Den Ärger wert von RedRidingHoodie ================================================================================ Kapitel 15: Grenzgänger ----------------------- Vor dem Fenster des Lehrsaals war bereits die Sonne untergegangen. Nur noch eine dünne rote Schliere war hinter dem nächsten Gebäude zu sehen. Ähnlich dünn war die Besetzung der Vorlesung; viele Studenten hatte es nicht zu dem Vortrag über Sprachentwicklungen der Neuzeit gezogen, und auch ich musste zugeben, dass mein Interesse begrenzt war. Aber Sakura hatte noch eine Pflichtveranstaltung, und ich wollte mir ihr nach Hause fahren. Da sie mir nicht erlaubt hatte, ihrem Unterricht beizuwohnen (sie wusste genau, dass ich sie nur abgelenkt hätte), war ich in eine Veranstaltung gegangen, die ich sonst nie besucht hätte, und hier saß ich nun. Gelangweilt scrollte ich durch meine WhatsApp Chats und schrieb dem einen oder anderen Freund. Meine Freundin hatte mich bereits ermahnt, mich zu konzentrieren und sie nicht weiter abzulenken, also schickte ich ihr keine Nachricht mehr. Ziemlich weit unten in der Liste stieß ich auf Gaaras Namen, von dem ich schon lange nichts mehr gehört hatte. Seit er mit Shukaku zusammengezogen war, hatten sie nur wenig Kontakt mit der Clique. Das fand ich schade, sodass ich ihn anschrieb und vorschlug, mal wieder etwas zu unternehmen. Unwillkürlich fiel mir noch jemand ein, von dem ich lange nichts gehört hatte, und ich klickte auf meine Kontakte, um Sasukes Nummer zu suchen. Vor einem Jahr hatte ich sie auswendig gekonnt, jetzt kam ich mir wie ein Stalker vor, als ich auf „Details“ klickte. Nicht, dass da noch viel gestanden hätte. Das Foto, das ich früher unter ihrem Namen gespeichert hatte, hatte ich gelöscht. Kyûbi hatte mir geraten, ihren Kontakt ganz zu entfernen, aber das hatte ich nicht über mich gebracht. Sie hatte doch gesagt, dass wir uns wiedersehen würden. Als wir das dann taten, hatte sie nicht begeistert gewirkt, aber was hätte ich tun sollen? Mich einfach umdrehen und gehen? Aber trotz ihrer Anspannung hatte sie mir ihre Nummer gegeben (ich hatte nicht erwähnt, dass ich sie noch hatte) und zugestimmt, sich mit mir zu treffen. Bisher hatte ich ihr aus Zeitgründen noch nicht geschrieben, und, wenn ich ganz ehrlich war, aus Nervosität. Immerhin hatte sie gut ausgesehen. Gesund. Das letzte Jahr hatte ihr nicht nur zwei, drei dringend nötige zusätzliche Kilos gebracht, sondern eine neue Arbeit und ein neues zu Hause, die ihr gutzutun schienen. Das Haar trug sie inzwischen über schulterlang, was ihr stand, und ihre Kleidung war auf eine subtile Art weiblicher gewesen. Ich freute mich für sie, wirklich. Nur fragte ich mich, warum sie sich nicht bei mir gemeldet hatte, nachdem sie alles erreicht hatte, was sie wollte. Unsicher fing ich an, eine Nachricht zu schreiben, löschte sie wieder, fing von vorne an, und so weiter, bis ich schließlich die banalste aller Mitteilungen der Welt abschickte. » Hey, wie geht´s? War cool, dich letztens zu sehen :D « Ich war nervös und versuchte, mich mit dem Vortrag des Professors abzulenken, bis kurz darauf die Antwort eintrudelte. » Gut, und dir? Ja, war es. « » Ich bin gelangweilt, sitz grad in der Uni und es ist brutal öde D: « Ich schickte ein Foto von mir, wie ich ermattet auf dem Pult lag. Ein paar Leute hinter mir hatten das gemerkt und zogen wahlweise witzige Grimassen oder schauten genervt. Zu meiner Überraschung schickte Sasuke ein Bild zurück, was sie früher nie getan hatte. Es zeigte ihre Beine, auf denen ein Buch lag, und eine Tasse auf der Lehne eines Sessels. » Angeberin «, schoss ich zurück. » Jedem das seine. « » Was liest du? « Daraufhin entwickelte sich so leicht ein Gespräch, als hätte es die letzten neun Monate nie gegeben. Sie erzählte, dass sie gerade an ihrer Bachelorarbeit tüftelte, mit der sie gut vorankam. Sie war etwa so weit wie ihre Kommilitonen, was Anbetracht der Tatsache, dass sie einen Vollzeitjob hatte, eine beachtliche Leistung war. Meine Nervosität legte sich, und ich war einfach froh, wieder von Sasuke zu hören. So sehr, dass ich eine Sekunde lang fast enttäuscht war, als mein Handy vibrierte und ich Sakuras Namen auf dem Display sah statt Sasukes. Ich schob das Gefühl beiseite und antwortete meiner Freundin, die mich vor der Fakultät treffen wollte. Dann las ich Sasukes neuste Nachricht, bei der ich in mich rein grinste. » Ich muss jetzt los, die Stunde ist vorbei und ich treffe mich mit Saku-chan ♥ Wir müssen uns echt treffen und quatschen. Wann hast du Zeit? Bin gespannt, was es bei dir Neues gibt! ;D « Die Antwort ließ auf sich warten, sodass ich bereits mit dem Rucksack auf dem Weg nach draußen war, als mein Handy vibrierte. » Melde dich, wenn du Zeit hast. « Überrascht sah ich die Nachricht an. Sasuke ließ sich so gar nicht bitten. Irgendwie hatte ich erwartet, sie würde sich genauso anstellen wie bei unserer ersten Begegnung. Stattdessen schrieb sie bereitwillig und zeigte Interesse an einem Treffen. Ich war noch verblüfft, als Sakura wenig später zu mir kam, was diese natürlich bemerkte. „Was ist los?“, wollte sie auf dem Weg zur S-Bahn wissen. Um mir Zeit zum Nachdenken zu verschaffen, schob ich die Hand in ihre und küsste ihre Finger. Sie hatte mir erzählt, wie eifersüchtig sie damals auf Sasuke gewesen war, und ich wollte sie nicht beunruhigen. Anlügen wollte ich sie aber genauso wenig, also erklärte ich: „Ich habe gerade mit Sasuke geschrieben. Es… Wundert mich, dass sie nach einem Jahr so… Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll. Es wundert mich, dass sie so interessiert ist.“ Sakura murmelte etwas, das nach ´Mich überrascht das nicht`, klang, schüttelte aber nur den Kopf, als ich nachfragte. Wir suchten uns in der Bahn einen Sitzplatz, wo ich den Arm um meine Freundin legte, die sagte: „Ich weiß, du wirst sowieso tun, was du willst… Aber pass auf dich auf, ok? Ich will nicht, dass du verletzt wirst.“ Sie sah mich aufrichtig besorgt an und ich lächelte liebevoll. „Es ist süß, dass du dir Sorgen machst, aber nicht nötig. Ich glaube, wenn sie noch nicht so weit wäre, hätte sie nicht zugestimmt, sich zu treffen.“ „Ihr wollt euch treffen?“, fragte Sakura, woraufhin ich nickte. „Ja, natürlich. Ich will wissen, was im letzten Jahr bei ihr so los war. Oder stört dich das?“ Ich war so irritiert, weil ich nicht verstand, wieso meine Freundin es ablehnen könnte, dass ich mich mit einer alten Bekannten traf. Das lag daran, dass ich Sasuke eben als Freundin sah, nicht mehr. Sakura strich sich das Haar hinters Ohr und sah zu Boden, während sie nachdachte. „Nein… Das ist alles nur sehr plötzlich, oder?“ Ich fand ein Jahr Wartezeit nicht wirklich ´plötzlich`, doch ich verstand, was sie meinte. Zugegebener Maßen hatte nämlich sogar ich bereits die Hoffnung aufgegeben, Sasuke je wieder zu sehen. Ich nahm es ihr, im Gegensatz zu meinen Freunden, nicht übel, dass sie gegangen war. Bloß hatte ich inzwischen angefangen zu glauben, ich wäre ihr gleichgültig. Deshalb war ich verblüfft, sie so kooperativ und ja, interessiert zu erleben. Ich musterte Sakura nachdenklich, während wir aus der Bahn stiegen und uns in Richtung unseres Lieblingsrestaurants aufmachten. Sie erzählte gerade von ihrem Kurs, als ich plötzlich einwarf: „Möchtest du mitkommen?“ „Hm?“ „Wenn ich Sasuke treffe, meine ich“, erklärte ich, da sie mich verwirrt ansah. „Ich meine, du machst dir offenbar Sorgen, und ich will nicht, dass du dir solche Gedanken machst.“ Verlegen strich sie sich das Haar zurück und sah zu Boden. Wir gingen ein paar Schritte schweigend, dann sah sie lächelnd zu mir auf und nahm meine Hand. „Nein, schon ok. Ihr habt euch sicher viel zu sagen… Klärt das erst Mal, und dann können wir etwas zusammen unternehmen, in Ordnung?“ Ich nickte lächelnd, drückte ihre Hand und küsste ihre Stirn. „Danke, Sakura-chan.“ Niemand hielt es für eine gute Idee, dass ich Sasuke wiedersehen wollte. Manche, wie Kyûbi, deuteten dies nur an, andere, wie Tsunade, taten ihren Unmut offen kund. „Ich hatte sie für ein kluges, ruhiges Mädchen gehalten, doch ich habe mich geirrt“, wetterte meine Großmutter, als ich ihr von meinem Treffen mit Sasuke am nächsten Tag erzählte. „Sie ist verlogen und hinterhältig.“ „Dass du mal zugeben würdest, dich geirrt zu haben…“, erwiderte ich, ruhig, denn meine Entscheidung stand fest. Es war nicht nur so, dass ich Sasuke sehen wollte – und das tat ich. Ich wollte wissen, wie das letzte Jahr für sie gewesen war, was sie getan und erlebt hatte. Ich wollt wissen, wie sie inzwischen zu ihrer Familie stand, wie ihr Studium lief, aber auch solche Kleinigkeiten wie ob sie Tomaten immer noch so liebte. Ich wollte alles wissen. Ich wollte Sasuke wieder kennenlernen. Aber das war nicht alles. Ich hatte versprochen, auf sie zu warten, und ich hielt immer mein Wort. Der einzige, der mich zu verstehen schien, war Jiraiya: „Es stand nie außer Frage, dass du wieder mit Sasuke verkehren würdest, sollte sie sich melden“, stellte er fest und ich nickte, doch er fuhr nachdenklich fort: „Aber du solltest auf dich aufpassen… Und Sakura nicht verletzen.“ Irritiert blinzelnd lehnte ich mich in meinem Stuhl zurück. „Ich will nur mit Sasuke befreundet sein.“ „Hm… Und weiß sie das, nachdem du sie während eurer gesamten Freundschaft so angehimmelt hast?“ „Sie hat gesehen, dass ich mit Sakura-chan zusammen bin“, erwiderte ich, trotzig die Arme verschränkend. Mein Großvater lächelte nur mitfühlend. „Das beantwortet nicht die Frage… Ich will dir nicht vorschreiben, was du zu tun hast. Pass einfach auf, die Gefühle der Mädchen nicht zu verletzen… Oder deine eigenen.“ Vermutlich war für Außenstehende schwer zu verstehen, was ich bezüglich Sasukes Rückkehr empfand, dachte ich auf dem Weg zu unserem Treffpunkt. Immerhin war ich vor nicht mal einem Jahr verrückt nach ihr gewesen. Doch die Zeit und der Schmerz, den ich ihretwegen erlitten hatte, hatten das genauso geändert wie meine neue Beziehung. Schließlich war ich nicht aus einer Laune heraus mit Sakura zusammen. Sie lag mir sehr am Herzen, war eine tolle Frau; liebevoll, durchsetzungsstark, intelligent, fürsorglich… Um nur einiges zu nennen. Sie war, was ich brauchte, nachdem Sasuke so ein riesiges Loch in mein Leben gerissen hatte. Aber genau da lag die Krux: Sakura half mir über dieses Loch hinweg – schließen konnte sie es nicht. Sasuke hatte einen immensen Teil meines Lebens eingenommen, der von einem Tag auf den anderen einfach fehlte. Zuerst hatte ich ihn mit der Hoffnung gefüllt, sie wieder zu sehen, doch diese Hoffnung war bald geschrumpft. So stand ich vor einem Abgrund, und ich war ein Mensch, der andere nicht einfach gehen lässt. Immer wieder wälzte ich die Frage hin und her, was ich falsch gemacht hatte, obwohl ich eigentlich wusste, obwohl Sasuke selbst gesagt hatte, es läge nicht an mir. Tatsache blieb, dass sie mich bei was immer sie tat nicht dabei haben wollte. Ich wäre ihr eine Last gewesen. Und so zurückgelassen zu werden, hatte mich fast zerrissen. Das wussten meine Freunde und Familie, deshalb ihre Abneigung gegen Sasuke. Doch ich war ihr nicht böse. Sie hatte es tun müssen, für sich, unabhängig davon, dass ich es nicht verstand. Und jetzt war sie wieder da. Das Bücherkaffee zu betreten stimmte mich nostalgisch. Wie oft wir hier gesessen hatten… Während ich die Wendeltreppe hochstieg, fragte ich mich, ob Sasuke alleine gekommen war. Denn ich hatte es vermieden, das Restaurant aufzusuchen, um ihr nicht zufällig über den Weg zu laufen. Hatte sie es genauso gehalten? Vielleicht insgeheim sogar gehofft, ich würde doch kommen? Aber so war Sasuke nicht. Sie meinte, was sie sagte, und sie hatte damals gesagt, ich solle sie in Ruhe lassen. Ich ging durch die Bücherregale zur hintersten Sitzecke, wo ich Sasuke wie erwartet vorfand. Sie trug schwarze Jeans und einen grauen, figurbetonten Rollkragenpullover. Vermutlich zum dritten Mal sah ich sie in Frauenkleidern; ein Mal bei Inos Ladeneröffnung, ein Mal an dem Abend in der Disco und jetzt. Nur, dass sie heute entspannt und natürlich wirkte und nicht ständig an ihrer Garderobe zupfte wie damals. Außerdem zeichneten sich sanfte Kurven unter dem Stoff ab. Erstmals schien Sasuke ein gesundes Gewicht zu haben. Sie bemerkte mein Starren und ich grinste verlegen, als sie aufblickte. Ach ja, sie mochte es nicht, angegafft zu werden. „Hi! Bin ich zu spät?“, begrüßte ich sie und ließ mich auf den Sessel ihr gegenüber fallen. Statt wie andere Leute abzuwinken, sah sie auf die klobige Männeruhr, die sie schon früher getragen hatte, ehe sie den Kopf schüttelte. „Du bist pünktlich.“ „Gut.“ Ich lächelte breit, sie nickte. Und dann herrschte einen Moment ein sehr unangenehmes Schweigen, bevor ich rasch fragte: „Ähm, und wie ist es dir so ergangen?“ Es war so leicht gewesen, an dem Abend beim Konzert mit ihr zu reden, dass ich ihre Schweigsamkeit fast vergessen hätte. Wahrscheinlich hatte meine Begeisterung, sie wiederzusehen, uns darüber hinweggetragen, dass wir uns ein Jahr nicht gesehen hatten und wir uns in dieser Zeit fremd geworden waren. Doch dann machte Sasuke mir Hoffnung, indem sie fragte: „Was genau willst du wissen?“, Sicher, das wäre bei jedem anderen die normale Reaktion gewesen. Doch sie signalisierte damit Bereitschaft, über sich zu sprechen (was sie nicht gerne tat) und mich über ihr Leben auf den neusten Stand zu bringen. Wir fingen also nicht auf demselben Stand an wie bei unserem ersten Kennenlernen, und diese Geste brachte mich zum Lächeln. „Hm… Erzähl von deiner Ausbildung. In welchem Betrieb arbeitest du?“ Sie erzählte überraschend bereitwillig, sodass ich bald das Wichtigste über ihre Lehre (die ihr erwartungsgemäß leicht fiel), das Studium (das sie bald beenden würde) und auf Nachfrage sogar über ihre Freunde wusste. Von Suigetsus neuer Freundin wusste ich ja bereits – ich hatte sie an besagtem Konzertabend sogar kurz gesehen. Karin konnte nicht mit einer neuen Beziehung aufwarten, hatte im letzten Jahr jedoch einige Modelaufträge bekommen und überlegte, ihr Studium für die Karriere aufzugeben. Ich fand, sie solle es ruhig probieren; es war wichtig, seinen Träumen zu folgen. Sasuke zuckte nur die Schultern; es war ja Karins Sache. Aber die meisten Leute wollten die Rothaarige davon überzeugen, zuerst ihr Studium zu beenden. Von Juugo gab es nicht so viel zu erzählen. Er studierte und arbeitete nach wie vor, wohnte in derselben Wohnung und war vermutlich noch genauso seltsam wie bei unserer letzten Begegnung. „Und was ist mit dir?“, kehrte ich schließlich zum eigentlichen Thema zurück. Da sie nicht gerne Gesprächsgegenstand war, hatte Sasuke – ob bewusst oder unbewusst sei dahingestellt –das Thema gewechselt, doch so leicht kam sie mir nicht davon. „Was gibt’s sonst neues?“ Sie überlegte kurz, dann sagte sie: „Ich bin ausgezogen.“ „Echt?“, lachte ich ungläubig und schüttelte den Kopf, als sie nickte. „Itachi war bestimmt begeistert.“ Sie zuckte die Schultern. „Das war nicht seine Entscheidung.“ „Ne, wohl nicht… Hast du Fotos von der Wohnung?“, wechselte ich das Thema, da ich merkte, dass sie nicht über ihren Bruder sprechen wollte. Sasuke holte ihr Handy hervor und zeigte Bilder von etwas, das nah einer Einweihungsparty aussah, zumindest saßen Suigetsu, Juugo und Sasuke in einer halbfertig eingerichteten Wohnung zwischen Kartons und aßen Pizza. Karin musste die Fotos gemacht und Sasuke geschickt haben. Die Rothaarige selbst war nur auf einem, das sie mit ausgestrecktem Arm von der ganzen Gruppe gemacht hatte. Es fühlte sich seltsam an, nicht dabei gewesen zu sein. Trotzdem lächelte ich, als ich Sasuke das Handy zurückgab. „Sieht schön aus. Verdienst du in der Ausbildung gut, wenn du dir das leisten kannst?“ Sie schnaubte amüsiert. „Fugaku finanziert die Wohnung.“ „Ohne zu wissen, dass du nicht tust, was er will? Böses Mädchen.“ Ihre Augen blitzten, doch sie zuckte nur die Schultern und lehnte sich zurück, die Teetasse vor sich auf dem Unterteller stehend. „Ich beende mein Studium doch, wie er möchte. Danach… Sehen wir weiter.“ „Sag ich doch; böses Mädchen“, grinste ich, und sie verdrehte schmunzelnd die Augen. „Ich freu mich jedenfalls für dich, wirklich… Aber du übernimmst dich nicht mit allem, oder?“ „Nein“, sagte sie sofort, ehe sie zögernd an ihrem Tee nippte. „Ich wollte alles so schnell wie möglich erledigen.“ Ich erinnerte mich, wie wir vor knapp einem Jahr hier gesessen hatten und Sasuke mir eröffnete, sie müsse gewisse Dinge alleine regeln. Damals hätte ich nicht gedacht, dass es so lange dauern würde. Dann hatte ich nicht gedacht, sie je wieder zu sehen. Und jetzt wusste ich nicht, was ich denken sollte. Klar freute ich mich über die positive Entwicklung ihres Lebens und darüber, sie wiederzusehen. Doch wollte ich es ihr so leicht machen, nachdem sie mich hatte sitzen lassen? Zumal Sakura angedeutet hatte, es nicht so toll zu finden, dass ich mich mit Sasuke traf. Sie war immerhin sowas wie meine ´Ex`, obwohl wir nie offiziell zusammen gewesen waren. Aber wir hatten fast unsere ganze Freizeit miteinander verbracht, sie war bei meiner Familie ein und aus gegangen und hatte bei mir geschlafen. Sie hatte mir vertraut, soweit es ihr möglich war. Ich hatte ihr von guten oder schlechten Ereignissen immer zuerst erzählt. Und dann war sie ohne Angabe von Gründen gegangen. Ich wusste nicht, ob ich das Risiko, sowas nochmal zu erleben, eingehen wollte, selbst ohne tiefergehende Gefühle. Das würde ich wohl nach diesem Treffen entscheiden müssen. „Und? Hast du alles erreicht, was du wolltest?“, fragte ich schließlich nach längerem Schweigen ernst. „Das meiste.“ Dabei sah sie mich nachdenklich an, ehe sie eine unverbindliche Geste machte. „Also… Du und Sakura?“ Sofort lächelte ich (Nein, nicht mechanisch). „Ja, seit… ungefähr zwei Monaten.“ „Hm… Ich hätte nicht gedacht, dass sie es doch zugibt“, meinte Sasuke, was mich nicht schlecht staunen ließ. „Du wusstest davon?“ Sie verdrehte die Augen. „Jeder wusste das, Naruto. Nur du verstehst davon nichts.“ „Hey, jetzt sind wir doch zusammen!“ Sie sah aus, als hätte sie etwas zu sagen, schluckte es aber runter. „Sieht so aus.“ Am liebsten wäre ich so naiv gewesen wie vor einem Jahr und hätte nicht verstanden, was Sasuke so störte. Aber ich wusste, dass sie enttäuscht war, allerdings nicht überrascht. Sie hatte damit gerechnet, enttäuscht zu werden. Es tat mir leid, sie zu verletzen, doch ich hatte ihr versprochen zu warten, und das hatte ich getan - zu lange, der Meinung meiner Familie nach - sonst würde ich nicht hier sitzen. Doch ich hatte sie offen begrüßt und sah mich nach wie vor als ihren Freund. Ich hatte ihr keine Beziehung auf Abruf angeboten. Trotzdem musste ich zugeben, dass die Situation nicht einfach war. „Sakura-chan war nicht begeistert von diesem Treffen…“, gab ich leise zu. Sasuke zog eine Braue hoch. „Ach?“ „Nein“, blitzte ich sie wütend an, doch Sasuke legte nur den Kopf schief, sodass ihr das lange Haar über die Schulter nach vorne fiel. „Warum bist du dann hier?“ Weil meine Freundin kein Aufenthaltsbestimmungsrecht über mich hatte. Weil sie mir vertraute, obwohl es ihr nicht passte. Weil ich Sasuke versprochen hatte, zu warten, und meine Versprechen immer hielt. Weil ich sie hatte sehen wollen. Es gab viele Gründe, aber der wichtigste war: „Weil wir Freunde sind, Sasuke.“ Sie lehnte sich zurück, überschlug die Beine und lehnte sich mit verschränkten Armen zurück, ohne den Blick von mir zu wenden. „Trotz allem.“ „Jup.“ „Einfach so.“ „Sieht so aus.“ „… Du bist ein seltsamer Mann, Naruto.“ Ich grinste breit und kratzte mich an der Nase. „Das sagen viele. Ich versteh gar nicht, wieso!“ Augenverdrehend löste sie die Arme, konnte aber selbst ein Lachen nicht verhindern. „Idiot…“ Zuerst lachte ich mit, doch dann schlich sich ein sanftes Lächeln auf meine Züge. Ich hatte es vermisst, mit Sasuke Zeit zu verbringen. Ich hatte sie vermisst, egal, was alle anderen oder die Vernunft sagte. Von da an war es nicht etwa so, als habe es das vergangene Jahr nie gegeben, sondern vielmehr so, dass wir gemeinsam versuchten die verlorene Zeit so gut wie möglich zu rekonstruieren und nachzuholen. Sasuke erzählte, wie sie an ihren Ausbildungsplatz gekommen war – nach einem Essen mit ihrer Großmutter hatte sie den Chef des Restaurants einfach angesprochen – und was sie bisher gelernt hatte. Sie erzählte von der Diskussion mit Fugaku vor ihrem Umzug und wie sie die Wohnung gefunden hatte. Sie erzählte und erzählte, und ich fragte immer noch mehr, und obwohl sie es nicht aussprach, wusste ich, dass ich Sasuke genauso gefehlt hatte wie sie mir. Stunden später – die Sonne war schon vor einer Weile untergegangen – verließen wir das Café. Die Situation erinnerte mich an unser letztes Treffen und ich sah Sasuke ein wenig unsicher an, als es ans Verabschieden ging. „Und jetzt…?“ „Hm?“, machte Sasuke und sah zu mir auf. „Na ja…“ Ich trat nach einem Steinchen, während wir die Straße entlang liefen. Sasuke wohnte in der Nähe, und ich begleitete sie heim. „Wie verbleiben wir jetzt? Willst du… wieder befreundet sein, oder brauchst du noch Zeit oder nerv ich dich oder…?“ Sasuke rieb sich merklich genervt den Nasenrücken. „Glaubst du, ich hätte so lange da mit dir gesessen, wenn du mich genervt hättest?“ Die Sasuke, die ich gekannt hatte, hätte das nicht getan, doch ich ahnte schon, dass sie diese Frau nicht mehr war, deshalb meine Frage. Ich musste erst wieder herausfinden, wie sie reagierte. Also zuckte ich die Schultern und erwiderte: „Sag du es mir.“ „Nein, hätte ich nicht“, antwortete sie ruhig. Dann verschränkte sie die Arme und sah zur Seite, wie immer verlegen darüber, so etwas wie Gefühle gezeigt zu haben. „Gut, dann ist unsere Freundschaft wieder aktiviert!“, strahlte ich und stieß begeistert die Faust in die Luft, worüber Sasuke natürlich nur die Augen verdrehte. Trotzdem ließ sie sich von mir umarmen. Sie murmelte etwas, das nach ´Idiot` klang, schloss aber ebenfalls die Arme um mich. So standen wir eine Weile vor dem Café und genossen, dass der andere wieder da war. Als wir uns lösten, grinste ich Sasuke an. „Ruf mich an, ok?“ „Hm…“ „Ernsthaft! Ich werd mich nich melden!“ Sie sah mich nachdenklich an, wie eigentlich immer, dann schmunzelte sie. „Das hast du schon mal gesagt und nicht durchgehalten… Bis dann.“ „Ciao!“, rief ich und wir trennten uns. Auf dem Heimweg war ich geteilter Stimmung. Einerseits war ich froh, dass wir uns wiedergesehen und getroffen hatten. Andererseits fragte ich mich, ob Sasuke anrufen würde. Es hatte zwar geklungen, als würde sie das, doch bei ihr konnte man nie wissen. Ich hatte sie schon mal zu Eigeninitiative drängen wollen und sie damit nur verscheucht. Aber ich würde es ja sehen. Zu Hause wurde ich empfangen wie nach einer zukunftsentscheidenden Prüfung, zumindest von Tsunade. Ihr Mann war in seinem Büro, wie gefühlt schon seit Tagen; er arbeitete gerade an einem neuen Roman. „Und? Wie war es?“, fragte daher meine Großmutter. Ich zuckte die Schultern und hängte die Jacke an einen Haken. „Gut, wie erwartet. Wir haben ewig gequatscht.“ „Das habe ich gemerkt“, giftete Tsunade, denn ich war bestimmt sechs Stunden unterwegs gewesen. „Hat sie sich entschuldigt? Oder erklärt, was das ganze Drama sollte?“ Bei der Vorstellung, Sasuke hätte sich entschuldigen können, musste ich unwillkürlich lachen. Ihre Sturheit und Rechthaberei hatten schließlich keinen Deut abgenommen. „Nein, hat sie beides nich. Aber sie konnte scheinbar alles regeln. Das ist das Wichtigste.“ Tsunade seufzte tief, sah mich besorgt an. „Irgendwann nutzt jemand deine Gutgläubigkeit noch richtig aus. Und es würde mich nicht wundern, wenn es diese Sasuke Uchiha wäre.“ „Weißt du was? Ich wäre froh, wenn sie das täte“, grinste ich und küsste Tsunade auf die Schläfe, bevor ich mein Zimmer ging. Würde Sasuke mich ausnutzen, hieße das schließlich, dass sie sich auf mich verlassen würde und Hilfe annähme. Aber wenn sie noch war, wie ich sie gekannt hatte, verließ Sasuke Uchiha sich auf niemanden außer Sasuke Uchiha. Später telefonierte ich noch mit Sakura, die genauso neugierig auf mein Treffen war wie meine Großmutter, sich mit bissigen Kommentaren aber zurückhielt. Als ich ins Bett ging, fragte ich mich, wann mein Leben zuletzt so nach Plan verlaufen war wie es das im Moment tat; ich hatte eine tolle Freundin, es war ein strahlender Herbst, und jetzt hatte ich auch noch eine alte Freundschaft wiederbelebt. Ja, ich war wirklich glücklich zu dieser Zeit. In den kommenden Wochen sah ich Sasuke häufig. Diesmal war es nicht sie, die meine Freunde nicht sehen wollte, sondern meine Freunde, die nicht scharf auf ein Treffen waren. Kyûbi war der einzige, der sich ohne Murren zu uns gesellte, obwohl ich ein wenig besorgt war, jetzt, wo ich wusste, woher die Spannung zwischen meinen beiden besten Freunden rührte. Sasuke selbst hatte ich noch nicht darauf angesprochen. Wie auch? ´Hey, sag mal, hast du eigentlich ein Drogenproblem?`, erschien mir nicht gerade vielversprechend. Kyûbi hatte da keine Vorbehalte. „Na, wie ist es dir so ergangen?“, fragte er leichthin, aber eindeutig genug, dass alle Anwesenden wussten, was gemeint war. Sasukes Blick huschte kurz zu mir, fragte sich, wie viel ich wusste, dann zuckte sie die Schultern. „Gut.“ Das konnte man interpretieren, wie man wollte, oder wörtlich nehmen. Sie sah nämlich wirklich gut aus. Das inzwischen über schulterlange Haar stand ihr, genauso wie die drei, vier Kilo, die sie zugenommen hatte. Doch das war nicht alles. Sie gab sich anders, viel entspannter. Eine Plaudertasche war sie nicht und würde sie nie sein, doch sie redete, ab und zu sogar über ihre Probleme. Ich wusste, wann ihre Nachbarn zu laut waren, und das waren sie oft. Ich wusste, wenn etwas in ihrer Arbeit oder der Universität nicht lief, und wenn sie ihre Familie besuchen musste, was sie jedes Mal stresste. Nach einer Weile war es, als hätte es das letzte Jahr nie gegeben, mal von der Tatsache abgesehen, dass ich jetzt mit Sakura liiert war und sie so gut wie immer dabei war, wenn ich mich mit Sasuke traf. Meine Freundin und alle anderen rieten mir, es langsam angehen zu lassen, mich nicht wieder so sehr auf sie einzulassen. Doch das war keine bewusste Entscheidung, die ich traf. Wir trieben einfach aufeinander zu, ganz natürlich. Das war für Außenstehende wohl schwer zu verstehen, vor allem für Sakura. Zuerst hatte sie sich für mich gefreut, dass ich eine Freundin zurückgewonnen hatte, von der sie wusste, wie viel sie mir bedeutete. Wie gesagt, unternahmen wir oft etwas zu dritt, und ich dachte, das wäre ok für meine Freundin. Bis zu einem Abend, als ich ihr erzählte, dass Sasuke spontan mit uns ins Kino kommen würde. „Wow… Überraschend.“ Meine Freundin verdrehte die Augen und wandte sich ab, sodass sie meinen Arm, der über ihrer Schulter gelegen hatte, abwarf. Ich setzte mich irritiert im Bett auf. „Huh? Hast du dich mit Sasuke gestritten?“ „Ich habe nichts gegen Sasuke-kun“, sagte sie giftig und stand auf. Sie war nackt, änderte diesen Umstand aber, indem sie einen Seidenmorgenmantel überstreifte. Ich selbst machte mir nicht die Mühe, mich zu bedecken, während ich meine Freundin verwirrt ansah. Sie kannte mich immerhin (sehr gut) unbekleidet. „Und was ist dann das Problem?“ Sakura verdrehte die Augen. „Nichts.“ „Wir hatten doch gesagt, dass wir diese Ratespielchen, wenn du sauer bist, nicht machen, Schatz. Du weißt, dass ich in sowas nicht gut bin“, lächelte ich zaghaft. Sie erwiderte das Lächeln nicht. „Schön… Ich dachte eben, dass ich mit dir zusammen wäre, nicht mit Sasuke Uchiha. Ob du´s glaubst oder nicht, ich bin nicht an einer Beziehung mit ihr interessiert.“ „Du ´führst eine Beziehung mit ihr`, weil sie ein Mal ins Kino mitkommt? Hätte ich gewusst, dass es so leicht ist, mit dir zusammen zu kommen…“ Ziemlich giftig starrte meine Freundin mich an. „Mal ins Kino, zum Badmiton, zum Einkaufen, beim Kochen, zum Filmeabend… Sie ist immer dabei, ist dir das gar nicht bewusst?“ „Das…!“, fing ich an, geriet jedoch ins Stocken, als mir klar wurde, dass Sakura Recht hatte. Wir waren eigentlich nur alleine, wenn bei ihr waren. Als sie merkte, dass ich das langsam realisierte, lachte sie höhnisch. „Genau. Es wundert mich, dass sie noch nicht dabei ist, wenn wir Sex haben.“ Ich stand auf, meine Nacktheit ein ziemlich guter Beweis dafür, dass wir es durchaus ohne Gesellschaft taten. „Jetzt übertreib nicht…“, murmelte ich, während ich mich anzog. „Ich wusste nicht, dass du das so siehst. Tut mir leid. Ich bin… Nur froh, dass sie wieder da ist, und da habe ich wohl übertrieben. Entschuldige bitte.“ Meine aufrichtige Reue nahm ihr wohl den Wind aus den Segeln, denn sie atmete tief durch, um sich ein wenig zu fassen. „Das verstehe ich doch. Ich verstehe, wie wichtig dir deine Freunde sind, Naruto. Nur… Lass mich nicht mit Sasuke konkurrieren. Das habe ich vor einem Jahr versucht, und ich kann´s nicht.“ Statt der Wut traten Tränen in ihre Augen. „Ich kann´s einfach nicht…“ Bestürzt nahm ich Sakura in den Arm, küsste ihren Scheitel. „Das musst du auch nicht! Du bist meine Freundin, und daran wird nichts etwas ändern, ok?“ Ich hob sacht ihr Kinn, damit sie mich ansah, und wischte ihre Tränen weg. „Es tut mir leid, ich wollte dich nicht verletzen. Nicht weinen, bitte…“ „Ich… Ja. Geht schon wieder…“, schniefte sie und wischte sich über die Augen. „Wahrscheinlich übertreibe ich eh nur…“ „Nein, wenn dich etwas belastet, sag es mir!“, verlangte ich und küsste sie innig. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, denn Sakura hatte Recht; ich verbrachte viel mehr Zeit mit Sasuke als ein vergebener Mann sollte. Und weil es so natürlich war, fiel es mir nicht mal auf. Ich hatte mich sogar gefragt, warum alle sich Sorgen machten und mir rieten, es langsam angehen zu lassen mit Sasuke. Aber jetzt wurde mir klar, dass ich sie wieder genau an dieselbe Stelle in meinem Leben setzte, die sie vor ihrem Abgang innegehabt hatte; ins Zentrum. Nur, dass dort eigentlich meine Freundin stehen sollte. Sasuke Seit meinem Wiedersehen mit Naruto waren zwei Monate vergangen, es war November. Es hatte geschneit, und die Besucher der Fußgängerzone hatten Schneematsch auf dem Asphalt hinterlassen, der in jede Ritze von Stiefeln und Hosen sickerte. Ich fragte mich, wieso ich überhaupt zugesagt hatte, mit Tenten, Ino, Hinata, Sakura und Temari shoppen zu gehen. Ich hasste shoppen. Vermutlich lag es daran, dass ich Tentens Versuch, mich in Narutos Freundeskreis zu integrieren, nicht übergehen wollte. Dazu gehörten wohl oder übel Ausflüge nur mit den Frauen. Aus diesem Grund watete ich seit zwei Stunden durch die winterliche Einkaufsmeile von einem Geschäft zum nächsten. Dabei fiel mir sehr wohl auf, wie Ino und Sakura betont Abstand zu mir suchten. Das war mir allerdings egal. Ich hatte nie versucht, ihr den Freund auszuspannen, und dafür, dass Naruto gerne Zeit mit mir verbrachte, konnte ich nichts. Das nächste Geschäft wurde angesteuert, und Sakura beschloss, in die Unterwäscheabteilung zu wollen. Temari und Ino kamen mit und zwangen Hinata, sie zu begleiten. „Das dürfen wir uns nicht entgehen lassen!“, grinste Tenten, die sich wohl für mich verantwortlich fühlte, weil sie mich eingeladen hatte. Ich mochte es nicht, derart bemuttert zu werden, und verschränkte die Arme. „Geh ruhig.“ „Oh… Aber man kann doch nie genug hübsche Wäsche haben. Willst du nicht deinem Freund gefallen?“, fragte sie leichthin, aber mit unübersehbarem Ziel, herauszufinden, ob ich vergeben war. Ich tat ihr nicht den Gefallen zu antworten, sodass sie seufzte. „Na ja, der Laden hat auch schöne Klamotten. Lass uns die ansehen.“ Schicksalsergeben folgte ich ihr durch die Kleiderständer und fand mich eine Weile später vor den Umkleiden wieder. Ein oder zwei Stücke, die mir gefielen, hatte ich sogar gesehen, sodass ich nicht nur auf meine Begleitung wartete. Zuerst zog ich eine weiße, ärmellose Bluse an, dann einen schwarzen Rollkragenpullover aus grobem Strick. Ich musterte mich gerade im Spiegel, als Tenten mich rief und ich aus der Kabine trat. Sie trug ein rotes Kleid mit Wasserfallkragen und begutachtete sich kritisch. „Was meinst du?“ „Steht dir.“ Sie runzelte die Stirn, wollte offensichtlich wiedersprechen, als ihr Blick auf mein Oberteil fiel. Grinsend deutete sie auf die weiten Maschen, unter denen man Haut hervorblitzen sah. „Oho, wen willst du denn verführen?“ Ich zog die Brauen hoch. „In einem Rollkragenpullover?“ „Hey, als ich dich kennengelernt hab, hast du nur weite Männersachen getragen, und jetzt zeigst du deine Wahnsinnsfigur. Das ist eine ziemliche Wandlung… Trotz Rollkragen.“ Sie grinste und ich sah mich selbst im Spiegel an. Es stimmte, vor einem Jahr hätte ich nicht im Traum daran gedacht, so etwas zu tragen, geschweige denn, mit Freundinnen (oder Bekannten oder was sie eben waren) shoppen zu gehen. Obwohl es eigentlich egal war, was ich anzog. „Ich werde ihn nicht nehmen“, verkündete ich und wollte zurück in die Kabine, doch da schlüpfte Tenten mir nach. „Warum nicht? Du siehst toll aus!“, bekräftigte sie und hielt mein Haar etwas hoch, sodass mein Hals freigelegt war. „Ein paar große Ohrringe und fertig ist das Outfit.“ Sie zögerte, ehe sie vorsichtig sagte: „Naruto würde es sicher gefallen.“ Kurz sah ich sie nur an, dann schnippte ich missmutig ihre Hand aus meinem Haar. „Und?“ Tenten verdrehte die Augen. „Du bist so störrisch… Aber zu mir kannst du ehrlich sein. Ich hab damals immer gehofft, ihr würdet zusammen kommen. Du weißt gar nicht, wie er am Anfang von dir vorgeschwärmt hat. Richtig nervig!“ „Ich weiß nicht, wovon du redest.“ Missbilligend schürzte sie die Lippen und zog sich aus meiner Kabine zurück. Ich sah mich erneut im Spiegel an. Würde das Naruto wirklich gefallen? … Und wieso interessierte mich das überhaupt? „Ich glaube, wir müssen mal reden“, beschloss Tenten über den Lärm ihrer Umzieharbeiten hinweg. „Ich kann sowieso einen Kaffee gebrauchen. Sagen wir den anderen Bescheid.“ Wie es aussah, hatte ich kein Mitspracherecht, sodass ich Tenten in die Wäscheabteilung folgte, wo Hinata sich in einem Berg von Reizwäsche in Grund und Boden schämte, während ihre Freundinnen sich köstlich amüsierten. Die Sportstudentin klärte die anderen über ihre Pläne auf, und wenig später waren wir auf dem Weg zum nächsten Starbucks. Die restlichen Frauen würden folgen, sobald sie Hinata genug gequält hatten. Tenten und ich setzten uns mit unserem Kaffee in den oberen Stock des Cafés, direkt ans Fenster. Draußen eilten Menschen durch den wieder einsetzenden Schnee oder suchten Unterschlupf in Geschäften. Drinnen war es angenehm warm, und Gesprächsfetzen anderer Gäste schwebten ab und zu zu uns herüber. „Also“, begann Tenten eine Ansprache, von der ich bereits wusste, dass ich sie nicht mögen würde. „Du und Naruto. Zu mir kannst du wirklich ehrlich sein. Ich fand nie, dass Sakura und er sonderlich gut zusammen passen.“ Wegen meines überraschten Blickes zuckte sie die Schultern. „Ich meine, klar, er war in der Schule verrückt nach ihr, was alle so erzählen, aber wenn du mich fragst, lag das nur daran, dass er sie nicht haben konnte.“ Das gefiel mir nicht, denn ich sah Parallelen zu uns. Hatte Naruto sich nur so auf mich fixiert, weil ich nicht verfügbar gewesen war? Wäre er nicht mehr interessiert gewesen, wenn wir tatsächlich ein Paar geworden wären? Tenten bemerkte mein Unbehagen nicht und fuhr fort: „Die zwei funktionieren nur, weil er sich ihr hundertprozentig anpasst. Ich glaube nicht, dass Naruto das stört – er würde alles für seine Freundin tun, wie du dir vorstellen kannst.“ Sie verdrehte die Augen, geriet aber ins Stocken, als ich nach wie vor nichts sagte. „Gott, das klingt alles so gemein. Ich habe Saku echt lieb, aber ich glaube einfach, wenn sie so angehimmelt wird, läuft sie Gefahr, das auszunutzen. Außerdem kam es mir so vor, dass sie sich erst für Naruto interessiert hat, als er sich in dich verliebt hatte. Ich meine, manchmal braucht man einen Anreiz, um zu erkennen, wie viel einem an jemand anderem liegt, aber… Hm. Und was Naruto angeht, glaube ich, dass er, na ja, jemanden gebraucht hat, nachdem du weg warst. Verstehst du, mir kommt diese ganze Beziehung vor wie eine Zweckgemeinschaft.“ „Und was hat das mit mir zu tun?“, unterbrach ich, da mich ihre Lästereien langsam langweilten. Außerdem wollte ich keine Analyse von Narutos Beziehung. Darüber dachte ich selbst schon genug nach, vielen Dank. Erneut verdrehte Tenten die Augen. „Du bist so eine Geheimniskrämerin. Schlimm!“, beschwerte sie sich und deutete mit dem Löffel auf mich. „Es hat insoweit mit dir zu tun, als dass ich finde, du und Naruto würdet viel besser zusammen passen.“ Verblüfft schwieg ich. Ich wollte zwar mit ihm zusammen sein, aber ob wir zueinander passten hatte ich noch nie überdacht. Ihr Gesichtsausdruck wurde weicher, gerade so, als könne sie meine Unsicherheit sehen. „Er war verrückt nach dir, von Anfang an. Ok, zuerst wahrscheinlich, weil du eine Herausforderung warst und er deine Abwehr knacken wollte. Er ist es nicht gewohnt, dass Leute so reserviert zu ihm sind.“ Das wusste ich, doch es gefiel mir nicht. Er hatte mich also tatsächlich als eine Art Trophäe gesehen, wenn Tenten Recht hatte. „Aber dann hat er dich kennengelernt, und er fand dich nur noch interessanter. Ihr wärt so ein hübsches Paar gewesen…“ „Sind wir aber nicht“, erinnerte ich, und sie unterbrach räuspernd ihr fangirlen. „Leider nicht.“ „Was willst du mir mit all dem sagen?“ Immerhin war er mit Sakura zusammen, und was immer zwischen uns gewesen war, lag ein Jahr zurück. Sollte ich versuchen, ihn seiner Freundin auszuspannen? Der Gedanke war so lächerlich, dass ich amüsiert schnaubte. Ich lief niemandem hinterher. Außerdem wollte ich, dass Naruto glücklich war, was ihm mit Sakura offensichtlich gelang. Mit mir hätte er diese Gewähr nicht; ich war noch nie eine Freundin gewesen und wusste nicht, wie ich mich als solche schlagen würde. Der Gedanke – so unwahrscheinlich er war – machte mich unruhig. Zumal Naruto niemand war, der sich ausspannen ließ. Er liebte seine Freundin abgöttisch und würde sie nie verletzten, zumindest nicht mit Absicht. Etwas verspätet fiel Tenten auf, dass sie mir gerade irgendwie geraten hatte, einer ihrer Freundinnen den Freund abzujagen, und sie hob abwehrend die Hände. „Nichts! Doch… Na ja, dass du mit mir reden kannst, wenn du willst“, erklärte sie schließlich schulterzuckend. „Es ist Scheiße, wenn der Schwarm eine Freundin hat.“ „Er ist nicht mein ´Schwarm`“, stellte ich klar, doch sie verdrehte nur die Augen. „Du bist echt anstrengend, Sas.“ Bevor ich mich über den Kosenamen beschweren konnte, den sie von Naruto übernommen hatte, fuhr sie fort: „Aber wenn du es dir anders überlegst, bin ich deine Frau. Ich lästere sogar mit dir über Sakura, wenn du willst… Sie kann ganz schön anstrengend sein.“ Tenten zwinkerte mir zu, bevor sie anfing, über etwas anderes zu plaudern. Ich fragte mich, was das sollte. Wieso sollte sie plötzlich versuchen, sich mit mir anzufreunden? Vor einem Jahr hatte sie mich eher hingenommen, denn aktiv angesprochen, was mir vollkommen genügt hatte. Vielmehr war es so gewesen, dass sie beunruhigt von meinem guten Verhältnis mit Neji gewesen war. Es war nicht so, dass ich sie nicht mochte und etwas dagegen hätte, mich mit ihr anzufreunden. Nur verstand ich ihre Beweggründe nicht, was mich misstrauisch machte. Vielleicht war sie nur neugierig, denn von da an fragte Tenten mich immer mal wieder wegen Naruto aus, obwohl es da nichts zu erzählen gab. Wir waren eben befreundet, Punkt. Im Zuge dieser „Befreundungsarbeiten“ erfuhr ich mehr über ihre eigene Beziehung, als mich interessierte. Sie hatte Neji kennengelernt, als sie Kendo ausprobierte in einer Unterrichtsstunde, die er gab. Nur wegen ihm hatte sie mit dem Sport angefangen und betrieb ihn noch, um ihren Freund öfter zu sehen. Er hatte höflich-distanziert auf ihre Avancen reagiert, sie jedoch nie außerhalb des Sportclubs getroffen. Irgendwann hatte sie herausgefunden, dass das an seinem vollen Terminkalender lag, was sie sehr erleichterte. Da er aus gutem Hause kam, hatte Tenten schon befürchtet, sie sei uninteressant für ihn. Auf einer Vereinsfeiert hatte sie ihm dann ihre Gefühle gestanden. Neji hatte gesagt, dass es schwierig wäre und er sie nicht enttäuschen wolle, also hatten sie beschlossen, sich zuerst nur zu treffen und zu sehen, wie es lief. Fast ein halbes Jahr war diese ´Probephase` gegangen, bis er Nägel mit Köpfen gemacht hatte. Außerdem erzählte Tenten, dass er Tenten vor einer Weile gebeten hatte, ihn zu heiraten, was sie jedoch noch geheim hielten. Sie wollten warten, bis beide ihr Studium beendet hatten. Sie war so offen mit ihrer Lebensgeschichte und ihren Sorgen, dass ich ihr nach und nach ebenfalls mehr von mir erzählte. Immer nur bröckchenweise, und natürlich nie zu viele Details oder gar alles, doch genug, dass sie mich besser verstand. Was ich nie erklärte, waren meine verworrenen Gefühle für Naruto, doch Tenten ließ sich nicht beirren; sie wusste einfach irgendwie, was ich für ihn empfand, und ließ sich von nichts, das ich sagte oder tat, von etwas anderem überzeugen. Eigentlich war es mir egal, was sie dachte. Es würde nichts an der Situation ändern, und die war nun mal, dass Naruto eine Freundin hatte. Mich dagegen behandelte er nach wie vor wie einen seiner männlichen Kumpels. Ich wusste, dass er mich vor einem Jahr attraktiv gefunden hatte, daraus hatte er nie einen Hehl gemacht. Jetzt war ich nicht mehr sicher, ob er noch wusste, dass ich eine Frau war. „Na ja… Du hast dir alle Mühe gegeben, ihn das vergessen zu lassen“, merkte Tenten an, als ich eines Tages etwas in die Richtung andeutete. Auslöser für diese Offenbarung war, dass Naruto mich auf offener Straße ausgelacht hatte, weil ich anmerkte, dass ein Kind niedlich sei. Er hatte das sicher nicht so gemeint, aber es hatte mich doch beleidigt. Ich war doch nicht aus Eis – Und inzwischen kam mir die Vorstellung, irgendwann mal Kinder zu adoptieren, gar nicht mehr so abwegig vor. Wahrscheinlich hatte Tenten Recht. Ich hatte mich nie sonderlich ´weiblich` aufgeführt, wenn es dafür Normen gab. Es war noch gar nicht so lange her, dass mein ganzer Kleiderschrank aus den Männerabteilungen diverser Internet-Shops entsprungen war. Inzwischen trug ich Frauensachen. Zwar nicht unbedingt rosa, Glitzer oder mit tiefem Ausschnitt, doch man erkannte unter der Kleidung eine Figur, die Tenten nicht zu loben müde wurde. Naruto hatte meine Garderobe nie gestört, vielleicht sollte ich dazu zurückkehren… Aber nein, ich mochte meine Sachen und würde mich für niemanden verbiegen – schon gar nicht in eine vergangene Version von mir. Zumal ich glaubte, dass Naruto Klamotten egal waren. Er interessierte sich für die Menschen. Wenn ich nicht gerade ´Frauengespräche` mit meiner neuen besten Freundin hielt, arbeitete ich an meiner Bachelorarbeit. Ich lag gut in der Zeit und mein Betreuer war zufrieden, doch die Abschlussphase war extrem stressig. Naruto betonte ständig, dass ich mir keine Sorgen um meine Ergebnisse machen brauchte, weil mein Perfektionismus sowieso zu einer Bestnote führen würde. Wahrscheinlich hatte er damit Recht, aber mein Druck wuchs zusätzlich, weil der Zeitpunkt, zu dem ich meinem Vater von meinen Plänen erzählen musste, immer näher rückte. Ein paar Mal hatte ich es bereits anzusprechen versucht, war jedoch immer gescheitert. „Ich glaube nicht, dass es so schlimm wird“, betonte Naruto an einem Nachmittag, an dem wir in meinem Wohnzimmer saßen. „Ich meine, es ist ja nicht so, als würdest du nichts machen.“ „Aber ich mache nicht das, was er will.“ Und das war in Fugakus Augen genauso schlimm. Er runzelte die Stirn. „Selbst, wenn es ihm nicht passt, was soll er groß machen. Es ist deine Entscheidung.“ Mir ging durch den Kopf, dass mein Vater mir die finanzielle Unterstützung versagen konnte, und als hätte er diesen Gedanken gehört, sagte Naruto grinsend: „Und wenn er dir wirklich das Geld kappt, ziehst du eben zu mir!“ Ich verdrehte die Augen. „Klar. Würde deiner Freundin sicher gefallen.“ Naruto zuckte zusammen und ich zog fragend die Brauen hoch. Doch er lächelte sofort wieder. Elender Lügner. „Das wäre ja nur vorübergehend. Außerdem glaube ich einfach nicht, dass dein Dad das machen würde. Ich meine… Er ist dein Dad!“ „Genau“, seufzte ich und lehnte mich mit geschlossenen Augen gegen das Rückenteil der Couch. Naruto kannte Fugaku nicht, er hatte leicht reden. Mir bereitete die Situation schlaflose Nächte. Das war zwar gut für meine Bachelorarbeit, aber meinem Körper gefiel ganz und gar nicht, dass er seit Wochen nur von Kaffee und Zucker betrieben wurde. Mein Kopf fühlte sich wattig an, und ich hätte hier und jetzt einschlafen können, den Kopf an Narutos Schulter gelehnt. Wieder als hätte er meine Gedanken gelesen, legte er den Arm um mich und zog mich an sich. Vor einem Jahr wäre das unmöglich gewesen, doch jetzt lehnte ich mich an ihn und zuckte nicht mal zusammen, als er mir einen Kuss auf den Scheitel drückte. Es könnte alles so einfach sein… War es aber nicht. „Sau geil, ich wollte das schon immer mal ausprobieren!“ „Das sagtest du bereits.“ Suigetsu ließ sich von meiner trockenen Antwort in seiner Begeisterung nicht bremsen. Wir befanden uns in einem Industriegebiet mit den üblichen Drogerie- und Outlet-Märkten, Firmen, Lagerhallen und Restaurants. Unser Weg führte über einen Parkplatz zu einem großen, hell erleuchteten Gebäude, vor dessen Tür einige Leute rauchten. Es handelte sich um eine Anlage, in der Minigolf und Go-Kart-Rennen angeboten wurden, wobei wir an einem der letzteren teilnehmen würden. Wir traten ein, ignorierten die breite Treppe zum ersten Stock und hielten uns rechts, wo ein Anmeldeschalter sowie Tische eines Restaurants standen. Ein kurzer Blick und ich entdeckte unser Ziel; an einem Tisch hatten Narutos Freunde Platz genommen. Er selbst sprang gerade auf und kam winkend auf uns zu. „Da seid ihr ja!“ Ich ließ mich drücken und wartete, bis die Männer sich begrüßt hatten. „Seid ihr schon eingetragen?“ Er begleitete uns zu Computern, in die wir unsere Daten eingeben mussten und die absolut scheußliche Fotos von uns machten. Nach dieser Prozedur zahlten wir an der Kasse und wurden gebeten, uns in den ersten Stock zu begeben, wo das Rennen stattfinden würde. Wir sammelten Narutos Freunde ein, die in verschiedenen Skepsisleveln auf Suigetsu und mich reagierten. Tenten strahlte mich an und ihr Freund nickte mir zu. Shikamaru und Temari begrüßten mich unbeeindruckt, Kyûbi schief grinsend und Sakura… Nun, höflich. Ich hatte das Gefühl, Naruto habe die Gruppe, der er mich hier präsentierte, sorgfältig ausgewählt, um Ärger zu vermeiden. Immerhin war seine Clique verständlicher Weise nicht begeistert davon, dass wir wieder Kontakt hatten. Das war umsichtiger, als ich ihm zugetraut hätte, und nicht das erste Mal, dass er mich mit Umsichtigkeit derart überraschte. Es war sein Vorschlag gewesen, dass ich einen meiner Freunde mitbringen sollte. Naruto hatte sogar von allen gesprochen, doch das wäre mir übertrieben erschienen, sodass ich mich an Suigetsu gehalten hatte. Er war, ob man es glaubte oder nicht, der Umgänglichste meiner Freunde. Gemeinsam stieg die Gruppe eine Treppe hoch, wobei ich zwischen Kyûbi und Naruto landete. „Warst du schon mal Go-Kart fahren?“, fragte der Rothaarige. Ich schüttelte den Kopf, und Naruto warf ein: „Aber lass dich davon nicht täuschen. Bestimmt ist sie voll die Rennsemmel!“ Amüsiert sah ich ihn an, während wir eine zweite, schmalere Treppe hochstiegen. „Rennsemmel?“ „Du weißt genau, was ich meine“, protestierte er, dann waren wir oben. Zu unserer Rechten befand sich ein Tresen, hinter dem ein Glatzkopf mit buschigen Augenbrauen stand, der gerade Tentens und Sakuras Handtaschen verstaute. Temari hatte, wie ich, ihr Geld in eine Hosentasche gesteckt. Auf der linken Seite standen Schränke mit Helmen und Stirnhauben zum Ausleihen. Geradeaus standen Go-Karts in ordentlichen Reihen, die mit Kabeln aufgeladen wurden. Die Fahrbahn verlief über zwei Ebenen, sodass wir auf die Gruppe, die gerade ein Rennen fuhr, hinabblicken konnten. Ab und zu quietschten Reifen, sonst war es recht leise, da es sich um Elektro-Karts handelte, weshalb der Benzingeruch fehlte. „Den Gestank vermisse ich“, fand Suigetsu, der zu uns getreten war, um einen Helm zu nehmen. Auch Kyûbi suchte einen Kopfschutz aus, während er sagte: „Solange die Karts genauso schnell fahren…“ „Hah, du hast doch nur Angst, dass deine Haare nach Benzin riechen!“, gab Suigetsu zurück, immer dabei, sich Freunde zu machen. Zum Glück nahm Kyûbi, dessen rote Mähne im Nacken zu einem Knoten gebunden war, meinen Begleiter nicht für voll. Sakura gesellte sich zu uns und nahm Naruto einen seiner Motorradhelme ab, die er mitgebracht hatte. „Aufgeregt?“, fragte er seine Freundin, die wohl wie ich noch nie ein Rennen gefahren war. Sie nickte und er küsste sie lächelnd. „Das wird schon! Und wenn du Angst hast, einfach immer rechts fahren.“ Wir hatten die ganze Bahn gemietet, sodass uns wenig später der Glatzkopf Funktion der Karts und Regeln des Rennens erklärte. Als er fertig war, stiegen wir in die Vehikel, die uns zugewiesen worden waren, sodass wir ins Qualifiling starten konnten. Die Streckte hatte enge Kurven, die es schwer machten, zu überholen. Bereits in den ersten Runden gab es ein paar Zusammenstöße, weshalb der Bahnhelfer – ein junger, blonder Mann mit langer Nase – sein überdimensionales Riechorgan ein wenig rümpfte, als er uns in die Startpositionen lotste. „Passt besser auf, nicht ineinander zu fahren“, mahnte er, vor allem an Suigetsu gewandt, der durch seine Rambolagen so viel Zeit verloren hatte, dass er nur schneller als Sakura und Tenten ins Ziel gekommen war. Vor ihm standen Neji und ich (sehr zu Suigetsus Ärger), dann Shikamaru, Naruto und Kyûbi. Erste war Temari, die äußerst zufrieden aussah und spielerische Herausforderungen mit den beiden besten Freunden hinter sich austauschte. Naruto wandte sich um und grinste mich an, als er meinem Blick begegnete. „Doch nichts mit Rennsemmel!“, rief er mir zu. Ich zuckte die Schultern. Das Fahren machte Spaß, erforderte aber überraschend viel Technik, die ich noch nicht raushatte. Mal sehen, vielleicht konnte ich im richtigen Rennen einen Platz gut machen. „Fertig?“, rief der Bahnhelfer, als das Licht der Bildschirme vor uns sich erneut rot färbte. „Los!“ Sofort wurden die Monitoren grün, und ich drückte aufs Gas. Shikamaru hatte wohl nicht mit dem plötzlichen Start gerechnet, sodass ich mich an ihm vorbei schieben konnte. Danach ging es um die erste Kurve und über eine Gerade, auf der ich dicht hinter Naruto lag. Die Biegung erwischte er allerdings deutlich besser als ich, sodass er mich rasch abhängte. Im Anschluss lieferte ich mir ein Rennen mit Shikamaru, bei dem mal er, mal ich vorne lag, und in dem immer wieder Neji mitmischte. Tenten und Sakura fuhren so langsam, dass ich sie fast drei Mal überrundet hätte, doch da winkte der Angestellte mit der Glatze uns bereits nach draußen. „Wie geil!“, freute sich Naruto, der schon am Monitor mit den Ergebnissen war, als ich aus dem Kart stieg. Sein Shirt klebte schweißgetränkt an seinem Rücken, wie meines vermutlich auch. Ich trat zu den drei ´Rennsemmeln`- Naruto, Kyûbi und Temari – und sah, dass ersterer gewonnen hatte. Er wandte sich um, strahlte… Und lief geradewegs an mir vorbei, als ich ihn beglückwünschen wollte. Mit eingefrorener Miene sah ich zu, wie er Sakura in den Arm nahm, hochhob und lachend mich sich selbst drehte. Bevor sie sich küssten, wandte ich mich ab. „Wow, für dein erstes Mal hast du dich echt gut geschlagen“, lobte Kyûbi, der seinen zweiten Platz gehalten hatte – nur wegen eines Defekts an ihrem Kart, wie Temari gerade mürrisch ihrem Freund erzählte. „Hn“, machte ich unbeteiligt. Kyûbi zog die Braue hoch und linste in die Richtung, aus der man Narutos Stimme aufgeregt von seinem Sieg berichten hörte. Er seufzte. „Ich hab ihm das zum Geburtstag geschenkt, also verdirb es ihm nicht. Das ist immerhin deine eigene Schuld.“ Ich schoss Kyûbi einen bösen Blick zu. Als wüsste ich das nicht selbst. „Keine Ahnung, was du meinst.“ „Klar“, erwiderte er gelangweilt und wandte sich ab, um mit seinem besten Freund zu reden. Ich blieb alleine zurück, und auch, als wir später noch in eine Bar gingen, änderte sich dieser Eindruck nicht. Alle lachten und waren gut drauf, nur ich fühlte mich isoliert. Früher hatte Naruto immer geschafft, dass ich mich unter seinen Freunden willkommen fühlte, aber jetzt saß er neben Sakura und küsste sie ab und zu, während ich zwischen Suigetsu und Neji schwieg. Was ihm nicht mal auffiel. Waren wir uns wirklich so fremd geworden? Oder war es ihm schlicht egal? Ich war emotional erschöpft, als wir uns schließlich auf dem Parkplatz verabschiedeten, und ich hasste diese Seite von mir. Viel lieber wäre ich rein rational und logisch gewesen, denn dann wäre klar, dass meine Wünsche bezüglich Naruto sich nie erfüllen würden. Doch so einfach war es nicht. Ich wollte ihn sehen, und redete mir dafür sogar ein, dass es ok wäre, nur befreundet zu sein. Obwohl es mich jedes Mal vor Eifersucht kochen ließ, wenn ich Naruto mit Sakura sah. „Sas?“, sprach mein bester Freund mich an, als die anderen ein Stück vorangegangen waren. Ich sah ihn nicht an. „Mhm?“ „Hattest du Spaß?“ Verdirb ihm nicht das Geburtstagsgeschenk. „Ja.“ „Gut. Ich fand´s nämlich schön, dass du da warst!“ Grinsend knuffte er mich gegen die Schulter. So ganz anders, als die stets ein wenig zu langen Umarmungen, mit denen er mich früher verabschiedet hatte. Nicht mal so, wie er vorhin Tenten und Temari Tschüss gesagt hatte. Naruto behandelte mich bedingungslos wieder wie einen Freund – Und zwar wie einen männlichen. „Kommst du, Naruto?“, rief Sakura von ihrem Auto aus und winkte, als sie uns sah. „Bis dann, Sasuke-kun!“ „Bis dann“, murmelte ich tonlos und sah zu, wie die beiden davon fuhren. Jedes Mal kostete es mich mehr Überwindung, das Haus meines Vaters zu betreten. Wie jedes Mal tat ich es letztendlich doch. Weil ich es versprochen hatte oder Fugaku schuldig war oder weiß der Teufel wieso. Fakt war, dass ich im Wohnzimmer saß und (immerhin sehr guten) Kaffee trank, während mein Vater und ich versuchten, uns nicht anzuschweigen. Itachi, der sonst für etwas leichtere Konversation sorgte, war auf Geschäftsreise, was ich sehr begrüßte. Eine Weile hangelten wir uns mühsam an Banalitäten entlang; dem Wetter, die Firma, Itachis Reise. Doch bereits nach einer halben Stunde ging uns der Gesprächsstoff aus. Ich fragte mich, wann ich gehen konnte, ohne unhöflich zu sein. Fugaku dagegen hatte wohl tatsächlich über ein Gesprächsthema nachgedacht und fragte schließlich: „Wie läuft es mit deiner neuen Arbeit?“ Ein wenig überrascht von der Frage zögerte ich. Sonst ging er einfach davon aus, dass ich Bestleistungen zeigte (Was ich tat, wie Lehrer und Ausbilder immer wieder bestätigten), daher irritierte mich dieses Interesse. Zumal, und das war vielleicht der vorrangige Grund, mein Vater nach wie vor nicht wusste, was genau ich arbeitete. Diese plötzliche Neugierde ließ mich Böses ahnen. Und ich sollte Recht behalten. „Gut. Es sind nach wie vor alle zufrieden mit mir.“ „Hm“, machte Fugaku, wodurch er doch die erwartete Mischung aus Desinteresse und automatischer Annahme von Bestleistungen zeigte. „Und was genau sind deine Aufgabenbereiche?“ Ich überlegte hin und her, doch mir fiel auf diese Frage keine ausweichende Antwort ein, sodass ich erschöpft seufzte. Natürlich hätte ich lügen können. Ich hatte bereits diverse mögliche Antworten ausgetüftelt, die sogar bedachten, dass mein Vater viele Leute aus seinem Arbeitsbereich kannte. Aber obwohl es kaum eine schlimmere Möglichkeit hätte geben können, wie mein Vater herausfand, dass ich nicht tat, was er wollte, hatte ich keine Lust mehr, mich zu verstellen. Ich hatte sowieso zu lange gezögert, reinen Tisch zu machen. Hatte ich wirklich erwartet, Fugaku würde zwei Jahre lang – ich konnte dank meiner Noten die Ausbildungszeit verkürzen – nicht erraten, was ich spielte? Anscheinend schon. „Sasuke?“, riss mein Vater mich aus meinen Überlegungen. „Ja… Meine Aufgaben sind Hilfe beim Kochen und Aufräumen. Ich lerne das Lager und die Abläufe bei der Warenbestellung kennen, außerdem die Hygienevorschriften. In der Berufsschule…“ „Berufsschule“, unterbrach Fugaku mich ruhig. „Soll das ein Witz sein?“ Ich holte tief Luft, um sagen zu können: „Nein. Das sind die üblichen Bestandteile einer Ausbildung zum Koch.“ Die Stille zog sich in die Länge und immer enger um mein Herz. Sag etwas. Schrei mich an. Bitte… Doch es kam nichts, und schließlich ergriff ich erneut das Wort. „Wie gesagt, meine Ausbilder sind sehr zufrieden. Ich kann die Ausbildungszeit verkürzen, sodass ich nur zwei Jahre in die Lehre gehe.“ Fugaku nahm seine Kaffeetasse, setzte sie an die Lippen, stellte sie dann aber ab, ohne etwas getrunken zu haben. „Nach allem, was ich in deine schulische Laufbahn investiert habe, machst du eine Ausbildung“, stellte Fugaku ruhig fest. „Und du hältst es nicht für nötig, deswegen mit mir zu sprechen.“ Es störte ihn, dass ich ihn nicht informiert hatte? Fast hätte ich gelacht, doch um die Situation nicht weiter zu verschärfen, schluckte ich es runter. „Ja.“ „Nun, ich sollte nicht überrascht sein. Du hattest immer Tendenzen zu eher… schlichteren Aufgaben. Wahrscheinlich habe ich dich überfordert.“ Ah, da war der beißende Spott, den ich erwartet hatte. Ohne ihn hätte ich daran gezweifelt, mit meinem Vater zu sprechen. „Findest du das lustig?“, fuhr Fugaku mich an, denn mir war unwillkürlich ein selbstironisches Lächeln auf die Lippen geschlichen. Als ich den Kopf schüttelte, starrte er mich an, wie eine Made auf seiner Picknickdecke. Schmeichelhaft. „Schweig nicht wie ein Fisch. Erkläre dich.“ „Ich habe während des Studiums festgestellt, dass Chemie nicht das ist, was ich mein Leben lang machen möchte.“ Eigentlich hatte ich das schon vorher gewusst, aber es brachte nichts, eine Entscheidung von vor drei Jahren zu hinterfragen. Verschwendet hatte ich die Zeit meiner Meinung nach nicht. Ich hatte viel gelernt. „Und da dachtest du, du schmeißt einfach alles hin, ohne andere Meinungen zu hören. Nur, weil du gerade mal nicht zu Recht gekommen bist, deine Zukunft derart in den Sand zu setzen… Ich hätte so ein kindisches Verhalten nicht erwartet.“ Es ging ihm doch nur darum, dass ich ihn nicht um Erlaubnis gebeten und mich somit seiner Kontrolle entzogen hatte. Aus Gründen der Diplomatie behielt ich diese Ansicht jedoch für mich, schließlich brauchte ich ihn noch. Ehrlichkeit war schön und gut, aber Taktik gehörte ebenfalls dazu – vor allem im Umgang mit meinem Geldgeber. Eineinhalb Jahre. Noch eineinhalb Jahre, dann brauchte ich nie wieder vor irgendwem zu katzbuckeln. „Wobei ich mich frage, wieso ich so überrascht bin. Es entspricht ganz deinem Naturell, ohne Bedenken zu tun, was dir gerade in den Sinn kommt“, analysierte mein Vater, noch immer mit einem Blick als wäre ich ein Insekt. „Seine Taten vorher zu überdenken, ist immens wichtig. Eigentlich hättest du es nicht verdient, aber ich werde mich darum kümmern.“ „Was?“, unterbrach ich zum ersten Mal seinen gift-strotzenden Monolog. Fugaku funkelte mich kalt an. „Ich werde deine Exmatrikulation rückgängig machen. Mit Sicherheit lässt sich darüber reden. Ich werde nicht zulassen, dass im Lebenslauf meiner Tochter ein Schandfleck wie ein abgebrochenes Studium steht.“ Völlig verblüfft sah ich ihn an. Säße mir jemand anderes gegenüber, hätte dieses Verhalten als beschützend und fürsorglich angesehen werden können. Vielleicht war es das sogar in gewisser Weise. Doch ich kannte meinen Vater, und ich misstraute ihm. Für mich klangen seine Worte nach Zwang und Kontrolle, denen ich entgehen wollte. Außerdem hatte er sich seit meiner Grundschulzeit nicht mehr um meine Angelegenheiten gekümmert. Klar, er war auf jeden Elternabend gegangen, doch nur, um sich erzählen zu lassen, wie hervorragend ich mich schlug. Die einzige Ausnahme dieser Lobeshymne hatte die achte Klasse gebildet. Meine Noten waren drastisch eingebrochen, sehr zur Besorgnis meiner Lehrer, bis ich mich meiner häuslichen Situation angepasst hatte. Ich funktionierte ab der Neunten wieder, sodass Fugaku zu seiner großen Erleichterung seine Aufmerksamkeit für mich reduzieren konnte. Ein oder zwei Lehrer stellten weiter Fragen, doch irgendwann gaben sie alle auf. Und jetzt spielte Fugaku den besorgten Vater. Dass ich nicht lachte. „Ich habe das Studium nicht abgebrochen“, erklärte ich gelassen. „Ich schreibe meine Bachelorarbeit per Fernstudium, neben der Arbeit. Das einzige, das sich an meinen Plänen geändert hat, ist, dass ich den Master nicht machen werde… Nun, und ich werde nicht in deiner Firma arbeiten.“ „So einfach ist das“, fragte er eisig. Ich nickte schlicht. Wenn er es nicht kompliziert machte, war es einfach. „Nach allem, was ich in deine Ausbildung investiert habe… Du bist sogar ausgezogen, um diesen… Diesen ´Plan` geheim zu halten.“ „Du hättest es nicht verstanden.“ „Ganz recht, das tue ich nicht. Weil es nichts zu verstehen gibt. Das ist nichts als einer deiner dummen, unbedachten, selbstsüchtigen Einfälle.“ „Selbstsüchtig…“, wiederholte ich spöttisch, doch darüber zu diskutieren würde nichts bringen, also konzentrierte ich mich auf das Wesentliche: „Eine Idee kann nicht gleichzeitig hinterhältig und unbedacht sein. Entscheide dich“, forderte ich, aber Sarkasmus würde mich nicht weiter bringen, also holte ich tief Luft. „Ich habe lange darüber nachgedacht und mir die Entscheidung nicht leicht gemacht. Gerade weil du viel Geld und ich viel Zeit in meine bisherige Ausbildung gesteckt haben. Aber ich bin zu dem Schluss gekommen, dass das kein Grund ist, keine neuen Wege zu gehen. Im Gegenteil. Wenn ich jetzt nicht aufgehört hätte, hätten wir nur noch mehr in etwas investiert, das ich so oder so nicht weiter betrieben hätte.“ Erschöpft von dieser untypisch langen Rede schmiegte ich mich in das folgende Schweigen. Dieses ging von meinem Vater aus, der über das Gesagte sowie die gesamte Situation nachdachte. Dabei musterte er mich, als sähe er mich zum ersten Mal. Jetzt, wo alles gesagt war, fühlte ich mich angenehm gleichgültig. Egal, was Fugaku sagte, es würde nichts an meiner Entscheidung ändern. Diese Sicherheit rührte daher, dass ich mein Leben schon vor einer Weile umgestellt hatte und mich daran gewöhnt hatte. Hätte ich dieses Gespräch sechs Monate zuvor geführt, wäre ich wahrscheinlich eingeknickt. So hörte ich mir einfach an, was mein Vater darüber dachte, ohne mich beeinflussen zu lassen. Schade war es nur um unsere in letzter Zeit relativ gutes Verhältnis, dachte ich ein wenig wehmütig, doch dieser Frieden war nur meiner Funktionalität geschuldet gewesen. Ich hätte damit rechnen müssen, dass er nicht von Dauer sein würde. „Wie ich dich kenne, lässt du dich nicht mit Logik umstimmen“, brach mein Vater schließlich das Schweigen. Er gab mir Zeit zu wiedersprachen, was ich nicht tat – seine Logik war nicht mehr meine – also nickte er. „Wie du möchtest. Da Geld offensichtlich alles ist, das du willst, und ich dich schlecht auf die Straße setzen kann, werde ich dich weiter finanziell unterstützen. Dabei kannst du auf deine Anstandsbesuche hier verzichten. Ich will dich nicht mehr sehen.“ Diese Ankündigung hätte wohl wehtun sollen. Tat sie aber nicht. Die Welt meines Vaters funktionierte nach dem Prinzip: ´Entweder du bist für mich oder du bist gegen mich.` Und seinen eigenen Weg zu gehen, hieß entsprechend, gegen ihn zu sein. „Danke“, sagte ich, denn immerhin hätte es einen bürokratischen Spießroutenlauf bedeutet, mich während der Ausbildung selbst zu finanzieren. Es wäre nicht unmöglich; ich hatte mich schon informiert. Doch so war es deutlich bequemer, und ich sah es nicht als selbstverständlich an. Fugaku sagte nichts, sondern stand auf um zu verdeutlichen, dass ich jetzt gehen würde. Ich tat es ihm gleich und zog unter seiner Aufsicht meine Schuhe an. Dann sahen wir uns an und ich fragte mich, wie unsere Beziehung ausgesehen hätte, wäre Mikoto nicht bei meiner Geburt gestorben. Vielleicht hätte er mich genauso geliebt wie Itachi. Vielleicht hätte er mich so verwöhnt wie andere Väter ihre Töchter. Vielleicht hätten wir uns trotzdem nicht verstanden, weil unsere Charakter sich einfach zuwider waren. Aber so war es eben nicht, und jetzt war die Realität, in der ich mich terrorisieren ließ, endgültig zu Ende. Keiner von uns sagte etwas zum Abschied, wir nickten uns nur zu, dann verließ ich das Haus. Im Bus zum Bahnhof konnte ich nicht wirklich denken, denn das Geschehene spielte sich immer wieder vor meinem inneren Auge ab. Hätte ich diese Szene vermeiden können? Hätte ich das gewollt? Denn irgendwann hätte ich Fugaku doch so oder so die Wahrheit sagen müssen. Erschöpft lehnte ich die Stirn gegen die Scheibe der Bahn und starrte nach draußen. Es war ein seltsames Gefühl, dass mein Vater mich gerade verstoßen hatte, so unwirklich. Es machte mich nicht wirklich traurig, hatten wir doch nie eine gute Beziehung gehabt, doch meine Familie hatte zu dem gehört, über das ich mich definierte. Sie war ein Teil von mir, würde es immer sein – aber jetzt war ich kein Teil mehr von ihr. Es war ein schwer zu beschreibendes Gefühl. Ich fragte mich, was mich jetzt noch ausmachte. Ganz klar, meine Ausbildung und mein Studium, die mir wichtig waren, doch was noch? Ich dachte an meine Freunde. Suigetsu, Karin und Juugo. Es war nicht so, dass sie mir gleichgültig waren, aber ich würde nicht wie andere Leute alles für sie tun, was daran lag, dass ich mir ihre Freundschaft nicht so sehr ausgesucht hatte als viel mehr an ihnen hängengeblieben war. Mir war oft schleierhaft, was sie an mir fanden und wieso sie ihren sozialen Kreis so sehr um mich herum aufbauten. Ganz sicher sah ich sie nicht als Ersatz für meine kaputte Familie. Ich hatte die drei im letzten Jahr näher an mich herangelassen, doch da ich keine guten Erfahrungen mit dem sozialen Konstrukt ´Familie` hatte, wäre ich nie auf die Idee oder den Wunsch gekommen, sie als solche zu bezeichnen. Ich kam gut alleine zurecht, brauchte niemanden, um meine Ziele zu erreichen, das hatte ich mir im letzten Jahr eindrucksvoll selbst bewiesen. Nein, ich brauchte keine Familie. Aber wollte ich auch keine? Früher wäre die Antwort ein klares ´Nein` gewesen. Familie bedeutete Scharade. Man war mit dem Blut an Menschen gebunden, mit denen einen sonst nichts verband. Doch inzwischen fragte ich mich, ob ich mir eine Familie nicht genauso erarbeiten konnte wie ich es mit meiner Wunschkarriere getan hatte. Zu meinen Bedingungen, mit einem Menschen, mit dem mich alles verband außer das Blut? Natürlich schwebte mir dabei ein gewisser Blondschopf vor. Den ich jedoch nicht haben konnte, wie ich mich sofort zur Ordnung rief. Aber ich konnte mir nicht helfen; mit Naruto hatte sogar die Vorstellung von Kindern etwas Verlockendes, obwohl ich nie welche gewollt hatte. Tja, wir waren wohl doch alle bis zu einem gewissen Grad der Natur unterworfen. Inzwischen war ich zu Hause und stand im Wohnzimmer. Es kam mir plötzlich schrecklich leer vor, was mich irritierte. Ich mochte es, alleine zu sein. Nur mochte ich es noch lieber, bei ihm zu sein. Meine eigenen Gefühle nervten mich, zum ersten, weil ich ganz genau wusste, dass es unmöglich war, dass diese erwidert wurden – dafür hatte ich selbst gesorgt. Zum anderen, weil es meinem Selbstbild wiedersprach, derart an jemandem zu hängen. Allerdings konnte ich nichts gegen dieses Gefühl tun, Naruto sehen zu wollen, sodass ich ihn schließlich anrief. Dabei ließ ich mich auf dem Sessel nieder, den mir meine Großmutter geschenkt hatte, und sah aus dem Fenster. Es wurde bereits dunkel, und die Blätter der Bäume auf der gegenüberliegenden Straßenseite wurden von Schneeregen zu Boden gerissen. Nach drei Klingeltönen nahm Naruto ab. „Sas! Hi!“ Unwillkürlich strich ich mir das inzwischen über schulterlange Haar hinters Ohr. „Hi.“ „Was gibt´s?“, fragte Naruto, sofort alarmiert, obwohl meine Stimme gelassen klang. Wie machte er das nur? „Nichts.“ „Aww, du wolltest nur meine Stimme hören?“, neckte er, ohne zu ahnen, wie Recht er hatte. „Idiot…“ „Ach, das ist doch kein guter Grund! Was treibst du gerade?“, wechselte er das Thema, bevor ich darauf eingehen konnte. „Eigentlich nichts, deswegen…“ Ich ließ den Rest ungeasgt, aber er verstand sicher, was ich sagen wollte: ´Können wir uns sehen?` „Hm, klingt öde. Wir gehen jetzt dann essen. Magst du mit?“ Wir. Sakura war bei ihm. Natürlich. „Ich will nicht stören.“ „Tust du nicht. Komm doch mit, bevor du alleine zu Hause sitzt.“ Man merkte, dass er das nicht nur aus Höflichkeit sagte, sondern es tatsächlich so meinte, und ich war versucht, nachzugeben, als ich im Hintergrund der Leitung Sakura sagen hörte: „Kommst du? Wir müssen langsam los.“ „Gleich, Süße… Also, Sas? Wir gehen ins…“ „Das würde ihr nicht gefallen. Aber viel Spaß.“ Es gab ein ersticktes Geräusch, das wohl bedeutete, dass Naruto seinen Protest runterschluckte. Vielleicht hatte er doch gemerkt, wie seine Freundin (Verständlicher Weise) empfand und passte sich dem an. Ich verstand es – aber es enttäuschte mich trotzdem. „Na gut“, murmelte Naruto. „Dann sehen wir uns.“ Er zögerte, aufzulegen, also tat ich es. Es war nicht so, dass ich ihm mit seiner Beziehung helfen wollte; wenn Sakura es nicht schaffte, ihn zu halten, war das schließlich nicht meine Schuld. Aber ich würde die beiden auch nicht sabotieren. Zumal er gerade nur aus Beschützerinstinkt zu mir gekommen wäre, und den wollte ich nicht ausnutzen. Ich hatte nicht so hart gearbeitet, um jetzt die Jungfrau in Nöten zu spielen. Das hatte ich nicht nötig. Außerdem ging es mir gut. Dass mein Vater sich von mir losgesagt hatte, war nichts, das mich aus der Bahn warf. Trotzdem fühlte ich mich erschöpft und beschloss, früh zu Bett zu gehen. Es war nicht mal neun, als ich im Bett lag, und keine fünf Minuten später war ich in einen unruhigen Schlaf gesunken. Später wusste ich nicht, was ich geträumt hatte, nur, dass die Türklingel sich in das Geschehen einfügte und ich deshalb erst nicht aufwachte. Als ich es tat, sah ich verwirrt auf meine Handy, welches zeigte, dass ich kaum eine Stunde geschlafen hatte. Stöhnend drehte ich mich wieder um; die Türklingel hatte ich mir doch nur eingebildet… Da läutete mein Handy und zu meiner Überraschung sah ich Narutos Namen auf dem Display. „Was?“, begrüßte ich ihn knapp und er lachte. „Ich hab dich aufgeweckt, oder? Diese muffelige Tonlage kenn ich doch“, stichelte er gutmütig. Ich grummelte etwas Unverständliches. „Haha, schon gut. Lässt du mich rein?“ „Was?“, murmelte ich, mich verschlafen aufsetzend. „Wo bist du…?“ „Na, vor deiner Tür.“ Zum Beweis klingelte er an selbiger. „Mach auf, Schlafmütze.“ Verwirrt stand ich auf und ging zur Haustür, vor der tatsächlich Naruto stand. Seine Garderobe aus einem dicken, grauen Parka, orangem Schal und Mütze zeigte mir die Unzulänglichkeit meiner eigenen Kleidung; ich stand in Boxershorts und einem weiten Shirt vor ihm. Unwillkürlich überkreuzte ich die Arme und Beine. „Hey“, begrüßte mein bester Freund mich strahlend und drückte mich. Wortlos ließ ich ihn in die Wohnung, wo er sich fast genauso neugierig umsah wie bei seinem ersten Besuch. Das war vor ein paar Wochen gewesen. Er hatte selbst eingeladen, und am Schluss waren neben ihm meine Freunde sowie Neji und Tenten aufgetaucht. Ich wusste nicht, wie er das machte, aber wo er war, war Trubel. Deshalb hatte ich bei der Begrüßung misstrauisch ins Treppenhaus geblickt, doch er schien alleine gekommen zu sein. Obwohl Sakura vorhin eindeutig bei ihm gewesen war. „Was machst du hier?“, fragte ich, als mein Gast es sich im Wohnzimmer bequem gemacht hatte. Ich blieb stehen. Naruto sah zu mir auf und zuckte die Schultern. „Du hast geklungen, als könntest du Gesellschaft gebrauchen… Was ist passiert, Sas?“ „Nichts. Du hättest Sakura nicht stehen lassen sollen“, ignorierte ich seine Frage. Er zuckte leicht zusammen und ich wusste, wieso er erst jetzt hier aufgeschlagen war. Zuerst hatte er noch mit seiner Freundin streiten müssen. Das Wissen, dass er sich trotzdem entschieden hatte zu kommen, befriedigte mich ungemein, und ich ließ mich jetzt doch auf meinem Sessel nieder. „Na ja, du wolltest ja nicht zu uns kommen“, erklärte Naruto ziemlich lahm. Plötzlich sah er traurig aus, und mein Hochgefühl verflog. Das war einer der Gründe, aus denen ich nie etwas tun würde, damit er sich von seiner Freundin trennte; es würde ihn wahnsinnig verletzen, sie zu verlieren. „Ich habe dir gesagt, dass ihr nicht passen würde, wenn ich mitkomme“, seufzte ich und verschränkte die Arme. Dabei wurde mir unangenehm bewusst, dass ich keinen BH trug, und am liebsten hätte ich mich umgezogen. „War klar, dass es ihr noch weniger gefällt, dass du herkommst. Mitten in der Nacht“, fügte ich hinzu. „Aber… Ich konnte dich doch nicht alleine lassen!“ Naruto war so ein Trottel. Setzte seine Beziehung aufs Spiel, nur, weil er sich einbildete, irgendjemand würde ihn brauchen… Wobei ich mich fragte, wie er darauf gekommen war. Meine Stimme hatte ruhig geklungen, weil ich eben ruhig war. Es gab keinen Grund, sich darüber aufzuregen, dass mein Vater unsere nicht existente Beziehung aufgekündigt hatte. Ich überschlug die Beine und zwirbelte eine Haarsträhne zwischen den Fingern. „Es gab keinen Grund, herzukommen. Alles ist in Ordnung.“ Naruto verdrehte ungeduldig die Augen. „Lüg doch nicht“, verlangte er, ohne den geringsten Zweifel. „Was ist passiert?“ Als ich schwieg, lehnte er sich näher zu mir und funkelte mich herausfordernd an. „Also hat das letzte Jahr überhaupt nichts gebracht. Du kannst immer noch nicht reden.“ Wütend presste ich die Lippen aufeinander, doch er ließ sich von meinem bösen Blick nicht beirren. Schließlich sah ich weg und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ich war bei meinem Vater und er hat herausgefunden, dass ich eine Lehre mache. Zufrieden?“ Statt auf meinen bösartigen Ton einzugehen, weitete Naruto die Augen. „Fuck… Was hat er gesagt?“ „Er wird mich weiter finanziell unterstützen.“ „Sas…“ Naruto seufzte tief, ehe er erklärte: „Ich meine auf persönlicher Ebene. Du hast ihm immerhin eine riesige Entscheidung vorenthalten, die den Berufsplan betrifft, den er für dich entworfen hatte.“ Das hatte ich natürlich gewusst, aber ich hatte nicht darauf antworten wollen. Wobei mir unklar war, wieso eigentlich. Es war doch nichts schlimmes, wozu Fugaku sich da entschieden hatte. Also holte ich tief Luft und erklärte ruhig: „Er hat gesagt, er will mich nicht mehr sehen.“ Als hätte er das erwartet, stand Naruto sofort auf, kam zu mir und nahm mich in den Arm. „Das hat er bestimmt nicht so gemeint“, beschwichtigte seine betroffene Stimme dicht an meinem Ohr. „Er war nur sauer. Wenn du nochmal mit ihm redest…“ „Er hat es so gemeint“, unterbrach ich tonlos, während ich in seinen Armen hing. Ich wehrte mich nicht, erwiderte die Berühung aber nicht. „Und ich will nicht mit ihm reden. Es ist ok so.“ „Nein, es ist nicht ok, wenn ein Vater sein Kind nicht mehr sehen will, nur, weil das nicht tut, was er will“, erwiderte er fest und löste sich von mir, um mich ansehen zu können. Seine Augen brannten wie blaues Feuer. „Es. Ist. Nicht. Ok. Hör auf, dir das einzureden, Sasuke.“ „Es ist mir egal.“ „Nein.“ „Es ist unwichtig. Lass mich…!“, fauchte ich in dem Versuch, mich von ihm zu lösen, aber Naruto hielt mich nur fester. „Es ist dir nicht egal, und es ist nicht in Ordnung, dass dein Vater dich vernachlässigt hat. Und es ist ok, dass du traurig bist und jemanden brauchst. Ich bin für dich da, Sasuke. Immer.“ Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich ihn an, und dann fühlte ich plötzlich etwas Feuchtes an meinen Wangen. Naruto strich mir über die Backe und ich sah Tränen an seinen Fingern glitzern, mit denen ich selbst nicht gerechnet hatte. Ich weinte… Vor einer anderen Person… Diesmal bäumte ich mich so heftig auf, dass Naruto mich losließ, und ich flüchtete in mein Zimmer, wo ich mir entsetzt über die Augen rieb, die immer neue Flüssigkeit absonderten. Nein… Nein, ich war doch stark geworden. Ich konnte doch jetzt nicht vor Naruto losheulen wegen etwas, das mir egal sein sollte. „Sasuke…“ „Geh weg“, schnappte ich mit peinlich tränenerstickter Stimme. „Geh einfach weg.“ „Sicher nicht.“ Naruto war in mein Zimmer gekommen, hielt aber Abstand. Trotzdem sah ich in seinen Augen genau das, was ich nie von irgendjemandem gewollt hatte: Mitleid. Unglaublich erniedrigt konnte ich nicht anders, als das nächstbeste Kissen zu nehmen und nach ihm zu werfen. „Lass mich. Ich will das nicht. Ich will… Ich will…“ „Gar nichts fühlen?“, blaffte Naruto, plötzlich wütend. „Tja, hier sind die Neuigkeiten; das geht nicht! Und das ist gut so. Sonst wären wir keine Menschen, sondern Maschienen. Und jetzt benimm dich ein Mal menschlich und lass dich trösten, du verdammter Dickschädel.“ Ich war so überrascht, dass ich gar nicht mehr auf die Tränen achtete, die mir immer noch übers Gesicht kullerten. Ich konnte nur Naruto anstarren, der mir die Hand hinhielt, um mich selbst entscheiden zu lassen, ob ich auf ihn zukommen würde. Dabei leuchteten seine Augen entschlossen, zogen mich wie Magneten an. Wie von selbst ging ich zu ihm, nahm seine Hand und ließ mich in seine Arme ziehen. Er lehnte den Kopf an meinen und strich mir beruhigend über den Rücken, während ich gegen die Tränen kämpfte. Es war nicht so, dass ich von Heulkrämpfen geschüttelt worden wäre oder markerschütternd schluchzte. Mir liefen einfach immer weiter Tropfen übers Gesicht, um in Narutos Shirt zu sickern. Es fühlte sich an, als würde etwas aus mir abfließen, von dem ich nicht mal gewusst hatte, das es da war. Er zog diese schlechten Gefühle, diese Trauer und Verzweiflung, an und löste sie mit seiner Körperwärme, mit seiner bloßen Anwesenheit auf. Ich fühlte mich nicht besser, nur, weil er da war, aber immerhin war ich nicht alleine, und das war mehr, als ich kannte. Nach einer Ewigkeit waren die letzten Tränen versiegt und ich nuschelte nasal: „Ich hasse das…“ „Niemand hat gesagt, dass du es mögen musst. Aber manchmal müsst ihr Mädels eben heulen“, grinste er, wofür ich ihm in den Bauch boxte, obwohl ich genau wusste, dass er nur Witze machte, um die bedrückte Stimmung aufzulockern. „Idiot“, murmelte ich, mich peinlich berührt abwendend um mein Gesicht zu trocknen. Wundervoll, ich wollte gar nicht wissen, wie ich gerade aussah. „Geht´s dir besser?“, wollte Naruto wissen, worüber ich nachdenken musste. Ich war beschämt, mich so gezeigt zu haben. Mein Gesicht war geschwollen und meine Nase verstopft und mein Stolz lag zu meinen Füßen. Ich war traurig – Ja, ich konnte es jetzt zugeben. Es machte mich traurig, von meinem Vater verstoßen worden zu sein, nicht erst heute, sondern schon mein ganzes Leben. Naruto hatte die Mauer aus falscher Gleichgültigkeit eingerissen, die ich so sorgfältig kultiviert hatte, mit nur wenigen Worten. Das machte mir Angst. Aber trotz allem konnte ich jetzt freier Atmen. Ein Druck auf meiner Brust, den ich nicht mal bemerkt hatte, war weg. Und obwohl ich nicht behaupten konnte, es ginge mir ´gut`, hatte ich das Gefühl, in Zukunft wirklich mit meinem Vater abschließen zu können. „Ich weiß nicht“, gab ich leise zu. Naruto lächelte mich mitfühlend an und sagte recht plakativ: „Das wird schon wieder“, während er mit ausgebreiteten Armen auf mich zukam. „Wir kuscheln einfach, bis es wieder gut wird.“ „Nein… Naruto…“, zischte ich warnend und duckte mich unter seinen grabschenden Händen durch. Natürlich gab er so leicht nicht auf, sondern jagte mich grinsend durchs Zimmer. Am Schluss landeten wir außer Atem in meinem Bett, seine Arme fest um mich geschlungen und sein Lachen dicht an meinem Ohr. Schmunzelnd verdrehte ich die Augen, ehe ich sie schloss. So schlecht war das hier eigentlich gar nicht… „Willst du über deinen Vater reden?“, fragte Naruto leise, als wir uns etwas beruhigt hatten, und er glaubte, wieder ein ernsteres Thema anschlagen zu können, ohne dass ich anfing zu weinen. Wieder zögerte ich, ehe ich: „Ich weiß nicht“, antwortete. „Versuch es.“ Das war keine Bitte, aber statt mich über den Befehlston zu ärgern, tat ich, was er wollte. Naruto tat mir gut, und ich wollte ihm vertrauen. Zwar musste ich mich zu jedem Wort zwingen, das ich über meine Familie sagte, doch es war meine Entscheidung. Am Schluss wusste er als erster Mensch von Fugakus unterschwelligem Hass, seiner Vernachlässigung und Kälte. Er wusste von den diktatorischen Zuständen in unserem Haus, den ständigen Machtkämpften und Vergleichen mit meinem Bruder, denen ich nie standgehalten hatte. Naruto versuchte, mir einzureden, dass ich überdurchschnittlich in jeder Hinsicht war (Was ich wusste), doch Itachi war stets noch besser gewesen. „Aber ich glaube nicht, dass das der Grund ist, aus dem er mich so behandelt“, erklärte ich schließlich. Inzwischen lehnte Naruto am Rückenteil meines Bettes. Ich saß noch immer zwischen seinen Beinen und strich die Decke glatt. „Wäre ich besser als Itachi gewesen, hätte mein… Hätte Fugaku einen anderen Grund gefunden.“ Naruto war ungewöhnlich schweigsam gewesen während ich erzählte, und als ich jetzt zu ihm sah, glänzten seine Augen vor Wut. „Das ist doch unfair! Und unnormal. Man muss doch seine Kinder lieben. Das hat die Natur so vorgesehen!“ Ich zuckte über seine Empörung die Schultern. „Wohl nicht, wenn man die eigene Mutter getötet hat.“ „Was?“, platzte Naruto heraus, also erzählte ich auch noch von Mikotos Tod und meiner Vermutung, Fugaku würde ihn mir vorwerfen. Jetzt war Naruto vollständig entsetzt und zog mich in einer instinktiven, beschützenden Geste enger an sich. „Aber das stimmt einfach nicht! Wie kommt er auf sowas?“ „Es ist nur eine Vermutung“, wiegelte ich ab. Zumal ich es ihm nicht wirklich vorwerfen konnte. Menschen redeten sich in ihrer Trauer alles Mögliche ein, und da meine Geburt so stark mit dem Verlustschmerz verbunden war, war es klar, dass ich für Fugaku immer negativ konnotiert gewesen war. „Hast du eigentlich schon mal mit jemandem darüber geredet? Ich meine, das ist echt harter Tobak“, stellte Naruto fest, dem wohl klar war, dass ich nicht weiter über meinen Vater sprechen wollte. „Nein, und das habe ich nicht vor“, erklärte ich, was ihn natürlich nicht von guten Ratschlägen abhielt. „Aber vielleicht würde es dir helfen! Ich habe als Teenager selbst eine Therapie gemacht, und es hat wirklich gut getan. Das belastet dich alles verständlicher Weise so sehr und…“ „Es belastet mich nicht“, wiedersprach ich. Als er die Brauen hochzog, verdrehte ich die Augen. „Das vorhin war nur, weil es noch so frisch ist. Du brauchst dir jetzt nicht vorstellen, dass ich ständig heule.“ „Tu ich nicht. Nur würde dir genau das vielleicht helfen.“ „Jammern?“, fragte ich herablassend. Er zuckte die Schultern. „Ab und zu tut das gut.“ „Hn.“ Für meinen Geschmack hatte ich gerade schon genug gejammert für den Rest meines Lebens, doch ich glaubte nicht, dass es mir deshalb besser ging. Viel mehr brachte ich es mit Narutos Anwesenheit in Verbindung. Er tat mir gut, nicht das Reden. Davon abgesehen, dass eine Therapie nur dazu geführt hätte, dass ich noch mehr hätte erzählen müssen. Und irgendwann würde das Thema auf Itachi kommen. An den wollte ich aber nicht mal denken, ganz zu schweigen davon, über ihn zu reden. Bisher funktionierten meine Maßnahmen, nicht über ihn nachzudenken, gut. Seit der Nacht, die ich in meinem Elternhaus verbracht hatte, hatte ich keinen so starken Zusammenbruch mehr gehabt, und ich hatte festgestellt, dass es besser wurde, je länger ich Itachi nicht sah. Deshalb hatte ich meine Besuche möglichst immer so gelegt, dass er nicht zu Hause war. Seither träumte ich seltener von ihm, und die Angstzustände hatten abgenommen. Die Ergebnisse dieser Selbsttherapie zu gefährden, indem ich in eine richtige Therapie ging, wollte ich nicht. Schließlich war nicht sicher, ob es mir helfen würde, mit jemandem zu reden. Auf alle Fälle würde mein akuter Zustand jedoch zuerst schlechter werden. Und wegen der unsicheren Möglichkeit einer Besserung würde ich nicht Monate in Angst und auf Tabletten riskieren. Naruto sah mich besorgt an und legte die Hand auf meine. „Du musst wirklich nicht immer stark sein, ok?“ Tief seufzend drehte ich die Hand, sodass ich unsere Finger verschränken konnte. „Ich werde darüber nachdenken… Aber jetzt lass es sein.“ Strahlend drückte er meine Finger. „Ok. Du wirst sehen…!“ „Naruto“, mahnte ich und er lachte. „Schon gut, schon gut, ich bin still.“ Das war er tatsächlich eine Weile, während derer wir uns weiter an den Händen hielten. Ich dachte über eine Therapie nach und redete mich weiter in meinen Wiederwillen hinein. Es ging mir, verglichen mit letztem Jahr, hervorragend. Es war nicht mehr nötig, jemanden derart Privates zu erzählen – nicht, nachdem ich Naruto gerade so viel gesagt hatte. Ich fragte mich, ob meine Offenheit wirklich nur daher resultierte, dass er so stur gewesen war, oder ob es nicht doch aus mir selbst kam. Denn irgendwie wollte ich, dass Naruto diese Dinge über mich wusste. Das war so ein gravierender Unterschied zu meiner sonstigen Ablehnung von überemotionalen Gesprächen, dass es eigentlich nur von meinen Gefühlen für ihn kommen konnte. Das beunruhigte mich, da ich keine Vergleichsmöglichkeit hatte. Ich war noch nie verliebt gewesen. Hatte man in Beziehungen keinerlei Geheimnisse voreinander? Das erschien mir, betrachtete ich mein bisheriges Familienleben, unmöglich. Es gab immer Dinge, die man anderen nicht offenbaren wollte. Unwillkürlich fragte ich mich, ob Naruto Sakura alles erzählte. Wusste sie vom Flugzeugabsturz, bei dem seine Eltern gestorben waren? Von seiner Karriere als kleinkrimineller Teenager? Von seinen Wünschen, als Lehrer Kindern zu helfen, so, wie ihm damals geholfen worden war? Wusste sie, was er für mich empfunden hatte? War das alles, was es zu wissen gab? Wusste ich alles, was es zu wissen gab? Wusste Sakura vielleicht mehr über ihn als ich? Der Gedanke stieß mir sauer auf, aber er war logisch. Die beiden kannten sich wesentlich länger, und sie waren seit vier Monaten ein Paar. Naruto liebte sie… „Hm?“, machte er, als ich die Hand aus seiner zog und von ihm wegrutschte. „Solltest du nicht langsam gehen?“, schlug ich vor und verschränkte die Arme vor der Brust. Ob sie sich schon ´Ich liebe dich`, sagten? „Oh…“ Naruto stand ebenfalls auf und fuhr sich mit verunsichertem Blick durchs Haar. „Du bist wohl ziemlich müde… Sorry.“ „Du solltest eher zu deiner Freundin gehen“, erklärte ich mit abgewandtem Gesicht, damit er wusste, dass ich nichts gegen seine Anwesenheit hatte. Naruto sah mich überrascht an, dann rieb er sich nervös lachend den Nacken. „Ich schätze, die will mich gerade nicht sehen.“ Gegen meinen Willen war ich besorgt um seine Beziehung. „Schlimmer Streit?“, erkundigte ich mich möglichst beiläufig. Scheinbar kaufte er mir die Gleichgültigkeit ab, denn er nickte. „Ich versteh sie ja, aber ich konnte nicht einfach essen gehen, wenn es dir schlecht geht.“ „Hn“, machte ich und setzte mich wieder aufs Bett. Ich verstand Sakura auch, bloß musste man, wenn man mit Naruto zusammen war, damit leben, dass jeder und alles ihm wichtig war. Ich war mir sicher, dass seine Beziehung Priorität für ihn hatte – solange ihn nicht jemand brauchte. Er mochte es, gebraucht zu werden, und würde nie jemanden abweisen. Wenn man das nicht hinnehmen konnte, war man eben nicht als Narutos Partnerin geeignet… Wahrscheinlich war meine diesbezügliche Meinung aber vorbelastet, deshalb versuchte ich, es Sakura nicht vorzuhalten. „Danke für den Rat“, lachte Naruto, worauf ich die Schultern zuckte. „Sie beruhigt sich wieder.“ Und wenn nicht – umso besser für mich. Ich musterte meinen besten Freund, der Sakura zumindest mal eine Nachricht schichte, um zu zeigen, dass er an sie dachte, und seufzte tonlos. Was ich für ihn empfand, war komplex. Es war eine Art Verehrung, die seine positive Grundeinstellung betraf. Es war Dankbarkeit für seine Geduld und Unterstützung. Ich bewunderte seine Energie und beneidete ihn um seine Lust am Neuen. Er forderte mich auf allen Ebenen des Lebens immer genau im richtigen Maß. Er verstand mich, selbst, wenn ich mich nicht in Worte fasste. Und ich fand ihn attraktiv. Diese körperliche Anziehung hatte ich zuerst nicht wahrgenommen oder bewusst ignoriert, doch sie war da. Ich wollte ihm nahe sein, obwohl es mir zuerst Angst gemacht hatte. Doch inzwischen war ich zu dem Schluss gekommen, dass das normal war und keineswegs abstoßend, wie es bei Itachi gewesen war. Ja, ich war nach wie vor in Naruto verliebt. Daran hatte das letzte Jahr nichts geändert. Sicher, am Anfang hatte es sich seltsam angefühlt, ihm wieder gegenüber zu stehen, doch wir waren schnell wieder so vertraut geworden wie früher. Dass meine Gefühle dieselben waren wie vor einem Jahr lag daran, dass ich mir keine Gelegenheit gegeben hatte, über ihn hinwegzukommen. Dazu hatte ich viel zu oft an Naruto gedacht. Er war Teil meiner Pläne und Wünsche, und irgendwie verstand ich meinen Vater inzwischen, der Mikoto nie aufgegeben hatte. Man sagte zwar, nichts hielt für immer, aber manches war eben doch für die Ewigkeit gemacht. Und ich wünschte mir gerade, die heutige Nacht wäre so eine Sache, die für immer dauern würde. „Und, was schreibt sie?“, fragte ich leicht unwillig, als Naruto sein Handy wegsteckte. „Nichts. Sie hat´s nicht mal gelesen…“, erklärte er geknickt, doch dann sah er entschlossen aus. „Aber dann entschuldige ich mich halt morgen nochmal persönlich. Dann muss sie mir verzeihen, oder?“ Und dabei strahlte er mich aus seinen Azuraugen so an, dass ich nur: „Mhm…“ machen konnte. Was sollte ich dieser Naturgewalt schon entgegensetzen? „Es ist aber wirklich schon spät“, erklärte Naruto nach einem Blick auf sein Handy. „Ich geh dann mal.“ „Wenn du willst.“ Kurz sah er mich fragend an, da dieser Satz (beabsichtigt) so klang, als würde ich wollen, dass er blieb, doch dann ging er in Richtung Tür. Als er angezogen war, umarmte er mich und ich schloss kurz die Augen. Meine Naturgewalt… „Danke, Naruto“, murmelte ich so leise in seinen Schaal, dass er es fast nicht hörte. Naruto löste sich gerade so weit von mir, dass er mir über die Wange streichen konnte, und lächelte. „Jederzeit, Sasuke.“ Peinlich berührt wollte ich mich losmachen, doch er drückte mich lachend nochmal fester an sich, bevor er losließ. Dann war er weg, und ich alleine in meiner Wohnung. Ein Blick auf die Uhr zeigte, dass ich in wenigen Stunden würde aufstehen müssen. Ich seufzte erschöpft und ging ins Bett, in dem ich erstaunlich schnell Schlaf fand, dafür, was heute alles passiert war. Die Decke roch nach Naruto. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)