Die Ringbahn von abgemeldet ((Tala/Hilary)) ================================================================================ Kapitel 1: Die Ringbahn ----------------------- Er saß in der Yamanote Line. Eine Bahn, deren Strecke ein Kreis war. Die immer nur in eine Richtung fuhr, nie etwas Neues sah. Nie ausbrechen konnte aus ihrem alltäglichen Trott - immer innerhalb ihrer Grenzen blieb. Sie fuhr immer die gleichen 35 km in immer der gleichen Zeit von 60 Minuten und hielt immer an den gleichen 29 Stationen. Die Ringbahn. Als Tala in Moskau in den Flieger nach Tokyo gestiegen war, war er sich seiner Sache noch sicher gewesen - beim Aussteigen am Haneda-Airport sah das schon ganz anders aus. In der Monorail zur Yamanote Line war er schon kurz davor, wieder zurück nach Russland zu fliegen. Doch das hatte er sich gerade noch verkniffen. Das was er vorhatte, trieb ihn an seine Grenze. Emotional. Physisch mittlerweile auch. Immerhin war er jetzt bestimmt seit 48 Stunden wach. Er konnte nicht schlafen, als er in einem geistig umnachteten Moment die unglaublich blöde Idee gefasst hatte, nach Tokyo zu fliegen, um sie wieder zu sehen. Er konnte danach auch nicht schlafen. Nicht einmal im Flugzeug gelang ihm das - aber wenn er ehrlich war, war sein Adrenalinspiegel so hoch, dass Tala ohnehin nicht müde war. Mittlerweile hatte sich dieser Spiegel - und sein Puls wieder einigermaßen beruhigt und er konnte nun doch die körperliche Erschöpfung deutlich spüren. Er war totmüde. Seine Augen waren rot und gereizt, weil er sie dauernd rieb, um nicht einzuschlafen. Er konnte sie wirklich kaum noch offen halten und die Ringe unter seinen Augen wurden auch immer deutlicher - dunkler. Seine Glieder wurden mit jedem Schritt schwerer und schwerer. Am liebsten hätte er sich einfach auf den Boden am Flughafen gelegt und dort geschlafen, die Millionen Menschen, die an ihm vorbei gingen ignorierend. In der Yamanote Line konnte er Gott sei Dank einen Sitzplatz ergattern, immerhin fuhr er eine halbe Stunde. Tala war heilfroh darüber, nicht dicht an dicht mit den ganzen Menschen zu stehen, die sich in die Bahn quetschten, um zur Arbeit oder nach Hause zu fahren. Er konnte nicht einmal mehr richtig nachdenken, so müde war er. Jedes mal verfiel er in einen Sekundenschlaf. Sein Kopf nickte leicht nach unten und er schreckte wieder hoch. Ein deutlicheres Zeichen, dass er dringend Schlaf brauchte gab es kaum. Sehr Dringend. Doch da war noch immer der Gedanke an Hilary, der ihn wach hielt. Der Gedanke daran, wie sie nach der BEGA-Weltmeisterschaft neben seinem Bett saß und mit ihm redete. Nicht, dass er es bewusst wahrgenommen hatte - allerdings hatte ihn die Krankenschwester, nachdem er aufgewacht war gefragt, wer seine hübsche Freundin war, die ihn jeden Tag um die selbe Zeit besuchte und immer blieb, bis die Besuchszeit vorbei war. Normalerweise hatte Tala seine Gesichtszüge ganz gut unter Kontrolle, doch in Anbetracht der Tatsache, dass er vor ein paar Stunden aus dem Koma aufgewacht war, fehlte ihm diese Selbstbeherrschung. Er glotzte. Und zwar ziemlich blöd, wenn man dem Kichern der Krankenschwester glauben schenken sollte. Er antwortete, dass er nicht wüsste, wer ihn überhaup besuchen sollte - von Kai oder seinem Team vielleicht mal abgesehen (und nicht mal da war er sich sicher), aber wenn Tala sich recht erinnerte, war keiner davon ein Mädchen. Bryan schrie manchmal vielleicht wie eins - aber nein, er hatte wirklich überhaupt keine Ahnung, wer ihn besuchte. Er war ehrlichgesagt froh, dass er überhaupt noch wusste, wer er war. Wer die Unbekannte war, klärte sich, als Hilary zur gewohnten Zeit auftauchte - und nicht damit rechnete, dass er wach war... Tala seufzte, als er daran dachte und sah auf die Anzeige der Ringbahn. Die Buchstaben verschwammen und er musste sich stark konzentrieren und die Augen zusammenkneifen, um überhaupt zu erkennen, was der nächste Halt war. Er hatte nur noch drei Stationen. Noch drei... - sollte er wirklich nicht umkehren? Aber dann würde er sich mit seinen Gefühlen wieder im Kreis drehen: einerseits wollte er Hilary unbedingt wiedersehen - andererseits möchte er nicht, dass sein Leben sich irgendwie verändert. Genau wie die Ringbahn: sein Leben ging immer nur in gewohnten Bahnen - in die eine Richtung, es passierte nie etwas Neues, immer gab es nur den öden Alltag, bisher war er nie ausgebrochen. Bisher. Und jetzt saß er hier in der Yamanote Line auf dem Weg zu Hilary. Tala wusste weder was, noch wie er sein Verhalten erklären sollte - weder ihm selbst noch ihr. Er spürte, dass er seine Grenze eindeutig erreichte - wahrscheinlich hatte er sie sogar schon überschritten. Doch er durfte auf keinen Fall einschlafen. Nicht. Einschlafen. Tala! Er gähnte leise und dachte zurück an den Tag, als Hilary ihn das erste mal besuchte, als er wach war. "Oh, du bist wach", sagte sie überrascht, als sie bemerkte, das seine Augen offen waren und er sie ansah. "Ich... ich hatte nicht damit gerechnet, das du wach sein würdest. Ich wollte nur mal nach dir sehen und sichergehen, das es dir bald wieder besser geht", stammelte sie verlegen. Sie fühlte sich ertappt - so, als hätte sie etwas Schlimmes getan. Dabei wollte sie nur, dass es Tala besser ging. Eine nette Geste. "Es freut mich, dass es überhaupt jemanden kümmert, wie es mir geht", sagte er schließlich. Hilary, die sich schon wieder auf dem Sprung zur Tür hinaus befand, hielt inne und schloss nun doch hinter sich die Tür, bevor sie sich wie sonst auch neben Talas Bett setzte - nur das dieser heute wach war. "Nach dem Kampf gegen Garland waren wir alle sehr besorgt", meinte sie schließlich nach einer Weile des Schweigens. Tala lächelte leicht und schloss die Augen. Er war noch immer ziemlich müde und angeschlagen. Hilary erzählte ihm einiges, doch er schlief ein während sie redete. Tala wachte auf. Scheiße, er war doch eingeschlafen - und nun mit einem Schlag hellwach. Station verpasst. "Scheiße! Scheiße! Scheiße!", fluchte er leise und einige der umstehenden Leute sahen ihn skeptisch an. Im Kreis gefahren war er - ein, zwei, vielleicht sogar dreimal. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es seine dritte Runde war. Er fuhr wieder zum Anfang - oder zum Ende. Tala fuhr genauso im Kreis wie seine Gefühle - doch er konnte sich jetzt entscheiden, ob er aus den Grenzen, dem Alltag, ausbrach oder nicht. Anfang oder Ende - er hatte die Wahl. Und er hatte sich entschieden... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)