The Story of a Bastard Child von dattelpalme11 ================================================================================ Kapitel 25: Frauengespräche --------------------------- Die Wochen vergingen und es war bereits Ende Juni. Viel hatte sich jedoch nicht getan. Sora arbeitete zurzeit viel und versuchte alles und jedem so gut es ging aus dem Weg zu gehen. Mimi hatte schon länger nichts mehr mit ihr unternommen und war sehr überrascht, dass sie am Wochenende zu Yoleis Übernachtungsparty kommen wollte. Party war hier wohl weit übertrieben. Eigentlich hatte sie nur Kari, Sora und sie eingeladen, um mal wieder etwas Zeit mit ihnen verbringen zu können. Es sollte ein entspannter Mädelsabend werden, der wohl auch einige Problematiken aus dem Weg räumen sollte. Das Hauptproblem war ganz klar die Beziehung zwischen Sora, Tai und Matt. Sie ging den Jungs meist aus dem Weg, während jeder die beiden versuchte, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Tai war besonders hartnäckig, was Matts Hass gegenüber ihm noch mehr schürte. Schon seit Wochen hatten sie nicht mehr miteinander gesprochen. Die Pausen verbrachte jeder für sich. Mimi aß meistens mit Izzy zusammen, während die anderen sich allmählich aufteilten. Sora blieb bei ihren Tennisfreunden, während Tai die Zeit bei seinen Fußballkollegen totschlug. Matt war der Einzige, der manchmal mit ihnen aß, aber meistens war auch er eher mit anderen Leuten unterwegs, die irgendwas mit seiner Band zu tun hatten. Die Sachlage hatte sich komplett verändert. Und auch Mimi hatte Nägeln mit Köpfen gemacht und sich tatsächlich einen anderen Nachhilfelehrer gesucht. Seit der Auseinandersetzung mit Tai, ging sie ihm lieber aus dem Weg und auch er versuchte nicht wirklich Kontakt zu ihr aufzunehmen. Wahrscheinlich war es ihm ganz recht, ihr keine Nachhilfe mehr geben zu müssen. Zum Glück konnte sie Kari davon überzeugen, dass es sinnvoller war, die ganze „Liebesgeschichte“ für sich zu behalten. Schon öfter hatten sie sich darüber unterhalten gehabt. Ihre mitleidigen Blicke bohrten sich auf ihre Haut, sodass sie es wirklich nicht mehr ertrug, sich mit ihr darüber zu unterhalten. Und auch Zuhause waren die Probleme nicht besser geworden. Seit kurzem hatte Mimi das Gefühl, dass ihre Mutter ihr irgendetwas verheimlichte. Sie wusste nur nicht was. Und sie war auch wirklich gut darin, ihre Probleme vor der Außenwelt zu verstecken. Die ersten Nachbarn hatten bereits gefragt, wo sich ihr Vater befand, den sie schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr gesehen hatte. Ihre Mutter setzte einfach ein perfektes Lächeln auf und log ihnen eiskalt ins Gesicht. „Er hat einen Auslandsauftrag, den er nicht ablehnen konnte“, sagte sie immer wieder aufs Neue und zeigte den Nachbarn die perfekte Fassade. Gut verputzt, ohne irgendwelche Risse. Doch lange konnte sie dieses Spiel nicht mehr spielen. Es würde irgendwann aufliegen, da ihr Vater nicht ewig im Ausland sein konnte. Sie fragte sich mittlerweile, ob er auch das Interesse an ihr verloren hatte. Er rief sie nicht an, kam nicht vorbei, sondern ignorierte sie einfach. So wie er es jahrelang bei Noriko getan hatte. Und auch, wenn sie sauer auf ihn war und ihm zum Teufel schicken wollte, vermisste sie ihn. Er war ihr Vater, der immer für sie da und jetzt wie vom Erdboden verschluckt war. Die einzige Konstante in ihrem Leben war zurzeit ihre Halbschwester, mit der sie sich regelmäßig traf. Natürlich alles hinter dem Rücken ihrer Mutter. Mittlerweile verstanden sie sich echt gut, entdecken viele Gemeinsamkeiten, wie zum Beispiel, dass beide die Brotrinde immer abschnitten, bevor sie in das Brot beißen konnten. Heute hatten sie sich wieder verabredet. Noriko half ihr viel bei ihren Mathehausaufgaben und auch sonst hatte sie immer ein offenes Ohr für sie. Ihre Freunde waren ein wichtiger Teil ihres Lebens geworden, obwohl Mimi sie anfangs etwas seltsam fand. Selbst mit Masarus Bruder hatte sie mittlerweile eine Basis gefunden, auch wenn ihr das ständige filmen immer noch auf den Senkel ging. „Und brauchst du wieder Hilfe bei Mathe?“, fragte sie und ließ sich auf der Parkbank nieder. Mimi setzte sich neben sie und schleckte an ihrem Vanilleeis, das sie sich vorhin geholt hatten. „Heute nicht. Habe mit Izzy schon alles erledigen können“, verkündete sie stolz. Noriko nickte anerkennend und leckte etwas geschmolzenes Eis von ihrer Hand. „Klingt doch toll, dann können wir heute umso mehr quatschen“, meinte sie und grinste. „Das machen wir doch sowieso“, stellte Mimi lachend fest und biss in ihre Waffel. „Oder wir machen wieder eine Jam-Session wie letzte Woche.“ „Ja, aber dann müssten wir wieder zur deiner Schule fahren und Glück haben die Jungs zu finden“, erinnerte Mimi sie und schwelgte in Erinnerungen. Letzte Woche holte Mimi Noriko nach der Orchesterprobe ab und besuchte zum ersten Mal ihre Schule. Sie hatte noch ihre Uniform an und wurde von manchen Schülerin komisch gemustert, so als wäre sie auf feindlichem Boden gelandet. Noriko war mit Chiaki und den beiden Brüdern noch im Musikraum, als Mimi ankam. Sie hörte von draußen schon fröhliches Gesumme und eine eingängige Melodie, die ihr gute Laune bereitete. Sie hörte einige Minuten stumm zu, bevor sie die Tür sachte öffnete. Sie wollte auf gar keinen Fall diese wunderbaren Klänge stören, doch Noriko winkte sie strahlend herbei und begrüßte sie herzlich. Sie hatte ihr erzählt, dass sie nach der Orchesterprobe meistens eine kleine Improvisationsnummer darboten, bevor sich ihre Wege wieder trennten. Mimi war ganz begeistert, welche zufälligen Melodien sie zustande brachten, sodass es trotzdem schön und abgerundet klang. Als sie eine zweite Jam-Session starteten, sang Mimi, ohne groß darüber nachzudenken, mit. Ein altes Kinderlied, das ihre Mutter ihr früher immer vorgesungen hatte. Es machte einfach unheimlich viel Spaß und ließ sie ihre Sorgen für den Moment vergessen. Alles war auf einmal so leicht und unbefangen wie nie. So als wäre sie wirklich wieder ein Kind, dass viele Sorgen, die die Erwachsenen hatten, gar nicht kannte. Ein wenig fühlte es sich an wie Magie, die alles besser machen und zum Guten wenden konnte. Genau das war Musik. Eine starke Macht, die jeden auf eine besondere Weise berührte und auch die schlimmsten Erkenntnisse ertragbarer machen konnte. Mimi lächelte wieder und blickte zu Noriko. Sie hatte ihr Eis bereits verschlungen und hatte einen leichten Schokomund, den sie sich mit Hilfe ihres Handspiegels wegzuwischen versuchte. „Vielleicht sollten wir es wirklich mal wiederholen“, meinte sie euphorisch. Noriko fuhr sich ein letztes Mal über ihren Mund und klappte den Spiegel zu. „Sag‘ ich doch! Und die Jungs kann man sicher leicht dazu überreden. Wir ködern sie einfach mit Essen.“ „Klingt vielversprechen“, erwiderte sie und sah in die Ferne. _ Ein paar Tage später war sie auf dem Weg zu Yolei. Es war bereits dunkel, als Mimi mit einer vollbepackten Tasche in die Richtung ihres Wohnblockes schlenderte. Sie freute sich ein paar unbeschwerte Stunden mit ihren Freundinnen verbringen zu können, doch etwas störte sie. Vielleicht war es die Reaktion ihrer Mutter, dir ihr signalisierte, dass sie erleichtert war, sie aus dem Haus zu wissen. Wahrscheinlich wollte sie sich wieder zum x-Mal das alte Hochzeitsvideo angucken und sich betrinken. Es wurde schon zu einem Art Ritual, das von Mal zu Mal einfach nur noch erbärmlicher wurde. Wie ein Häufchen Elend saß sich vor dem Fernseher und weinte bitterlich. Mimi konnte es langsam nicht mehr ertragen, ging meist schon direkt auf ihr Zimmer, wenn sie nach Hause kam. So konnte es definitiv nicht weitergehen. Und sie konnte ihre Mutter auch nicht ewig anlügen. Irgendwann würde rauskommen, dass sie sich auch mit ihrer Schwester traf. Es war wohl nur eine Frage der Zeit. Auch der Situation mit Sora konnte sie nicht länger aus dem Weg gehen. Vielleicht sollte sie ihr einfach die Wahrheit sagen. Ihr gestehen, dass sie sich in Tai verliebt hatte, aber genau wusste, dass er nur sie wollte. Doch sie wusste wirklich nicht, was es ändern würde, wenn Sora die Wahrheit wüsste. Möglicherweise würde sie sich von Tai fernhalten, um ihre Gefühle zu schonen. Vielleicht hatten Matt und sie eine Chance, denn Mimi war sich mittlerweile sicher, dass er es ernst mit ihr meinte. Er machte auf sie einen sehr geknickten Eindruck und auch das Gespräch, das sie einmal mit ihm führte, wollte ihr nicht aus dem Kopf gehen. Doch nur Sora hatte die Wahl. Zwei junge Männer waren in sie verliebt und nur sie konnte entscheiden, wer ihr Herz erobert hatte. Und Mimi war sich nicht mehr sicher, ob es wirklich Matt war. Nicht nachdem, was sie alles wusste. Über ihre Vergangenheit. Das der Kuss mit Tai, Sora mehr verwirrt hatte, als sie eigentlich zugab. Und die Tatsache, dass Tai wohl alles für sie tun würde, während Matts Band immer noch einen großen Teil in seinem Leben einnahm, gab ihr zu denken. Mimi blickte durch die Gegend und erkannte Yoleis Wohnblock bereits. Sie verlangsamte ihre Schritte und blieb plötzlich stehen. Wenn sie ehrlich war, hatte sie schon etwas Angst vor diesem harmlos klingenden Mädelsabend. Sie wusste, über was sie meistens sprachen und hatte die Befürchtung, dass Sora ihren schlimmsten Alptraum wahr werden ließ. Was sollte sie tun, wenn sie sagte, dass sie sich auch in Tai verliebt hätte? Würde sie in Tränen ausbrechen? Sehr wahrscheinlich. Würde sie Sora ihre geheimen Gefühle dann noch beichten? Eher nicht. Nicht, wenn sie wusste, dass auch sie Gefühle für ihn hatte. Und genau genommen war es schon mehr als genug, dass Kari die Wahrheit wusste. Wenn auch unfreiwillig. Mimi wollte nicht, dass noch mehr Leute sie mit diesen mitleidigen Blicken löcherten. _ Der Sektkorken knallte und etwas Flüssigkeit lief über den kleinen Holztisch, an dem sie Essen wollten. Yolei kicherte und schenkte großzügige Schlucke in die vier Sektgläser, die sie bereits auf dem Tisch standen. Auf der Küchentheke lagen alle Zutaten, die sie für ihre Lasagne verwenden wollten. „Auf uns, Mädels“, trällerte Yolei fröhlich und hob ihr Glas. Die anderen taten es ihr gleich und alle stießen heiter zusammen an. Selbst Mimi, die vorhin noch von Selbstzweifeln und panikmachenden Gedanken geprägt war. Sie musste einfach alles für den Moment vergessen. Wer war nochmal Tai? Heute wollte sie Spaß mit ihren Freundinnen haben. Leckere Lasagne essen, später noch Popcorn verschlingen und gemeinsamen eine olle Liebesschnulze gucken. So sah der perfekte Mädelsabend aus. Und selbst Sora schien gute Laune zu haben. Warum sollte sie es also kaputt machen? Der Abend war noch so jung und ihr Glas Sekt war definitiv zu schnell leer. Zielstrebig schnappte sie sich die Flasche und befüllte ihr Glas bis oben hin. „Man Mimi, mach‘ mal langsam“, lachte Yolei, als sie zum Trinken ansetzte. „Was denn? Ist doch erst mein zweites Glas“, sagte sie verständnislos und nippte kurz danach. „Pass lieber auf, wenn du zu viel trinkst, plauderst du noch all deine Geheimnisse aus“, meinte Yolei und drehte eine Haarsträhne um ihren Finger. Ihre Geheimnisse ausplaudern? Dazu brauchte es schon mehr als nur Sekt. Sie verdrehte die Augen und ging mit samt ihres Sektglases zur Kücheninsel. Kari und Yolei hatten schon die Zutaten kleingeschnitten. Sie mussten nur noch zusammen mit dem Hackfleisch scharf angebraten werden. „Vielleicht sollten wir langsam mal anfangen“, meinte Sora, die im Schneidersitz auf ihrem Stuhl saß und Mimi anlächelte, die vor kurzem noch die Zutaten skeptisch gemustert hatte. „Ohja! Ich habe schon so Hunger und Yolei macht immer eine voll leckere Soße dazu“, schwärmte Kari und legte den Arm um ihre beste Freundin, die gleich etwas verlegen zur Seite schielte. „Das Geheimnis ist Kochsahne und ein paar frische, entkernte Tomaten“, erklärte sie und zog Kari zu Mimi, die ihr Sektglas bereits geleert hatte und achtlos auf der Kücheninsel stehen ließ. Auch Sora kam hinzu, schnappte sich einen Topf und goss etwas Öl hinein. Sie warteten bis es warm genug war und gaben das Hackfleisch und später das Gemüse hinzu. Während Yolei am Herd stand, hatte sich der Rest in der Küche verteilt. Kari hatte sich wieder an den Tisch gesetzt und genehmigte sich ein weiteres Glas Sekt, während Sora an der Spüle stand und das bereits benutzte Geschirr abwusch. Mimi saß auf der Arbeitsplatte und dachte gar nicht daran nur einen Finger zu rühren. Sie war es nicht gewohnt im Haushalt zu helfen, doch Soras Blicke durchbohrten sie bereits, was sie dazu veranlasste sich ein Handtuch zu schnappen und abzutrocknen. Kari stieß wieder hinzu und stellte die gebrauchten Gegenstände wieder zurück in die Schränke. Sie war oft bei Yolei und kannte sich dementsprechend gut aus. Deswegen holte sie schon eine Porzellanform hervor, fettete diese mit etwas Butter ein und legte die erste Lasagneplatte hinein. Yolei gab noch den Rest der Zutaten hinzu und eine hellrote, sämige Soße entstand. Es durfte hervorragend und Mimi schenkte ihr an einen anerkennenden Blick. Zwar konnte sie ganz gut Backen, aber im Kochen war sie eine wahrhaftige Niete. Meistens bestellten sie eine Pizza, wenn sie sich bei Mimi trafen. Manchmal kochte auch ihre Mutter eines ihrer außergewöhnlichen Gerichte, das trotzdem den Geschmack von allen traf. In letzter Zeit kochte sie eher selten und Mimi kannte die Telefonnummer ihres Lieblingspizzaservices bereits auswendig. Es war das erste Mal seit langem, das sie wieder etwas Anständiges aß. _ „Oh, ich bin pappsatt“, meinte die Brünette und schnaubte zufrieden. „Es war wirklich unfassbar lecker“, meldete sich auch Sora zu Wort und tupfte mit der Serviette über ihren Mund. „Ich sagte doch, dass die Soße super ist“, erwiderte Kari überzeugt und nickte Yolei zu. Sie wurde leicht rot um die Nase und fuhr sich auffällig durch die Haare. „Das hat Ken letztens auch schon gemeint.“ Ihre Wangen verfärbten sich dunkelrot. Kari grinste wissend, während sich Sora und Mimi fragend anschauten. „Ken und du? Ich hab’s geahnt“, platzte aus Mimi hervor und ein Lächeln bildete sich auf ihren Lippen. Sie wusste, dass Yolei schon eine halbe Ewigkeit von ihm geschwärmt hatte und freute sich natürlich sehr für sie, auch wenn in ihrem eigenen Liebesleben eine einzige Flaute herrschte. „Seid ihr jetzt zusammen?“, fragte Sora neugierig und ihre Augen begannen zu Leuchten. Da sprach ganz klar die hoffnungslose Romantikerin aus ihr. Sie hatte schon immer ein Faible für Liebesgeschichten, auch wenn ihre eigenen immer im Chaos endeten. Genau genommen hatte Sora keine nennenswerte Beziehung gehabt, seit Mimi wieder hier war. Sie wusste zwar von ein paar Dates, aber daraus hatte sich nie etwas Ernsthaftes entwickelt. Sora hatte auf einmal die Augen zusammengezogen und begutachtete Mimi misstrauisch. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie ihre Freundin, die ganze Zeit beobachtet hatte. Schnell wandte sie ihren Blick zu Yolei, die ihnen in allen farbenfrohen Details erzählte, wie sie mit Ken zusammengekommen war. Mimi lächelte zwar, aber ihre aufkommende Eifersucht, konnte sie nicht unterdrücken. Sie freute sich zwar für sie, aber ihr Herz schmerzte sehr, wenn sie an die letzten Wochen zurückdachte. Wieder fixierte sie Sora mit einem vielsagenden Blick, doch richtete ihn schnell wieder ins Leere, um nicht aufzufallen. Am liebsten würde sie sie danach fragen. Sie wollte wissen, was sie fühlte. Eigentlich wollte sie nur wissen, ob sie auch Gefühle für Taichi hatte. Das würde alles verändert. Wirklich alles. In ihrer Verzweiflung bemerkte Mimi weder, dass sie auf ihrer Lippe herumkaute, noch das Yolei ihr eine Frage gestellt hatte. Kari stupste sie leicht an. Erneut spiegelte sich das Mitleid in ihren Augen wieder und Mimi wünschte sich, dass sie nie dahinter gekommen wäre, dass sie in ihren Bruder verliebt war. „Was ist denn?“, fragte Mimi leicht ruppig. „Naja, ich habe immer noch nicht so ganz gecheckt, was zwischen dir und Tai vorgefallen ist. Und das mit Matt war mir bis vor ein paar Stunden auch ganz neu“, meinte Yolei empört und sah zwischen Sora und Mimi hin und her. „Willst du jetzt wirklich ausgerechnet darüber reden?“, flüsterte Kari ihr hörbar zu. Yolei nickte nur und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ja will ich! Ich blicke überhaupt nicht mehr durch! Wer hatte denn jetzt was mit wem?“ Mimi fasste sich an die Stirn und murmelte etwas Unvollständiges vor sich hin, während sie immer weiter auf ihrem Stuhl hinunterrutschte. Sie wünschte sich ein schwarzes Loch herbei, dass sie augenblicklich aufsaugte und auf einem anderen Planten wieder ausspuckte. „Das ist vielleicht gerade etwas unangebracht“, hörte Mimi Kari sagen, doch auch Sora schien Redebedarf dringend nötig zu haben. „Das ist alles meine Schuld“, sagte sie mit schwacher Stimme und starrte vor sich hin. Mimi richtete den Kopf nach oben und sah ihre Freundin skeptisch an. Sora hatte sie Füße aus ihren Stuhl gestellt und lehnte ihre Beine gegen den Tisch. Mit den Händen fuhr sie sich durch ihr rotes Haar, während Yolei tausend Fragen auf einmal stellte. „Warum das denn? Was habe ich schon wieder verpasst? Man Kari, du erzählst mir auch nur Halbwahrheiten“, beschwerte sie sich tobend und trank ihr Glas Sekt in einem Zug aus. „Jetzt nochmal von Anfang an“, sagte sie in einem ruhigeren Ton und hielt ihr Glas mit zwei Fingern fest. „Warum soll es deine Schuld sein, Sora?“ Die Angesprochene versteckte ihr Gesicht in ihrer Armbeuge und scheute es die anderen nur anzugucken. Mimi hingehen hielt praktisch die Luft an und starrte sie nieder. Aus dem Augenwinkel heraus erkannte sie, dass Kari sie beobachtete, während Yolei immer noch diverse Fragen in den Raum warf, um Sora zum Reden zu bringen. Doch Sora atmete nur tief aus und hob ihren Kopf. „Ich glaube, ich habe mich in beide verliebt“, sagte sie gerade heraus und Mimi befürchtete jeden Augenblick zu ersticken. „Wie bitte? Wann ist das denn alles passiert? Kari, klär‘ mich mal auf“, wimmerte Yolei verzweifelt und raufte sich die Haare. Mimi war der Mund aufgeklappt und sie musterte Sora, so als hätte sie den Verstand verloren. „Wie du glaubst, dass du in beide verliebt bist?“, fragte Mimi entsetzt, während Kari Yolei die Zusammenhänge erklärte. „Ich weiß es doch auch nicht. Ich gehe beiden aus dem Weg und vermisste sie so sehr, dass ich es gar nicht in Worte fassen kann.“ „Aber dann bist du doch nicht gleich in beide verliebt“, erklärte Mimi fast schon hysterisch. „Ja ich weiß, aber der Kuss mit Tai…es ist alles so seltsam geworden. Ich weiß doch auch nicht, was das zu bedeuten hat!“ Mimis Mund wurde auf einmal ganz trocken, ihre Augen weiteten sich und ihr Herz schien stehen geblieben zu sein. „Das ist doch nicht dein Ernst?“, brachte sie noch hervor und erhaschte die Aufmerksamkeit von Kari, die sanft ihre Hand auf ihren Arm legte. Sie schielte kurz hinunter, ließ sich jedoch nicht aus dem Konzept bringen. „Man kann nicht in zwei Menschen gleichzeitig verliebt sein. Das funktioniert nicht!“ „Doch, Mimi ich…“, begann Sora zögerlich. „…als er dich geküsst hat, wurde ich wirklich verdammt wütend und traurig und so ging es mir auch damals mit Matt, wenn er immer seine Affären abgeschleppt hat.“ „So ein Unsinn! Was willst du den beiden denn sagen? ‚Hey Bock auf einen Dreier?‘ Klingt sicher total vielversprechend“, knurrte sie zurück und hinterließ mit ihrer Aussage pures Entsetzen. Sie drehte sich zu Kari und Yolei, deren Münder weit offen standen und auch Sora blickte sie verstört an. „Was denn? Man kann definitiv nicht zwei Menschen gleichzeitig lieben! Irgendwann muss man sich entscheiden.“ In diesem Moment fragte sie sich, ob ihr Vater damals eine ähnliche Entscheidung getroffen hatte. Schließlich hatte er ihrer Mutter einen Antrag gemacht und die Geschichte mit Ayame hinter sich gelassen, auch wenn es bereits zu spät war. „Ich habe doch schon gesagt, dass ich verwirrt bin und nicht genau weiß, wie es jetzt weiter gehen soll. Vielleicht sollte ich ihnen nicht länger aus dem Weg gehen und mich meinen Gefühlen stellen.“ „Dich deinen Gefühlen stellen? Wie willst du das machen? Jedem mal die Zunge in den Hals schieben?“, fragte Mimi schnippisch und warf die Haare nach hinten. „MIMI!“, rief Kari empört und hielt sich die Hand vor den Mund. „Was denn? Wegen dieser ganzen Situation hatten TK und du doch mega Stress, schon vergessen?“, erinnerte sie sie und richtete den Blick zu ihr. „Ihr hattet Stress?“, wollte Sora entsetzt wissen. „Warum weiß ich davon nichts?“, warf Yolei nebenbei ein und schüttelte nur den Kopf. Kari versuchte die Situation zu retten und machte Sora glaubhaft klar, dass sie nicht Schuld daran hatte, sondern es viel mehr um ihre Brüder ging, die sich immer noch nicht miteinander ausgesöhnt hatten. Mimi gab nur einen zischenden Laut von sich und verschränkte die Arme vor der Brust. „Und wie soll es weitergehen? Willst du beiden ewig Hoffnungen machen?“ „Nein, das will ich nicht, aber im Moment bin ich etwas überfordert“, rechtfertigte sich Sora und schien sich bereits zu wundern, warum Mimi so aggressiv reagierte. „Und eigentlich geht es dich doch am wenigsten was an!“ Mimi legte den Kopf schief. „Ist das dein Ernst? In der Nachhilfe werde ich von Tai regelrecht zugemüllt und Matt liebt dich wirklich, jedenfalls macht er zurzeit einen sehr unglücklichen Eindruck auf mich.“ Sie verdrehte die Augen und unterdrückte das Verlangen Sora durchschütteln zu wollen. „Außerdem läuft das mit dir und Matt schon länger. Wäre irgendwie ganz schön assi, ihn jetzt einfach abzuschießen“, ergänzte sie und trieb Sora die Tränen in die Augen. Ruckartig sprang sie auf. „Das weiß ich selbst, Mimi. Du brauchst nicht mein Gewissen zu spielen“, schrie sie und rannte in Richtung Bad. Das Knallen der Tür ließ die drei Zurückgebliebenen zusammenschrecken und Mimi überkam ihr schlechtes Gewissen. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? _ Sie schloss die Tür auf, schlüpfte aus ihren Schuhen und ließ ihre Tasche laut auf den Boden knallen. Sachte sprang die Tür ins Schloss und Mimi schritt leise den Flur entlang. Im Wohnzimmer brannte noch Licht, was ihr signalisierte, dass ihre Mutter noch wach war. Kein Wunder, es war ja noch nicht mal elf Uhr. Sie hatte sicherlich nicht damit gerechnet, so früh wieder hier zu sein. Doch die Diskussion über Beziehungen und ob man in zwei Menschen gleichzeitig verliebt sein konnte, hatte Sora gereicht. Die Stimmung war im Keller, besonders als sie wieder aus dem Bad kam, panisch ihre Sachen schnappte und aus Yoleis Wohnung verschwand. Natürlich hatte Mimi kurz überlegt ihr einfach nachzulaufen und mit ihr zu reden, doch das hätte die Wahrheit vorausgesetzt. Und Mimi war noch nicht bereit, ihren Freunden die Wahrheit zu sagen. Besonders weil sie zuerst zu ihrer Mutter ehrlich sein musste. Sie verdiente es wohl am ehesten. Mimi ging ins Wohnzimmer, um ihrer Mutter Bescheid zu sagen, dass sie wieder zu Hause war, doch vor ihr bot sich mal wieder ein Bild, dass sich sofort in ihrem Kopf einbrannte. „Mama?“, fragte sie unsicher und ging auf sie zu. Sie saß auf dem Boden, diesmal ohne sich dieses bekloppte Hochzeitsvideo anzuschauen. Allerdings erstreckte sich vor ihr eine Zettelwirtschaft, die den halben Boden bedeckte. Einige Taschentücher waren ebenfalls zerknüllt dazwischen zu finden. Ihre Mutter drehte sich zur ihr und sah sie mit einem leeren Blick an. Ihre Augen waren gerötet. Ihre Lippe war leicht aufgesprungen. Ihre Haare hatte sie unordentlich hochgesteckt, sodass ein paar Strähnen vorne raus hingen und ihr Gesicht umspielten. „Was machst du denn schon wieder hier? Ich dachte du kommst morgen früh“, murmelte sie und fuhr sich über ihre Augenpartie. „Pläne ändern sich“, antwortete sie ausweichend und begutachtete die Zettelwirtschaft genauer. Sie legte den Kopf schief und bückte sich zu ihr hinunter. „Mama, sind das deine Bewerbungen?“ Mimi wusste, dass sie sich für verschiedene Jobs in größeren Wirtschaftsunternehmen beworben hatte. Bisher hatte sie sich keine Gedanken über das Einkommen ihrer Mutter und wie sie das Haus weiter finanzieren wollten gemacht. Sie dachte, dass ihr Vater wohl genügend Unterhalt zahlte, bis ihre Mutter auf eigenen Füßen stehen konnte. Sie hatte keine Ahnung, dass sie dermaßen daneben lag. Auch wenn sie nicht viel davon verstand, konnte sie gut rauslesen, dass es sich bei den meisten Briefen um Absagen handelte. Die meisten Unternehmen hatten ihr sogar ihre Unterlagen zurückgeschickt. Manche schrieben, dass sie zurzeit keine neuen Mitarbeiter suchten. „Die meinen alle, dass ich zu wenig Berufserfahrung habe oder bereits zu alt bin.“ Sie lächelte leicht, doch es verschwand im Nebel der Tränen. Zum Lachen war ihr nicht zu mute. Mimi merkte, dass ihre Mutter verzweifelt war. Manche Absagen erhielt sie schon vor einigen Tagen und all das hatte sie vor ihr verheimlicht. „Ach Mama, das wird schon irgendwie“, versuchte Mimi sie zu beruhigen und legte behutsam eine Hand auf ihre Schulter. Ihre Mutter ergriff ihre Hand, einige Tränen kullerten ihr die Wange hinunter, während sie sachte mit dem Kopf schüttelte. Mimi zog die Stirn kraus und verstand nicht, was ihre Mutter damit sagen wollte. Sonst war sie doch immer ein Optimist gewesen. „Wenn wir zusammenhalten klappt das schon, da bin ich mir sicher“, meinte sie zuversichtlich. Doch das Schluchzen ihrer Mutter wurde lauter und quälte sie zunehmend. Was sollte sie noch sagen? Sie konnte weder in die Zukunft sehen, noch versprechen, dass sie tatsächlich einen Job bekommen würde. Aber trotzdem sollte sie nicht die Flinte ins Korn werfen. „Mama, das wird alles wieder werden“, sagte sie ruhig und nahm sie in den Arm. Sie drückte sie fest an sich, während ihre Mutter nur zaghaft ihre Umarmung erwiderte. „Es wird alles wieder gut“, flüsterte sie in ihr Ohr. Plötzlich löste ihre Mutter die Umarmung und nahm ihr Gesicht zwischen die Hände. Es sprach so viel Schmerz aus ihrer Augen, sodass Mimis Blut beinahe gefror. Es machte ihr Angst, sie so verzweifelt zu sehen und irgendwie ließ es sie nicht los, dass noch etwas anderes dahinter steckte. Die Tränen quollen aus ihren Augenlidern und kämpften sich den Weg nach unten. Es dauerte einen Moment, bis sie ihre Sprache wiedergefunden hatte. Und ihre Worte waren so hart, wie eine Faust, die auf ihr Gesicht zusteuerte und sie gnadenlos traf. Es war etwas, mit dem sie nicht gerechnet hatte. Ihre Mutter sammelte sich, kräuselte die Lippen und sprach, dass aus, womit Mimi nicht gerechnet hatte. „Dein Vater hat unser gemeinsames Konto gesperrt.“ „Was?“, erschrocken weiteten sich ihre Augen. „Das kann er doch nicht machen!“ Die Empörung war deutlich aus ihrer Stimme herauszuhören. Doch das Gesicht ihrer Mutter sagte ihr, dass er es sehr wohl machen konnte. Sie waren am Boden angelangt. Die harte Realität hatte sie eingeholt und nun mussten sie mit dieser Tatsache leben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)