The Story of a Bastard Child von dattelpalme11 ================================================================================ Kapitel 38: Okay? Okay. ----------------------- „Ich kann immer noch nicht glauben, dass sie sich treffen“, sagte sie verwundert und hielt den Hörer zwischen ihrem Ohr und ihrer Schulter fest. Ihre Haare hatte sie zu einem unordentlichen Dutt zusammengebunden, der recht locker auf ihrem Kopf saß. Ein paar Strähnen hatten sich daraus gelöst und hingen ihr leicht gewellt ins Gesicht. „Ich war auch überrascht, aber Hartnäckigkeit lohnt sich eben doch manchmal“, tönte die Stimme am anderen Ende der Leitung großspurig. „Was machst du gerade?“ Mimi stand am Herd und grinste. „Ich koche, naja jedenfalls versuche ich es gerade.“ Sie sah in die Pfanne und roch den zarten Duft von gebratenem Fleisch aufsteigen. „Solange es nicht anbrennt, kann man es sicher noch essen“, witzelte Noriko. Ein Grinsen war aus ihrer Stimme praktisch rauszuhören, da sie genau wusste, dass Mimi besser backen statt kochen konnte. „Sehr witzig“, zischte sie, musste sich aber ebenfalls ein Lächeln verkneifen. Ihr Blick wanderte zur Uhr und Mimi wunderte sich ein wenig, dass ihre Mutter noch nicht zurück war. Sie und Ayame hatten sich auf einen Kaffee verabredet. Mittlerweile war es weit nach sechs. „Glaubst du, dass alles in Ordnung ist? Die beiden sind schon ziemlich lange weg“, stellte Mimi nüchtern fest. „Naja offene Gespräche dauern eben“, erwiderte Noriko nur. „Ich würde mir erst Gedanken machen, wenn beide morgen früh noch nicht zu Hause sind.“ Ihre Besorgnis hielt sich also in Grenzen. Doch Mimi war bei der ganzen Sache von Anfang an nicht richtig wohl gewesen. Natürlich war es wichtig auch einmal die andere Seite der Geschichte zu hören, aber Mimi kannte ihre Mutter. Sie wusste, dass die Wahrheit sie verletzte und sie meist von ihren eigenen Gefühlen überrollt wurde. In Gefühlsdingen war ihre Mutter schon immer sehr verletzlich gewesen, genau wie sie. Mimi hatte die Befürchtung, dass sie wieder zu einem seelischen Wrack mutierte und ins Bodenlose fiel, gerade wo es ein bisschen bergauf ging. Doch das konnte sie Noriko nicht sagen. Es war ihr Wunsch gewesen, dass sich ihre Mütter noch einmal aussprechen und sich vielleicht sogar wieder annäherten, auch wenn Mimi es bezweifelte. „Was planst du eigentlich für deinen Geburtstag?“, lenkte Mimi plötzlich auf ein anderes Thema, nachdem ihr Blick kurz den Kalender streifte. Mittlerweile war schon die Hälfte des Septembers einfach so verstrichen, ohne dass sie es wirklich bemerkt hatte. Noriko hatte in einer Woche bereits Geburtstag. Ihr Achtzehnter. Wohlmöglich ihr Letzter. Mimi schluckte. Auf einmal bereute sie es ungemein überhaupt gefragt zu haben. Wie taktlos konnte sie nur sein? Noriko hatte sicher keine Lust, sich mit ihr über ihren baldigen Geburtstag zu unterhalten. Für sie war es doch ohnehin schon schwer genug. „Also, ich denke, ich werde das Gleiche machen wie jedes Jahr. Zu viel Schokolade essen und Alice im Wunderland schauen. Traditionen muss man eben beibehalten“, antwortete sie und kicherte. Erleichtert entspannte sich Mimis angestrengtes Gesicht, das sich gebildet hatte. „Du bist selbstverständlich eingeladen! Ich würde mich freuen, wenn du zu meiner Megaparty kommen würdest“, ergänzte sie gespielt ernst. „Ich werde bestimmt ein wenig Zeit finden dich mit meiner Anwesenheit zu beglücken“, kam es von Mimi, die immer noch in ihrer Wok-Pfanne rührte. „Ich fühle mich geehrt! Ich setze schon mal eine größere Portion Schokolade auf die Einkaufsliste.“ Mimi lachte und hörte wie die Haustür ins Schloss fiel. Sie beugte sich neugierig nach hinten, konnte aber nicht erkennen, wer gekommen war. „Wir reden später weiter! Ich glaube, meine Mutter ist gerade gekommen“, informierte sie sie knapp, verabschiedete sich und legte auf. Unbeirrt rührte Mimi weiter und wollte ihre Mutter nicht gleich überfallen, als sie wankend in die Küche trat und sich am Tisch niederließ. Skeptisch musterte sie ihre Mutter von oben bis unten, den Kochlöffel immer noch in ihrer Hand. Ihre Wangen hatten einen rötlichen Schimmer und ein seltsames Grinsen hatte sich über ihre Lippen gelegt. Sie hickste kurz, als sie leicht lallend fragte, was es zu essen gab. „Bist du betrunken?“, fragte Mimi empört und stemmte einen Arm in ihre Hüfte. Mit der anderen Hand hielt sie den Kochlöffel fest umschlossen und wedelte damit umher. „Vielleicht ein bisschen angeschickert“, antwortete sie nur und lachte. Mimi klappte nur fassungslos der Mund auf. „Ich dachte, ihr wolltet miteinander reden?“ „Das haben wir auch. Dann kam der Sekt“, sagte sie heiter und sah sie mit großen Augen an. „Das ist jetzt nicht dein Ernst“, antwortete sie entrüstet und verschränkte die Arme vor der Brust. „Schätze schon.“ Sie versteckte ihr Gesicht hinter ihren Händen und gackerte wie eine Henne, bis ihr die Luft ausging und sie rot anlief. Völlig entsetzt schüttelte Mimi den Kopf und sah wie ihre Mutter fast den Stuhl hinuntersegelte und sich gerade noch so an der Lehne festhalten konnte. „Und? Wie sieht’s jetzt zwischen euch aus?“ „Zwischen wem?“, hakte sie nach und hob fragend den Kopf. „Zwischen dir und Ayame?“ „Ah, naja wir haben geredet und das war wirklich aufschlussreich, aber dann kam der Sekt! Und er war so lecker“, erwiderte sie verträumt, hatte allerdings Schwierigkeiten sich aufrecht zu halten. Mimi fasste sich nur an die Stirn und massierte sich die Mitte. Ihre Mutter und Alkohol? Das ging niemals gut. Plötzlich vernahm Mimi den Geruch von angebranntem Fleisch und drehte sich erschrocken zum Herd. „Scheiße“, fluchte sie, als auch noch zusätzlich Rauch aufstieg. Sie rannte zum Herd, stellte ihn aus und nahm die Pfanne von der Platte. „So ein verdammter Mist“, wetterte sie und sah zu ihrer Mutter, die noch nicht mal richtig wahrgenommen hatte, dass ihr das Essen angebrannt war. Enttäuscht blickte sie in die Pfanne und betrachtete niedergeschlagen den Inhalt. Ihre Mutter war neben sie gewankt und legte den Kopf schief. „Also Mimi, das war etwas zu viel des Guten“, meinte sie und stocherte mit dem Finger im Fleisch herum. „Das würde ich jetzt nicht mehr essen.“ „Danke, hatte ich auch nicht vor“, grummelte sie und verzog die Augen zu Schlitzen. Ihre Mutter lächelte nur und tätschelte ihre liebevoll den Kopf, bevor sie sich entfernte. „Ich gehe jetzt mal duschen! Ich rieche wie ein Aschenbecher“, stellte sie entsetzt fest und verschwand ins Badezimmer. Mimi blickte ihr nachdenklich hinterher. _ „Ich finde es echt komisch einem merkwürdigen Kaninchen hinterher zulaufen“, meinte Mimi skeptisch und legte den Kopf schief. „Aber es trägt Kleider und hatte eine riesige Taschenuhr dabei. Außerdem kann es reden! Da würde ich auch hinterher laufen“, stimmte Noriko mit ein und griff nach dem Popcorn. Mimi beobachtete wie sie eine Handvoll davon in ihrem Mund verschwinden ließ. Sie hatten den ganzen Tag zusammen verbracht, gemeinsam mit ihrer Mutter Kuchen gegessen und sich später mit den Jungs getroffen. „Schade, dass die Jungs nicht mitgucken wollten“, sagte Mimi und studierte ihre Reaktion. Chiaki und sie waren so etwas Ähnliches wie ein Paar, auch wenn sie nicht wirklich etwas zu ihrer Beziehung sagten. Ihre Blicke verrieten eigentlich alles, auch wenn sie sich in der Gegenwart der anderen zurückhielten. Es hatte sich etwas verändert das klar und deutlich zu spüren war. Und Mimi war froh, dass sie in ihrer Situation das Lieben nicht verlernt hatte. Sie wusste, wie schlecht es ihr zurzeit ging, da sie die Chemo nicht sonderlich gut vertrug, sich oft deswegen erschöpft fühlte und manchmal sogar ihr Essen nicht bei sich behalten konnte. Heute war ein guter Tag, auch wenn sie mittlerweile mit immer schwerer werdenden Augen den Film, den sie über alles liebte, verfolgte. „Ach, ich nehme es ihnen nicht übel. Sie sind eben wahre Männer, obwohl Yasuo sicher gerne mitgeguckt hätte“, kicherte sie und fuhr sich über die kurzen Haare. „Yasuo kann man wirklich noch gut beeinflussen.“ „Fragt sich nur noch wie lange“, gähnte Noriko, „ich hoffe wirklich, dass er nicht so ein Gefühlsklotz wie Masaru wird.“ Mimi wurde hellhörig. Masaru war wirklich ein Gefühlsklotz, den man nur schwer einschätzen konnte, wenn man ihn nicht näher kannte. „Er hat es mit seinem Vater nicht leicht“, stellte Mimi resigniert fest. „Beide haben es nicht leicht. Die Mutter hat keine eigene Meinung und steht unter der Fuchtel ihres Ehemanns und er? Ich habe ihn einmal erlebt…ich glaube, da ist es wirklich besser keinen zu haben“, antwortete Noriko zähneknirschend. Unbemerkt schielte Mimi zu ihr rüber. Ihre Hände verkrampften sich vor ihrem Schoss und in ihrem Kopf bildete sich dichter Nebel. Ihr Herz zog sich schmerzvoll zusammen und signalisierte ihr, dass sie etwas vermisste. Nein. Jemanden vermisste. Geistesabwesend kaute sie auf ihrer Unterlippe herum, sodass sie leicht blutete. Sie vermisste ihn unheimlich, auch wenn er ihr und ihrer Mutter so wehgetan hatte. Genau genommen hatte er noch viel mehr Menschen wehgetan. Ihr Blick wurde gläsern. Der Schmerz in ihrer Brust verschlimmerte sich und nahm ihr die Luft zum Atmen. Sie hatte das Gefühl, dass sich eine unsichtbare Schlinge um ihren Hals legte und sich langsam zuzog. Sie war in einem Zwiespalt gefangen. Auf der einen Seite war ihre Familie, die auseinanderbrach. Ihr Vater, der sich zurzeit in Hong Kong befand und von dem sie schon seit Wochen nichts mehr gehört hatte, weil sie seine Nähe nicht ertragen konnte. Auf der anderen Seite waren Noriko und ihre Mutter, die irgendwie auch zu ihrer Familie gehörten, aber sich dennoch abgrenzen. Das Gespräch zwischen Ayame und ihrer Mutter hatte nichts Weltbewegendes geändert, abgesehen von der Tatsache, dass sich ihre Mutter betrunken und in die Toilette übergeben hatte. So richtig wussten die beiden Mädchen immer noch nicht, was ihre Mütter miteinander besprochen hatten, aber es half, die jetzige Situation besser zu akzeptieren, auch wenn noch einige Gespräche untereinander nötig waren. Doch sie lebten im hier und jetzt. Es brachte nichts, sich über die Vergangenheit aufzuregen und die Zukunft zu planen, da das eine bereits vergangen und das andere noch nicht wirklich begonnen hatte. „Ich würde sagen, dass wir langsam mit der Schokolade beginnen“, riss Noriko sie aus ihren Gedanken und grinste frech, als sie vom Bett aufsprang. Als sie wiederkam, hatte sie die verschiedensten Sorten auf ihr Bett geworfen und krabbelte wieder zu Mimi. Der Film war eher nebensächlich geworden. „Der Verkäufer hat mich sau dämlich angeschaut, weil ich so viele verschiedene Sorten mitgenommen habe.“ Sie grinste. „Vielleicht lag es auch an meiner kurzgeschorenen Mähne.“ „Ach was“, winkte Mimi ab, „dir stehen kurze Haare unglaublich gut!“ „Danke, aber manchmal vermisse ich die langen Haare schon“, erwiderte sie leicht niedergeschlagen und lächelte milde. „Aber sie wären ja sowieso ausgefallen.“ Sie zuckte nur mit den Achseln und sah Mimi dringlich an, so als würde sie eine Antwort oder Reaktion von ihr erwarten, die ihre Aussage untermauerte. Mimi sah nur unsicher zu dem Berg Schokolade und dann wieder zu ihr. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Ihre langen Haare hatte sie schon bei ihrer ersten Begegnung bewundert gehabt, auch wenn sie es ihr nie gesagt hatte. Es stimmte zwar, dass ihr kurze Haare standen, doch man konnte klar erkennen, dass diese Frisur nicht aus einem Trend geboren war, sondern ihr jeden Tag zeigte, dass sie bald sterben würde. „Was ist denn?“, fragte Noriko, als sie Mimis trauriges Gesicht bemerkt hatte. Mimi zog die Mundwinkel leicht nach oben und senkte den Kopf. Ihr Blick war auf ihre Bettwäsche gerichtet. Mit den Fingern zupfte sie am weichen Stoff, so als wollte sie ihr klar machen, dass sie nicht wirklich darüber reden wollte. Schließlich war es Norikos Geburtstag. Sie wollte ihr nicht die Laune mit ihrer sentimentalen Stimmung verderben, doch ihre Zunge war mal wieder schneller als ihr Verstand. „Hast du Angst?“ Ihre unüberlegten Worte erschütterten sie selbst. Unter Schock riss sie die Augen auf und hielt sich die Hand vor den Mund. Norikos Blick war unergründlich. „T-Tut mir leid! Das war dumm“, brachte sie stotternd hervor. Doch Norikos Blick wurde auf einmal ganz sanft und ein leichtes Lächeln zierte ihre Lippen. „Nein, ist es nicht“, antwortete sie mit beruhigender Stimme. „Angst habe ich nicht so wirklich, aber ich würde gerne noch ein paar Dinge vorher erledigen, deswegen hoffe ich, dass ich noch ein bisschen Zeit haben werde.“ „Verständlich“, murmelte Mimi bedrückt. Die seltsame Stimmung blieb aus, auch wenn Mimi ein schlechtes Gewissen hatte. Früher brüllte sie meist ihre ehrliche aufrichtige Meinung heraus, ohne zuvor einen klaren Gedanken gefasst zu haben. Diese direkte Art kam in Amerika nicht immer gut an. Mit vielen Mitschülern war sie anfangs aneinander geeckt, bis sie lernte sich zu intergieren und manchmal auch die Klappe zu halten, auch wenn ihr kecker Spruch bereits auf der Zunge lag. Sie hatte gelernt, dass es nicht immer gut war, seine Meinung offen zu äußern, auch wenn sie spürte, dass sie sich dadurch ein wenig selbst verlor. Die Mimi, die sie früher war, die allen verkündete, was in ihr vorging, was ihr passte und was nicht…oft vermisste sie sie. Plötzlich spürte sie, wie sich ein Arm um die legte. Sie sah zur Seite und erkannte, wie Noriko sie an sich drückte. Ohne etwas zu sagen. Sie spürte nur ihre Wärme, die durch ihren Körper zirkulierte. „Es wird schon alles gut werden, okay?“ Mimi schmunzelte leicht und drückte sie ein wenig fester an sich, bevor sie ihr antwortete. „Okay.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)