Zwischen den Welten von Shizana (Das Mary Sue-Projekt) ================================================================================ Kapitel 14: Kampf der Kuchen an St. Nikolaus -------------------------------------------- Ein Klopfen an meiner Tür. Ich nehme es nur dumpf wahr. „Shizana? Hey, bist du wach?“ Brummend drehe ich mich auf die Seite und ziehe die Decke weiter über mich. „Shizana?“ „Bin nicht da“, grummle ich zur Antwort. Geistig bin ich tatsächlich noch nicht anwesend. „Ähm, wolltest du nicht aufstehen?“ So? Wollte ich das? „Wie spät ist es?“, brumme ich zurück. „Also inzwischen … zehn nach sechs.“ Mhm, zehn nach sechs. Na dann … Warte! Zehn nach sechs? „Mist, ich habe den Wecker nicht gehört!“ Endlich bin ich wach. Ruppig schlage ich die Decke zurück und winde mich von der Matratze. Verdammt, wie konnte mir das passieren? Ich wollte schon seit zehn Minuten auf den Beinen sein! So schnell mein Geist auch hochgefahren ist, so schleppend ist meine körperliche Koordination. Die Beine wollen nicht recht mitspielen, ich verliere für einen Moment das Gleichgewicht und finde mich schon auf dem Boden wieder. Der Aufschlag ist alles andere als liebkosend. „Ist da drin alles in Ordnung?“ „Mist … Ja, alles okay. Mein Körper schläft nur noch“, antworte ich in Richtung Tür. Zischend rapple ich mich zurück auf die Beine und streiche mir kurz über die schmerzenden Knie. Unter den Scheiben pocht es wütend. Auf der anderen Seite der Tür verharrt Ukyo in Schweigen. Ich weiß nicht, was er da macht, aber ich verliere keine weitere Zeit und suche mir meine Klamotten zusammen. „Ich habe dir einen Cappuccino gemacht. Er ist noch heiß.“ „Ja, danke. Ich beeile mich.“ „Möchtest du etwas frühstücken?“ „Nicht unbedingt. Hab‘ keinen Hunger.“ „Du solltest aber zumindest etwas Kleines am Morgen zu dir nehmen“, werde ich belehrt. Ich seufze geschlagen. „Na schön. Das Müsli, das wir gestern gekauft haben, und den Joghurt dazu.“ „Okay. Ich warte auf dich.“ Ich weiß ja, dass er recht hat. Ein bisschen kommt es mir aber doch so vor, als würde er sich zu sehr um mich sorgen. Sonst komme ich auch immer super ohne Frühstück aus. Naja, was soll’s.   Wenig später bin ich angezogen und habe eine kurze Wäsche im Badezimmer vorgenommen. Im Wohnzimmer hat sich Ukyo an dem kleinen Esstisch eingefunden und studiert die Zeitung. Ich empfange den erquickenden Geruch frisch aufgebrühten Kaffees, was mir ein wohles Gefühl beschert. Zugegeben, ich trinke ihn selbst eher selten, liebe den Duft aber ungemein. „Guten Morgen.“ „Oh, guten Morgen.“ Ukyo lässt die Zeitung vor sich sinken und schenkt mir ein freundliches Lächeln. Damit wird der Morgen um einen weiteren Grad besser. „Da bist du ja.“ „Mhm, sorry für den Tumult. Und danke, dass du mich geweckt hast.“ Seufzend lasse ich mich auf den Platz ihm gegenüber nieder. Meine Hände langen sogleich nach der schwarz-weißen Katzentasse. Der erste Schluck schmeckt herrlich warm und süßlich, wie ich es liebe. Die vertraute Note entspannt meine letzten aufgebrachten Nerven. „Ich habe meinen Wecker nicht gehört. Ich bin mir sicher, dass ich ihn gestellt habe.“ „Hast du“, bestätigt er mir schmunzelnd. „Ich habe ihn gehört. Beide. Ich war schon verwundert, dass sich nichts im Zimmer getan hat. Irgendwann dachte ich mir, gehe ich lieber auf Nummer sicher.“ „Mhm, das war auch besser so.“ Ich seufze leise in die Tasse hinein. „Theoretisch wäre es nicht schlimm gewesen, wenn du noch ein wenig geschlafen hättest. Aber ich erinnere mich, dass du mal zu mir gesagt hast, dass du lieber etwas früher aufstehst, um in Ruhe starten zu können.“ „Mhm.“ Aufmerksam studiere ich das Gesicht meines Mitbewohners. Mich irritiert schon nicht mehr, dass er Dinge über mich weiß, die noch nie zwischen uns vorgefallen oder zur Sprache gekommen sind. Aus seiner Sicht leben wir seit nunmehr zwei Monaten zusammen. Soweit ich es beurteilen kann, war mein Ich, das er kennt, mir sehr ähnlich. Kein Wunder also, dass ihm eine solch morgendliche Aktion nicht neu ist. „Ich bin eben ein unverbesserlicher Morgenmuffel. Wenn ich am Morgen nicht wenigstens meinen Cappuccino schaffe und mich kurz ordnen kann, ist der Tag für mich gelaufen“, reflektiere ich. Er lacht. „Ja, das kenne ich gut.“ Ach ja? Er macht jedenfalls nicht den Eindruck auf mich, als hätte er je mit solchem Ballast zu kämpfen. Seit wann ist Ukyo eigentlich wach? Und wie kann er schon am frühen Morgen so guter Dinge sein? „Wann bist du eigentlich nach Hause gekommen?“, will ich wissen, ohne von ihm abzulassen. Ich habe nicht vergessen, dass ich die Wohnung um ein Weiteres verlassen aufgefunden habe, als ich gestern zurückkam. „Uhm … spät“, versucht er mir wohl auszuweichen. Sein verschobenes Lächeln lässt nichts Gutes vermuten. „Du hattest schon geschlafen. Ich denke nicht, dass du es mitbekommen hast.“ „Sonst hätte ich auch nicht gefragt.“ Ach, was soll’s. Inzwischen sollte ich es gewohnt sein. Nicht, dass das irgendetwas besser machen würde. „Ist ja auch egal. Wir müssen nachher noch die Kuchen verpacken. Um acht müssen wir schon los, ne?“ „So im Dreh. Ich überlege, ob es nicht sogar besser wäre, wenn du etwas früher losgehen würdest“, überlegt er. Es raschelt laut, als er die Zeitung gänzlich zusammenfaltet und schlussendlich zur Seite legt. Ich beobachte, wie er selbst nach seinem Kaffee greift und einen zögerlichen Schluck aus der dampfenden Tasse nimmt. „Ihr habt bestimmt noch einiges zu besprechen, bevor die ersten Kunden kommen. Heute ist schließlich euer Nikolaus-Event, nicht?“ „Mhm.“ Zögernd schwenke ich die Tasse in meiner Hand. Ich versuche mir auszumalen, wie der heutige Tag wohl ablaufen wird. „Kommst du mit?“ „Nachher gleich?“ Er hält einen Moment inne, wohl um darüber nachzudenken. „Naja, also ich hatte heute schon vor, kurz vorbeizukommen. Aber darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht.“ „Es wäre ganz hilfreich, um die ganzen Kuchen zu transportieren. Und ich hätte nichts dagegen, wenn du mich begleiten würdest“, argumentiere ich. „Meinst du, es ist wirklich in Ordnung, wenn ich mitkomme?“ Irritiert von seiner Frage blicke ich auf. „Wieso sollte es nicht?“ „Naja, ich meine … Ich arbeite ja nicht dort. Ich bin nur ein Kunde und … ich weiß nicht, ob es nicht etwas seltsam ist, wenn ein Kunde schon so früh vor Ladenöffnung dort auftaucht.“ Ich blinzle. Einmal, zweimal. „Ist das dein Ernst?“, breche ich lachend los. Ich kann einfach nicht an mich halten. „Du zweifelst wirklich, dass du zu irgendeiner Zeit im Meido nicht willkommen bist, nur weil du nur ein Kunde bist? Ach, Ukyo, ehrlich …“ „W-was ist daran so lustig?“, empört er sich leise. Ich kann seine Verunsicherung heraushören. „Ach, komm schon. Das ist doch albern.“ Ich versuche mich zusammenzureißen. Mir sitzen die Tränen in den Augenwinkeln, die ich mir wehleidig wegwische. „Die Leute dort mögen dich. Waka selbst hat doch nach dir gefragt, weil du so lange nicht mehr da warst. Also ich bitte dich!“ Ukyo drückt sich vor einer Antwort, indem er von seinem Kaffee trinkt. Ich selbst finde das Ganze immer noch wahnsinnig witzig. Ich könnte jederzeit wieder in lautes Gelächter losbrechen. „Also nehme ich das als ein Ja. Schön, das freut mich, Ukyo. Wirklich.“ In dem Moment bin ich mir sicher, dass ich über das ganze Gesicht grinse. Es ist mir egal. Ukyo wird mich zum ersten Mal zum Meido begleiten. Ich freue mich wie ein Kind darauf.   Die Zeit am Morgen verfliegt immer so viel schneller, als mir lieb ist. Frühstück ist wahrlich nicht meins, aber mit Ukyo morgens an einem Tisch zu sitzen, daran könnte ich mich glatt gewöhnen. Auch wenn das heißt, dass ich etwas Nahrhaftes zu mir nehmen muss, weil es »gesund und wichtig« ist. Ich erzähle ihm von meinem gestrigen Arbeitstag. Mines abweisendes Verhalten, das mich noch immer beschäftigt, spielt dabei keine geringe Rolle. Leider kann mir Ukyo auch nichts Näheres dazu sagen. Er spricht mir lediglich Trost zu, dass sich das sicherlich klären lässt und ich mich davon nicht entmutigen lassen soll. Ich glaube ihm, trotzdem macht mir die Ungewissheit zu schaffen, was für dieses Verhalten verantwortlich ist und wie ich sie darauf ansprechen soll. Wir beenden das Frühstück und nach einer Zigarette verschwinde ich im Badezimmer. Nachdem ich mich hergerichtet und meine Prellungen versorgt habe, geht es über in die Küche. Über Nacht sind die Dekorationen, die ich an den Kuchen vorm Schlafengehen noch vorgenommen habe, inzwischen getrocknet. Aus einer Ecke krame ich die Pappkartons und die breite Plastiktüte hervor, die Ukyo und ich in weiser Voraussicht gekauft hatten. In aller Sorgfalt stelle ich die Kuchen einzeln in die Kartons, ehe ich sie in die Tüte staple. „Pack besser nicht alle fünf in eine Tüte“, höre ich Ukyo sagen, gerade als ich den letzten Kuchen verstauen will. Irritiert halte ich inne und schaue auf, als sich Ukyo bereits neben mir eingefunden hat. „Wenn du sie zu hoch stapelst, verrutschen sie am Ende und du machst deine schöne Dekoration kaputt.“ „Es sind doch nur zwei Lagen“, versuche ich mein Tun zu begründen. Überzeugen tut es ihn wohl nicht. „Und wenn. Unterschätze das Gewicht nicht. Und du weißt nicht, was auf dem Weg alles passieren kann.“ Ich seufze ergeben. Auf diese Art von Diskussion habe ich wirklich keine Lust. „Hast du einen besseren Vorschlag?“ „Es müsste noch eine zweite Tüte dort gelegen haben. Ich bin mir sicher, dass ich sie hinzugetan habe.“ „Du hast noch eine geholt?“, frage ich verwundert. Er nickt. „Ich war mir im Nachhinein nicht mehr sicher, ob eine wirklich ausreicht. Also bin ich nochmal in den Konsum gegangen und habe lieber vorgesorgt.“ Wow, wie voraussichtig von ihm. Von mir wäre das sicher nie gekommen. „Okay, das wusste ich nicht. Dann teilen wir sie besser auf beide Tüten auf.“ Gesagt, getan. Mit Ukyos Hilfe sind die Stücke schnell umgepackt und sicher auf den Tresen geparkt. Damit wäre das schon einmal erledigt. „Vielleicht sollten wir uns ein Taxi nehmen?“, schlägt Ukyo zur Frage des Transports vor. Auch ich überlege. „Hm, oder wir lassen uns fahren.“ Mir fallen auf Anhieb zwei Personen ein, die wir fragen könnten. Theoretisch. Grundsätzlich hätte ich bei keinem der beiden etwas dagegen, mitzufahren. Andererseits möchte ich keinen von ihnen wegen so etwas anrufen. Zumal ich von einer Person nicht einmal die Nummer habe. Hm, zu doof. „Ich schlage vor, wir bleiben beim Altbewährten“, wende ich mich Ukyo zu. „Wenn jeder eine Tüte nimmt, ist das schon sicherer, als wenn einer beide allein trägt. So viel wird schon nicht passieren, wenn uns nicht gerade ein Irrer umkutschen oder ausrauben will.“ „Das weiß man im Voraus nie“, entgegnet er mir besorgt. Wenn ich nicht wüsste, dass Ukyo durchaus Erfahrungen dieser Art gemacht haben könnte, würde ich es einfach belächeln. „Ach was. Wir transportieren nur Kuchen. Und wir sind zu zweit. So weit ist es ja nicht, wenn wir mit der Bahn fahren.“ Nur zögerlich nickt er. Ich sehe es als ein gutes Zeichen, dass er kein weiteres Drama aus unwahrscheinlichen Tragödien macht. „Ich hole eben mein Zeug, dann können wir los“, lasse ich ihn wissen. Auf dem Weg zu meinem Zimmer erinnere ich mich selbst daran, was ich alles mitnehmen muss. Mein Handy darf ich nicht vergessen und das Geschenk, das ich gestern noch in letzter Not besorgt habe. Die Information gestern traf mich wie ein Blitz. Wenn Toma es mir nicht zufällig verraten hätte, woher hätte ich dann von der Überraschungsparty wissen sollen? Ein Blick auf den Kalender hatte mich daran erinnert, dass Shins Geburtstag diesen Montag war. Einen Tag, bevor ich in diese Welt gekommen bin. Hat mein anderes Ich ihm schon gratuliert? Wie steht Shin eigentlich zu seinem eigenen Geburtstag? Aus meiner Handtasche hole ich den kleinen Plüschhund-Anhänger hervor, den ich in der Not gekauft habe. Ich wusste nicht, worüber sich Shin freuen würde. In dem Kaufhaus, in das ich mich den Tag verirrt hatte, fand ich auch nichts Ansprechendes. Bei der Auswahl von Anhängern blieb ich schließlich stehen, sah diesen und musste unweigerlich an die OVA denken. Wenn ich eines weiß, dann dass Shin eine heimliche Schwäche für niedliche Hunde hat. Also warum ihn nicht mit einem kleinen Plüschhündchen aus der Reserve locken? „Ich bin gespannt, wie er darauf reagiert.“ Ich schmunzle in mich hinein. Eigentlich ist es egal. Ich bin mir sicher, dass er nörgeln wird, aber ich habe ein gutes Gefühl, dass es ein passendes Geschenk für ihn ist. „Ach ja, Ukyo?“, rufe ich hinaus, während ich die letzten Dinge in meiner Tasche verstaue. „Hast du noch Shins CD? Die, die ich ihm den Tag geben sollte. Wenn ja, vergiss nicht, sie mitzunehmen. Das ist eine gute Gelegenheit, sie ihm zurückzugeben.“ „Ah, gute Idee!“ Ich bin selbst ganz begeistert. Es ist immer wieder toll, wenn man einen Einfall hat, der jemand anderem weiterhilft. Damit sind wir quitt, Ukyo.   Wir bleiben bei dem Plan, per Bahn zum Meido zu fahren, um eventuelle Zwischenfälle bestmöglich auszuschließen. Im Gespräch erfahre ich, dass Ukyo genauso wenig von der Überraschungsparty gewusst hat wie ich. Klar, auf der einen Seite hätte ich auch bezweifelt, dass ihm einer der anderen nahe genug steht, um ihn darüber zu informieren. Auf der anderen Seite bin ich erstaunt, dass er es nicht von »mir« weiß. Die Party muss schon länger geplant gewesen sein, also wieso hat ihm mein anderes Ich nichts davon erzählt? Das ist sehr bedenklich. Ich frage mich, ob ich mir deswegen Sorgen machen sollte. Es ist zehn vor acht, als wir beim »Meido no Hitsuji« ankommen. Viel zu früh, wie ich befürchte, da wir erst um neun öffnen. Wird irgendjemand so verrückt sein, über eine Stunde vorher hier aufzuschlagen? „Lass es uns hinten versuchen“, schlägt Ukyo vor. Verdeutlichend nickt er in Richtung Personaleingang. „Vielleicht haben wir Glück. Waka ist in der Regel immer weit vor Ladenöffnung da. Möglicherweise ist die Tür offen.“ Ich frage mich kurz, woher er das weiß und warum. Egal. Es gibt vermutlich Dinge, über die ich nicht zu sehr nachdenken sollte. Zu meinem Erstaunen stellt sich Ukyos Vermutung als richtig heraus. Die Tür ist unverschlossen und wird mir höflich aufgehalten, damit ich als Erstes eintreten kann. Der Flur ist hell erleuchtet und lässt keinen Zweifel zu, dass wir nicht die ersten Ankömmlinge an diesem Morgen sind. „Habe ich mich also nicht verhört“, empfängt uns Waka kurz darauf, noch bevor wir den Pausenraum erreicht haben. Ich bin überrascht, dass er bereits umgezogen ist. Wie selbstverständlich steht er in seiner Butleruniform vor uns, was mich zweifeln lässt, ob wir wirklich zu früh dran sind. „Guten Morgen. Wie unerwartet … Ukyo, bist du nicht zu früh dran?“ Ich wage die Begrüßung nur leise zu erwidern. Als ich aus meiner Verbeugung zurückkehre, blicke ich sorgenvoll zu Ukyo auf. „Guten Morgen. Ich weiß, ihr öffnet erst in einer Stunde. Eigentlich bin ich auch nur hier, weil ich Shizana mit dem Transport der Kuchen helfen wollte. Ich störe euch nicht lange, versprochen.“ „Shizana, geh dich umziehen“, richtet Waka das Wort an mich. Die Ansage ist deutlich, zielt jedoch weit an einem Befehl vorbei. „Ich übernehme hier.“ Mir ist nicht wohl dabei, Ukyo mit Waka allein zu lassen. Erst mit Ukyos Bestätigung, in Form eines Nickens und milden Lächelns, wende ich mich von den beiden ab.   Mit dem Umziehen verbringe ich so wenig Zeit wie möglich. Ich befürchte, dass Ukyo sonst verschwunden sein wird, wenn ich mich nicht beeile. Ich kann nicht zulassen, dass er ein zweites Mal geht, ohne sich zu verabschieden. Zumal ich ihn nicht länger als nötig mit Waka allein lassen will. Fertig angezogen eile ich ins Café zurück. Ich bin erleichtert, als ich Waka und Ukyo an einem der Tische finde, wo sie in einem Gespräch verwickelt sind. Sehr gut. Solange sie sich unterhalten, muss ich mir keine Sorgen machen. Ich bin dabei, die übrigen Stühle runterzustellen, als ich Stimmen aus dem Flur höre: „Sieht so aus, als seien wir nicht die Ersten.“ „Hey, sei vorsichtig damit. Willst du, dass sie Schaden nehmen?“ „Schon gut, schon gut. Ich bringe sie besser gleich in die Küche. Nanu, Ukyo-san?“ Die beiden Stimmen sind schnell identifiziert. Es verwundert mich wenig, als ich Toma und Shin in der Tür erkenne, als ich mich dem Tumult zuwende. Eher überrascht es mich, als ich Hanna entdecke, die hinter den beiden Jungs schwer auszumachen ist. „Lange nicht gesehen. Du warst ewig nicht mehr hier, oder? Ich habe mich schon gefragt, wo du wohl abgeblieben bist“, nimmt Toma meinen Mitbewohner sogleich in Beschlag. Ich beobachte, wie Ukyo der Gruppe ein vorsichtiges Lächeln schenkt, als sie zu ihm an den Tisch treten. „Es ist schön, euch zu sehen. Toma, Shin. Es ist wirklich lange her.“ „Wir haben überlegt, ob du Tokyo vielleicht verlassen hast. Hattest du viel zu tun?“ „So … kann man es vielleicht sagen.“ Ukyos Blick schweift von Shin ab, als er Hanna hinter den beiden Jungs schlussendlich entdeckt hat. Aus der Ferne erkenne ich, wie sie ihm ein höfliches Nicken schenkt, als sich ihre Blicke begegnen. Zu gern wüsste ich in dem Moment, was in Ukyo vorgehen mag. Die minimale Veränderung, die auf seinem Gesicht stattfindet, weiß ich nicht zu definieren. „Hallo, lange nicht mehr gesehen“, spricht Ukyo leise. Sanft. Jetzt weiß ich die Veränderung an ihm zu fassen. „Ich habe gehört, dass du krank warst. Geht es dir wieder besser?“ „Mh“, bestätigt sie mit einem Nicken. „Mir geht es gut. Es tut mir leid, dass ich allen solche Sorgen bereitet habe.“ „Das ist schön zu hören.“ Beide tauschen ein Lächeln. „Wir sollten uns umziehen. Toma, wolltest du die Kuchen nicht in die Küche bringen?“ „Ah, ja, richtig.“ Der Gedanke scheint ihm ganz entwichen zu sein. Shin dreht sich bereits ab, doch statt ihm zu folgen, richtet sich Toma erneut an Ukyo. „Da fällt mir ein … Ukyo-san, was machst du eigentlich hier? Bist du nicht ein wenig zu früh dran?“ „Oh, ich“, richtet er seinen Blick auf mich, „bin wegen Shizana hier.“ Na klasse. Ukyo, was machst du denn da?! Schon bin ich das Zentrum aller Aufmerksamkeit. „Er hat mir mit den Kuchen geholfen“, erkläre ich möglichst gelassen, um die Situation zu entschärfen. „Es war zu zweit einfacher, sie zu Fuß herzubringen.“ „Hm, sieh an?“ Ich bin nicht sicher, was ich von Tomas Reaktion halten soll. Sein freundliches Lächeln steht im Kontrast zu dem Erstaunen, das aus seinen Worten klingt. „Es ist ja nicht wirklich überraschend, dass ihr zwei befreundet seid. Aber wer hätte gedacht, dass ihr euch so nahe steht? Euch so früh zu treffen, um Kuchen zu transportieren … Das ist kein selbstverständlicher Freundschaftsdienst, oder?“ „So ist es nicht“, erhebt Ukyo Widerspruch. Sein Einwand überrascht mich. „Wir sind uns nur zufällig begegnet. Sie sah mir bemüht aus, da habe ich ihr meine Hilfe angeboten.“ Mhm? Interessant. Ukyo versucht also unsere Beziehung zu verschleiern. Das hatte ich mir fast gedacht. Es wäre auch bestimmt verdächtig gewesen, wenn die anderen die Wahrheit wüssten. Eine WG zwischen Mann und Frau, die sich noch nicht so lange kennen, sähe sicherlich seltsam aus. Mich würde es auch nicht wundern, wenn man uns bei der Enthüllung nachsagen würde, wir seien ein Liebespaar. Wuah, nein, das wäre wirklich nicht sehr klug. Aber gut, sie wissen zumindest, dass Ukyo und ich Freunde sind. Ob er mich in der Vergangenheit wohl öfters im Café besucht hat? Ganz gleich, wenigstens das brauche ich nicht länger zu verheimlichen. Gut zu wissen. Prüfend studiere ich die Gesichter der anderen. Ukyos Blick ist zweifelnd, doch seine streng gezogenen Lippen lassen ihn vorwurfsvoll erscheinen. Ich denke, dass Toma und Hanna ihm die kleine Notlüge abkaufen. Nur bei Shin bin ich mir nicht ganz so sicher. Er ist der Einzige, der nicht zu Ukyo sieht. Stattdessen ist sein Blick auf mich gerichtet, als erwarte er, aus meiner Reaktion die Wahrheit zu erfahren. Seine leuchtend roten Augen halten mich in einem Bann, aus dem ich nicht auszubrechen wage. Ich kann nur gegenhalten, indem ich ruhig und entspannt bleibe. Dummerweise sieht es auf seiner Seite ganz genauso aus. Es ist mir unmöglich, aus seiner zwanglosen Haltung und ausdruckslosen Miene zu lesen. Verdammt. Ich wage mich kaum zu fragen, was wohl gerade in ihm vorgehen mag.   Es dauert nicht allzu lange, bis unser Team Verstärkung bekommt. Ikki und Kento sind die Nächsten, die im Café eintreffen. Kurz vor knapp erscheinen auch Sawa und Mine, sehr zum Missfallen Wakas. Obwohl die beiden noch pünktlich sind, fallen sie seiner Moralpredigt zum Opfer, die mir zu angezogen scheint. Sie tun mir leid, aber dazwischenzugehen würde alles nur schlimmer machen. Nach Wakas anführender Kriegsrede sind die Schwerter geschärft. Maids, Butler und Köche stehen in ihren Nikolauskostümen zum Kampf bereit. Die Kuchen sind zum größten Teil geschnitten und zu unseren siegführenden Waffen ernannt. Der Feind wartet vor den Toren, die Krieger steh‘n bereit. Zeit, das Schlachtfeld zu eröffnen! … Naja, oder so etwas in der Art. Kein Mensch wartet, als wir das Café als geöffnet ausweisen. Es braucht eine geschlagene halbe Stunde, bis wir den ersten Kunden begrüßen dürfen. Er bestellt nicht mehr als einen Kaffee, bei welchem er die Morgenzeitung liest. Unspektakulär, und schon kehrt wieder Stille ein. „Wenn das so weitergeht, dürfen wir den Großteil der Kuchen allein essen“, seufze ich leise. „Der Tag hat gerade erst begonnen“, merkt Toma neben mir an. Er versucht mir wohl Mut zuzusprechen. „Warten wir erst einmal ab, was passiert. Shin und du habt doch gestern noch Flyer verteilt. Ich bin sicher, die Kunden kommen noch, sobald sie ausgeschlafen haben.“ Na hoffentlich. Ich habe zwar nichts gegen Kuchen, ich esse ihn sogar ganz gern, aber gleich dutzende davon wäre doch zu viel des Guten. „Wie machen wir das nun eigentlich?“, spricht er erneut und ein Seitenblick verrät mir, dass es an Ikki gerichtet ist. Hinter dem Tresen vertreibt er sich die Zeit, indem er einige Gläser poliert. „Wir hätten das vielleicht besser absprechen sollen. Ich hätte nicht gedacht, dass ihr Törtchen macht.“ „Es war die einzige Wahl.“ Sorgsam stellt er das Glas ab, legt das Tuch beiseite, bevor er sich uns zuwendet. Ich bin dankbar für das Ruprecht-Kostüm, dessen Kapuze sein Gesicht hervorstehend umrahmt. Seine Augen liegen im Schatten, wodurch ich weniger Sorge haben muss, ihn auf sicherem Abstand anzusehen. „Mir schwebte ja eher etwas Eleganteres vor, aber Ken war dagegen. Die Meido-Geburtstagstorten sind das einzige Rezept in dieser Richtung, das ihm vertraut ist. Er wollte keine Experimente eingehen.“ Und offenbar konnte ihn keines von Ikkis Argumenten vom Gegenteil überzeugen. Interessant. Kento muss die Aufgabe ernster genommen haben, als ich ihm je zugemutet hätte. Toma stößt ein schweres Seufzen aus. „Das ist wirklich ungünstig. Shin und ich sind bei Formkuchen geblieben. Nachdem Sawa die Kuchen von IsyBake vorgeschlagen hat, gingen wir in der Annahme, das wäre das Sinnvollste. Wir haben keine fertige Backmischung verwendet, allerdings dachten wir, dass wir zumindest vom Optischen her einheitlich bleiben sollten.“ Tja, das war wohl nichts. Im Vergleich zu meinen Kuchen können die beiden vielleicht noch mithalten, aber Ikki und Kento fallen mit ihrer Umsetzung gänzlich aus dem Rahmen. Kastenförmige Topfkuchen versus edle Rundtörtchen, das kann man wahrlich nicht als »einheitlich« bezeichnen. „Ich habe keine Bedenken, dass unsere Kuchen geschmacklich die besseren sind. Aber wenn die Kunden die Wahl haben …“ „Langsam, Toma. Urteilst du nicht zu voreilig?“, geht ihm Ikki dazwischen. Die Seelenruhe in seiner Stimme macht sein Lächeln im Grunde überflüssig. „Ich streite nicht ab, dass unsere Kreationen im Vergleich kleine Blickfänger sind. Aber heißt es nicht, dass es die inneren Werte sind, auf die es ankommt?“ Und das gerade von ihm. „Das sagt sich so einfach.“ „Soll das heißen, dass du den Wettbewerb trotzdem durchziehen willst?“, möchte ich wissen. „Selbstverständlich.“ Er wirkt selbstüberzeugt. Der direkte Blickkontakt ist mir unangenehm. Ich sehe weg, nur um sicherzugehen, und wende mich stattdessen Toma zu. „Tja, da hast du’s.“ „Aber wie sollen wir das machen? Unter diesen Umständen –“ „Sprecht ihr über den Wettbewerb?“, wird er von Sawa unterbrochen. Sie, Mine und Hanna gesellen sich vom Personalbereich zu unserer kleinen Runde. Ich frage mich, was sie so lange da hinten getrieben haben. „Klärt uns bitte auf. Wir haben ebenfalls das Recht, die Spielregeln zu kennen.“ „Wieso?“, gibt er fragend zurück. Das würde mich auch interessieren. „Na, weil wir mitmachen. Hast du mir vorhin nicht richtig zugehört?“ Was? „Beim Wettbewerb?“, frage ich verdutzt. „Ja, bei was denn sonst?“ „Moment. Ich denke, es hieß, wir Mädels halten uns da raus?“ „Ja, schon“, bestätigt sie mir leise. Sie wirft einen kurzen Blick zu den anderen Mädchen, ehe sie sich breit grinsend an mich zurückwendet. „Naja, also es war so: Wir haben uns zum Backen verabredet und während wir so geredet haben, kam uns der Gedanke, dass es doch ganz lustig wäre. Backen ist schließlich Frauensache, richtig?“ Ich verkneife mir einen Kommentar. Wenn das die Bedingungen sind, dann bin ich wohl keine Frau. Definitiv nicht. „Außerdem hat es etwas für sich, wenn einem die Putzarbeit abgenommen wird“, pflichtet Mine ihr bei. Es scheint weniger an mich gerichtet zu sein. Auf jeden Fall gilt ihr zufriedenes Engelslächeln nicht mir. „Vor allem, wenn es einer unserer Jungs ist. Ich persönlich würde es ja am ehesten Shin-kun und Toma-senpai gönnen.“ „Wieso denn mir?“ „Ich eher Ikki-san“, kommentiert Sawa leise. Ihr missgönnender Blick ist auf Besagtem gerichtet. Ich bin nicht sicher, ob er es mitbekommen hat. Hanna ist die Einzige, die nichts zu dem Ganzen sagt. Sie steht nur neben den beiden Freundinnen und behält sich ihr tapferes Lächeln. Mir drängt sich die Frage auf, ob sie die ganze Aktion überhaupt unterstützt. Vielleicht ist sie nur überstimmt worden, oder könnte sie wirklich ein eigenes Interesse an diesem Wettbewerb haben? „Ganz ehrlich, Sawa“, richtet Toma das Wort an sie. „Das macht es nicht gerade einfacher. Davon abgesehen war es nicht abgesprochen, dass ihr mitmacht.“ „Mann, sei doch mal ein bisschen flexibler! Wo ist denn überhaupt das Problem?“, beharrt sie vorwurfsvoll. „Das Problem ist, dass wir so schon nicht wissen, wie wir den Wettbewerb mit zwei unterschiedlichen Kuchenarten abhalten sollen. Wenn ihr jetzt auch noch mitmacht, wird das nur komplizierter“, erklärt er. „Ich für meinen Teil ziehe es vor, Frauen einen Gefallen zu erweisen, als ihnen eine Niederlage zu bereiten“, vertritt Ikki seinen Standpunkt. „Wenn Toma und Shin verlieren, soll mir das recht sein. Bei einer Frau hingegen fühle ich mich schuldig.“ „Also mir darfst du jederzeit einen Gefallen erweisen, Ikki-san“, fängt Mine seine Worte auf. Für ihre Offensive verdient sie ein charmantes Lächeln. Woah, was geht hier ab? Erst dachte ich, Ikki sei schlimm mit seiner übertriebenen Schmeichelei. Aber Mine ist kaum besser. Sollte das ein Flirt werden? Vor aller Augen? Hat sie ihn noch immer nicht aufgegeben? Verstohlen sehe ich zu Hanna. Ich rechne damit, dass ihr die Situation unangenehm sein muss. Immerhin ist Ikki ihr Ex-Freund, und das noch gar nicht so lange. Jedoch stelle ich erstaunt fest, dass sie dem Austausch keinerlei Beachtung schenkt. Lieber flüstert sie mit Sawa, wobei ich nicht sagen kann, worum es zwischen ihnen geht. „Papperlapapp, wir machen mit! Das steht außer Frage. Wir haben doch nicht ganz umsonst ein ganzes Blech Kuchen gebacken.“ Ich traue meinen Ohren nicht. „Ein ganzes Blech Kuchen?“, wiederhole ich ungläubig. Sie nickt. „Wir konnten uns nicht entscheiden, also haben wir uns letztlich darauf geeinigt. Was glaubst du, warum uns meine Eltern mit dem Auto herbringen mussten?“ Ich bin perplex. Ein ganzes Blech? Um Himmels willen, wie viele Kunden sollen bitte den ganzen Kuchen essen?!   Neben der abwechselnden Kundenbedienung geht die Diskussion weiter. Nicht nur, dass wir keinerlei Einigkeit in unseren gebackenen Kuchen haben. Nein, mit Sawas spontanen Beschluss, beim Wettbewerb der Jungs mitmischen zu wollen, wird das Chaos nur noch konfuser. Ich wusste doch, dass es klüger gewesen wäre, sich im Vornherein besser abzusprechen. Nun haben wir den Salat, und das Event hat längst begonnen. Sawa versucht mich zu bereden, doch noch an dem Wettbewerb teilzunehmen. „Einer mehr oder weniger, das macht nun auch nichts mehr“, argumentiert sie. Außerdem seien dann alle mit dabei. „Nein, lass mal“, lehne ich dankend ab. „Ich hatte das von vornherein nicht vor und es würde sich für mich auch nicht lohnen.“ Schließlich habe ich nur lieblos gebackenen Fertigkuchen vorzuweisen. „Du hast also wirklich die von IsyBake genommen? Die sind richtig lecker, findest du nicht?“ Keine Ahnung, aber das finde ich noch heraus. Zusammen mit Ukyo. Meine Gedanken schweifen zu meinem Mitbewohner. Kurz nachdem Mine und Sawa aufgetaucht waren, hat er sich wieder auf die Socken gemacht. Er will wohl noch irgendetwas erledigen, hat er gesagt. Hoffentlich hält er sein Versprechen, noch einmal vorbeizukommen und sich etwas von den anderen Kuchen abzuholen. Wäre schade, wenn er das Event gänzlich verpassen würde. Vorsichtig sehe ich zu Hanna. Ob sie wohl bemerkt hat, wie er sie angesehen hat? Es ist traurig, wenn ich daran denke, dass sie keine Erinnerungen an ihn hat. Aber für Ukyo – „Also, folgender Schlachtplan“, schneidet Sawas Stimme in meine stillen Gedanken. Ich habe nicht bemerkt, wie sich die Gruppe aus ihr, Ikki und Toma wieder bei mir am Tresen versammelt hat. Mine ist irgendwo im hinteren Bereich und Hanna nimmt gerade eine Kundenbestellung entgegen. „Da wir mehr Kuchen haben, als erwartet, schlage ich eine kleine Planänderung vor: Statt der Stammkunden bekommt jeder Gast ein Stück spendiert. Wir teilen jeden Kuchen in mehrere Stücke, sodass jeder die gleiche Chance auf den Sieg hat.“ „Ich bezweifle, dass wir damit ein ganzes Blech aufwiegen können“, merke ich an. „Wir müssen ja nicht das gesamte Blech ins Rennen schicken. Nur so viel, dass es dieselbe Zahl zum Rest ergibt“, unterbreitet sie vorsichtig. „Das sollte zuvor mit Waka-san abgesprochen sein“, gibt Toma zu bedenken. „Ohne seine Absegnung läuft das nicht. Aber ich denke, ich kann das übernehmen.“ „Und wie bringen wir die Kuchen an die Kundschaft?“, richtet Ikki seine Frage an die Runde. „Jeder steht für seinen eigenen Part“, legt Sawa fest. Ihr breites Grinsen zeigt, dass sie von diesem Plan überzeugt ist. „In Ordnung. Und wie lösen wir die Auswertung?“ „Es war dein Vorschlag, dass die Kunden über den Gewinner entscheiden. Hat dir dazu nichts vorgeschwebt?“ „Nicht direkt“, gibt Ikki an Toma zurück. Anschließend richtet er sich wieder an die Gruppe. „Also? Hat jemand eine Idee?“ Ratlos senkt Sawa den Kopf, eine Hand in ihrem Nacken. „Tja, da muss ich passen, Jungs. Wir können sie kaum direkt fragen, nehme ich an?“ „Wenn ich etwas vorschlagen darf?“, melde ich mich zu Wort. Kurz prüfe ich, ob ich fortfahren kann. „Also ich mache zwar selbst nicht mit, aber wie wäre es damit, den Kunden Nachschlag anzubieten? Ich meine, Sawa hat recht. Ihr könnt die Kunden kaum nach ihrer Meinung fragen. Aber wir haben genug Kuchen, um ihnen zwei Stück anzubieten. Jeder, dem das erste Stück geschmeckt hat, wird zu einem zweiten nicht Nein sagen, solange es kostenlos ist.“ „Das ist genial!“ „Es klingt auf jeden Fall sinnvoll. Und genug dürften wir ohne Zweifel haben“, stimmt Toma zu. „Das erscheint mir fair. So kann keiner auf Sympathie allein punkten, richtig?“, lächelt Ikki zu mir herüber. Kleine Schmetterlinge werden in mir wach, welche ich still verfluche. Natürlich werde ich es nicht offen zugeben, aber genau das war auch meine Überlegung gewesen. Jeder, der nicht blind ist, wird mir zustimmen, dass es anders nicht fair verlaufen kann. Ein einziger Blick in Ikkis Augen hätte genügt, um jeder weiblichen Kundschaft ein Kompliment zu seiner Backkunst zu entlocken. Ganz gleich ob angemessen oder nicht. Und wer könnte am Ende schon beurteilen, was davon zutrifft? Ich nehme selbst nicht am Wettbewerb teil, dennoch möchte ich, dass die Jungs unter den gleichen Voraussetzungen antreten. Ganz selbstlos ist dieser Wunsch von mir nicht. Macht es nicht sehr viel mehr Spaß, ihre Bemühungen zu beobachten, wenn sie von keinem persönlichen Vorteil profitieren können? „Ich werde Ken von dieser Idee in Kenntnis setzen. Ich denke, er hat nichts dagegen, die Auswertung zu leiten. Ohne Listenführung dürfte es schwer werden, am Ende noch unterscheiden zu können, wer wie oft nachgereicht hat.“ „Bringt es dir nicht einen Vorteil, wenn dein bester Freund diese Aufgabe übernimmt?“, zweifelt Sawa an. Ihr prüfender Blick macht ihr Misstrauen deutlich. „Ken würde keinen Vorteil in einem Betrugsversuch sehen“, erklärt er gleichsam. „Du darfst dabei nicht vergessen, dass er genauso ein Teilnehmer an diesem Wettbewerb ist. Würde er das Ergebnis manipulieren, läge darin keine Bestätigung mehr für seine Arbeit.“ Für mich macht das Sinn. Sawa hingegen scheint weniger überzeugt. Ikki fährt indes fort: „Natürlich setzt das voraus, dass der Betrugsversuch ebenso wenig von unserer Seite herrührt. Ich schlage daher vor, dass wir in Paaren bedienen, wobei die Partner aus unterschiedlichen Teams stammen müssen. Wird ein Zweitstück vergeben, wird dieses zuvor durch den jeweiligen Partner an Ken bestätigt.“ Partner? Ich lasse meinen Blick zögerlich zu Sawa schweifen. In ihrem Gesicht lese ich dieselbe Perplexität, die ich unter Verschluss zu halten versuche. Auf ihren fragenden Blick antworte ich mit einem betonten Schulterzucken.   Kurz darauf stehen die Teams fest. Gespannt beobachte ich, wie Sawa und Ikki die nächsten Gäste in Empfang nehmen und an einen freien Tisch führen. Es war naheliegend, dass Nikolaus-Maid und Ruprecht-Butler je ein Team bilden. Ganz im Rahmen des Nikolausevents. Auf die Art würde keiner der Gäste von dem Wettbewerb Wind bekommen, der im Hintergrund unter den Bediensteten abgehalten wird. „Die beiden kommen schon klar.“ Ich drehe meinen Kopf. Toma, mein heutiger Partner, steht dicht bei mir und lässt es sich ebenfalls nicht nehmen, das gegnerische Team aufmerksam bei ihrem Tun zu beobachten. Seine Gesichtszüge wie Haltung sind entspannt. „Meinst du?“ „Ich denke schon.“ „Du denkst?“ Seine Worte lassen mich schmunzeln. Ein wenig plagt mich schon das schlechte Gewissen. Wäre es nach Sawa gegangen, stünde nicht ich, sondern sie hier an Tomas Seite. Sie hatte sich vehement dagegen gesträubt, mit Ikki ein Team zu bilden. Ich musste sie erst davon überzeugen, dass es ihr mehr Vorteil bringt, den Erzrivalen direkt neben sich zu haben, als ihn nur zu beobachten. Zum Glück hat Toma diese Meinung unterstützt, indem er sie an ihre eigene Aussage erinnert hat. Das bewahrt mich davor, klein und hilflos neben Ikki zu stehen und vor lauter Nervosität gar nichts hinzukriegen. „Ich schlage vor, wir handhaben das fair“, sagt er zu mir. „Wir wechseln uns mit dem Kuchen ab. So ist es stressfreier. In Ordnung?“ „Meinetwegen. Aber denkt daran, mich aus der Bewertung rauszulassen.“ „Schon klar.“ Er zeigt ein Lächeln. „Wir sind dann draußen“, verkündet Shin hinter uns, als er ebenfalls im Kostüm aus dem Personalbereich nach vorn tritt. Toma nickt in seine Richtung. „Verstanden. Viel Erfolg euch beiden.“ „Moah, wieso werde ausgerechnet ich zum Flyer verteilen abgestellt?“, mosert Mine neben Shin. Ihr vorwurfsvoller Blick trifft direkt auf mich. „Wieso macht sie das nicht? Sie macht nicht einmal mit bei dem Wettbewerb.“ Durch meinen Körper geht ein Ruck. Unrecht hat sie nicht, aber wieso richtet sie ihren Vorwurf gegen mich? Es war doch nicht meine Entscheidung, wer mit wem ins Rennen geht. „Mit ihr sind die Teams ausgeglichen“, argumentiert Toma an meiner Stelle. Wie immer wird er dadurch zu meinem persönlichen Retter in der Not. „Aus eurem Team ist bereits Sawa aufgestellt. Denkst du nicht, dass es ein wenig unfair für uns Jungs gewesen wäre, wenn Hanna oder du den zweiten Platz besetzt hätten?“ „Aber …“, erhebt sie leisen Widerspruch. Indem sie eine Hand schüchtern vor den Mund hebt und aus großen Unschuldsaugen aufsieht, greift sie zu den Waffen. „… ich bin in der Bedienung besser als sie. Die Kunden mögen mich lieber. Und sieht das Kostüm an mir nicht am besten aus?“ Autsch. „Wen interessiert das? Komm jetzt, Mine.“ „Aber, Shin-kun!“ Starr sehe ich den beiden nach. Ich bin froh, dass die Kimonoärmel so lang nach unten reichen. Niemand sieht, wie ich die Hände zu Fäusten geballt habe. Meine Fingernägel drücken unangenehm gegen die Handinnenflächen. „Lass dir das von Mine nicht so nahe gehen“, spricht Toma aufbauend neben mir. „Du weißt ja, wie sie ist.“ „Ich bezweifle ihre Worte nicht“, gestehe ich leise, ohne ihn anzusehen. „Es kratzt nur ein wenig an meinem Stolz, das ist alles.“ „Das muss es nicht. Ich wette, Mine hat es selbst nicht so gemeint, wie es klang.“ Da bin ich mir nicht so sicher. „Hm. Ich überlege schon die ganze Zeit, ob ich mir besser ein Stück von jedem Kuchen zurücklegen sollte. Nur für den Fall der Fälle.“ Fragend sehe ich zu ihm auf. „Hast du wirklich Zweifel, dass etwas übrigbleiben wird?“ „Naja, von den Mädchen bestimmt. Ich habe allerdings vor, den von Shin und mir komplett unter die Leute zu bringen. Ikki-san sieht das bestimmt genauso. Und ich würde mich gern selbst von der Konkurrenz überzeugen“, erklärt er zwinkernd. „Das kann ich nachvollziehen. Aber ich denke, da brauchst du dir so schnell keine Gedanken zu machen.“ „Dein Kuchen sah auch sehr gut aus. Ich glaube, davon reserviere ich mir auf jeden Fall ein Stück.“ „Es ist nur IsyBake“, spiele ich herunter. „Kommt immer darauf an, wie man’s macht. Ich werde ihn auf jeden Fall probieren, wenn ich darf?“ „Ja klar, wenn du willst?“ Ich zeige nicht, wie sehr mich seine Worte wirklich freuen. Und das Grinsen, das ihn ein wenig jungenhaft wirken lässt. „Da fällt mir ein … Hast du mir zufällig neulich eine SMS geschickt?“, möchte ich wissen. Mir kam plötzlich wieder diese seltsame Nachricht in den Sinn, die ich im Supermarkt von irgendwem erhalten habe. Er wirkt überrumpelt von meiner Frage. Zumindest macht es den Anschein, als sich unsere Blicke begegnen. „Eine SMS? Nein, wieso?“ „Hm, nur so.“ Möglichst gleichgültig sehe ich wieder nach vorn. Wirklich überrascht bin ich nicht. Ich hatte Toma nicht direkt im Verdacht, aber es konnte nicht schaden, ihn wenigstens zu fragen. Was es leider nicht besser macht. Befindet sich jener Unbekannte unter uns oder muss ich im Laufe des Tages noch mit einem aufdringlichen Stalker rechnen?   Mit der Zeit füllt sich das Café. Einige Gäste halten einen der Flyer in der Hand, die draußen von Mine und Shin verteilt werden. Ich kann also schnell davon ausgehen, dass sich die Spontanaktion doch noch lohnen wird. Unsere beiden Teams geben sich die größte Mühe, jeden Kunden in Empfang zu nehmen. Die wenigen, die wir nicht schaffen, übernimmt Hanna im Alleingang. Laut ihrer Aussage sei das für sie in Ordnung. Sie genießt es, uns bei der Arbeit zu beobachten, was mir nicht wirklich behagt. Aber gut, solange sie Spaß hat und sich nicht ausgeschlossen fühlt. Wie schon beim ersten Mal gestaltet sich auch heute das Arbeiten mit Toma als angenehm. Er strahlt eine wohltuende Ruhe an meiner Seite aus, wann immer ich mit dem Kunden in Kontakt trete. Seine souveräne Art ist es wohl auch, die positiv auf unsere Gäste wirkt. Trotz des düster wirkenden Ruprechtkostüms bleibt jeder entspannt und ungezwungen, sobald er mit den Leuten spricht. Ich kann jedem lächelnden Gesicht und jedem leisen Kichern entnehmen, dass die Gäste Spaß an unserer kleinen Nikolausaktion haben. Sie scheinen das kleine Schauspiel zu genießen. Doch auch das gegnerische Team bleibt nicht unbemüht. Sawa greift in wirklich jede Trickkiste, um die Kundschaft von sich und ihrem Kuchen zu überzeugen. Ihr stetiges Lächeln wirkt angestrengt auf mich, weiß jedoch zu überzeugen. Zumindest solange, bis ihr Partner am Zug ist. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, hätte ich mit ihm das Team gebildet. Es erscheint mir nicht fair, wann immer die beiden einer Kundin gegenüberstehen und alle Aufmerksamkeit auf Ikki ruht. Ich habe Mitleid mit Sawa, die mit jedem überreichten Kuchen von ihm immer frustrierter wirkt. Ich frage mich, wie viele er wohl schon verteilt hat. Zu jeder kleinen Gelegenheit tauschen die Jungs ihre Ergebnisse aus. Ich bin nicht durchgängig auf dem neusten Stand, merke aber anhand von Tomas anschließendem Verhalten, wer gerade in Führung liegt. Ist er es, strahlt er mit jedem neuen Kundengespräch über das ganze Gesicht. Ist es Ikki, geht er aggressiver in die Offensive. Dann macht er mich ganz nervös mit seinem aufgesetzten Lächeln, mit dem er versucht, die nächste Runde allein für sich zu entscheiden. Irgendwann haben sich die Plätze gut gefüllt. Kento benötigt Unterstützung in der Küche, weswegen Sawa und Hanna die Verteilung der Flyer übernehmen. Shin verschwindet wortlos nach hinten, während Mine ganz aus dem Häuschen ist, neben Ikki die Bedienung zu übernehmen. Ich bin nicht sicher, ob sie mehr die Kunden oder ihren Partner bezirzt. Auf jeden Fall scheinen beide Spaß an ihrem kleinen Wettkampf zu haben. Sie zu beobachten, versetzt mir einen kleinen Neidstich. Mine ist so mädchenhaft und hübsch in ihrer abgewandelten Uniform, dass sie das Bild zu Ikki perfekt ergänzt. Mir wird bewusst, wie chancenlos ich gegen sie bin. Gegen so viel Charme und Charisma komme ich nicht an. Mit mir an seiner Seite kann Toma nur verlieren. Ich bin erleichtert, als Ukyo gegen halb vier erneut das Café betritt. Erst da wird mir bewusst, wie die letzten Stunden an mir vorübergezogen sind. Dass seit seinem Aufbruch mehr als sechs Stunden vergangen sein sollen, hätte ich nicht vermutet. Nicht mehr lange bis zum Feierabend. In unserem scheinbaren Kundengespräch erfahre ich, dass Ukyo draußen auf Hanna und Sawa getroffen ist. Sie haben kurz geplaudert, erzählt er mir, und er sei von Sawa dazu angehalten worden, ihren Kuchen zu probieren. Ich erkläre, dass die Mädchen ihn zusammen gebacken haben, worüber er bereits im Bilde ist. Er wirkt unschlüssig, wie er sich bei dem Thema »Kuchen« verhalten soll. Ich glaube zu wissen, wieso. „Ich denke, es ist besser, wenn ich dir ein Stück von den Mädchen bringe“, nehme ich ihm die Entscheidung ab. Überzeugt grinse ich. „Sawa hat schließlich darauf bestanden, richtig? Ich kläre das schon ab, nur keine Sorge.“ Im Flüstern erinnere ich Ukyo daran, dass wir zu Hause noch einen ganzen Erdbeerkuchen für uns haben. Mir ist klar, dass er gern etwas von dem probieren möchte, was Hanna zubereitet hat. Er muss sich nicht entscheiden. Schon gar nicht meinetwegen. So vergehen die letzten Stunden.   Es ist zehn nach fünf, als wir den letzten Gast verabschiedet haben. Damit ist der Tag geschafft, das Chaos überstanden. Keine weiteren Zwischenfälle Und kein Stalker weit und breit. Nicht, dass ich es mitbekommen hätte. „Ich kann es kaum erwarten, zu erfahren, wer denn nun gewonnen hat!“, entfährt es Sawa, kaum dass die Tür verschlossen ist. „Je schneller wir mit Aufräumen fertig sind, desto eher erfahren wir es.“ Toma scheint mir bester Dinge zu sein, als er sich an Ikki wendet. „Wie steht es um die Auswertung? Weißt du schon etwas?“ „Ken kümmert sich bereits darum“, erklärt er. Sein Grinsen ist nicht weniger zuversichtlich als bei Toma. „Verlieren wir besser keine weitere Zeit. Wie du schon sagtest: Je eher wir fertig sind, desto schneller steht der Gewinner fest.“ Mehr Ansage bedarf es nicht. Ich wünschte, die anschließenden Aufräumarbeiten würden immer so flott vonstattengehen wie heute. Die Aufgaben sind rasch verteilt und noch schneller erfüllt. Es ist unglaublich, mit welcher Spannung das Café verhangen ist. Sie ist regelrecht greifbar und steckt selbst mich, die eigentlich nichts mit dem Ganzen zu tun hat, unweigerlich an.  „Ich komme präzise zum Endergebnis, sofern keine Einwände bestehen.“ Alle Augen sind auf Kento gerichtet, als er die Auswertung schlussendlich eröffnet. Wir anderen haben uns um den ersten Tisch nahe der Theke versammelt. Auf Bank und Stuhl sitzt jeder außer mir wie angespannt. Selbst Ukyo, der aus irgendeinem Grund nicht aus dem Café verbannt wurde, ist neben mir das reinste Nervenbündel. Lustig, dabei hat er mit der ganzen Sache am allerwenigsten zu tun. „Gut. Also, der Verlierer ist …“ Alle Augen haften an dem Blatt Papier in Kentos Händen. Er selbst scheint wenig von unnötigem Spannungsaufbau zu halten. Sein Blick löst sich von dem Wahrheitsträger und zielt direkt auf das Verliererteam. „… das Mädchenteam: Sawa, Hanna und Mine.“ „Was?! Aber wieso?“, springt Sawa von ihrem Platz auf. Es wird begleitet von Mines leisem „Unmöglich“. „Das Team hat insgesamt vierundzwanzig Kuchenstücke ausgegeben. Darunter sind fünf Zweitportionen zu verzeichnen.“ „Was? Aber ich allein habe doch schon fünfmal Nachschlag gegeben.“ „Tut mir leid, Sawa-senpai“, meldet sich Mine zögerlich zu Wort. „Ich war so im Fluss und da habe ich wohl vergessen …“ „Mine … ernsthaft?“ Sawa stößt ein zentnerschweres Seufzen aus. Wie ein nasser Reissack lässt sie sich zurück auf ihren Stuhl fallen und legt die Arme auf den Tisch, nur um den Kopf darauf zu versenken. Ihr gestöhntes „Dabei habe ich mir so viel Mühe gegeben“ ist nur erstickt zu vernehmen. „Vielleicht hättest du weniger Eindruck schinden sollen“, belehrt Toma in Mines Richtung. Sein Gesicht trägt ein mitfühlendes Lächeln, doch dahinter ist ein leiser Anflug von Genugtuung zu erkennen. Ich glaube jedenfalls nicht, dass ich es mir nur einbilde. „Aber ihr habt euch sehr gut geschlagen“, richtet sich Ikki anerkennend an die Mädchen. „Sawa hat wacker gekämpft und Mine wohl übernommen. Für einen Moment habe ich schon befürchtet, von weiblicher Überzeugungskunst ausgespielt zu werden. Das hätte ich niemals aufwiegen können.“ Ein kleinwenig nervt es mich, wie scheincharmant Ikki in die Mädchenrunde lächelt. Vielleicht ist es auch Mines kindische Reaktion, wie sie irgendwelches verlegenes Zeug stammelt und dabei eine verdammt-niedliche Röte auf ihre Wangen zaubert. Sawa brummelt irgendetwas gegen die Tischplatte, das vermutlich nicht einmal sie selbst versteht. Nur Hanna hält sich heraus und bewahrt sich ihr unsicheres Lächeln. „Wenn ich dann fortfahren dürfte?“, erhebt Kento ruhig, aber betont die Stimme. Keiner wagt mehr etwas zu sagen, was ihm Antwort genug ist. „Gut. Da wir das geklärt haben, nun zum Gewinner. … Es gibt keinen.“ „Huh?“ „Wie meinst du das, Ken?“ Selbst an Shin bemerke ich, wie er überrascht die Augenbrauen hebt. Sein Kinn liftet sich minimal, was wohl bedeutet, dass er endlich interessiert ist. Vermute ich zumindest. „In der Gesamtverteilung von Kuchenstücken liegt Das Team Ikkyu und Kento weit vorn“, erklärt Kento, wobei er sich wieder auf das Blatt in seinen Händen konzentriert. „Insgesamt hat Ikkyu siebenundzwanzig Kuchenstücke ausgegeben. Darunter befinden sich sieben Zweitportionen. Das Team Toma und Shin hingegen hat einundzwanzig Kuchenstücke vergeben, worunter sich ebenfalls sieben  Zweitportionen befinden.“ „Das heißt, wir haben am wenigsten Kuchen verteilt … Aber dafür auf die Gesamtstückzahl den meisten positiven Zuspruch erhalten“, überlegt Toma laut. In seinem Kopf arbeitet es, das kann ich sehen. Seine Erkenntnis lässt ihn schließlich aufblicken. „Würde das nicht eigentlich bedeuten, dass unser Team gewonnen hat?“ „Auch wenn ich dir offen zugestehe, dass dein Gedanke auf prozentualer Basis korrekt ist … In Anbetracht der aufgestellten Regeln, denen dieser Wettstreit unterliegt und denen beide Seiten zugestimmt haben, gewinnt die Summe in der Nachfrage. Die Gesamtzahl in der Quantität hat darauf keinerlei Einfluss.“ „Was? Aber –“ „Toma“, fährt Shin ihm dazwischen. Alle Augen richten sich auf ihn bei dem ernsten Klang seiner Stimme. „Was Kento-san sagt, ist richtig. Genauso hast du in diesem bestimmten Punkt recht, aber es tut hier nichts zur Sache. Ihr habt dem Vorschlag zugestimmt, das Ergebnis an der Nachfrage der Kunden zu messen. Wer im Gegenvergleich die bessere Qualität vorzuweisen hat, spielt dabei keine Rolle.“ Sein Blick richtet sich auf mich, als wolle er sagen, dass ich der Grund für dieses Resultat bin. Unwillkürlich straffe ich die Schultern. Wieso gibt er mir die Schuld daran? Konnte ich denn wissen, wie sich das Ganze entwickelt? Seine nächsten Worte klingen wie ein unterschwelliger Vorwurf, der an mich geht: „Demzufolge, es gibt keinen Gewinner.“ „Zumindest im Rahmen der gegebenen Bedingungen.“ Die verborgene Wendung in Kentos Einwurf bleibt nicht unbemerkt. Jeder, mich inbegriffen, sieht zu ihm auf. „Wie ist das gemeint? Gibt es doch einen Gewinner?“, stellt Ukyo jene Frage stellvertretend für uns alle, die langsamer sind als er. „Nun ja … Gemessen an den Ergebnissen aller Beteiligten, gäbe es den in der Tat.“ „Sag mir nicht …“ Sawa ist die Erste, die die Botschaft entschlüsselt hat. Ihrem Blick folgen alle anderen … und ich muss feststellen, dass ich es bin, die sie ansehen. „Shizana hat gleichziehend mit Team Toma und Shin einundzwanzig Kuchenstücke ausgeteilt. Davon allerdings handelt es sich bei acht Stücken um Zweitportionen.“ Daraufhin wird es still im Café. Zumindest so lange, bis Mines geflüstertes „Aber sie hat doch gar nicht mitgemacht“ die Stille bricht. „Wow. Meinen Glückwunsch, Kleines.“ „Das ist in der Tat eine unerwartete Wendung. Ich gratuliere.“ „Shizana … was? Ich kapiere gar nichts mehr.“ „Glückwunsch, Shizana-san.“ „Aber … ich habe doch gar nicht mitgemacht?“ „Wir haben gewonnen.“ „Das ist nicht fair. Sie hat doch gar nicht mitgemacht!“ „Also gehe ich davon aus, dass wir jetzt einen Gewinner haben?“ „Nein!“, protestiere ich gegen das Missverständnis an. Schnell erhebe ich mich und stemme die Hände auf die Tischplatte, um meinen Standpunkt deutlich zu machen. „Ich habe doch gesagt, ihr sollt mich aus der Bewertung ausschließen. Toma, sag es ihnen!“ „Tja weißt du“, lächelt er vorsichtig und zuckt mit den Schultern, „selbst auf prozentualer Basis stehst du an der Spitze. Und mir ist es eigentlich lieber, gegen Qualität als Quantität zu verlieren.“ Mir klappt nahezu die Kinnlade herunter. Niemals hätte ich erwartet, dass Toma mir in den Rücken fällt. Nicht ausgerechnet Toma! Hilfesuchend wende ich meinen Blick an Ukyo, doch der sitzt nur stocksteif auf seinem Platz und übt sich im Großstaunen. Von ihm kann ich keinen rettenden Spruch erwarten. Super, mein letzter Rettungsanker ist von Bord gegangen. Es ist mehr ein Versehen, dass ich Shins Blick begegne. Er mustert mich so eingehend, als lernte er meine dämlich dreinguckende Visage auswendig. Die Erleichterung kommt kaum bei mir an, als er endlich von mir ablässt, denn als Nächstes ist Ukyo dran. Ich will etwas sagen, um ihn von ihm abzulenken, als Kento mir zuvorkommt: „Schön, dann haben wir also einen Gewinner. Nun ist die Frage, wie lösen wir den Gewinn ein?“ „Jeder, der nächste Woche mit Shizana Schicht hat, übernimmt ihre Putzarbeit?“, gibt Sawa ihre Schlussfolgerung an die Runde. „Halt mal …“ „Und die Aufwandskosten?“ „Wie viel hast du ausgegeben?“, will Toma von mir wissen. Stöhnend massiere ich mir die die Stirn. „Ich will kein Geld von euch …“ Ich bin einfach nur überfordert. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)