Unterlippe zwischen seine Lippen. Wiederholt es mit der oberen, eher er mich ausgiebig mit Zunge küsst. Wir necken uns gegenseitig mit anstachelnden kleinen Seufzern und tiefen, wohligem Keuchen. Ich mag auch das. Sehr sogar. Er schließt mit der gleichen Prozedur wieder ab. Erst die untere, dann die obere Lippe. Meine Augen bleiben geschlossen. Diesmal schmeckt er keinen Zigarettenrauch. „Hmm, ja, kosten ist wirklich passend“, wispert er und nascht erneut. Dabei dreht er mich sanft, aber bestimmt ins Zimmer hinein. Ohne uns voneinander zu lösen, führt er uns zu seinem Bett. „Sag mir mehr“, bittet er. Ich lasse meine Augen geschlossen und verstehe nicht, warum ich Kains Begehren nachkomme. Ich würde ihm meine Gedanken offenbaren und das habe noch nie getan. Es beschämt mich und jagt mir im selben Moment erregende Schauer durch den Körper. Ich bin mir nicht sicher, ob es mir gefällt, so entblößt zu sein. Allerdings bin ich schon jetzt so hart, dass nur noch wenig Blut in meinem oberen Gehirn ankommt. „Er labte sich an dem zur Schau gestellten Widerwillen, weil er genau spürte, wie gierig und willig sich der Körper des anderen Mannes an ihn presste“, probiert er sich erneut und ich sehe ihn erstaunt an. Kain grinst, gibt mir einen leichten Schubs und ich lande auf seinem Bett. Nun gut. Dieses Spiel kann ich auch spielen. Ich will es auch. Von unten herauf blicke ich ihn an und lehne mich ganz bewusst mit beiden Armen entspannt zurück. Während des Fallens ist mein Shirt ein Stück nach oben gerutscht und gibt die Haut meines Unterbauches preis. Langsam ziehe ich mein linkes Bein hoch und winkle es an. Erst, als ich die Beine leicht spreize, bricht er den Blickkontakt und wandert mit seinen Augen tiefer. Ich biete mich ihm an, gebe ihm deutlich meinen ausgebeulten Schritt zuerkennen. So viel zu meinem Widerwillen. Mein Körper hat erneut gesprochen. „Er beobachtete, wie sich ihm der athletische Leib mit gierigem Blick näherte. Er spüre, wie ihn die elektrisierte Spannung immer weiter zu ihm zog. Und er wollte es. Er wollte die zarten Lippen an seinem Körper wissen. Wie sie küssend an ihm hinabglitten. Seine Haut neckend. Liebkosend. Jede Berührung als wohltuendes Erlebnis empfinden." Kain lauscht gespannt und ich höre ihn leise keuchen, während er dicht an das Bett herantritt. Ich sehe mit jedem Wort, wie sein und auch mein Körper reagiert. Wie sehr es ihn antörnt und wie sehr er es genießt. Mit meinem letzten Satz beugt er sich zu mir runter und drückt mich ins Kissen. Ich lasse es geschehen. Ich diktiere ihm einen Weg, dem er folgt. Meine Fantasie. Seine Umsetzung. Ich weise ihn an, mich meiner Jacke und des Shirts zu entledigen. Er folgt. Sein Oberteil verschwindet ebenfalls und ich lasse es mir nicht entgehen, die empfindlichen Stellen seines Körpers zu reizen, während ich ihm weitere Formulierungen zu flüstere. Die Liebkosung meiner Brust. Das neckische Spiel mit meinen erhärteten Brustwarzen und er setzt es willig um, lässt seine Zunge kreisen. Leckt. Knabbert. Beißt. Ich spüre, wie sich mein Körper nach jeder Berührung sehnt und wie sich meine Fantasien immer detaillierter formen. Ich will seinen Lippen, seinen Mund einfach überall. Ich diktiere ihm einen Pfad, der ihn hinunter lenkt „Der Weg seiner Lippen führte ihn über feste Muskeln. Tiefer und tiefer. Er erkundete Senken und Erhebungen. Der Atem, der seine erhitzte Haut traf, versprach prickelnde Erregung und kühlende Befriedigung.“ Kains Zunge leckt ein letztes Mal neckisch über meine Brustwarze und öffnet den Knopf meiner Jeans. Dann blickt er auf, als er langsam meine Hose samt Unterhose von meinen Beinen zieht. Er versteht, worauf ich mit meinen Worten hindeute. Doch er will es hören. „Weiter“, fordert er mich auf. Ich spüre, wie sich mein Herzschlag beschleunigt und wie meine Härte zuckt, als der Schwarzhaarige unbeirrt seinen Weg fortsetzt. Seine Mund küsst sich über meinen Bauch, weicht dann nach links ab. Mit einem Kuss auf meinen Beckenknochen speist er Frustration und Erregung zu gleich. Ein weiterer. Ich halte kurz die Luft an. In meinem Kopf arbeitet es nur noch langsam, weil sich der Nebel der Lust immer weiter verdichtet. Kain wechselt zur anderen Seite. Einer der Küsse landet dichter am Übergang zu meiner Erregung. Meine Eichel streift seine Wange. Ein feines Keuchen verursacht durch den Anblick, der sich mir bietet. Kain sieht erneut auf. Auffordernd. Fast gespannt, so als würde er es kaum erwarten können, zu hören, wie weit meine Fantasien wirklich gehen. Ich hingegen frage mich, wie weit er meinen Fantasien folgen wird. Das intensive Braun seiner Iriden nimmt mich gefangen. Seine feuchtglänzenden Lippen rufen nach mir. Die Erregung in seinem Blick lässt mich angespannt nach Luft japsen. Also fahre ich unbeirrt fort. „Er wünschte streichelnde Hände, die sich seiner bettelnden Härte annahmen. Er wollte seine Lippen spüren, die sich fest um sein pochendes Fleisch legten.“ Ich höre Kain schnurren, als ich meine Absicht verkünde. „Oh, er bettelt förmlich nach Aufmerksamkeit“, raunt Kain mir grinsend zu und sein warmer Atem trifft meine empfindliche Eichel. Noch immer sieht er zu mir hoch, während sich seine Fingerspitzen einmal meine gesamte Länge entlang streicheln. Vom Schaft zur Spitze. Mein Körper bebt vor Aufregung. Er haucht einen Kuss auf meinen Unterbauch und sieht dann erneut auf. „Mehr...komm schon...“, verlangt Kain, streicht mit seiner Hand über die Innenseite meines Oberschenkels, sodass ich meine Beine mehr öffne. Die Worte formulieren sich von ganz allein. „Der Moment, in dem sich die ersehnten Lippen um seine Eichel schlossen, schien so nah und ließ seine Körper verräterisch erbeben. Nichts lieber als den feuchten, warmen Mund des anderen wollte er spüren. Das neckische Spiel seiner Zunge und wie ihn die berauschende Hitze umfängt.“ Kain brummt leise. Keucht. Bevor ich nachsehen kann, was dieses Geräusch bedeutet, spüre ich seine Lippen, die einen Kuss gegen meine Härte drücken. Kurz unterhalb meiner bereits feuchten Eichel. Dann fühle ich seine Hand, die von der anderen Seite stabilisiert. Ich zucke unbewusst etwas zusammen, während Kain sich die gesamte Länge meines Schwanzes entlang küsst. Er vollführt das Gleiche noch einmal mit seiner Zunge und wechselt dann auf die andere Seite. Quälend süße Küsse und heißes, feuchtes Lecken bevor er seine Zunge leicht kreisend um meine Spitze wandern lässt, machen mich fast wahnsinnig. Seine Zungenspitze gleitet hauchzart mehrere Mal über die Mitte meiner hochsensiblen Erregung, taucht in den Spalt. Kostet. Neckt. Das berauschende Gefühl lähmt meine Gehirnzellen. Ich will mehr davon spüren und er erfüllt mir meinen Wunsch ohne weitere Worte. Er lässt mich tief in seinen Mund gleiten, hält dabei seine Lippen in einem festen Ring um mich geschlossen. Zunächst sind seine Bewegungen langsam, fast nur tastend. Probierend. Seine feuchten Lippen reiben zart über meine weiche Haut. Mit jedem Mal, wenn er meine Härte tief in seinen Mund eintauchen lässt, entkommt mir ein tiefes, ekstatisches Stöhnen. Das Gefühl ist atemberaubend. Immer wieder höre ich ihn selbst leise stöhnen und genüsslich schmatzen. Er macht mich wahnsinnig. Ich stöhne hemmungslos und laut. Kains Bewegungen werden schneller, die Reibung heftiger und der Druck in meinen Lenden immer stärker. Ich halte ihn zurück, kurz bevor ich komme. Auch, wenn es mir unglaublich schwerfällt. „Warte...Warte.“ Ich taste fahrig durch seine dunklen Haare. Kains löst sich von mir. Erst sieht er mich verwundert an. Dann robbt er höher und legt seine Hand fest um meine Erregung. Ich stöhne hilflos auf. Alles in mir zuckt und schreit. Der Druck, den er an der richtigen Stelle ausübt, verhindert, dass ich doch noch komme. Normalerweise bin ich ein Fan der Verzögerung, doch in diesen Moment zweifele ich an meinem Verstand. Kain küsst meine flatternde Brust. „Du hattest ruhig kommen können“, sagt er und küsst meine Wange. Ich schüttle zaghaft meinen Kopf, keuche heftig gegen seine Lippen. Kain grinst. „Okay, dann sag mir, was ich jetzt tun soll. Soll ich es mit der Hand beenden...“, fragt er, lässt demonstrativ seine Hand zweimal meine Härte pumpen. Ich stöhne erregt und leicht verzweifelt auf. „Oder willst du vielleicht noch mehr von der Hitze meiner feuchten Lippen spüren...“ Mir entgeht die feine Verspottung nicht, die mit der Wiederholung meiner eigenen Worte einhergeht. Sie verärgert mich nicht, sondern erregt mich. Er pumpt mich hauchzart weiter, reibt dabei mit Daumen und Handfläche über meine heißpulsierende Eichel und raubt mir den letzten Rest Verstandes. Ich bäume mich ihm entgegen. „Fick mich...“, entflieht mir flehend. Kain lacht tief auf. „Oh, ich bin ein großer Fan dieser ordinären Wörterwahl“, schnurrt Kain grinsend und küsst mich leidenschaftlich. Ich schmecke das herbe Aroma meines eigenen Körpers, als seine Zunge meine umkreist. Kain packt mich an der Hüfte und zwingt mich auf den Bauch. Seine Hände gleiten über meinen bebilderten Rücken. Ich lasse alles widerstandslos geschehen. In meinem Kopf existiert gerade nur noch eins. Lust. Er zieht mein Becken hoch, sodass ich ihm meinen Hintern entblößt entgegenstrecke. Ich keuche auf, als ich das kühle Gel merke und zucke, als ich einen ersten Finger spüre. Kain hat noch immer so viel Geduld, dass er die spielenden Neckereien nicht unterlässt, die mich regelmäßig in den ekstatischen Wahnsinn treiben. Auch, wenn sie es mir umso angenehmer machen. Doch heute kann ich mir ein verzweifeltes Stöhnen seines Namens nicht länger verkneifen, als er behutsam einen zweiten und noch dritten Finger nimmt, während er meine Wirbelsäule entlang leckt. Kain stoppt. Ein Brummen vibriert an meinem Rücken. „Bitte, mach es noch mal. Noch mal so leidenschaftlich...Stöhn ihn noch mal...bitte!“, raunt er mir entgegen. Ich schüttle den Kopf. „Fick mich endlich...“, sage ich stattdessen. Die Poesie ist mir nun gänzlich abhandengekommen. So ist es wirkungsvoller. Kain packt erneut mein Becken und bringt sich in Position. Doch statt des erwarteten Drucks und dem guten Gefühl, ihn endlich in mir zu spüren, merke ich nur, wie er ihn sanft zwischen meinen Pobacken reibt. Seine Hände streicheln meinen Rücken und wieder beugt er sich vor. „Noch einmal...bitte.“ Ich rolle ungesehen mit den Augen und weiß, dass er nicht locker lassen wird. Wie zu Bestätigung lässt er noch einmal quälend langsam seine harte Erregung gegen meine Hintern reiben. Ich gebe unwillkürlich ein verzweifeltes Geräusch von mir und stöhne direkt danach seinen Namen. Heiß und rau. Das Beben, welches durch Kains Körper geht, ist selbst für mich spürbar. Danach endlich spüre ich ihn. Langsam. Vorsichtig. Er genießt es. Genauso, wie ich. Seine Hand streichelt über meinem Rücken, so, als würde er jede Zeile lesen und berühren wollen. Der Gedanke lässt mich aufgeregt erschaudern, aber ich will einfach nur mehr von ihm spüren. Kains Stöße sind bedacht und intensiv. Tief und langsam. Ebenso sein stetiges Keuchen. Er will es auskosten. Doch es wandelt sich in tiefes, durchdringendes Stöhnen, während auch seine Bewegungen leidenschaftlicher werden. Mein Stöhnen ist fast noch lauter als seines. Er greift meine Hüfte fester, als es auch seine Stöße werden. Ich gebe mich seinem Rhythmus hin, lasse meinen Oberkörper aufs Bett sinken, als meine Arme vor Anstrengung zu zittern beginnen. Mein Gesicht bettet sich in sein Kissen und ich werde von Kains Duft umnebelt. Alles wird noch etwas intensiver und ich beiße erregt in den Stoff. „Festhalten...“, keucht er. Schwungvoll dreht er uns um, so dass er liegt und ich über ihm sitze. Ich habe keine Ahnung, wie er das hinbekommen hat, ohne dass ich mir die Beine breche. Aber ich knie über ihm. Ich halte mich überrascht an seinen muskulösen Beinen fest und stöhne laut auf, als ich ihn unweigerlich noch tiefer spüre. „Lehn dich zurück“, weist er mich an und ich bin folgsam. Die intensiven Stöße beginnen schnell von neuem. Kain treibt seine Becken unaufhörlich nach oben. Jedes Mal begleitet durch intensives Pulsieren, welche ungewohnte Kontraktion auslösen. Ich brauche keine zusätzliche Stimulation, sondern werde von dem Orgasmus gepackt und immer höher getrieben. Ich komme so befriedigend, wie noch nie und reiße Kain gleich mit mir. Würde Kain mich nicht an der Hüfte festhalten, würde ich jeden Moment einfach vom Bett kippen. „Wow, das war...intensiv...“, keucht er atemlos. „Das war das erste Mal…“, entgegne ich mit bebender Brust und streiche mir eine feuchte Strähne von der Stirn. „Bin froh, dabei gewesen zu sein“, kommentiert Kain grinsend und ich schlage ihn gegen den Oberschenkel. Leicht entkräftet, steige ich von ihm runter und lehne mich gegen die Wand. Die Beine strecke ich über seine hinweg aus und streiche mir fahrig die Haare zurück. Mein Körper pulsiert. Kain setzt sich auf und greift meine Knie. Ich sehe ihn schweigend an. „Und noch einen Wunsch? Oder habe ich es geschafft, dich mit nur einem Mal zufriedenzustellen“, säuselt er frech. „Möglich“, kontere ich nur. Kain rutscht dichter an mich heran. „Einen Wunsch erfülle ich dir noch...du musst es nur aussprechen.“ Seine Hand streichelt von meinem Knie tiefer über meinen Oberschenkel. Es hat ihm anscheinend wirklich gut gefallen. Mir zugegebenermaßen auch. Auch, wenn es mich schon etwas Überwindung kostete, ihm so freizügig einen Einblick in mein verrücktes Autorhirn zu geben. „Ein Kuss. Heiß und feucht!“, sage ich mit lieblicher Stimme und ziehe dabei jedes Klischee aus der Tasche, was ich an Absurdität finden kann. Minimal zuckt Kains Augenbraue nach oben, doch dann beugt er sich zu mir, legt seine Lippen auf meine. Der Kuss ist zu sanft, um heiß zu sein und gerade, als ich das bemängeln möchte, spüre ich seine warme Zunge, die sich neckend hervorschiebt und den Kuss intensiviert. Mit halbgeschlossenen Augen sehe ich ihn an und er blickt zurück. Kurz leckt er mir über die Innenseite meine Oberlippen und dann blitzschnell über meine Nasenspitze. Definitiv feucht. Ich schaue ihn entsetzt an, sehe sein spitzbübisches Grinsen und kann mir das Lachen nicht mehr verkneifen. Kain steigt schnell mit ein. „Das ... war ...echt ekelig...“, sage ich zwischen mehreren Lachern. „Ach ja...seit wann bist du so zimperlich?“, fragt er, drückt mich lachend ins Kissen und bleibt über mir sitzen. Ich setze mich sofort wieder auf und bin ihm mit einem Mal wieder ganz nah. Kain riecht wirklich gut. Nicht nach Aftershave oder irgendwelchen Parfüms. Nur nach sauberer, warmer Haut. Nur nach ihm selbst. Und zusätzlich nach Sex. „Ich habe mir immer vorgestellt, dass du eher der laute und redselige Typ beim Sex bist“, plappert er und ich werfe ihm einen verwirrten Blick zu. Laut und redselig? Vorgestellt? „Also so richtig derb.“ „Tja, Bücher sollte man auch nicht nach ihrem Einband beurteilen. Allerdings bilden wir uns laut wissenschaftlichen Studien in den ersten 3 Sekunden eine Meinung, von der wir selten wieder abrücken“, erläutere ich, löse mich aus Kains Umarmung und rutsche zum Rand. Mein Hintern kribbelt. Diesmal werde ich unser Stelldichein länger merken. „Ach ja? Dann hast du dir damals für diese drei Sekunden unbewusst Mühe gegeben?“, fragt er keck. Hab ich das? Ich versuche mich an unser erstes Treffen zu erinnern. „Weißt du, wann ich dich das erste Mal bemerkt habe?“ „Als ich dich wegen irgendwas vollgemault habe?“, rate ich. Ein Versuch ins mindestens 90% abdeckende Blaue. Kain lacht auf und schüttelt kurz darauf energisch seinen Kopf. „Nein, nicht ganz. Ich bin in die Veranstaltung von Prof. Mandes geplatzt... Bioorganische Chemie, glaub ich. Ein paar Wochen zuvor habe ich beim Ringerteam angefangen und eine Wette verloren, also musste ich an diesem Tag das Kostüm vom Maskottchen tragen. Chabby.“ „Chabby“, sagen wir beide fast gleichzeitig, „Das warst du?“ Ich erinnere mich daran. „Ja. Ich bin durch alle Hörsäle getobt. Auch in euren. Es war so peinlich. Alle haben sich zu mir umgedreht. Gelacht und geklatscht. Nur du nicht.“ Er macht eine kurze Pause. „Du hast am Rand gesessen und einfach nur todunglücklich aus dem Fenster gestarrt.“ „Gelangweilt“, korrigiere ich, „Seltsam, dass dir das aufgefallen ist bei der riesigen Menge an Studenten in dem Saal.“ Er zuckt nachdenklich mit den Schultern, so als würde er selbst nicht wissen, warum er sich daran erinnert. Ich denke an den Moment zurück. Es war im November. Mein erstes Semester. Mir ging es an dem Tag nicht sonderlich gut, denn es war mein Geburtstag und tatsächlich hatte er mich mit dieser dämlichen Aktion zum Lächeln gebracht. Kain kitzelt sanft meine Seite. Nicht um mich zu ärgern, sondern aus Ermangelung der geeigneten Reichweite, um mich richtig zu streicheln. Ich merke, wie sich die feinen Härchen an meinem Hals gespannt aufrichten und ich mich zu der Berührung hin lehne. „Willst du wirklich schon gehen?“, erkundigt er sich. „Ja, denn im Gegensatz zu unseren Mitbewohnern bin ich nicht sehr scharf darauf, dass uns dauernd jemand beim Vögeln erwischt. Das eine Mal hat mir gereicht“, erkläre ich und ziehe mir konsequent das Shirt über, welches neben dem Bücherstapel liegt. Ich nehme Kain damit jegliche Chance, meine Haut zu necken. Abel könnte jeder Zeit wieder zurückkommen. Zusammen mit Jeff. Oder auch ohne ihn. Egal, keine der Varianten bereitet mir besondere Freude. Ein kalter Schauer erfasst mich und ich schüttele mich unweigerlich. „Hast du mit Jeff geredet?“ „Ich rede andauernd mit Jeff“, kommentiere ich lapidar. Es ist nicht mal gelogen. Ich spreche jeden Tag mit Jeff. Manchmal nur zwei, drei Worte, aber nicht die Quantität macht eine Konversation aus. „So meine ich es nicht und das weißt du.“ „Ich weiß.“ „Wirst du es?“ „Hm“, mache ich einsilbig und angele nach meiner Hose und den Socken. Als ich sie greife, bin ich für einen Moment nicht mehr sicher, ob ich den grauen und den grünen, oder den grünen und türkisen an hatte. Grün und grau sind okay. Kain gibt einen unklaren Laut von sich und sieht dabei zu, wie ich mir reichlich ungelenk meine Socken überziehe. Die Stille beunruhigt mich und so sehe ich zu dem Schwarzhaarigen, der an der Wand gelehnt im Bett sitzt. Sein Gesicht ist ernst. „Was?“, frage ich spitz und ziehe beim Aufstehen meine Hose mit nach oben. Kain antwortet nicht, also drehe ich mich zu ihm um und schließe dabei den Knopf. „Nichts...Es ist nur...ich...“ Seine Schultern zucken nach oben und er fährt sich frustriert durch die dunklen Haare. „Lass uns Samstag ausgehen...“, sagt er unvermittelt. Ich greife nach der Strickjacke und halte augenblicklich in meiner Bewegung inne. Was? Ich dachte, jetzt kommt ein weiterer Appel, es Jeff endlich zu beichten. „Ausgehen?“ „Ja, ausgehen. Wir beide zusammen. Essen...Kino... Zoo. Was du willst.“ Zoo? Ich sehe Kain stillschweigend an. Brigitta hatte Recht. Beim letzten Mal war es nicht einfach so daher gesagt. „Ein Date?“, frage ich nach, um sicher zu gehen, dass ich es nicht falsch verstehe. „Ja.“ „Mit mir?“, hake ich verständnislos nach. „Ja“ „Wir daten nicht, schon vergessen? Wir ficken ohne Verbindlichkeiten“, äffe ich ruhig nach. Ich kann es nicht lassen, aber genau das ist, was mir Kain vor nicht allzu langer Zeit noch selbst an den Kopf geworfen hat. Allerdings fühlt es sich komisch an, es zu wiederholen. „Ich weiß, was ich gesagt habe“, harscht er mich kratzbürstig an, besinnt sich eines Besseren und seufzt. „Aber...ich will das so nicht mehr.“ „Kain...“ „Wieso nicht?“, fällt er mir direkt ins Wort und unterbricht mich energisch, bevor ich es noch bestimmter ablehnen kann. Obwohl ich das gar nicht vorhatte. Sein Blick zeigt mir, dass ich um keine Erklärung herumkomme. Auch Kopfwackeln und Schulterzucken ändert nichts daran. Außer. dass eine von Kains dunklen Augenbrauen nach oben wandert. Ich muss ihm erklären, was dagegen spricht. Wie soll ich ihm nur sagen, dass ich die denkbar ungünstige Person dafür bin? Ich habe keine Erfahrung mit Dates. Und überhaupt, was will er bitte von mir? Was denkt er, was das wird? „Okay, weil wir uns auf Sex geeinigt haben...das war unsere Vereinbarung...bla bla “, erläutere ich unmotiviert. Kain schiebt die Decke von seinen Füßen. Ich weiche zurück, als er auf mich zukommt und nackt vor mir stehen bleibt. Ich beobachte jede seiner Bewegungen, betrachte das Spiel seiner Muskeln und wie sie sich unter seiner Haut anspannen. Meine Gehirnfunktion ist träge. Jetzt kommt auch noch sein Geruch dazu. Dieser Duft nach Kain und Sex. Ich rieche es so deutlich, dass ich den Sex fast auf meiner Zunge schmecken kann. „Und? Dann erweitern wir unsere Vereinbarung“, erklärt er, als wäre es das Einfachste der Welt. Ich fühle mich eigenartig machtlos. „Das mit dem Essengehen hatten wir doch schon mal“, merke ich an. Schon damals habe ich mich geweigert, mit ihm Essen zugehen und dafür hat er mich mit diesem mexikanisch angehauchten Mahl in der kleinen Gemeinschaftsküche im Wohnheim überrascht. Es war gut. Es war eine schöne Geste, auch wenn ich es nicht als solche erkannt habe. Vielleicht auch nicht erkennen wollte. Und dann war da noch die Vanillesoße. Oh, die Vanillesoße. Die Sauerei war in vielerlei Hinsicht gigantisch. Das augenblickliche Aroma von sexgetränktem Kain paart sich mit der Erinnerung an sanfter Süße und zarter Textur. Ich ziehe scharf die Luft ein, als sich der Geschmack in meinem Mund ausbreitet und erregende Wellen durch meinen Körper schickt. „Ich habe Samstag keine Zeit“, sage ich, ohne es ein weiteres Mal aus einem fadenscheinigen Grund abzulehnen. Mein Zug fährt um 7 Uhr am Hauptbahnhof ab und daran kann ich auch nicht mehr rütteln. „Dann Freitag.“ Bittend. Er gibt nicht auf. Ich finde es fast schon bewundernswert. Kain streckt seine Hand nach mir aus. Seine Fingerknöchel streicheln sanft über mein Kinn, meinen Kiefer entlang. Unwillkürlich schließen sich meine Augen und die zärtliche Berührung wird noch ein klitzekleines bisschen intensiver. „Ich mag chinesisch... “, flüstere ich. „Ich auch.“ „Kein Kino...“ „Nicht mal Popcorn?“, hakt er nach. „Nein.“ „Zoo?“ „Witzbold.“ Kain greift mir ans T-Shirt und hält mich damit vom Abhauen ab. In der gleichen Bewegung zieht er mich dicht an seinen nackten, warmen Körper heran. „Könntest du dir bitte etwas anziehen, bevor wir weiter reden...“, murmele ich meine neuentdeckte Scham im Zaum haltend. „Wieso?“, fragt er. Sein Blick wandert neckisch an sich selbst hinab. Nur um danach wissend mit den Augenbrauen zu wackeln. „So ist es viel interessanter...“, neckt er mich. Noch immer zerknüllt Kain den Rand meines T-Shirts. Er krallt sich fester in den Stoff und unsere Körper stoßen aneinander. Ein leises Keuchen entflieht meinen Lippen, bevor er mich küsst. Ich merke, wie sich mein Gehirn langsam wieder verabschiedet und ich in die wohlige, serotoningetränkte Glückseligkeit abdrifte. „Bist du okay?“, fragt er sanft. „Sicher“, erwidere ich diesmal ohne zu zögern. Denn ich fühle mich wirklich gut. „Du bist mir die meiste Zeit wirklich ein Rätsel. Weißt du das?“, flüstert er und ich merke seine Fingerspitzen, die hauchzart über die Helix meines Ohres streichen. Meine Augen bleiben geschlossen. „Ach ja? Wäre sonst...“, setze ich an. „..langweilig. Ja, ja, ich weiß, Spatz“, beendet er meine Gedanken und ich kann nicht verhindern, dass ich dümmlich grinse. „Freitag. 18 Uhr bei der Bank eures Wohnheims?“, fasst er zusammen. Doch es klingt genauso nach einer Frage. Vielleicht um sicherzugehen, dass ich begreife, was er sich von mir wünscht. Ich habe es verstanden. Ich weiß nur noch nicht, was er sich davon verspricht. „Ich gehe jetzt.“ Die drei Worte kosten mich unglaublich viel Kraft, denn ich wünsche mir nichts sehnlicher, als eine Flasche Vanillesoße und einen neuen Türcode her, sodass uns niemand stört. „Okay...“ Diesmal bleibe ich nicht vor der Tür stehen, sondern öffne sie auch. „Moment! Ich glaub, es hat angefangen zu regnen“, hält mich Kain mit einem Blick aus dem Fenster auf, sieht sich kurz um und drückt mir einen Schirm in die Hand, den er aus einem Wäschehaufen zieht. Obwohl er gar nichts Derartiges macht, höre ich erneut seine Stimme in meinem Kopf, die sanft und tief Rihannas Regenlied summt. ‚ Under my umbrella, ella, ella, eh, eh, eh... „Die paar Tropfen. Ich bin nicht aus Zucker“, wiegele ich ab und nehme den Schirm trotzdem an. Den Song bekomme ich nicht mehr aus meinem Kopf. Nie wieder, vermutlich. Ich kann weiterhin nicht verarbeiten, dass er hier immer noch nackt rumrennt. „Was?“ In Kains Gesicht bildet sich ein vielsagendes Grinsen. „Ich möchte etwas darauf antworten“, gesteht er. Seit wann fragt er um Erlaubnis? In Kains Gesicht bildet sich ein vielsagendes Grinsen. „Lieber nicht. Nachher sagst du noch etwas Nettes und bringst mich dazu zu erröten“, flachse ich spielerisch. Immerhin ist das eine der Regungen, die bei mir höchst selten anzutreffen sind. „Kannst du das denn?“, fragt er prompt. „Nur gegen Bezahlung“, entgegne ich. ` When the sun shine, we shine together. Told you I'll be here forever`. Bevor der Schwarzhaarige zu weiteren Neckereien ansetzen kann, hebe ich bedeutungsvoll den Schirm, verabschiede mich erneut und verschwinde aus dem Zimmer. Es regnet tatsächlich. Doch den Schirm hätte ich wirklich nicht gebraucht. Ich lasse ihn geschlossen, drehe ihn um meinen Finger und summe `Umbrella`. Diesmal mit einem Lächeln auf den Lippen. Noch bevor ich die Tür zu unserem Zimmer öffne, kann ich laute Stimmen hören. Jeff und Abel streiten. Sie streiten laut und so bekomme ich schnell mit, worüber. Weitere Eifersüchteleien. Fremdgehvorwürfe. Abel streitet alles ab. Jeff auch. Bei meinem Kindheitsfreund bin ich mir sicher, dass es stimmt. Auch, wenn ich mir ausnahmsweise mal das Gegenteil wünschen würde. Beziehungen scheinen schrecklich anstrengend sein. Jedenfalls die, der beiden Blonden. Ich habe auch andere funktionierende Beispiele kennengelernt, aber selbst die haben nie das Verlangen in mir geweckt, selbst eine zu haben. Jeff brüllt Abel an. Ich zucke zusammen. Ich wusste bis heute nicht, dass mein Jugendfreund derartig laut werden kann. Ich wende mich von der Tür ab und sehe im Gang zwei Wohnheimbewohner, die mich argwöhnisch mustern. Sie denken, ich würde lauschen. Gut, habe ich auch, aber nicht absichtlich. Und ganz sicher nicht aus Interesse. Wäre ich doch bei Kain geblieben. Ich drehe um, taste nach meinem Portmonee und verschwinde zum Foodstore. Immerhin ist das auch eine gute Begründung für mein Verschwinden, wenn Jeff nachher fragen sollte. Ich kaufe ein paar grundlegende Dinge wie Brot, Käse, Joghurt und eine Wurst, die die Form eines Bären hat. Nach dem Endorphinschub darf ich das. Ich werfe noch ein paar frische Lebensmittel in den Korb und zum Schluss noch eine Packung Gummibärchen für Jeff und saure Skittles für mich. Ich verdrücke sie auf dem Rückweg. Diesmal ist es ruhig, als ich im Zimmer ankomme und es ist leer. Jeff taucht erst irgendwann in der Nacht auf, als ich bereits schlafe. Ich höre nur leise Schritte und das Rascheln seiner Kleidung. Sein Bett quietscht, als er sich hineinwirft. Ich bin längst wach, als Jeffs Wecker zu piepen beginnt und mein Mitbewohner sich ruckartig im Bett aufsetzt. Ich sehe erschrocken dabei zu, wie er sich durch die verwuschelten Haare streicht und aussieht, als würde er gleich wieder ins Kissen fallen. Zu meiner Überraschung hebt er seine schlanken Beine über die Bettkante und hievt sich hoch. Ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass er kaum 6 Stunden geschlafen hat, was für Jeffs Verhältnisse ungewöhnlich ist. Mein Jugendfreund murmelt irgendetwas von einem Lerntreffen. Er murmelt ein paar Namen, die ich nicht kenne und zum Glück erwartet er keine Antworten. Er schafft es, mit geschlossenen Augen aus der Tür heraus zu finden und reißt dabei nur seinen Schreibtischstuhl um und den halben Pulloverstapel aus dem Schrank. Eine ganz gute Bilanz. Ich hoffe, dass er spätestens vor der Treppe die Augen kurz aufmacht und es bis draußen schafft, seinen zweiten Arm in den Pullover zu manövrieren. Nachdem er weg ist, stelle ich den Stuhl wieder auf. Die Klamotten lasse ich, wo sie sind. Ich musste mir beim letzten Mal anhören, dass ich sie falsch zusammenlege. Die Erinnerung an diese eigenartige Konversation sorgt jetzt noch dafür, dass ich die Augen verdrehe. Jeff hat damit nur erreicht, dass er es von nun an allein machen darf. Nachdem ich wieder allein bin, holt mich die Ruhelosigkeit wieder ein. Ich setze mich zurück an den Schreibtisch, stehe nach fünf Minuten wieder Jeff hat sein Handy vergessen. Zunächst höre ich das stetige Vibrieren, welches ich nicht zuordnen kann. Als es nicht mehr aufhört, suche ich genervt nach der Geräuschquelle und finde sein Telefon zwischen der zerwühlten Bettdecke. Ein Anruf von Abel. Als er endet, sehe ich, dass er noch etliche verpasste vom gestrigen Abend hat. Alle vom anderen Blonden. Ich habe gedacht, dass sie zusammen gewesen sind. Wo Jeff wohl war? Vielleicht bei Jake. Ich schöpfe Hoffnung, dass sich mein Abelproblem doch etwas schneller löst. Möglicherweise braucht Jake nur einen Schubs. Einen kleinen Anstoß. Ich lege Jeffs Telefon auf seinem Schreibtisch ab und lasse mich auf meinem Stuhl nieder. Ich lehne mich zurück und starre an die Decke. Wie so oft in der letzten Zeit. Es ist zum Verzweifeln. In meinem Kopf beginnt es zu ratternd. Wie würde ich es in meinen Büchern lösen? Welche Möglichkeiten gibt es. Ein direktes Gespräch. Ich habe keine Idee. Außer, dass sich mein Protagonist damit seinen eigene Untergang beschert. Ich könnte den Stupser verursachen. Mit ihm reden. Nur reden. Bevor ich die Konsequenzen zu Ende denken kann, bin ich aufgestanden und greife nach meiner Jacke. Ich kann ihn mir auf jeden Fall noch mal angucken und vielleicht davon überzeugen, dass es sich lohnt weiter an Jeff rumzugraben. Vor dem Hauptgebäude steht der Kaffeewagen und dieses Mal gibt es keine endlose Schlange. Ich mache einen Schwenk dorthin, reihe mich hinter den drei anderen Studenten ein und gönne mir einen Chai Latte und einen Blaubeermuffin, den ich auf dem Weg nach oben zum PC-Pool vertilge. Es sind nur ein paar Plätze besetzt, an den fleißige Studenten sitzen und über die besten Siegesstrategien bei Candy Crush grübeln. Einer spielt Minesweepers. Dass er das noch an den Rechnern spielen kann, lässt tief blicken, was die Modernität dieser Geräte betrifft. Ich linse in den Aufenthaltsbereich der PC-Pool-Mitarbeiter und kann im ersten Moment niemanden entdecken. „Kann ich helfen?“, fragt mich jemand freundlich aus dem Hintergrund und legt einen Ordner zur Seite, in dem er soeben noch grüblerisch geblättert hat. Da er mir bekannt vorkommt, bin ich der Überzeugung, dass er Jake sein muss. Ich habe ihn vorher noch nie so genau angesehen. Doch nun verstehe ich, wieso Jeff ihn attraktiv findet. Er hat fast nichts von diesem klischeehaften Nerdäußeren. Dunkle Haare. Hellbraune, warme Augen. Und er hat den Körper eines griechischen Gottes. Okay, ich übertreibe, aber man erkennt definitiv, dass der Kerl schon mal in einem Fitnessclub gewesen sein könnte. „Bist du Jake?“, frage ich gerade heraus, als er auf mich zukommt. Mein Gegenüber strafft vorsichtshalber seine Schultern und schaut mich verwundert an. „Ja?“ „Ich bin Jeffs Mitbewohner.“ „Der vom Telefon“, stellt er fest, „Warte kurz...“ Damit bewegt er sich aus meinem Blickfeld und kommt wenig später aus einer Seitentür wieder heraus. Er winkt mich heran. Sein Gesicht ist ernster als eben, so als wäre die aufgezwungene Supportfreundlichkeit vollkommen abgewaschen. „Okay, was willst du?“, fragt er mich direkt und scharf. Er ist auf Abwehr. Ich sehe ihn verdattert an, bis mir klar wird, dass er sich dafür wappnet, von mir eine Ansprache zu erhalten. Gut, jetzt im Nachhinein ist mir klar, dass ich mich nicht als der Mitbewohner hätte vorstellen sollen. Das konnte nur auf eine Konfrontation hindeuten. „Ich wollte eigentlich nur einen Tipp zu SSDs. Mein Rechner ist eine Schrottmühle und ich kenne mich nicht aus“, druckse ich beschwichtigend rum und nicht ganz wahrheitsgetreu. Nun schaut mich Jake überrascht an. „Oh, okay... sorry, ich dachte, du willst...“ Er spricht seinen Verdacht nicht aus, sondern beißt sich auffällig auf der Unterlippe rum. „Du dachtest, ich will mit dir über Jeff reden...Vielleicht sollten wir kurz über Jeff reden“, schlage ich vor. Wenn er es schon anspricht. Wir sehen uns einen Moment lang forschend an. „Also, Jeff hat...“, setze ich an. „...hat einen Freund, ich weiß...“, sagt er und ich höre tatsächlich Enttäuschung heraus. Jakes Hand schiebt sich in seine Hosentasche und doch erkenne ich, wie sie sich darin ballt. Er hätte es gern anderes. Ich bin auf seiner Seite, denn schon jetzt merke ich, dass ich mit dem IT-Fritzen mehr anfangen kann, als mit Luftblasenpolster von Abel. „Und ich nehme an, du bist anständig und aufrichtig. Einer von diesen guten Kerlen?“ „Denke schon“, sagt er gerade heraus und nickt. Großartig. Ein Mann mit Manieren und niemand, der einem anderen den Kerl ausspannt. „Dein letztes Wort?“ „Ja.“ Ich sehe meinen ohnehin schon verquerlaufenden und dämlichen Plan den Bach runtersegeln. Es ist, als würde ich gegen Steine stupsen. Das würde Jeff, allerdings mit Sicherheit gefallen. „Schade“, murmele ich leise, kaum hörbar und weiche seinem Blick aus. Eigentlich weiß ich sowieso nicht, was ich mir dabei gedacht habe. Jeff ist derjenige, der die Entscheidung trifft und ich bin mir sicher, dass er ausflippt, wenn er hiervon erfährt. Ich kann nur hoffe, dass es dem ITler genauso peinlich ist, wie mir und er es deswegen verschweigt. Außerdem hat Jake nun auch verstanden, dass meine vorige SSD-Ausrede nichts anderes war, als eine Ablenkung und ist dementsprechend angespannt. Ich seufze schwermütig. „Hast du die Laptopgurke von Jeff wirklich verkauft bekommen?“, frage ich, um das Thema zu wechseln und etwas Anspannung aus dieser Unterhaltung zu nehmen. Es wirkt. Jakes Schultern lockern sich. Sein Blick bleibt skeptisch. „Ja, eine Bekannte von mir, will ihn für ihre Tochter. Sie soll damit nur Hausaufgaben machen können und dafür reicht er allemal. Wenn ich ihn noch mal neu aufziehe, dann kann sie sogar ohne Probleme YouTube-Videos schauen.“ Ich nicke unaufmerksam. Mehr macht Jeff damit eigentlich auch nicht. YouTube und Pornos. „In guten Händen also..“ „Ja“, erwidert er und schenkt mir ein verwirrtes Lächeln. „Gut...man sieht sich. Vermutlich “, sage ich abrupt und deute zum Ausgang. Ich drehe mich nicht noch mal um, selbst als er mir noch etwas nachruft. Bereits auf dem Weg ins Foyer stopfe ich mir die Ohrstöpsel in die Ohren zurück und bin nun der wahrhaftigen Überzeugung, dass ich langsam aber sicher den Verstand verliere. Ich verhalte mich nicht mehr normal. Ganz und gar nicht. Was habe ich mir dabei gedacht? Habe ich überhaupt gedacht? Ich bezweifele es. Auf dem Weg zurück zum Wohnheim erreichen mich mehrere Nachrichten gleichzeitig. Lena. Brigitta. Luci. Lena will wissen, ob ich bei Hendriks Geburtstagsgeschenk dazulegen will. Und wie ich das will. Jetzt wo ich nicht mehr im selben Haus wohne, fällt mir die Geschenkeauswahl noch schwerer. Ich frage nicht mal nach, was sie zu kaufen gedenkt, sondern sage direkt ja. Der Preis ist mir fast egal. Brigitta brigittat. Ich antworte ihr lieber später, sonst werde ich heute zu nichts mehr kommen. Als letztes lese ich Lucis Nachricht. Wie immer zaubern mir die Worte meiner kleinen Eismagd ein Lächeln auf die Lippen. Im Grunde ist es ein kleiner Werbespruch, der mich dazu animieren soll, bei ihr vorbeizukommen. Ich hätte meine gewöhnliche Eisration noch nicht in Anspruch genommen. Sie hat Recht. Ich war bisher ungewöhnlich wenig im Café. Vielleicht könnten Kain und ich morgen...Ich breche den Gedanken ab. Herrje, was hat er nur mit mir gemacht? Ich habe einem Date zugestimmt. Einem Date! Einem Date mit Kain. Obwohl meine Gedanken Achterbahnfahren, spüre ich eine eigenartige innere Ruhe. Mein Inneres fühlt sich wohl mit der Vorstellung. Ich ziehe die Schublade meines Schreibtisches aus, hebe die Unterlagen darin an und krame nach einem kleinen Umschlag, der tief vergraben ist. Schneller als gedacht, ziehe ich ihn hervor. Es befinden sich Bilder darin. Die Einzigen, die ich von zu Hause mitgenommen habe. Sie zeigen mich und meinen Bruder. Als Babys. Als Kleinkind. Ich betrachte jedes einzelne Bild lange und mit wachsender Schwere. Aber auch mit unglaublicher Liebe. Jeff kommt wieder erst spät nach Hause und ist am Morgen vor mir verschwunden. Sehr ungewöhnlich. Am Nachmittag kommt er zurück und klärt mich darüber auf, dass er bei einer Klausur, die er im ersten Prüfungszeitraum vor den Ferien geschrieben hat, durchgefallen ist. Ein Punkt hat ihm gefehlt. Ich habe sogar etwas Mitleid mit ihm. Jeff fällt die Lernerei schwerer als mir. Schon damals in der Schule. Wir haben oft zusammen gepaukt und am Ende habe ich es ihm erklärt. Auch jetzt Frage ich ihn, ob ich ihm irgendwie helfen kann, aber er schüttelt nur frustriert den Kopf und schließt für ein paar Minuten die Augen. Ich widme mich wieder meinen Hausarbeiten. „Ich hab vorhin Jake getroffen“, sagt er beiläufig und ich bin mir nicht sicher, ob ich darauf etwas antworten soll oder ob es allein zur Information gedacht ist. Als Jeff jedoch nicht weiterspricht, fühle ich mich fast genötigt, etwas zu erwidern. „Schön... macht ihr es jetzt offiziell?“, frage ich absichtlich provozierend. „Ach komm schon!“, mault er erregt auf, „Dachtest du wirklich, dass Jake mir das nicht erzählt?“ „Ich hatte es gehofft...“, sage ich wahrheitsgemäß und verfluche den brünetten IT-Fritzen. Dieser ehrliche, gute Mistkerl. Vermutlich ist er Heiratsmaterial. Schrecklich. „Was hast du dir dabei gedacht?“ „Nichts.“, sage ich gerade heraus und bin ganz ehrlich. Eigentlich habe ich mir nichts dabei gedacht, außer meinen eigenen Vorteil auszubauen, um Abel loszuwerden. Hat aber nicht geklappt. „Wie nichts?“ „Na ja, nichts eben.“ Er sieht mich ungläubig an. Das Jeff meinen Auftritt nicht begrüßt, war mir vorher klar gewesen. Aber dass er mir jetzt eine Szene macht, ist wirklich unnötig. Ich weiß, dass er nicht locker lassen wird, also sehe ich ihn unverwandt an. Auf alles gefasst und doch nicht ausreichend vorbereitet, wie sich zeigt. „Jake hat mich gefragt, ob es da irgendwas Unausgesprochenes zwischen uns gibt.“ BAMM. Wie bitte? „Unausgesprochenes? Verdammt Jeff, ich wollte nur, dass er endlich den Mumm hat, dich nach einem Date zu fragen. Das ist alles.“ Das ist doch lachhaft. „Aber ich bin in einer Beziehung!“ „Und?“ Gut, ich messe mit zweierlei Maß. Vor ein paar Tagen habe ich Jeff deshalb noch angemotzt, als er mir unterstellte, dass ich Shari trotz ihrer Beziehung gewissenlos angraben würde. Aber Shari und ihr Freund sind nicht Jeff und Abel. Mein Jugendfreund ist nicht glücklich, das sehe selbst. Ich, trotz meines Fuck-the-World-Filters. „Vor ein paar Wochen hättest du dich noch vor Freude gedreht wie ein Brummkreisel, wenn er dich gefragt hätte“, gebe ich zusätzlich als Erklärung von mir. Jeffs Gesichtsfarbe wird rosig. „Ich war betrunken und...und ich bin in einer Beziehung.“ Es klingt wie eine Ausrede. „Ja, in einer die dich unglücklich macht... Abel ist...Du kannst einfach Besseres haben.“ „Was weißt du schon?“, knallt er mir entgegen, „Was ist dein Problem mit ihm?“ „Er existiert und atmet“, kontere ich ohne groß nachzudenken, sehe, wie Jeffs Kopf verständnislos zur Seite fällt. Ich weiß nicht, wie oft er mich das noch fragen will. Meine Antwort wird sich nicht ändern, nur ausgeschmückt abwandeln. Abgemüht schließt er seine Augen und streicht sich durch die blonden Haare. Erst dadurch fällt mir auf, dass er beim Frisör gewesen sein muss. „Oh dear, anscheinend bist du wirklich nur an der Uni, um dein Kotzbrocken-Diplom zu machen“, wettert er. „Richtig, genauso, wie Abel hier sein Vollidioten-Magister absolviert. Summa cum laude.“ Ich wedele mit dem Armen vor seinem Gesicht rum. Jeff seufzt genervt. „Du magst ihn nicht, das hab ich verstanden, aber könntest du nicht ...“ „Ach komm schon, Jeff“, unterbreche ich ihn direkt, bevor er mich zum wiederholten Male darum bitten kann, nett zu seinem Freund zu sein. „Ach komm schon, was, Robin?“, schleudert er mir verärgert zu. Ich beiße die Zähne zusammen. Ich habe es versucht. Ich habe es vielleicht nicht 100% ernsthaft versucht, aber zu 20 % robintechnisch und das ist im Grunde schon das höchste aller Gefühle. Jeff lässt einfach nicht locker und langsam aber sicher merke ich, wie meine Zurückhaltung bröckelt. Er will die Wahrheit? Er kann die Wahrheit gern kriegen. „Okay. Nein, ich kann nicht. Abel ist dämlich. Sein Humor ist zum Kotzen. Seine Stimme ist einschläfernd und er ist gruselig. Ich finde, er ist nicht gut zu dir. Er passt überhaupt nicht mal ein kleines bisschen zu dir und nicht nur, weil du jemanden verdienst, der dich wirklich glücklich macht. Der auf deinem Niveau ist und nicht nur so tut. Der dich so behandelt wie den größten Schatz der Welt und nicht hinterrücks deine Freunde anmacht und sich unterbrochen so anpreist, als wäre er der geilste Typ der Welt. Ach fuck“, beende ich meine Tirade laut und streiche mir die Haare zurück. So habe ich es ihm nicht sagen wollen und zu meinem Entsetzen muss ich feststellen, dass meine Bücher tatsächlich auf mich abfärben. Größter Schatz der Welt? Bitte erschießt mich. Jeff sieht mich überrascht an. Bevor er jedoch den Mund auf machen kann, fange ich noch mal an. „Weiß du was? Du hast Recht. Es ist dein Leben. Es ist deine Beziehung. Ich habe keine Ahnung davon, weil ich nie eine hatte, also werde ich weiterhin, wenn es dir recht ist, versuchen, Abel einfach zu ignorieren...“ Damit drehe ich ihm meinen Rücken zu und richte meinen Blick auf den Bildschirm. Vielleicht hat Jeff den letzten Teil gar nicht mitbekommen. „Wie hast du das gemeint?“, fragt er und wartet meine Antwort gar nicht ab, „Er hat doch nicht... nicht wirklich, oder?“ Ich drehe mich wieder zu meinem Jugendfreund um und weiß nicht, was ich sagen soll. Jeff liest meinen Gesichtsausdruck auch ohne Übersetzungsapp. „Oh, dieser Mistkerl...dieser verfluchte Mistsack“ Er lässt sich zurück aufs Bett fallen und sieht einen Moment lang so aus, als wurde er gleich das Kissen zerfetzen. Stattdessen greift er nach seinem Telefon und tippt ungewöhnlich aggressiv auf das Display ein. Dann wirft er es ins Kissen und verschränkt die Arme vor der Brust. Ich drehe mich langsam wieder zu meinem Bildschirm um und presse meine Lippen aufeinander. Das Timing und Fingerspitzengefühl nicht zu meinen Stärken gehören, habe ich gerade vortrefflich bewiesen. Ich warte auf das verbale Feuerwerk, doch nichts passiert. „Bestellen wir uns nachher eine Pizza?“, fragt Jeff in die bedrückende Stille hinein. Es ist ewig her, dass wir zusammen etwas bestellt haben und ich weiß, dass Pizza eine gute Nervennahrung für ihn ist. Im Grunde bin ich es ihm schuldig, doch heute ist der denkbar schlechteste Zeitpunkt. Mit den Augen suche ich mein Telefon und denke an den Schwarzhaarigen. Ich könnte ihm absagen. Aber ich will es nicht. „Bin nicht da...“, murmele ich. „Was heißt nicht da?“, hakt er nach und legt das Buch zur Seite, mit dem er sich gerade abgelenkt. „Nun ja, ich verlasse dieses Zimmer und gehe raus“, sage ich genauso unpräzise wie vorher. „Du gehst raus? Und was machst du?“, bohrt er weiter. An seinem Tonfall merke ich, dass er weiterhin erregt und angefressen ist. Die Sache mit Abel ist noch nicht vorbei. Vermutlich, weil sich der Blonde davor hütet, auf Jeffs Nachricht zu antworten. „Wahrscheinlich etwas essen“, sage ich ausweichend, da ich nicht weiß, was Kain eigentlich plant. Auf meine Rückfrage hat er nur kryptisch geantwortet. „Essen? Allein?“, fragt er weiter. Nun sehe ich genervt auf. Ich bin ja selber schuld. Ich habe nicht das geringste Bedürfnis, mit Jeff zu streiten, habe ich nie, aber es passiert einfach. Und egal, was ich sage, irgendwann schaukelt es sich hoch. „Jeff!“, mahne ich kraftlos. Mit einem Mal sehe ich das Buch quer durch den Raum fliegen und an der Wand bei meinem Bett abprallen. Es bleibt aufgeklappt auf meiner Decke liegen. „Wieso sagst du es mir nicht einfach?“, bellt Jeff mich plötzlich an, während ich noch immer erschrocken auf die Stelle blicke, an der das arme Buch liegen geblieben ist. Er ist aufgesprungen und ballt seine Hände zu Fäusten. „Was denn?“, erwidere ich irritiert. Ich bin mir nicht sicher, ob wir immer noch beim gleichen Thema sind. „Komm schon! Erspar uns doch diese billige Retourkutsche. Ich weiß es längst...“ Diesmal lässt seine Körperhaltung keinen Zweifel zu. Er weiß es wirklich. _______________________________________________________________________________________________ PS: Euch allen wünsche ich noch ein wunderbares, glückliches und gesundes neues Jahr, welches hoffentlich mit Ruhe und Entspannung, aber auch Abenteuern und Herausforderungen gespickt sein wird! Ich danke euch für die wundervolle Unterstützung, die mir so viel Mut macht, mir so viel Freude schenkt und mich immer wieder freudestrahlend den Tag begehen lässt. Danke, dass ich euch mit meiner Geschichte erfreuen darf Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)