Last Desire: After Story I von Sky- (Long Lost Fellow) ================================================================================ Prolog: Vorbereitung -------------------- Es war kalt und windig und die Nacht wirkte finsterer denn je. Obwohl es fast Sommer war, fühlte es sich an, als würde Winter herrschen. Womöglich lag es daran, weil er auf dem Dach des Wolkenkratzers Position bezogen hatte, um seine Zielperson besser ausfindig zu machen. Fernab von all den anderen störenden Faktoren, die ihn bei seiner Suche nur behinderten und ihn durcheinanderbringen würden. Weit ab von all den Menschen auf den Straßen. Wichtig war, dass er sich jetzt konzentrierte und darauf achtete, nur nicht seinen roten Faden zu verlieren. Er wickelte sich den Schal fester um, als ihm langsam kühl wurde. Dieser Schal war sein wichtigstes Eigentum neben der silbernen Taschenuhr, welche ihn so lange Zeit am Leben erhalten hatte. Sie hatte ihm den eher ironisch anwirkenden und für ihn auch sehr irritierenden Titel „Pocket Watch Killer“ eingebracht. Dabei tötete er eigentlich so gut wie nie, allerhöchstens dann, wenn die Notwendigkeit bestand. Zwar war er nicht gerade ein Pazifist, aber er sah keine Notwendigkeit im Töten. Er gehörte zu den diplomatischen Zeitgenossen, die für gewöhnlich erst versuchten, die Sache friedlich zu klären, bevor Blut vergossen wurde. Er hasste es nämlich, wenn seine Kleidung und seine Hände nach Blut stanken und dreckig wurden. Blut war etwas, das er überhaupt nicht leiden konnte und deshalb vermied er es auch, unnötig Blut zu vergießen. Außerdem hasste er es, sich nachher den ganzen Ärger anzutun, wenn sich hinterher herausstellen sollte, dass seine Liste veraltet war und seine Zielperson eigentlich nicht mehr gejagt werden durfte. So etwas konnte auch schnell passieren. So hatte erst letztens dieser Psychopath Akrav doch tatsächlich Jagd auf Nabi den Propheten gemacht und direkt eine Abreibung von Samajim dem Alten kassiert. Geschieht ihm auch Recht, dachte er sich nur, als er sich zurückerinnerte. Akrav ist eh ein Vollidiot und ein Sadist obendrein. Ist mir ein Rätsel, dass sie ihn nicht auch schon verurteilt haben. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Spätestens, wenn der Rest der großen Alten verurteilt worden ist. Eine Vibration ging durch seine Jackentasche und kurz darauf begann sein Handy noch zusätzlich zu klingeln. Es war Thomas, sein bester Freund und gelegentlicher Teamkollege. „Was gibt’s?“ „Ich habe den Klienten auf deiner Liste ausfindig gemacht. Er wohnt in einer vornehmen und sehr weitläufigen Villa an der Upper West Side. Bei ihm im Haus leben insgesamt zwei weitere Sefirot, drei Seraphim und ein Mensch.“ „Ein Mensch?“ fragte Sereas und runzelte verwundert die Stirn. Das passte doch gar nicht zu seiner Zielperson, dass diese sich tatsächlich mit einem Menschen abgab. Nicht nach dem, was er alles gehört hatte. Thomas bestätigte und erklärte „Eine Japanerin mit dem Namen Gishi Rikigaku. Sie scheint als Automechanikerin dort zu arbeiten und den Fuhrpark auf Vordermann zu halten. Die Namen der anderen Bewohner sind Asmodeus, Kazab, Mammon und Jeremiel Lawliet.“ Bei dem letzten Namen war Sereas erst recht verwundert, denn für gewöhnlich hatten die Sefirot und die Seraphim keine so menschlichen Namen. Höchstens die Nephilim, wenn sie in der Menschenwelt aufwuchsen. „Kannst du mir Infos über den letzten Namen geben?“ „Jeremiel Lawliet, 26 Jahre alt und ursprünglich ein Mensch. Er war Teil des Projekts AIN SOPH und hat sich für das Leben als Sefira entschieden. Er ist mit deiner Zielperson zusammen.“ Na Sachen gibt’s, dachte Sereas und zündete sich eine Zigarette an. Dann hat dieses mordende Monster also tatsächlich so etwas wie Gefühle entdeckt. Na, Auftrag war Auftrag und er hatte später noch genug Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. Jetzt war es erst einmal wichtig, dass er sich auf seinen Einsatz vorbereitete und seine Kräfte sammelte. Aber bei den Informationen, die er gesammelt hatte, stellte es eigentlich kein Problem dar, wenn er zuschlagen würde. „Danke für die Hilfe, Tom. Ich glaube, den Rest schaffe ich allein.“ „Ich glaube, ich habe schon oft genug erwähnt, dass ich es nicht mag, wenn du mich so nennst.“ Kalt wie ein Eisblock, dachte Sereas sich und blies einen Rauchkringel aus. Schon damals war der gute Thomas genauso gefühlvoll gewesen wie eine Raufasertapete. Aber während des zweiten Weltkrieges hatten eben schwierige Zeiten geherrscht. Und dann hatte der Ärmste auch noch jahrelang nach seiner Verlobten gesucht. Sereas hatte ihn während eines Einsatzes zufällig kennen gelernt, als er einen flüchtigen Seraph verfolgt hatte und dabei war er an Thomas geraten, einen Naphil, der seit knapp 100 Jahren unerkannt in Deutschland gelebt hatte. Als Nephilim wurden schlichtweg die Nachkommen von Sefirot und Seraphim bezeichnet, die mit vergänglichen Wesen wie zum Beispiel Menschen Nachkommen zeugten. Diese hatten einen ziemlich geringen Stellenwert in der Welt der Unvergänglichen, weil sie zwar über ein gewisses Maß an Kräften verfügten, allerdings besaßen sie keine unvergängliche Seele und konnten auch nicht ihre Seele in andere Körper transferieren. Sie waren Vergängliche mit recht schwachen Kräften und mehr nicht. Eine Zeit lang waren diese Nephilim verfolgt worden, weil es insbesondere die großen Alten als Schande ansahen, dass es solche Mischlingswesen gab. Aber da es ohnehin kaum welche gab und sie versteckt lebten, war es selbst für die Head Hunter manchmal schwer, sie aufzuspüren. Inzwischen waren diese Verfolgungen gestoppt worden, nachdem Ain Soph und Elohim die Herrschaft übernommen hatten. Thomas war ebenfalls ein Halbblut und auf der Suche nach seiner entführten Verlobten Hannah gewesen, die in die Fänge der Nazis geraten war. Da Sereas sowieso in der Gegend zu tun hatte, war er natürlich behilflich gewesen und hatte Hannah befreit. Seitdem half Thomas ihm, indem er als freiberuflicher Head Hunter arbeitete und Sereas bei seinen Aufträgen unterstützte. Inzwischen lebten Thomas und Hannah, die bereits geheiratet hatten, in Amerika, nachdem sie bei der Teilung Deutschlands aus dem Osten geflohen waren. Zwar hielt sich Sereas meist außerhalb der Menschenwelt auf, da nicht sonderlich viele Sefirot oder Seraphim in dieser Welt lebten, aber wenn er mal wieder da war, dann griff er gerne auf Thomas’ Hilfe zurück. Und auch wenn Sereas eher ein Einzelgänger war, besuchte er seine beiden Freunde gerne mal. Immerhin hatten er und Thomas während der Deutschlandmission so einiges erlebt und auch wenn Thomas nicht sonderlich gesprächig war und auch schnell dazu neigte, sich wie ein eiskalter Mistkerl aufzuführen, dem alles egal war, so wusste Sereas, dass hinter der rauen Schale ein weicher Kern stecken konnte. Zumindest manchmal… „Pass gut auf“, hörte er Thomas nach einer Weile sagen, nachdem dieser sein Schweigen gebrochen hatte. „Es sind sehr starke Gegner und insbesondere Asmodeus ist als die Schlange im Paradies bekannt. Seine Angriffe sind immer blitzschnell und folgen aus dem Hinterhalt. Kazab hingegen, bekannt als der Lügner im Schatten konzentriert sich auf Täuschungsmanöver und zusammen sind sie als tödliches Duo bekannt. Mammon selbst ist kein sonderlich guter Kämpfer, aber er wird auch die unüberwindbare Mauer genannt. An ihm kommt man nicht so schnell vorbei. Über Jeremiels Fähigkeiten ist nicht sehr viel bekannt. Im Nahkampf ist er eher durchschnittlich bis unterdurchschnittlich, aber er war bereits als Mensch ein exzellenter Schütze und benutzt vorzugsweise eine Smith & Wesson, Kaliber 9mm. Er trifft auf bis zu 100m zielgenau. Ach ja, was ich vergessen habe zu sagen: zeitweilig lebt jemand bei ihm, allerdings scheint sie gerade nicht da zu sein.“ „Kannst du dich genauer ausdrücken?“ „Eva.“ Ein eiskalter Schauer durchfuhr Sereas’ Körper, als er das hörte und für einen Moment wurde ihm schwindelig. Eva… wie lange schon hatte er diesen Namen nicht mehr gehört? 600 Jahre? Wer hätte gedacht, dass das Schicksal es so gut mit ihm meinte. Nun würde er endlich seine Antwort bekommen. Die Antwort auf die Frage, warum sie ihm damals einfach angetan hatte. „Bist du sicher, dass es die Eva ist, nach der ich suche?“ „Ja. Ihre Aura stimmt definitiv überein mit der, die du mir vermittelt hast. Äußerlich passt sie auch auf die Beschreibung der Sefirot, die ich ausgefragt habe.“ „Äußerlichkeiten sind unwichtig. Sie kann auch ihr Aussehen geändert haben. Aber trotzdem Danke für die Information. Ich werde sehen, dass ich das schnell geklärt bekomme und vielleicht habe ich ja nach 600 Jahren endlich mal Glück und erwische sie. Grüß deine Frau und deine Tochter von mir. Ich melde mich, wenn es etwas Neues gibt.“ Damit beendete Sereas das Telefonat und erhob sich. Na das passte doch perfekt. So konnte er seinen Auftrag ausführen und würde dann auch endlich mal die Gelegenheit haben, Eva wiederzusehen und sie vor allem wegen damals zur Rede zu stellen und von ihr die Antwort bekommen, nach welcher er so lange gesucht hatte. Wenn es nach ihm gegangen wäre, dann würde er sofort losgehen und nach ihr suchen, aber er war auch jemand, der sich seiner Pflichten durchaus bewusst war. Und aus diesem Grund würde er erst seinen Auftrag zu Ende bringen und Araphel einfangen und ausliefern, bevor er sich Eva widmete. Es würde ein einfacher Job werden, wenn er an seine eigenen Stärken und Schwächen dachte. Immerhin hatte er schon genug Sefirot dingfest gemacht, von denen gesagt wurde, dass sie unmöglich zu besiegen seien. Und wie oft hatte er ihnen schon das Gegenteil bewiesen? Für ihn war kein Sefirot ein zu schwerer Gegner, selbst die großen Alten nicht. Nur mit denen hatte er sich niemals angelegt und sich extra schwächer gegeben, weil es lebensgefährlich gewesen wäre. Wenn die erfahren hätten, wie gefährlich er, der von den meisten „Sereas der Jäger“ oder auch „Sereas der Ernste“ genannt wurde, wirklich war, dann hätten sie ihn sofort getötet. Denn die großen Alten duldeten niemanden, der stark genug war, dass er eine ernste Gefahr für sie darstellen könnte. So sah die Realität eben aus. Aber nun, da die Zeit der Terrorherrschaft beendet war, musste er sich nicht mehr zurückhalten und er wusste genau, mit wem er es aufnehmen konnte und mit wem nicht. Und die Einzigen, die wirklich ernstzunehmende Gegner waren, das waren Samajim der Alte, Nazir der Beobachter und Elohim der Große. Gegen Ain Soph und Ajin hatte selbst er nicht die geringste Chance, das wusste er jetzt schon. Zwar hatte noch nie jemand Ain Soph kämpfen sehen, außer vielleicht Elohim und Ajin Gamur selbst, aber dennoch wusste jeder, dass sie über dieselbe grenzenlose Macht und Stärke verfügte wie Ajin Gamur. Und wer sich mit ihr anlegte, dem würde Ajin der Endgültige das Fell über die Ohren ziehen. Und Sereas hing schon an seinem Leben und solange er keinen entsprechenden Auftrag hatte, würde er sich auch nicht wirklich mit den Entitäten anlegen. Und auch selbst wenn, würde er es nicht machen. Zum einen, weil er sich nie auf einen Auftrag einließ, von dem er von vornherein wusste, dass die Durchführung unmöglich war und außerdem waren ihm die Entitäten deutlich lieber als die großen Alten. Denn sie respektierten die anderen. Ganz gleich, ob sie Nephilim, Seraphim oder Sefirot waren… oder Vergängliche. Sereas hatte ihnen seine Loyalität geschworen und er würde sie halten. Schließlich erhob er sich und verließ das Dach. Für heute Nacht würde er in einem Hotel Quartier beziehen und seine Kräfte sammeln. Morgen würde noch ein anstrengender Tag werden und wenn er gegen Araphel den Schlächter kämpfen wollte, dann musste er gut vorbereitet und ausgeruht sein. Kapitel 1: Familienzusammenführung ---------------------------------- „Mensch L, hör auf so ein Gesicht zu ziehen. Hey, dein Bruder hat sich immerhin verlobt und du siehst aus, als würdest du zu einer Beerdigung gehen.“ „Ach lass ihn doch schmollen, Beyond. L mag Liam nun mal nicht und daran wird sich wohl auch so schnell nichts ändern.“ Der Serienmörder gab dem mehr als missmutig gestimmten Detektiv einen kleinen Seitenstoß und schüttelte den Kopf. Warum nur musste dieser Idiot auch so stur bleiben? Und dabei hatte alles so stark danach ausgesehen, als ob er endlich Jeremiels Beziehung zu Liam akzeptieren würde. Aber Pustekuchen! Und schuld daran war nur der blöde Zufall. Nachdem der Fall um das Projekt AIN SOPH gelöst war, wollten sich einige unter ihnen endlich in ihren wohl verdienten Urlaub begeben und sich von dem ganzen Stress erholen. Insbesondere L und Beyond, deren Beziehung wohl am allermeisten gelitten hatte. Deshalb waren sie auch nach Japan zu einem Kurort gereist, wo es heiße Quellen gab und sie sich endlich mal entspannen und diese ganze Geschichte vergessen konnten. Sie wollten dann in einer der Quellen ein Bad nehmen und was mussten sie da sehen? Jeremiel und Liam in einer mehr als eindeutigen Situation. Für L, den allein schon der Anblick seiner nackten Mutter mit Dathan im Bett schon genug geschockt hatte, war ein Alptraum wahr geworden. Sein Bruder, den er immer noch ein Stück weit beschützen wollte und dann Liam. Ein zwei Meter großer, finster drein blickender Kerl, der verdammt gut durchtrainiert war und der sich über den in L’s Augen völlig wehrlosen Jeremiel hermachte. Natürlich war es auch Jeremiel mehr als peinlich gewesen, von seinem Bruder so gesehen zu werden und hatte auch Liam eine kurze Standpauke gehalten. Aber für L war es die schlimmste Katastrophe gewesen und er war wieder zu seinem Entschluss zurückgekehrt, seinen Bruder aus den Fängen dieses gefährlichen (wie verdammt gut gebauten) Mafiabosses zu befreien und ihn zu retten. Aber das hatte Beyond nicht zugelassen und so hatten sie sich erst mal ein anderes Hotel gesucht. Dummerweise hatte es L aber auch nicht davon abgehalten, seinem Bruder hinterherzuspionieren und sich seinem Verfolgungswahn hinzugeben, dass Liam ihn noch ins Verderben stürzen würde. Und als sich die beiden auch noch verlobt hatten, war das für L fast noch schlimmer gewesen, als der Anblick der beiden im Wasser. Diese Bilder hatte er selbst nach drei Monaten nicht mehr aus dem Kopf gekriegt. Beyond und Frederica versuchten ihn auf andere Gedanken zu bringen, während sie zusammen mit Andrew und Oliver im Wagen fuhren. Die beiden sahen das Ganze sowieso viel entspannter und amüsierten sich auch teilweise ein klein wenig über L’s Problem. Sie beide waren inzwischen stolze Väter geworden, nachdem ihre Tochter Charity etwas verfrüht zur Welt gekommen war. Als Rumiko einen Unfall hatte, hatten die Wehen bereits zwei Monate früher eingesetzt und sie wurde daraufhin ins Krankenhaus eingeliefert. Charitys Zustand war instabil gewesen und teilweise hatten sie alle um das Leben des kleinen Frühchens gebangt. Sogar Oliver, der für gewöhnlich immer locker blieb und den nichts so leicht aus der Ruhe brachte, verbrachte die meiste Zeit im Krankenhaus und auch Andrew war völlig fertig mit den Nerven. Selten hatte man den gebürtigen Iren so nervös und niedergeschlagen gesehen und er musste sogar von seinen Schützlingen, den Hospizkindern, aufgemuntert werden. Diese hatten gemeinsam das Krankenhaus besucht und auch Nastasja hatte um das Wohl der Kleinen gebetet. Schließlich aber konnte Eva den kritischen Zustand des kleinen Frühchens stabilisieren und inzwischen ging es der kleinen Charity deutlich besser. Momentan blieb sie noch im Krankenhaus, da sie als Frühchen dort am allerbesten aufgehoben war und Oliver und Andrew hatten sie so oft besucht, wie es nur ging. Inzwischen war die Kleine soweit wieder aufgepäppelt, hatte aber zwischenzeitlich hohes Fieber bekommen und erneut stand ihr Leben auf der Kippe. Doch dank Fredericas und Evas Hilfe konnte die Kleine wieder genesen und war inzwischen putzmunter. Es würde nicht mehr lange dauern, bis sie ihren kleinen Engel aus dem Krankenhaus holen konnten. Rumiko hatte es bei dem Unfall schlimm erwischt, als sie in eine Massenkarambolage geraten war. Sie hatte Verletzungen an der Halswirbel, einen komplizierten Beinbruch und ein Schädelhirntrauma davongetragen. Es war ein reines Wunder gewesen, dass die kleine Charity trotz des Unfalls überleben konnte. Liam hatte dafür gesorgt, dass sie zu ihm verlegt wurde und dank der Zurücksetzung war sie wieder topfit. Allerdings hatte sie sich vor zwei Tagen mit der Grippe angesteckt und lag krank im Bett, weshalb sie nicht kommen konnte. Jamie blieb bei ihr, denn einer musste ja auf die Kinder aufpassen. Die letzten Monate waren trotz nach dem Ende des Projekts AIN SOPH ganz schön ereignisreich gewesen, trotz der Abwesenheit von L, Beyond, Jeremiel und Liam. Dathan war endgültig nach Amerika ausgewandert, um bei Nastasja zu leben und arbeitete inzwischen in der Bibliothek der Harvard Universität. Elion konzentrierte sich auf sein Studium und verbrachte auch viel Zeit mit seinem Großvater Watari, der inzwischen auch in Nastasjas Haus lebte, oder aber er traf sich mit Andrew, mit dem er schon vor zwölf Jahren sehr gut befreundet war. Sheol war immer noch derselbe Kindskopf und war inzwischen mit der Nachbarstochter Sariel Ashenberg zusammen. Frederica war während der Zeit, wo L und Beyond im Ausland waren, bei Rumiko und Jamie untergekommen und half ihnen mit den Zwillingen. Zu Eva hatte sie besonders viel Kontakt und die beiden waren schon fast wie Mutter und Tochter. Nun ja, man musste ja auch bedenken, dass Eva Frederica erschaffen hatte. Da herrschte eben eine besondere Bindung zwischen den beiden. Nastasja selbst ging wie immer ihrer Arbeit als Dozentin an der Universität nach und regte sich über die Dummheit ihrer Studenten auf. Aber auch bei ihr war es nur eine Frage der Zeit, bis sie und Dathan sich verloben würden. L sah auch dies mit gemischten Gefühlen an, denn in dem Falle würde Dathan sein Stiefvater werden… streng genommen. Und als seine Mutter das gemerkt hatte, hatte sie die Fäuste in die Seiten gestemmt und ihm erklärt „Dathan wird nicht dein Stiefvater. Er ist der Mann an meiner Seite, den ich liebe und jetzt hör auf, ständig rumzumosern, junger Mann. Sonst ziehe ich dir persönlich die Ohren lang und dann setzt es was!“ Nun, sein größtes Argument war gewesen, weil Dathan so jung war oder besser gesagt jung aussah. Okay, er war eine der großen Entitäten und damit älter als das Universum und allem, was davor existiert hatte. Aber er sah so verdammt jung aus und wenn Nastasja ganz normal gelebt hätte, wäre sie jetzt über 50! Und jemand an ihrer Seite, der so jung aussah… das wirkte auf L einfach merkwürdig. Aber in der Hinsicht war seine Mutter genauso schlimm wie Jeremiel: sie ließ sich rein gar nichts sagen. Und für L, der es gewohnt war, dass andere immer das taten, was er sagte, war es frustrierend. Und damit war er regelrecht ins kalte Wasser geworfen worden. Als sie schließlich Liams Anwesen erreichten, wurde das Tor geöffnet und sie fuhren hindurch. Auf einer Parkfläche stellten sie den Wagen ab und stiegen aus. Auch die anderen waren schon da. Sheol und Ezra waren die ersten, die ausgestiegen waren. Letzterer war in den letzten Monaten um einiges gewachsen und um ganze fünf Zentimeter größer geworden, woraufhin er eine Größe von 1,60m erreicht hatte. Für seinen Geschmack war er immer noch zu klein, aber wenigstens war er jetzt mit Sheol auf einer Augenhöhe. Dessen Freundin war sogar noch kleiner und mit 1,52m wirklich sehr klein. In der Schule wurden sie deshalb auch der „Zwergen-Club“ genannt. Als nächstes stiegen Nastasja und Dathan aus dem Wagen aus und kurz darauf kam der nächste Wagen mit Elion und Watari. Eigentlich wollten auch noch Samajim und dessen Diener Nabi kommen, aber deren Flug hatte erheblich Verspätung, weshalb sie später in Boston eintreffen würden. Sie waren eingeladen worden, weil es immerhin Samajim zu verdanken war, dass alles so gut ausgegangen war und zudem war es seiner Hilfe zu verdanken, dass Liam damals nicht als Kriegsverbrecher hingerichtet worden war und er hatte all die Zeit auch Dathan beschützt. Und insbesondere für Eva war er wie eine Art Vaterfigur und auch wenn Liam überhaupt nichts von den großen Alten hielt (insbesondere nach dem, was er erfahren hatte), hatte er sich dann doch besonnen. Voraussichtlich würden sie am Abend eintreffen. „Hallo ihr Süßen!!!“ rief eine Stimme vergnügt und schon kam Delta zu ihnen herüber. Wie immer trug er seinen Kimono und sah mehr wie eine Frau aus als ein Mann mit den langen schwarzen Haaren. „Wie schön, dass ihr da seid. Spätzchen, komm lass dich umarmen.“ Mit Spätzchen war Frederica gemeint, die ihn zur Begrüßung herzlich umarmte und sich auch freute, ihn zu sehen. Immerhin war sie mit Liam und seiner Familie sehr eng befreundet und hatte auch eine Zeit lang bei ihnen gelebt. Auch die anderen begrüßte der Kimonoträger überschwänglich, wobei er sich auch erkundigte, wie es Rumiko ging und wieso sie nicht mitgekommen war. Oliver erklärte daraufhin „Sie hat die Grippe und liegt im Bett. Aber sie versichert, dass sie auf jeden Fall zur Hochzeit kommen wird. Selbst wenn sie sich beide Beine brechen sollte.“ Delta führte sie ins Haus und stieß sogleich auf Marcel, der wie immer sehr kalt und aalglatt wirkte wie ein Buchmacher, dem nur die Zahlen wichtig waren. Er war der Unsympathischste aus Liams Familie und zu ihm hatte niemand wirklich engen Kontakt. Ihn störte es nicht im Geringsten, denn er interessierte sich einzig und allein für die Geschäfte und Finanzen und war nach Deltas Aussage kalt wie ein Eisblock. „Delta, ich will dich nachher in meinem Büro sprechen. Und zwar dringend.“ „Das hat ja wohl Zeit, Hase. Unsere Gäste sind eingetroffen und heute feiern wir immerhin die Verlobung vom Boss. Da sind mir deine Zahlen piepegal.“ „Ist es meine Schuld, dass du deine Finanzen nicht im Griff hast?“ „Romantik und Erotik stehen bei mir über den Finanzen. Du bist doch nur frustriert, dass ich wieder mit Johnny zusammen bin und dich abserviert habe wie eine heiße Kartoffel.“ „Wie willst du mich denn bitteschön abserviert haben, wenn wir nie wirklich zusammen waren? Und deine diversen Bettgeschichten interessieren mich nicht.“ „Pah, da spricht nur die Eifersucht aus dir.“ „Jetzt hört aber mal auf und zwar alle beide!“ ertönte eine mahnende Stimme, die Delta zusammenzucken ließ und schon kam Liam herbei, der auch Jeremiel in Begleitung hatte. „H-Herzchen… äh… ich…“ „Wenn ihr zwei Spatenköpfe euch mal wieder die Schädel einschlagen müsst, dann macht das bitte woanders.“ „Entschuldige Herzchen, wird nicht mehr vorkommen!“ rief der Kimonoträger, aber es war offensichtlich, dass dies nicht der letzte Streit sein würde, den die beiden noch austragen würden. Marcel verabschiedete sich, da er zu arbeiten habe und auch kein Interesse an den Feierlichkeiten hatte. Damit war der kurze Streit auch wieder beendet und erst einmal ging Jeremiel seine Familie begrüßen, die er drei Monate lang nicht mehr gesehen hatte. Insbesondere Nastasja nahm ihn fest in den Arm und konnte nicht anders als zu bemerken „Bozhe moi, hast du dich verändert. Deine Haare sind länger geworden und irgendwie kommst du mir viel älter und erwachsener vor. Gut siehst du aus. Wenn ich noch Single wäre und nicht deine Mutter, ich würde dich sofort abschleppen.“ „Danke, Mum… Ich hoffe, es geht euch allen auch gut.“ Sie gingen in den Salon und währenddessen erzählten sie von den neuesten Geschehnissen und dass Rumiko und Jamie leider nicht kommen konnten. Dafür aber zeigten Oliver und Andrew ihm ein Foto ihrer kleinen Tochter und Jeremiel konnte nicht anders, als zu bemerken „Die Haare hat sie eindeutig von dir Oliver, aber das Gesicht von Andrew. Sie sieht wirklich wie ein kleiner Engel aus.“ Das glücklich verheiratete Paar strahlte übers ganze Gesicht. „Und wann könnt ihr die Kleine zu euch holen?“ „Nächste Woche. Das Kinderzimmer ist auch schon längst fertig und wir haben es so geregelt, dass Oliver von zuhause arbeitet und ich arbeite 30 Stunden die Woche. Derzeit bin ich noch mit meinem Team mit der Testreihe der elektrischen Gedankenschaltkreise beschäftigt. Wir haben schon die ersten Erfolge bei Komapatienten geschafft und nun steigt auch die Nachfrage für Chips, die bei Patienten mit Hirnschäden eingesetzt werden können. Und wir stecken da eben auch ganz schön in Arbeit.“ „Kann ich mir vorstellen. Aber das kriegst du schon hin. Immerhin bist du klug genug dafür. Und ihr beiden regelt das schon. Rumiko hat euch ja gut auf eure Elternrolle vorbereitet und bei euch muss man sich ja sowieso keine Sorgen machen. Und wie geht es den anderen so?“ Ezras Stimmung war etwas gedämpft, was aber auch daran lag, weil er die letzte Matheklausur verhauen hatte und deshalb Nachhilfe nehmen musste. Außerdem hatte er Nachsitzen aufgebrummt gekriegt, weil er mit zwei Klassenkameraden in eine Prügelei geraten war, an der er nicht ganz unbeteiligt gewesen war. Diese hatten sich nämlich über ihn lustig gemacht, weil er nur adoptiert war und seine Mutter eine Knastbraut war. Und als sich die beiden auch noch darüber lustig gemacht hatten, dass Ezra mit einem Jungen zusammen war und dieser wegen seiner grauen Haare wie „ein Freak“ aussah, waren bei ihm die Sicherungen durchgebrannt. Obwohl Ezra ziemlich klein, zierlich und unsportlich war, hatte er sich ziemlich gut geschlagen. Dennoch hatte es nichts daran geändert, dass er einen Tadel erhalten hatte und noch von der Schule fliegen würde, wenn er sich wieder so auffällig verhielt. Aber es war eben schwer für Ezra, weil er es nie anders gewohnt gewesen war und selbst nach der Zeit bei Nastasja und Elion kamen immer wieder alte Verhaltensweisen hoch. So war er zwischendurch wieder beim Rauchen und Trinken erwischt worden und besonders in der Schule schien er teilweise Schwierigkeiten zu haben, was seine Mitschüler betraf. Zum Glück hatte er Sheol bei sich in der Klasse, der zwar selbst ein absoluter Kindskopf war, aber zusammen mit Sariel versuchte er schon dafür zu sorgen, dass Ezra nicht den Anschluss verlor. Denn dieser neigte immer wieder dazu, sich abzukapseln und lieber alleine zu sein. Deshalb hatte Nastasja auch dazu angeraten, wieder zu seinem Therapeuten zu gehen, um sich helfen zu lassen. Elion stand ihm bei und begleitete ihn zu den Sitzungen, wenn Nastasja keine Zeit hatte. Dem Proxy selbst ging es wunderbar und auch das Studium ging hervorragend voran. Und wenn er nicht gerade mit Ezra Zeit verbrachte, ging er seinen besten Freund Andrew besuchen oder er unternahm etwas mit seiner Familie. Man sah ihm die Lebensfreude auch deutlich an. Selbst Watari war anzusehen, dass es ihm nach den schrecklichen Ereignissen wieder deutlich besser ging und er auch dieses Distanzierte abgelegt hatte. Seit er in den Ruhestand gegangen war und Frederica seine Nachfolge als L’s Assistent übernommen hatte, ging er mehr seinen Wünschen nach und war auch mehr und mehr zu einem typischen Großvater geworden. Nicht nur für seinen Enkel Elion, sondern auch für Ezra und Sheol. Nachdem es ihm aufgrund der Ereignisse im Institut und der Wahrheit um seine Tochter und ihr Leben hinter der Fassade der perfekten Tochter deutlich schlechter ergangen war, hatte er deutlich abgebaut. Seine Gesundheit und seine Vitalität hatten stark abgenommen und Nastasja hatte ihm dringend angeraten, in Kur zu gehen und sich zu erholen. Diesen Rat hatte er auch befolgt und tatsächlich hatten ihm die sechs Wochen sehr gut getan und inzwischen ging es ihm deutlich besser. Als sie alle versammelt waren, kam schließlich Eva dazu, die gerade noch mit Samajim telefoniert hatte um abzuklären, wie spät er und Nabi eintreffen würden. Ähnlich wie Frederica war sie das blühende Leben im Gegensatz zu früher und hatte inzwischen auch engen Kontakt zu ihrer Familie. Mit Liam pflegte sie ein sehr gutes geschwisterliches Verhältnis und wohnte bei ihm. Sie brachte Jeremiel den Umgang mit seinen neuen Kräften als Sefira bei und lehrte sowohl ihn als auch Liam, Delta, Johnny und Marcel die Geschichte der Unvergänglichen und hatte immer wieder Neues zu erzählen. Sie begrüßte die anderen und insbesondere Frederica grüßte sie mit einer herzlichen Umarmung. Zwischen den beiden war eine sehr enge Verbindung entstanden, da Frederica ja von Eva erschaffen worden war. Nachdem Eva aus dem Koma erwacht und zusammen mit den anderen nach Boston zurückgekehrt war, hatte sie recht schnell Anschluss gefunden und aufgrund der Tatsache, dass sie als Einzige genug über die Welt der Unvergänglichen wusste, konnte sie auch die anderen an ihrem Erfahrungsschatz teilhaben lassen und war auch für Dathan eine große Stütze, wenn seine Eltern nicht da waren und er versuchte, seine Fähigkeiten besser in den Griff zu bekommen. Nachdem die Familie erzählt hatte, was in den letzten drei Monaten gewesen war, begann Jeremiel von seinem Urlaub mit Liam zu erzählen und natürlich musste Beyond wieder diese peinliche Anekdote zur Sprache bringen, als er und L das Liebespaar in der heißen Quelle miteinander erwischt hatten. L zog ein Gesicht, als wollte er den Serienmörder am liebsten erwürgen und diesen Gesichtsausdruck hatte auch Jeremiel. Dann aber wandte sich letzterer Liam zu und meinte „Ich hab dir ja gesagt gehabt, dass es eine bescheuerte Idee ist, es an einem Ort zu machen, wo uns jeder sehen könnte. Und was war? Ausgerechnet mein Bruder und dessen Freund mussten uns erwischen.“ Der Mafiaboss seufzte geschlagen und erklärte „Es tut mir ja leid. Hatte ja auch keiner ahnen können, dass ausgerechnet die beiden uns erwischen würden.“ Nastasja sagte nichts dazu, aber Sheol, Oliver und Andrew mussten bei dieser Geschichte lachen, auch Eva und Frederica konnten sich ein Kichern nicht verkneifen. Ezra schüttelte nur den Kopf und schien da in dieser Situation mehr Verständnis für die beiden Brüder zu haben. „Also das ist echt verdammt peinlich…“ „Na jedenfalls scheint diese Auszeit euch sehr gut getan zu haben“, sagte Elion schließlich. „Ehrlich gesagt hatten wir uns schon Sorgen gemacht, weil du ja mit deinem anderen Ich verschmolzen bist und Sam Leens’ Erinnerungen hast.“ Als er das erwähnte, war Jeremiel sofort anzusehen, dass da tatsächlich etwas gewesen war und dass diese Geschichte nicht spurlos an ihn vorbeigegangen war. Er senkte den Blick und nickte. „Es hat mir schon sehr zu schaffen gemacht. Insbesondere die Tatsache, was ich Beyond und Andrew alles angetan habe. Ehrlich gesagt hatte ich zeitweilig sehr unter Depressionen gelitten. Ich hatte schlaflose Nächte, Alpträume und manchmal hatte ich wirklich mit mir selbst zu kämpfen gehabt. Aber zum Glück sind Liam, Delta, Johnny und Eva für mich da gewesen und haben mir geholfen, damit fertig zu werden. Den ersten Monat lang musste ich Antidepressiva nehmen, aber inzwischen habe ich es ganz gut im Griff und konnte es zumindest teilweise verarbeiten.“ Verständnisvoll nickten sie, denn sie hatten schon geahnt, dass es nicht spurlos an Jeremiel vorbeigegangen war. Insbesondere weil es auch noch Menschen betraf, die er selbst kannte und mit denen er befreundet war. Er selbst war ja eigentlich eine ehrliche Seele und wollte niemandem etwas tun. Und da trafen ihn diese Erinnerungen besonders schwer und hatten ihn auch verändert. Er hatte dieses Unschuldige verloren, als hätte er nie etwas Schlimmes erleben müssen. Nun wirkte er deutlich mehr wie ein 26-jähriger und auch sonst war er nicht mehr ganz der Alte. Hatte er vorher keine Waffe in die Hand nehmen wollen, so trug er inzwischen immer häufiger eine Smith & Wesson bei sich und zögerte in Gefahrensituationen auch nicht, sie zu benutzen. Auf der einen Seite war er noch Jeremiel Lawliet, aber auf der anderen Seite war er es auch nicht mehr. Es war einfach zu deutlich erkennbar, dass er und Sam Leens jetzt eine gemeinsame Person waren. „Und wie geht es dir jetzt?“ fragte seine Mutter und die Besorgnis war nicht zu überhören. Jeremiel lächelte und erklärte „Ganz gut. Dank Delta, Johnny, Liam und Eva habe ich das Ganze recht gut verarbeiten können und die Antidepressiva habe ich auch schon längst wieder abgesetzt. Zugegeben, ich schlafe trotzdem deutlich weniger als sonst, aber ich hab ja jemanden, der ein wachsames Auge auf mich hat. Nicht wahr, Liam?“ Er lachte und stieß dem Mafiaboss scherzhaft in die Seite. Die anderen wirkten erleichtert, aber nur eine Person zog ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter. Und das war L. Kapitel 2: Kummer ----------------- Als L kurz die Feier verlassen hatte, passte ihn sein Bruder ab und stellte ihn zur Rede. „L, was ist los mit dir? Du ziehst schon die ganze Zeit ein Gesicht, als wolltest du irgendetwas vom Stapel lassen. Also sag schon: was ist mit dir los?“ L steckte die Hände in die Hosentaschen und duckte sich leicht. Er sah in diesem Moment wie ein Raubtier in Lauerstellung aus. „Du weißt, was ich über die ganze Sache denke. Du stürzt dich ins Unglück, Jeremiel. Früher oder später wirst du in die Mafiakreise abrutschen und als Krimineller enden. Dieses Leben ist gefährlich und ich kann nicht mit ansehen, wie du in dein Verderben rennst. Liam mag zwar vielleicht eine gute Seite haben, das bestreitet auch keiner. Aber es ändert nichts daran, dass er der Kopf einer Mafiaorganisation ist und er ist inzwischen bereits die Nummer 1 der Bostoner Unterwelt. Bist du dir überhaupt im Klaren, was Leute wie er machen? Sie erpressen Familien, töten Verräter und alle, die ihnen im Weg stehen. Weißt du, was er mit dem Kerl gemacht hat, der dich bei dieser Menschenauktion gekauft hat und vergewaltigen wollte? Er hat ihn geblendet, ihm die Stimmbänder und Achillessehnen durchtrennt und ihn dann als Sexsklaven verkauft. Und diesen Norman Hayes hat man tot aufgefunden, nachdem er mit einer Kettensäge malträtiert worden ist. Wer weiß, wann er etwas Ähnliches mit dir macht, wenn du nicht spurst!“ Hier aber verfinsterte sich Jeremiels Blick. Er ging direkt auf L zu, packte ihn am Kragen und stieß ihn mit dem Rücken zur Wand. „Glaubst du etwa, ich bin so naiv? Natürlich weiß ich, was Leute wie er machen, aber Liam trennt Privates und Berufliches streng voneinander und er würde niemals zulassen, dass ich in seine Kreise gerate. Ganz einfach aus dem Grund, weil er mich genau davor beschützen will und ich vertraue ihm auch. Du hast kein Recht, dich da einzumischen und inzwischen müsstest du doch wissen, dass man Liam vertrauen kann. Er hat euch die ganze Zeit beschützt und sein Leben für euch riskiert, auch für dich. Und glaubst du etwa, Liam wüsste nicht, wie gefährlich seine Welt für mich wäre, selbst wenn ich kein Sefira wäre? Als ich nach meiner Wiederbelebung bei ihm aufgewacht bin und mich an nichts erinnern konnte, da hat er sich vielleicht etwas falsch verhalten, das gebe ich zu. Aber er war selbst überfordert mit der Situation und hatte auch versucht, auf Abstand zu gehen, weil er gedacht hat, es würde mit uns beiden nicht gut gehen. Ich war es, der diese Beziehung unbedingt gewollt hat und ebenso war ich derjenige gewesen, der die Idee mit der Heirat ausgesprochen hat. Liam hätte mich nie gefragt, einfach aus Sorge, es könnte mir irgendetwas passieren, wenn ich bei ihm bleibe. Liam hat sein Leben riskiert, um mich zu retten und deshalb werde ich auch nicht zulassen, dass du weiterhin behauptest, er würde mich irgendwann noch in seine Mafiageschäfte mit reinziehen. Ist das klar?“ „Wach doch endlich auf, Jeremiel!“ entgegnete L und befreite sich aus dem Griff seines älteren Zwillingsbruders. „Du kannst dich nicht darauf verlassen, dass er dich immer beschützen wird. Und weißt du überhaupt, was dich für ein Leben erwartet wird? Wir werden sterben und bald wird es uns nicht mehr geben und du lebst immer noch. Ist es wirklich das, was du willst?“ „Es ist zu spät, L“, erklärte Jeremiel aber man sah deutlich, dass er langsam richtig sauer wurde. Denn die Starrköpfigkeit seines Bruders ging ihm langsam wirklich auf die Nerven und so langsam verlor er auch die Geduld. „Ich bin und bleibe ein Sefira und ich habe mich dafür entschieden, weil ich Liam liebe und bereit war, mein altes Leben aufzugeben. Ich bin glücklich damit, verstehst du? Was brauchst du denn noch? Und überhaupt: du bist hier der Letzte, der etwas von einem gefährlichen Umgang predigen sollte. Ich darf dich ja wohl daran erinnern, dass du mit einem verurteilten Serienmörder zusammen bist, der ernsthafte psychische Probleme hatte und der obendrein versucht hat, dich umzubringen. Du brauchst hier also nicht anfangen, hier den Moralapostel zu spielen. Gegen deine Beziehung sage ich ja nichts, weil ich gesehen habe, wie sehr dich Beyond liebt und dass er dich beschützen will. Mit Liam und mir ist es nicht anders.“ „Aber Beyond hat seiner Vergangenheit den Rücken zugekehrt, während dein Verlobter weiterhin seinen Mafiageschäften nachgeht.“ „Weil das nun mal seine Welt ist. Er verkörpert die Finsternis in der Welt und er kann nun mal kein Engel werden, selbst wenn er es wollte. Er wird niemals der Vorzeigebürger werden und das verlange ich auch nicht von ihm. Ich liebe ihn für seine gute Seite und ich finde es äußerst unfair von dir, dass du die Tatsachen verdrehst und dabei völlig außer Acht lässt, was er sonst noch tut. Er operiert mittellose Menschen, die sich keine Krankenversicherung leisten können und die aufgrund dessen teilweise nicht mal einen Tumor wegoperieren lassen können und daran letztendlich sterben müssen, weil Amerika nun mal ein beschissenes Gesundheitssystem hat. Und diese Arbeit ist ihm sehr wichtig und er hat so vielen Menschen das Leben gerettet, auch Kindern. Komm endlich klar damit, dass ich Liam heiraten und mein Leben mit ihm verbringen werde und vor allem, dass ich es nicht mehr als Mensch tun werde. Und wenn du es nicht endlich mal akzeptieren kannst, dass wir uns lieben, dann kannst du gerne gehen!“ L war verstummt und sah seinen Bruder beinahe fassungslos an. So hatte er Jeremiel noch nie erlebt. Er war richtig laut geworden und war verdammt sauer und noch nie hatte er dermaßen deutliche Worte gesprochen. Bevor sein Bruder weiterreden konnte, öffnete sich die Tür und Frederica kam rein, in Begleitung von Nastasja. „Was ist denn mit euch beiden schon wieder los?“ fragte das Albinomädchen und erkannte recht schnell, dass sich die beiden Brüder wieder mal stritten. „Die Tatsache ist einfach die“, erklärte Jeremiel, „dass L einfach nicht kapieren will, dass ich Liam liebe und mich für dieses Leben entschieden habe. Und ich werde diese Entscheidung auch konsequent durchziehen.“ Nastasja seufzte und verdrehte die Augen. „So langsam glaube ich wirklich, du bist noch derselbe kleine Junge wie damals“, sagte sie und murmelte genervt noch „Eblan“, was wahrscheinlich wieder russisches Gefluche war. „Lass deinen Bruder doch endlich mal in Ruhe und akzeptier das. Ich kenne Liam von früher und er mag zwar nicht die Unschuld vom Lande sein, aber er ist eine treue Seele und hat auch ein gutes Herz. Du bist nicht sein Vater, du bist sein jüngerer Bruder und wenn hier jemand was zu sagen hat, dann ja wohl ich. Ich bin trotz des knappen Altersunterschieds immer noch eure Mutter! Reißt euch beide mal endlich zusammen und vertragt euch, oder ich werde dich, mein lieber L, auf den Benimmstuhl setzen!“ L verzog missmutig das Gesicht und sah aus, als wollte er mit seinem Blick seine Mutter umbringen. Jeremiel beruhigte sich langsam wieder und erklärte „Du kannst dich auf den Kopf stellen wie du willst, L. Aber du änderst nichts an meinem Entschluss. Liam und ich werden heiraten und ich werde mich von niemandem davon abhalten lassen. Und wenn dir das nicht passt, dann solltest du besser gehen.“ Anscheinend bringt es nichts, dachte L und merkte so langsam, dass er damit nicht sonderlich viel Erfolg haben würde. Egal was ich mache, er wird seinen Weg gehen und wenn ich mich weiterhin so querstelle, wird es offenbar nur dazu führen, dass wir genauso zerstritten sind wie Eva und Liam. Und das will ich auch nicht. Offenbar bleibt mir wohl keine andere Wahl, als wohl oder übel zu akzeptieren, dass mein Bruder diesen Weg gehen wird, auch wenn er gefährlich ist. „Ich kann dich wohl nicht davon abhalten… na gut. In dem Fall werde ich damit aufhören, dir weiter da reinreden zu wollen. Es ist dein Leben und wenn das dein Wunsch ist, dann werde ich das wohl oder übel akzeptieren müssen.“ „So sieht es aus“, bestätigte Jeremiel, verschränkte die Arme und sah ihn mit einem strengen Blick an. „Entweder du akzeptierst es und wir vertragen uns, oder du akzeptierst es nicht und damit hat sich die Sache. Ich hab dich wirklich lieb als Bruder, aber zwing mich nicht dazu, mich zwischen dir und Liam zu entscheiden. Du weißt, dass du da keine Chance hast. Ich stehe zu Liam und ich werde ihn heiraten.“ „Ich denke, damit hat Jeremiel seinen Standpunkt klar gemacht“, meinte schließlich Frederica. „Also könnt ihr euch jetzt bitte wieder vertragen? Es nützt doch niemandem etwas, wenn ihr euch streitet. Vor allem heute, wo Jeremiel und Liam doch ihre Verlobung feiern.“ Nastasja klopfte ihr als Zeichen der Zustimmung auf die Schulter und nickte. Dann aber seufzte die Russin noch mal, schüttelte den Kopf und sagte nur „Chyort voz'mi!“ und ging zurück. Frederica und L folgten ihr, aber Jeremiel ging nach draußen, um frische Luft zu schnappen und den Kopf freizukriegen. Nach dem Ärger mit L hatte er das jetzt wirklich nötig. Er ging nach draußen auf die Terrasse und wenig später gesellte sich ganz überraschend sein Adoptivbruder Ezra zu ihm. „Hab gehört, dass es zwischen dir und L wieder Stress gibt.“ „Er kann sich einfach nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass ich Liam liebe und mein Leben mit ihm verbringen will. Und deshalb hatten wir einen kleinen Streit gehabt.“ Der 16-jährige nickte und wollte sich gerade eine Zigarette anzünden, aber die konfiszierte Jeremiel sogleich mit der Erklärung „Dafür bist du nicht alt genug.“ Ezra funkelte ihn giftig an, aber Jeremiel ließ nicht mit sich reden und kassierte auch sogleich die Zigarettenschachtel seines Adoptivbruders ein. „Naja“, sagte Ezra schließlich. „Ich hatte mit meiner Mutter denselben Ärger. Sie war auch überhaupt nicht begeistert gewesen, dass ich mit Elion zusammen war, vor allem weil ich mit einem Mann zusammen bin. Und dieser ist immerhin 11 Jahre älter als ich. Wenn es nach ihr gegangen wäre, dann wäre ich ihr nach Frankreich gefolgt und sie hätte mir irgendeine Freundin angedreht. Aber ich hab mein eigenes Ding durchgezogen und es war die beste Entscheidung, die ich je getroffen habe. Ich denke, dass L sich nur deshalb so bescheuert aufführt, weil er immer seinen Willen durchsetzen muss. Ganz egal worum es geht. Da er eben derjenige ist, der die Entscheidungen trifft, wenn es die ganze Familie betrifft, ist er schnell eingeschnappt, wenn es nicht so läuft wie er will.“ „Ja, das stimmt. Ich glaube auch, dass es noch eine ganze Weile dauern wird, bis er sich wieder einkriegt. Naja, ich hatte auch sowieso nicht vor, mich von ihm bequatschen zu lassen. Aber sag mal, wie läuft es mit dir und Elion?“ „Ganz gut“, meinte Ezra und setzte sich schließlich auf einen der Stühle. „Wir machen eben halt den typischen Kram, den man eben macht, wenn man in einer Beziehung ist. Manchmal holt er mich von der Schule ab, wenn ich länger Unterricht habe als Sheol und Sariel, wir gehen auch mal abends zusammen ins Kino oder auf ein Konzert. Oder wir machen eben das, was man tut, wenn man zusammen ist.“ „Und hast du schon etwas von deiner Mutter gehört oder…“ „Ich habe gar keinen Kontakt mehr zu ihr und ich will mit ihr auch rein gar nichts mehr zu tun haben. Die Frau ist für mich gestorben.“ Als er diese harten Worte sprach, konnte man bei Ezra deutlich die Wut und die Enttäuschung heraushören, was Jeremiel ihm ja auch nicht verübeln konnte. Immerhin hatte Monica ja auch einige Dinge geleistet und Ezra eiskalt für ihre Zwecke benutzt und ihn sogar unter Drogen gesetzt. „Das verstehe ich auch. Würde mir an deiner Stelle auch nicht anders ergehen. Und wie geht es dir sonst? Ich meine… das mit dem Wutausbruch und der Prügelei in der Schule ist ja eigentlich schon bedenklich. Bist du mit irgendetwas unzufrieden oder hast du irgendwo Schwierigkeiten?“ „Nein“, murmelte Ezra und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Mir geht es soweit ganz gut. Okay… es ist jetzt deutlich lebhafter bei uns geworden, seit Dathan und Watari bei uns eingezogen ist und die Ashenbergs gehen bei uns auch täglich ein und aus. Es war eben nur, weil diese Arschlöcher meinten, dass Elion ein Freak ist wegen seiner Haarfarbe und sie gingen mir schon seit Wochen auf die Nerven, weil sie mich ständig damit aufziehen mussten, dass ich mit einem Mann zusammen bin.“ „Ach so. Dann war das keine einmalige Aktion?“ Ein Kopfschütteln war die Antwort. „Und wieso hast du mit den Lehrern nicht gesprochen?“ „Ich dachte, ich krieg das alleine hin… hab ja auch kapiert, dass das nicht richtig war. Aber… ich krieg einfach so einen Hals, weil sie Elion so beschimpfen. Ich meine, der hatte doch eh schon genug damit zu kämpfen, weil er sich selbst für ein Monster hielt. Und sie haben eben kein Recht, so über ihn zu lästern und da wollte ich denen einfach nur noch die Fresse polieren.“ Jeremiel nickte und konnte schon verstehen, dass es für Ezra nicht einfach war. Zum einen war er in der Vergangenheit schon schikaniert worden, weil sein Vater ihn damals dazu gezwungen hatte, mit älteren Männern zu schlafen und da war er auf sich allein gestellt gewesen und hatte sich an niemanden wenden können. Und nachdem er schon so oft enttäuscht worden war und einer seiner Pflegeväter sogar ein Lehrer gewesen war, der ihn zum Oralsex genötigt hatte, da war es ebenso verständlich, dass der Junge sich nicht an die Lehrer wandte, weil er kein Vertrauen zu ihnen hatte. Und dass er die Beherrschung verlor und zuschlug, lag auch ein kleines bisschen mit an der Pubertät. Ezra steckte in einer schwierigen Phase, genauso wie viele seiner Altersgenossen und die schwere Kindheit kam ja auch noch hinzu und verschlimmerte das alles. „Warum hast du denn nicht mit Mum darüber geredet?“ Keine Antwort, Ezra wich nur seinem Blick aus und sagte nichts. „Ich bin alt genug, um das selber zu regeln.“ „Ach Ezra, es ist doch keine Schande, um Hilfe zu bitten. Insbesondere dann nicht, wenn du schikaniert wirst. Und wenn du Probleme hast, über die du mit Mum nicht sprechen willst, dann kannst du auch gerne zu mir oder L kommen. Immerhin bist du unser kleiner Bruder und deshalb sind wir auch für dich da. Liegt dir sonst noch etwas auf dem Herzen?“ Immer noch schwieg Ezra, aber an seiner Körpersprache war mehr als deutlich zu sehen, dass etwas sehr im Argen lag und er partout nicht darüber sprechen wollte. Entweder aus Angst oder aus Scham. Also setzte sich Jeremiel zu ihm. „Erzähl mal. Was genau ist denn passiert? Du musst dich nicht dafür schämen, okay?“ „Versprichst du mir, dass du das nicht Elion erzählst?“ „Klar. Was ist denn jetzt passiert?“ Ezra atmete tief durch und wirkte ziemlich nervös und verkrampft. „Dieser Lehrer… mein… mein ehemaliger Pflegevater… er ist an dieser Schule. Und… er ist… er ist jetzt mein Klassenlehrer.“ Diese Nachricht traf Jeremiel wie ein Schlag und nun verstand er auch Ezras Verhalten. Kein Wunder, dass er in der Schule so auffällig geworden war. „Er war aber nicht von Anfang an dein Klassenlehrer, oder?“ Ein Kopfschütteln kam zur Antwort. „Unsere Klassenlehrerin Mrs. Hoover ist wegen eines Bandscheibenvorfalls krank geschrieben und der neue Lehrer ist an unsere Schule gewechselt und als Klassenlehrer eingesprungen. Er hat mich sofort wiedererkannt und erpresst mich.“ „Will er, dass du mit ihm schläfst?“ Ezra verkrampfte nur noch mehr und antwortete zuerst nicht, aber man konnte allein von seiner Körpersprache die Antwort ablesen. Schließlich nickte der 16-jährige nur. „Wenn ich es nicht tue, wird die ganze Schule alles über meine Vergangenheit erfahren. Dann werde ich schon wieder die Schlampe sein, die es mit alten Säcken treibt und die gestörte Eltern hat.“ Tröstend legte Jeremiel einen Arm um ihn und sah, wie sehr Ezra unter der Situation litt. Wahrscheinlich war ihm einfach der Kragen geplatzt, als diese beiden Mitschüler ihn schikaniert hatten und er hatte sich einfach nicht anders zu helfen gewusst. „Wie heißt der Kerl?“ „Eric Callahan“, antwortete Ezra und seine Stimme zitterte leicht. „Okay“, murmelte Jeremiel und nickte. „Ich werde sehen, ob ich irgendwelche Schmutzwäsche bei dem Kerl finde und dann werde ich ihm klar machen, dass er sich von dir fernhalten soll und am besten noch gleich auf eine andere Schule wechseln sollte.“ „Meinst du echt, du kriegst das hin?“ „Hey, ich bin Detektiv. Zwar noch nicht ganz so lange wie L, aber wenn der Kerl eine Leiche im Keller hat, dann werde ich es erfahren. Und zur Not bitte ich einfach Liam darum, dass er ihm ein bisschen Angst einjagt und dann wird dieser Mr. Callahan sich nicht mehr so schnell in deine Nähe trauen. Aber eines musst du mir sagen: bist du auf die Forderung eingegangen?“ „Nein. Ich hab ihn mit Ausreden hingehalten, aber dementsprechend hat er auch immer mehr Druck gemacht. Aber… als ich mit ihm alleine war, da hat er mich schon ziemlich bedrängt und mich auch… na ja… angefasst.“ „Kein Sorge, Ezra. Ich werde schon dafür sorgen, dass er dir nicht mehr zu nahe kommt. Der wird es nicht noch einmal wagen.“ Und als sich in Ezras Augenwinkeln Tränen sammelten, nahm er ihn tröstend in den Arm. „Danke, Jeremiel“, sagte der 16-jährige und wischte sich schnell die Tränen weg. Der Detektiv setzte sich diese Angelegenheit ganz oben auf seine Liste und fest stand: morgen würde er sich persönlich darum kümmern und diesen Lehrer genauer unter die Lupe nehmen und schon noch herausfinden, was der noch für schmutzige Geheimnisse hatte. Denn ein Lehrer, der sich an Schüler heranmachte und insbesondere an jene, die wie in Ezras Fall sehr jung aussahen, der war mit Sicherheit kein Einzeltäter. Mit Sicherheit hatte es mehr Fälle gegeben als Ezra und das würde er noch herausfinden. „Auf jeden Fall musst du das der Schulleitung melden.“ „Was? Aber… die werden mir doch kein Wort glauben.“ „Das müssen sie. Denn wenn Verdacht gegen einen Lehrer besteht, dass er sich an Schutzbefohlenen vergreift, wird der Fall untersucht. Natürlich werden sie Mr. Callahan zur Rede stellen und er wird es abstreiten, sodass Aussage gegen Aussage steht.“ „Aber wenn ich das mache, wird er alles über meine Vergangenheit erzählen.“ „Nicht, wenn du auch das gegenüber der Schulleitung offen und ehrlich sagst. Denn wenn gleichzeitig auch noch der Vorwurf im Raum steht, wird Mr. Callahan unter besonders starker Beobachtung stehen und kann sich keine Fehltritte erlauben. Es kann zwar gut möglich sein, dass er dich unter Druck setzen wird, die Vorwürfe zurückzunehmen, aber in dem Fall werde ich ein wachsames Auge auf dich haben und sobald der Kerl auch nur einen falschen Ton von sich gibt, werde ich ihn ans Messer liefern. Das wird sowieso geschehen, sobald ich auch nur einen Fleck auf seiner vermeintlich weißen Weste gefunden habe. Aber du musst auf jeden Fall darüber sprechen. Sowohl mit der Schulleitung, als auch mit Mum. Sie kann dich zusätzlich unterstützen und dir auch bei dem Gespräch mit der Schulleitung beistehen. Es wird schon gut gehen, mach dir da keine Sorgen. Gemeinsam kriegen wir dieses Problem in den Griff und du musst auch keine Angst mehr haben.“ Ezra nickte und man sah ihm jetzt auch an, dass es ihm deutlich besser ging. Jeremiel hatte schon direkt an seinem Gesicht gesehen, dass seinen Adoptivbruder so einiges beschäftigt hatte und nun hatte er auch endlich die Antwort darauf. „Nur sprechenden Menschen kann geholfen werden. Und du musst deine Kämpfe nicht alleine austragen. Du bist erst 16 Jahre alt und da erwartet keiner von dir, dass du alles alleine klärst. Besonders nicht so etwas. Da kannst du jederzeit zu uns kommen und wir werden dir als Familie natürlich helfen. Und hey! Ich bin dein großer Bruder und da ist es selbstverständlich, dass ich sofort helfe, wenn du in Schwierigkeiten steckst.“ Ezra lächelte schwach und wirkte unendlich erleichtert. „Irgendwie kann ich selbst nach Monaten noch nicht glauben, dass ich so eine tolle Familie habe. Und vor allem so tolle Brüder.“ Kapitel 3: Sereas greift an --------------------------- Delta und Johnny hatten am Haupttor Stellung bezogen und hielten auf Liams Anweisung hin Wache. Der Kimonoträger seufzte theatralisch und zog eine Schmollmiene. „Ach Mensch, ich würde so gerne mitfeiern und was ist? Wir stehen hier rum und müssen aufpassen.“ „Na weil eben halt viele Gäste da sind und dieser Hankman immer noch stinksauer ist, weil Liam ihn als Nummer 1 abgelöst hat“, erklärte Johnny und schien keine sonderlichen Probleme damit zu haben, Wachdienst schieben zu müssen. Delta zuckte nur mit den Achseln und meinte „Naja, dafür bekommen wir einen Extraurlaub und dann können wir es uns mal so richtig gut gehen lassen.“ „Na so lange du nicht schon wieder den nächstbesten Kerl durchvögelst…“ „Ich dachte, wir hätten das geklärt, dass ich nun mal polygam bin. Ich habe diverse Sexbeziehungen, das stimmt. Aber das ändert nichts daran, dass du meine Nummer 1 bist, Darling. Und das mit Marcel war sowieso nur meine Rache dafür gewesen, weil du Sexvideos mit mir auf der Videocloud hochgeladen hast!“ „Selbst schuld. Was musstest du es auch mit diesem Fitnesstrainer Sascha in meinem Bett treiben? Wenn du schon deine Sextriebe nicht unter Kontrolle halten kannst, dann mach es gefälligst nicht in meinem Bett, sondern in deinem!“ „Sein Name war Zack.“ „Macht das etwa einen Unterschied? Oh Mann und du bist auch noch die rechte Hand vom Boss. Mit Sicherheit hast du dich auch bloß hochgebumst.“ „Ja und? Etwa ein Problem damit?“ „Du bist doch echt nicht mehr zu retten. Manchmal glaub ich echt, dein Arsch ist eine Drehtür.“ Beleidigt streckte Delta ihm die Zunge raus und verschränkte die Arme. „Na wenigstens läuft bei Engelchen die Beziehung. Nachdem es ihm sowieso schon schlecht genug ging, hab ich mir echt Sorgen gemacht.“ „Wir haben uns alle Sorgen gemacht, Delta. Nicht nur du. Naja, Marcel war es egal gewesen. Der war ja froh gewesen, als Jerry die Antidepressiva abgesetzt hat und er mal wieder irgendwelche Kosten einsparen konnte. Naja, ist ja jetzt auch egal. Jerry geht es gut, er hat sich mit dem Boss verlobt und bald läuten die Hochzeitsglocken. Ist doch super und mit Eva hat sich Liam ja auch vertragen. Alles wird super.“ Stimmte eigentlich, wären da nur nicht die Zankereien innerhalb des Seraph-Trios. Delta und Marcel waren die Dauerstreithähne schlechthin, weil Marcel immer nur auf die Zahlen sah und Delta hatte in Geldsachen eben eine etwas lockere Einstellung. Und zwischen ihm und Johnny kriselte es auch immer wieder mal, weil Delta aufgrund seines sehr ausschweifenden Sexlebens nicht wirklich Begeisterung bei Johnny wecken konnte. Zwar wusste dieser, dass er Delta in der Hinsicht nicht ändern konnte, weil Delta nun mal der Inbegriff der Versuchung war, aber trotzdem sorgte es immer wieder für neuen Streitstoff. Johnny fiel es in gewisser Hinsicht auch schwer, Delta zu vertrauen, insbesondere nach der Sache mit Marcel. Der Kimonoträger seufzte und fragte „Jetzt mal ehrlich, Darling. Was ist denn bitteschön dein Problem?“ „Na ist das nicht offensichtlich? Du vögelst dich fröhlich durch die Gegend, schön und gut. Ich weiß, dass du ein notgeiler Nymphomane bist und dich von jedem Kerl nehmen lässt, der nicht bei drei auf den Bäumen ist. Wir führen eben eine offene Beziehung und du sagst, ich wäre deine Nummer eins und wir wären zusammen. Aber nachdem du das schon Marcel oft genug vorgeträllert hast und ihm noch gesagt hast, ich wäre dein größter Fehler gewesen, da fällt es mir eben schwer zu glauben, dass du es ehrlich meinst. Sorry, dass ich das jetzt so sage, aber so sieht der Tatbestand nun mal aus.“ „Mein Gott, ich war sauer auf dich und wollte dich eifersüchtig machen.“ „Was dir auch hervorragend gelungen ist, mein Lieber. Aber wenn du schon jemandem wie Marcel solche Dinge sagst, wie soll ich dich da noch beim Wort nehmen?“ Delta sah ja selbst ein, dass er vielleicht Fehler gemacht hatte und dass er es vielleicht zu weit getrieben hatte. Er liebte Johnny, das war Tatsache. Nun gut, er konnte sich einfach nicht auf einen Sexpartner beschränken. Er brauchte diese Ausschweifungen und konnte und wollte auch beim besten Willen nicht monogam leben. Das war nicht er. Für seine Bettgeschichten empfand er diese Liebe nicht und Johnny hatte sich damit arrangiert. Sie schliefen miteinander, sie arbeiteten zusammen und liebten sich, aber trotzdem herrschten immer wieder diese Schwierigkeiten zwischen ihnen und es gab immer wieder kleine Streitereien. Wie Johnny schon mal sagte: eine Schlange und eine Elster vertrugen sich genauso wenig wie eine Schlange und eine Ratte. Darum war so etwas eben vorprogrammiert. Gerade wollte Johnny wieder zum Reden ansetzen, doch dann sah er, wie Deltas Gesichtsausdruck ernst wurde und er lauernd den Blick umherschweifen ließ. Offenbar war Ärger im Anmarsch. Sogleich sahen sie auch schon einen Schatten am Zaun und sofort lief Johnny los. „Hey!“ rief er und eilte zu dem Schatten hin. „Was willst du hier?“ Sofort hielt die Gestalt inne und wandte sich zu ihm um. Es war keiner von Hankmans Leuten und auch kein Paparazzo. Er trug eine Schutzbrille und eine Gashalbmaske. Des Weiteren trug er einen khakifarbenen Kapuzenumhang und einen so seltsamen Kerl hatte Johnny selten gesehen. „Was willst du hier und was hast du hier zu suchen? Das ist Privatgrundstück, verschwinde also.“ „Kazab, der Lügner im Schatten…“ „Was?“ Johnny stutzte und fragte sich, woher der Kerl denn seinen richtigen Namen kannte. Das wurde ihm langsam zu dubios. Er holte seine Wurfmesser hervor und machte sich bereit zum Angriff. „Ich sag es dir noch mal: entweder du sagst endlich, was du willst, oder ich mach Schaschlik aus dir.“ „Ich bin gekommen, um euren Schöpfer mitzunehmen.“ „Das kannst du knicken. Friss das!“ Sofort warf Johnny die Wurfmesser, doch in dem Moment wich der Maskierte auch schon aus und fing mühelos die anderen Messer ab und packte dann Johnnys Arm, beförderte den Informanten mit einem Überwurf zu Boden und drückte den Absatz seines Stiefels auf seinen Rücken. Aber da war auch schon Delta da und blitzschnell packte er zu und in dem Moment schoss eine Kobra mit weit aufgerissenem Maul aus dem Kimonoärmel hervor, um den Maskierten zu beißen. Doch dieser packte die Schlange und warf sie fort, dann befreite er sich aus Deltas Griff und verdrehte seinen Arm. Er packte ihn an den Haaren und drehte ihn den Arm auf den Rücken und als Johnny sich erhob, um den Eindringling zu überwältigen, benutzte er Delta als Schutzschild und als beide zusammenstießen, rang er sie mit ein paar Schlägen und Griffen zu Boden und fesselte sie. „Asmodeus, die Schlange im Paradies. Spezialisiert auf Nahkämpfe und Überraschungsangriffe aus dem Hinterhalt. Setzt bevorzugt tödliche Schlangen ein, um seine Gegner auszuschalten. Schwachpunkt: Distanzangriffe, Konterangriffe und die Haare. Kazab der Lügner ist auf Distanzangriffe spezialisiert und kämpft bevorzugt mit Wurfmessern. Schwachpunkt: Nahangriff. Enttäuschend…“ Delta und Johnny konnten es nicht glauben. Wie zum Teufel schaffte es dieser Kerl bloß, sie beide mit solch einer Leichtigkeit zu besiegen? Der war doch nicht von dieser Welt! Doch so einfach wollte es der Kimonoträger nicht auf sich sitzen lassen. Immerhin war es seine Aufgabe, Liam, Jeremiel und die Familie zu beschützen und als rechte Hand seines Bosses würde er alles geben, um seiner Aufgabe gerecht zu werden. „Du kannst mich mal gerne haben!“ Damit wollte er ihm gegen die Beine treten, doch der Maskierte sprang einfach und mit einem Tritt ins Gesicht, woraufhin Delta mit dem Hinterkopf gegen das Tor knallte, setzte er diesen außer Gefecht. Johnny schaffte es, wieder auf die Beine zu kommen und griff ebenfalls wieder an, wurde aber wieder zu Boden geschleudert und daraufhin wurden auch seine Füße gefesselt. „Wie enttäuschend“, seufzte der Maskierte und ging durch das Tor. „Und dabei hatte ich gedacht, Araphel hätte stärkere Lakaien. Naja, die Seraphim sind ja auch nie wirklich stärker als die Sefirot.“ „Wer zum Teufel bist du überhaupt und was willst du von unserem Boss?“ „Mein Name ist Sereas und ich bin ein Head Hunter. Ich jage gefährliche Unvergängliche und liefere sie aus, das ist mein Job. Und euer Boss steht auf meiner Liste. Wie gesagt: ich mach nur meinen Job.“ Wie bitte? Ein Head Hunter? Johnny erinnerte sich in dem Moment, was Eva mal erzählt hatte. Die Head Hunter waren eine Gruppe Sefirot, die gegen Bezahlung gefährliche Individuen jagten, einfingen und auslieferten. Sie waren im Grunde nichts anderes als Kopfgeldjäger und es kam nicht selten vor, dass diese ihre Zielpersonen töteten und nur ihre Köpfe mitnahmen, weil alles andere zu aufwendig war. Deshalb auch die Bezeichnung Head Hunter. Und als ihm das klar wurde, funkelte Johnny ihn hasserfüllt an. „Ich warne dich. Wenn du es wagst, ihm etwas anzutun, dann bringe ich dich um!“ „Ich habe kein Interesse daran, jemanden umzubringen. Das gibt nur Flecken auf der Kleidung und ich hasse Blut. Und jetzt habt ihr beiden erst mal Sendepause.“ Damit holte Sereas eine Pistole hervor und feuerte je einen Betäubungspfeil ab, der die beiden lahm legte. Sicher war sicher, bevor die sich noch befreiten und ihn störten. Als Sereas das Tor durchschritten hatte, stellte sich auch schon eine Japanerin mit türkisfarbenen Haaren entgegen, die einen Werkzeuggürtel bei sich trug. Er erkannte sofort, dass sie ein Mensch war. Und scheinbar war sie auch wild entschlossen, es mit ihm aufzunehmen. „Hey du Pisser: was hast du mit Delta und Johnny gemacht?“ „Sie schlafen. Und du musst Gishi Rikigaku sein. 23 Jahre alt, Automechanikerin vom Beruf.“ Die Japanerin sah schon an der merkwürdigen Aufmachung, dass das kein Gast oder Geschäftspartner war, der da vor ihr stand. Und sofort griff sie in ihren Werkzeuggürtel und warf mehrere Schraubendreher nach ihm. Diese blockte er ab und seufzte. „Ich schlage nur sehr ungern Frauen. Vor allem Menschenfrauen.“ „Dein Pech, denn ich schlag dir gleich den Schädel ein, wenn du nicht verschwindest.“ Und damit nahm sie einen Schraubenschlüssel und schlug damit zu. Doch Sereas wich mühelos jedem ihrer Angriffe aus und stellte recht schnell fest, dass Gishi zwar gewisse Kampferfahrungen hatte, aber sie war keine Chajal und damit auch keine großartige Herausforderung für ihn. Insbesondere deshalb, weil sie eine Menschenfrau war. Fakt war, dass sie ihm im Weg stand, aber er hatte es nicht gerne, wenn er gegen Frauen kämpfen musste. In gewisser Hinsicht war er noch von der alten Schule, was das betraf. „Gishi Rikigaku, Japanerin. Vollwaise und Automechanikerin. Wurde auf dem Straßenstrich aufgegriffen und kämpft hauptsächlich mit Schraubendrehern, Schraubenschlüsseln und anderem Werkzeug. Für Menschen eine eher durchschnittliche Kämpferin.“ „Was laberst du da für einen Scheiß?“ Nun war Gishi richtig sauer und schlug wieder zu, aber erneut wich Sereas aus und verpasste ihr einen kräftigen Schlag in die Magengrube. Dieser Schlag hatte so gesessen, dass er der Japanerin das Bewusstsein raubte und sie zusammensank. Sereas fing sie auf und lehnte sie vorsichtig gegen den Zaun. Zwar zögerte er nicht, sich auch gegen solche Kampffurien zu wehren, aber nie im Leben würde er eine Frau ins Gesicht schlagen. Naja, wenigstens hatte er die ersten drei schon mal ausgeschaltet, jetzt würde nur noch einer folgen. Und der zielte schon bereits mit einer Pistole auf ihn. „Mammon, auch als Advokat des Teufels bekannt. Äußerst starke Defensive, ausdauernd und absolut profitorientiert.“ „Gut erkannt“, bemerkte Marcel und spannte den Abzugshahn. „Und im Auftrag von Mr. Adams werde ich jeden beseitigen, der sich mit Gewalt Zutritt verschafft.“ „Kannst es ja gerne mal versuchen. Aber noch ist meine Zeit nicht vorbei.“ Sofort feuerte Marcel drei Schüsse aus seiner Magnum ab, doch Sereas hatte da auch schon sein Schwert gezogen und zerschnitt die Kugeln mit seiner Klinge. „Netter Versuch. Aber das wirkt auch nicht.“ Marcel stutzte und konnte nicht glauben, dass es dem Kerl gelungen war, die Kugeln zu zerschneiden. Wer oder was war dieser Eindringling denn überhaupt? Er hatte es mit Leichtigkeit geschafft, Johnny und Delta zu überwältigen und das war für einen Menschen unmöglich. „Wer bist du?“ „Sereas. Manche nennen mich den Jäger, manche auch den Ernsten. Ich bin ein Head Hunter und euer Schöpfer Araphel der Schlächter steht auf meiner Liste. Deshalb werde ich ihn mitnehmen und alle Störfaktoren beseitigen.“ Ein Head Hunter? Der Begriff sagte Marcel was und dann kannte dieser auch noch Liams wahre Identität. Demnach musste es sich um einen Unvergänglichen handeln, der aus der „Heimat“ kam. Nun, das erklärte auch, warum er so ein starker Gegner war. Aber… wieso gelang es ihm nicht, anhand der Aura dieses Mannes zu erkennen, was genau er war? Vermutlich ein Sefira oder auch ein Seraph, wenn er schon seine Aura verbergen konnte. Das würde auch erklären, wieso es ihm gelungen war, Delta zu besiegen, der so gut wie unschlagbar war. „Also schön. Ich wiederhole mich ein letztes Mal: an mir kommt niemand vorbei.“ „Das wird sich zeigen“, sagte Sereas und schien zu warten. Und dann ging auch schon der Kampf zwischen den beiden los. Da es draußen etwas kühler geworden war, war Jeremiel wieder ins Haus gegangen und hatte sich wieder der Partygesellschaft gewidmet. Liam hingegen hatte kurz die Party verlassen, da er irgendwie ein seltsames Gefühl hatte, welches er sich nicht genau erklären konnte. Irgendetwas war im Anmarsch und er konnte nicht erkennen, was es war. Ob sich vielleicht ein Eindringling dem Grundstück näherte? Nun, in dem Fall würden sich Marcel, Johnny und Delta darum kümmern. Und Gishi war auch noch in der Nähe. Trotzdem hielt es Liam für besser, wachsam zu bleiben und sich bereit zu halten. Naja, zumindest war Jeremiel in der Lage gewesen, den Streit mit seinem Bruder zu klären und sich durchzusetzen. Und auch sonst schien in der Familie ja alles hervorragend zu laufen. Dathan, der kleine Angsthase, hatte inzwischen mehr Selbstvertrauen aufbauen können und beherrschte auch bereits den Umgang mit dem Schwert sehr gut. Und auch sonst schien es Evas Familie ziemlich gut zu gehen. Nun, zwar war da diese Angelegenheit mit Ezra, von der Jeremiel ihm vorhin erzählt hatte, aber darum würde er sich morgen kümmern. Er würde diesem Mr. Callahan einen Besuch abstatten und ihm auf freundliche Art und Weise nahe legen, diese Erpressung fallen zu lassen. Naja, Freundlichkeit sah für ihn so aus, dass er diesem Kerl erst mal genug Angst machte, damit der keine Dummheiten machte. Dafür musste er Jeremiel versprechen, keine Waffe zu benutzen und keine Gewalt anzuwenden. Das würde sowieso nur Stress mit der Polizei geben. Die Musik wurde aufgedreht und wie nicht anders zu erwarten war, machten insbesondere Oliver, Andrew und Frederica ordentlich Party zusammen mit Sheol und hatten richtig Spaß. Eva hatte sich zwischenzeitlich verabschiedet, weil sie Nabi und Samajim vom Flughafen abholen wollte und auf die Weise sichergehen wollte, dass sie nicht noch verloren gingen. Sicher war sicher. Ansonsten waren alle da geblieben und feierten ausgelassen. Zugegeben, es war eigentlich gar nicht mal so schlecht, zu dieser Familie dazuzugehören. Zwar war Liam mit seiner eigenen auch zufrieden (auch wenn sich das Trio ständig streiten musste), aber wenn er so diese Menschen ansah… da verstand er schon, wieso Eva ausnahmslos alle Menschen auf dieser Welt liebte. Auf eine schräge Art und Weise waren die Menschen eigentlich recht liebenswert. „Wieso kommst du nicht rein? Mum will dich gleich zum Armdrücken herausfordern.“ Liam wandte sich um und bemerkte, dass Jeremiel dazugekommen war. Dieser hakte sich sofort bei dem Mafiaboss unter und lächelte zufrieden. „Nastasja will mich zum Armdrücken herausfordern?“ fragte er und schmunzelte amüsiert darüber. „Das sieht deiner Mutter ähnlich. Dafür, dass sie nur ein Mensch ist, schafft sie es doch immer wieder, mir die Stirn zu bieten. Das dürfte sicherlich unterhaltsam werden.“ „Beyond hat schon die Wetteinsätze klar gemacht und Sheol hat 15 Dollar gewettet, dass Mum dir den Arm bricht.“ „Na das wird sich noch herausstellen. Aber sag mal, wie geht es dir denn sonst eigentlich so? Bereust du deinen Entschluss, zu einem Sefira geworden zu sein?“ Der Detektiv mit den eisblauen Augen schüttelte den Kopf und lehnte seinen Kopf gegen Liams Schulter. „Ich sagte doch, dass ich mein Leben mit dir verbringen will und ich habe auch kein Problem damit, kein Mensch mehr zu sein. Wenn das der einzige Weg ist, um für immer mit dir zusammen zu sein, dann ist es für mich überhaupt kein Problem. Und ich bin ja nicht alleine. Eva ist ja auch noch da, Frederica wird da sein und Dathan auch. Mum wird vielleicht auch denselben Weg gehen wie ich und außerdem sind Johnny und Delta inzwischen auch meine besten Freunde. Liam, du bist der, den ich mehr liebe als alles andere auf der Welt und deshalb werde ich auch niemals diesen Entschluss bereuen. Mag sein, dass L und die anderen eines Tages nicht mehr da sein werden und alle älter werden, während ich jung bleibe. Aber mir war schon von vornherein klar, was mich erwarten wird, wenn ich zu einem Sefira werde. Naja, da ich sowieso nie wirklich ein normales menschliches Leben geführt habe, fällt es mir deshalb auch nicht sonderlich schwer, diese eine Entscheidung zu treffen, welches Leben ich führen will. Mag sein, dass dieser Weg hart ist und ich mich von meinem Leben als Mensch distanzieren muss. Aber solange du bei mir bist, schaffe ich das schon. Und ehrlich gesagt… will ich auch mal gerne diese andere Welt sehen… die Welt, aus der du gekommen bist.“ Einen Moment lang standen sie so zusammen und schwiegen nur. Aber dann löste sich Jeremiel von ihm und zog die Augenbrauen zusammen. „Hey… was… was ist das?“ „Was?“ Liam folgte seinem Blick und sah etwas Glänzendes in der Luft. Es sah merkwürdig aus. Wie ein Spinnenfaden, der im Licht der untergehenden Sonne leicht schimmerte. Aber es sah irgendwie fester und dicker aus. „Was zum…“ Liam kam gar nicht dazu, weiterzusprechen, als plötzlich ein heftiger Ruck ihn von den Füßen riss und zu Boden schleuderte. Sekundenschnell zogen sich hauchdünne Fäden um seinen Körper und wickelten sich wie stramme Fesseln um ihn. Er versuchte sich loszureißen, doch diese dünnen fast schon durchsichtigen Schnüre gaben nicht einen Millimeter nach und wickelten sich um seine Arme und um seinen Hals. „Liam!“ Jeremiel lief zu ihm hin und wollte ihn befreien, doch da sprang ein vermummter Schatten aus einer Ecke hervor, packte Jeremiel und schleuderte ihn gegen die Wand, dann verpasste er ihm einen Tritt in die Magengrube. Dann wandte er sich Liam zu. Der Mafiaboss sah eine ca. 1,72m große Gestalt in einem khakifarbenen Kapuzenumhang, die eine Schutzbrille und eine Gashalbmaske trug, sodass man das Gesicht nicht erkennen konnte. Bei sich trug sie unter anderem ein Schwert. „Araphel der Schlächter, ich nehme dich hiermit fest. Du wirst ans Hauptquartier ausgeliefert und für deine unzähligen Kriegsverbrechen bestraft werden.“ „Wie bitte?“ rief Liam und versuchte sich zu befreien, aber es brachte rein gar nichts. Diese Fesseln waren zu stark. „Bei dir hackt es wohl. Ich bin längst begnadigt worden.“ „Das sagen sie alle. Und wenn es wirklich so stimmt, dann wird sich das im Hauptquartier herausstellen. Deshalb würde ich dir anraten, dich nicht allzu sehr zu wehren. Ich will unnötige Verletzungen und Todesfälle lieber vermeiden.“ „Den Teufel werde ich tun und mit dir mitgehen.“ „Enttäuschend…“ Damit ging der Maskierte zu ihm hin, doch da löste sich ein Schuss und streifte Sereas’ Schulter. Jeremiel war aufgestanden und zielte mit seiner Smith & Wesson auf ihn. Wilde Entschlossenheit war in seinen eisblauen Augen zu sehen und so wie er aussah, würde er auch nicht zögern, beim nächsten Mal tödlich zu treffen. „Bleib von Liam weg oder ich…“ „Oder was? Willst du mich erschießen, Junge? Soweit ich weiß, bringst du es nicht fertig, jemanden zu töten. Also erspar uns beiden den Aufwand und steck das Ding da wieder weg. Ich habe keine Lust, mich mit Kleinigkeiten aufzuhalten.“ „Das würde dir so passen. Aber ich lasse nicht zu, dass du Liam mitnimmst.“ Der Maskierte schwieg eine Weile und seufzte dann. „Nun… dann lässt du mir eben keine andere Wahl, Junge.“ Damit schnellte der Angreifer auf ihn zu und erneut schoss Jeremiel. Er traf den Maskierten in die Schulter und in die Seite, aber dennoch griff dieser an, rammte dem blonden Detektiv sein Knie in die Magengrube, schlug ihm ins Gesicht und holte eine kleine Spritze hervor, die er Jeremiel in den Hals stach und ihm anschließend eine gelblich schimmernde Flüssigkeit injizierte. Einen Moment lang war der 26-jährige wie erstarrt, dann aber verdrehten sich seine Augen und er sank bewusstlos zu Boden. Das war der Moment, in dem Liam endgültig rot sah. Kapitel 4: Ein plötzlicher Kuss ------------------------------- „Jeremiel!“ Als Liam seinen Verlobten regungslos auf dem Boden liegen sah, der kaum noch ein Lebenszeichen von sich gab, da brannten bei ihm endgültig die Sicherungen durch. Er ließ sich ja so einiges gefallen, ohne aus der Haut zu fahren, aber wenn es um Jeremiel ging, dann war für ihn endgültig Schluss mit lustig. Na warte… dem Kerl würde er höchstpersönlich den Hals umdrehen und ihn dann zu Hackfleisch verarbeiten, wenn er mit ihm fertig war! Der würde es nicht noch mal wagen, Jeremiel so grob anzufassen. Mit all seiner Kraft stemmte er sich gegen seine Fesseln und warf auch sein Vorhaben über Bord, seine Sefirakräfte nicht einzusetzen und es auf andere Weise zu klären. Dies hier war eine Ausnahmesituation, weil dieser Mistkerl es gewagt hatte, Jeremiel niederzuschlagen und ihm irgendwelche Drogen zu spritzen. Mit einem kräftigen Ruck sprengte er seine Fesseln, ungeachtet der blutigen Schnittwunden, die er sich dabei zuzog. Das war ihm in dieser Situation so was von egal. „Du verdammter Bastard!“ rief er mit donnernder Stimme, schlug zu und traf den Head Hunter ins Gesicht. Dabei riss er ihm die Halbmaske runter und benommen taumelte dieser zurück. Als auch noch das Glas seiner Schutzbrille gesprungen war, nahm Sereas diese ab und enthüllte damit das Gesicht eines jungen Mannes, der sich rein äußerlich ungefähr in Jeremiels Alter bewegte. Er hatte kastanienbraune Augen, ebenso brünettes Haar und eine eher kühle und distanzierte Ausstrahlung. Außerdem lag etwas Gelangweiltes und Teilnahmsloses in seinem Blick. Etwas Benommen taumelte Sereas einen Schritt zurück, fing sich aber wieder und presste eine Hand gegen seine Seite, wo eine Kugel ihn erwischt hatte. Die Wunde blutete stark und musste dringend verarztet werden, aber im Moment kümmerte er sich nicht sonderlich darum. „Na endlich zeigst du dein wahres Gesicht, Araphel“, murmelte er und lächelte leicht herablassend. „Und ich dachte schon, du würdest die Nummer bis zum bitteren Ende durchziehen.“ „Was hast du ihm angetan? Los, sag schon!“ Der Head Hunter wischte sich ein Blutrinnsal aus dem Mundwinkel, als er erklärte „Ich hab dafür gesorgt, dass er mir nicht mehr in die Quere kommt. Dafür, dass ihr beide Sefirot seid, habt ihr ja ganz schön wenig auf dem Kasten. Und dabei hatte ich echt gehofft, endlich mal einen würdigen Gegner anzutreffen. Enttäuschend…“ Diese Provokation und die Tatsache, dass dieser Mistkerl Jeremiel geschlagen und ihm irgendwelche Drogen verabreicht hatte, waren zu viel für den sonst so beherrschten und ruhigen Mafiaboss. Ohne zu zögern griff er an und schlug zu, doch jedem einzelnen Angriff wich der junge Mann mühelos aus und schleuderte ihn mit einem Überwurf zu Boden. Schließlich lag Liam bäuchlings auf den Boden, sein Arm wurde verdreht und schon drückte ihn der Head Hunter mit seinem ganzen Körpergewicht zu Boden. Dieser seufzte und sah mehr als enttäuscht aus. „Und dabei hatte ich echt gedacht, Araphel der Schlächter hätte mehr zu bieten. Stattdessen habe ich es irgendwie nur mit Schwächlingen zu tun. Wie langweilig…“ „Hör auf damit, mich bei diesem Namen zu nennen!“ rief Liam wütend und schaffte es, sich loszureißen. Es entstand ein heftiger Kampf, bei dem es Sereas erneut gelang, Liam mithilfe seiner Seile zu fesseln und seine Bewegung so stark einzuschränken, dass sich dieser kaum bewegen konnte. Doch gerade, als er auch ihn betäuben wollte, um ihn dann mitzunehmen, wurde auch schon die Tür geöffnet und Frederica und L kamen herein. „Was zum…“ Frederica eilte sofort zu den beiden hin und wollte Liam befreien, doch Sereas fing ihren Angriff ab und beförderte sie mit einem Überwurf zu Boden und fesselte auch sie. Doch er merkte so langsam, dass er zu viel Blut verlor. Den Schmerz konnte er ja problemlos ignorieren, aber so langsam verlor er an Kraft und ihm wurde langsam schwindelig. Verdammt… und dabei waren noch mehr Leute in diesem Haus. Das schaffte er nie und nimmer. Es war wohl besser, wenn er sich zurückzog. Aber gerade, als er sich erhob, um für heute den Rückzug anzutreten, da traf sich sein Blick mit L’s. Seine Augen weiteten sich, als er diese so vertraute Aura wahrnahm. Die Aura jener Person, nach der er all die Jahre vergeblich gesucht und für die er all die ganzen Strapazen auf sich genommen hatte, nur um sie endlich zu finden. „Das… das gibt es doch nicht…“ L, der nicht wirklich verstand, was hier vor sich ging, sagte nichts und wollte sich lieber zurückziehen, da die Situation gefährlich zu sein schien, doch da kam Sereas auch schon auf ihn zu. „Sag… bist du es wirklich?“ „Wie bitte?“ „All die Jahre habe ich nach dir gesucht. Und jetzt… jetzt finde ich dich hier. Ich bin so froh.“ Und ehe L reagieren konnte, hatte Sereas ihn auch schon gepackt und küsste ihn. Es war ein so leidenschaftlicher und sehnsüchtiger Kuss und L, der überhaupt nicht verstand, was hier vor sich ging, war zu überrascht, um sich dagegen zu wehren und realisierte erst gar nicht so wirklich, was hier passierte. Küsste ihn da gerade etwa jemand? Wenn ja… warum? Er kannte diesen Kerl nicht mal und trotzdem geschah es einfach. Und er konnte sich nicht einmal erklären wieso. „Hey!“ Die wütende Stimme von Beyond riss L aus seiner Schockstarre und sofort riss er sich von dem Fremden los. Der Serienmörder war sofort auf 180 und konnte nicht glauben, was hier geschah. „L“, rief er und stieß Sereas beiseite. „Was knutschst du da hinter meinem Rücken mit irgendwelchen Typen rum? Betrügst du mich etwa?“ „Jetzt mal langsam“, rief Sereas und wurde langsam ungehalten. „Kleine Mädchen wie du sollten mal etwas mehr Respekt vor Erwachsenen haben. Und überhaupt: was muss ich mich vor dir rechtfertigen? Wir zwei sind immerhin verheiratet!“ Beyond sah aus, als würde er gleich an die Decke gehen. Schlimm genug, dass dieser Schmierlappen es wagte, L zu küssen, jetzt provozierte ihn dieser auch noch. „Wie war das?“ fragte Beyond und zog sein Messer. „Hast du mich gerade ein kleines Mädchen genannt? ICH GEB DIR GLEICH KLEINES MÄDCHEN!!!“ Damit griff er an, doch Sereas konnte ihn mühelos entwaffnen und zu Boden ringen. Doch er spürte, dass der Blutverlust ihm deutlich zu schaffen machte. Ihm wurde kalt, er wurde müde und das war kein gutes Zeichen. Und dem Lärm nach zu urteilen, würden gleich nur noch mehr Störfaktoren kommen. Das Beste war, er zog sich erst mal zurück. Wieder wandte er sich L zu und küsste ihn. „Ich komme wieder, versprochen. Und bitte lauf nicht wieder weg.“ Damit flüchtete Sereas durch das Fenster und verschwand nach draußen in die Dunkelheit. L blieb perplex zurück und verstand gar nichts mehr und das passierte nicht gerade oft. Wieso hatte ein Wildfremder Liam gefesselt, warum war Jeremiel bewusstlos und wieso hatte dieser Kerl auch noch behauptet, sein Ehemann zu sein? Und was sollte das mit dem Kuss? L verstand die Welt nicht mehr und als die anderen dazu kamen und das Durcheinander sahen, waren sie genauso überfragt. „Ohooiet“, rief Nastasja und eilte zu Jeremiel hin. Sie drehte ihn auf den Rücken und prüfte seinen Puls, stellte aber erleichtert fest, dass ihm nichts fehlte. Dasselbe galt auch für Liam, woraufhin sie Entwarnung geben konnte. „Alles in Ordnung, sie sind beide nur betäubt worden.“ „Und das Blut?“ Beyond hatte sich langsam wieder von den Schlägen erholt und stand wieder auf, wobei L ihn ein wenig stützte. Nastasja sah schon die Pistole nicht weit von Jeremiel liegen und vermutete „Wahrscheinlich hat Jeremiel auf den Angreifer geschossen. Aber was genau ist denn eigentlich passiert?“ „Frag doch deinen Sohnemann. Offenbar weiß der mehr als ich“, merkte Beyond nur an und warf L einen bösen Blick zu. „Ich weiß gar nichts“, erklärte L ruhig und steckte die Hände in die Hosentaschen. „Ich habe selber keine Ahnung, was hier passiert ist und wer dieser Kerl war.“ „Hey, was ist denn los?“ rief Sheol und drängte sich nach vorne, um sich das näher anzusehen. Ihm folgte Dathan, der zu den Bewusstlosen hinging, um zu helfen. Auch Frederica gelang es schließlich, sich zu befreien, aber auch sie konnte keine vernünftige Antwort geben. Da die Lage erst mal als ernst eingestuft wurde, beschloss L, dass ein Teil der Familie besser nach Hause gehen sollte. Also brachte Watari zusammen mit seinem Enkel Sheol und Ezra nach Hause. Frederica ging bei Delta und den anderen nach dem Rechten sehen, während Dathan versuchte, Jeremiel und Liam wieder aufzuwecken. Dabei fiel ihm eine silberne Taschenuhr auf, die auf dem Boden lag. Er hob sie auf und betrachtete sie. Merkwürdig… weder Liam noch Jeremiel besaßen so eine Uhr. Dann musste der Angreifer sie wohl im Handgemenge verloren haben. Vorsichtshalber steckte er sie erst einmal ein und begann damit, die beiden Bewusstlosen wieder aufzuwecken. Tatsächlich öffneten diese kurz darauf die Augen und kamen wieder auf die Beine. „Alles in Ordnung bei euch?“ erkundigte sich der Bibliothekar und bekam von beiden ein kurzes „ja“ zur Antwort. Sie gingen in den Salon, um alles zu besprechen und kurz darauf trafen auch Eva zusammen mit Nabi und Samajim ein, die mit erheblicher Verspätung endlich in Boston gelandet waren. Die weißhaarige Sefira merkte sofort, dass etwas nicht stimmte und fragte ihren Bruder sofort „Liam, was ist denn passiert?“ Der Mafiaboss brauchte noch einen Moment, da er noch ein wenig benommen war. „So ein seltsamer Kerl hat mich angegriffen und Jeremiel betäubt. Er sagte, er wolle mich wegen meiner Kriegsverbrechen ausliefern. Er trug eine Halbmaske und eine Schutzbrille und zudem noch einen Kapuzenumhang.“ „Oh“, rief Samajim und sah zu Nabi rüber. „Dann stimmte also mein Verdacht und Sereas ist tatsächlich hinter ihm her gewesen.“ Der Diener mit den türkisfarbenen Augen nickte und meinte „Offenbar hat das Hauptquartier schon wieder einen Fehler gemacht.“ „Dann wisst ihr, wer dafür verantwortlich ist?“ Sie nahmen Platz und Samajim erklärte es ihm. „Es gibt in unserer Heimat eine Gruppe Sefirot, die sich Head Hunter nennen. Sie arbeiten als unabhängige Kopfgeldjäger und jagen Unvergängliche und Halbblüter, die eine Gefahr darstellen und auf deren Kopf aufgrund schwerer Verbrechen ein Kopfgeld ausgesetzt wurde. Da sie früher meist ihre Zielpersonen töteten und nur den Kopf mitnahmen, weil es zu aufwendig war, den ganzen Körper mitzunehmen, wurden sie als Head Hunter bekannt. Mein Bruder Malakh war der Gründer und auch der Anführer dieser Gruppe gewesen, aber als der Krieg ausbrach, verließ er die Head Hunter und kämpfte stattdessen an der Front, wo er in einen Hinterhalt geriet und für tot geglaubt wurde. Die Head Hunter haben ein Hauptquartier, von wo sie aus ihre Listen mit Zielpersonen erhalten, die sie jagen und ausliefern. Einer von diesen Head Huntern ist Sereas der Jäger. Er gilt als stärkster Head Hunter und hat es selbst mit den großen Alten aufnehmen können.“ „Schön und gut“, sagte Jeremiel schließlich. „Aber Liam ist doch von Ain Soph und Elohim begnadigt worden. Warum ist ein Kopfgeldjäger hinter ihm her?“ „Bei so vielen Zielpersonen kann es durchaus zu Fehlern kommen und wahrscheinlich hatte Sereas eine veraltete Liste erhalten. Spätestens, wenn er Liam ins Hauptquartier gebracht hätte, dann hätte sich der ganze Irrtum aufgeklärt. Da es aber so ein Durcheinander gegeben hat, ist er wohl erst mal den Rückzug angetreten, aber vermutlich wird er wieder zurückkommen. Aber macht euch keine Sorgen. Man kann mit ihm vernünftig reden und wenn ich ihm die Sache erkläre, wird er Liam auch in Ruhe lassen. Unter allen Head Huntern ist er der diplomatischste.“ „Und der Typ heißt Sereas?“ fragte Beyond und zog die Augenbrauen zusammen. Samajim bestätigte das, doch der Serienmörder schüttelte den Kopf und erklärte „Also soweit ich meinen Shinigami-Augen vertrauen kann, heißt der Kerl nicht Sereas und ich konnte zudem seinen Namen und seine Lebenszeit erkennen. Das war kein Unvergänglicher, sondern definitiv ein Mensch!“ Diese Nachricht ließ sie verstummen. So wirklich glauben konnte keiner von ihnen, dass es einem Menschen gelungen war, Liam, Jeremiel, Frederica und dann auch noch Johnny, Delta und Marcel zu überwältigen. Das war völlig unmöglich. Liam schüttelte den Kopf und lachte. „Das ist doch Blödsinn. Wahrscheinlich hat der Kerl nur dein Shinigami-Augenlicht ausgetrickst. Das ist für uns auch kein Problem.“ Aber Samajim war da der anderen Meinung. „So unwahrscheinlich ist es nicht. Es gibt tatsächlich Menschen, die von Geburt an ein so großes Potential haben, dass sie problemlos einen Sefira im Zweikampf besiegen können. Sie werden auch Chajal genannt. Es gibt nur sehr wenige von ihnen, aber Nastasja zum Beispiel ist auch eine. Immerhin hat sie es geschafft, Liam damals während der Meisterschaften in London die Stirn zu bieten und ihm ebenbürtig zu sein. Wie gesagt: solche Menschen sind äußerst selten. Weltweit gibt es allerhöchstens 50 bis 100 unter ihnen. Und so wie es aussieht, ist Sereas ein Chajal und es ist ihm gelungen, in unserer Welt Fuß zu fassen und als Head Hunter zu arbeiten.“ „Und wie hat er es geschafft, in eure Welt zu kommen?“ fragte nun Oliver, der zusammen mit Andrew geblieben war. „Ich meine… es ist uns nicht möglich, in eine der anderen Welten zu reisen. Wie also hat er das geschafft?“ Samajim dachte kurz nach und vermutete „Wahrscheinlich hat Minha etwas damit zu tun.“ „Minha?“ „Sie ist eine der großen Alten und wird auch die Händlerin der tausend Wunder genannt. Tatsächlich ist sie als Einzige fähig, Wunder zu bewirken und diese verkauft sie auch. Es würde mich nicht sonderlich überraschen, wenn sie Sereas so ein Wunder verkauft hat, durch welches er zwischen unserer Welt und der euren reisen kann. Das würde allerdings voraussetzen, dass er von unserer Existenz gewusst hat. Also wäre es auch wahrscheinlich, dass er genauso gut ein Naphil sein könnte.“ „Augenblick mal“, unterbrach Beyond und machte abwehrende Gesten mit den Händen. „Ich verstehe rein gar nichts mehr und mich interessiert es auch einen Scheißdreck, was der Kerl ist. Fakt ist: er hat L geküsst und gesagt, die beiden wären verheiratet. Und das will ich erst mal geklärt haben, denn vorher will ich auch nichts anderes mehr hören. Ich bin schon sauer genug deswegen!“ „Beyond, wie oft soll ich dir noch sagen, dass ich ihn nicht kenne?“ erklärte L ruhig, aber er konnte nichts daran ändern, dass Beyond stinksauer und ziemlich eifersüchtig war. Naja, ein Stück weit konnte er es ja auch verstehen. Immerhin hatte dieser Sereas ihn aus heiterem Himmel geküsst und das mit der Ehegeschichte war ja auch nicht sonderlich hilfreich gewesen. Aber trotzdem… „Ich habe diesen Sereas noch nie zuvor gesehen und ich habe auch meines Wissens nach niemals geheiratet. Er muss mich mit jemandem verwechselt haben.“ „Ach ja? Mit mir ja wohl ganz bestimmt nicht. Denn ich kenne keinen Sereas, geschweige denn einen Levi Krylow, was übrigens zu deiner Info sein richtiger Name ist.“ Ein Scheppern ertönte, als Eva ihre Tasse fallen ließ und Beyond beinahe fassungslos ansah. Sofort ruhten alle Augenpaare auf ihr, denn es war ihr anzusehen, dass sie mehr wusste und Licht ins Dunkel bringen konnte. Ihr Gesicht war kreidebleich und sie war wie erstarrt. Sie sah wirklich so aus, als hätte sie einen Geist gesehen. „Wie bitte?“ fragte sie und ihre tiefblauen Augen ruhten auf Beyond. „Wie sagtest du, ist sein Name?“ „Levi Krylow.“ Sie schüttelte nur den Kopf und starrte ins Leere, so als würde sie sich an irgendetwas erinnern. „Das ist unmöglich“, erklärte sie mit schwacher Stimme. „Levi ist tot.“ „Eva, kennst du den Kerl?“ hakte Liam nach, doch seine Schwester antwortete nicht. Stattdessen erhob sie sich und verließ beinahe fluchtartig das Zimmer. „Eva, wo willst du hin? Hey!“ Der Mafiaboss folgte ihr, um endlich zu erfahren, was hier eigentlich gespielt wurde. Samajim und Nabi kamen ebenfalls mit und die anderen blieben eher ratlos zurück und wussten nicht, was das alles bedeuten sollte. Unsichere Blicke wurden ausgetauscht. Schließlich aber kam Frederica zurück, die erklärte, dass es Johnny, Delta und Marcel wieder besser ging und sie nur betäubt worden waren. Auch Gishi sei inzwischen wieder auf den Beinen. „Delta sagte, ein Head Hunter namens Sereas hätte es auf Liam abgesehen.“ „Ja und wie sich gerade herausgestellt hat, heißt dieser Sereas in Wahrheit Levi Krylow und er ist ein Mensch. Er behauptet, mit L verheiratet zu sein und Eva scheint ihn zu kennen, allerdings ist sie gerade abgehauen.“ Das Albinomädchen schüttelte ungläubig den Kopf und meinte „Das ist doch Blödsinn. L hat nie geheiratet und dieser Sereas oder Levi hatte mit der Familie Lawliet niemals Kontakt. Und in keine der Zeitschleifen ist er jemals aufgetaucht. Es muss sich um einen Irrtum handeln. Vermutlich hat er L mit irgendjemandem verwechselt.“ „Das dachte ich mir auch schon“, meinte L. „Fragt sich aber nur, für wen er mich eigentlich gehalten hat. Insbesondere gibt mir Evas Reaktion Rätsel auf. Warum ist sie so urplötzlich abgehauen und hat so seltsam auf den Namen reagiert? Sie weiß irgendetwas und dieser Levi hat gesagt, dass er meinetwegen zurückkommen würde. Wenn dem so ist, dann können wir ihn zur Rede stellen und endlich Antworten erhalten.“ „Ist das nicht gefährlich?“ fragte Dathan besorgt. „Ich meine, er hat es immerhin mit Leichtigkeit geschafft, Liam und die anderen platt zu machen.“ „Er wirkte nicht sonderlich danach, als wolle er jemandem ernsthaft etwas tun. Er hätte Delta und die anderen töten können, wenn er gewollt hätte aber das hat er nicht getan. Vermutlich wollte er nur Liam lebendig ans Hauptquartier ausliefern und damit seinen Job erledigen. Aber da Jeremiel da gewesen ist und auf ihn geschossen hat, ist alles außer Kontrolle geraten und er wurde dabei schwer verletzt und ist deshalb geflohen.“ „Dann wird er wohl nicht weit kommen, wenn er nur ein Mensch ist. Immerhin kann er seine Wunden nicht zurücksetzen.“ Wenn dem so war, durfte es ja nur eine Frage der Zeit sein, bis Liam und Eva den Flüchtigen gefunden hatten. Und dann würden sie endlich erfahren, was dieses ganze Durcheinander und vor allem dieser Kuss zu bedeuten hatte. Denn egal wie sehr L auch nachdachte, er kannte keinen Levi Krylow. „Also zumindest scheint er russischer Abstammung zu sein“, meinte Nastasja schließlich und begann Lakritz zu essen. „Krylow ist ein recht häufiger Nachname in Russland. Aber trotzdem sagt mir der Name nichts. Naja… ich stamme ja auch eigentlich aus einer anderen Zeit und da ist es recht unwahrscheinlich, dass ich ihn schon einmal gesehen habe. Dieser Levi ist ja ungefähr so alt wie ihr. Dathan?“ Doch auch der Bibliothekar musste den Kopf schütteln und erklärte „Tut mir leid, ich habe noch nie einen Typen mit diesem Namen gekannt. Und da ich sowieso im Exil gelebt habe, wusste ich ja nicht mal von der Existenz der Head Hunter.“ „Was mich ja mal interessieren würde: woher kennt Eva ihn und warum sagte sie, er sei tot?“ „Nun, Eva hat doch mal in Russland gelebt“, meldete sich Andrew und sah kurz zu Oliver. „Ja aber das war vor 445 Jahren“, wandte L direkt ein. „Und da Levi ein Mensch ist, kann er nie und nimmer so lange gelebt haben.“ Auch wieder wahr. Aber woher hatte Eva dann diese Verbindung zu ihm? Immerhin war sie doch 444 Jahre nicht in dieser Welt gewesen, weil sie Ajin Gamur gedient hatte, damit dieser ihre Familie zurückholte. Irgendwie war da alles ziemlich verworren und Fakt war, dass der Kerl ganz eindeutig Kontakt zu den Unvergänglichen hatte und das schon seit einer Weile, wenn er sogar als Head Hunter arbeitete. Tja… blieb nur zu hoffen, dass Eva bald wieder zurückkam und sie alle mal aufklärte. Kapitel 5: Levis Geschichte --------------------------- Keuchend lehnte sich Levi gegen einen Baum und sank zu Boden. Er war völlig am Ende und sein Blutverlust war inzwischen mehr als nur kritisch geworden. Verdammt… Pistolen waren aber auch wirklich ein echtes Problem bei ihm. Warum hatten die Menschen diese Dinger auch erfunden? Naja, es war halb so schlimm. Mithilfe seiner Taschenuhr konnte er die Verletzungen zurücksetzen und dann wieder zurückkehren. Also griff er instinktiv nach der Taschenuhr, doch er ertastete rein gar nichts. Sie war nicht da. Das konnte doch nicht sein. Sofort begann er seine Taschen zu durchsuchen, aber er fand nirgendwo seine Uhr. Das war ein Alptraum. Wie sollte er die Schussverletzungen zurücksetzen, wenn er seine Uhr nicht hatte? Er würde sterben, wenn er Pech hatte. Warum war sie denn auf einmal nicht da? Er trug sie doch immer bei sich, ausnahmslos. Also wo könnte seine Taschenuhr nur sein? Wahrscheinlich hatte er sie während des Kampfes verloren. Bei seinem Glück heute würde ihn nichts anderes verwundern. In dem Fall musste er wieder zurück. Thomas anzurufen und ihn um Hilfe zu bitten war ausgeschlossen. Er wollte ihn nicht in diese Sache mit reinziehen. Insbesondere nicht, wenn es um Araphel den Schlächter ging. Thomas hätte beim besten Willen keine Chance gegen so einen Gegner. Levi atmete tief durch und biss die Zähne zusammen, als er wieder aufstand. Ihm wurde wieder schwindelig und vor seinen Augen verschwamm alles. Lange würde er nicht mehr durchhalten können. So viel war sicher. Aber wenigstens war Araphels Aura nicht mehr im Haus wahrnehmbar. Glücklicherweise hatte sich Levi gut genug versteckt, um nicht entdeckt zu werden. So konnte er ins Haus und seine Uhr holen. Er lief durch den Garten und erreichte schließlich die Terrasse. Dort befand sich niemand. Also stieg er dort durch die Tür ein und ging in Richtung des Zimmers, wo er gegen Araphel gekämpft hatte. Aber jeder Schritt wurde zu einer einzigen Anstrengung, denn ihm war so, als würden sie gleich den Dienst versagen. Ihm tat alles weh und er wollte nur noch so schnell wie möglich seine Wunden zurücksetzen. Ansonsten würde er gleich noch zusammenbrechen und sterben. Und darauf hatte er nun wirklich keine Lust. Als er den Raum erreichte, begann er zu suchen, fand aber nirgendwo die Uhr. Erschwerend kam noch hinzu, dass seine Sicht immer wieder verschwamm und ihm immer wieder schwarz vor Augen wurde. Verdammt, wo war nur seine Uhr? Es konnte doch nicht sein, dass sie verschwunden war. Er stützte sich an der Wand ab und presste eine Hand auf seine blutende Schulter. Ihm war kalt und er zitterte schon. Wenn nicht schnellstens etwas geschah, würde sein Körper einen Schock erleiden durch den hohen Blutverlust, dann würde er sterben. So ein Mist. Es musste aber auch wirklich alles komplett schief laufen. Das alles lief überhaupt nicht wie geplant ab und das ärgerte ihn. „Hey.“ Levi wandte sich um und nahm sie wieder wahr, diese eine besondere vertraute Aura, nach der er so lange Zeit gesucht hatte. „Du…“ Er ging wankend auf L zu, der die Geräusche gehört hatte und deshalb nachsehen wollte. Mit leisem Schreck erkannte er, in welcher Verfassung sich Levi befand. Der Kerl war so blass wie eine Leiche und völlig am Ende seiner Kräfte. Schließlich sank dieser erschöpft zusammen, doch L fing ihn auf. Schwer atmend lag der Head Hunter auf dem Boden und streckte eine Hand nach L aus, dann strich er ihm sanft über die Wange und lächelte. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich dich noch ein Mal wieder sehen würde. Seltsam… obwohl du damals einfach verschwunden bist, kann ich gar nicht böse auf dich sein. Hör mal… ich will, dass du weißt, dass ich dich immer noch liebe. So lange habe ich nach dir gesucht und jetzt will ich dich nicht schon wieder verlieren. Bitte bleib bei mir, ja? Du darfst mich nicht schon wieder verlassen.“ Beyond kam zusammen mit Jeremiel und Frederica ins Zimmer und sah natürlich dieses Szenario. Am liebsten wäre er auf diesen Levi losgegangen, doch Frederica hielt ihn auf, bevor noch ein Unglück passieren konnte. Jeremiel eilte zu dem Schwerverletzten hin und begann die Wunden zurückzusetzen. Immer noch ruhten Levis kastanienbraune Augen auf L und er wirkte sehr glücklich in diesem Moment. Aber der Detektiv konnte sich einfach nicht den Grund erklären und fragte „Warum ich?“ „Erinnerst du dich denn nicht? Wir sind doch verheiratet. Wir haben damals in unserer kleinen Hütte heimlich geheiratet. Du musst dich doch daran erinnern, wie wir uns kennen gelernt haben. Du hast mir das Leben gerettet und dich um mich gekümmert. Daran musst du dich doch erinnern, ebenso wie an das Feuer, das sie damals gelegt haben, Eva.“ L stutzte, als er das hörte und auch alle anderen wirkten vollkommen verwirrt. Hatte Levi L gerade Eva genannt? Hatte er etwa allen Ernstes die beiden miteinander verwechselt? Wenn ja, wie schaffte er das denn bitteschön? Die beiden waren so verschieden wie Tag und Nacht, selbst ein Blinder bemerkte den Unterschied doch. Allerspätestens an der Stimme… Gerade wollte L etwas darauf erwidern, aber da schlossen sich bereits Levis Augen und er verlor das Bewusstsein. Aber wenigstens kehrte langsam wieder seine Gesichtsfarbe zurück, nachdem Jeremiel erfolgreich die Verletzungen zurückgesetzt hatte. Ungläubig tauschten L und Beyond kurze Blicke aus und wussten nicht so wirklich, wie sie das einzuordnen hatten. Der Serienmörder schüttelte den Kopf und lachte ungläubig. „Hat er dich jetzt allen Ernstes Eva genannt?“ „So sieht es aus“, murmelte der Detektiv nachdenklich und half seinem Bruder damit, den Bewusstlosen aufs Sofa zu legen. Beyond betrachtete den Bewusstlosen skeptisch und meinte „Würde mich echt mal interessieren, wie er auf den Schwachsinn kommt. Ich meine… der Unterschied zwischen dir und Eva ist doch mehr als offensichtlich.“ Tja… was das anbetraf, war sich L auch noch nicht hundertprozentig sicher. Schließlich ging Frederica den anderen Bescheid sagen, dass Levi wieder aufgetaucht sei und so kamen auch schließlich Oliver, Andrew und Dathan hinzu. Kurz darauf kehrten auch schon Liam, Eva, Samajim und Nabi zurück. Während sich die die letzteren beiden in den Salon zurückzogen und warten wollten, bis die Angelegenheit geklärt war, wollte sich Eva den Eindringling persönlich ansehen. Ihre Augen weiteten sich, als sie den Bewusstlosen sah und war für einen Moment wie erstarrt. Dann aber fragte sie fassungslos „Levi?“ Als hätte er ihre Worte gehört, öffnete er die Augen und kam langsam wieder zu sich. „Verdammt“, murmelte er und presste eine Hand gegen seine Stirn. „Das war echt knapp. Einen Moment später und ich wäre tot gewesen.“ Und damit wandte er sich L zu. „Danke Eva.“ „Ich bin nicht Eva, mein Name ist L.“ „Wie jetzt?“ fragte Levi irritiert und sah abwechselnd zu ihm und Eva. Er schien rein gar nichts mehr zu verstehen und schüttelte verständnislos den Kopf. „Seit wann gibt es denn zwei von deiner Sorte?“ „Levi“, rief Eva und eilte auf ihn zu und umarmte ihn. In dem Moment brachen alle Gefühle hervor und sie begann regelrecht zu weinen. „Ich kann es nicht glauben. Du lebst wirklich. Aber… wie… wie ist das möglich? Ich dachte wirklich, du wärst gestorben.“ Levi erwiderte die Umarmung sofort und schien mindestens genauso glücklich zu sein. Liam verschränkte die Arme und schüttelte nur den Kopf. „Könnte uns mal jemand aufklären?“ „Das ist mein Mann“, erklärte Eva und diese Nachricht ließ bei dem sonst so beherrschten Mafiaboss tatsächlich die Gesichtszüge entgleisen. Er hätte ja mit einigem gerechnet, aber nicht mit so einer Nachricht. Seine Schwester war mit einem Menschen verheiratet? Seit wann das denn bittschön und warum hatte sie nie etwas davon erzählt? „Ihr… ihr seid verheiratet?“ „Ja“, bestätigte Levi und löste sich wieder von Eva. „Und ihr? Seid ihr Freunde von Eva?“ „Wir sind sozusagen ihre Familie“, erklärte Oliver, aber irgendwie beschlich ihn das Gefühl, als würde gleich wieder das nächste Missverständnis folgen. Und tatsächlich verwies Levi auf Beyond und Andrew und fragte seine Frau „Dann sind das deine Töchter?“ Der Serienmörder, der immer noch stinksauer auf den Kerl war, weil dieser einfach so L geküsst hatte, wollte schon wieder auf ihn los, aber da hielt Liam ihn am Kragen zurück. „Sehen wir für dich etwa wie kleine Mädchen aus? Ich gebe dir gleich kleines Mädchen, du Blödmann. Erst brichst du hier ein, attackierst einfach so Liam, küsst meinen L vor meinen Augen und bezeichnest mich noch als kleines Mädchen. Na warte!“ Liam hielt den wütenden Serienmörder zurück und gab ihm schließlich eine Kopfnuss mit den einfachen Worten „Du hast jetzt Sendepause.“ Um die ganze Sache zu klären, gingen sie in den Salon und nahmen alle Platz. Levi wirkte noch ein wenig angeschlagen, was aber an der Zurücksetzung lag, die für Menschen eine enorme körperliche Belastung darstellte und meist zur Folge hatten, dass derjenige gut und gerne ein oder zwei Tage durchschlief. Jeremiel brachte erst mal Getränke und Levi genehmigte sich etwas Hochprozentiges, um wieder auf die Beine zu kommen. Schließlich aber fragte er direkt L „Was genau hast du eigentlich mit Araphel zu schaffen, Eva?“ „Ähm… Eva sitzt da drüben. Und was deine Frage betrifft: Liam ist Evas älterer Zwillingsbruder.“ „Oh, dann bist du also mein Schwager?“ fragte er den Mafiaboss überrascht, der mit einem kurzen und knappen „Scheint so“ antwortete. Nun aber wollten sie es genau wissen. Insbesondere warum Levi immer wieder L und Eva miteinander verwechselte. Dathan holte schließlich die Taschenuhr hervor und fragte „Gehört sie dir?“ Sofort nahm Levi sie entgegen und überprüfte sie um sicherzugehen, dass sie auch heil war. „Ja, ich muss sie während des Kampfes verloren haben. Ihr müsst wissen, dass das keine gewöhnliche Taschenuhr ist. Durch sie kann ich meine eigene Lebenszeit verändern, meine Verletzungen zurücksetzen und mittels eines eingebauten Schalters in die Heimat der Unvergänglichen reisen. Dadurch war es mir möglich, so lange am Leben zu bleiben. Und sie war auch bitter nötig, nachdem ich gut und gerne 600 Jahre nach Eva gesucht habe.“ „600 Jahre?“ riefen einige unter ihnen und ihnen klappte die Kinnlade herunter. Levi nickte und erklärte „Ja. Inzwischen bin ich 622 Jahre alt. Dank der Uhr kann ich sogar noch viel älter werden, allerdings gibt es da bei der ganzen Sache einen kleinen Haken.“ Levi räusperte sich und trank noch einen Schluck Wodka, bevor er weitersprach. „Ich habe dafür meine Fähigkeit verloren, andere vom Äußeren her zu erkennen und zu unterscheiden. Im Grunde seht ihr für mich alle gleich aus. Und deshalb habe ich wohl die Falsche für Eva gehalten.“ „Ja aber allein schon an der Stimme hättest du doch erkennen müssen, dass das nicht Eva, sondern ein Kerl ist, verdammt“, knurrte Beyond und war immer noch ziemlich sauer wegen dem Kuss. Levi sah mehr als perplex aus und wandte sich zu Eva. „Oh entschuldige bitte. Ich… ich war nur so überrascht gewesen, dass ich nicht darauf geachtet habe. Entschuldige bitte, ich wusste nicht, dass du ein Mann bist.“ „Das ist Eva. L sitzt neben dir.“ Eva schüttelte den Kopf und konnte es nicht fassen. All die Jahre dachte sie, Levi wäre tot und jetzt war er wahrhaftig hier und hatte 600 Jahre nach ihr gesucht. Und dann war er als Head Hunter auch noch hinter seinem eigenen Schwager her und verwechselte sie und L auch noch miteinander. Oh Mann, das war doch die reinste Bilderbuchironie. „Nun mal ganz ruhig, Kleine. Ich kann ja wohl kaum was dafür, wenn L und Eva sich so ähnlich sind.“ „Wo sind da denn bitteschön Ähnlichkeiten und hör gefälligst auf mich wie ein kleines Mädchen zu behandeln. Nur zu deiner Information: ich bin ein Mann und zudem 26 Jahre alt!“ Nun war Levi vollkommen irritiert und verstand rein gar nichts mehr. Er wirkte ziemlich überfragt und L dämmerte so langsam, was die Ursache war. „Kannst du etwa… unsere Seele erkennen?“ „Nicht direkt. Ich habe mir mit der Zeit eine Art sechsten Sinn antrainiert, mit dem ich andere anhand der Aura ihrer Seele unterscheiden kann. Somit ist es mir möglich, meine Zielpersonen zu identifizieren und erfolgreich als Head Hunter zu arbeiten.“ „Verstehe. Und da L Evas menschliche Wiedergeburt ist und Beyond und Andrew in ihrem letzten Leben Mädchen gewesen waren, kam es zu diesem Missverständnis“, schlussfolgerte Nastasja und konnte sich ein amüsiertes Schmunzeln nicht verkneifen. Oliver kniff seinem Lebensgefährten scherzhaft in die Wange und grinste. „Hast du gehört, Andy? Er hält dich für ein Mädchen.“ Nun, der rothaarige Engländer nahm dieses Missverständnis mit deutlich mehr Humor als Beyond und nachdem Levi seine Uhr wieder eingesteckt hatte, erklärte Eva ihm, dass Liam längst von Ain Soph und Elohim begnadigt worden sei und er nicht mehr Araphel der Schlächter sei, sondern als Liam J. Adams in der Menschenwelt lebe. Als der Head Hunter das hörte, hob er kurz die Augenbrauen. „Oh, dann hat mir das Hauptquartier wohl eine veraltete Liste gegeben. Nun, in dem Fall hat sich das ja erledigt. In dem Fall möchte ich mich für das ganze Durcheinander entschuldigen, was ich angerichtet habe. Ich hab nur versucht, meinen Job zu machen.“ „Vergessen wir das“, winkte Liam ab und damit hatte sich die Sache geklärt. Nun aber wollte es Frederica genau wissen und fragte neugierig „Wie habt ihr euch beide denn kennen gelernt und was genau ist passiert, dass ihr voneinander getrennt wurdet?“ „Nun, das ist eine lange Geschichte“, begann Levi und trank noch einen Kurzen zusammen mit Nastasja, bevor er zu erzählen begann. „Ich wurde 1393 in einer kleinen Siedlung nahe der sibirischen Grenze geboren. Meine Eltern starben früh und so bin ich bei meiner Tante groß geworden. Wir lebten nahe einem Wald, von dem erzählt wurde, dass eine schreckliche Hexe dort hausen würde. Als ich zehn war, ging ich zum Holzsammeln in den Wald, dabei stürzte ich einen steilen Abhang hinunter und brach mir beide Beine. Ich lag stundenlang bewusstlos da und wäre beinah erfroren. Eva fand mich und brachte mich in ihre Hütte, wo sie meine Beine heilte und mich pflegte, bis ich wieder gesund war. Ich hatte noch nie zuvor in meinem Leben ein so wunderschönes Mädchen gesehen mit so langen weißen Haaren und ich konnte sie einfach nicht vergessen. Mir war es egal, dass sie in den Augen der Siedler eine Hexe war, ich konnte Eva einfach nicht vergessen und ich liebte sie. Ich ging sie oft besuchen, wenn ich von meiner Tante in den Wald geschickt wurde und als ich 16 Jahre alt war, heirateten wir heimlich.“ „Äh Moment mal“, unterbrach Beyond. „Du… hast mit 16 Jahren geheiratet?“ „Klar“, erklärte Levi ganz selbstverständlich. „Damals haben wir teilweise schon mit 13 oder 14 Jahren geheiratet, weil damals kaum jemand älter als 40 Jahre wurde. Jedenfalls waren Eva und ich 6 Jahre verheiratet und wollte zu einem Sefira werden wie sie. Aber Eva wollte mir mit meiner Entscheidung lieber Zeit lassen und nichts übereilen. Immerhin wäre das eine Entscheidung, die mein ganzes Leben betrifft. Am 30. Oktober 1415 kamen die Siedlerbewohner dahinter, dass ich mit Eva verheiratet war und sie glaubten, dass sie mich verhext hätte. Daraufhin griffen sie uns an und brannten die Hütte nieder. Ich überlebte wie durch ein Wunder, aber Eva war spurlos verschwunden. Schwer verletzt schleppte ich mich durch den Wald und wurde schließlich von einer Naphil-Frau namens Alina gefunden und gesund gepflegt. Ich machte mich im Anschluss auf die Suche nach Eva, fand sie aber nirgendwo und als ich befürchtete, dass ich vielleicht nicht lange genug leben würde, um Eva wiederzufinden, gab mir Alina einen Hinweis. Sie erzählte mir von einer großen Alten, die Wunder bewirken kann und sie brachte mich zu ihr. Minha, die Händlerin der tausend Wunder, bot mir eine silberne Taschenuhr an, die meine Lebenszeit verändern und mich in die Welt der Unvergänglichen bringen könnte und da ich weder Geld noch irgendetwas Wertvolles besaß, nahm sie als Bezahlung meine Fähigkeit, andere vom Äußeren zu unterscheiden. Das erschwerte meine Suche erheblich, aber ich wollte nicht aufgeben, weil ich mir sicher war, dass ich Eva trotz dieser Einschränkung finden konnte. Daraufhin verfolgte ich ihre Spur bis nach Nowgorod, aber als ich dort ankam, war das Massaker schon vorbei und Eva war wieder verschwunden. Also änderte ich meine Strategie und schloss mich den Head Huntern an. Ich dachte, wenn ich unter den Unvergänglichen lebe, habe ich so eine bessere Chance, Eva zu finden. Tja und da ich vermeiden wollte, dass die anderen herausfanden, dass ich ein Mensch bin, weil das unter Umständen hätte gefährlich werden können, legte ich mir den Decknamen Sereas zu. Seitdem arbeitete ich als Head Hunter und das ist im Grunde genommen die ganze Geschichte. Nichts Spektakuläres also.“ Trotzdem waren einige von ihnen sprachlos. Immerhin bedeutete es, dass Levi Krylow alias „Sereas der Jäger“ 600 Jahre lang auf der Suche nach Eva gewesen war und trotz allem immer noch an ihrer Ehe festgehalten hatte. Frederica rührte diese Geschichte schon fast zu Tränen. „Wie süß“, meinte sie schließlich. „da hat er so lange Zeit nach dir gesucht, Eva. Wenn das nicht wahre Liebe ist.“ „Und du hattest nie eine andere gehabt?“ fragte Beyond und bekam sofort ein energisches „Nein“ von Levi. „Für mich gibt es nur Eva und keine andere Frau auf der Welt sonst.“ Eva war zutiefst gerührt und konnte nicht glauben, was sie da hörte. All die Jahre hatte Levi nach ihr gesucht und war zum Head Hunter geworden, um sie zu finden. Sie stand auf, ging zu ihm hin und schloss ihn in die Arme und dabei kamen ihr endgültig die Tränen. „Es tut mir Leid“, sagte sie und drückte ihn fest an sich so als wolle sie ihn nie wieder loslassen. „Ich hatte wirklich gedacht, du wärst bei dem Feuer gestorben. Wenn… wenn ich das gewusst hätte, dann hätte ich dich gesucht. Dann hätte ich den Dienst bei Ajin niemals angetreten und wäre mit dir glücklich gewesen.“ Doch Levi schüttelte nur den Kopf und meinte „Es ist wie es ist. Und vielleicht musste es ja sein, weil diese Menschen ansonsten jetzt nicht leben würden. Die Hauptsache ist doch, dass wir uns jetzt wiedergefunden haben.“ Und damit nahm er ihre Hand und sah ihr tief in die Augen. „Eva, würdest du wieder als meine Frau zu mir zurückkehren?“ Gespannt warteten sie alle auf die Antwort und man konnte Frederica leise „Sag ja, sag ja, sag ja!“ flüstern hören. Die weißhaarige Sefira lächelte überglücklich und küsste ihren menschlichen Ehemann. „Ja, ich will.“ Damit hatte alles eine glückliche Wendung genommen und sie waren froh, dass sich alles geklärt hatte. Was zunächst als roter Alarm eingestuft worden war, hatte sich letzten Endes doch als großes Missverständnis entpuppt, welches schnell aufgeklärt werden konnte. Als es langsam später wurde und Nastasja, Dathan, Frederica L und Beyond sich verabschiedeten und sich auf den Heimweg machten, bot Jeremiel Levi kurzerhand an, erst mal hier zu bleiben. Liam war noch ein wenig skeptisch, vor allem nach der Attacke auf Jeremiel und die anderen. Aber andererseits ging es allen gut, es war niemandem etwas ernsthaft passiert und im Grunde hatte Levi nicht vorgehabt, jemanden zu töten. Er hatte nur dafür gesorgt, dass er seinen Job machen konnte. Und außerdem war der Typ Evas Ehemann… Also gab er sein Einverständnis und zog sich zusammen mit Jeremiel zurück. Levi und Eva setzten sich schließlich auf die Terrasse, um ein wenig miteinander zu reden. Eine Weile schwieg die weißhaarige Sefira und betrachtete den sternenklaren Nachthimmel. „Ich kann nicht glauben, dass das alles wirklich passiert und ich dich noch mal wiedersehen kann. Und all die Jahre warst du in der Heimat?“ „Nicht direkt“, erklärte er und lehnte sich zurück, wobei er einen Arm um Evas Schultern legte. „Ich bin immer hin und her gereist.“ „Und das hat dir keine Schwierigkeiten bereitet?“ „Du kennst mich doch, ich bin anpassungsfähig. Und zu meiner Tante hatte ich nie ein enges Verhältnis. Du bist die einzige Person, die mir wirklich wichtig ist und so wird es auch niemals anders sein. Ich liebe dich, Eva. Für dich hätte ich alles auf mich genommen und das weißt du auch. Ich will mit dir die Ewigkeit verbringen und mit dir irgendwann mal vielleicht eine eigene kleine Familie haben.“ Die Weißhaarige legte ihren Kopf auf der Schulter ihres Mannes ab und lächelte glücklich. „Ja… das wäre wirklich schön…“ „Am besten einen Sohn und eine Tochter.“ „Und die nennen wir Ilan und Rinah.“ Levi musste lachen. „Irgendwie kommt es mir gerade so vor, als wäre es erst gestern gewesen, als du fortgegangen bist. Irgendwie schon komisch…“ „Stimmt. Jetzt wo du es sagst…“ Sie verbrachten den ganzen Abend zusammen und kamen sich erstaunlich schnell wieder näher. Und dabei wurden sie von Deltas neugierigen Augen beobachtet, der sich so etwas natürlich nicht entgehen lassen wollte. Dieser seufzte sehnsüchtig und meinte nur „Ach Gottchen ist das romantisch. Ist das herzergreifend. Romeo hat seine Julia endlich gefunden.“ „Schön und gut“, meinte Johnny und packte Delta am Kragen. „Aber die haben auch ein Anrecht auf Privatsphäre.“ „Mo-mo-moment mal, Darling. Ich will doch wenigstens sehen, wie sich die beiden näher kommen und ob sie…“ „Nein Delta, aus! Du und ich gehen jetzt und damit Schluss.“ Und so blieb dem Kimonoträger nichts anderes übrig, als zu gehen, auch wenn er lieber geblieben wäre um zu sehen, wie es denn weiterging. Er konnte es eben nicht sein lassen… Kapitel 6: Eine seltsame Familie -------------------------------- Am nächsten Morgen war Jeremiel sogar schon vor Liam wach und hatte sich direkt an die Arbeit gemacht und saß mit einer Tasse starkem Kaffee an seinen Laptop und begann mit seiner Recherche. Er war noch etwas müde und wäre am liebsten noch etwas im Bett geblieben, aber er hatte Ezra ja versprochen, dass er sich um seinen dubiosen neuen Klassenlehrer kümmerte und die Familie ging vor. Müde gähnte er und begann schon mal damit, die Vergangenheit seiner Zielperson zu durchleuchten. So etwas war ja nicht wirklich schwer, wenn man wusste, wie man vorgehen musste und L hatte ihm in recht kurzer Zeit ziemlich viel beigebracht, sodass er inzwischen als Detektiv mit dem Decknamen „Anon“ L noch Konkurrenz machen konnte. Es war ja auch eine Arbeit, die ihm Spaß machte und er wollte zudem etwas gegen die Kriminalität tun, insbesondere gegen den vorherrschenden Menschenhandel, dem er beinahe selbst mal zum Opfer gefallen wäre. Er hatte auch schon einige Fälle aufgedeckt, wo junge Frauen aus Russland zur Prostitution gezwungen worden oder junge Männer entführt und an Bordelle verkauft wurden. Auch dem Handel mit Kinderpornografie hatte er den Kampf angesagt und auch das eine oder andere Mal mit Oliver zusammengearbeitet, der sich als Cyberterrorist „Operator“ auf dergleichen spezialisiert hatte. Es war eine sinnvolle Aufgabe und für seinen Intellekt anspruchsvoll genug. Allerdings ging er nicht so wählerisch vor wie L, der sich nur um Mordfälle mit mindestens zehn Opfern beschäftigte, oder wenn es um Millionenbeträge ging. Jeremiel nahm fast jeden Fall an und hatte bereits erste zuverlässige Kontakte zum FBI und der Bostoner Polizei. Auch mit dem Drogendezernat hatte er schon das eine oder andere Mal zusammengearbeitet, aber heute würde es um einen eher „unspektakulären“ Fall gehen, aber für Jeremiel hatte dieser allerhöchste Priorität. Denn sobald es um seine Familie ging und insbesondere um Ezra, der ja der Jüngste war und eh schon aus schwierigen Verhältnissen stammte, da nahm er die Sache lieber selbst in die Hand. Wenig später kam auch Levi herein, der offenbar auch zu den Frühaufstehern zählte. „Nanu, konntest du nicht mehr schlafen?“ Der Head Hunter schüttelte den Kopf und erklärte „Ich schlafe nie sonderlich lange und ich warte eh auf einen Anruf.“ Wieder schwieg er kurz und ihn schien eine Frage zu beschäftigen. Zuerst zögerte er noch, stellte sie dann aber doch, weil es ihn zu sehr interessierte. „Sag mal, wieso bist du zu einem Sefira geworden?“ „Nun“, begann Jeremiel und trank einen Schluck Kaffee. „Ich bin mit Liam verlobt und da ich als Mensch recht kurz lebe, habe ich mich dazu entschlossen, mein altes Leben aufzugeben und bei ihm zu bleiben. Also im Grunde genommen haben wir beide so einiges gemeinsam. Ich muss aber zugeben, dass ich von deinem Kampfstil wirklich beeindruckt bin. Hätte Beyond dich nicht eindeutig als Mensch identifiziert, dann hätte ich echt gedacht, du wärst ein Unvergänglicher. Samajim hatte erzählt, dass es so genannte Chajal gibt. Also Menschen mit einer besonderen Begabung. Ich hätte echt nicht gedacht, dass ein Mensch so stark sein kann, dass er es sogar mit Liam locker aufnehmen kann.“ „Mag sein, aber Begabung alleine reicht nicht aus“, erklärte Levi und setzte sich. „Ohne hartes Training nützt dir deine Begabung rein gar nichts. Insgesamt 10 Jahre ununterbrochenes Training habe ich gebraucht, um mit den Head Huntern mithalten zu können. Selbst heute trainiere ich noch. Die Begabung allein macht knapp 30% aus, der Rest ist alles hartes Training und Ausdauer.“ Ja das konnte sich Jeremiel gut vorstellen. Immerhin hatte er allein von seiner Mutter viele Geschichten gehört. „Was genau bedeutet Chajal eigentlich?“ „Es bedeutet Soldat. Das kommt daher, weil damals viele Begabte als Soldaten und Krieger berühmt wurden. Diese Fähigkeit der Chajal wird auch Matana genannt, was so viel wie Begabung bedeutet. Allerdings gibt es nicht viele Chajal und jene, die stark genug sind, um es mit den großen Alten aufzunehmen, die starben auf unerklärliche Art und Weise sehr früh und die Familie gleich mit.“ Die Chajal und ihre Familien starben? Sollte das etwa heißen, dass die Chajal verfolgt wurden, ohne es zu wissen? Als hätte Levi seine Gedanken gelesen, erklärte er „Götter dulden keine Konkurrenz oder Gefahren für ihre Position. Deshalb habe ich mich nie stärker gegeben, als ich bin und immer schön brav gekuscht. Einen guten Rat will ich dir mitgeben und der gilt nicht nur für dich, sondern auch für deine Freunde: gehe niemals ein Risiko ein, von dem du nicht abschätzen kannst, ob es sich lohnt, es überhaupt einzugehen. Du wirst auch sonst recht schnell merken, dass der Sefirotkult sehr viele Parallelen zur Bibel oder zu anderen Religionen hat. Insbesondere was die Nephilim betrifft…“ „Nephilim?“ „Bezeichnung für die Halbblüter. Die Nephilim sind Kinder von Menschen, die entweder mit einem Sefira oder einem Seraph eine Verbindung eingegangen sind. Einzige Ausnahme sind die Entitäten, weil diese grenzenlos sind und deshalb nicht herabgestuft werden können. Ein Naphil hat nur einen Bruchteil der Kräfte seines unvergänglichen Elternteils, besitzt auch keine unvergängliche Seele und teilweise kommen sie entweder mit Entstellungen zur Welt, oder sie werden durch ihre eigenen Kräfte so stark ausgezehrt, dass sie ein sehr schwaches Immunsystem haben und meist auch früh sterben. 50 Prozent der Nephilim kommen schwach zur Welt, die anderen besitzen eine hohe Vitalität. Hat dir nie jemand etwas über die Halbblüter erzählt?“ Jeremiel verneinte und erklärte, dass sich Liam nicht an seine Vergangenheit als Araphel erinnern konnte und seine Gefolgsleute nie in der Heimat gewesen waren. Und Eva war auch erst seit kurzem wieder zurück. Levi nickte bedächtig. „Verstehe. Weißt du wenigstens, wie die Rangordnung der Unvergänglichen aussieht?“ „Ja. Als erstes kommen die drei Entitäten und an allererster Stelle steht Ajin Gamur, weil er den Anfang und das Ende aller Dinge verkörpert. Nach den Entitäten folgen die Sefirot, die von den großen Alten angeführt wurden. Danach folgen die Seraphim, die von den Sefirot zuerst als Diener erschaffen wurden und danach kommen die Vergänglichen.“ „Fast richtig. Vor den Vergänglichen kommen noch die Nephilim. Die Proxys sind im Grunde genommen künstlich erschaffene Nephilim, wenn man es genau betrachtet, deswegen werden sie auch als solche eingestuft. Wie ich schon sagte, gibt es viele Parallelen zwischen dem Sefirotkult und der menschlichen Religion, was daran liegt, weil es schon vor langer Zeit Kontakt zu den Unvergänglichen gab und aus diesem Kontakt die Nephilim entstanden sind. Im Grunde sind die Seraphim in den Augen der Menschen die Engel, die Sefirot göttliche Emanationen und damit unsere Vorstellung von Gott. Die Entitäten sind die Schöpfer, die Quelle aller Dinge und damit stehen sie über allen Gesetzen und Grenzen. Ajin Gamur verkörpert das Nichts und die Zerstörung, Ain die Ewigkeit, das „Alles“ und die Schöpfung und Elohim ist das Bindeglied zwischen diesen beiden und präsentiert das ausgewogene Gleichgewicht zwischen Schöpfung und Zerstörung. Außerdem ist er der Schutzwächter von Ain Soph. Tja und dann haben wir die Sefirot, mit ihren großen Alten, die sogenannten Oberklasse-Sefirot und die anderen als Unterklasse-Sefirot, die sich alle Äonen lang gegenseitig massakriert haben, um im Rang aufzusteigen und die Herrschaft zu erlangen. Das ist unsere Vorstellung von Göttern gewesen… Die Machtkämpfe dieser Götter findest du bei den Römern und den Griechen genauso wie in anderen Religionen, die mehrere Götter haben. Denn jeder will der Stärkste sein und das Sagen haben. Die Seraphim sind die Engel und damit die Gottesdiener. Tatsächlich wurden sie nur zu diesem einen Zweck erschaffen und versklavt. Sie wurden misshandelt, gequält und hatten keinerlei Rechte und wenn sie flohen, aufmuckten oder vor Erschöpfung zusammenbrachen, tötete man sie einfach. Eva hatte sich damals zusammen mit ihrem Mentor für die Rechte der Seraphim stark gemacht und konnte zumindest erwirken, dass die Seraphim dieselben Rechte erhielten wie die Sefirot, allerdings hat sich bis heute noch nicht sonderlich viel an der Mentalität geändert, dass die Seraphim nur die Diener sind. Noch schlechter aber stehen die Nephilim da. Diese sind nämlich größtenteils nicht in der Lage, in die Heimat zu reisen und wenn sie nicht gerade mit Vitalität und Stärke geboren wurden, können sie ihre Kräfte kaum einsetzen. Deshalb beschlossen die großen Alten damals unter Miswas Herrschaft, die Nephilim auszurotten.“ „Und warum?“ „Weil sie ihre Rasse erhalten wollten. Es ist in ihren Augen unvorstellbar, dass Unvergängliche und Menschen Kinder zeugen und sie wollten keine Mischlingskinder dulden. Sie wollten ihre Rasse rein halten. Kennst du in der Bibel das Kapitel mit der Sintflut?“ Jeremiel dachte kurz nach, denn er hatte mal die Bibel gelesen, konnte sich aber auch nicht an jedes einzelne Kapitel erinnern. Soweit er wusste, hatte Gott eine Sintflut über die Welt geschickt, um die Menschen zu töten, die in seinen Augen sündhaft waren. Als er das Levi erzählte, war diesem anzusehen, dass mehr dahinter steckte. „Bevor die Sintflutgeschichte kam, haben sich die so genannten Gottessöhne zu den Menschenfrauen hingezogen gefühlt und mit ihnen die „Gewaltigen“ gezeugt, nämlich die Nephilim, was übersetzt Riesen bedeutet. Daraufhin strafte Gott die Menschen damit, indem er ihre Lebenszeit auf 120 Jahre begrenzte. Viele dieser Nephilim sind große Herrscher geworden. Doch dann schickte der Herr eine Sintflut über die Welt mit dem Ziel, die Kinder dieser Gottessöhne vom Angesicht der Erde zu vertilgen. Verstehst du, was ich damit sagen will?“ Jeremiel nickte bedächtig und begann so langsam aber sicher die Parallelen zu erkennen. „Dann haben die Sefirot versucht, die Nephilim auszulöschen, weil diese nicht nur in ihren Augen unrein waren, sondern auch noch eine Gefahr darstellten.“ „Genauso sieht es aus. Ein Genozid folgte dem nächsten. Jeder, der in den Augen der großen Alten eine Gefahr war, wurde getötet. Das galt sowohl für die Seraphim, als auch für die Nephilim und die untergeordneten Sefirot und die Vergänglichen. Es gibt fast keine Nephilim mehr und die restlichen leben versteckt in einem Heim. Nur wenige wissen davon und halten es geheim, um die Nephilim vor der Verfolgung zu schützen.“ „Und woher weißt du davon?“ „Ich bin dem Leiter des Heims vor knapp 70 Jahren begegnet. Thomas war damals auf der Suche nach seiner entführten Verlobten Hannah gewesen, die nach Auschwitz deportiert werden sollte. Ich habe ihm geholfen und da haben wir uns angefreundet. Dabei erzählte mir Thomas von dem Schicksal der Nephilim und seitdem setze ich mich auch für die Halbblüter ein und passe auf sie auf. Aber da die Terrorherrschaft vorbei ist, besteht endlich ein wenig Hoffnung für sie, dass sie in Frieden leben können, ohne Angst um ihr Leben haben zu müssen.“ Jeremiel hörte interessiert zu und staunte nicht schlecht, wie viel Levi wusste. Nun gut, der Kerl war über 600 Jahre alt und hatte in der Heimat der Unvergänglichen gelebt und als Head Hunter gearbeitet. Da blieb eben nicht aus, dass er viel wusste. Und in dem Moment empfand er auch eine gewisse Bewunderung für diesen Menschen. „Tja, da hast du noch so einiges zu lernen, würde ich sagen.“ Schließlich erhob sich Levi und ging. Irgendwie wirkte er danach, als wolle er gleich wieder verschwinden. Etwas Rastloses ging von ihm aus, was aber auch vielleicht von seinem Job kommen konnte. Als Head Hunter war er es sicherlich gewohnt, stets wachsam zu bleiben und einsatzbereit zu sein. Sicherlich kein einfaches Leben, aber er hatte es sich so ausgesucht. Und außerdem strahlte er etwas von einem Einzelgänger aus, der nicht gerne mit anderen zusammenarbeitete. „Und wo liegt dieses Heim?“ „In Cambridge, also nicht weit von Boston entfernt.“ „Könnte ich es mir mal ansehen?“ „Eigentlich nicht, aber da du zu Evas Familie gehörst, denke ich, dass ich eine Ausnahme machen kann. Versteh mich nicht falsch. Ist nichts gegen dich, aber ich will auch das Leben der Halbblüter beschützen. Wir können uns nachher auf den Weg machen und ich denke, dass Eva auch mitkommen will.“ Damit ging Levi und Jeremiel setzte seine Nachforschungen fort. Er wurde sogar fündig und als sich Liam wenig später blicken ließ, setzte Jeremiel ihn auch schon über den neuesten Stand der Dinge in Kenntnis. „Mr. Callahan hatte schon mal eine Anschuldigung wegen sexueller Belästigung Minderjähriger in Chelsea. Er soll einen 14-jährigen zum Oralsex gezwungen haben, allerdings konnte ihm nichts nachgewiesen werden. Er wechselte daraufhin die Schule und kurz darauf kam es zu zwei weiteren Vorfällen. Er soll sich dort an zwei 13-jährigen vergangen haben und es gab auch teilweise Verdacht, dass er im Besitz von Kinderpornografie ist. Ich werde gleich mal Oliver anrufen und ihn bitten, den PC zu hacken. Bei so etwas ist er weitaus schneller und kennt sich besser aus. Wenn er was findet, gebe ich das dann direkt der Polizei weiter und dann hat sie den Kerl am Schlafittchen.“ „Mit deiner Detektivarbeit kommst du immer besser zurecht, was?“ „Klar. Mein Bruder war auch ein sehr guter Lehrer. Und außerdem ist das hier eine persönliche Sache. Ezra ist mein kleiner Bruder und er braucht uns. Schlimm genug, dass er von seinen Eltern im Stich gelassen wurde und sich prostituieren musste, da muss er nicht auch noch einen pädophilen Lehrer ertragen müssen.“ „Ich mach mich eh gleich auf den Weg und rede mit ihm.“ „Aber bitte freundlich.“ „Al Capone sagte mal Ein freundliches Wort und ein Finger um den Abzug bewirkt oft mehr als ein freundliches Wort allein. Aber keine Sorge, ich bleibe diplomatisch.“ Damit stand Jeremiel auf und gab Liam einen Kuss auf die Wange. „Das ist echt lieb von dir, dass du das machst.“ „Ich hab immerhin versprochen, deine Familie zu beschützen und wie du schon sagtest: der Kleine braucht Hilfe.“ Schließlich standen auch Eva und Delta auf. Letztere hatte wirre Haare und die Flecken an seiner Schulter und seinem Hals ließen darauf schließen, dass er eine ziemlich wilde Nacht hatte. „Guten Morgen ihr Süßen“ grüßte der Kimonoträger und gähnte. Jeremiel grüßte zurück und schließlich kamen auch Marcel und Johnny dazu, wenig später traf auch Levi zum gemeinsamen Frühstück ein und war etwas erstaunt über diese Szene. „Deine Diener sitzen zusammen mit dir am Tisch?“ fragte er Liam, der sofort seine Kaffeetasse sinken ließ, als er das hörte und Levi mit einem unheimlichen Blick ansah, doch das kümmerte den 622-jährigen nicht wirklich. „Das sind nicht meine Diener, sie sind meine Familie.“ „Entschuldige, es sollte keine persönliche Beleidigung werden“, erklärte der Head Hunter und Jeremiel entging, dass er die ganze Zeit diesen „ist mir relativ egal“-Blick drauf hatte. Gegenüber anderen schien er tatsächlich recht distanziert und kühl zu wirken. Lediglich bei Eva schien das nicht so der Fall zu sein. „Du musst wissen, in der Heimat werden die Seraphim für gewöhnlich als Sklaven gehalten und als solche auch verkauft. Das war damals Gang und Gebe und auch heute herrschen vereinzelt solche Zustände. Deshalb bin ich erstaunt, dass du einen so familiären Umgang mit den dreien hast.“ „Scheiße Mann, wir wurden als Sklaven gehalten?“ fragte Johnny und sah zu Delta rüber, der aber wohl gerade an irgendetwas anderes dachte. Und tatsächlich grinste dieser anzüglich und meinte „Also ich hätte nichts dagegen.“ „Oh Mann Delta“, stöhnte der Informant und schlug sich die Hand vor die Stirn. „Nicht die Art von Sklave. Kannst du auch ein einziges Mal nicht zweideutig denken?“ „Lass mich doch.“ „Ihr seid schon recht seltsam“, bemerkte der Head Hunter, als er das Ganze so beobachtete. „Und sonderlich zu harmonieren scheint ihr ja untereinander auch nicht wirklich.“ „Das ist Alltag, daran gewöhnt man sich“, erklärte Jeremiel, der die alltäglichen Zankereien zur Genüge kannte. „Wenn drei so verschiedene Charaktere zusammenleben, kommt es nicht selten zu Zankereien, die ab und zu auch mal in Mordversuchen enden. Insbesondere wenn Delta und Marcel sich in die Haare kriegen.“ „Was kann ich denn auch dafür, dass er so kalt ist wie ein Eisblock?“ meinte Delta warf noch ein schnippisches „Pah“ hinterher, wobei er Marcel mit einem provokanten Blick strafte. Dieser wirkte herzlich wenig berührt und hätte vielleicht etwas erwidert, wenn Liam nicht sofort dazwischengegangen wäre. „Keine Streitereien. Spart euch das für später auf, wenn ihr es nicht bleiben lassen könnt. Delta, du triffst dich heute mit Dr. Folsom. Er soll dir die Ergebnisse der Untersuchung mitbringen. Wenn eines der Mädchen oder Jungs was hat, werden sie augenblicklich vom Dienst freigestellt und zur Behandlung geschickt. Danach kümmerst du dich um die Abrechnung und lässt das von Marcel noch mal überprüfen, ob alles stimmig ist. Außerdem haben wir schon wieder Ärger mit einer Rockerbande im Viertel. Schick ein paar unserer Leute los, die sich darum kümmern und aufräumen. Johnny, du kümmerst dich um die Recherchen zu einem Mr. Templer. Soweit ich weiß, soll er illegal Waffen nach Afghanistan verkaufen. Ich will wissen, wann die nächste Lieferung ist und wo der Handel über die Bühne geht.“ „Und was soll dann mit der Ladung passieren?“ „Die kassieren wir und verkaufen sie auf dem Schwarzmarkt. Dabei sollte eine gute Summe herausspringen. Ich bin gleich unterwegs und kümmere mich um Mr. Callahan.“ „Ach ja“, rief Delta und erinnerte sich. „Hat er nicht unser armes Kindchen bedrängt?“ „Ja hat er und während Jeremiel nach den Leichen im Keller sucht, werde ich dafür sorgen, dass der Kerl sich Ezra nicht mehr nähert.“ „Sag mal Delta“, meinte Jeremiel schließlich, „gehen dir die Kosenamen denn nie aus?“ „Nicht wirklich. Aber ich nenne ja auch nicht alle so. Nur jene, die ich süß finde, die ich ins Herz geschlossen habe oder jene, mit denen ich gezwungenermaßen zusammenleben muss.“ Dabei verwies er auf Marcel, den das aber herzlich wenig interessierte. Dann aber wandte sich der Kimonoträger an Levi. „Da du ja jetzt auch zur Familie gehörst, kriegst du auch einen Spitznamen.“ „Danke, ich verzichte“, sagte der Head Hunter direkt, der damit nun wirklich nichts anfangen konnte. Aber davon ließ sich Delta auch nicht beirren und betrachtete ihn eine Weile, bevor er zu dem Entschluss kam „Du bist ab heute mein Romeo.“ Levi wirkte alles andere als begeistert, doch er bekam einen aufmunternden Schulterklopfer von Jeremiel. „Sei froh, dass es nur Romeo ist. Meinen Bruder hat er mit Söckchen gestraft und Beyond mit Wuschelchen. Andrew ist sein Blümchen und Oliver nennt er Sonnenschein. Bei meiner Mutter ist er irgendwie auf den Trichter gekommen, sie Rosenherzchen und Dathan sein Sternchen zu nennen. Naja. Sheol hat es mit Rotkehlchen schlimmer erwischt und Ezra ist ihm wegen dem Kindchen immer noch nachtragend, was ich auch verstehen kann. Elion hat er wegen seiner tiefen Schlafphasen Dornröschen getauft und Frederica ist sein Spätzchen. Tja… zu guter Letzt wären da noch Rumiko mit Schätzchen, Jamie mit Bärchen und deren Kinder werden bald auch welche kriegen, so viel ist sicher. Also nicht wundern. Delta hat für alle immer einen Kosenamen und du kriegst ihn auch nicht überzeugt, es sein zu lassen.“ „Und hat meine Frau etwa…“ „Ja, sie ist Chérie. Geht ja auch noch. Ich bin eben sein Engelchen, Johnny nennt er Darling, Marcel Hase und Liam eher ironisch gemeint Herzchen.“ Levi sagte nichts, sondern schüttelte nur verständnislos den Kopf darüber. Er hatte in den letzten 600 Jahren ja so einiges erlebt aber jemand wie Delta war ihm bisher noch nicht untergekommen. Kapitel 7: Schlechte Nachrichten -------------------------------- Nachdem sich Liam und die anderen an die Arbeit gemacht hatten, kam Levi zu Eva und setzte sich zu ihr, wobei er ihre Hand nahm. „Sag Eva… was hast du eigentlich während der Zeit gemacht, als ich dich gesucht habe? Ich habe wirklich alles nach dir abgesucht, aber ich habe dich nie finden können. Und dann erfahre ich noch, dass du eine Familie hast.“ Die Sefira senkte den Blick und hatte schon gerechnet, dass Levi sie darauf ansprechen würde. Er war ihr all die Jahre treu geblieben und hatte so vieles auf sich genommen, um sie zu finden. Und sie hatte eine neue Familie gegründet und war dann verschwunden. „Ich habe es einfach nicht ertragen können, so ganz allein zu sein. Ich habe dich so sehr geliebt und ich fühlte mich so einsam. Also erschuf ich mehrere Seraphim, die mir als Familie treu zur Seite standen. Jasha, Anja, Maria, Dimitrij, Chasov, Sophie, Nikolaj… Sie konnten mir den Schmerz über deinen Verlust lindern und ich konnte wieder glücklich werden. Aber dann fielen die Opritschnina über Nowgorod her, als ich im Wald zum Holzsammeln war und meine Familie wurde getötet.“ „Warum haben sie sich nicht zur Wehr gesetzt?“ „Ich habe ihnen gesagt, sie dürften den Menschen niemals etwas antun. Aber letzten Endes hat es nur dazu geführt, dass sie getötet wurden. Als ich zurückkehrte, waren sie bereits tot und Sophie lag im Sterben. Ich habe nur noch ihren Wunsch retten können, dass unsere Familie wieder zusammenfindet. Ich wollte meine Familie daraufhin zurückholen und überließ Sophies Wunsch meinen Körper und daraus wurde letztendlich Frederica geboren. Ich suchte Ajin auf und bat ihn darum, mir meine Familie wieder zurückzuholen. Aber das wollte er nicht ohne entsprechende Gegenleistung tun, also stand ich ihm die letzten 444 Jahre als Dienerin zur Seite. Deshalb war ich weder in der Menschenwelt, noch in der Heimat.“ Nun, das erklärte auch, warum er nirgendwo ihre Aura spüren konnte. Und dass sie so lange Zeit im Dienst von Ajin gewesen war, weil sie auf die Weise ihre Familie zurückholen wollte, konnte er ihr wohl schlecht vorwerfen. „Es muss wohl hart für dich gewesen sein, oder?“ „Ja“, gab sie zu und legte ihren Kopf auf seine Schulter, woraufhin er einen Arm um sie legte. „Ich hatte dich verloren, weil ich nicht in der Lage war, dich zu beschützen und mit meiner Familie war es nicht anders. Ich habe wirklich immer versagt. Sowohl als Ehefrau, als auch als Familienoberhaupt und selbst mit meinem Bruder ging es immer schlimmer. Wir haben uns immer heftiger gestritten, aber ich dachte, es wäre die gerechte Strafe für all die Dinge, die ich getan habe. Ebenso für meine Versäumnisse. Ich hätte die Möglichkeit gehabt, dich zu suchen oder dich zurückzuholen, aber ich habe mich einfach so schuldig gefühlt. Du hattest ein normales Leben als Mensch und nur wegen mir haben sie versucht, dich umzubringen. Es war meine Schuld und ich wollte dir das nicht noch ein zweites Mal antun. Und jetzt… jetzt erfahre ich, dass du 600 Jahre nach mir gesucht hast, und sogar die Gesichtsblindheit auf dich genommen hast, um dein Leben zu verlängern. Wenn ich so darüber nachdenke, wie unser beider Leben seither verlaufen ist, musst du sicher enttäuscht von mir sein, oder?“ Doch Levi lächelte nur und nahm sie in den Arm. „Du lebst und es geht dir gut. Und du gibst uns beiden noch eine Chance. Das ist doch das Wichtigste. Und so ganz alleine war ich ja auch nicht. Ich hatte auch eine Art Familie, die sich um mich gekümmert hat.“ „Ach echt?“ fragte sie überrascht. Levi nickte und erklärte „Seit ungefähr 75 Jahren habe ich engen Kontakt zu einem Nephilim-Ehepaar. Thomas und Hannah Stadtfeld. Ich hab Thomas damals geholfen, seine Verlobte vor der Deportation nach Auschwitz zu retten und bin gemeinsam mit ihnen nach Amerika ausgereist. Eine Zeit lang haben sie im dortigen Heim für Nephilim gewohnt und haben inzwischen die Leitung inne. Sie sind gute Freunde und ich denke, sie würden dich auch gerne kennenlernen wollen.“ „Es ist schon verrückt“, murmelte Eva und lächelte. Sie schloss ihre Augen und genoss diese Nähe und Wärme jener Person, die so lange für tot gehalten hatte. „Wenn ich dich so reden höre, kommt es mir so vor, als wärst du schon lange kein Mensch mehr. Ich kann immer noch nicht glauben, dass du lebst und wir beide noch mal die Chance bekommen, von neu anzufangen. Aber sag mal, wie willst du dir dein Leben vorstellen und wie soll es für dich weitergehen?“ „Ich werde meine Arbeit als Head Hunter beenden“, erklärte Levi. „Ich habe sie eigentlich nur gemacht, weil ich gehofft habe, dich auf diese Weise finden zu können. Aber nun habe ich mein Ziel erreicht und ich sehe keinen Grund mehr, weiterhin diesen Job zu machen. Ich denke, ich werde mir etwas Bodenständigeres suchen, wenn wir beide wieder zusammenkommen wollen. Wenn wir später eine Familie haben sollten, dann würde es nur Gefahr mit sich bringen, wenn ich weiterhin als Head Hunter tätig bin.“ Dem konnte Eva nur zustimmen, denn es gab einen Grund, warum Head Hunter immer maskiert waren, wenn sie auf der Jagd waren. Sie hatten nämlich viele Feinde, die ihnen nach dem Leben trachteten. „Wie wäre es, wenn wir nachher mal das Heim besuchen? Jeremiel hat auch schon gefragt, ob er es sich ansehen könnte und ich denke, das würde auch für ihn eine gute Lektion sein, wenn er selbst sieht, was für Zustände herrschen.“ „Die Nephilim werden immer noch verfolgt?“ „Ja leider. Das Heim ist zwar gut geschützt und ich passe auch auf die Bewohner auf und sorge dafür, dass das Heim nicht gefunden wird, aber es kommt immer wieder zu Todesfällen unter den Nephilim und das bereitet mir Sorgen. Deshalb habe ich auch vor meiner Rückkehr in die Menschenwelt Ain Soph und Elohim gebeten, sich dieses Problems anzunehmen.“ Wieder saßen sie da und schwiegen. Es herrschte eine seltsame Stille, aber dann musste sich Levi an etwas erinnern. „Sag mal Eva, erinnerst du dich noch an unser Lied?“ „Jenes, welches du mich gesungen hast? Wie könnte ich das denn vergessen? Ich habe es meiner Familie damals in Nowgorod als Schlaflied vorgesungen und selbst Frederica, Rumiko und Oliver beherrschen es, genauso wie Nastasja.“ Levi schmunzelte und drückte Evas Hand fester. Sie fühlte sich so zart an und war blass. Ganz im Gegensatz zu seinen Händen, die rau von harter Arbeit waren. Er betrachtete ihre marmorweiße Hand und begann es noch mal für sie zu singen. „Sonoyo lomi lo Kaya shaka lu kiya ba mali malo Ehdra maki e sulu haiteh Graiya mi eshi eshi e Ka thaliaka sa ak'goloha Ehvi liu ma dra u Prehshti ka u Toteh saju kimi va lei lei lu Olo dragu olo dragu Eva No luneh vali usa Nevu usa mali Noleh sulu baleh sulu baleh Eva No lu nehvali usa Nevu usa mali malo... Hanannai hanannai ya... Hanannai hanannai ya… Hanannai hanannai ya…“ Eva lauschte diesem Lied und lächelte glücklich. Sie schloss die Augen, während sie dieser so vertrauten Melodie lauschte, die sie damals so oft gehört hatte. Wie lange war es doch her gewesen, als sie und Levi glücklich in ihrer kleinen Hütte abgeschieden im Wald gelebt und ein bescheidenes Leben geführt hatten. Manchmal waren die Zeiten hart gewesen, aber sie hatten es immer geschafft und sie waren ein eingespieltes Team gewesen und hatten wunderbar miteinander harmoniert. Dabei war es damals purer Zufall gewesen, als Levi im Alter von 10 Jahren im Wald verunglückte. Er war fast erfroren gewesen, als Eva ihn gefunden hatte und danach hatte er sie immer wieder besucht, ganz gleich ob die Siedler sie als Hexe beschimpften. Vielleicht war es ja wirklich Schicksal gewesen, dass sie zueinander gefunden hatten. Und obwohl sie so lange Zeit voneinander getrennt gewesen waren, hatte Levi sie nicht aufgegeben. Sie hatte wirklich Glück, mit so einem Ehemann gesegnet zu sein. „Levi, ich kann dir nicht oft genug dafür danken, dass du nicht aufgegeben hast.“ Damit wandte sich der Head Hunter ihr zu, strich ihr sanft über diese makellose blasse Wange und küsste sie. „Du bist und bleibst die einzige Frau, die ich liebe und daran wird sich auch nie etwas ändern. Und für dich hätte ich noch weitere 600 Jahre gewartet.“ Schließlich aber machten sie sich dann auf den Weg nach Cambridge und Jeremiel begleitete sie. Die anderen waren eh nicht da und er war neugierig, wie das Heim aussah, in welchem die Halbblüter lebten. Dabei fragte Eva auch direkt „Wie sind deine beiden Freunde denn so?“ „Hannah ist eine ganz liebe. Etwas naiv und sie wirkt vom Charakter her recht jung und unschuldig. Sie ist auch gesundheitlich nicht auf der Höhe, weil sie von Geburt an schon sehr schwach war. Thomas ist etwas schwierig. Man könnte ihn eigentlich mit deinem Bruder vergleichen. Vom Charakter sind sie sich ziemlich gleich, allerdings pflegt Thomas einen recht strengen Ton und ist manchmal etwas steif wie ein Soldat. Es ist nicht immer einfach mit ihm, vor allem weil er dazu neigt, allen anderen vor den Kopf zu stoßen. Im Heim lebt aber noch eine ganz besondere Naphil, die mir übrigens auch das Kämpfen beigebracht hat und auch die anderen Nephilim ausbildet, damit diese sich im Notfall zur Wehr setzen können. Ihr werdet sie gleich noch treffen.“ Sie erreichten schließlich nach einer Stunde Fahrt die Stadt Cambridge und Levi lotste sie in eine ruhige Wohnsiedlung am äußersten Stadtrand, wo ein großes Gebäude stand, welches an eine Jugendherberge erinnerte. Es war sauber gepflegt und hatte einen frischen Anstrich. Kinder spielten im Garten und einige sahen noch sehr jung aus, andere waren älter. Als sie aus dem Wagen ausstiegen, kam ein kleines Mädchen mit brünetten lockigen Haaren und einer blauen Schleife auf sie zugelaufen. Sie hatte eine weiße Bluse und einen blauen Rock und schwarze Schuhe an. „Sereas!“ Freudestrahlend kam sie auf ihn zu und umarmte ihn stürmisch. Er hob sie hoch und nahm sie auf den Arm. „Na du bist ja groß geworden, Leslie.“ „Ich hab gewusst, dass du kommst. Wer sind die da?“ Damit deutete das kleine Mädchen auf Jeremiel und Eva. „Das ist meine Frau Eva und das ist Jeremiel.“ Leslie grüßte sie fröhlich und enthüllte, als sie lächelte, eine Zahnlücke, da sie offenbar schon die ersten Milchzähne verlor. Levi setzte sie vorsichtig wieder ab und ging mit seinen Begleitern ins Haus. Es war sehr schön eingerichtet und sie trafen auch auf ein paar Jugendliche und Erwachsene. Offenbar lebten alle möglichen Altersklassen hier. Jeremiel sah sich neugierig um, stieß dann aber versehentlich mit jemandem zusammen, woraufhin er zu Boden stürzte. „Entschuldige, ich…“ Eine Frau wandte sich zu ihm um, die pechschwarzes Haar und bernsteinfarbene Augen hatte. Sie war sehr elegant gekleidet und hatte einen so eiskalten Blick, dass einem der Schauer über den Rücken lief. Eine starke Aura ging von ihr aus, die der eines Sefiras sehr nahe kam. Levi half ihm hoch und erklärte „Das ist Anne Ludwig, sie lebt hier seit 74 Jahren und beschützt die Kinder und bildet die jungen Erwachsenen im Kämpfen aus. Sie ist vermutlich die stärkste und älteste Naphil, die je gelebt hat.“ „Wie alt ist sie denn?“ fragte Eva neugierig. Da Anne aber keinen Ton sagte, erklärte Levi „Das weiß niemand. Wir vermuten, dass sie zwischen zehn- und zwanzigtausend Jahre alt ist. Anne, das ist meine Frau Eva und Jeremiel, der Verlobte meines Schwagers.“ Anne musterte sie kühl, nickte nur kurz zur Begrüßung und ging dann einfach, ohne überhaupt ein Wort gesagt zu haben. Eva sah ihr mit gemischten Gefühlen nach und war sich nicht ganz sicher, was sie davon halten sollte. „Sie scheint nicht gerade redselig zu sein, oder?“ „Nicht wirklich. Sie wird auch die Madonna mit den Eisaugen genannt. Sie ist eine strikte Einzelgängerin und spricht so gut wie nie. Manchmal sagt sie sogar monatelang kein Wort und sie hat bislang immer alleine gelebt und jegliche Art von Gesellschaft vermieden. Das änderte sich aber, als sie auf ihren Reisen einen Seraphjungen aufgegriffen hat, dessen Eltern Diener von Miswa waren und der ebenfalls in ihre Dienste treten und gebrandmarkt werden sollte. Seine Eltern versteckten ihn in der Menschenwelt und Anne rettete ihm das Leben. Seitdem kümmert sie sich um ihn und scheint wohl etwas aufgetaut zu sein. Anne beschützt dieses Heim unter der Bedingung, dass Kenan aufgenommen wird und hier leben darf. Seitdem beschützt Anne das Heim zusammen einigen erwachsenen Nephilim, die freiwillig geblieben sind und arbeitet gleichzeitig als Head Hunter mit Thomas zusammen. Sie fungiert als Spionin und hält alle über die Aktivitäten der großen Alten auf dem Laufenden. Damit Thomas nicht als Naphil auffliegt, verbirgt sie seine Aura und hilft ihm beim Reisen zwischen den Welten. Aber jetzt bringe ich euch erst mal zu Hannah und Thomas. Die müssten eigentlich im Büro sein.“ Levi führte sie durchs Haus, wobei sie auf Leute aller Altersklassen trafen und schnell bemerkte Jeremiel, dass das Gebäude im Inneren gigantisch war. Viel größer als von außen. Schließlich gingen sie die Treppe hoch und Levi führte sie zu einer Tür, klopfte kurz an und öffnete dann. Eine junge Frau mit kurzen brünetten Haaren, rehbraunen und freundlich wirkenden Augen erhob sich von ihrem Stuhl und rief „Sereas!“ Der junge Mann neben ihr stand mit verschränkten Armen da. Er hatte dasselbe Brünett wie die Frau und sein Haar war ebenfalls kurz geschnitten. Der Haarschnitt mit dem Undercut erinnerte ein wenig die 40er Jahre und sein Blick war so finster und kalt, dass man meinen konnte, er wollte sie alle umbringen. Auch zeugte es von Strenge wie bei einem Soldaten. Jeremiel musste schlucken, als er ihn sah. Das war ja noch schlimmer als bei Liam… Der Mann mit dem strengen Blick, der allerhöchstens 30 Jahre alt sein konnte, wandte sich an Sereas zu und grüßte ihn. „Schön dich zu sehen, Sereas. Und wer sind die?“ „Das ist meine Frau Eva und Jeremiel hier ist der Verlobte meines Schwagers. Er interessierte sich für das Heim, deshalb habe ich ihn mitgebracht.“ „Ach so. Dann ist das also der Mensch, der zu einem Sefira wurde“, stellte er kühl fest und sogleich begann Levi damit, die beiden vorzustellen. „Das ist Thomas Stadtfeld, mein treuer Freund. Er ist Mitglied der Head Hunter und seine Frau Hannah kümmert sich liebevoll um die Heimbewohner.“ Hannah lächelte freundlich und begrüßte ihre Gäste. Sie bat sie, Platz zu nehmen und bot ihnen Tee an. Jeremiel entging nicht, dass Hannah recht blass war und einen etwas angeschlagenen Eindruck machte. Offenbar ging es ihr gesundheitlich nicht sehr gut. Und tatsächlich wankte sie ein wenig, woraufhin Thomas einen Arm und sie legte und sagte „Setz dich lieber.“ „Entschuldigt bitte“, murmelte die Naphil und lächelte verlegen. „Heute ist wieder einer meiner schlechteren Tage.“ „Levi hat schon erzählt, dass einige Nephilim schwach zur Welt kommen“, meinte Jeremiel und nickte verständnisvoll. „Ist das bei dir so?“ „Ja leider. Seit ich geboren bin, bin ich recht anfällig für Krankheiten und Kreislaufbeschwerden. An den meisten Tagen geht es mir eigentlich sehr gut, aber hin und wieder hab ich so meine Phase, wo es schlechter geht. Dass ich so lange schon lebe, verdanke ich hauptsächlich Thomas.“ „Wie ist eigentlich dein Auftrag verlaufen?“ fragte Thomas direkt und Levi begann von dem Irrtum zu erzählen, der dem Hauptquartier wohl unterlaufen war und er deshalb davon abgesehen hatte, Liam gefangen zu nehmen und auszuliefern. Außerdem war das ohnehin nicht möglich gewesen, weil er erst mal die Uhr verloren hatte und von Jeremiel angeschossen worden war. „Deshalb hab ich dir auch gesagt, du sollst aufpassen, Sereas“, sagte Thomas streng und trank seinen Tee. Er sprach anscheinend immer in einem sehr forschen Ton und selbst Liam war nicht so. Irgendwie schien der Kerl ein richtiger Eisblock zu sein, aber wahrscheinlich brachte das eben mit sich, wenn man ein Dasein als Naphil fristen musste und immer davon auszugehen hatte, gleich aufgespürt und getötet zu werden. „Gegen Kugeln kannst du kaum etwas ausrichten. Aber was deine veraltete Liste angeht, so hat Anne einiges herausfinden können. Es scheint nämlich kein Einzelfall zu sein.“ „Ach echt?“ Thomas nickte und in dem Moment öffnete sich die Tür und Anne kam herein. Ohne jemanden zu grüßen, ging sie zu Thomas hin und gab ihm eine Akte, die er mit einem kurzen „Danke“ entgegennahm. Wenn sich Jeremiel die beiden so ansah, hätte er echt meinen können, sie seien Geschwister. Allein vom Charakter her. Thomas überflog die Akte kurz und wandte sich dann Levi zu. „Die Sache ist die: Anne hat herausgefunden, dass es in der letzten Zeit immer häufiger Fehler in den Listen gab. Erst vor kurzem hat Akrav versucht, Nabi den Propheten zu töten. Und es gab noch achtzehn weitere Fälle, in denen ehemalige Kriegsverbrecher verfolgt wurden, die eigentlich schon längst begnadigt wurden. Araphel war nur einer davon. Auch wurden sechs weitere Nephilim und Seraphim getötet. Lebendig wurde keiner ausgeliefert und keiner von ihnen hatte ein Verbrechen begangen, für das ein Kopfgeld ausgesetzt wurde.“ Als Levi das hörte, verfinsterte sich sein Blick und er nickte bedächtig. „Das bedeutet also, es steckt ein System dahinter. Entweder gibt es einen Verräter, oder aber die Listen wurden manipuliert. So viele Zufälle sind verdächtig.“ „Und nicht nur das konnte Anne in Erfahrung bringen. Das ist die Gesamtliste der Fälle, die im Verdacht stehen, dass eine absichtliche Manipulation vorlag.“ Levi nahm die Liste entgegen und studierte sie aufmerksam. Auch Eva und Jeremiel sahen sich diese an. Es waren Name, Rasse, Status, Verbrechen und Datum der Ermordung aufgezeichnet. Und tatsächlich häuften sich die Fälle von Tötungen, bei denen kein Verbrechen vorlag, oder wo eine Begnadigung erfolgt war. Als Eva die Liste durchlas, ahnte sie schon etwas. „Das sind alles Namen von Leuten, die damals entweder während des Krieges an Elohims Seite gekämpft haben, oder die aktive Gegner des Terrorregimes waren. Soll das etwa heißen, es ist eine Art getarnte Hinrichtung?“ Thomas nickte und faltete die Hände. „Es scheint so zu sein.“ „Ja aber… warum erst jetzt? Das Terrorregime ist längst beendet worden und Elohim und Ain Soph sind jetzt an der Macht. Was für einen Sinn sollte es denn haben, erst so spät damit anzufangen, diese Leute umzubringen?“ da musste Levi selbst überlegen, aber Jeremiel hatte überraschend einen spontanen Einfall. „Was, wenn sie eine Revolte planen und jemand die großen Alten wieder an die Spitze setzen will? Dazu müssten sie erst mal ihre Feinde töten und sie benutzen die Head Hunter als Tarnung. So würde es nicht auffallen und wenn jemand nachfragt, würde man einfach sagen, es war ein Irrtum in der Liste. Demnach muss es also jemand in der Führungsebene der Head Hunter sein, der die Fäden zieht.“ Kurze Blicke wurden ausgetauscht, bis Thomas zu Levi meinte „Auf den Kopf ist er jedenfalls nicht gefallen.“ „Er ist eben Detektiv, genau wie sein Bruder“, erklärte Eva. „Also wenn es wirklich stimmt und es steckt eine Verschwörung dahinter, dann würde ich glatt sagen, dass es einer der großen Alten ist. Miswa, Kabod und Rakshasa können es nicht sein. Die müssen ihr Dasein von nun an als Vergängliche fristen.“ „Was aber nicht heißt, dass sie nicht zurückkehren könnten“, meinte Jeremiel und begann so langsam zu verstehen, was dahintersteckte. „Ich konnte ja auch zu einem Sefira werden. Also wäre es nicht unwahrscheinlich, dass die drei Verbündete haben, die alles auf eine Rückkehr vorbereiten.“ „So verrückt ist doch niemand!“ Hannah konnte das nicht glauben und schüttelte den Kopf. „Ajin Gamur persönlich hat es so bestimmt, dass Ain Soph und Elohim die Herrschaft über die Heimat übernehmen und wer Ain Soph etwas antut, der bekommt es mit Elohim und Ajin Gamur gemeinsam zu tun. Das ist Wahnsinn.“ „Da kennst du den Starrsinn der Sefirot nicht“, erwiderte Levi, der sich Jeremiels Theorie anschloss. „Denen ist es völlig egal. Sie haben die Verschwörung damals initiiert und mit der Ermordung von Elohims Kindern einen Krieg provoziert, um ihre Macht zu stärken. Und solange sie nicht tot sind, werden sie gewiss nicht aufgeben. Am allerwenigsten Miswa. Es würde mich nicht wundern, wenn Jeremiels Theorie zutreffen würde und sie ihre Rückkehr plant, um Ain und Elohim zu stürzen. Ganz egal wie unsinnig das auch sein mag. Wer so von Machthunger zerfressen ist, der nimmt alles in Kauf. Und wenn es soweit kommt, steht der nächste Krieg bevor, wenn wir Pech haben.“ Noch ein Krieg, dachte Jeremiel und konnte es nicht verstehen. Warum nur waren sie so von Macht getrieben und konnten nicht endlich damit aufhören? Gerade jetzt, wo doch endlich Frieden einkehrte und die unterdrückten Sefirot und Seraphim dank Ain und Elohim wieder hoffen konnten. Das war doch Irrsinn. Als Levi die Liste weiter überflog, fiel Jeremiel dabei ein Name ganz besonders auf. „Das… das ist doch Dathan. Ich meine, Nivkha ist doch sein richtiger Name. Das ist doch der Beweis dafür, dass da eine neue Verschwörung im Gange ist. Der Name kann erst seit kurzem da drin stehen, weil niemand außer Nabi, Samajim, Eva und Ajin Gamur wissen konnte, dass er noch lebt. Ich glaub es nicht. Sie wollen tatsächlich ihre Feinde und auch noch Elohims Sohn umbringen!“ Kapitel 8: Verdacht auf eine Revolte ------------------------------------ Thomas zog nachdenklich die Augenbrauen zusammen und irgendwie wirkte er in diesem Moment unheimlich, so wie er aussah. Schließlich aber räusperte sich Anne kurz und es schien zuerst so, als wolle sie etwas sagen, doch stattdessen deutete sie nur auf ein Dokument und schwieg weiterhin. In diesem Moment fragte sich Jeremiel, ob diese Frau überhaupt mal sprach. Wahrscheinlich sagte sie nur etwas, wenn es wirklich notwendig war. Thomas überflog das Dokument, auf welches die schwarzhaarige Schönheit gedeutet hatte. „Aha. Anne hat notiert, dass es in der Heimat nahe dem Hauptquartier hin und wieder mal eine Sichtung eines Head Hunters gab, der nicht die übliche Maskierung trug. Statt der Gashalbmaske und der Schutzbrille trug er eine blutrote Maske und er soll auch einzelne Head Hunter heimlich verfolgt haben. Anne hat es allerdings nicht gemeldet, sondern erst einmal nur den Unbekannten beobachtet. Sie vermutet, dass er entweder etwas mit der Verschwörung zu tun haben könnte, oder aber er beobachtet die Head Hunter aus einem anderen Grund.“ „Tja… fragt sich nur, wer eine rote Maske trägt.“ „Es gab vor langer Zeit jemanden“, sagte Eva schließlich. „Ich weiß nicht mehr, wer es genau war, aber er war auch ein Head Hunter. Allerdings hat man lange nichts mehr von ihm gehört und er war auch der Einzige, der eine solche Maske trug. Entweder ist es derselbe von damals, oder aber jemand verkleidet sich als ihn.“ In dem Fall war es wohl ratsam, diesen Maskierten zu beobachten und der Meinung war auch Thomas. Also trug er Anne auf, sich darum zu kümmern. Die Naphil mit den bernsteinfarbenen Augen nickte nur und es war nicht eine einzige Gesichtsregung zu erkennen. Ihr Blick war eiskalt und abweisend, als wolle sie niemanden an sich heranlassen. Diese Frau gab Jeremiel wirklich Rätsel auf. Schließlich bot Levi an „Ich könnte mich im Hauptquartier wegen der Listen erkundigen. Mag vielleicht sein, dass alles abgestritten wird, aber wenn jemand nachfragt, kann ich vielleicht den Strippenzieher aus der Reserve locken und ihn zum Angriff provozieren. Auf die Weise finden wir vielleicht heraus, ob wirklich Adonaj oder Ra’am dahinterstecken.“ „Ist das nicht riskant?“ fragte Jeremiel besorgt, doch Levi lächelte nur überlegen und erklärte „Wenn ich schon Araphel und seine Gefolgsleute in die Knie zwingen konnte, dann wird das auch kein Problem für mich werden. Zwar bin ich nur ein Mensch, aber ich bin auch ein Chajal und bin mir meiner Fähigkeiten durchaus bewusst. Das wird schon klappen und ein gewisses Risiko müssen wir eingehen, wenn wir die Verantwortlichen schnappen wollen, die nicht nur Jagd auf begnadigte Kriegsverbrecher machen, sondern auch noch Unschuldige töten und sogar schon bald Jagd auf Elohims Sohn machen wollen. Wenn wir nähere Informationen haben, werden wir das sofort Elohim und Ain Soph melden und die werden sich der Sache dann annehmen. Aber solange wir nicht wissen, wer dahintersteckt, würde es nur problematisch werden.“ Dem konnten die anderen nur zustimmen. So war das Gespräch beendet und Levi, Eva und Jeremiel verließen zusammen mit Hannah und Anne das Büro. Im Flur rannte eine Schar Kinder herum und lachte fröhlich. Ein kleiner Junge eilte auf sie zu und blieb direkt vor Anne stehen. Er hatte rotbraunes Haar und dunkelgrüne Augen und er schien nicht älter als sechs Jahre zu sein. Stolz präsentierte er ihr eine Zeichnung, die er mit Wachsmalstiften gemalt hatte und die sie beide und ein bunt gemaltes Haus und eine lächelnde Sonne zeigte. „Guck mal Anne, das hab ich für dich gemalt!“ Und nun sah Jeremiel, wie dieser eiskalte und abweisende Blick wich und diese bernsteinfarbenen Augen von einer fremdartigen Wärme erfüllt wurden. Ein schwaches aber dennoch sehr liebevolles Lächeln spielte sich auf die Lippen der schweigsamen Frau. Zärtlich streichelte sie den Kopf des Jungen, dann kniete sie sich kurz hin und gab ihm einen Kuss auf die Stirn, bevor sie die Zeichnung entgegennahm. In diesem Moment wirkte sie wie eine Mutter, die sich um ihr Kind kümmerte. Und deshalb fragte er Levi auch „Ist das ihr Sohn?“ „Nicht ganz, eher ihr Ziehsohn“, erklärte Levi und sah, wie Anne den Jungen auf den Arm nahm und mit ihm davonging. „Kenans Eltern waren beides Seraphim, die Miswa gedient haben. Als diese davon erfuhr, wollte sie den Jungen ebenfalls in ihre Dienerschaft aufnehmen und das hätte eigentlich genauso gut den Tod des Jungen bedeutet. Deshalb versteckten sie ihn der Menschenwelt und wurden daraufhin zur Strafe von Miswa wegen Ungehorsams hingerichtet. Der Kleine war ganz alleine und wäre beinahe im Eis eingebrochen und ertrunken. Anne rettete ihn und kümmert sich seitdem um ihn. Der Kleine ist auch der Einzige, für den sie so etwas wie Zuneigung empfindet. Allen anderen begegnet sie kaltherzig und abweisend und es ist kein Geheimnis, dass sie absolut kaltblütig ist, wenn es ums Töten geht. Sie hasst sowohl die Unvergänglichen, als auch die Menschen.“ „Und wie kommt es, dass ausgerechnet der Junge zu ihrem Ziehsohn wird, wenn Anne doch so eiskalt ist?“ fragte Eva und ging zusammen mit Levi weiter und Jeremiel folgte ihnen. Auf diese Frage wusste selbst der Head Hunter keine eindeutige Antwort. „Ehrlich gesagt weiß das keiner so wirklich. Vielleicht, weil der Kleine bei ihr Beschützerinstinkte weckt. Immerhin ist er ein Kind, aber selbst die anderen Kinder beachtet Anne nicht wirklich. Was ich allerdings weiß ist, dass auch Annes Eltern von Miswa ermordet worden sind. Ob das der Auslöser dafür war, dass sie sich entschlossen hat, sich um Kenan zu kümmern, weiß ich allerdings nicht. Fakt ist, dass Kenan sich schon seit dem 8. Jahrhundert in Annes Obhut befindet und sie den Jungen mit ihrem Leben beschützt. Das letzte Mal, als man versucht hat, Kenan zu entführen und als Druckmittel gegen Anne einzusetzen, hat sie über 50 Menschen getötet. Deshalb passt lieber auf, sie versteht überhaupt keinen Spaß, was ihren Schützling betrifft. Lediglich Kindern krümmt sie kein Haar.“ „Wie kann ein Naphil denn so stark sein und so lange leben?“ fragte Eva, denn sie wusste, dass kein Naphil auf der Welt es schaffte, eine so hohe Lebensspanne zu erreichen. Die meisten wurden allerhöchstens 500 Jahre alt, vielleicht auch 600 Jahre. Aber dann waren die Kraftreserven auch aufgebraucht und sie starben dann. „Nun, Anne ist keine vollwertige Naphil. Ein Elternteil war es, aber der andere war ein Sefira. Somit ist Anne zu einem Viertel Mensch, zu einem Viertel Seraph und zur Hälfte Sefira. Deshalb ist ihr Machtpotential deutlich höher als das eines anderen Naphils und darum konnte sie auch so alt werden.“ „Schon eine gewisse Ironie, dass sie sozusagen die Verbindung dreier verschiedener Rassen verkörpert. Und wieso hasst sie die Menschen und die Unvergänglichen, wenn sie doch zum Teil selbst menschlich und zur Hälfte Sefirot ist?“ „Sie ist eben eine notorische Einzelgängerin, die mit keinem etwas zu tun haben will. Solange sie Kenan hat, ist sie zufrieden.“ Sie gingen durch einen langen Flur und es wurde Jeremiel immer deutlicher klar, wie gigantisch das Haus in Inneren war. Hatte es von außen wie eine kleine unscheinbare Jugendherberge gewirkt, erinnerte es irgendwie fast schon an eine Art Stadt im Inneren eines Gebäudes. Es gab Läden, einzelne Wohnungen mit Familien, ja sogar eine Schule. Es war wirklich verrückt und als er nachfragte, wie das sein konnte, erklärte Levi, dass es einem Wunder zu verdanken sei, welches sie von Miswa gekauft hatten. Dadurch wirke das Gebäude von außen so unscheinbar, dass niemand es beachtete und im Inneren war es groß genug, um eine ganze Stadt zu beherbergen. „Wie viele leben hier?“ „Insgesamt sind es 300 Familien. Nicht alle sind Nephilim, sondern teilweise auch Flüchtlinge aus der Heimat. Wenn ein Seraph mit einem Menschen Nachkommen zeugt, wird dies als Verrat an der eigenen Rasse angesehen und deshalb werden auch die Seraphim verfolgt, wenn das ans Tageslicht kommt. Deshalb dürfen auch sie hier wohnen, weil man auf die Weise verhindern will, dass Familien auseinandergerissen werden. Die Nephilim selbst stammen aus allen Teilen der Welt. Afrika, Asien, Europa, Australien… Viele von ihnen sind Waisenkinder und die intakten Familien, die hier leben, kümmern sich um die Waisenkinder und nehmen sie als Pflegekinder auf. Mit der Zeit ist das hier eine komplett autonome Gemeinschaft geworden. Hier werden Geschäfte betrieben, die Kinder unterrichtet, Wohnungen zugewiesen, man bekommt eine Ausbildung und Arbeit und es steht jedem Naphil frei zu kommen und zu gehen, wann er will. Es werden ausnahmslos alle aufgenommen. Ganz egal ob sie in Gefahr sind oder nicht. Seraphim haben eine Aufenthaltsgenehmigung, wenn familiäre Gründe vorliegen und das Gleiche gilt auch für die Sefirot und für die Menschen. Da ich Mitgründer des Heims bin, bin ich nicht an diese Vorschrift gebunden und ihr dürft deshalb auch das Heim betreten. Ansonsten wäre der Zutritt strengstens untersagt.“ Ganz schön strenge Vorschriften, dachte sich Jeremiel, als Levi sie weiter durch das Heim führte. Aber andererseits sind sie ja auch notwendig. Immerhin leben diese Halbblüter hier ja versteckt, weil sie verfolgt werden und ihnen ansonsten der Tod droht. Im Grunde sind sie alle wie Asylanten, aber dennoch haben sie das Beste aus ihrer Situation gemacht. Als sie eine Art Einkaufspassage erreichten, bemerkte Jeremiel wieder Anne, die durch ihre pechschwarze Erscheinung und ihren stechend gelben Augen, die an die eines Adlers erinnerten, deutlich aus der Masse hervorstach. Bei sich hatte sie Kenan, dessen Hand sie festhielt. Der Kleine wirkte aufgedreht und fröhlich und schien irgendwo hinzuwollen und zerrte dabei aufgeregt an Annes Hand. Doch diese blieb die Ruhe selbst und ihr sanftmütiges Lächeln und diese dennoch so kalte und gefährliche Aura, die von ihr ausging, ließ sie an eine schwarze Löwin erinnern, neben der Kenan wie eine kleine Maus wirkte. Irgendwie konnte er nicht anders, als sie anzusehen. Nicht, weil er in sie verliebt war. Es war eher eine gewisse Faszination, die er für sie hegte. Ehe er sich versah, waren Eva und Levi in dem Gedränge verschwunden und er begann sie zu suchen. Aber dummerweise war in der Passage so viel los, dass er sie gar nicht mehr wiederfand, bis ihn plötzlich jemand an der Schulter packte und ihn etwas grob umdrehte. Ehe er sich versah, hielt ihm jemand ein Messer an die Kehle. Vor ihm stand ein junger Mann mit ungesund blasser Haut, staubgrauen Augen und platinblonden Haaren. Er trug eine Kapuze und Handschuhe und machte nicht gerade den freundlichsten Eindruck. „Na da haben wir ja endlich unseren Spion.“ „Äh… was?“ fragte Jeremiel überrascht und verstand erst nicht so wirklich, was hier geschah. Redete der Kerl da gerade von ihm? „Hören Sie, ich will keinen Ärger und…“ „Was macht ein Sefira, den ich hier noch nie zuvor gesehen habe, im Heim? Du hast wohl gedacht, du kommst hier einfach so rein, kannst uns ausspionieren und uns dann Schwierigkeiten machen, was? Tja, da muss ich dich wohl enttäuschen, denn ich bin immer wachsam, mein Freund. Und ich lasse nicht zu, dass du den anderen auch nur ein Haar krümmst, du dreckiger Sefira.“ Offenbar hält der mich für einen Eindringling, dachte sich Jeremiel und überlegte, wie er das schnell klären konnte, ohne dass er gleich einen offenen Kampf riskieren musste. „Ich bin in Begleitung von Le… ähm… Sereas hier und hab ihn gerade aus den Augen verloren.“ „Glaubst du etwa, ich fall auf den Trick rein? Tut mir leid, aber das war es für dich. Ich…“ „Es reicht“, sprach eine Stimme streng und sogleich kam Thomas hinzu, der das Handgelenk des Mannes ergriff und ihn dann auch schon von Jeremiel wegzog. „Er ist als Sereas’ Begleitung da. Du kannst gehen.“ Der junge Mann mit den staubgrauen Augen funkelte Jeremiel misstrauisch an, ging dann aber. Jeremiel atmete erleichtert aus und sogleich erklärte Thomas „Da hast du Glück gehabt. Es gibt hier nämlich einige Nephilim, die nicht für ihre Rücksicht und Sanftmut bekannt sind. Wenn du hier bist, solltest du besser aufpassen, dass du in Sereas’ Nähe bleibst, sonst kann es schnell zu Ärger kommen.“ „Und wer war das gerade eben?“ „Anthony Winter. Ein Naphil, mit dem ich und Sereas in Deutschland gelebt habe. Er half mir, Hannah zu retten und begleitete uns schließlich nach Amerika. Vorher hieß er Anton Friedrich Helmstedter. Bei ihm wäre ich vorsichtig, er hat seine drei Brüder durch die Sefirot verloren, ebenso wie seine Eltern. Dementsprechend ist er auf deinesgleichen nicht sonderlich gut zu sprechen.“ „Kommen solche Übergriffe oft vor?“ „Ja. Immerhin haben viele ihre Familien verloren und leben in Angst, da bleiben gewisse Spannungen nicht aus und es kommt mal hin und wieder zu Schlägereien. Das Heim bietet zwar eine willkommene Zufluchtsstätte, aber es hat auch seine Schattenseiten. Viele der Seraphim, die hier leben, sind schwer traumatisiert, die verwaisten Nephilim aggressiv und gewalttätig und wenn ein Sefira hier einfach so frei herumspaziert, bleibt es nicht aus, dass es solche Hassangriffe gibt.“ Thomas wandte sich schließlich um und machte sich auf den Weg und Jeremiel folgte ihm. Schließlich fanden sie Levi und Eva wieder und sogleich ermahnte er seinen Freund in einem strengen Ton, „Pass besser auf deine Begleitung auf. Ich will nicht noch mehr Ärger hier im Heim.“ „Wird nicht wieder vorkommen, Tom.“ „Du sollst mich nicht so nennen.“ Damit ging Thomas wieder und wirkte ziemlich gereizt. Nun wandte sich Levi Jeremiel zu und nun wirkte auch er sehr ernst. „In Zukunft musst du darauf achten, immer in meiner Nähe zu bleiben und keine Alleingänge zu unternehmen. Das wäre einfach zu gefährlich.“ Jeremiel entschuldigte sich für den ganzen Ärger und schließlich gingen sie so langsam aber sicher wieder zurück. Sie verabschiedeten sich von Thomas und Hannah und verließen dann das Heim. Als sie zurück nach Boston fuhren, fragte Jeremiel, wie es denn jetzt weitergehen würde. „Nun“, begann Levi. „Ich werde mich gleich auf den Weg zum Hauptquartier machen und das klären. Zwar glaube ich nicht, dass sich da großartig etwas tun wird. Stattdessen werden die alles herunterspielen und unter den Teppich kehren wie die Bürokraten, aber wenn ich ihnen unter die Nase reibe, dass ich klare Indizien habe, die auf eine Verschwörung hinweisen, werden sie versuchen, mich zu töten. Ich spiele also den Köder bei der Geschichte und wenn ich die Hauptverantwortlichen identifiziert habe, werden wir sofort Meldung bei Elohim und Ain Soph erstatten und die werden sich dann um den Rest kümmern. Solange wir aber noch nicht wissen, wer dahinter steckt, müssen wir aufpassen. Wir sollten vielleicht auch noch Samajim einweihen, dass dieser ein wachsames Auge auf Nivkha hat.“ „Ja, besser wäre es, bevor es wieder so eskaliert wie damals.“ „Und du kommst wirklich zurecht?“ fragte Eva ihren Mann besorgt. „Ich will nicht, dass du dich in so große Gefahr begibst und ich dich wieder verliere.“ „Eva, hier geht es um das Leben unzähliger Kinder und Familien, die schon seit langer Zeit in Angst leben müssen. Wen haben sie denn sonst? Ohne Thomas, Anne und mich wären sie auf sich allein gestellt und deshalb muss ich dieses Risiko eingehen. Ansonsten wird es einen weiteren Genozid geben und ich glaube nicht, dass das die Nephilim ein weiteres Mal überstehen werden.“ Mit wachsamen Augen hatte die Halb-Naphil den Besuch beobachtet und dachte nach. Dieser Jeremiel war also Evas Schwager in spe und damit der Verlobte von Araphel. Naja, es konnte ihr herzlich egal sein. Sie hatte mit Liam zwar schon mal unfreiwillig das Vergnügen gehabt, hatte auf diese Begegnung aber auch wirklich verzichten können. Allerdings… damals war Liam noch mit diesem Nikolaj liiert gewesen, wenn sie sich recht erinnerte. Und dieser Jeremiel hatte dieselbe Aura wie er. Natürlich wusste sie, dass Nikolaj ebenso Opfer des Nowgorod-Massakers geworden war wie der Rest von Evas Familie. Anne war ja selbst dabei gewesen und hatte das Ausmaß dieser gezielten Abschlachtung gesehen. Ein weiterer Grund, warum sie die Menschen hasste, genauso wie sie die Unvergänglichen verachtete. Sie hätte damals helfen und Evas Familie retten können, aber sie hatte daran kein Interesse gehabt und für sich selbst keinen Grund gesehen. Sie hatte keine emotionale Bindung zu dieser Familie und kannte sie auch nicht, außerdem war ihr Kenans Leben wichtiger gewesen als das der anderen. Tja… die Menschen verstanden es genauso gut wie die Unvergänglichen, sich selbst auszurotten. Egal auf welche Art und Weise. Sie waren da alle gleich und würden sich auch nie ändern. Deshalb blieb sie lieber allein. Tja und nun würde es bald also eine Revolte geben und die großen Alten würden erneut versuchen, Elohim aus dem Weg zu räumen und an die Macht zu gelangen. Zwar hatte Anne die Sefirot-Kriege selbst nicht miterlebt, aber genug Geschichten in der Heimat gehört. Und nun stand alles wieder auf der Kippe und es würde neuen Krieg geben. Na was soll’s. Es interessierte sie genauso wenig, was die anderen trieben und ob sie Krieg führen mussten. Allerdings machte sie sich Gedanken, was ein Krieg für sie und Kenan bedeuten würde. Vor allem, wenn Miswa tatsächlich zurückkehren sollte. Miswa die Strenge, auch genannt „die Henkerin“… die Mörderin ihrer Eltern… Sie würde Jagd auf Kenan machen und mit ihm wahrscheinlich kurzen Prozess machen. Das durfte Anne nicht zulassen. Genauso wenig, wie sie zulassen durfte, dass diese Person ihn zu seiner Dienerin machte. Also kam Anne zu dem Schluss, dass es besser war, wenn der Krieg verhindert wurde. Da das geklärt war, musste nur noch überlegt werden, was sie tun konnte. Nun, Levi würde zum Hauptquartier gehen und die Drahtzieher auf der Reserve locken, während Thomas wahrscheinlich erst mal im Heim bleiben würde, um die Nephilim und die Seraphim auf das Schlimmste vorzubereiten. Das war wahrscheinlich sowieso das Beste, da er der am besten Geeignete für den Job war. Er mit dem strengen militanten Auftreten… Außerdem war das sein Job und nicht ihrer. Natürlich war es ihre Aufgabe, das Heim zu beschützen, immerhin war es Teil der Abmachung gewesen, damit Kenan hier ein sicheres Zuhause hatte. Aber das hieß noch lange nicht, dass sie freiwillig die Babysitterin spielen würde. Sie würde an vorderster Front kämpfen und jeden töten, der in der Absicht herkommen würde, den Nephilim und den Seraphim etwas anzutun. Das genügte auch. Aber nun galt es zu überlegen, was sie jetzt tun konnte. Hier zu bleiben und sich zurückzuhalten war wahrscheinlich keine Option. Dadurch sanken die Chancen drastisch, dass sie einen Krieg vermeiden konnten. Also? Anne hatte sich ans Geländer gelehnt und beobachtete aufmerksam die Nephilim in der Einkaufspassage. „Hey Anne!“ Hannah kam auf sie zu und winkte. Anne stand mit verschränkten Armen da und sah sie nur kurz an, das war es aber auch schon. Für gewöhnlich grüßte sie niemanden und sie verabschiedete sich auch nie. Wozu denn auch? Sie kam und ging, wie es ihr beliebte und so war es schon seit Jahrtausenden und es würde sich auch nie ändern. „Gerade bespricht sich Thomas mit Vince und Anthony. Er macht sich offenbar Sorgen, dass es schon sehr bald zu einem Angriff kommen wird. Wenn ich könnte, würde ich auch gerne helfen, aber irgendjemand muss ja für die anderen da sein, die nicht kämpfen können. Kaum vorstellbar, dass es bald wieder Krieg geben wird. Als wäre der Krieg vor über 70 Jahren nicht schon schlimm genug gewesen. All die armen Menschen, die damals in die Züge gepfercht wurden wie Tiere… Das weckt jedes Mal schlimme Erinnerungen. Und wenn ich mir vorstelle, was dir passiert ist… Sie haben Kenan entführt und dich gefoltert. Das muss schlimm gewesen sein, hm?“ Anne war es nicht entgangen, dass Hannah oft zu ihr kam und mit ihr redete, wenn ihr Ehemann beschäftigt war. Warum es aber ausgerechnet sie treffen musste, konnte sich die schweigsame Halb-Naphil nicht erklären. Vielleicht, weil Hannah irgendwie auf den Trichter gekommen war, sie bräuchte Gesellschaft oder so. Die brauchte Anne doch sowieso nicht. Sie war lange genug ohne diese ausgekommen und sie gedachte auch für die Zukunft, nichts daran zu ändern. Lediglich Kenan zuliebe hatte sie den Kontakt zur Menschenwelt aufgesucht weil sie nicht wollte, dass er sich schlecht fühlte, weil er einsam war. Ihr war klar geworden, dass der Junge ganz anders als sie war. Er brauchte diese Nähe zu den anderen, um glücklich zu sein. Und er war hier in diesem Heim glücklich und deshalb würde sie es beschützen. Darum gab es auch nur eines, was sie tun konnte, um zu gewährleisten, dass Kenan weiterhin glücklich blieb und in diesem Heim sicher leben konnte, ohne dass sie beide sich ständig verstecken oder auf der Flucht leben mussten. Wortlos wandte sich Anne ab und ging, wobei sie Hannah einfach zurückließ. Die angeschlagene Naphil war zuerst überrascht, eilte dann aber der Schwarzhaarigen hinterher und rief „He Anne, wo willst du denn hin? Warte doch!“ Keine Antwort. Hannah blieb stehen und sie ließ die schweigsame Halb-Naphil gehen. Sie ahnte, dass diese etwas vorhatte und wahrscheinlich wegen der Geschichte mit der bevorstehenden Revolte nachgedacht hatte. Sie wollte etwas tun. Und in dem Fall blieb Hannah wohl nichts anderes übrig, als sie gehen zu lassen. Anne war schon des Öfteren einfach gegangen und in dem Fall wusste die jüngere Naphil, was sie derzeit zu tun hatte. Es war dann ihre Aufgabe, auf Kenan Acht zu geben, solange Anne unterwegs war. Kapitel 9: Sturmsaat -------------------- Kaum, dass sie wieder zurückgekehrt waren, verabschiedete sich Levi und machte sich auf den Weg in die Heimat der Unvergänglichen. Immer noch war Eva besorgt, weil sie wusste, wie gefährlich die Head Hunter sein konnten und sie hatte Angst, dass ihrem Mann etwas passieren könnte. Aber andererseits hatte sie ihn auch nicht aufhalten können. Er hatte ja leider Recht: es standen unzählige Leben auf den Spiel und wenn sie auf diese Weise einen Krieg verhindern konnten, würde Eva ihn nicht aufhalten. Zwar hatte sie angeboten gehabt, mitzukommen, aber das hatte Levi strikt abgelehnt mit der Erklärung, dass er nicht wollte, dass sie sich in Gefahr begab und es seine Aufgabe als ihr Ehemann war, sie zu beschützen. Außerdem könne sie sowieso nicht viel ausrichten. Sie waren schließlich in die Villa zurückgekehrt, wo Liam gerade mit Samajim sprach. Der Blondhaarige erfreute sich wie immer guter Laune und hatte ein Lächeln auf den Lippen, das manchmal schon etwas selbstgefällig wirken konnte. Als sie aber die besorgten Gesichter bei Jeremiel und Eva sahen, ahnten sie, dass etwas im Busch ist. „Was ist denn los mit euch beiden und wo ward ihr?“ „Im Nephilimheim“, antwortete Jeremiel und sie setzten sich schließlich dazu. „Dort haben wir Bekanntschaft mit Levis Freunden gemacht und einige Dinge herausgefunden. Eva?“ Die Weißhaarige nickte und erzählte ihnen von dem Verdacht, dass die Listen der Head Hunter manipuliert worden waren, um die ehemaligen Kriegsverbrecher zu töten und dass sogar Dathans Name auf der Liste stand. Selten sah man, dass Samajims Gesicht so etwas wie Entsetzen oder Fassungslosigkeit zeichnete. Für einen Moment war er nicht imstande zu antworten und auch Liams Miene verfinsterte sich zusehends. „Dann war das also kein Irrtum gewesen, dass dein Mann mich ausliefern wollte?“ „Er hat eine manipulierte Liste bekommen und offenbar wollen sie dich aus dem Weg schaffen.“ „Verstehe“, murmelte Samajim und nickte bedächtig. „Ich habe mich schon letztens gewundert, wieso Akrav es ausgerechnet auf Nabi abgesehen hatte. Aber so langsam scheint sich ja alles zu klären. Und was habt ihr beschlossen?“ „Levi ist auf den Weg zum Hauptquartier, um auf die gefälschten Listen anzusprechen. Er hofft auf diese Weise, die Verantwortlichen aus der Reserve zu locken, indem er den Köder spielt. Wir sollen derweil auf Dathan aufpassen und sicherstellen, dass ihm nichts passiert. Die Gefahr wäre zu groß, dass erneut ein Krieg beginnen könnte, wenn er auch noch getötet wird. Samajim, könntest du dich vielleicht darum kümmern?“ „Kein Problem. Ich habe Ain und El sowieso versprochen, ein wachsames Auge auf den Jungen zu haben. Dem wird schon nichts passieren, so viel ist sicher. Und ihr wollt euch gedeckt halten, solange ihr nicht wisst, wer hinter der ganzen Sache steckt. Sehe ich das richtig?“ Eva und Jeremiel bestätigten dies und fragten Samajim auch sogleich nach seiner Meinung. Doch auch dieser war sich nicht ganz sicher. „Tja… das ist schon sehr schwierig. Eigentlich hat dein Mann Recht und es ist das Beste, wenn wir uns zurückhalten und abwarten, ob der Plan funktioniert. Denn wenn wir Alarm schlagen, werden sie nur noch vorsichtiger sein und dann wird es schwieriger werden, nachzuvollziehen, wer dahinter steckt und was sie vorhaben. Aber wenn sie tatsächlich planen sollten, Miswa und die anderen zurückzuholen… ich denke, ich werde Nabi nachher mal zu Nazir schicken und der soll Antworten liefern. Wir müssen uns auf jeden Fall bereit halten für den Fall, dass etwas passieren könnte.“ Eva senkte den Blick und nickte. „Ich hoffe nur, dass Levi nichts passiert. Am liebsten wäre ich mit ihm gegangen, aber… er sagte, es würde nur alles auffliegen, wenn ich das täte. Außerdem will er mich beschützen. Dabei… dabei ist er doch nur ein Mensch.“ „Unterschätze niemals die Menschen“, meinte Liam schließlich. „Auch wenn sie nicht über unsere Fähigkeit verfügen, so haben sie dennoch genügend Einfälle, um uns das Leben schwer zu machen.“ Dem konnte sich Samajim nur anschließen, wobei er noch hinzufügte „Wenn dein Mann schon in der Lage war, Liam und die anderen in die Knie zu zwingen, dann wird er es schon schaffen. Er mag zwar lediglich ein Mensch sein, aber er hat ein weitaus größeres Talent als so manche Sefirot.“ Doch Eva war immer noch unruhig und ging nach draußen in den Garten, um ein wenig frische Luft zu schnappen. Sie musste immer daran denken, was vor 600 Jahren passiert war. Wie die Menschen ihr Haus angezündet hatten und sie in dem Durcheinander Levi gar nicht gefunden hatte. Die Angst, die sie empfunden hatte… und die tiefe Verzweiflung, als sie dachte, er sei tot. In dem Moment hatte sie geglaubt gehabt, ihr Leben hätte keinen Sinn mehr. Sie war so in ihrem Schmerz gefangen gewesen und 30 Jahre lang hatte sie den Schmerz nicht überwinden können. Und um ihrem Kummer zu entfliehen, hatte sie sich eine Familie geschaffen, die diese Leere füllen konnte. Aber auch nur so lange, bis ihr auch diese genommen wurde. Hoffentlich passierte Levi nichts und es ging alles gut. Sie wollte ihn nicht noch einmal verlieren. Levi hatte das Hauptquartier erreicht und ging direkt zu Kartys, die als Sachbearbeiterin arbeitete und die Listen austeilte. Sie sah ihn erstaunt an und fragte „Schon wieder zurück, Sereas?“ „Ja, es gab einen Fehler in der Liste. Der Kerl, um den ich mich kümmern musste, ist schon vor langer Zeit begnadigt worden. Ich will mit Etsem sprechen.“ „Tut mir leid, aber der ist gerade nicht da.“ „Dann geh ich eben zu Asikim. Es kann doch nicht sein, dass der auch nicht da ist. Ich will das mit der Liste geklärt haben und das so schnell wie möglich.“ Damit ging Levi, doch Kartys versuchte noch, ihn aufzuhalten und ihm zu erklären, dass Asikim in einer wichtigen Sitzung sei, doch Levi ließ sich nicht von ihr aufhalten. Er wollte jetzt endlich Nägel mit Köpfen machen und die Sache geklärt bekommen. Und von Kartys würde er sich mit den billigen Ausreden auch nicht abspeisen lassen. Er ging direkt zu Asikims Büro und wie nicht anders zu erwarten war, war dieser alleine und ging gerade ein paar Dokumente durch. Na das passte ja super. Dann konnte er sich diesen ja gleich vorknöpfen. „Asikim, ich muss mit dir sprechen.“ „Genau das mag ich nicht an dir, Sereas. Du kommst ständig unangemeldet herein. Wenn du irgendetwas hast, dann melde dich gefälligst bei deiner zuständigen Sachbearbeiterin, aber lass mich gefälligst meine Arbeit machen.“ Asikim hatte noch nie zu den freundlichen Zeitgenossen gehört und er war eigentlich genauso unsympathisch wie Etsem. Levi knallte ihm die Liste hin, die er bekommen hatte und erklärte „Araphel ist schon längst begnadigt worden.“ „Klär das mit Kartys.“ „Nein, ich klär das jetzt mit dir!“ erklärte Levi mit deutlichem Nachdruck in der Stimme. „Ich habe festgestellt, dass es immer häufiger dazu kommt, dass ausgerechnet jene gejagt werden, die entweder gar nicht auf die Death List gesetzt werden durften, oder die schon längst begnadigt worden sind. Ich habe das mal nachgeprüft und festgestellt, dass sogar Elohims eigener Sohn auf der Death List gelandet ist. Kannst du mir das mal erklären?“ „Wie bitte?“ rief Asikim, war aber mehr wütend als erschrocken darüber, was Levi gesagt hatte. „Willst du mir etwa hier gerade etwas unterstellen?“ „Ich unterstelle nichts, ich stelle hier nur fest“, betonte der Head Hunter und schlug mit der Faust auf den Schreibtisch. „Irgendetwas ist faul hier und das merke ich doch. Irgendjemand manipuliert hier die Listen und keiner fragt nach, wieso sich die Fehler immer weiter häufen!“ „Das kann gar nicht sein, weil die Listen mehrmals geprüft werden!“ „Dann scheint da etwas schief zu laufen und einer der Listenprüfer steckt dahinter.“ Nun schlug Asikim mit der Faust auf den Tisch und erhob sich, dann packte er Levi am Kragen und funkelte ihn böse an. Er war nun richtig sauer, aber das hatte Levi auch beabsichtigt. Wenn er den Schuldigen aus der Reserve locken wollte, dann musste er schon richtig Dampf machen, ansonsten funktionierte es nicht. „Pass ja auf mit dem, was du sagst, Sereas. Fordere hier nicht dein Glück heraus, indem du hier mit irgendwelchen Anschuldigungen daher kommst.“ In diesem Moment wirkte Asikim richtig gefährlich und manche hätte diese Warnung eingeschüchtert. Doch Levi blieb hartnäckig und zeigte sich eher unbeeindruckt von der Warnung seines Vorgesetzten. „War das etwa eine Drohung?“ „Eine gut gemeinte Warnung.“ „Gut“, sagte Levi schließlich und wandte sich ab. „Ich werde Meldung bei Elohim machen, damit er das prüft.“ „Wir werden das selber klären.“ „Ach ja?“ fragte Levi und funkelte ihn herausfordernd an. „Nur traue ich den Head Huntern nicht. Ich weiß nicht, was hier gespielt wird, aber das finde ich noch heraus. Mir kannst du sagen, was du willst, aber ich weiß eines: irgendetwas ist hier faul und zwar gewaltig, dass es zum Himmel stinkt.“ „Dann mach doch was du willst!“ rief Asikim ihm wütend hinterher und somit verließ Levi das Büro seines Vorgesetzten. So, das war geklärt. Die Saat war gesät, nun musste er nur noch auf den Sturm warten. Wenn er richtig vermutete, würde es nicht lange dauern, bis man versuchen würde, ihn zum Schweigen zu bringen. Er musste sich nur bereit halten. Schließlich verließ er das Gebäude und kaum, dass er draußen war, genehmigte er sich eine Zigarette. Er war die ganze Zeit nicht zum Rauchen gekommen und hatte eine Kippe jetzt mehr als nötig. Tja, jetzt hatte er es hinter sich gebracht und musste nun abwarten, bis der erwartete Angriff kam. Dass er kam, stand ganz außer Frage. Er wusste zu viel und das hatte er Asikim mehr als deutlich gezeigt. Und nun durfte er gespannt sein, was sich der Dreckskerl vom Dienst einfallen lassen würde, um ihn aus dem Weg zu räumen. Nun, vielleicht steckte Asikim ja nicht mit drin, aber bei seinem Charakter wollte Levi lieber nicht darauf wetten. Er und Etsem hatten schon immer brav nach Miswas Pfeife getanzt. Okay, Levi hatte es auch getan, eben weil alles andere nur Folterstrafe oder den Tod zur Folge gehabt hätte. Aber dennoch hatte man doch heimlich über den Terror der großen Alten geklagt, aber Asikim, Kartys, Etsem und die meisten, die alle intern arbeiteten, standen mit Leib und Seele hinter dem Regime. Deshalb lag die einzig logische Schlussfolgerung darin, dass es sich bei dem Drahtzieher um jemanden aus den oberen Etagen handeln musste. Levi kannte die Organisation innerhalb der Gruppe mehr als gut genug. Alle erhielten ihre Befehle von oben und erstellten die Listen und diese wurden dann an die Jäger weitergeleitet. Und es fragte nie jemand nach, ob alles seine Richtigkeit hatte. Nein, sie tanzten alle schön brav der Reihe nach der Pfeife der Vorgesetzten, ohne auch nur ein einziges Mal ihre Aufträge zu hinterfragen. Und genau da lag auch die große Gefahr darin, dass jemand das ausnutzen konnte, wenn jemand die Mentalität der Head Hunter kannte. Levi hatte dieses System immer mit einer Spur Zynismus betrachtet und gemeint, dass dies derselbe Schwachsinn wie in der Sowjetunion sei. Alle kuschen und keiner fragt nach. Wenn die Zeiten nicht so extrem gefährlich gewesen wären, dann hätte er schon längst selbst etwas unternommen. Außerdem war er ein Mensch und ohne seine Uhr hätten die anderen schon längst erkannt, wer oder was er wirklich war. Deshalb war es doppelt gefährlich, was er hier tat. Während er so gegen die Mauer lehnte und seine Zigarette rauchte, dachte er wieder an Eva. Na hoffentlich ging alles gut und ihr passierte nichts. Zum Glück wusste niemand, dass sie verheiratet waren, denn über seine Vergangenheit hatte er in weiser Voraussicht geschwiegen. Naja… sobald das hier vorbei war, würde er seinen Job an den Nagel hängen und mit Eva ein neues Leben aufbauen. Vielleicht auf dem Land, wo sie ihre Ruhe hatten und wo sie ein einfaches Leben führen konnten, so wie damals. Diese sechs Jahre, in denen sie glücklich verheiratet waren, waren aufgrund der damaligen harten Lebensbedingungen nicht immer einfach gewesen, aber sie hatten immer eine Lösung gefunden. Ein Leben in dieser menschlichen Gesellschaft, wie sie heute vorherrschte, konnte er sich nicht vorstellen. Von den Menschen wollte er eigentlich nichts mehr wissen und er hatte auch nicht mehr viel mit ihnen zu tun. Dabei spielte seine Gesichtsblindheit zwar eine bedeutende Rolle, aber er fühlte sich ihnen einfach nicht mehr wirklich verbunden. Er hatte sich zu sehr an dieses Leben unter den Unvergänglichen gewöhnt, dass er es sich auch nicht mehr vorstellen konnte, innerhalb dieser menschlichen Gesellschaft zu leben und dort in einem Bürojob zu versauern. Damals gab es das alles noch nicht. Da war man Kaufmann, Handwerker, Bauer oder Soldat. Vielleicht auch Fischer oder Holzfäller, aber mehr gab es auch nicht. Das waren im 14. Jahrhundert die einzigen Möglichkeiten gewesen, sich auf ehrliche Art und Weise Geld zu verdienen. Heutzutage war das Leben der Menschen so kompliziert geworden, dass sich niemand mehr darin zurechtfand, geschweige denn, dass er sich dort wohl fühlte. Natürlich war das Leben komfortabler geworden, das stritt er nicht ab. Aber wie sollte man in einer so modernen Gesellschaft mit so vielen Neuerungen, Paragraphen, Vorschriften, Techniken und modernen Ansichten und Lebensweisen klar kommen, wenn man in so einfachen Verhältnissen aufgewachsen war? Zwar hatte Levi den Wandel der letzten 600 Jahre mitbekommen, aber das Leben der Menschen interessierte ihn einfach nicht mehr. Nachdem er seine letzte Zigarette aufgeraucht hatte, wollte er noch ein wenig spazieren gehen, bevor er zurückkehrte. Er wollte Asikim und den anderen noch die Chance geben, ihn hier und jetzt in der Heimat anzugreifen, bevor er in die Menschenwelt zurückkehrte. Nachdem er eine Weile gegangen war und in Erinnerungen an die gemeinsame Zeit mit seiner geliebten Eva geschwelgt hatte, nahm er eine Aura war. Mehrere waren auf dem Weg zu ihm. Traf sich gut. Levi stellte noch einmal sicher, dass seine Taschenuhr griffbereit lag, falls es doch nicht so gut enden würde und er wieder in eine Notlage geriet. Er konzentrierte sich und versuchte zu erkennen, wie viele da auf dem Weg zu ihm waren. Zwei? Nein… drei? Nein, mehr… es waren insgesamt sieben. Sieben gegen einen also? Tja, das durfte noch interessant werden. Levi zog sein Schwert, welches er von Napach hatte anfertigen lassen. Obwohl er kein Mensch war, konnte er sehr wohl eine Sefirawaffe benutzen und gelegentlich tat er das auch, wenn ihm keine andere Wahl gelassen wurde. Er machte sich bereit zum Angriff und nicht eine Sekunde später griff ihn jemand von hinten an und versuchte, ihm den Kopf abzuschlagen. Rechtzeitig genug drehte sich Levi um und blockte den Angriff, als auch schon zwei weitere ihn attackierten. Er duckte sich, holte seinerseits zum Schlag aus und erkannte, dass sie alle die übliche Maskierung der Head Hunter trugen. Ein kaltes Lächeln spielte sich auf seine Lippen. „Na so was. Da habt ihr aber lange gebraucht. Und ich dachte schon, ich müsste mir schon eine Zielscheibe auf den Rücken malen.“ „Die frechen Kommentare kannst du dir sparen, Sereas“, rief der eine Maskierte, den er anhand der Aura sofort als Akrav identifizieren konnte. Na dass der ihm den Kopf abschlagen wollte, verwunderte den 622-jährigen nicht im Geringsten. „Du bist auf die Death List gesetzt worden und man bietet ein sehr hohes Kopfgeld auf dich. Noch mehr sogar, wenn wir dich töten.“ „Ach wie reizend“, meinte Levi spöttisch. „Und ihr wollt euch alle die Kohle also teilen? Sehr nett von euch. Und ich dachte, den Kommunismus gibt es nur unter den Menschen und ihr würdet nur den Egoismus kennen. Nur damit ihr es wisst: ich gebe ganz sicher nicht so einfach den Löffel ab und lass mich von euch umbringen. Ich war schon immer der Stärkste von uns allen gewesen und das wird sich auch in Zukunft nicht wirklich ändern. Also ich gebe euch deshalb den guten Rat zu verschwinden, bevor ich endgültig Hackfleisch aus euch mache.“ „Pah, wir sind zu siebt und du ganz alleine. Du hast keine Chance, gegen sieben Head Hunter im Alleingang durchzuhalten.“ Nun, es würde tatsächlich sehr schwer werden, vor allem weil Arye Recht hatte. Arye und Akrav waren seine ärgsten Konkurrenten und ihre Kraft, Schnelligkeit und Grausamkeit war wirklich bedrohlich. Selbst für ihn. Und dann noch fünf weitere, die ein ordentliches Kaliber waren. Tja, ohne Schrammen würde er das sicherlich nicht durchstehen, aber dieses Risiko hatte er eingehen müssen, weil Thomas nicht die geringste Chance hatte und er nicht der Typ war, der so dermaßen aufmucken würde. Und Anne war sowieso alles egal, da blieb eben nur er übrig. Nun, da schien es wohl etwas später zu werden. Hoffentlich machte sich Eva seinetwegen nicht allzu viele Sorgen und sie kam nicht noch auf die Idee herzukommen. Genau das wollte er lieber verhindern. „Ehrlich gesagt habe ich nicht wirklich sonderlich Lust darauf, alles gleich voller Blut zu haben… ihr wisst ja, dass ich Blut hasse, vor allem auf der Kleidung. Naja, das Leben ist ja auch kein Wunschkonzert. Also dann… wem von euch Schießbudenfiguren soll ich als erstes den Arsch aufreißen?“ Augenblicklich stürzten sich Akrav und Arye auf ihn und es entstand ein grausamer Kampf. Von allen Seiten hagelte es Schwerthiebe, Schläge und Tritte und hätte Levi nicht so eine unglaubliche Reaktionszeit und besäße er nicht so ein enormes Talent zum Kämpfen, dann hätte es mehr als düster für ihn aufgesehen. Dennoch war es schwer und es blieb nicht aus, dass er trotz allem blutige Wunden davontrug und er aus dem Durcheinander flüchten musste, um wieder die Übersicht über die Situation zurückzugewinnen. Er ging nun aufs Ganze und auf eine mehr als bizarre Art und Weise bereitete ihm dieser Kampf eine gewisse Befriedigung. Endlich hatte er einen Kampf, wo er bis an seine Grenzen gehen musste, so wie vor langer Zeit, als Anne ihn trainiert hatte. Er hatte sich die Knochen gebrochen, Blut gehustet und war vor Erschöpfung zusammengebrochen, aber er hatte niemals aufgegeben. Denn sein Ziel, Eva zu finden, hatte ihn durchhalten und all die Schmerzen und Anstrengungen ertragen lassen. Teilweise hatte Anne ihn so schwer beim Training verletzt, dass er gestorben wäre, wenn er die Uhr nicht gehabt hätte. Ein Mal hatte sie ihm sogar einen Arm und ein Bein mit dem Schwert abgetrennt und er hatte Höllenqualen gelitten. Und sie hatte nur über ihn gestanden, ihn eiskalt angesehen und gesagt „Werde stärker oder stirb.“ Das Training war grausam, hart und unmenschlich gewesen, aber es hatte ihn stark und vor allem unempfindlich gegen die Schmerzen gemacht. Er hatte gelernt, sie zu ertragen und trotz schwerster Verletzungen weiterzukämpfen. Das war die allerwichtigste Lektion gewesen, die Anne ihm beigebracht hatte. Schließlich schaffte es Levi, einen seiner Angreifer mit einem gezielten Hieb zu töten, doch da durchbohrten ihn auch schon zwei Klingen durch den Rücken und spießten ihn auf. Und sogleich kam Akrav auf ihn zu und durchbohrte von vorne seine Brust. „Tja“, hörte er den Sefira sagen, als er schwer verletzt und blutend zusammensank. „Das war es dann wohl für dich. Und jetzt gehört dein Kopf uns.“ Damit erhob er sein Schwert, nachdem er die blutige Klinge aus Levis Brust zog und wollte ihn enthaupten, doch dann tauchte ein pechschwarzer Schatten von hinten auf. Ein Schatten mit stechenden und eiskalten Augen. Kapitel 10: Die Verurteilung ---------------------------- Bevor Akrav überhaupt ahnte, was da passierte, blitzte die Klinge eines Dolches an seinem Hals auf und im nächsten Augenblick zerfetzte sie dem Sefira die Kehle. Eine Blutfontäne spritzte aus der klaffenden Wunde und dann brach er tot zusammen. Levi sah auf und erkannte mit Mühe, dass es Anne war, die den Head Hunter getötet hatte. Aber warum war sie hier? War sie ihm etwa gefolgt und wenn ja, warum? „Das… das ist doch…“, stammelte Arye und brauchte einen Moment um zu fassen, dass Akrav wirklich tot war. Aber dann verlor sie endgültig die Beherrschung und griff an. Anne wich blitzschnell aus und rammte ihr den Dolch in die Brust und drehte sich dann um, um wieder anzugreifen. Doch auch Arye reagierte schnell und blockte ab, dann schaffte sie es zusammen mit vier weiteren, Anne zu packen und ihr die Dolche zu entreißen. „Na so was“, bemerkte Unvergängliche und lachte spöttisch. „Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet die Stumme aus der Verwaltung so gefährlich werden kann? Aber das bringt dir jetzt auch nichts mehr. Wir können nicht zulassen, dass ihr unseren ganzen Plan versaut und alles kaputt macht!“ „Dann… dann steckt ihr also alle mit drin?“ fragte Levi und schaffte es mit Mühe, den Zeiger der Uhr ein Mal umzudrehen, woraufhin sich sein Körper wieder zurücksetzte. Keine Sekunde zu spät, denn sonst hätte er nicht mehr lange gelebt. Er kam wieder auf die Beine und schaffte es noch rechtzeitig, zwei Angreifer abzuwehren. „Na klar“, erklärte die Sefira mit Stolz in der Stimme und lachte. „Die Herrschaft gehört einzig und allein den Sefirot und wir werden unsere Herrin wieder zurückholen. Nicht mehr lange und die alte Ordnung wird wiederhergestellt sein.“ „Nur über meine tote kalte Leiche“, erwiderte Levi und warf Arye einen verächtlichen Blick zu. „Ich habe nur einen Herr und eine Herrin und das sind Elohim und Ain Soph. Und ich werde nicht zulassen, dass ihr ihnen etwas antut, geschweige denn ihrem Sohn!“ Es wurde wieder gekämpft und es gelang Anne, sich aus dem Griff der Männer zu befreien. Doch es kamen immer mehr Head Hunter hinzu, um die beiden in die Knie zu zwingen. Arye, die offenbar das Sagen hatte, befahl den anderen mit donnernder Stimme, Levi zu töten, aber da schoss Anne blitzschnell auf sie zu und ihre bernsteinfarbenen Augen funkelten wie die eines Dämons, der bereit war, ein Blutbad anzurichten. Ohne eine Waffe in der Hand ging sie auf Arye los und holte dann mit ihrer rechten Hand aus und dann stieß sie zu. Wie ein Speer durchbohrte ihr Arm die Brust der Sefira und drang durch, als wäre der Arm eine Klinge. Für einen Moment herrschte Stille, alle Augenpaare waren mit Entsetzen auf Arye gerichtet, die selbst gar nicht fassen konnte, was da gerade passierte und wieso da plötzlich ein Arm in ihrer Brust steckte. Blut lief ihre Mundwinkel hinunter und sie röchelte. „Da-das… wie… kann… wie ist das…“ Anne sah sie mit diesen absolut eiskalten Augen an, die nichts Menschliches in sich trugen. Keine Freude, keine Angst, keine Wut, nur kalte Ablehnung gegen alles und jeden. Wortlos zog die Schwarzhaarige ihren blutverschmierten Arm aus Aryes Torso, in dem nun ein Loch klaffte. Einen Moment lang blieb diese regungslos stehen und Fassungslosigkeit und Verwirrung lag in dem Blick der tödlich Verletzten. Aber dann brach sie zusammen und blieb reglos liegen. Blut tropfte Annes Hand hinunter und sie blieb regungslos stehen, wobei sie auf die sterbende Arye hinuntersah. Einen Moment lang waren alle wie erstarrt und fragten sich, was das für ein Monster war, das gerade ihre Anführerin mit bloßer Hand getötet hatte. Dann aber rief jemand „Tötet sie!“, woraufhin es wieder zum Kampf kam. Levi und Anne erwiesen sich als harte Gegner für die anderen. Insbesondere letztere zerfetzte ihre Feinde mit ihren Fingernägeln die Kehlen, rammte ihnen die Schädel gegen die Wand und durchbohrte ihnen die Brust mit ihrem Arm. Immer mehr Head Hunter kamen hinzu und sie sahen sich langsam aber sicher einer Übermacht entgegen. „Verdammt noch mal“, rief Levi. „Das werden immer mehr.“ Auch wenn er und Anne sich wacker hielten und niemand von ihnen ans Aufgeben dachte, so sah es immer schlechter für sie aus. Levi begann sich zu fragen, wie weit das hier noch eskalieren musste, doch da sah er plötzlich eine Art kleine Lichtkugel, die direkt neben ihm auftauchte und eine Sekunde später explodierte sie regelrecht und eine irrsinnige Kraft riss sie alle von den Füßen. Sie stürzten zu Boden und lediglich Anne und zwei andere Head Hunter schafften es, wieder auf die Beine zu kommen. Bevor sie verstehen konnten, was das zu bedeuten hatte, schossen Ketten aus dem Boden hervor und umschlangen die Head Hunter, einzig Levi und Anne blieben unversehrt. Ein paar der Maskierten, die noch im allerletzten Moment entkommen konnten, sahen eine Silhouette in dem Licht und wollten angreifen, doch da blitzte eine Klinge auf und zerschnitt ihnen einfach die Schwerter. Es war eine transparente und makellos reine Klinge, die Levi schon einmal gesehen hatte. Vor ihnen standen niemand anderes als Ain Soph und Elohim. Und sie sahen nicht gerade erfreut aus über das, was sich ihnen für ein Anblick bot. „Das reicht jetzt!“ rief Ain und stieß mit dem Fuß auf dem Boden auf, woraufhin dieser erzitterte wie bei einem Erdbeben. Dieses fröhliche und sonst immer so gutmütige Lächeln war verschwunden und nun war in diesen smaragdgrünen Augen Strenge, aber vor allem auch Wut und Enttäuschung zu sehen. Kaum, dass sie gesprochen hatte, waren mit einem Malle alle still und keiner wagte es noch, ein Wort zu sagen. „Ich habe genug davon“, rief sie, die von allen die „große ehrwürdige Mutter“ genannt wurde, mit wütender Stimme. „Gab es denn nicht schon genug Opfer in diesen schweren Zeiten? Haben denn nicht schon genug gelitten? Sowohl die Sefirot, als auch die Seraphim und Nephilim? Sogar die Entitäten sind Opfer dieses Machthungers geworden und was hat es uns gebracht, gegeneinander zu kämpfen? Nichts als Leid und Elend. Warum muss es schon wieder Blutvergießen geben?“ „Du bist nicht unsere Herrin!“ rief einer der Head Hunter und hätte wahrscheinlich Ain angegriffen, doch die Ketten und Fesseln hielten ihn zurück. Zustimmende wütende Rufe ertönten und es wurden teilweise sogar heftige Beschimpfungen laut, doch das brachte Ain nicht sonderlich aus der Fassung. Und doch ging dies nicht spurlos an ihr vorbei, auch nicht an Elohim, der schon die Gefangenen um Ruhe gebieten wollte, doch da hielt Ain ihn zurück, um die Sache selbst zu klären. „Fein. Wenn ihr mich hasst und nicht akzeptiert, dann nehme ich es so an. Jeder hat das Recht, seine eigene Meinung äußern zu dürfen und es wäre nicht rechtens, ihm dafür den Mund zu verbieten. Aber… dass ihr es wagt, Unschuldige zu töten…“ Ain zitterte und sie ballte die Hände zu Fäusten. Tränen sammelten sich in ihren Augen und es war so viel Traurigkeit und Schmerz darin zu erkennen. „Wo liegt denn darin bitte eine gerechte und friedliche Gemeinschaft, wenn wir die Schwachen quälen und töten, wenn es doch unsere höchste Aufgabe ist, jene zu beschützen, die sich nicht selbst schützen können? Kinder, Halbblüter, all die Schwachen und Kranken, die so lange in Angst leben mussten… Sie sollten nicht in einer Welt leben, in der man Angst davor haben muss, auf die Straße zu gehen. Es ist unsere Aufgabe, das Leid zu bekämpfen und zu lernen, was es heißt, miteinander zu leben. Sowohl die Seraphim und Sefirot, als auch die Halbblüter. Keiner kann etwas dafür, dass er so ist wie er ist und niemand sollte dafür verurteilt werden.“ „Das ist Verrat!“ rief einer aus der Menge. „Die Sefirot sind die wahren Herrscher und eine Gleichberechtigung der Seraphim und der Nephilim ist eine Schande an der eigenen Rasse.“ „Ich sehe nur eine Schande an der eigenen Rasse und das sind Leute wie ihr, die nichts als Hass, Ablehnung und Verachtung für andere empfinden, ohne sie näher zu kennen. Die Seraphim haben es genauso verdient, frei und unabhängig zu sein und glücklich leben zu dürfen wie die Sefirot und mit den Nephilim verhält es sich nicht anders. Wir stehen in der Pflicht, all jene zu schützen, die schwach sind und sie ein friedliches Zusammenleben zu lehren. Was ihr da macht, ist nichts anderes als Faschismus!“ Ain hatte diese letzten Worte förmlich rausgeschrieen und sie strahlte etwas so Autoritäres in diesem Moment aus, dass selbst Levi große Ehrfurcht vor ihr empfand. „Und als wäre es nicht schon genug, dass ihr sechs meiner Kinder töten musstet, jetzt wollt ihr mir auch noch meinen siebten Sohn nehmen? Was ist das nur für eine Welt, in der ihr lebt? Was bewegt euch nur zu solchen Dingen, dass ihr Unschuldige töten müsst?“ Zwei der Head Hunter, die nicht von den Fesseln erwischt worden waren, griffen ohne Vorwarnung an und wollten Ain töten, doch da reagierte Elohim sofort und blockte den Angriff des einen Angreifers, der Ain von hinten erschlagen wollte, mit seinem Schwert ab. Als der andere von vorne zustechen wollte, tauchte wie aus dem Nichts ein Schatten auf und schlug ihm die Hand ab. Es war ein Head Hunter, der eine rote Maske trug. Der rote Head Hunter, den Anne beobachtet hatte. Aber warum beschützte er Ain? Hatte er etwas damit zu tun, dass sie und Elohim jetzt hier waren? Ains Blick verlor an Härte und wirkte zunehmend enttäuschter. „Nun“, sprach sie schließlich mit deutlich ruhigerer Stimme. „Da meine Bemühungen wohl offensichtlich gescheitert sind, habe ich nichts Weiteres mehr zu sagen. Elohim, ich überlasse es dir, ein Urteil zu fällen, was mit ihnen geschehen soll. Ich will niemanden von ihnen mehr sehen.“ Damit trat nun Elohim vor und steckte sein Schwert wieder ein. Von ihm strahlte etwas ähnlich Autoritäres und Mächtiges aus wie Ain und er wirkte in diesem Moment, wie die Entitäten waren: alt, erhaben, grenzenlos. „Ihr, die ihr euch an den Unschuldigen vergreift und den Krieg und den Terror in diese Welt zurückbringen wollt, seid durch den Hunger nach Macht über andere vollkommen blind geworden. Und aus diesem Grund werdet ihr erfahren, was es heißt, wirklich blind zu sein. Ihr werdet den Freund nicht mehr vom Feind unterscheiden können und auch keinen Unterschied mehr zwischen den einzelnen Rassen und Gruppen erkennen können. Eure Wahrnehmung wird euch genauso verlassen und ihr sollt von nun an nie wieder ein Licht sehen, bis ihr erkannt habt, was wirklich von Bedeutung ist. Ihr seid von euren Posten enthoben und es ist euch untersagt, jemals wieder eine solche Position innezuhalten. Und es soll jeder erkennen, womit ihr gestraft worden seid.“ Ein gleißendes Licht erstrahlte und Levi musste die Augen zukneifen, um nicht geblendet zu werden. Er hörte einige Schreie und als er die Augen wieder öffnete, lagen einige der Head Hunter schreiend auf dem Boden und die Fesseln waren verschwunden. Sie wanden sich, als hätten sie Schmerzen und dann sah Levi mit leisem Schrecken, dass die Augen der Head Hunter vollkommen weiß waren. Iris und Pupille waren verschwunden und sie erinnerten an leere weiße Kugeln. Das war die Macht der großen Entitäten. Sie hatten die Kriminellen einfach geblendet und ihnen ihr Augenlicht geraubt. In diesem Moment musste Levi unfreiwillig an die Bekehrung von Saulus erinnern. Eine Hand legte sich auf seine Schulter und er sah, dass es der Head Hunter mit der roten Maske war. „Ihr habt da einen guten Job gemacht. Zwar hatte ich Arye und Akrav schon seit einiger Zeit unter Beobachtung, aber mit der Aktion hier hätte ich jetzt nicht gerechnet.“ „Und mit wem habe ich das Vergnügen?“ „Lass uns erst mal zurückkehren, dann erkläre ich alles. Ain und Elohim werden noch genug damit zu tun haben, sich um den Abschaum zu kümmern.“ Damit ging der maskierte Head Hunter und Levi und Anne folgten ihm. „Ich hätte wirklich damit gerechnet, er würde diese Verbrecher härter bestrafen.“ „Blind zu sein und nicht mehr die Fähigkeit zu haben, andere anhand der Aura identifizieren zu können, kann eine schlimmere Strafe sein, als Peitschenhiebe und Schläge. Die beiden setzen auf eine gewaltfreie Bestrafung und Gefängnisstrafen wie bei euch Menschen bringen sowieso nichts.“ Levi blieb abrupt stehen, als er das hörte. Woher wusste der Maskierte, dass er ein Mensch war? Die Taschenuhr verbarg doch seine Aura, wie konnte das sein? „Woher weißt du…“ „Ich weiß so einiges. Aber Erklärungen folgen später. Erst einmal will ich jemandem „hallo“ sagen. Und so wie ich ihn kenne, wird er nicht gerade mit Begeisterung reagieren.“ Damit kehrten sie zurück zu Liams Anwesen, wo man auf den 622-jährigen schon unruhig gewartet hatte. Kaum, dass sie den Salon betraten, fiel die erleichterte Eva ihm um den Hals und war unsagbar froh, ihn zu sehen und musste sich beherrschen, um nicht noch zu weinen. „Levi, ich dachte schon, ich würde dich nicht wiedersehen.“ „Nun, es war auch ziemlich knapp, aber Anne hat mich zum Glück noch gerettet.“ „Anne?“ fragte Liam, der ebenfalls zusammen mit Samajim, Nabi und Jeremiel anwesend war und er musterte die schwarzhaarige blutbesudelte Frau mit einem misstrauischen Blick. Die schenkte ihm jedoch keinerlei Beachtung. „Hatten wir nicht 1845 in England das Vergnügen miteinander gehabt, als du einen wichtigen Geschäftspartner getötet hast? Hätte nicht gedacht, dass du auch ein Sefira bist.“ „Sie ist eine Halb-Naphil“, korrigierte Levi und erklärte die ganze Situation und was alles passiert war. Auch von Ains und Elohims plötzlichem Erscheinen und als er auch von der Bestrafung der Verräter berichtet hatte, kam er auf den immer noch maskierten Head Hunter zu sprechen. „Er scheint jedenfalls über so einiges im Bilde zu sein und hat uns wieder hierher gebracht. Ich hab allerdings keine Ahnung, wer er ist. Er sagte nur, er wolle jemanden grüßen.“ Damit wandte sich der Maskierte Samajim zu und rief „Na, weckt die Maske nicht Erinnerungen, oder hast du es schon vergessen?“ Samajims Augenbrauen zogen sich zusammen, so als versuche er sich zu erinnern, doch da nahm der Head Hunter auch schon die Maske ab und zum Vorschein kam ein Sefira mit blondem Haar, der einige Spangen trug und seine lavendelfarbenen Augen hatten etwas Rebellisches an sich. Samajim war erst sprachlos, dann rief er „Mala?!“ „Freut mich auch, dich wiederzusehen, Bruderherz“, erwiderte der etwas kurz geratene Sefira mit einer leichten Spur von Sarkasmus und setzte sich, Levi tat es ihm gleich und nur Anne zog es anscheinend vor zu stehen und noch zu warten, bis endlich die Sache gänzlich aufgeklärt wurde. Samajim schüttelte ratlos den Kopf und fragte „Seit wann bist du denn wieder bei den Head Huntern?“ „Bin ich nicht“, erklärte Malakh und überkreuzte die Beine. „Ich habe verdeckt ermittelt. Ain und Elohim haben mich darum gebeten, nachdem sie von einigen Nephilim die Bitte erhalten haben, dass sie die immer weiter ansteigende Anzahl von Todesfällen von Halbblütern untersuchen sollen. Es bestand seit einiger Zeit schon Verdacht gegen die Head Hunter, weil es sogar schon Angriffe auf Begnadigte gab. So zum Beispiel auf Nabi.“ „Was?“ rief der Sefira mit den türkisfarbenen Augen und wandte sich entsetzt an seinen Herrn. „Dann… dann war er also von Anfang an hinter mir her?“ „So schaut’s aus“, bestätigte Malakh und nahm sich einen Zuckerwürfel aus der Dose und schob ihn in den Mund. „Akrav war gekommen, um Nabi und die Asylanten zu töten. Da du ihm allerdings einen Strich durch die Rechnung gemacht und ihn gleich bei Ain und Elohim angeschwärzt hast, haben sie ihre Strategie geändert und stattdessen Personen gejagt, auf die niemand achtet. Also die Nephilim. Ich hab mich daraufhin näher im Hauptquartier umgesehen und hab versucht herauszufinden, wer alles in die Verschwörung involviert ist und wer die treibende Kraft war. Tja und dann ist Sereas oder besser gesagt Levi Krylow angetanzt und ihm war schon anzusehen, was er vorhatte. Zuerst hatte ich überlegt, ihn aufzuhalten, aber dann habe ich doch davon abgesehen, weil mir das sehr gelegen kam. Als ich dann aber erkannt habe, was der Bursche mit seiner Aktion bezweckte, hab ich doch lieber Ain und Elohim informiert, dass es Ärger geben könnte. Ich wollte mich dann so schnell wie möglich beeilen, um Levi zu Hilfe zu eilen, aber da war auch schon Anne dabei, die anderen in Stücke zu reißen.“ „Dann heißt das also, wir hätten uns das Theater sparen können.“ „Das habe ich jetzt nicht gesagt!“ rief Malakh und nahm sich sogleich noch einen Zuckerwürfel. „Mit der Aktion konnte ich klare Gewissheit bekommen, wer alles beteiligt war und wie weit die Verschwörung innerhalb der Organisation reichte. Und so wie es scheint, war der Großteil mit involviert gewesen. Nach der Zerschlagung des alten Regimes sind offenbar noch radikale Splittergruppen übrig geblieben, die immer noch meinen, dass die Sefirot die wahren Herrscher sind und alle anderen sich unterzuordnen hätten. Wie es scheint, wird da noch ein Haufen Arbeit warten. Diese Radikalen sind wirklich dümmer als erlaubt. Die haben doch tatsächlich versucht, Ain zu töten.“ „Sind die vollkommen verrückt?“ fragte Nabi kopfschüttelnd. „Wenn Ain auch nur ein Haar gekrümmt wird, dreht Ajin komplett durch.“ „Das auf jeden Fall, wenn nicht vorher Elohim kurzen Prozess macht. Außerdem ist es sinnlos, Ain umbringen zu wollen. Sie wird niemals verschwinden, selbst wenn man sie töten sollte“, erklärte Samajim und wandte sich seinem Bruder zu. „Bist du deshalb in London aufgekreuzt?“ „Klar doch. Ich wollte Nachforschungen anstellen und mir einen Überblick über die Lage verschaffen. Und die Prüfung nebenbei war eine Tarnung, weil ich ja weiß, wie neugierig du bist und Einmischungen hätte ich einfach nicht gebrauchen können. Vor allem, weil ich alles im Griff hatte.“ „Und das hast du alles alleine geplant?“ „Traust du mir etwa so was nicht zu?“ fragte Malakh in einem feindseligen Ton und Samajim erklärte „Du warst noch nie der beste Stratege gewesen.“ „Ich weiß, wie ich meinen Job mache“, giftete der jüngere Bruder zurück und sofort ging Nabi dazwischen, bevor sich die beiden noch weiter zankten. „Also gut, jetzt reicht es. Verschiebt die Bruderstreitereien bitte auf später. Was ist denn jetzt genau mit dieser Splittergruppe und wie wird es weitergehen?“ Nachdem sich Malakh und Samajim wieder eingekriegt hatten, erklärte der jüngere Bruder „Die Splittergruppe hat wider Erwarten keine Unterstützung der großen Alten. Asikim, Arye, Akrav, Hariga und Syut sind die Hauptverantwortlichen gewesen und hatten vorgehabt, Miswa wieder zurückzuholen und Ain und Elohim zu stürzen, um die Schreckschraube vom Dienst wieder auf den Thron zu setzen. Allerdings wird es noch so einige Untersuchungen geben und es wird die Head Hunter in Zukunft nicht mehr geben. In Momenten wie diesen bereue ich es wirklich, dass ich sie überhaupt gegründet habe. Ich wollte eine unabhängig agierende Gruppe gründen, die kriminelle Subjekte jagte und somit etwas mehr Ordnung schaffte. Aber kaum, dass ich sie verlassen habe, scheint alles komplett außer Kontrolle geraten zu sein.“ „Daran hast weniger du Schuld, sondern viel eher jene, die ihre faschistischen Gedanken durchsetzen wollen. Naja, jetzt ist ja zum Glück alles gut gegangen. Trotzdem werde ich vorsorglich ein wachsames Auge auf Dathan haben, nur für den Fall der Fälle.“ Auch das sah Malakh als gute Idee an und nickte. Es klopfte schließlich an der Tür und Delta kam herein. „Hey ihr Süßen! Ratet mal, was ich Schnuckeliges dabei habe!“ Damit zeigte er seine Begleitung. Es war ein Seraph mit brünettem Haar und kastanienbraunen Augen. „Abdiel“, rief Nabi und sofort kam der Seraph zu seinem Herrn und zog ihn am Ohr. „Wie oft habe ich Euch gesagt, dass ich mitkommen werde, wenn Ihr schon den Plan durchziehen müsst? Ich warte und warte wie ein Blöder und Ihr macht Euch mal wieder aus dem Staub, um alles alleine zu regeln. Selbst auf die Gefahr hin, dass Ihr wieder in Lebensgefahr geraten könntet. So langsam habe ich aber wirklich genug.“ „Au Abdiel, hör auf! Ich bin doch kein kleiner Junge, verdammt. Lass sofort mein Ohr los.“ „Nichts da. Ihr kommt mit nach Hause. Und was futtert Ihr schon wieder Zuckerwürfel? Ihr habt erst letztens Zahnschmerzen gehabt und schon futtert Ihr wieder Süßes. Echt, Ihr seid schlimmer als ein kleiner 5-jähriger Junge!“ Damit zerrte Abdiel seinen Herrn hoch, entschuldigte sich kurz bei den anderen und verschwand mit Malakh, der eine beleidigte Schmollmiene zog. Levi sah den beiden stirnrunzelnd hinterher. „Okay… kann mich mal jemand aufklären?“ „Malakh ist mein jüngerer Bruder“, erklärte Samajim und trank seinen Tee aus. „Er hat die Head Hunter Gruppe damals gegründet, verließ sie aber als der Krieg ausbrach und war danach lange Zeit verschwunden und ich hielt ihn für tot. Er hat aber überlebt. Der junge Mann, den Delta reingeschleppt hat, war sein Diener Abdiel. Er hat ihn Miswa damals abgekauft, als sie ihn auspeitschen und dann hinrichten wollte. Malakh wird auch „der Ankläger“ genannt und es ist seine Aufgabe, die Aufrichtigkeit anderer anzuzweifeln und diese auf die Probe zu stellen. Er stellt auch Paare auf die Probe um festzustellen, ob deren Liebe bedingungslos aufrichtig ist. Mich hat er auch schon geprüft, zusammen mit Nabi.“ „Sie sind also mit ihrem Diener zusammen?“ fragte Levi überrascht und hob die Augenbrauen, denn von einem der großen Alten hätte er das nicht erwartet. Aber andererseits… Samajim gehörte zu den deutlich lockeren Gesellen und hatte auch keine Vorurteile oder faschistischen Gedanken, wie so manch andere. Naja… man liebte, wen man liebte und unter den Unvergänglichen hatte es noch nie wegen der Sexualität Schwierigkeiten oder Diskussionen gegeben. Das interessierte keinen von denen. „So, da nun alles geklärt ist, können wir…“ Levi unterbrach kurz, als Anne schließlich in Richtung Tür ging. „Gehst du zurück?“ fragte er sie noch, aber die Halb-Naphil gab keine Antwort darauf und verschwand dann einfach. Bevor sie aber durch die Tür ging, rief er ihr aber noch „Danke noch mal für die Rettungsaktion“ hinterher, doch auch das schien sie nicht sonderlich zu interessieren. Naja, ihre Arbeit war erledigt und sie wusste nun, was sie wissen wollte. Also gab es in ihren Augen auch keinen Grund mehr für sie, noch eine Sekunde länger da zu bleiben. Delta sah ihr noch mit einem skeptischen Blick hinterher und meinte dann „Was ist denn mit der los?“ „Sie ist immer so“, erklärte Levi nur und wandte sich dann schließlich seinem Schwager Liam zu. „Also jedenfalls hat sich das jetzt auch mit deinem Namen auf der Liste aufgeklärt. Sie hatten einen verspäteten Vergeltungsfeldzug starten wollen und es auch auf ehemalige Kriegsverbrecher abgesehen. Und da bist auch du eben auf die Liste gelandet.“ „Na zum Glück ist Levi derjenige gewesen, der den Namen gekriegt hat“, meinte Jeremiel schließlich. „Ansonsten hätte es noch wirklich düster ausgesehen und vor allem hätten er und Eva sich nicht so schnell wiedergesehen.“ „Ja das stimmt wohl“, meinte Levi, doch Liam sagte nichts dazu und schwieg lieber. Es passte ihm eben einfach nicht, dass er überhaupt auf der Liste gelandet war und dass er von einem Menschen so dermaßen vermöbelt worden war. Samajim hingegen schien etwas anderes zu beschäftigen. Nachdenklich hatte er den Blick in die Ferne gerichtet und die Arme verschränkt. „Wer hätte gedacht, dass mein kleiner Bruder so gewieft ist und so etwas vor mir verbergen konnte? Er hat wirklich so einiges dazugelernt in all der Zeit. Wirklich beeindruckend. Tja, da bleibt für uns ja wohl nicht mehr viel zu tun. Nabi, komm wir gehen.“ „Ist gut, Meister.“ Damit erhoben sich die beiden und verabschiedeten sich von der Runde, dann gingen auch sie. Und auch Malakh machte sich auf den Weg mit der Erklärung, er müsse zu Ain zurück und noch Bericht erstatten. So blieben am Ende nur noch Liam, Jeremiel, Eva und Levi zurück. Letzterer wirkte etwas melancholisch und die Geschichte mit dem Verrat schien ihn doch recht zu beschäftigen. Eva legte daraufhin ihre Hand auf die seine und fragte „Was beschäftigt dich?“ „Knapp 580 Jahre lang war ich Head Hunter“, erklärte er und seufzte leise. „Im Grunde waren sie fast wie mein Zuhause. Ich habe so lange in diesem Job gearbeitet und obwohl er für mich nur ein Mittel zum Zweck war, um dich wiederzufinden, war es ein Teil meines Lebens. Und nun… nun war alles Teil einer großen Intrige und die Head Hunter waren nur darauf aus gewesen, die Sefirot wieder an die Macht zu bringen. Viele der Head Hunter kannte ich sehr gut und auch wenn ich nie Freundschaft mit denen geschlossen habe, sondern lieber Einzelgänger blieb, ist es doch recht hart zu erfahren, wie sie wirklich denken. In der Hinsicht sind die Unvergänglichen und die Menschen doch wirklich gleich. Und das zeigt mir, dass sowohl die Heimat als auch die Welt der Menschen kein Ort ist, wo man gänzlich in Frieden leben kann. Und so langsam kann ich da so auch Annes Hass und ihre Art langsam nachvollziehen. Bei so etwas würde mir auch glatt die Lust zum Reden vergehen. Und dabei… dabei bin ich gerade mal 622 Jahre alt und habe nicht mal einen Bruchteil von den Dingen erlebt, die sich zugetragen haben.“ Kapitel 11: Gute Nachrichten ---------------------------- Es war Nacht und der Vollmond schien hell, als Levi und Eva den Hafen entlang gingen und die Stille genossen. Im schwachen Licht wirkte das weiße Haar der Sefira noch schöner und reiner als sonst und zwischen ihnen herrschte eine sehr innige Stimmung. Levi erzählte ihr von den Dingen, die er die letzten 600 Jahre erlebt hatte und was alles passiert war. Und er hatte wirklich viel zu erzählen. Eva hakte sich bei ihm unter und hörte ihm aufmerksam zu. Schließlich setzten sie sich auf eine Bank und sahen aufs Meer hinaus, während Levi die Hand seiner Frau hielt. „Es ist schon seltsam. Obwohl so viele Jahre vergangen sind, ist es so, als wären wir nie getrennt gewesen. Lediglich deine Stimme hat sich verändert. Du klingst erwachsener als damals.“ „Ich habe auch nicht mehr diesen Mädchenkörper von damals“, erklärte die Sefira. „Inzwischen habe ich einen neuen und auch äußerlich habe ich mich verändert.“ Levi sah sie an, konnte aber nichts feststellen, was aber auch daran lag, weil er unfähig war zu erkennen, inwieweit sich Eva verändert hatte. Er konnte ja rein äußerlich keinen voneinander mehr unterscheiden. „Ehrlich gesagt merke ich keinen Unterschied. Und egal wie du auch aussiehst, für mich wirst du immer die Schönste von allen sein.“ Damit gab er ihr einen Kuss und Eva lächelte verlegen. „Du hast dich aber auch kaum verändert. Derselbe hartnäckige Sturkopf wie damals, der mich unbedingt heiraten wollte und ganz der alte Charmeur. Ich kann es immer noch nicht so wirklich glauben, dass du all das auf dich genommen hast, nur um mich zu finden. Und dann hast du auch noch deine Fähigkeit verloren, andere vom Äußeren her zu unterscheiden. Das… das hättest du nicht tun müssen. Du hättest dir jemanden suchen können, der besser zu dir passt als ich und mit dem du nicht so viel Ärger hast. Wenn du bei mir bleibst, wirst du dich von deiner Welt trennen müssen. Du würdest aufhören, ein Mensch zu sein und müsstest dich für immer von ihnen distanzieren.“ Doch Levi schüttelte nur den Kopf dazu und erklärte „Ich habe niemanden in dieser Welt, der mir noch wichtig wäre. Die Einzigen, um die ich mich noch kümmere, sind die Nephilim, weil sie mich brauchen. Aber es ändert nichts daran, dass du die Einzige bist, die ich so sehr liebe, dass ich alles für sie aufgeben würde. Selbst meine Fähigkeit, andere vom Äußeren her zu erkennen.“ Diese Worte waren nun endgültig zu viel für Eva. All die aufgestauten Emotionen brachen hervor und Tränen sammelten sich in ihren Augenwinkeln. Sie senkte den Blick und schluchzte leise, doch Levi hob ihr Kinn, um ihr in die Augen zu sehen, dann küsste er sie und strich ihr zärtlich die Tränen weg. „Du musst doch nicht weinen, Eva. Ich bin ja jetzt hier und wir können noch mal ganz von vorne anfangen.“ Diese Worte verschlimmerten alles nur. Eva konnte nicht mehr aufhören zu weinen, sie weinte sogar noch heftiger und umarmte ihn. Sie drückte ihn fest an sich und er hielt sie seinerseits im Arm, um sie zu trösten. „Bitte geh nicht wieder weg“, flehte sie und weinte sich an seiner Schulter aus. „Bitte bleib bei mir. Ich will nicht schon wieder so alleine sein.“ „Keine Angst, Eva. Ich werde nicht fortgehen. Von nun an werde ich für immer bei dir bleiben und nicht zulassen, dass wir voneinander getrennt werden.“ Und um zu beweisen, wie ernst es ihm war, holte er aus seiner Tasche ein kleines Kästchen hervor und öffnete es. Ein Ring war zu sehen, den er Eva schließlich an die Hand steckte. „Damals in Russland hatten wir beide keine Möglichkeit gehabt, Ringe zu tragen. Aber ich habe mir geschworen: wenn ich dich wieder finde, dann hole ich das nach.“ Eva betrachtete den Ring aus Weißgold mit dem kleinen Diamanten. Er sah wunderschön aus und sie konnte einfach nicht glauben, was Levi da für sie getan hatte. Auch sonst wirkte das alles wie ein Traum. „Das alles wirkt so verrückt“, sagte sie schließlich. „Wenn ich nicht wüsste, dass ich wach bin, würde ich denken, ich läge immer noch im Koma und würde mir das alles nur erträumen. Ich meine… du bist wirklich hier und du lebst. Und nicht nur das. Du bist ein Head Hunter, hast 600 Jahre nach mir gesucht und du bist inzwischen so stark geworden, dass du gegen die Sefirot kämpfen kannst. Selbst meinen Bruder hast du in die Knie gezwungen. Das alles ist doch so unwirklich, dass ich wirklich Angst habe, jeden Moment aufzuwachen und zu erkennen, dass das nicht real ist. Und…“ Doch da unterbrach Levi sie auch schon wieder mit einem Kuss. „Es ist kein Traum“, versicherte er ihr. „Denn sonst müssten wir den gleichen Traum träumen. Und eines verspreche ich dir: von nun an werde ich für immer bei dir bleiben und mit dir gehen, wohin du willst. Solange ich weiß, dass uns nichts mehr voneinander trennen wird, folge ich dir überall hin. Und ich werde dich mit meinem Leben beschützen.“ Damit nahm er ihre Hand, an welche er ihr den Ring gesteckt hatte und hielt sie fest. Eva betrachtete immer noch mit einem nachdenklichen Blick den Ring und fragte schließlich „Warum ich? Du hättest jede andere Frau haben können. Was an mir ist denn so besonders für dich, dass du so viel auf dich genommen hast, nur um mich zu finden?“ „Weil ich immer an unsere erste Begegnung denken musste. Weißt du, damals im Wald hatte ich wirklich den Tod vor Augen gehabt. Ich wäre fast erfroren, meine Beine waren gebrochen und ich konnte nirgendwo hin. Ich hatte furchtbare Angst, aber dann kamst du und als ich dich sah… deine langen weißen Haare und diese blasse Haut… ich dachte in diesem Moment wirklich, ein Engel würde vor mir stehen. Du warst für mich das Schönste, was ich je in meinem Leben gesehen habe und auch deine Stimme, dein Charakter… alles schien mir so perfekt und für mich warst du damals ein Engel. Und später, als ich erkannte, was du wirklich bist, da warst du wie eine Göttin in meinen Augen. Aber ich habe auch erkannt, wie traurig du warst. Wie sehr dich die Einsamkeit quälte und wie sehr du dich nach Nähe und Liebe sehntest. Und da hatte ich diesen Wunsch gehegt, eines Tages der Mann an deiner Seite zu sein, der dir deinen Kummer nehmen kann und der dir die Liebe geben kann, die du verdient hast. Und als du verschwunden bist, da hat mich dieser Wunsch weiter vorangetrieben. Ich musste immer daran denken, wie einsam und traurig du warst und das hat mich nicht aufgeben lassen, egal wie aussichtslos meine Suche auch manchmal zu sein schien. Ich wollte dich wiedersehen und wissen, dass du nicht mehr so traurig und einsam sein musst. Denn immer wenn ich an dich denken musste, da sah ich nur dieses traurige Gesicht vor mir. Und es hat mir einfach das Herz gebrochen, daran zu denken, wie unglücklich du gewesen sein musst.“ „Es war auch für mich eine schwere Zeit gewesen. Da ich 444 Jahre lang Ajin als Dienerin zur Seite stand, konnte ich weder in die Heimat, noch in die Menschenwelt gehen. Und selbst als ich in die Menschenwelt zurückkehren durfte, war es nicht einfach gewesen. Meine Familie kannte mich nicht und lebte ihr eigenes Leben ohne mich und selbst mein Bruder hat mich gehasst, weil ich nicht für ihn da war und er mir die Schuld an Nikolajs Tod gab. Aber ich konnte es ihm einfach nicht sagen, weil ich Angst hatte, er könnte die ganze Wahrheit erfahren, sich mit den großen Alten anlegen und sein Leben aufs Spiel setzen. Ich wollte ihn beschützen, genauso wie meine Familie und dafür habe ich auch in Kauf genommen, gehasst zu werden. Lieber wollte ich, dass sie mich alle hassen, als dass ihnen etwas passiert und ich sie noch mal verliere.“ Verständnisvoll nickte Levi. Das war typisch Eva. Sie nahm alles auf sich, um jene zu beschützen, die sie liebte und dafür ertrug sie wirklich alles. Hass, Ablehnung, Einsamkeit… Sie hatte schon immer diese großen Verlustängste gehabt, die sie so sehr quälten. „Du musst das alles nicht mehr alleine ertragen. Gemeinsam schaffen wir das alles schon. Aber es ist wichtig, dass du dich auch ein Stück weit auf mich verlässt und mir auch etwas zutraust, auch wenn ich nur ein Mensch bin und du eine Sefira.“ Ja, da hatte er Recht und Eva gab auch zu, dass sie ihn deutlich unterschätzt hatte. Sie kannte die Menschen eben nur als schwache und vergängliche Wesen. Aber… es gab auch einige unter ihnen, die anders waren. Und Levi besaß das Herz eines Unvergänglichen. „Auf jeden Fall müssen wir Minha aufsuchen und dafür sorgen, dass du wieder in der Lage bist, andere vom Äußeren her zu erkennen.“ „Eva, das ist doch nicht nötig. Ich komme ganz gut damit klar.“ „Aber ich kann nicht akzeptieren, dass du meinetwegen diese Einschränkung hast. Und wenn du sowieso zu einem Sefira werden wirst, dann wirst du auch die Uhr nicht mehr brauchen.“ „Okay, dann lass uns das die nächsten Tage erledigen. Aber lass uns erst mal diesen schönen Abend genießen. Es eilt ja auch nicht sonderlich und da können wir uns durchaus etwas Zeit nehmen. Ich bin 600 Jahre mit diesem Handicap zurechtgekommen, da werde ich es auch noch ein paar Tage schaffen.“ Es vergingen ein paar Tage, in denen sich Levi und Eva deutlich näher kamen und wieder eine sehr innige Stimmung zwischen ihnen herrschte. Zwischendurch tauchte Malakh zusammen mit seinem Diener Abdiel wieder auf, der sie auf den neuesten Stand der Dinge brachte. Die Head Hunter seien endgültig von Elohim aufgelöst worden und es gab noch weitere Festnahmen und Verurteilungen. Und nun stellte sich natürlich die Frage, was denn jetzt geschehen sollte, nachdem es die Head Hunter nicht mehr gab. Doch für die Frage hatte Malakh schon eine Antwort für sie parat. „Elohim hat eine neue Gruppe ins Leben gerufen, die so genannte Hagana. Sie basiert auf dem Grundprinzip der Head Hunter, nämlich dass Kriminelle von jenen Leuten gejagt werden, allerdings werden diese lebend ausgeliefert und diese Organisation stünde dann unter Elohims Bewachung, um zu verhindern, dass es wieder so eskalieren könnte, dass sie von faschistischen Splittergruppen übernommen wird. Zurzeit suchen sie noch Leute und sie haben mich gebeten, die stellvertretende Leitung zu übernehmen.“ Samajim, der ebenfalls anwesend war, weil ihn natürlich brennend interessierte, was in der Heimat so vor sich ging, zeigte sich erstaunend und nickte seinem Bruder anerkennend zu. „Das ist wirklich eine sehr hohe Position, aber ich denke, dass sie mit dir einen guten Mann ausgesucht haben. Vor allem, weil du immer misstrauisch bleibst.“ Malakh warf seinem Bruder einen Blick zu, der fast schon feindselig wirkte. „Willst du dich etwa wieder über mich lustig machen, ohne dass ich es merke?“ „Nein, dieses Mal meine ich es ausnahmsweise mal ernst. Ich denke, dass du genau der Richtige für den Job bist, da solltest du ihn auch annehmen.“ „Du willst mich doch nur wieder loswerden, gib es doch zu.“ Samajims Körpersprache ließ darauf schließen, dass Malakh mit seinem Verdacht wohl nicht ganz falsch lag. Naja, sie waren eben ziemlich verschieden und da blieb eben nicht aus, dass sie sich oft stritten und nicht immer gut aufeinander zu sprechen waren. Malakh eiferte seinem älteren Bruder eben sehr nach und hatte es sich in den Kopf gesetzt, besser zu werden als er. Und Samajim musste sich den ganzen Ärger wohl oder übel antun. „Und was genau passiert denn jetzt mit den Nephilim?“ fragte Levi, dem das Wohl der Halbblüter ganz besonders am Herzen lag. Vor allem, da er ja zeitweise unter ihnen gelebt hatte und wusste, wie sehr sie unter den Verfolgungen zu leiden hatten. Aber auch hier hatte Malakh gute Nachrichten. „Ain hat ein neues Gesetz verfasst, in welchem schutzbedürftige Rassen und Individuen nicht mehr länger verfolgt werden dürfen und ein Verstoß sofort geahndet wird. Sie hat bei einer öffentlichen Rede noch mal ganz klar gesagt, dass es unverzeihlich sei, andere für ihre Herkunft und ihre Stellung zu verurteilen und man die Nephilim nicht für die Reinheitsgedanken der Sefirot büßen lassen sollte. Genauso wenig wie alle anderen. Des Weiteren hat sie das Heim, in welchem die Nephilim leben, zur Schutzzone erklärt. Es wird aber noch viele Ermittlungen geben. Insbesondere gegen die Splittergruppen und Miswa, Kabod und Rakshasa, die in der Menschenwelt als Vergängliche nun ihr Leben fristen müssen, werden nun deutlich stärker bewacht.“ „Mir wäre es lieber, man würde die drei hinrichten“, sagte Eva schließlich. „Sie haben so viele Gräueltaten begangen, so viele Unschuldige hingerichtet und nur Terror, Angst und Schrecken verbreitet.“ „Denke ich auch“, meinte Malakh und musste sich an die Zeit des Terrorregimes zurückerinnern. „Allein, wenn ich daran denke, als ich Abdiel damals gefunden hatte. Er hatte kaum noch gelebt und ist trotzdem durch den Wald geflohen, bis er zusammengebrochen ist. Und dann dachte er, ich sei gekommen, um ihn zurückzubringen und da hat er mich unter Tränen angefleht, ihn zu töten. Und dabei ist er nur einer von vielen gewesen. Und überhaupt: Ain und Elohim haben durch die drei sechs ihrer Kinder verloren und sie haben Hajjim ermordet.“ Abdiel, der bis jetzt noch nichts gesagt hatte, senkte den Blick, als er an damals zurückdachte, als er noch in Miswas Diensten gestanden hatte. Es war für ihn einfach nur die Hölle gewesen und wenn er gerade keine Angst vor dem Tod hatte, dann war es die Angst vor den Bestrafungen, die tagtäglich folgten und die ihn am ganzen Körper gezeichnet hatten. „Ich kann es auch nicht verstehen“, murmelte er schließlich. „Warum werden sie nicht hingerichtet? Verdient hätten sie es alle Male.“ „Weil das nicht der Mentalität der Entitäten entspricht“, erklärte Samajim, der da wohl besser Bescheid wusste, was sich Ain und Elohim dabei gedacht hatten. „Ain ist anders als ihr cholerischer und jähzorniger Vater Ajin, der recht schnell mit einem Todesurteil daher kommt. Sie und Elohim sind der Ansicht, dass nichts einen Mord rechtfertigt. Und die Todesstrafe ist auch Mord, der durch das Gesetz als gerechtfertigt erachtet wird. Da aber Mord das Schlimmste ist, was man als Verbrechen begehen kann, würde dies das Gesetz wieder in eine radikale Richtung ziehen und im Grunde genommen ist das Leben eine schlimmere Strafe als der Tod. Die beiden sind der Ansicht, dass man Verbrecher so bestrafen sollte, dass ihre Würde, ihre körperliche Unversehrtheit und ihr Leben unangetastet bleiben. Sie setzen da eher auf erzieherische Maßnahmen.“ „Ich halte das eher für schwachsinnig…“ „Aber auch nur deshalb, weil wir nie etwas anderes gekannt haben“, erklärte Samajim. „Seit unserem Bestehen gab es nur diese Terrorherrschaft und sie hat nur deshalb so lange bestehen können, weil alle Angst hatten. Und wo läge denn da bitte die Moral, wenn unsere Herrscher uns von Gewaltlosigkeit predigen und sie selbst grausame Strafen verhängen? Ain und Elohim haben auch eine gewisse Vorbildfunktion für die anderen und wer Frieden predigt, der sollte auch der Erste sein, der den Frieden auslebt. Man kann nicht erwarten, dass sich von heute auf morgen alles ändert. Es wird immer welche geben, die anderen Rassen mit Feindseligkeit, Hass und Ablehnung begegnen, so traurig das auch klingt. Aber in dem Fall ist Beharrlichkeit und Geduld das Wichtigste, weil alles seine Zeit braucht. Und alles, was wir tun können ist, mit gutem Beispiel voranzugehen. Die großen Alten sind zwar nicht mehr die Herrscher und wurden entmachtet, aber sie haben immer noch eine Vorbildsfunktion. Und ich denke, dass du diese Aufgabe gut erfüllen kannst, kleiner Bruder. Du wirst mit Sicherheit ein großes Vorbild für andere.“ Malakh sah seinen älteren Bruder mit großen Augen an und schien noch nicht wirklich fassen zu können, was dieser gesagt hatte. Hatte Samajim ihm gerade wirklich diese Worte gesagt und ihm damit gezeigt, dass er seine Fähigkeiten anerkannte und ihn respektierte? Hatte er endlich das erreicht, wofür er so lange gearbeitet und gekämpft hatte? Malakh war wie erstarrt und Tränen glänzten in seinen Augenwinkeln. Abdiel bemerkte es als Erster und meinte „Meister, weint Ihr etwa schon wieder?“ „Überhaupt nicht!“ rief Malakh, doch es war komplett gelogen. „Ich hab nur Staub ins Auge gekriegt, das ist alles!“ Schnell rieb sich Malakh die Tränen weg, konnte aber nicht mehr aufhören und weinte wie ein kleiner Junge und Jeremiel konnte sich nicht den Gedanken verkneifen, dass Samajims kleiner Bruder irgendwie niedlich war. „Scheiße verdammt“, rief Malakh und versuchte wirklich mit aller Macht, mit der Flennerei aufzuhören, aber es hatte keinen Sinn. „Ich bin ein Ältester und die heulen nicht!“ „Ist schon gut, Meister. Keiner hier denkt schlecht von Euch, nur weil Ihr Gefühle zeigt.“ Und damit streichelte Abdiel ihm den Kopf, als versuche er einen kleinen Jungen zu trösten. Es war schon verrückt und selbst Eva musste darüber schmunzeln. Sonst war Malakh misstrauisch, streng und tat immer so cool. Aber kaum, dass es um solch emotionale Sachen ging, die insbesondere ihn betrafen, da begann er zu weinen wie ein Kind. Einzig Liam konnte nicht wirklich glauben, dass das hier wirklich gerade passierte und ein Ältester so herumheulte, wo er doch immer ganz andere Geschichten gehört hatte. Naja, jeder schien wohl anders zu sein und auch sonst wirkte Malakh insbesondere in Samajims Nähe wie ein kleiner Junge. Schließlich gelang es Abdiel, seinen Herrn zu beruhigen, wobei man wirklich sehen konnte, dass dieser die Situation ein Stück weit auch ausnutzte, um seinen Herrn zu betüddeln. In der Hinsicht war Abdiel auch ein Charakter mit zwei Gesichtern, genauso wie Malakh. Nachdem die Fakten besprochen waren, beschloss Levi, noch mal zum Heim zu fahren und mit Thomas zu sprechen. Eva begleitete ihn und auch Jeremiel kam mit. Schließlich machten sich Malakh und Abdiel auch auf den Weg und so blieben nur noch Samajim und Liam zurück. Dem Mafiaboss entging nicht, dass der Pfarrer ein wissendes Lächeln auf seinen Lippen hatte und dem traute er nicht so wirklich und fragte auch deshalb nach. „Was gibt es da so zu lächeln, hm?“ „Ach, mich amüsiert es nur ein bisschen, dass mein kleiner Bruder selbst nach all der Zeit noch so nah am Wasser gebaut ist, wenn es um emotionale Dinge geht. In der Hinsicht wird er sich auch niemals ändern. Naja, aber was mich noch mehr amüsiert ist die Sache mit seinem Diener. Abdiel ist ein anständiger Kerl, aber… na ja… er kann auch ganz anders. Und in London hat sich mein werter Bruder noch darüber lustig gemacht, dass ich mir des Öfteren mal die eine oder andere Rüge von Nabi anhören darf. Und selbst lässt er sich eine Kopfnuss nach der anderen verpassen.“ „Wozu habt ihr euch denn überhaupt Diener angelacht, wenn ihr sie nicht mal wie Diener behandelt?“ „Nun, in meinem Fall war es, weil es der einzige Weg war, um Nabi vor der Todesstrafe zu retten. Und Malakh hat Abdiel in seine Dienste genommen, weil es die beste Möglichkeit war um zu verhindern, dass er wieder von Miswa oder einem anderen versklavt werden könnte.“ „Ihr scheint euch beide recht ähnlich zu sein.“ „Jetzt mal nicht übertreiben, mein Lieber“, sagte Samajim sofort und winkte ab. „Nur weil mein Bruder sich aus ähnlichen Gründen einen Diener angeschafft hat, heißt das noch lange nicht, dass wir auch nur irgendetwas miteinander gemeinsam hätten. So weit kommt’s noch.“ Entweder kapiert er es nicht, oder er ist wirklich so blind, dachte sich Liam und sagte nichts. Dabei merkt doch jeder, dass ihr beiden euch verdammt ähnlich seid. Naja, mir kann es egal sein. Solange endlich mal langsam Ruhe einkehrt und wir nicht schon wieder in so eine heftige Sache reingezogen werden wie in dieses Projekt, das Alice Wammy vorangetrieben hat, ist doch alles in bester Ordnung. Und ich habe endlich die Zeit und Ruhe, mich wieder auf meine Arbeit und vor allem auf meine Beziehung mit Jeremiel zu konzentrieren. Kapitel 12: Ein abschließendes Treffen -------------------------------------- Knapp eine Woche verging, als L und Beyond wieder zusammen mit Frederica mit dem Wagen vorfuhr und den Parkplatz ansteuerte. Dieses Mal war aber nicht der Detektiv, sondern sein Begleiter mies drauf, was irgendwie eine gewisse Ironie war. „Jetzt mal im Ernst, Beyond. Du brauchst nicht eifersüchtig zu sein. Levi ist mit Eva verheiratet und dass er mich geküsst hat, beruhte auf eine Verwechslung.“ „Aber wenn dieser Kerl es noch mal wagt, dir seine Zunge in den Hals zu stecken, dann bringe ich ihn um.“ „Erstens es war kein Zungenkuss und zweitens bringst du niemanden um!“ Beyond grummelte beleidigt irgendetwas leise vor sich hin und sah so finster drein, dass man meinen konnte, er wollte Levi tatsächlich umbringen. Schließlich stiegen sie aus und auch die anderen waren inzwischen schon da. Dafür, dass Oliver ein totaler Chaot war, machte das Haus wie immer einen sehr sauberen und ordentlichen Eindruck. Zumindest von außen. Aber was nicht ist, konnte ja noch werden. Wenn man allerdings bedachte, dass Andrew sich hier um die Ordnung kümmerte, dann musste man diesem lassen, dass er einen echt guten Job machte. Nachdem das glücklich verheiratete Paar endlich ihre kleine Tochter aus dem Krankenhaus holen konnte, war natürlich die ganze Familie eingeladen worden und selbstverständlich würden auch Eva und ihr Mann kommen. Von den Geschehnissen mit der drohenden Revolte und der Bedrohung durch die Splittergruppe hatten sie nicht viel mitbekommen, waren aber allesamt froh gewesen, dass sich alles geregelt hatte und nun wieder Entwarnung rausgegeben wurde. Samajim und Nabi hatten sich zwischenzeitlich verabschiedet, da sie von Ain und Elohim zurückbeordert worden waren, da wegen dem versuchten Putsch eine Ratsversammlung einberufen wurde, bei der Samajims Anwesenheit dringend erforderlich war. Immerhin war er Elohims engster Vertrauter und sein wichtigster Berater! Er ließ aber herzliche Grüße ausrichten und versprach auch, dass er demnächst mal wieder vorbeischauen und sie über den neuesten Stand der Dinge in Kenntnis setzen würde, wenn er Neues wüsste. Gerade wollten sie ins Haus gehen und das glückliche Vaterpärchen begrüßen, doch da ergriff jemand L von hinten und sogleich wurde er von Levi umarmt, der ihm, ehe der Detektiv etwas sagen konnte, auch schon einen Kuss gab. „Mensch, du bist ja früh dran, Eva. Und ich dachte schon, dass…“ „DAS IST L, DU PERVERSLING!!!“ rief Beyond und wollte dem ehemaligen Head Hunter schon an die Gurgel gehen, aber Nastasja und Jeremiel hielten ihn zurück, bevor noch ein Unglück geschah. Levi selbst schien diese erneute Verwechslung nicht sonderlich zu stören. „Entschuldige Kleines, aber was kann ich dafür, wenn beide dieselbe Seelenaura haben?“ „Ist mir doch wurscht und überhaupt: wie oft soll ich dir noch sagen, dass ich kein kleines Mädchen bin?“ „Stimmt. Kleine Mädchen sind deutlich süßer.“ „Ich bring den Bastard um“, knurrte Beyond und funkelte Levi feindselig an. „Den verarbeite ich zu Hundefutter und verfüttere ihn an Ezras Köter. Der wird sich noch umgucken, das schwöre ich.“ „Ja, ja…“, meinte Jeremiel nur und klopfte ihm auf die Schulter. „Natürlich wirst du das…“ Vom Ton klang das aber eher danach, als würde er gerade mit einem Verrückten reden. Frederica konnte sich ein amüsiertes Kichern kaum verkneifen, ebenso wenig wie Sheol und sogar Elion musste amüsiert schmunzeln. Ezra klatschte sich hingegen die Hand gegen die Stirn und schüttelte den Kopf, wobei er nur meinte „Ihr seid doch alle vollkommen bescheuert.“ „Jetzt reißt euch mal zusammen“, unterbrach Nastasja schließlich das Durcheinander und gab Beyond eine strafende Kopfnuss. „Du bist ein erwachsener Mann, also benimm dich dementsprechend.“ „L, warum sagst du deiner Mutter nicht endlich mal, dass sie damit aufhören soll?“ Die Antwort war einfach: für so etwas hatte L zu viel Schiss vor seiner Mutter. Schließlich aber kam Eva, die ein wenig gehetzt wirkte und schließlich vor ihnen stehen blieb. „Entschuldigt bitte, aber das Gespräch mit Elohim hat etwas länger gedauert.“ „Ja schön“, grummelte Beyond beleidigt. „Und währenddessen knutscht dein Göttergatte mit meinem L rum.“ „Hab etwas mehr Verständnis, er kann nichts dafür“, meinte Elion, der versuchen wollte, die Situation zu regeln und dafür zu sorgen, dass sich alle wieder vertrugen. Aber als Beyond immer noch stinkig war, bekam er von seiner Adoptivschwester Rumiko, die sich inzwischen wieder einigermaßen von der Grippe erholt hatte, eins auf den Deckel und eine kurze Zurechtweisung, dann wurde auch schon die Haustür geöffnet und Oliver begrüßte sie alle mit seiner typisch herzlichen Art. Er war übrigens nicht alleine, sondern hatte auch noch seinen besten Freund Ridley eingeladen, der zusammen mit seiner Verlobten gekommen war. Andrew hatte derweil die kleine Charity bei sich, die wie ein kleiner Sonnenschein strahlte und fröhlich lachte. Ihre Augen hatten dasselbe wunderschöne Grün wie Andrew, doch die schwarzen Haare hatte sie eindeutig von Oliver. Sie gab fröhliche Gluckslaute von sich und schon waren die Frauen in der Runde völlig hin und weg von dem Anblick der Kleinen. „Die Kleine ist ja wirklich ein Goldstück“, meinte Eva und streichelte das Köpfchen der Kleinen. „Und ihr scheint es auch so gesundheitlich sehr gut zu gehen.“ „Oh ja“, meinte Oliver und ihm war der Vaterstolz deutlich anzusehen. Er liebte Kinder und hatte sich ja so sehr ein eigenes Kind gewünscht. Zwar war Andrew selbst noch etwas unsicher gewesen, ob er wirklich ein guter Vater sein könnte, aber jetzt, wo er die kleine Charity auf dem Arm hielt, da waren die letzten Ängste und Zweifel gewichen. „Sie ist wirklich unsere kleine Prinzessin. Und ohne Rumikos Hilfsbereitschaft wäre das gar nicht möglich gewesen. Ich glaube, wir können dir gar nicht genug danken.“ „Ach was, ihr werdet gute Eltern, das habt ihr bewiesen und ich bin doch immer gern behilflich. Insbesondere bei Schwulenpaaren.“ Beim letzten Satz konnte sie sich ein breites Grinsen nicht verkneifen. Das war ja so was von typisch für Rumiko. Sie saßen zusammen und die Stimmung war gelockert, nachdem auch Beyond seine schlechte Laune abgelegt hatte. Aber dann schließlich hatte Levi ein paar Fragen, da er mit der Art von Familie noch nicht wirklich vertraut war. „Also damit ich es richtig verstehe… du bist nicht die Mutter?“ fragte er Andrew irritiert, den er wegen seines Handicaps fälschlicherweise für ein Mädchen hielt. Oliver prustete vor Lachen und erklärte „Andrew ist ein Mann, durch und durch!“ „Oh…“, meinte Levi nur und verstand nun so langsam. „Entschuldigt, das ist ein wenig irritierend für mich. Also dann verstehe ich es richtig: ihr seid beide die Väter der Kleinen. Und wer ist denn die Mutter?“ „Das bin ich“, erklärte Rumiko. „Ich habe mich als Leihmutter zur Verfügung gestellt, da ich sowieso noch Mutterschaftsurlaub hatte und den beiden helfen wollte. Es ist selbst heute noch unglaublich schwer für homosexuelle Paare, ein Kind zu adoptieren. Und ich dachte mir dann eben, dass ich vielleicht helfen könnte, indem ich die Leihmutter werde. So besteht dann wenigstens ein Verwandtschaftsverhältnis der beiden zu Charity.“ „Und was werdet ihr der Kleinen später erzählen, wenn sie nachfragt, wer ihre Mutter ist?“ Diese Frage war berechtigt und damit hatte Levi auch eine Frage angesprochen, die natürlich wichtig war und vor der man auch nicht weglaufen konnte. Und Oliver, Andrew und Rumiko hatten sich auch ernsthaft darüber besprochen, was sie Charity später erzählen wollten, wenn sie fragen sollte. „Wir haben beschlossen, ihr früh genug die Wahrheit zu sagen und ihr zu erklären, wie es sich mit der Familienkonstellation verhält“, erklärte Andrew ihnen. „Rumiko ist ihre biologische Mutter, das ist Fakt und als solche ist es auch völlig in Ordnung, wenn Charity den Kontakt zu ihr sucht. Vielleicht braucht sie sie auch eines Tages, wenn sie auf eine weibliche Bezugsperson angewiesen ist. Und wenn wir von Anfang an offen damit umgehen und ihr beibringen, dass unsere Art der Familie ganz normal ist und sie über alles aufklären, kann sie ganz anders damit umgehen, als wenn wir um den heißen Brei reden. Wenn wir nicht von Anfang an ehrlich zu ihr sind, wird sie uns das noch eines Tages berechtigterweise vorwerfen und es würde niemandem etwas bringen. Charity hat ein Recht darauf zu wissen, wer ihre Mutter ist und wie sie geboren wurde. Und wenn wir sie früh aufklären, können wir sie auch gleichzeitig tolerant erziehen.“ „Ihr werdet das schon schaffen“, meinte Beyond zu seinem besten Freund. „Ihr habt genug Schwierigkeiten gemeistert und Rumi hat euch ja auch wunderbar vorbereitet.“ „Und wenn Hilfebedarf besteht, sind wir ja auch da“, pflichtete Nastasja bei. „Als Familie halten wir alle zusammen und kriegen das schon hin.“ „Und wie soll euch die Kleine später ansprechen?“ hakte Levi weiter nach, den das schon recht zu interessieren schien. Wieder wechselte das Paar kurze Blicke und erklärte „Na einen wird sie eben Dad nennen und den anderen entweder Vater oder Papa. So einfach ist die Sache.“ Mit der Antwort gab sich der 622-jährige zufrieden, meinte aber noch „So etwas ist für mich persönlich noch recht neu. Damals gab es nur die eine Art von Familie und jetzt… jetzt gibt es die ungewöhnlichsten Familien.“ Damit hatte er ja auch nicht ganz Unrecht. Vor gut zehn bis zwanzig Jahren war so etwas kaum bis gar nicht möglich und nun war es heutzutage anscheinend fast schon normal, wenn man zwei Väter oder zwei Mütter hatte. Da war es für einen, der im Mittelalter aufgewachsen war, etwas schwierig zu verstehen. Doch Levi sah dies alles recht locker, zuckte nur mit den Achseln und meinte „Mir soll’s recht sein.“ Immerhin hatte er sich an die Lebensphilosophie der großen Alten gewöhnt, für die es völlig belanglos war, ob man denn nun Mann oder Frau liebte. Er hatte mit der Zeit auch ein paar ihrer Einstellungen angenommen und akzeptierte es einfach mit einem lässigen Schulterzucken, dass es auch etwas andere Familien gab. In der Heimat der Unvergänglichen war es ja nichts Ungewöhnliches und keiner achtete so wirklich darauf. Dann wandte er sich L zu und lächelte. „Wäre schon schön, wenn wir beide eigene Kinder haben würden. Findest du nicht auch?“ „Schon wieder der Falsche!“ meldete sich Frederica und schmunzelte, als Beyond wieder sauer wurde. „Versuch dir einfach zu merken: die Eva, die immer an der Seite des kleinen Mädchens ist, ist dann L.“ „Hört endlich auf damit, mich als kleines Mädchen zu bezeichnen“, knurrte der Serienmörder kleinlaut. Die Familie lachte über seine Reaktion und als die kleine Charity dann plötzlich zu schreien anfing, stand Oliver auf, entschuldigte sich kurz und verschwand in die Küche. Wenig später kam er mit dem Fläschchen zurück und meinte dann mit einem frechen Grinsen zu seinem Lebensgefährten „Dafür stehst du dann heute Nacht auf, wenn sie schreit.“ „Meinetwegen. Ich hab eh gerade Urlaub.“ Man konnte wirklich sehen, wie gut sich die beiden auf ihre Elternrolle vorbereitet hatten und wie gut sie mit der kleinen Charity umgehen konnten. Und Rumiko sah sehr zufrieden mit dem aus, was sie sah. Immerhin hatte sie sich unter der Bedingung zur Leihmutterschaft bereit erklärt, wenn das Paar sich gut auf seine Elternrolle vorbereitete und da sie selbst die Mutter zweier Kleinkinder war, traf es sich ja ganz gut. Nachdem Charity die Flasche bekommen hatte, wurde sie wieder still und gab nur hin und wieder fröhliche Gluckslaute von sich. Dann schließlich wandte sich Oliver an Ridley und fragte ihn mit einem breiten Grinsen „Und was ist mit dir, du alter Sesselschwitzer? Wie sieht es bei euch mit Familiennachwuchs aus?“ „Wir wollen uns da noch etwas Zeit nehmen. Immerhin sind Judy und ich gerade erst zwei Jahre verlobt.“ „Ein Grund mehr, mal langsam hinne zu machen.“ „Ist ja nicht jeder so wie du. Kaum, dass du mit ihm drei Monate zusammen warst, hast du ihm in Japan auch schon den Heiratsantrag gemacht.“ „Warum nicht?“ meinte der gebürtige Ire nur und legte einen Arm um seinen Lebensgefährten. „Bevor ihn mir noch ein anderer wegschnappt?“ „Wer sollte mich denn schon wegschnappen?“ fragte Andrew ihn etwas ungläubig, woraufhin der 27-jährige ihm einen Kuss gab und nur meinte „Du siehst eben verdammt scharf aus. Da muss ich halt aufpassen.“ Und das sorgte dafür, dass Andrew errötete und verlegen den Blick senkte. Auch wenn er durch Oliver viel an Lebensmut zurückgewinnen konnte, er war immer noch recht unsicher und schüchtern in manchen Dingen und daran würde sich wohl auch nie etwas ändern. Andrew gehörte eben zu den mental schwächeren Menschen und da brauchte er eben Oliver als Halt und Stütze. Und besonders wenn er solche Komplimente von seinem Lebensgefährten kam, konnte er schwer damit umgehen. Vor allem, weil er ohnehin Probleme mit seinem Selbstwertgefühl hatte. „Jetzt übertreib nicht gleich, Olli.“ „Was denn? Für mich bist und bleibst du der Traummann schlechthin.“ Und als dann auch noch ein Kuss folgte, wurde Andrew rot im Gesicht und konnte nun gar nichts mehr sagen. Doch sofort wurde dieser romantische Moment unterbrochen, als dann auch schon der Kommentar „Nehmt euch ein Zimmer, ihr beiden!“ von Sheol folgte. Zur Strafe kniff Nastasja ihm in die Wange und warf ihm einen warnenden und strengen Blick zu. „Wie war das, junger Mann?“ „Sorry!“ rief er sofort und daraufhin ließ die Russin ihn los. „Manchmal solltest du dir wirklich ein Beispiel an Ezra nehmen. Er weiß sich zu benehmen.“ „Ach was. Der kann auch die Klappe aufreißen. Stimmt’s oder hab ich Recht, Elion?“ Der Proxy lächelte verlegen und schwieg dazu. Wenn Ezra vulgär wurde, bekam er es meist als Erster zu spüren, aber er wollte ihn auch nicht ans Messer liefern. Dafür war er einfach viel zu ehrlich. „Du bist echt ein Arsch“, zischte Ezra griesgrämig und verpasste seinem Adoptivbruder einen Schlag auf den Oberarm. Wieder ging Nastasja dazwischen, um die Zankerei zu beenden. Andrew lachte über dieses Bild und meinte „Es ist sicher nicht einfach, sich um zwei pubertierende Jungs zu kümmern, oder?“ „Ach was“, meinte die Russin und schüttelte den Kopf. „Ich hab es geschafft, mich um einen sturköpfigen und bockigen kleinen Schreihals zu kümmern, dann schaffe ich die zwei hier alle Male.“ Das glaubte ihr jeder aufs Wort. Sie war eine taffe Frau, die sich nicht auf der Nase herumtanzen ließ. Und deshalb waren auch alle davon überzeugt, dass sie sogar einen Querulanten wie Sheol in den Griff kriegen konnte. Er war ja zum Glück der Einzige, der so extrem über die Stränge schlug. Ezra war eher derjenige, der still blieb und alles mit sich alleine ausmachen wollte. Und beides war nicht gerade ein einfaches Verhalten. Vor allem nicht für eine allein erziehende Mutter. Aber inzwischen versuchte auch Dathan sie zu unterstützen und auf Watari war ja auch Verlass. Schließlich aber wandte sich die Aufmerksamkeit Eva und Levi zu und ihnen brannte allen natürlich eine wichtige Frage unter den Fingernägeln. „Was ist denn eigentlich mit euch beiden? Wie wird es mit euch weiterlaufen?“ Das Paar tauschte kurze Blicke aus, dann ergriff Levi die Hand seiner Frau und erklärte „Wir fliegen übermorgen nach England und dann werde ich Minha die Uhr zurückgeben, damit ich euch alle auch vom Äußeren endlich unterscheiden kann. Dann passiert mir diese ständige Verwechslung auch hoffentlich nicht mehr.“ Oh ja. Die nahm Beyond ihm besonders übel. „Naja und danach werden wir nach Cambridge ziehen und im Heim leben. Ich habe schon mit Thomas alles geklärt und sie können immer Unterstützung gebrauchen. Zwar hat mir Malakh angeboten, der Hagana beizutreten, aber ich muss das ganze Kämpfen nicht mehr haben. Ich habe Eva gefunden, wir leben und wir sind glücklich. Und indem wir den Nephilim helfen, tun wir auch etwas Gutes.“ „Finde ich klasse, dass ihr das machen wollt“, sagte Oliver und nickte anerkennend. „Andy, Ridley und ich arbeiten ja auch ehrenamtlich mit schwer kranken Kindern zusammen und es macht echt Spaß. Vor allem, wenn man weiß, dass man anderen auf diese Weise helfen kann. Und wer weiß… vielleicht wird unsere kleine Prinzessin ja auch ein kleiner helfender Engel.“ Und als würde Charity verstehen, was Oliver da gesagt hatte, begann sie im ganzen Gesicht zu strahlen und zu lachen. „Letzten Endes ist doch alles gut gelaufen“, sagte Frederica und ein zufriedenes Lächeln spielte sich auf ihre blassen Lippen. „Wenn man überlegt, was alles passiert ist… Wir haben alle zusammengefunden und sogar Ain Soph und Elohim zurückgeholt und nicht nur unsere Welt gerettet, sondern auch die Heimat der Unvergänglichen. Und jetzt ist auch noch Evas Ehemann ein Teil unserer verrückten Familie geworden. Dann hat er auch noch eine drohende Revolte verhindert und eine gefährliche Splittergruppe konnte…“ Ein Klingeln an der Tür unterbrach sie und da Andrew die Kleine wieder auf dem Arm hatte, erhob sich Oliver und ging hin um nachzusehen, wer es war. Auf der Türschwelle stand eine Frau, die sich ungefähr in Nastasjas Alter bewegte. Ihr Haar war genauso schwarz wie ihre Kleidung und ihre goldgelben Augen hatten etwas so Eiskaltes an sich, dass selbst dem gebürtigen Iren ein Schauer über den Rücken lief. „Ja bitte? Kann ich Ihnen helfen?“ Wortlos zeigte sie ihm einen Umschlag, auf welchem in sehr eleganter Schrift „Nivkha“ geschrieben stand. „Ach so, Sie wollen zu Dathan. Ähm… und wie ist Ihr Name?“ „Anne.“ Selbst ihre Stimme klang eisig und da lief es selbst Oliver eiskalt über den Rücken. Er führte sie herein und brachte sie ins Wohnzimmer. „Äh Dathan, da ist jemand für dich.“ Dathan sah auf, konnte das Gesicht der Frau aber überhaupt nicht zuordnen und fragte „Kennen wir uns?“ „Das ist Anne Ludwig“, erklärte Levi und erhob sich, dann ging er direkt zu ihr hin. „Was gibt’s denn?“ Sie hielt ihm den Umschlag hin und Levi nahm ihn entgegen. Als er sah, dass der Brief für Dathan war, reichte er ihn diesen und bedankte sich bei Anne. Diese wandte sich wortlos ab und ging wieder. Eine Weile schwiegen sie, bis Sheol anmerkte „Verdammt ist die heiß…“, woraufhin er einen Seitenstoß von Ezra kassierte. „Lass bloß die Finger von der. Du bist immer noch mit Sariel zusammen!“ „Was denn? Man wird doch wohl mal gucken dürfen.“ „Das hat man gemerkt.“ „Hey, es kann ja nicht jeder auf Männerhintern stehen so wie du.“ „Sag das noch mal und du bist tot.“ „Jetzt streitet euch doch nicht schon wieder!“ rief Elion und hielt Ezra fest, der Sheol am Kragen packen wollte. Auch dieser bekam eine Ermahnung von Nastasja und dazu noch Hausarrest fürs Wochenende. Schließlich aber wandten sie sich Dathan zu, denn sie waren viel zu neugierig, was denn nun in dem Umschlag war. Dieser öffnete ihn und holte schließlich einen Brief heraus. „Und?“ fragte Beyond ungeduldig. „Was steht denn da drin?“ „Das ist ein Brief von meiner Mutter. Sie bitten mich zurück in die Heimat zu kommen, weil mein Großvater…“ Er sprach nicht weiter, sondern las sich den Brief weiter durch. Er las ihn wieder durch und dann noch mal und allein schon an seinen Augen war abzulesen, dass er mit seinen Gefühlen kämpfen musste. Und sie waren so stark, dass er nicht mehr weitersprechen konnte und ihm die Tränen kamen. „Dathan, was ist los?“ Nastasja legte einen Arm um ihn und versuchte ihn zu beruhigen, aber der Bibliothekar schaffte es einfach nicht. Er war so überwältigt von seinen Gefühlen, dass er die Tränen nicht zurückhalten konnte. Unsichere Blicke wurden in der Runde ausgetauscht und jeder rätselte für sich, was denn nun da drin stand, dass es ihn so aus der Fassung brachte. Da er etwas von „Großvater“ sagte, musste es mit Ajin Gamur zu tun haben. Dann aber schließlich wischte sich Dathan die Tränen weg und schaffte es mit Mühe, den Brief vorzulesen. Hallo mein Schatz, es tut uns sehr leid, dass wir nicht die Zeit gefunden haben, dich zu besuchen. Aber momentan ist viel zu tun und durch die jüngsten Ereignisse, werden wir vorerst in der Heimat bleiben müssen. Wir hoffen, dass es dir gut geht und du gut zurechtkommst. Dein Vater und ich sind sehr stolz auf dich und wir werden immer für dich und deine Familie da sein, wenn ihr uns braucht. Nun möchten wir dich aber einladen, uns mal in der Heimat besuchen zu kommen. Dein Großvater beehrt uns nämlich persönlich mit seinem Besuch und wir alle würden uns freuen, dich zu unserem Familientreff wiederzusehen. PS: deine Geschwister lassen ebenfalls schöne Grüße ausrichten und hoffen, dass du zu unserer großen Familienwiederzusammenführung nach Hause kommst. l’hitra’ót Deine Familie Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)