The Story of a Bastard Child von dattelpalme11 ================================================================================ Kapitel 42: Eine ungewöhnliche Hochzeit --------------------------------------- „Ich glaube, ich werde niemals heiraten“, murrte Etsuko missmutig, als sie einen Ständer mit Kleidern durchstöberte. Mimi runzelte die Stirn und wandte den Blick von dem Kleid, das sie gerade in den Händen hielt, zu Etsuko. „Warum? Ich will auf jeden Fall mal heiraten! Sich einen Tag wie eine Prinzessin zu fühlen, mit dem Mann, den man über alles liebt eng zusammen tanzen, die ganzen Geschenke. Ist doch toll“, meinte sie verträumt und hielt sich das türkisfarbene Kleid an. Etsuko gab einen verächtlichen Laut von sich und ließ von dem Kleiderständer ab. „Die Ehe ist sowas von vergänglich, ich weiß gar nicht warum ich überhaupt hier bin“, grummelte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. Ihr Blick war zur Umkleidekabine gewandt, in der sich Noriko befand. Mimi verdrehte nur genervt die Augen. Etsuko war alles andere als romantisch veranlagt. Auch wenn Mimi wusste, dass es mit dem frühen Tod ihrer Mutter zusammenhing, fand sie ihr Verhalten dennoch unpassend. Beide waren gemeinsam mit Noriko in einen Secondhandladen gegangen, um sich ein paar schöne Kleider für die bevorstehende und wirklich sehr spontane Hochzeit herauszusuchen, doch Etsuko zog, schon seit sie den Laden betreten hatten, ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter. „Natürlich gibt es für keine Ehe eine Garantie, aber trotzdem verbindet sie zwei Menschen, die sich aufrichtig lieben.“ „Als ob es keine Ehen gäbe, die rein zweckmäßig, oder durch ungewollte Schwangerschaften entstanden wären“, entgegnete sie zynisch. „Wie lang brauchst du denn noch da drin?“ Mimi schnaubte frustriert und spürte das Etsukos Laune langsam auf sie übersprang. Doch sie wollte sich durch ihre schlechte Stimmung, ihre Laune nicht verderben lassen, besonders nicht nachdem, was alles passiert war. Sie war das erste Mal, seit einer sehr langen Zeit, glücklich. Gestern hatte sie wieder Nachhilfe bei Tai, die ziemlich gut verlaufen war. Sie hatte das Gefühl, dass sie sich viel besser verstanden, seit sie sich ausgesprochen hatten. Ihr fiel es seither viel einfacher mit ihm zu sprechen, auch wenn ihr Herz in seiner Nähe immer noch kurz vorm Explodieren stand. Er hatte sie sogar noch nach Hause gebracht, da sie sich nach der Nachhilfe noch verquatscht hatten und er sie im Dunkeln nicht alleine nach Hause gehen lassen wollte. „Bin fertig!“, kündigte Noriko freudig an und trat aus der Kabine. Mimi Augen begannen zu leuchten, während Etsuko eher desinteressiert wirkte. „Wie findet ihr es?“, fragte sie zurückhaltend und drehte sich einmal um ihre eigene Achse. Es war kein typisches Hochzeitkleid, aber das suchte sie auch gar nicht. Das Kleid war eher cremefarben statt weiß, war knielang und hatte ein filigranes Stickmuster um die Brust herum. „Du siehst wunderschön aus“, sagte Mimi ehrlich und strahlte sie herzlich an. „Ja, es ist fabelhaft! Können wir es jetzt nehmen und gehen?“ Angesäuert drehte Mimi den Kopf zu Etsuko, die ihren Ellenbogen lässig auf einer der Ständer abgestützt hatte. Ihr Ton signalisierte, dass sie mehr aus nur genervt war. „Hetz‘ mal nicht so, wir brauchen doch auch noch welche“, zischte Mimi wütend. Sie konnte ihre Einstellung einfach nicht verstehen. Noriko heiratete, konnte sie nicht einfach so tun und sich wenigstens ein bisschen für sie freuen? „Ich habe schon eins gefunden“, antwortete sie provokant und ging zu einem der Ständer und zog ein hässliches braunes Kleid hervor. Mimi zog die Augenbrauen zusammen und warf Noriko einen skeptischen Blick zu, die nur überfragt mit den Schultern zuckte. „Wenn es dir gefällt, dann nimm‘ es ruhig“, sagte sie nach einer Weile, während Mimi einen frustrierenden Laut von sich gab. „Willst du nicht etwas Freundliches nehmen? Wie das hier?“ Mimi hielt sich ein roséfarbenes Kleid vor ihren Körper, von dem sie fand, dass es perfekt zu ihren langen braunen Haaren passte. Erwartungsvoll starrte sie zu Etsuko, die nur das Gesicht verzog und somit ganz klar ihre Abneigung äußerte. „Sowas kannst du anziehen, Barbie…aber zu meinen pinken Haaren? Never!“ „Boah, wie kann man nur so ätzend sein? Willst du Noriko die Laune verderben?“, hinterfragte Mimi zickig und legte das Kleid über ihren Arm. „Wir sollten doch schon alle ein bisschen zusammenpassen, oder etwa nicht?“ „Ach, darauf lege ich jetzt nicht so viel Wert“, schwächte Noriko ihre Behauptung ab, da sie erkannt hatte, das sich die beiden bereits böse Blicke zuwarfen. Sie ging ein paar Schritte auf sie zu und legte eine Hand auf Etsukos Schulter. Noriko lächelte lieblich und auch Etsukos Blick entspannte sich wieder. Überrascht zog Mimi die Augenbraue hoch, doch erkannte selbst relativ schnell, wie kindisch sie sich verhielten. Es ging doch um Noriko und nicht um die blöden Kleider, die sie beide trugen. Mimi wollte sie unbedingt glücklich sehen. Streitereien waren hier eher unangebracht. _ Miesepetrig lief Mimi neben Noriko her und versuchte, auf Teufel komm raus, ihre schlechte Laune vor ihr zu verbergen. Auch wenn sich Etsuko und sie nicht länger angegiftet hatten, war eine deutliche Spannung zwischen den beiden zu spüren gewesen. Letztlich hatte jeder das Kleid genommen, das er von Anfang an haben wollte. „Sei nicht sauer auf sie. Etsuko meint das nicht so…sie kennt es eben nicht anders“, sagte Noriko auf einmal und riss Mimi prompt aus ihren Gedanken. Mimi schnaubte nur verächtlich und betrachtete die Tüte, die sie in ihren Händen hielt. „Aber es geht doch um dich und nicht um sie. Ich weiß ja, dass ihre Mutter gestorben ist, aber…“ „Sie hatte es nicht leicht“, begann Noriko zu erzählen und senkte betroffen ihren Kopf. Sie schob ihre Mütze etwa weiter nach unten, sodass ihre Stirn voll bedeckt war. Kurz fixierte sie Mimi, wandte jedoch recht schnell ihren Blick nach vorne und seufzte herzzerreißend. Mimi fragte sich allmählich, was mit ihr los war. Immer verteidigte sie sie, obwohl sich Etsuko deutlich daneben benommen hatte. „Ihre Mutter ist bei der Geburt gestorben“, eröffnete sie ihr leise. Mimis Augen weiteten sich und vollkommen perplex blieb sie neben ihr stehen. „Wie bitte?“, fragte sie entsetzt und konnte ihre Mimik nicht mehr kontrollieren. Ihr waren sämtliche Gesichtsmuskeln entgleist, da sie mit sowas überhaupt nicht gerechnet hatte. Sie hatte immer den Verdacht gehegt, dass Etsuko ihre Mutter durch einen Autounfall oder durch eine Krankheit verloren hatte. Mimi hatte sich nie getraut nachzufragen, da sie Etsuko noch nicht sonderlich gut kannte und auch nicht den Eindruck hatte, dass es sie immer noch tagtäglich beschäftigte. Auf Mimi machte sie einen sehr selbstsicheren und recht glücklichen Eindruck. Doch sowas, konnte ein Mensch wohl kaum verarbeiten. Egal wie sehr er es auch versuchte. Auch Noriko war mittlerweile stehen geblieben und krampfte die Finger um ihre Tasche. „Sie redet nicht sonderlich oft darüber, da sie sich lieber auf die Zukunft konzentrieren will, als auf die Vergangenheit, aber mir hat sie alles erzählt. Genauso wie ich ihr.“ Sie machte eine kurze Pause. Mimi biss sich instinktiv auf die Unterlippe und schob diese nervös hin und her. Warum konnte sie ihr das nicht eher sagen? Kein Wunder, dass sie so reagierte. „Ihr Vater war mit der Situation komplett überfordert gewesen. Sie hatten sich kurz nach der Hochzeit ein Baby gewünscht und keiner hatte damit gerechnet, dass sowas passieren würde. Deswegen hat er sie weggeben“, sprach Noriko weiter. Ihre Stimme zitterte leicht und sie richtete ihren Blick in den immer dunkler werdenden Himmel, der sich vor ihnen erstreckte. „Er hat sie weggegeben? Aber wie? Sie leben…? Hä?“ Vollkommen verwirrt blickte Mimi zu Noriko. Etsuko arbeitete doch im Club ihres Vaters und ihr Verhältnis wirkte auf Mimi immer so innig, dass dieser Satz überhaupt keinen Sinn für sie ergab. Er soll sie weggeben haben? Das konnte sie sich nicht vorstellen. „Etsu hat fünf Jahre lang bei den Eltern ihrer Mutter gelebt, bis ihr Vater mit dem Verlust besser zurecht kam und sie wieder zu sich holen konnte.“ Noriko lächelte leicht vor sich hin und drehte sich Mimi wieder zu. „Er hat es so wahnsinnig bereut, fünf Jahre ihres Lebens nicht miterlebt zu haben, dass er alles dafür getan hatte, um es wieder gut zu machen. Als sie damals die Diagnose bekommen hatte, war ihr Vater zusammengebrochen. Er hatte sich die Schuld an allem gegeben, obwohl es schwachsinnig war.“ Mimi lauschte ihren Worten und zog ungewollte Parallelen zu ihrer eigenen Situation. Es lag so viel Wehmut in ihrer Stimme, dass Mimi ihren Schmerz spüren konnte. Während Etsukos Vater sein Verhalten bereute, war ihr Vater noch meilenweit davon entfernt, überhaupt etwas zu bereuen. In Mimis Bauch brodelte es auf einmal ungemein. Natürlich fragte er immer mal wieder nach ihr, doch sie weigerte sich noch immer mit ihm zu reden, da sie noch zu verletzt war. Allerdings fiel ihr auf, dass er kein einziges Mal nach Noriko gefragt hatte, obwohl sie genauso seine Tochter war, wie sie. Sie konnte ihn nicht mehr verstehen, was ihren Hass auf ihn schürte. Jeder Mensch machte Fehler, doch nicht jeder konnte sie sich eingestehen. Man konnte sich vieles schön reden, doch die Wahrheit blieb die Wahrheit. „Bitte sag‘ ihr nicht, dass ich dir das erzählt habe. Sie behält ihre Vergangenheit lieber für sich“, murmelte Noriko und setzte sich langsam wieder in Bewegung. Mimi folgte ihr lautlos durch die leeren Straßen. Es schien Menschenleer, auch wenn in einigen Läden ein paar Leute saßen und sich angeregt unterhielten. „Wie läuft es eigentlich zurzeit mit deinem Nachhilfelehrer?“, lenkte Noriko ein anderes Thema ein und grinste verschwörerisch. Mimi hing immer noch ihren Gedanken nach, dachte an Etsuko und daran, dass sie meist sehr schwer hinter die Fassade eines Menschen gucken konnte. Sie zuckte leicht zusammen, als Noriko sie antippte und ihre Frage erneut stellte. „Ähm, ja keine Ahnung. Es läuft soweit gut, aber…“, stammelte sie und hielt plötzlich inne. Sie wusste doch selbst nicht, wie sie ihre Beziehung zu Tai beschreiben sollte. Seit dem Vorfall in seinem Bett und diesen intensiven Gesprächen, die sie miteinander führten, schien sich ihre Beziehung allmählich zu verändern. Er hatte ihr zwar auch erzählt, dass er sich mit Sora wieder vertragen hatte, aber dennoch verbrachte er seine Zeit lieber mit ihr, statt mit seiner besten Freundin. Noriko hatte einen ganz klaren Ausdruck dafür. „Ich weiß nicht, ich finde es komisch, dass er auf einmal so viel Zeit mit dir verbringt. Es fühlt sich so ein bisschen an, als wollte er sich mit dir ablenken“, eröffnete sie ihre Bedenken abermals. Ablenken. Ein Stich durchfuhr ihr Herz. „Wenn er Ablenkung sucht, hätte er sicher schon andere Sachen versucht“, beschwichtigte Mimi sie und klammerte sich an die Hoffnung, dass er sich doch noch in sie verlieben würde. „Vielleicht macht er das ja noch, schließlich habt ihr schon mal zusammen im Bett gelegen“, erinnerte sie sie und Mimi bereute es ein wenig, ihr von dieser Situation erzählt zu haben. Sie wollte einfach nicht wahrhaben, dass sie möglicherweise doch Recht haben könnte. _ Die restliche Woche verging relativ schnell und Mimi verschwendete keinen Gedanken mehr daran, was während des Einkaufens alles passiert war. Sie versuchte Etsuko so normal wie möglich gegenüberzutreten und Norikos Stimme in ihrem Kopf abzustellen, die ihr immer wieder sagen wollte, dass sie für Tai nur Ablenkung war. Ziemlich früh hatten sie sich bei Etsuko zu Hause getroffen, um Noriko etwas aufzuhübschen. Es war das erste Mal, dass Mimi die Wohnung von Etsuko und ihrem Vater von innen sah. Auch wenn sie bereits studierte, lebte sie immer noch zu Hause, da die Uni keine Viertelstunde entfernt lag. Sie hatten sich in ihrem Zimmer ausgebreitet, das sehr schlicht gehalten war. Es bestand aus Creme- und Brauntönen. Neben ihrem großen Bett befand sich ein Foto ihrer Mutter, das ein paar Monate vor ihrer Geburt entstanden war. Unauffällig musterte Mimi es, versuchte sich aber relativ schnell wieder auf Noriko zu konzentrieren, die bereits ihr schlichtes Kleid trug und von Etsuko geschminkt wurde. Der blaue Spitzenstoff umspielte ihr Dekolleté hervorragend und eine filigrane Kette, die Mimi ihr zum Geburtstag nachträglich geschenkt hatte, zierte ihren Hals. Es war ein halbes Herz, das silbern funkelte. Mimi trug die andere Hälfte, die zusammen ein „Für immer“ ergab. Ganz zufällig hatte sie sie in einem Schaufenster liegen gesehen und kratzte ihr Erspartes zusammen, um ihr diese kleine Freude zu machen. „So fertig!“, meinte Etsuko und betrachtete ihr Resultat und nickte zufrieden. Auch Mimi lächelte ihr anerkennend zu, da ihr Make up Norikos natürliche Schönheit unterstrich und ihr einen rosigen Teint verlieh. Mimi war schon sehr gespannt, wie Chiaki aussah, der sich bei Masaru und Yasuo fertigmachte. Sie hatten niemandem sonst von der Hochzeit erzählt, da sie Angst hatten, dass die Erwachsenen etwas dagegen haben könnten. Deswegen hatten sie es für sich behalten und feierten so unauffällig wie möglich. Nach dem Standesamt wollten sie eine Kleinigkeit essen gehen und danach schauen, wo der angebrochene Abend, sie noch hinführen würde. Mimi und Masaru sollten die Trauzeugen werden. „Hast du eigentlich etwas Altes, Neues, Geborgtes und Blaues?“, fragte Mimi auf einmal und sah interessiert zu ihrer Schwester, die sie erschrocken anblickte. „Hä? Brauch‘ ich sowas denn?“, stellte sie die Gegenfrage und sah entsetzt zu Etsuko, die nur überfordert mit den Schultern zuckte. Mimi berichtete von dem traditionellen Hochzeitbrauch, während ihre Augen immer größer wurden und vor Vorfreude zu funkeln begannen. Ihre Mutter hatte ihr als kleines Mädchen davon erzählt gehabt, sodass Mimi sich nur noch mehr auf eine eigene Hochzeit freute. Sie mochte Bräuche und Traditionen, bemerkte aber relativ schnell, dass Norikos Gesicht auf einmal ganz blass wurde. Von Panik ergriffen sprang Noriko auf und fuhr sich über ihren zarten Haarflaum, der bereits nachgewachsen war, nachdem ihre Haare komplett ausgefallen waren. „Nein, sowas habe ich nicht! Was mach‘ ich denn jetzt nur? Wie bekomme ich auf der Stelle nur so viele Sachen her?“ Vollkommen hysterisch lief Noriko durch den Raum und sah hilfesuchend zu Mimi, die sie liebevoll anschaute. Sie strich ihr roséfarbenes Kleid glatt und führte sie zurück zum Bett. Grinsend legte sie den Kopf schief, während Etsuko das Ganze schweigsam mitverfolgte. „Naja, also dein Kleid ist etwas Altes“, begann Mimi fröhlich und musterte sie genauestens. „Und blau ist auch drin“, stellte sie fest und deutete auf ihre Brust. „Und die Kette ist neu.“ „Aber mir fehlt immer noch etwas Geborgtes!“, hakte sie nach und riss vor Entsetzen die Augen auf. Diesmal war es Etsuko, die sofort aufsprang und zielstrebig in einen anderen Raum lief. „Wo geht sie denn hin?“, fragte Noriko nervös und spielte aufgeregt an ihren Fingern. „Ich werde mal nachsehen gehen“, meinte Mimi gedankenverloren und schritt ebenfalls aus dem Zimmer und suchte nach Etsuko, die sie im Nebenzimmer fand. Sie stand vor einem großen Schrank und kramte nach etwas, während Mimt mit verschränkten Armen gegen den Türrahmen lehnte. „Hast du etwa eine Idee für etwas Geborgtes?“, wollte Mimi wissen und schritt näher an sie heran. „Ja“, meinte Etsuko knapp und kramte weiter. Mimi war die Situation mit ihr immer noch etwas unangenehm, besonders nachdem sie die Wahrheit kannte. Sie schämte sich, dass sie über ihr Kleid gemeckert hatte, obwohl es ihr wirklich hervorragend stand und zu ihren pinken Haaren passte. Unruhig wippte Mimi mit ihren Füßen hin und her und überlegte fieberhaft, was sie doch zu ihr sagen könnte. „Hey…“, begann Mimi unsicher, „i-ich…Etsuko…ehm, es tut mir leid!“ Etsuko sah kurz zu ihr, kramte jedoch unbeirrt weiter. Mimi ging ein paar Schritte auf sie zu und stellte sich direkt hinter sie. „Ich hätte nicht über dein Kleid meckern sollen…es steht dir einfach fabelhaft und…naja, ich…“ „Mach‘ mal einen Punkt Mimi“, sagte sie und drehte sich grinsend zu ihr. „Ich bin dir nicht böse. Ich weiß selbst, dass ich mich dämlich aufgeführt habe und du nur deine Meinung gesagt hast. Das ist in Ordnung“, stellte sie mit sanfter Stimme klar und widmete sich wieder dem gesuchten Gegenstand. Mimi blieb sprachlos stehen und wusste beim besten Willen nicht, was sie noch erwidern sollte, als Etsuko sich freudig umdrehte und etwas in ihren Händen hielt. „Tada“, sagte sie nur und hielt das seltsame Ding unter Mimis Nase. Argwöhnisch musterte Mimi es und rümpfte die Nase. „Was soll das denn sein?“ „Etwas Geborgtes“, antwortete Etsuko grinsend und ging ein paar Schritte auf sie zu. Ihr Grinsen verschwand und wich einem matten Lächeln. „Hör zu, ich bin dir nicht böse, oder so“, eröffnete sie ihr und legte die Hand auf ihre Schulter. „Ich mag sogar Menschen sehr gerne, die offen ihre Meinung sagen, aber in manchen Dingen bin ich eben etwas anderes eingestellt. Nimm‘ das nicht persönlich, okay?“ Mimi lächelte leicht und nickte augenblicklich. „In Ordnung.“ „Okay, dann wäre das ja geklärt“, meinte Etsuko und legte einen Arm um sie. „Jetzt komm, lass‘ uns Norikos Outfit fertigstellen!“ _ Nervös stand sie vor dem Standesamt und wartete draußen auf die Jungs, während Noriko und Etsuko nochmal auf der Toilette verschwunden waren, um sich frisch zu machen. Jetzt ging es also tatsächlich los. Noriko würde heiraten und sie befand sich mittendrin. Sie sah sich um und kuschelte sich ein wenig in ihre Jacke. Für Ende Oktober war es zwar noch recht warm, doch an ihren Beinen begann sie leicht zu frösteln, weshalb sie hoffte, dass die Jungs bald auftauchen würden. Gespannt hielt sie nach ihnen Ausschau, als plötzlich drei Männer unterschiedlicher Größer auf die zugesteuert kamen. Ihr Grinsen stieg ins Unermessliche, als sie die drei vollkommen rausgeputzt im Anzug auf sie zukommen sah. „Wow, ich bin beeindruckt“, meinte sie stolz, als sie direkt vor ihr stehen blieben. Yasuo tätschelte sich verlegen den Hinterkopf, während Masaru nur spielerisch die Augen verdrehte. „Man tut eben was man kann“, gab er von sich und klopfte seinem besten Freund auf die Schultern, der heute besonders blass und nervös auf Mimi wirkte. Auch er trug einen wunderschönen Anzug und hatte eine rote Rose an sein Sakko gesteckt. Mimi hielt den Brautstrauß, den sie auf einem öffentlichen Blumenfeld einfach gepflückt hatten, als sie sich unbeobachtet fühlten. „Sie sieht wirklich fantastisch aus“, sagte Mimi und zwinkerte Chiaki verschwörerisch zu. Seine Hände begannen zu zittern und er atmete auffällig und leicht schnaubend vor sich hin. Mimi konnte nur erahnen, was in ihm vorging. Er liebte sie. Aufrichtig. Das hatte sie sofort gemerkt, als sie beide miteinander gesehen hatte. Er schenkte ihr eindeutige Blicke, die nur für sie bestimmt waren und seine Zuneigung für sie ausdrückten. Er signalisierte ihr, dass sie die Einzige für ihn war und nichts und niemand auf dieser Welt es ändern konnte. Selbst der Tod, der sie in geraumer Zeit einholen würde. Mimi schüttelte sich bei diesem Gedanken. Nein, sowas durfte sie wirklich nicht in ihre Gedanken lassen. Es war kein Tag der Traurigkeit. Wieder blickte sie zu Chiaki, der hinter sie schaute und sein liebevolles Lächeln nicht mehr unterdrücken konnte. Mimi folgte seinem Blick und drehte den Kopf. Hinter ihr stand Noriko, die Chiaki anstrahlte und langsam auf ihn zuschritt. Etsuko folgte ihr lautlos und hatte ihre Arme hinter dem Rücken verschränkt. Sie blieb neben Mimi stehen und beide beobachteten, wie Noriko auf Chiaki zu ging und dieser sprachlos ihr gegenüberstand. Die langen braunen Haare ihrer Perücke hatten sie leicht gelockt und ein Blumenhaarband an ihrem Kopf befestigt. Chiaki trat näher an sie heran, strich ihr sanft über die Wange und fixierte sie mit einem liebevollen Blick. Er presste seine Stirn gehen ihre, als sie ihre Arme um ihn legte und ihm einen sanften Kuss auf die Lippen hauchte. Yasuo hatte selbstverständlich seine Kamera gezückt und filmte diesen herzergreifenden Moment. Selbst Masarus Gesichtszüge wurden weicher, auch wenn sich Mimi immer noch den Streit mit seinem Vater erinnerte. Bisher hatte sie keine Gelegenheit mehr gehabt mit ihm in Ruhe zu reden und heute würde sie es wohl auch nicht schaffen, da die Atmosphäre fast schon magisch auf sie wirkte. Noriko griff zaghaft nach den immer noch zitternden Händen von Chiaki, der seinen Blick einfach nicht von ihr abwenden konnte. Verliebt sah er sie an und fuhr ihr innig über ihr zartes Gesicht. Ein paar Haarsträhnen schob er beiseite, als sich das Paar in Bewegung setzte. „Wollen wir reingehen?“, fragte er in die kleine Runde und fing nur ein leichtes Nicken der meisten auf. Mimi wartete auf Masaru und hakte sich bei ihm unter, während Etsuko zu Yasuo ging und ihn regelrecht zum weiterfilmen motivierte. Dieser Tag sollte etwas besonders werden und Mimi wusste genau, dass Chiaki ihre Schwester glücklich machen konnte. _ Nach dem Standesamt waren sie gemeinsam etwas essen gegangen – so wie sie es geplant hatten. Ihr Weg führte sie in eine schlichte Pizzeria, in der sie ziemlich auffielen, da sich jeder herausgeputzt hatte. Mimi hatte sich noch eine Strumpfhose übergezogen, da sie zu sehr fror und sich ihre Schwester als nächstes ein ganz besonders Ziel gesetzt hatte. Sie fragte sich wirklich manchmal, wie sie auf solche Ideen kam. War Alice im Wunderland ihr zu Kopf gestiegen? „Das ist die ungewöhnlichste Hochzeit, der ich je beiwohnen durfte“, erwiderte Mimi, als sie direkt vor der Achterbahn im neuen Vergnügungspark standen. Alle hatten noch ihre feinen Klamotten an und standen tatsächlich an, um eine Runde Achterbahn zu fahren. Vor Mimi standen Noriko und Chiaki, die ihre Finger ineinander verschränkt hatten. An Norikos rechter Hand sah sie ihren Ehering blitzen und konnte immer noch nicht fassen, dass sie tatsächlich verheiratet war. Alles fühlte sich an, wie ein wilder und verrückter Traum. Es fühlte sich nicht real an, sondern viel mehr wie die Welt, in die Alice abtauchte. Wunderland. Ein Land, indem alles möglich schien und alle glücklich waren. Einem Land, indem Wunder zur Tagesordnung zählten. Ein Land, das in Wirklichkeit nur in Märchen existierte. Doch wenn Mimi, Chiaki und Noriko genau beobachtete, hatte sie diesen Funken Hoffnung, der ihr zeigte, dass gerade die kleinen Momente wertvoll und unvergessen blieben. „Bist du schon mal Achterbahn gefahren?“, fragte Masaru sie und starrte mit einem immer blasser werdenden Gesicht, die Menschen, die sich darauf befanden und um ihr Leben schrien, an. „Hast du etwa Schiss?“, mischte sich Etsuku ein und grinste verschwörerisch. „Keine Ahnung, ich bin noch nie gefahren!“, antwortete er wahrheitsgemäß und schluckte, als sie eine scharfe Kurve lang fuhr. Mimi kicherte leise und legte die Hand auf seine Brust. „Mach dir keinen Kopf, ist halb so schlimm! Das Gefühl ist aber unbeschreiblich.“ „Welches Gefühl? Todesangst?“ „Sei nicht so ein Spielverderber“, murrte Etsuko verärgert und knotete ihre Haare zu einem unordentlichen Dutt zusammen. „Du wirst schon nicht sterben!“ „Ich habe aber Final Destination 3 gesehen“, zischte er von Angst erfüllt und Mimi fiel ein, dass sie diesen Film ebenfalls gesehen hatte. Zusammen mit Tai und Sora. Was er wohl heute unternahm? Ihr fiel plötzlich ein, dass sie schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr auf ihr Handy geschaut hatte. Sie schrieben ab und zu, wenn ihnen langweilig war, miteinander. Einmal hatten sie sich sogar bis drei Uhr nachts wachgehalten, da sie sich über das leidige Thema Fußball unterhalten hatten. Eigentlich war es sogar recht witzig gewesen, als Tai versuchte in den Kurzmitteilungen ihr Interesse an dem Sport zu wecken. Natürlich hatte Mimi zisch Gegenargumente, die sie prompt gegen ihn verwendete. Sie hatte dadurch auch erfahren, dass er mit seinem Vater zu dem Fußballspiel seiner Lieblingsmannschaft gegangen war, was sie irgendwie beruhigte. Die Vorstellung, ihn mit einem anderen Mädchen zu sehen, brachte sie weiterhin an den Rand der Verzweiflung, selbst wenn es nur ein dummes Fußballspiel und ursprünglich ein Geburtstagsgeschenk von Matt und Sora war. Langsam pfriemelte sie ihr Handy heraus und stellte ein wenig überrascht fest, dass sie tatsächlich eine Nachricht von Tai bekommen hatte. Neugierig öffnete sie sie und musste über den Inhalt leicht schmunzeln. Kari hat mich überredet einen Liebesfilm mit ihr zu sehen, weil ihr heißgeliebter TK die Grippe hat. Irgendwelche Ratschläge wie ich das Überleben soll? ;) – Tai Ein Dauergrinsen brannte sich auf ihre Lippen, als sie eine Antwort an ihn zurücktippte. „Wem schreibst du denn? Du grinst ja wie ein Honigkuchenpferd“, stellte Masaru nüchtern fest und beugte sich über ihr Handy. Mimi presste das Display gegen ihre Brust und sah Masaru mit einem vorwurfsvollen Blick an. Warum schaute er einfach in ihre SMS? Doch sein Blick verriet ihr, dass er den Namen bereits erkannt hatte. „Ist das dein Stecher? Man, du hättest wirklich mal die Initiative ergreifen und Hand anlegen müssen“, entgegnete er grinsend und erweckte prompt Etsukos Aufmerksamkeit. Zum Glück stand Yasuo vorne bei Noriko und Chiaki. „Hand anlegen? Hab ich etwa, was verpasst?“, mischte sie sich ein und musterte Mimi auffällig. Sie lief prompt rot an und fixierte Masaru mit einem feindseligen Blick. Doch er machte sich nicht viel daraus und plauderte munter drauf los. „Naja, da gibt es halt so einen Kerl, in den sie ganz schön verknallt ist und letztens hat sie bei ihm im Bett gelegen.“ „MASARU!“, brüllte sie und erweckte somit auch die Aufmerksamkeit der Leute, die teilnahmslos um sie herumstanden. „Was denn? Stimmt doch“, sagte er verständnislos, während Etsuko einen fragenden Gesichtsausdruck auflegte. „Okay, und steht er auch auf dich?“ Bevor Mimi das Wort ergreifen konnte, redete Masaru bereits weiter. „Ist noch ungewiss, aber sie traut sich ja nichts! Oder?“ Provokant sah er zu ihr und schürte ihre Wut auf ihn. Wie konnte er es nur wagen in aller Öffentlichkeit über Tai zu sprechen? Nachher bekam es noch jemand mit, der sie kannte und würde es ihm erzählen! Das konnte sie auf gar keinen Fall zu lassen. „Kannst du jetzt mal aufhören? Du gibst mir ja nur so komische Ratschläge wie ‚Komm blas ihm einfach mal einen‘. Wirklich sehr hilfreich“, pustete sie lauter als gewollt durch die Gegend. Ein paar Leute drehten sich zu ihnen um und schenkten ihr einen fragwürdigen Blick. „Das hast du doch nicht im Ernst zu ihr gesagt?“, meinte Etsuko entsetzt. Mimi atmete erleichtert auf und war froh, dass es jemand genauso sah wie sie. Masaru und seine blöden Ratschläge. Die konnte er sich wirklich sparen. „Wenn schon ganz oder gar nicht! Ich meine, du bist ’ne Frau! Setz‘ mal deine weiblichen Reize ein und verführe ihn einfach!“ Ihr klappte augenblicklich der Mund auf, während Masaru herzlich zu lachen begann und Etsuko anerkennend auf die Schulter klopfte. Mimi entgleiste ihr Gesicht und sie konnte es nicht fassen, was die beiden da von sich gaben! Wurde Romantik etwa komplett ausgeblendet? Es war ja nicht so, dass sie nicht das Verlangen hatte mit ihm zu schlafen, aber sie wollte sich dabei besonders fühlen. Wissen, dass er ebenso Gefühle für sie hatte, wie sie für ihn. „Ich hätte es nicht besser ausdrücken können“, lachte Masaru und wusch sich ein paar Tränen, die durch das herzliche Lachen entstanden waren, aus dem Gesicht. Wütend schubste in Mimi etwas weiter und schüttelte über die Meinung der beiden nur noch den Kopf. Wie konnte man nur so bescheuert sein? „Man Mimi, das ist doch nur Spaß“, versuchte er sie zu beruhigen. Doch Mimi warf ihm einen bösartigen Blick zu und verschärfte ihn zusehends. „Pass auf, dass du gleich nicht rausfliegst“, zischte sie verheißungsvoll und drückte weiter nach vorne. _ Sie hatten gerade Platz genommen, als die Sicherheitstechniker, ihnen einzeln die Bügel anlegten. Vor Mimi saßen Etsuko und Yasuo, der seine Kamera an den Sicherheitsleuten vorbeigeschmuggelt hatte und in seiner Jackentasche versteckt hielt. Mimi und Masaru saßen in der Mitte, als sich hinter ihnen Noriko und Chiaki einen liebevollen Kuss auf die Lippen hauchten. Noriko hatte die Perücke mittlerweile wieder gegen ihre Mütze eingetauscht, sie eng anlag, sodass sie keine Sorgen haben musste, sie während der Fahrt zu verlieren. Masaru wurde immer nervöser, je näher der Techniker kam und nach und nach die Bügel nach unten zog. Als er bei Mimi und Masaru ankam, zuckte dieser leicht zusammen und begutachtete mit einem argwöhnischen Blick das Handeln des Mannes. „Ist das auch wirklich alles sicher? Wie oft wird die Achterbahn überhaupt gewartet?“, fragte er hysterisch und bekam von Mimi prompt einen Hieb in die Seite. „Beruhig‘ dich mal!“, murmelte sie und auch der Mann schien Masaru nicht sonderlich viel Beachtung zu schenken, da er einfach weiterging und seine gestellte Frage ignorierte. Masaru blies die Wangen auf und versuchte sich zu entspannen, was ihm nicht sonderlich gut gelang. Er hatte Angst. Seine zitternden Hände sprachen Bände. „Ist alles okay? Wir können immer noch aussteigen, wenn du willst?“, beruhigte sie ihn und umfasste seine Hand, die sich langsam wieder beruhigte. Er lächelte sachte und schüttelte fast schon beiläufig den Kopf. „Ach was, ich bin eben noch nie Achterbahn gefahren und halt etwas nervös“, spielte er hinunter, klammerte sich allerdings an Mimis Hand fest. Einen kurzen Moment später wurden die Bügel elektronisch geschlossen und jedes entkommen war unmöglich geworden. Masaru schreckte kurz zusammen, wurde aber von Mimis aufmunternden Lächeln wieder beruhigt. Er krallte die Finger in ihre, als sie sich in Bewegung setzten und steil nach oben fuhren. „Oh Gott, es geht los“, kreischte Masaru und festigte den Griff um Mimis Hand. Sie wandte den Kopf zu ihm und verkniff sich ein Grinsen. Sein Gesicht war einfach herrlich gewesen. Er war ein wenig blass um die Nase und hielt sich mit der anderen Hand am Sicherheitsbügel fest. Mimis Herz begann gegen ihre Brust zu klopfen. Sie wandte den Blick von Masaru und überblickte den hellerleuchteten Vergnügungspark vor sich. Sie fuhren immer noch nach oben, erreichten den höchsten Punkt, als der erste Wagen sich in den freien Fall begab. Ihr Puls beschleunigte sich, als auch sie steil nach unten fuhren. Das Adrenalin schoss durch ihren Körper und ein Grinsen legte sich über ihre Lippen. Ihre Haare peitschten ihr ins Gesicht. Masaru hatte in der Zwischenzeit ihre Hand losgelassen und krallte sich fast schon verzweifelt an die Bügel. Die Bahn schoss von unten wieder nach oben, legte sich in ihre erste Kurve und ein allgemeines Schreien war zu hören. Mimi streckte die Arme in die Höhe, genoss die Geschwindigkeit und das der Wind ihre Haare durcheinander wehte. „Du musst deine Arme in die Lüfte strecken!“ sagte sie zu Masaru, der nur mechanisch mit dem Kopf schüttelte und ganz weiß wurde. Wahrscheinlich drehte sich ihm der Magen um. Besorgt musterte Mimi ihn, konnte aber erkennen, dass er langsam seine Gesichtsfarbe wiedererlangte. Seine Finger lösten sich langsam und er lockerte einen Arm, der dem Wind entgegenschlug. Mimi lächelte verschmitzt und ergriff einfach seine Hand. In der nächsten Kurve richteten sie ihre Arme in den Himmel und eine unbändige Freiheit durchzog ihren Körper. Es schien auf einmal alles möglich zu sein. Egal wie schwer das Leben einem manchmal vorkam, gab es Momente, in denen es sich federleicht anfühlte. Indem alles in Ordnung schien. Für Mimi war genau das, ein solcher Moment. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)