The Story of a Bastard Child von dattelpalme11 ================================================================================ Kapitel 32: Einmal zum Gipfel des Fujis hin und zurück – Teil 2 --------------------------------------------------------------- Sie erzählte ihm alles. Selbst die Kleinigkeiten, die sie ursprünglich aussparen wollte. Doch die Wortkotze bahnte sich ihren eigenen Weg, so als wäre es notwendig gewesen diese unausgesprochenen Dinge einmal loszuwerden. Mimi erzählte von ihrer unglücklichen Liebe zu Tai, die für immer unerwidert bleiben würde, da er Sora, ihre beste Freundin, liebte. Mimi beschrieb dieses Gefühl, dass sie immer spürte, wenn sie mit ihm zusammen war. Dieses unaufhörliche Magenkribbeln und pochende Herz, das sie in seiner Gegenwart hatte. Aber sie sprach auch dass aus, was sie zwar immer bemerkt hatte, aber nie wahrhaben wollte. Das giftige grüne Monster, das sich ihr manchmal zeigte, wenn sie sich mal wieder heimlich mit Sora verglich und voller Neid anerkennen musste, dass sie so viele Eigenschaften hatte, die Mimi nicht besaß. Dass, sie sich gewünscht hatte, sie würde sich für Yamato entscheiden und so Tai in ihre Arme treiben, auch wenn sie schon bemerkt hatte, dass alles viel zu einfach klang. Sie ließ das Gespräch zwischen ihr und Matt noch einmal Revue passieren. Erklärte ihrem Gegenüber nachdrücklich, dass sie das Geschehene zu tiefst bereute, auch wenn Masaru noch nicht wusste, was hinter der Sache steckte. Doch Mimi redete sich in Rage. Vollkommen außer sich gestikulierte sie wild, schüttelte bei ihren Erzählungen gelegentlich den Kopf, bevor sie wieder einen Punkt fixierte und ihn traurig anblickte. Sie wollte nicht verstehen, warum Matt Sora einfach so aufgegeben hatte und die Bahn für Tai räumte. Lieber wollte sie an ihrer Wunschvorstellung festhalten und in ihrer Traumwelt weiterleben, als die Realität zu akzeptieren. Doch die Taten, die sie aus der Not heraus begangen hatte, verfolgten sie. Sie untermauerte mehrfach, dass sie ganz sicher nicht mit Matt schlafen wollte, es jedoch in diesem Moment, wie die Luft zum Atmen, gebraucht hatte. Die Sache mit Noriko und das aus Tai und Sora wohlmöglich doch ein Paar werden könnte, waren zu viel für sie. Sie gab sich daher dem Moment der Leidenschaft hin, um alles andere zu vergessen, auch wenn es ihr mehr Probleme einhandelte, als sie eigentlich wollte. Mit Matt hatte sie seither nicht mehr gesprochen. Sie konnte ihm noch nicht mal mehr in die Augen sehen, ohne an die gemeinsame Nacht zu denken. Ihr schlechtes Gewissen vermischte sich mit Scham, der sich in ihre Gedankengänge gefressen hatte. Matt wusste genau, wie sie nackt aussah, wie sie reagierte, wenn er sie an bestimmten Stellen berührte und sie konnte nicht sagen, das ihr dieser Gedanke sonderlich gut gefiel. Etwas außer Puste gekommen, beendete sie den letzten Satz und sah in Masarus ausdruckloses Gesicht. Bestimmt fühlte er sich von den Informationen erschlagen und überlegte angestrengt, was er als Nächstes sagen sollte. Gespannt sah Mimi ihn an und wippte leicht mit ihrem Fuß. Vielleicht hatte er sogar einen schlauen Rat für sie, auch wenn sie nicht wirklich daran glaubte. Mimi fragte sich, ob Beziehungen zwischen Männern auch so kompliziert abliefen, oder ob es einfach daran lag, dass es bei Mann und Frau immer diese Reibungspunkte geben würde. „Also…ja, das waren viele Informationen auf einmal, aber…“, stammelte er, sah sie kurz an, wurde rot und wandte den Blick wieder von ihr. „Aber was?“, hakte Mimi nach und beugte sich zu ihm rüber. „Naja, es ist schon eine blöde Situation, aber die Sache mit dem Sex würde ich jetzt nicht so dramatisch sehen“, erläuterte er unsicher. „Nicht so dramatisch sehen?“, wiederholte sie und runzelte die Stirn. Es war wohl doch ein Fehler, ihn um seine Meinung zu fragen. Von Frauen hatte er absolut keine Ahnung. „Jetzt hör mir mal zu“, setzte er wieder ein und hielt sie an ihren beiden Schultern fest. „Das Leben ist wie ein undefinierbares Wesen, gebürtig in der Hölle und ohne Herz. Aber so ist das nun mal. Natürlich wäre es sicher besser gewesen, nicht mit dem Ex-halb-irgendwas-Freund deiner besten Freundin zu schlafen, aber es ist passiert. Daran kannst du nichts mehr ändern.“ Er versah seine überaus emotionsgeladene Rede mit verzerrten Gesichtern, die Mimi zuvor noch nie bei jemandem gesehen hatte. Sein rechtes Auge war leicht zusammen gekniffen und sein Mund hing schräg nach links unten. Seine rechte Augenbraue zuckte leicht, je nachdem wie er ein Wort betonte, seine Stimme senkte oder hob. So etwas Witziges hatte sie schon Ewigkeiten nicht mehr gesehen und musste sich zurückhalten nicht gleich laut los zu prusten. Sie verzog leicht das Gesicht und gab einen undefinierbaren Laut von sich, als sie sich die Hand vor den Mund hielt und laut los lachte. „Was‘n jetzt los?“, fragte er verständnislos und war anscheinend komplett verwirrt. Mimi hingegen rang nach Luft, als sie ihre Lachtränen mit dem Zeigefinger aus dem Augenwinkel entfernte. Er hätte sich im Spiegel sehen müssen. So ein Gesicht war einfach einmalig. Doch Masaru verschränkte nur verärgert die Arme vor der Brust und musterte sie zu tiefst beleidigt. „Ich weiß gar nicht, was auf einmal so witzig sein soll? Hast du den Verstand verloren, oder geht dir bei der Höhe allmählich der Sauerstoff aus?“ „So ein Quatsch“, erwiderte sie augenverdrehend und gab ihm einen leichten Klaps gegen den Arm. „Du hättest dein Gesicht sehen sollen…es war einfach fabelhaft.“ „Mein Gesicht?“, hakte er nach und tastete sich automatisch ab. Mimi kicherte wieder, was Masaru um den Verstand zu bringen schien. „Was ist denn mit meinem Gesicht? Hab ich Sonnenbrand? Schält sich meine Haut? Sehe ich aus wie ein Inder?“ Mimi fasste sich lachend an die Stirn, während sie sich mit der anderen Hand den Bauch hielt. Vor lauter Lachen tat er schon weh und Masaru schaffte es immer wieder einen drauf zu setzen. Nachdem sie sich beruhigt hatte und Masaru versicherte, dass er noch genauso aussah, wie heute Morgen, kehrte für den Moment Ruhe ein. Ein seichtes Lüftchen wehte und verstrubbelte ihre Haare. Eine zarte Gänsehaut zog sich über ihr Gesicht, sodass sie ein wenig mehr in ihrem Schal versank und die Arme um ihren Körper drückte. Sie hatten vollkommen die Zeit vergessen, da sie über alles und jeden geplaudert hatten. Masaru hatte seinen Jackenärmel zurückgeschoben und auf seine Armbanduhr sehen zu können. Ein sanftes Lächeln überkam ihn und er sah wissend zu Mimi. „Ich glaube, wir sollten uns auch noch ein bisschen ausruhen. Wir haben schon nach zwölf.“ Mimi nickte nur verständlich und fischte sich ein paar Strähnen aus dem Gesicht. Sie wollte gerade aufstehen, als Masaru sachte ihr Handgelenk packte und sie wieder auf die Bank zog. „Was soll das denn?“, fragte Mimi empört und sah ihn mit ihren großen braunen Augen an. Er grinste und wiederholte, dass es nach zwölf war. Danach ließ er ihr Handgelenk wieder los, während Mimi überlegte, auf was er bloß hinaus wollte. „Und weiter? Mir ist wirklich kalt und bei so ‘ner Uhrzeit kann ich nicht mehr denken“, gab sie sich geschlagen, wandte jedoch den Blick keinesfalls von ihm. Er stöhnte nur und hielt sich die Hand an den Kopf. „Also wenn du nicht weißt, was heute ist, dann weiß ich auch nicht mehr.“ Sie runzelte die Stirn und war nun gänzlich verwirrt. Er hatte den Arm auf die Banklehne legt und sah sie herausfordernd an. Doch ihr wollte beim besten Willen nicht einfallen, was er von ihr wollte. So wichtig konnte es nicht sein, sonst würde es ihr doch gleich einfallen. „Man, du bist echt der erste Mensch, den ich kennen lerne, der seinen eigenen Geburtstag vergisst“, klärte er sie kopfschüttelnd auf. „Mein Geburtstag?“, murmelte sie verdutzt und kramte ihr Handy aus der Hosentasche hervor. Tatsächlich. Es war der 23. Juli. Ihr Geburtstag. „Aber woher wusstest du…?“ „Noriko hat mich zisch mal daran erinnert. Sie wäre sicher ganz schön sauer geworden, wenn ich es vergessen hätte und ich bin auch nur eine halbe Stunde zu spät. Aber daran gebe ich dir die Schuld“, antwortete er keck. „Du Spinner“, sagte sie nur und stand auf. „Na komm, lass uns rein gehen!“ Sie hielt ihm die Hand hin, die er sofort ergriff. Er stand ihr gegenüber, als er sie plötzlich in eine Umarmung zog. Überrascht erwiderte Mimi sie und legte die Arme um ihn. „Happy Birthday Mimi“, gratulierte er ihr fast flüsternd und drückte sie für einen kurzen Moment an sich. Auch wenn es nur eine kleine und sehr kurze Geste war, wusste Mimi sie zu schätzen. Es war seine Art ihr zu sagen, dass alles irgendwie funktionieren würde. Egal, was auch noch passierte. _ Um zwei Uhr ging es tatsächlich weiter. Ihr Gruppenführer riss sie aus der Entspannungsphase und Yasuo aus seinen Träumen. Ein allgemeines Grummeln war zu hören, doch nach und nach setzte sich jeder in Bewegung. In circa eineinhalb Stunden würden sie die Spitze des Fujis erreichen. Mimi war gespannt auf den Sonnenaufgang und lief euphorisch voran. „Jetzt bewegt euch mal“, kommandierte sie Masaru und Yasuo, die immer noch nicht ganz wach schienen. „Hast du ihr irgendwas gegeben? Ist ja schlimm wie motiviert sie ist“, murmelte Yasuo hörbar und bekam von Mimi einen bösen Blick zugeworfen. „Das habe ich gehört“, giftete sie, ließ sich allerdings nicht die Laune verderben. Nach dem Gespräch mit Masaru fühlte sie sich befreit, so als wäre ein Zentner Last von ihrer Brust abgefallen. Außerdem hatte sie Geburtstag, auch wenn es für sie eher nebensächlich war. Sie wollte Norikos Herzenswunsch erfüllen und einmal die Spitze des Fujis erreichen. All die Strapazen, die sie bisher erlebt hatte, dass ihre Füße vom Laufen schon ganz taub geworden waren, hatte sie vergessen. Sie hatte sich ein Ziel gesteckt, dass sie unbedingt erreichen wollte. Nicht für sich, aber für jemanden, der ihr viel bedeutete. Gut, sie wollte auch beweisen, dass sie so etwas Anstrengendes schaffen konnte. Dass sie keine Mimose oder ein verzogenes Prinzesschen war, für das sie alle immer hielten. Vielleicht wollte sie es sich auch nur selbst beweisen. Zielstrebig setzte sie einen Fuß vor den anderen, wusch sich den aufkommenden Schweiß von der Stirn und strich sich störende Haarsträhnen aus dem Gesicht. Ihre Haare hatte sie zu einem hohen Zopf gebunden, der munter mitwippte, wenn sie sich bewegte. Es war immer noch stockfinster und sie war froh an eine Taschenlampe gedacht zu haben. Viele trugen eine Helmlampe auf dem Kopf und waren auch sonst perfekt vorbereitet gewesen. Mimi hatte schon mehrfach gedacht, dass sie zu viel Zeug dabei hatte, musste aber feststellen, dass auch ihre Wasserrationen sich schnell zu Ende neigten. Daher musste sie sich zwei neue Flaschen in den überteuerten Hütten besorgen und ärgerte sich darüber, fast 780 Yen dafür ausgegeben zu haben. Doch verdursten wollte sie ganz sicher nicht, auch wenn sie dem Geld hinterher trauerte. Sie verlangsamte plötzlich ihre Schritte, damit Masaru sie einholen konnte. Seine Motivation war flöten gegangen, besonders weil er in der Hütte keine Ruhe fand. Yasuo hingegen strotzte vor Energie und berichtete fröhlich, dass er Noriko den Sonnenaufgang aufzeichnen wollte. Seine Kamera hing um seinen Hals und schwang leicht mit seinen Bewegungen mit. Mimi lächelte nur milde. Seine Euphorie sprang regelrecht auf sie über, auch wenn sie anfangs von dem Ausflug wenig begeistert war. Mittelweile verstand sie jedoch, warum sich so viele auf den Weg begaben. Es zeigte ihr so viele wundervolle Dinge, die sie zuvor noch nicht mal wahrgenommen hatte. _ Um kurz nach halb vier hatten sie es geschafft. Sie waren tatsächlich am Gipfel angekommen. Der Wind peitschte ihnen ins Gesicht und vor ihnen erstreckte sich eine Hügellandschaft, die sie beim dämmenden Licht nur spärlich erkennen konnten. Es dauerte noch über eine Stunde, bis sich die Sonne zeigen würde. Einige Wanderer ließen sich daher auf dem braunen Gestein nieder und packten Energieriegel und Wasser aus. Auch Mimi hatte sich mit den Jungs an eine gute Stelle verzogen und wartete darauf, dass etwas passierte. Sie unterhielten sich locker miteinander, bis sich der dunkele Himmel allmählich erhellte. „Boah, ich glaube es geht gleich los!“, rief Yasuo nervös und setzte sich leicht auf. Die Kamera hatte er bereits gezückt und richtete sie in die Ferne. Die schwarze Nacht verabschiedete sich nach und nach. Der Himmel färbte sich in ein zartes dunkelblau und langsam erkannte man ein Meer aus Wolken, das sich vor ihnen erstreckte. „Ich geh mal näher ran!“, informierte Yasuo sie, sprang auf und lief weiter nach vorne. Mimi und Masaru saßen direkt nebeneinander und starrten in die Unendlichkeit. Sie hatte ihre Beine an ihren Körper gepresst und ihren Kopf auf den Knien abgelegt, während er locker und ausgestreckt neben ihr saß. Die ersten Sonnenstrahlen kitzelten auf ihrer Haut und vermischten sich mit dem inzwischen hellblauen Himmel und färben ihn am Horizont zart orangerot. Mimi atmete tief ein und merkte, dass sich ihre Brust auf- und absenkte. Schon lange hatte sie sich nicht mehr so befreit gefühlt. Der Moment in dem sich die Sonne und der Himmel sanft küssten, fühlte sich magisch an, selbst wenn man nicht an Magie glaubte. Masaru seufzte leise neben ihr und wandte den Kopf in ihre Richtung. „Kennst du die Geschichte von dem Mann, den drei Bündeln und der Brücke?“, fragte er plötzlich und erhaschte Mimis Aufmerksamkeit. Sie runzelte die Stirn und verneinte seine Frage nur. Masaru lächelte sanft und seine Haare glitzerten fast ein wenig golden im Licht der Sonne. „Ein Mann hatte drei Bündel und jedes Bündel wog fünf Kilo“, begann er nachdenklich. „Der Mann wog genau 90 Kilo. Die Brücke würde aber nur 100 Kilo tragen. Wie ist der Mann mit allen Bündeln über die Brücke gekommen?“ Überrascht musterte sie ihn und kniff die Augen kurz zusammen. Sie überlegte kurz und fuhr sich dabei demonstrativ mit dem Daumen und dem Zeigefinger über ihr Kinn, bis sie zu dem Entschluss kam, dass sie es nicht wusste. Sie zuckte mit den Achseln und sah fragend zu Masaru. „Keine Ahnung…sag’s mir!“ Erwahrungsvoll hatte sie den Kopf zu ihm gedreht, der immer noch auf ihren Knien ruhte. Masaru blickte gedankenverloren zum Sonnenaufgang. „Die Brücke ist das Leben. In den Bündeln sind deine Gefühle. Deine Liebe. Deine Freude. Dein Schmerz. Dein Verlust“, erklärte er, ohne seinen Blick vom Sonnenaufgang zu lösen. „Jeder überquert eine Brücke, mit einer größeren Last, als er tragen kann. Also muss man jonglieren.“ Er grinste verhalten. „Früher fand ich diese Geschichte wirklich bescheuert, aber jetzt macht sie Sinn.“ „Ach wirklich?“, hakte Mimi nach, die die Geschichte immer noch ein wenig fragwürdig fand. „Ja“, antwortete er sachte. „Das Leben kann manchmal so scheiße sein, dass du dich ständig fragst, warum ausgerechnet du sowas verdient hast.“ Er stöhnte leise und zog seine Beine an, um sein Gesicht in seine Oberschenkel zu drücken. „Aber eigentlich, geht es jedem so. Das Leben verläuft nie gradlinig und jeder bekommt früher oder später Steine in den Weg gelegt, die er trotzdem meistern muss. Und natürlich ist die Last meist größer, aber nicht zu groß, um unter ihr zusammen zu brechen. Nicht, wenn man jongliert!“ „Aber was, wenn man nicht jonglieren kann?“, fragte Mimi mutlos und wurde auf einmal traurig. Sie konnte sich nicht vorstellen, was er mit dem Jonglieren meinte. Doch Masaru ließ sich nicht aus dem Konzept bringen, zog die rechte Augenbraue nach oben und ein schiefes Lächeln legte sich auf seine Lippen. „Dann musst du es eben lernen!“ Mimi blies die Wangen auf und bewegte ihre zusammengekniffenen Lippen von links nach rechts. Er hatte gut reden…wusste er denn nicht wie schwer das war? „Das klingt aber verdammt schwer“, erklang ihre Stimme fast flüsternd. „Wenn’s zu einfach wäre, wäre es wirklich langweilig, oder?“ Mimi hielt für den Moment inne. Natürlich wäre es langweilig, aber trotzdem klang alles nach harter Arbeit, die sicher nicht jeder bereit war zu absolvieren. Doch das wollte sie ihm lieber nicht sagen. Sie spürte, dass er für den Moment mit sich im Reinen war und auch wenn sie die Geschichte mit dem Mann und den drei Bündeln nicht verstand, wollte sie den Augenblick genießen. Die Sonne auf ihrer Haut spüren, sich von ihrer Wärme ummanteln lassen. Vielleicht würde sie es eines Tages verstehen. Jetzt wollte sie einfach nur den Moment mit allen Facetten und seiner Schönheit einfangen, um sich auch noch nach Jahren an ihn zurückerinnern zu können. Es gab nur sie, den Gipfel des Fujis und die Sonnenstrahlen, die ihre Haut sanft berührten. _ Der Abstieg dauerte seltsamer Weise nicht so lange, auch wenn sie knapp dreieinhalb Stunden unterwegs waren. An Station sieben machten sie eine etwas länge Pause, bevor sie sich weiter auf den Weg machten. Mimi merkte langsam, dass ihre eignen Müdigkeit ihr sehr zu schaffen machte und sie sich am liebsten in das nächstbeste Bett fallen lassen würde. Kurz bevor sie die fünfte Station erreichten und danach wieder mit dem Bus in die Stadt zurückfahren wollten, informierte Masaru sie, dass sie in einem kleinen Lokal noch eine Kleinigkeit essen wollten und mit einem späteren Bus zurückfahren wollten. Etwas überrascht über den spontanen Einfall, blieb sie kurz verwundert stehen, folgte dann aber den beiden Jungs zu einer großen Hütte, in der sie essen wollten. Viele Eindrücke, die sie in den letzten Stunden gesammelt hatte, durchströmten sie und ließen sie leicht schmunzeln. Noriko hätte es sicher gefallen. Diese Freiheit und Belebtheit, die man in seiner Brust spürte war einmalig und ein Erlebnis, dass Mimi wohl niemals vergessen würde. Langsam schlenderte sie Richtung Parkplatz und fuhr sich gerade mit dem Handrücken über ihre schweißnasse Stirn, als sie plötzlich erstarrte und die Hand sinken ließ. Ihr Herz klopfte schneller und ihre Lippen begannen zu zittern. Sie wollte etwas sagen, doch sie war sprachlos. Wieder und wieder sah sie zu Masaru, der wissend grinste und die Arme vor der Brust verschränkt hatte. Mimi stand immer noch stocksteif am selben Platz und musterte ihre Gegenüber mit offenem Mund. Damit hatte sie wirklich nicht gerechnet. Tränen bildeten sich in ihren Augen und rannen ihre Wangen lautlos hinunter. „Hey“, murmelte sie leise vor sich hin und Mimi unterdrückte ein leises Schluchzen. Masaru stand direkt neben ihr, legte plötzlich einen Arm um sie und drückte sie nach vorne. „Na los, geh schon“, sagte er zu ihr und Mimi stolperte ihr entgegen. „Was machst du denn hier?“, fragte sie leicht entgeistert, da sie mit ihr am allerwenigsten gerechnet hatte. Sie legte nur den Kopf zur Seite und lächelte milde. „Ich wollte dich sehen. Du hast doch schließlich Geburtstag“, sagte sie schwach und Mimi erkannte das ihre Knie leicht zitterten. Schweigsam standen sie sich für einen Moment gegenüber. Chiaki und Etsuko standen direkt neben ihr. Sie sah so zerbrechlich aus, wie eine Porzellanpuppe hinter einer gläsernen Vitrine. „Es tut mir leid“, stammelte sie und die Tränen quollen über ihre Wangen. Mimi schüttelte nur den Kopf und legte die Lippen fest aufeinander. Ihr tat es leid. So unendlich leid. Sie hatte ihr so viele verletzende Dinge an den Kopf geworfen und sie entschuldigte sich bei ihr. Das war nicht richtig. Sie war diejenige, die sich entschuldigen musste. „Ich…“, setzte sie an, brach aber wieder ab, da ihre eigenen Tränen sie wieder überkamen. Masaru stellte sich wortlos neben sie und führte Mimi direkt zu ihr. Beide Mädchen standen sich ganz nah gegenüber und ließen ihren Gefühlen freien Lauf. „Es ist okay“, flüsterte Masaru und ließ sie los. Mimi gab einen quälenden Laut von sich, als sie sich plötzlich und unerwartet in Norikos Arme sinken ließ. Sie hielten sich fest umklammert und spürten die Nähe des jeweils anderen. „Bitte verzeih mir!“, brachte sie hervor, als sie sich gegen ihre Schulter drückte und qualvoll schluchzte. Doch Mimi schüttelte vehement den Kopf und drückte sie sachte von sich. Sie fuhr ihr über ihr Gesicht und entfernte eine Haarsträhne, die an ihren Wangen kleben geblieben war. „Ich habe dir schon längst verziehen“, eröffnete sie mit schwerer Stimme und fuhr sich mit dem Handrücken über ihre nasse Augenpartie. „Kannst du mir nochmal verzeihen?“ Sie nickte überschwänglich und presste ihr Gesicht gegen ihre Schulter. Ihre Armen umschlangen Mimis zierlichen Körper und signalisierten ihr, dass alle bösen Worte bereits vergessen waren. _ Sie hatten nicht die große Gelegenheit über alles zu sprechen, aber ihre Blicke sagten bereits einiges. Keiner der beiden wollte den Streit länger aufrechterhalten und die Zeit, die ihnen noch blieb, gemeinsam nutzen. Nach einem kurzen Geburtstagsfrühstück hatte Etsuko Mimi und den Rest in dem Kleinbus ihres Vaters nach Hause gefahren. Mimi war hundemüde und war, nachdem ihre Mutter ihr zum Geburtstag gratuliert und sie ihr kleines Geschenk ausgepackt hatte, sofort ins Bett gekrochen. Sie wusste, dass ihre finanzielle Situation nach wie vor angespannt war und erwartete daher nicht viel. Sie hatte ein kleines Rezeptbuch bekommen. Es war nicht viel, aber ihre Mutter hatte ihr Talent zum Backen schon lange bemerkt. Von ihr erfuhr sie auch, dass ihr Vater angerufen hatte, um ihr zum Geburtstag zu gratulieren. Im Nachhinein war sie froh nicht zu Hause gewesen zu sein. Mit ihm wollte sie nicht reden. Jedenfalls nicht zurzeit. Und auch wenn sie sich vorgenommen hatte, nicht vor morgen früh aufzustehen, wurde ihre ruhige Schlafphase jäh unterbrochen, als ihre Mutter in ihr Zimmer kam und ihr verkündete Besuch zu haben. Schlaftrunken taumelte sie in Schlapperklamotten zur Tür und war überrascht ausgerechnet sie davor zu finden. Ein wenig verwirrt ließ Mimi sie ins Haus und beide verschwanden wortlos in ihr Zimmer. Erst als sie ihre Tür hinter sich schloss, musterte sie ihr Gegenüber kritisch. „Was machst du denn hier? Ich dachte, du wärst noch sauer auf mich.“ „Das war ich auch“, gab sie zu und ließ sich auf ihrem Bett nieder. „Aber trotzdem habe ich deinen Geburtstag nicht vergessen und wollte dir eine Kleinigkeit vorbei bringen.“ Erst jetzt bemerkte sie die himmelblaue Tüte, die sie die ganze Zeit schon mit sich schleppte. „Oh, okay“, murmelte sie ein wenig ratlos und ließ sich auf ihrem Schreibtischstuhl nieder. Sie hatte nicht viel Lust mit ihr zu reden, auch wenn sie die ganze Sache gerne aus dem Weg räumen würde. Doch sie war so unfassbar müde, dass sie drohte jeden Augenblick vom Stuhl zu kippen. „Ich habe es leider nicht früher geschafft, aber ich hoffe trotzdem, dass du dich freust“, meinte sie etwas starr und reichte ihr die Tüte weiter. Dankend nahm Mimi sie an und sah hinein. Die Süßigkeiten fielen ihr sofort ins Auge, als sie darin kramte. Doch dann holte sie etwas Pinkes hervor, dass ihr die Sprache verschlug. Ihre Finger glitten über die weiche Wolle und sie suchte automatisch nach dem Zettel mit den Waschhinweisen, den sie nirgends fand. „Ist der selbstgemacht?“, fragte sie verblüfft und musterte ihre beste Freundin überrascht. Sora nickte leicht und ein Lächeln zog sich über ihre Lippen. „Ich weiß, es ist noch etwas zu früh für Schals, aber im Winter wird er dir sicher gute Dienste leisten.“ Mimi ließ den Schal auf ihren Schoss sinken und sah Sora gerührt an. Sie hatte noch nie ein selbstgemachtes Geschenk bekommen. Ihre Eltern hatten ihr früher immer die tollsten und teuersten Kleider aus irgendwelchen Designerläden gekauft. Selbst von ihrer Oma hatte sie noch nie etwas Selbstgestricktes bekommen. „Bist du mir noch böse?“, fragte sie zaghaft und zupfte unbeholfen an ihrem neuen Schal. Sie hoffte, dass Sora ihr verziehen hatte. Sie brauchte ihre Freundin, besonders jetzt. „Deine Worte waren ganz schön hart gewesen“, räumte sie direkt ein. „Aber du hattest Recht! Ich habe mich so egoistisch verhalten, weil ich mich einfach nicht entscheiden konnte und nur auf mich geachtet habe.“ Ihr Blick wirkte traurig, ihr Kopf war leicht zu Seite geneigt, so als wollte sie Mimi nicht direkt in die Augen sehen. „Und was hast du jetzt vor zu tun?“, tastete sie sich behutsam vor, auch wenn sie ihre Antwort fürchtete. Von Matt hatte sie ja bereits erfahren, dass er sie für Tai freigegeben hatte. Es lag also nur an ihr. „In Osaka hatte ich kurz Gelegenheit mit Tai zu reden. Mit Matt habe ich schon vor dem Turnier gesprochen“, begann sie ohne Umschweife. Mimi hatte schon wieder vergessen, dass Tais Fußballmannschaft ebenfalls an dem Turnier in Osaka teilgenommen hatte, genau wie die Basketballmannschaft von TK. Erwartungsvoll starrte sie ihre Freundin an und zerknautschte den pinken Schal mit ihren Fingern. Die Wolle war unfassbar weich und überhaupt nicht kratzig, sodass Mimi ihre Finger noch fester hineinbohrte. „Ich möchte beide nicht als Freunde verlieren und deswegen habe ich mich dazu entschieden, keinen der beiden zu wählen. Egal welche Entscheidung ich auch treffen würde, ich würde jemanden, der mir unglaublich wichtig, ist verlieren und das will ich nicht“, gestand sie und verschränkte ihre Finger ineinander. Nervös pulte sie an ihrer Nagelhaut und fuhr mit den Zähnen immer wieder über ihre Unterlippe. Mimi runzelte die Stirn. Irgendwas störte sie. Nicht, dass sie ihr nicht glaubte, aber dennoch hatte sie dieses mulmige Gefühl, dass sie ihr nicht die Wahrheit sagte. Von Matt wusste sie ja, dass er sie abserviert hatte, damit sie und Tai eine Chance haben könnten, doch das konnte sie ihr nicht sagen, ohne den One Night Stand vor ihr zuzugeben. Matt hatte nie sonderlich viel Kontakt zu ihr gehabt. Meist sah sie ihn nur, wenn sie mit Sora unterwegs war. Es wäre schon komisch, wenn sie plötzlich erzählte, dass sie alleine mit ihm etwas unternommen hatte. Nach einem kurzen Moment des Schweigens, ergriff Sora erneut das Wort. „Ich war eine unfassbar miese beste Freundin, weil mir alles über den Kopf gewachsen ist. Das mit Tai und Matt, dann die ganzen Prüfungen und Zeichnungen für meine dämliche Mappe für die Modeschule. Ach Mimi, es tut mir leid. Ich wollte nicht, dass du da so mit reingezogen wirst. Denkst du, dass du mir nochmal verzeihen kannst?“, fragte sie missmutig und blickte Mimi traurig an. Mimi hingegen lächelte aufmunternd und stand auf. „So etwas kann unsere Freundschaft doch nicht erschüttern. Es ist einfach alles blöd gelaufen. Lass es uns abhaken und nach vorne schauen. Die Vergangenheit lässt sich nicht ändern, nur unsere Zukunft“, schlug sie versöhnlich vor und ignorierte ihre wieder aufkommende Müdigkeit. „Na los, lass uns in die Küche gehen und noch ein bisschen Kuchen verdrücken. Du hast sicher viel zu erzählen! Osaka war sicher super!“ Sora nickte milde und beide Mädchen verschwanden in die Küche. Es wurde Zeit die Vergangenheit ruhen zu lassen und mit voller Eifer in die Zukunft zu blicken. Auch wenn es für Mimi viele Veränderungen bedeutete. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)