Zwischen den Welten von Shizana (Das Mary Sue-Projekt) ================================================================================ Kapitel 30: Ein bisschen zu viel -------------------------------- Ich frage mich, wie wahrscheinlich dieses Szenario ist: Rika und ich auf der Damentoilette, sie vor mir stehend, ihr Gesicht dicht vor meinem. Zu dicht! Ihre langen Finger werkeln kundig an meinen Haaren, meiner Kleidung, meinem Mund. Absolut absurd! Sie verliert kein Wort zu viel dabei. Seit unserem Gespräch in der großen Kunsthalle ist unser Verhältnis deutlich heruntergekühlt. Ich weiche ihren Augen aus, die bis in mein Inneres zu dringen versuchen. Zumindest erscheint es mir so. Hätte dieses verdammte Gespräch nur nie stattgefunden! Ihre Worte wollen mir nicht aus dem Kopf. Ich und Luka zusammenziehen … Und was sie da über Ukyo gesagt hat. Ich weiß nicht, ob ich ihr das jemals verzeihen werde. Ihn der Trennung von Ikki und Hanna zu bezichtigen … Wie kommt sie nur auf eine so abstruse Idee?! Rika klappt das Make-up-Döschen zu und tritt von mir zurück. Schnell sammelt sie all ihr Verschönerungswerkzeug ein und verstaut es in ihrer winzigen Tasche. Ich frage mich, ob Magie dahintersteckt. Wie kann man so viel Zeug auf so wenig Raum verstauen? „Gehen wir“, bestimmt sie und sieht mich abwartend an. Mir scheint, dass sie nicht willens ist, mich nur einen Moment aus den Augen zu lassen. Ich nicke stumm und verkneife den Drang, mir an die Haare zu fassen. Ein Blick in den großen, goldumrahmten Kunstspiegel vor mir zeigt, dass Rika einmal mehr ganze Arbeit geleistet hat. Nicht ein Härchen steht unfolgsam ab, meine Haut und Augen strahlen so frisch wie just poliert. Da ist doch Hexerei im Spiel! Wieso kann ich nicht dasselbe bewirken, wenn ich Hand an mich lege? Ich verfluche mein perfektes Spiegelbild, straffe den Rücken und murmel ein leises Danke, als ich an Rika vorbei durch die Tür trete.   „Wir sollten zurückkehren“, meint Rika neben mir, ihren Blick auf ihr Mobiltelefon gerichtet. Die ganze Zeit, die wir schweigend nebeneinander durch die Ausstellungsflure gestreift sind, hat sie nicht einmal ihre Aufmerksamkeit auf eines der Bilder gerichtet. „Mein verehrter Bruder ist von seinen Verpflichtungen entbunden. Er erwartet uns bereits.“ Ich sehe sie prüfend an, doch ihre Miene zeigt keine Regung. Galant verstaut sie das Handy und geht voran, darauf vertrauend, dass ich ihr folge. Sie weiß, dass ich keine Wahl habe. Unter meinem Korsett knurrt mein Magen. Erst da wird mir bewusst, dass ich seit dem Mittag nichts mehr gegessen habe. Das Gyûdon hatte seinen Zweck erfüllt, doch länger vorhalten konnte es nicht. Ich muss etwas essen, und das bald. Wenn nicht, könnte das böse enden. Ich werde launisch bei Hunger. Einen weiteren Zwist mit den Geschwistern kann ich mir wahrlich nicht leisten. Wenn ich wenigstens kurz eine rauchen könnte … Bald erreichen wir jenen Saal, in welchem ich Luka aus dem Blick verloren hatte. Noch bevor ich ihn entdecke, steht er wie aus dem Nichts vor uns und umfasst meine Hände. „Welch ein Glück, du bist unversehrt“, seufzt er und zieht mich an sich. Er umarmt mich so fest, dass ich kaum Luft bekomme. „Es tut mir so leid, ich hätte dich keine Sekunde aus den Augen lassen dürfen. Ich verspreche, von nun an achtsamer zu sein. Ich weiche nicht mehr von deiner Seite, und ich lasse niemanden mehr zwischen uns kommen. Ein zweites Mal verliere ich dich nicht. Ich habe mir solche Sorgen gemacht …“ „Schon gut“, spricht Rika an meiner Stelle. „Dich trifft keine Schuld, verehrter Bruder. Beim ersten Mal ist zu erwarten, dass ein solcher Zwischenfall für Beunruhigung sorgt. Aber Shizana-san hat sich richtig verhalten. Es war leicht, sie ausfindig zu machen und in Geleit zu nehmen.“ Ich zweifle an ihren Worten, die mich besser darstellen, als es der Wahrheit entspricht. Schließlich war ich es, die nicht aufgepasst und sich leichtsinnig entfernt hatte. Wieso kritisiert sie es nicht? Hatte sich unser Verhältnis nicht jüngst unterkühlt? Luka schiebt mich ein Stück zurück, um zu ihr zu sehen. „Danke, Rika. Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann. Ich bin ein furchtbarer Freund …“ „Das stimmt doch nicht, verehrter Bruder“, weist sie lächelnd zurück. „Nehmt euch einen Moment Zeit für euch. Ich bin gleich zurück.“ Rika deutet eine Verbeugung, schon ist sie unter den Leuten verschwunden. „Ich bin wirklich untröstlich“, spricht Luka zu mir. Sein Blick ist gequält, als ich zu ihm sehe. „Wie kann ich das nur je wieder gutmachen? Ich habe versprochen, die ganze Zeit an deiner Seite zu sein. Ich wollte, dass dies ein schöner Abend für dich wird. Eine unvergessliche Erfahrung, die wir als Paar teilen. Ich habe auf ganzer Linie versagt.“ Ich frage mich still, ob er wohl recht hat. Schüttle dann aber den Kopf. „Nein. Wenn, dann habe ich versagt. Es ist dein Abend, und ich bin deine Begleitung. Ich hätte mich nicht blindlings entfernen sollen“, widerspreche ich. „Gefällt es dir wenigstens hier?“, fragt er weicher und lächelt sanftmütig. „Ich hätte dich gern selbst ein wenig umhergeführt und dir alles gezeigt. Hast du schon etwas Interessantes gefunden? Du musst mir alles erzählen, was ich verpasst habe.“ Rika kehrt mit Getränken zurück, gerade als ich Luka von meiner verzweifelten Suche nach ihm berichte. Kein Champagner dieses Mal, trotzdem rieche ich Alkohol. Ich schmecke eine minzige Note, der eine fruchtige Süße folgt. Ich bin so in meiner Erzählung vertieft, dass ich kaum merke, wie ich das Glas mehr und mehr leere, während die Geschwister mir interessiert lauschen. Bald scharen wir um einen der Tische, plaudern und lachen, eine weitere Trinkrunde vor uns.   Mir ist überhaupt nicht wohl, als ich mich auf eine der freistehenden Terrassenbänke sinken lasse. Kalter Stahl brennt durch meinen Stoff, so kommt es mir vor. Mein Kopf fühlt sich an wie auf Eis serviert, als kühler Wind meine glühenden Wangen streift. Ich fühle mich elend und weiß, dass ich es übertrieben habe. Das war zu viel Alkohol auf nüchternem Magen, vielleicht generell einfach zu viel. Hätte ich doch nur die Finger von dem letzten Shot gelassen … Luka stützt mich von der Seite. Selbst als ich längst sitze, lässt er nur zögerlich von mir ab. „Warte hier einen Moment, ich werde Rika suchen“, meint er zu mir. Zärtlich streicht er mir über das Haar. „Die frische Luft wird dir guttun. Ich bin sofort wieder da.“ Ich seufze wohltuend, als mir endlich bewusst wird, dass ich unter freiem Himmel bin. Hier draußen ist es wesentlich ruhiger als irgendwo sonst in dem riesigen Haus. Zum ersten Mal habe ich etwas Freiraum und einen Moment für mich. Ich lehne zurück und strecke die Beine weit aus, das Gewicht der Plateaus von mir stoßend. Wie spät es wohl ist? Wir müssen seit Stunden auf dieser Veranstaltung sein. Ich merke, wie ich allmählich müde werde. Oder ist das der Alkohol? Ich hebe das winzige Täschchen auf meinen Schoß und suche mein Handy hervor. Auf dem Display erkenne ich zwei neue Nachrichten. Die Erste stammt von Ukyo. Er erkundigt sich darin, ob alles okay sei. Ich bestätige dies und gehe in die zweite Nachricht hinein. Sie ist von Ikki. »Und, wie ist die Ausstellung? Hast du Spaß? Ich wünschte, ich könnte dort sein«, schreibt er. Ikki. Für einen Moment sehe ich ihn vor mir. Er würde sich wunderbar auf solch einer Veranstaltung machen. Bestimmt wäre sie lustiger, wenn er dabei wäre. Aber wäre das klug bei den vielen Frauen, die hier unterwegs sind? Könnte er sich da amüsieren? Wieso habe ich das Gefühl, ihn zu vermissen? Ich antworte ihm, dass alles okay sei und ich ihm alles erzähle, wenn wir uns das nächste Mal sehen. Kaum dass ich meine Nachricht versendet habe, kehrt Luka an meine Seite zurück – mit Rika im Gepäck. „Es ist vielleicht besser, wenn ihr jetzt geht“, meint Rika, nachdem sie mich kurzweilig betrachtet hat. „Shizana-san sieht äußerst erschöpft aus. Solch eine Veranstaltung kann sehr anstrengend sein für jemanden, der sie nicht gewohnt ist. Nur keine Sorge, ich kümmere mich um alles vor Ort.“ „Danke, Rika“, nickt Luka ihr zu. Dann setzt er sich neben mich und nimmt meine kühlen Hände wärmend in seine. „Sie hat recht, lass uns gehen. Du musst müde sein.“ „Nur ’n wenig erschöpft“, nuschle ich und unterdrücke ein Gähnen. „Ich würd‘ jetz‘ so gern eine rauchen. Oder zumin’est was essen.“ „Das ist keine so schlechte Idee“, merkt Rika an. „Ihr solltet auf dem Weg nach draußen beim Buffet kurz Halt machen. Soweit ich es weiß, hat Shizana-san noch nichts Nahrhaftes zu sich genommen, seit wir hier sind.“ „Ist das wahr?“, fragt Luka schockiert, dann spricht er mitfühlend. „Kein Wunder, dass du so erschöpft bist. Daran hatte ich gar nicht gedacht. Warum hast du mir nichts gesagt, Dummchen?“ Ich lasse mir aufhelfen und an Lukas Hand durch einige Flure führen. Im Erdgeschoss kehren wir in einen Saal, der von Menschen geradezu überfüllt ist. Schnell wird klar, weshalb: Sämtliche Tische, ringsum des Raumes, sind mit Speisen aufgebahrt. Ich sehe Platten, Schüsseln, mehrstöckige Etageren … alles mit einer Auswahl an Leckereien versehen, die ich auf den ersten Blick kaum alle erfassen kann. Luka flüstert mir zu, dass es okay ist, wenn ich mich bediene. Ich darf so viel essen, wie ich mag. Dann führt er mich an den Tischen vorbei, sodass ich einen ersten Eindruck gewinnen kann. Ich bewaffne mich mit Tablett und Geschirr. Mein Magen jubiliert so laut, dass mir fast egal ist, was ich auf den Teller lege. Ich versuche, verschiedene Dinge zu wählen, von kleinen Schnittchen zu gebackenen Röllchen und einem Schälchen voll Pudding. Lukas Auswahl fällt bescheidener aus, und gemeinsam suchen wir einen freien Tisch, der keine Sitzgelegenheit bietet. Egal. Ich bin so hungrig, dass ich die kunstvoll drapierten Leckereien einfach nur verschlingen will.   Später stehen wir im Foyer und warten, dass uns unsere Mäntel gereicht werden. In meiner Hand halte ich das unzähligste Glas Champagner, das man mir zur Überbrückung der Zeit serviert hat. Ich habe kaum daran genippt. Der Shot, den ich mir beim Verlassen des Speisesaals aufdrücken ließ, hat meinen gerade abbauenden Pegel schon wieder immens steigen lassen. Wenn ich nur einen weiteren Schluck Alkohol nehme, das garantiere ich, kotze ich in den nächstverfügbaren Kübel. Ich feiere den Moment, als wir endlich das Haus verlassen. Die kühle Nachtluft fängt mich auf und vertreibt den zunehmenden Nebel in meinem Kopf. Es fällt mir schwer, die vielen Stufen sicher zu nehmen, ohne mir auf wankenden Plateausohlen das Genick zu brechen. „Es ist alles erledigt“, höre ich Rika von irgendwoher sagen, mehr durch Watte gepresst denn klar in meinem Ohr. Ich hebe den Kopf und sehe sie neben uns stehen, die Konturen ein wenig verschwommen, wie im Fokus verstellt. „Die wichtigsten Personen sind über deine Abwesenheit informiert. Eurer Abreise steht nichts im Wege.“ „Ich danke dir, Rika.“ „Nicht doch“, weist sie zurück und richtet ihren Blick auf mich. „Es war ein langer Abend für sie. Sie sollte sich ausruhen.“ „Was ist mit dir? Lass mich dich zu Hause absetzen.“ „Nicht nötig“, lehnt sie ab. „Ich habe bereits jemanden, der meine Heimreise absichert. Du brauchst dich um mich nicht zu sorgen.“ „Wen hast du gefragt?“ „Eine gute Freundin. Sie wird jeden Moment hier sein.“ Ich beobachte aus glasiger Sicht, wie Luka Rikas Hände an seine Lippen führt. Er bedankt sich für all ihre Mühen und belobigt, dass sie die tollste Schwester der Welt sei. Ich blende ihr Liebesspiel aus, selbst betrunken ist dieses Gesülze kaum zu ertragen. Erst als ich Rikas Hände um meine spüre, sehe ich zu ihr auf. „Denk über mein Angebot nach“, raunt sie mir zu, süßlich und starr wie gefrorenes Eis. Ihr goldener Blick versagt mir zu atmen. „Worüber sprecht ihr?“ „Nichts von Belang.“ Rika lächelt mir zu, dann lässt sie mich los und enthebt ihren Bann. „Ich bin ohne Sorge, dass ihr gut aufeinander Acht geben werdet. Ich wünsche euch noch viel Spaß heute Abend, und eine sichere Fahrt.“   Luka öffnet die Tür und ich lasse mich auf den Beifahrersitz gleiten. Die Geschwister reden noch kurz, in der Zeit fällt mir ein, dass ich Ukyo Bescheid geben sollte. Ich hole mein Handy hervor und verfasse eine Nachricht, die ihn über meinen Aufbruch in Kenntnis setzt. Kaum dass ich es wieder verstaut habe, steigt Luka in den Wagen. „Schnall dich bitte an“, weist er mich an und startet den Motor. Ich komme dem nach und atme innerlich auf, als wir endlich vom Parkplatz zurücksetzen. „Du kannst die Augen ruhig schließen“, meint er, als wir das Grundstück der Ausstellung verlassen haben. „Ruh dich aus. Wenn du müde bist, schlaf ein wenig, bis wir angekommen sind. Ich wecke dich dann.“ Ich grummle widerstrebend, drehe mich aber halb auf die Seite und bette mich in den stützenden Gurt. Meine Wangen glühen vom Alkohol, und mein Kopf fühlt sich schwer an. Ein paar Minuten können nicht schaden. Ich seufze wohlig gegen duftendes Leder, im nächsten Moment trägt mich das sanfte Wiegen der Straßen davon.   Als Luka mich weckt, stehen wir längst. Ich reibe meine Augen, trocken und trüb von den Kontaktlinsen. Dankbar lasse ich mir von Luka aus dem Sitz helfen, strecke meine Glieder durch. Frierend an der frischen Abendluft lasse ich meinen Blick schweifen, bis die Erkenntnis schleichend mein Bewusstsein erreicht: „Hier wohn‘ ich nicht.“ „Ich weiß“, sagt Luka und wirft den Kofferraum zu. „Du übernachtest bei mir. Ich kann dich in deinem Zustand nicht alleine lassen. Das wäre unverantwortlich als dein Freund.“ „Wieso?“, frage ich bedröppelt. Luka ergreift meine Hand und führt mich behutsam, auf meinen wackeligen Gang Rücksicht nehmend, hinüber zum Wohnhaus. „Wenn dir bei dir zu Hause etwas zustieße, könnte ich mir das nicht verzeihen“, erklärt er beim Aufschließen der Haustür. „Ich trage schließlich Verantwortung für dich. Und es ist nicht gering meine Schuld, dass du in diesem schlechten Zustand bist.“ Da hat er nicht ganz unrecht. Gemeinsam betreten wir den Fahrstuhl, und Luka lässt mich als Erstes in die Wohnung hinein. In einer höflichen Geste hebt er mir den Mantel von den Schultern, doch für mich fühlt es sich an, als würde ich meines Schutzes beraubt. „Du kannst dich ganz wie zu Hause fühlen“, erklärt er und weist mich höflich ins Wohnzimmer. „Was immer du brauchst, sag es mir nur. Sofern ich es ermöglichen kann, soll es dir an nichts fehlen. Möchtest du etwas trinken?“ „Limo?“, sage ich. „Oder Wasser geht auch. Nur nichts … Alkoholisches mehr.“ „Das hätte ich dir ohnehin verweigert“, erwidert er streng. Etwas zerstreut bleibt er neben mir stehen, bis er hinüber zur Couch geht und einige Kissen sortiert. „Bitte entschuldige die Unordnung. Hier, setz dich her. Ruh dich ein wenig aus. Ich hole uns derweil etwas zu trinken.“ „Nur keine Umstände“, rufe ich ihm nach. Mein wabernder Blick streift durch den Raum, die vielen Kunstwerke und Fotos entlang, welche ich bereits kenne. Es scheint mir erst gestern gewesen zu sein, dass ich in diesem Raum saß. Auf exakt diesem Platz. Erst neulich als Luka mich fragte, ob ich mit ihm auf eine Ausstellung gehe. Eben jene, von der wir soeben gekommen sind. Schon seltsam … Luka kehrt wenig später zurück und reicht mir ein Glas mit Orangenlimo darin. Ich bedanke mich und weiche unnötig zurück, als er sich an meine Seite gesellt. In dem beklommenen Schweigen frage ich mich, was ich hier mache. Ich sollte jetzt zu Hause sein, bei Ukyo und … Ukyo, oh mein Gott! Er weiß noch gar nichts hiervon. Ich muss ihm Bescheid sagen, jetzt gleich! Ich hab’s ihm versprochen! Ich lege mir gerade einen Satz bereit, um mich für die Toilette davonzustehlen, als mir Luka zuvorkommt. „Danke für heute“, meint er sanft und nimmt meine Hand. „Ich kann kaum in Worte fassen, was es mir bedeutet, dass du heute bei mir warst. Und auch wenn der Abend nicht so verlaufen ist, wie ich ihn geplant hatte, so hoffe ich doch, dass du  deine Zeit genießen konntest.“ „Es war sehr interessant“, sage ich ehrlich. „Etwas seltsam zum Teil, nich‘ so ganz wie erwartet. Aber doch int‘ressant. Ich hätte dir nur nich‘ verlor‘ngehen dürf’n … Aber ich bereue auf jeden Fall nicht, mitgekommen zu sein!“ „Da bin ich erleichtert“, lächelt er. „Wie war’s bei dir?“, frage ich und sehe ihn an. „Wir haben uns ja ’ne Zeitlang nich‘ geseh’n. Hat sich etwas Gutes ergeben?“ Er lächelt durch mein Interesse ermutigt. „In der Tat. Ich hatte ein vielversprechendes Gespräch mit einem neuen Sponsor. Er ist möglicherweise an einer Zusammenarbeit interessiert. Die Details werden wir morgen besprechen, nach der Auktion.“ „Das freut mich“, sage ich. „Dann werde ich dir morgen auf jed’n Fall ganz fest die Daum‘n drücken! ‘s ist sicher nich‘ leicht, sich gegen so viel Konkurrenz durchzusetzen. Als Künstler hat man’s wirklich nich‘ leicht.“ „Das weißt du am besten“, erwidert er mild. Zärtlich streicht sein Daumen über meine Finger. „Ich kann mich glücklich schätzen. Niemand scheint mein Innerstes besser zu verstehen als du. Rika ausgenommen.“ „Ja, Rika ausgenommen“, brumme ich und sehe zur Seite. Ich verkneife mir zudem zu erwähnen, dass ich seine Meinung bezweifle. „Abwarten.“ Etwas kitzelt mein Ohr und ich fahre erschrocken herum. Es verschlägt mir den Atem, als ich Lukas Gesicht direkt vor meinem sehe. Uns trennt vielleicht eine Nasenlänge. Grüne Augen fangen mich ein, besehen mich wachsam. Ich halte die Luft an und zucke zusammen, als ich aus dem Seitenblickwinkel bemerke, wie Luka die Hand hebt. „Ich richte das Bad für dich her“, höre ich ihn leise sagen. Ich spüre, wie er sich von meiner Seite entfernt, und als ich die Augen wieder öffne – wann hatte ich sie geschlossen? – ist er nicht mehr bei mir. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Ich verstehe nicht, was da gerade passiert ist. Was wäre als Nächstes gekommen, wenn Luka nicht … Nein, so etwas will ich nicht denken! Vehement schüttle ich den Kopf. Meine Wangen glühen unter meinen zitternden Händen. Das muss der Alkohol sein. Ja, genau! Das ist die Erklärung für alles. Warum sonst sollte ich zulassen, dass ich jetzt hier bin? In Lukas Wohnung. Im Begriff, bei ihm zu übernachten. Nichts hat sich an meinem Standpunkt geändert. Da fällt mir wieder ein, was ich eigentlich vorhatte. Jetzt bietet sich mir die Gelegenheit! Wo war mein Handy noch gleich? … Richtig, in meiner Tasche, im Flur. Bei der Gelegenheit könnte ich mich auch gleich meiner Stiefel entledigen. Wieso hat Luka mich nicht längst darauf hingewiesen? Ich verhalte mich unhöflich, in allen Punkten einfach unmöglich.   „Das Bad wäre dann fertig. Ich habe dir ein sauberes Handtuch bereitgelegt und wenn du kurz mitkommst, erkläre ich dir … Wo bist du?“ „Komme“, rufe ich und eile zu ihm. Luka besieht mich verwirrt, erst fragend, dann sichtlich verdutzt. „Was ist?“, hake ich nach. „Du bist … so klein.“ „Hey!“, empöre ich mich und plustere die Backen. „Ich bin nich‘ klein, ich bin normalgroß! Und ich bin auch nich‘ geschrumpft, ich trag‘ nur keine Schuhe mehr.“ „Ach, stimmt ja“, erkennt er und lacht. „Tut mir leid, die letzten Stunden haben wohl einen falschen Eindruck auf mich hinterlassen. Aber wenn ich es sagen darf, du gefällst mir so besser.“ Luka macht einen Schritt auf mich zu, fasst meine Hüften und zieht mich zu sich heran. Ich spüre sein Gesicht an meinem Schopf. „Viel Besser“, flüstert er in mein Haar. Im ersten Reflex will ich mich wehren, mich mit ganzer Kraft gegen ihn stemmen. Aber etwas an Luka hält mich zurück. Ich schließe die Augen und atme tief ein. Zwinge mich, ruhiger zu werden. Und da wird es mir klar: Es ist sein Duft. Nachklänge des Abends haften an Luka, einem Gemisch aus Parfum, Champagner und Rauch. Nie wieder werde ich diese Kombination mit etwas anderem verbinden als diesem Abend, den wir gemeinsam auf der Ausstellung verbracht haben. Trotz aller Unannehmlichkeiten wünsche ich mir, mich immer daran zu erinnern. Selbst dann noch, wenn ich eines Tages in meine Welt zurückgekehrt sein mag. Ich strecke meine Nase diesen Gerüchen entgegen, folge der Fährte auf warmer Haut. Ich suche auf ihr nach etwas Bekanntem, einer bestimmten Note gezeichnet von Opium und Farbe. Es ist ein Duft, den ich ganz unverkennbar Luka zuordne. Einer, der nur zu ihm gehören kann. Und der mir, irgendwann und irgendwie, doch sehr vertraut geworden ist. Dieser Gedanke rüttelt mich auf, und Panik steigt in mir hoch. Ich presse die Hände nach vorn und erringe mir Abstand. „Ich … sollte ins Bad“, stammle ich, ohne ihn anzusehen. Auf einmal fühle ich mich schrecklich befangen. Luka wirkt irritiert, doch er sieht davon ab, mir unangenehme Fragen zu stellen. Stattdessen führt er mich ins Badezimmer, wo er mir alles zeigt und erklärt. Ich folge dem brav, ohne richtig zuzuhören. „Ich habe dir etwas zum Anziehen herausgesucht“, fügt er seinen Unterweisungen an, was mich aufhorchen lässt. „Es sollte dir passen. Wenn du sonst etwas brauchst, ruf nach mir.“ „Was ist mit meinen Klamotten?“ „Ich ging nicht davon aus, dass du an etwas gedacht hast, das sich zum Übernachten eignet“, erklärt er. „Dass du über Nacht bleibst, war so nicht geplant. Selbst ich habe damit nicht gerechnet. Es ist eine unerwartete Fügung. Aber solltest du doch, das würde bedeuten …“ Luka besieht mich aus leuchtenden Augen. In meine Wangen schleicht sich ein Kribbeln. Ich weiche ihm aus und drehe das Gesicht zur Seite. Natürlich hatte ich eine solche Entwicklung nicht in Erwägung gezogen, wie könnte ich auch? Ich will etwas sagen, doch bringe kein Wort heraus. Luka lächelt versöhnlich, bevor er das Zimmer verlässt. Er legt mir ans Herz, dass ich mir Zeit nehmen kann. Schon bleibe ich allein zurück.  Verloren stehe ich da, unschlüssig, was ich tun soll. Der Gedanke, mich jetzt zu entkleiden, mich in Lukas Wohnung zu duschen … Aber habe ich groß eine Wahl? Luka wird seine Meinung nicht ändern, und ich will mich nicht stinkend in fremde Betten begeben. Seufzend ergebe ich mich meinem Schicksal und beginne, mich aus den Stoffen zu schälen. – Bis ich vor einer Herausforderung stehe. „Ähm … Luka?“, rufe ich schüchtern, halb aus dem Türrahmen gelehnt. Mein Gesicht glüht gleichermaßen vor Wut und Scham. „Ich … brauch‘ deine Hilfe. Ich krieg‘ dieses verdammte Kleid nicht auf.“ Es dauert nicht lang, da sehe ich Luka aus dem Wohnzimmer eilen. Seinem fragenden Blick weiche ich aus, indem ich mich kommentarlos herumdrehe. Es genügt, damit Luka meine Misslage erkennt. „Halt kurz still“, schmunzelt er sanft, und ich will am liebsten im Boden versinken. Nur einen Atemzug später spüre ich, wie das Korsett seine Beengung verliert. Schließlich löst sich das straffe Gefühl um meinen Bauch und ich wage, zum ersten Mal seit unzähligen Stunden, frei durchzuatmen. „Danke“, seufze ich und drehe mich zu Luka herum. Ich halte an meinem Kleid, das locker auf meinen Schultern liegt. „Keine Ursache.“ Luka sieht mir nicht ins Gesicht. Er wirkt irgendwie nachdenklich auf mich, doch wieso? „Ich … gehe dann mal“, sage ich gepresst, als ich endlich verstehe. Noch einmal bedanke ich mich, schon flüchte ich mich ins Bad. Von drinnen lehne ich gegen die Tür und zwinge mich, mich zu beruhigen. In meinem Kopf drehen sich die Gedanken. Was ist nur mit mir los? Seit wann reagiere ich derart auf Luka? Das ist doch absurd. Ich kann das auf keinen Fall zulassen! Ich werfe einen flüchtigen Blick in den Spiegel. Dann beginne ich, mich zu entkleiden. Ich fühle mich mir auf einmal so fremd.   Nach meiner Dusche fühle ich mich ein klein wenig klarer. Ich habe mich meines Restalkohols zudem entledigt, was zwar nicht schön, dafür umso notwendiger war. Im Großen und Ganzen kann man das als einen Fortschritt verbuchen? „Luka, wo sind meine Sachen? Ich brauch‘ meine Brille. Ich kann schlecht mit Kontaktlinsen schlafen“, rufe ich in den Flur. Auf nackten Füßen tapse ich hinüber ins Wohnzimmer, wo ich Luka vermute. Meine Hände liegen am Saum des weißen Hemdes, das er mir geliehen hat. Es reicht mir bis knapp über den Hintern. Ich werde aufpassen müssen, nicht meine Rückseite zu zeigen, von Sitzen oder Bücken ganz zu schweigen. Von Behaglichkeit kann wahrlich keine Rede sein. „Ich habe deine Tasche ins Schlafzimmer gestellt“, ruft er zurück. „Sekunde, ich hole sie dir.“ Im Durchgang zum Wohnzimmer laufen wir uns entgegen. Luka kommt vor mir zum Stehen, betrachtet mich eingehend. „Das … ist wirklich bezaubernd.“ Anzweifelnd hebe ich eine Braue. „Was bitte ist daran bezaubernd?“ „Dieser Anblick ist wirklich sehr … inspirierend. Wahrhaft, jetzt siehst du aus wie meine Freundin.“ Ich weiß nicht, was das bedeuten soll, frage aber auch nicht. Ich will es vermutlich nicht wissen. Dennoch ist es mir peinlich, und ich weiche seiner Musterung aus. Luka räuspert sich verlegen. „Also … ach ja, deine Tasche. Ich hole sie dir. Oder willst du mitkommen? Nein, ich hole sie dir. Sag mir, was du brauchst.“ „Meine Brille. Und mein Döschen für die Kontaktlinsen. Ach, und meine Bürste. Warte, lass mich einfach mitkommen. Das geht schneller.“ Außerdem ist mir der Gedanke unangenehm, dass er in meinen Sachen wühlt. Gemeinsam gehen wir ins Schlafzimmer und ich raufe meine Sachen zusammen. Ich vermeide, einen Blick auf das Bett zu werfen, in dem ich vermutlich schlafen werde. Allein der Gedanke bringt meinen Herzschlag ins Stolpern. Zurück im Badezimmer tausche ich meine Kontaktlinsen aus. Endlich erkenne ich mich wieder im Spiegel, und vermisse gleichzeitig das perfekte Trugbild, das Rika mit ein wenig Make-up geschaffen hatte. Geistesabwesend bürste ich mein Haar, noch feucht von der Wäsche. Ich streiche es durch, wieder und wieder, und frage mich bei jedem Mal, was ich hier nur mache. „Sag mal“, stehe ich wenig später wieder vor Luka. In der etwas beengten, dafür hell erleuchteten Küche bereitet er Tee zum Ausklang des Abends. „Hast du nicht noch etwas anderes zum Anziehen da? Eine Hose, zum Beispiel? Das Hemd ist doch etwas … kurz.“ Luka hält für einen Moment inne, dreht sich mir zu und mustert mich im Gesamten. „Hm, sicher“, meint er, eine Hand nachdenklich an seinem Kinn. „Aber ich bezweifle, dass dir eine davon passt.“ „Ach, komm schon“, flehe ich. „Du wirst doch wohl irgendwas dahaben? Eine Jogginghose vielleicht? Oder irgendwas anderes, in dem man bequem schlafen kann? Ich weiß nicht, wie man diese schlabberigen Dinger nennt.“ Luka besieht mich anzweifelnd. „Tut mir leid.“ „Ach, komm schon!“, werde ich quengelig. „Du musst doch irgendetwas im Schrank haben! Rennst du etwa immer in strengen Hosen herum? Wie steht es um ’nen Pyjama? Oder wenigstens einen langen Pullover? Irgendetwas in dieser Art?“ Er schüttelt entschuldigend den Kopf und ich seufze entkräftet. „In was schläfst du überhaupt?“, entkommt es mir. Schlagartig schießen mir allerlei Vorstellungen in den Kopf. „Es ist süß, wie du dich genierst“, meint er und zieht mich an sich. Ich spüre, wie er einen Kuss auf meine Haare platziert. „Aber das brauchst du nicht. Ich verspreche, ich werde nichts tun. Ich versuche nichts, worum du mich nicht bittest.“ Er bietet mir dennoch an, etwas zu suchen, das ich mir überwerfen oder umbinden kann. Dankend nehme ich die Tasse Tee entgegen, die er mir reicht. Er duftet herrlich nach Zitrone und Kräutern. „Was kann ich noch tun, damit du dich wohler um mich herum fühlst?“ Gemeinsam lümmeln wir uns auf die runde Couch im Wohnbereich. Luka reicht mir eine Decke, die ich mir um den ganzen Körper wickle. Sie fühlt sich angenehm weich an. Der Tee wärmt meine ausgekühlten Hände. „Erzähl mir irgendwas“, sage ich und puste gegen den Rand meiner Tasse. Luka lacht neben mir. „Irgendwas? Ich wüsste nicht, was dich nicht langweilt.“ „Dann erzähl mir etwas aus deiner Kindheit.“ Lukas Ausdruck wird finster. „Da gibt es nichts zu erzählen. Nichts, das erfreulich wäre in irgendeinem Belang.“ Ach, stimmt. Da war ja was … Still nenne ich mich einen Trampel und beiße mir auf die Lippe. „Ist okay. Dann … erzähl mir, wie du zur Kunst kamst. Wann hat das angefangen? Was hat dich dazu gebracht, dass du Maler wurdest?“ Dieses Thema scheint Luka eher zu behagen. Anfangs noch zögerlich beginnt er zu erzählen. Er berichtet von anfänglichen Freuden, seinen jüngsten Erfolgen, und wie das Malen mehr und mehr Teil von ihm wurde. Ein sehr wichtiger, untrennbarer Teil seines Lebens. Ähnlich wie bei mir das Schreiben. Ich höre ihm zu und trinke an meinem Tee, der seine beruhigende Wirkung auf mich verübt.   Irgendwann bin ich weggenickt. Ich merke es erst, als ein sanftes Ruckeln an meiner Schulter mich weckt. „Hey“, säuselt Lukas Stimme an meinem Ohr. „Wollen wir nicht langsam zu Bett? Es ist schon spät. Du bist vollkommen erschöpft.“ Schwerfällig weiche ich von Lukas Seite, setze mich auf und blinzle gegen das Licht. Ich gähne und reibe meine Augen, die müde und schwer sind. Mir ist plötzlich so kalt. Wieso hatte ich nicht einfach weiterschlafen können? Gemütlich und warm an Luka gekuschelt … „Na komm“, meint Luka zärtlich, richtet sich auf und reicht mir die Hand. Blind taste ich nach meiner Brille, die nicht mehr sitzt, wo sie eigentlich sollte. Erst als ich sie habe, lasse ich mir aufhelfen und erlaube, dass Luka mir die flauschige Decke um meine Schultern legt. An der Hand führt er mich ins Nebenzimmer, direkt an das Bett heran. Ohne sein Zutun lasse ich mich fallen, mir die Kuscheldecke entfernen und durch eine schwerere Zudecke ersetzen. Zufrieden seufzend grabe ich mich in die Kissen hinein. Ich bin so müde, dass ich nur noch schlafen will. „Falls du in der Nacht irgendetwas brauchst, ich bin direkt nebenan“, flüstert Luka über mir sanft. „Ich lasse die Tür einen Spalt offen. Ruf nach mir, wenn etwas ist. Egal, was es ist. In Ordnung?“ „Mhh“, murmle ich schläfrig. Entfernt spüre ich, wie jemand zart über mein Haar streicht. „Schlaf gut, schöner Engel.“ Luka wartet noch einen Moment, erst dann höre ich, wie seine Schritte sich leise entfernen. Es wird still. Ich wechsle die Seite und lausche noch einige Zeit, bis ich eingeschlafen bin. Es ist ein tiefer, ruhiger Schlaf. Und ich beginne, zu träumen …   In meinem Traum befinden sich Luka und ich noch auf der Ausstellung. Nein, keine Ausstellung. Eine Gala? Ein Ball? Alles um uns herum wirkt wesentlich edler. Rote, schwere Vorhänge vor hohen Fenstern, vom Boden bis zur Decke reichend. Große, schlichte Gemälde an tapezierten Wänden. Kronleuchter, die über uns schweben. Die ihre diffusen Lichter tanzend über uns werfen, sie über das weite Parkett verteilen. Niemand tanzt hier außer uns. Wir sind die Letzten, die geblieben sind. Dicht beieinander, Schritt bei Schritt, wiegen wir uns zum seichten Takt der Musik. Ein Streichquartett von irgendwoher. Die Arme umeinander gelegt, den Blick ineinander verschränkt. Wir schweben dahin, verlieren kein Wort. Zeit hat keine Bedeutung für uns. Plötzlich hält Luka an, unterbricht unsere Balz. Sein Halt um meine Hand wird fester, die andere um meine Hüfte bestimmt. „Ich liebe dich“, haucht er erregt und zieht mich an sich heran. Zieht mich in einen Kuss, der mir den Atem raubt. Mir wird ganz schwindelig von dem, wie die Welt sich um uns dreht. „Lass uns gehen“, flüstert er an meine Lippen, seine Worte ein süßes Versprechen. Ich lasse mich von ihm von der Tanzfläche führen, in einen Raum, der ganz verdunkelt ist. Durch ein offenes Fenster spielt warmer Wind mit dünnen, durchscheinenden Gardinen. Luka wirft die Tür hinter uns zu, drängt mich tiefer ins Zimmer hinein. Hungrige Küsse fallen über mich her, nehmen mich ganz in Beschlag. Ich ersehne seine Lippen wie ein Dürstender den Regen. Im Rausch unserer Leidenschaft gehen die Kleider zu Boden. Nackte Leiber liebkosen einander, heizen sich auf. Sinken auf weiches Polster. Auf einmal wird mir bewusst, was ich hier tue. Doch ich bin nicht imstande, es zu beenden. Es fühlt sich zu gut an, und ist doch so falsch. Verzweifelt klammere ich an Luka, flüstere seinen Namen mit bebender Stimme. Ich wünsche, mich an seiner Schulter für immer zu verstecken. „Ich bin ja da“, flüstert er leise, doch diese Stimme ist nicht länger die seine. Verwirrt dränge ich mich zurück und halte den Mann vor mir, dessen blaue Augen so gar nicht die von Luka sind. Weißsilbernes Haar fällt um das wohl schönste Gesicht, das ich kenne. Ikkis sanftes Lächeln fängt mich ein, seine Hand fährt zärtlich und warm über meine tränenbenetzte Wange. Ich vergrabe mich in sie hinein. Ich weine, ohne zu wissen, warum. Ikki beugt sich über mich, hält mein Gesicht zwischen den Händen und küsst mich sanft. Jede seiner Berührungen vermag mich ein Stück mehr zu trösten. Ich spüre, wie ich allmählich ruhiger werde. Als ich ihm das nächste Mal begegne, ist sein Blick voll Verständnis und Liebe. Ich weiß, dass es keinen Grund für Zweifel gibt. Ich gebe mich seinem nächsten Kuss ganz hin, genieße die leisen Funken in mir, die er zu einem Feuer entfacht. Ich fühle die aufsteigende Hitze in mir, mein Herz erwartungsvoll rasen. Ikki löst sich von mir, entfernt sich nicht weit. Gespannt verfolge ich, wie er sich über mir positioniert. „Bereit?“, lächelt er mir auffordernd entgegen. Seine Nase in Berührung mit meiner. Ich lächle zurück. Kurz frage ich mich, ob es die Kraft seiner Augen ist, die mich keine Gegenwehr verspüren lässt? Oder bin tatsächlich ich es, die diesem Verlangen unterliegt? Die diesen Mann begehrt, ganz und gar. In dem vollen Bewusstsein, dass es nicht recht ist? Magie ja oder nein, Vernunft hin oder her. Das alles spielt jetzt keine Rolle mehr. Ich umschließe seinen Nacken und lasse es geschehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)