Are You Sane, Baby? von Blaubeere20 ================================================================================ Kapitel 9: Und es geht bergab | Ryou ------------------------------------ Die Fahrt bis zum Psychiater dauerte knapp eine Stunde. Ich langweilte mich immer, wenn ich dorthin musste. Bus, Ubahn, noch ein Bus und dann zu Fuß; zwar hatte ich ein Buch dabei, das ich las, doch ich kann mich in Verkehrsmitteln nur schwer aufs Lesen konzentrieren. Musik hören wollte ich nur ungern, da ich ein empfindliches Gehör hatte und es nicht mit übermäßig lautem Dröhnen schädigen wollte. Die Ubahnen und Busse waren alle pumpvoll, da sich um die Uhrzeit - sieben Uhr zwanzig - alle auf den Weg in die Schule machten. Etwas schadenfroh sah ich mich um, denn ich hätte nicht tauschen wollen. Die Leute starrten alle auf mein goldenes Schmuckstück, da es, zugegeben, etwas skurril aussah. Mir jedoch gefiel es außerordentlich gut und trug es auch gerne um den Hals. Vielleicht mochte ich es ja eben deswegen, weil es herausstach. Weil es einen starken Kontrast mit meiner Schüchternheit bildete, wer weiß. Die Fahrten kamen mir länger vor, als sonst, weil es sehr heiß und eng war, wegen der vielen Menschen. Ich fühlte mich sehr unwohl und ich verspürte bei der zweiten Busfahrt sogar ein Übelkeitsgefühl. Mit starkem Atmen versuchte ich, es zu unterdrücken, worauf einige Leute um mich herum mit komischen Blicken darauf reagierten. Als ich endlich ausstieg, streckte ich mich erst einmal und war froh, diese Fahrt überlebt zu haben. Erleichtert ging ich nun den restlichen Weg, als ich mir ausmalte, wie heiß es im Wartezimmer sein würde, da es dort keine Klimaanlage gab. Ein mulmiges Gefühl machte sich in mir breit. Wenn ich mich dort auch noch übergeben müsste, wäre der heutige Tag für mich gelaufen. Am Schalter zeigte ich wie gewohnt meine e-Card her und durfte Platz nehmen. Es waren 4 Leute hier, was für so eine Praxis viel Wartezeit bedeutete. Man konnte hier bei neuen Patienten schon mit 20 Minuten rechnen. Die Lebensgeschichte kurz erzählen, die aufbauenden Symptome schildern, Gefühls- und Gedankenverlauf widergeben und Weiteres. Innerlich seufzte ich; es gab nur einen schwachen Ventilator, der uns vor der massiven Hitze schützen sollte. Bevor ich drankomme, bin ich schon umgekippt. Ob das hier eigentlich normal war? Wenn ich mir die Personen hier so ansah, fragte ich mich immer, welche Probleme sie hatten. Ob es eine schwerwiegende, psychische Krankheit war oder einfach nur etwas Geringeres, wie Konzentrationsschwächen oder Stottern. Die Patienten im Raum fragten sich wahrscheinlich genau das Selbe. Ich wurde sogar mitleidig angesehen, da ich der Jüngste hier im Raum war, während hier nur Erwachsene ab 25 saßen. ‘Was hat denn der junge Mann dort? Der arme hat in dem Alter schon Probleme?’, genau so sahen sie mich an. Aber irgendwie freute es mich, dass ich wem Leid tat. Nicht, so wie Dad. “Bakura Ryou”, ertönte es dann aus den Lautsprechern. Schon völlig erschöpft wegen der Hizte, erhob ich mich langsam und betrat den kleinen Raum, der mit vielen Büchern über die Psyche ausgestattet war. Der Arzt schüttelte mir die Hand und danach nahmen wir auch schon Platz, als mir die erste Frage gestellt wurde; “Sind Sie mit den Anti-Depressiva zufrieden oder haben sich Nebenwirkungen gezeigt?”. Ich schwieg für eine Weile. Wie hätte ich das Theater von gestern Nacht beschreiben sollen? “Da war ein Mann auf meinem Bett. Er hat mit mir gesprochen”, erzählte ich und rückte mit dem Sessel etwas näher. “Ich habe seine Berührungen gespürt und ihn wie eine normale Person wahrgenommen. Ich denke, die Halluzinationen nehmen Überhand”. Der Arzt notierte sich alles auf. Anstatt mir eine Antwort darauf zu geben, weshalb ich plötzlich unbekannte Menschen wahrnehme, leitete er eine weitere Frage ein; “Ganz sicher, dass es nicht nur ein Traum war?”. Kräftig schüttelte ich den Kopf und schloss diese Theorie komplett aus. Ich wiederholte noch einmal, dass ich alles ganz genau wahrgenommen habe. “Sogar Aurora hat ihn gerochen…”, erinnerte ich mich, worauf mein Gegenüber selbstsicher etwas in den Computer eintippte und an die Frau am Schalter schickte, damit sie es ausdrucken konnte. Zögernd sah ich ihn an. “Es liegt nicht an den Medikamenten”, behauptete er mit starker Stimme und sagte mir, ich könnte schon gehen und mir das neue Rezept abholen. “Sie glauben mir nicht, oder?”, warf ich ein, bevor er sich verabschieden wollte. Ich fühlte mich sehr unwohl, als mir auffiel, dass ich mir selber nicht einmal glaubte. Was wollte ich dem Arzt eigentlich mitteilen? Dass sich die Halluzination echt angefühlt hat oder dass es real war und eine Halluzination somit ausgeschlossen war? Ich wusste selbst nicht, was ich sagen und glauben hätte sollen. “Du wirst dich besser fühlen”, sagte er Mann bestimmend und hielt mir die Hand hin, sodass wir uns verabschieden können. Ich jedoch starrte ihn nur an, weigerte mich, ihm Recht zu geben, obwohl ich es doch nicht besser wusste. Vielleicht stimmt es wirklich und ich bin durch die starke Depression einfach nur verrückt geworden. Ich sehe einen fremden Menschen, rede mit ihm, lasse mich von ihm berühren und vertraue ihm meine Geheimnisse an. Ich fühle mich bei ihm geborgen, glaube, seinen Namen zu kennen und gebe mich ihm voll und ganz hin. Das ist doch nicht normal. Vielleicht ist es wirklich besser, den Ärzten zu glauben, und loszulassen. Mein Wunschdenken hat mich schon zu weit an den Abgrund getrieben. Wo stehe ich nun? Schon zu knapp am Rand, an der Grenze der Norm. Ich muss weiter nach hinten, wieder an die sichere Seite. Muss mich fangen, muss meinen klaren Kopf wieder zurückgewinnen. Doch wann hatte ich das letzte Mal einen klaren Kopf? Spätestens heute Nacht werde ich meine Meinung wieder ändern. Heu’ Nacht werde ich wieder Opfer von Yamis anziehender Art, dem Ideal meiner Fantasiewelt. Ein starker, beschützender Mann, der sich um mich kümmert und mich nie gehen lassen wird. Genau das war es doch, was du immer wolltest, Ryou. Der Gedanke an Yami erregte mich, ich versank in meinen Gedanken. “Mach’ dir nicht so viele Gedanken darüber. Du wirst dich wirklich besser fühlen!”, versprach mir der Arzt und schüttelte mir zum Abschied die Hand. Ein fester Händedruck war zu spüren. Ich fragte mich, ob Yamis Händedruck genau so fest war. Hin- und hergerissen zwischen dem Glauben, durchzudrehen, und dem Wunsch, meinem Ebenbild für immer nahe zu sein, verließ ich den Raum. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)