Are You Sane, Baby? von Blaubeere20 ================================================================================ Kapitel 10: Halluzinationen und Katzen | Ryou --------------------------------------------- Ich ging zum Schalter und bekam mein Rezept, worauf ich mich verabschiedete und ging. Die Türe hinter mir geschlossen, sah ich auf das Zettelchen; Diagnose: Psychose. Was ist eine Psychose? Wahrscheinlich sollte es nur die Bezeichnung für einen Psycho sein - das “se” am Ende diente sicher zur Tarnung. Würdest du dich selber schon so bezeichnen, Ryou? Vielleicht, vielleicht. Beim Rausgehen war ich schon total verschwitzt und fühlte mich unwohl. Einzelne Haarsträhnen hingen mir lose im Gesicht, klebten schon nahezu an meiner Haut. Ein Wort schwirrte mir im Kopf herum: Wasser. Neben der Bushaltestelle war ein kleiner Imbiss, bei welchem ich mir ein Mineralwasser kaufte. Das erfrischende Nass bahnte sich meine Kehle runter - Erlösung. Ich wusste nicht, was mich mehr fertig machte; Die Hitze oder die Tatsache, dass meine Frisur nicht mehr saß. Ich betrachtete mich in einem Autospiegel, sah total fertig aus. Ich verzog das Gesicht, als der Bus ankam. Wenn es nur ein paar Stationen bis nach Hause gewesen wären, wäre ich wahrscheinlich gegangen, anstatt in dieser Menschenmasse drinnen zu stehen. Doch was hatte ich schon für eine Wahl. Als ich endlich aus dem zweiten Bus stieg, beschloss ich, ins Einkaufscenter zu gehen. Ich hatte Lust, mir ein Eis zu kaufen, und vorallem hatte ich Lust, mich von der Klimaanlage dort verzaubern zu lassen. Der ganze Schweiß an meinem Körper rief ein Gefühl von Ekel und Stress in mir hervor. Ich hasste es abgrundtief, nicht sauber zu sein. Die anderen Leute jedoch waren auch ganz durchnässt und völlig erschöpft von der Hitze. Aus dem Verkehrsmittel ausgestiegen, überlegte ich, ob ich nicht vielleicht zuerst zur Apotheke gehe und danach ein Eis essen. Die Neugier, die sich in mir entfesselte, wenn ich auf das Rezept sah, ließ mich nicht in Ruhe. Vielleicht wird mir das fremde Wort dort erklärt: Psychose… Ich strich mir die Haarsträhnen aus dem Gesicht und schlenderte zum kleinen, weißen Laden. Dort lächelte mich “meine” Apothekerin schon an. Ich übergab ihr das Rezept, worauf sie etwas schockiert reagierte. Sie war es gewöhnt, dass ich immer die selben Medikamente verschrieben bekam, aber auf eine neue Diagnose war sie nicht gefasst. Unsicher blickte sie zwischen dem Zettel und mir herum, bis sie mit langsamen Schritten die passenden Tabletten griff und auf die Theke legte. “Eine Stunde vor dem Schlafengehen einnehmen”, informierte mich die Frau mit stottender Stimme. Sie war besorgt. Als ich das erste Mal hier Anti-Depressiva bekam, fragte sie; “So starke Tabletten musst du in deinem Alter schon nehmen?” Ein Windspiel ist zu hören, als ich die Tür der Apotheke öffne. Zwei junge Frauen stehen hinter der Theke und bedienen freundlich und hilfsbereit die Menschen. Total unsicher und mit einem schweren Gefühl im Magenbereich stelle ich mich bei der linken Schlange an. Die Leute hier brauchten einfache Dinge, wie Schmerztabletten gegen Kopfschmerzen oder kühlende Salben für müde Füße. Ganz normale Dinge, die die Erwachsenen hier kauften. Und dann war da noch ich: Der kleine, 14-jährige Ryou, der Schlaftabletten und Anti-Depressiva auf seinem Rezept stehen hatte. Was würden die Personen hier von mir denken? Dass der kleine Junge etwas traurig ist? Ich komme mir so lächerlich vor. “Bitteschön”, kommt es von der Dame vor mir, ehe ich den kleinen, weißen Zettel vorlege und kein Sterbenswörtchen sage. Die Kehle ist mir wie zugeschnürt und ich nehme das Zittern meiner Knie wahr. Die Frau mustert mich, merkt, dass ich erst in jungen Jahren bin, fragt; “So starke Tabletten musst du in deinem Alter schon nehmen?”. Alle Blicke sind plötzlich auf mich gerichtet, Neugier bricht aus. Gleichzeitig nehmen einige Leute schon Abstand von mir, fragen sich, was falsch mit mir ist. Mir ist nach Heulen zumute. Die Apothekerin holt die beiden Päkchen, schreibt dazu, wie oft ich sie nehmen soll, packt sie in ein Sackerl und verrechnet mir den Preis. Wird das Zeug helfen? Wird es mich wieder glücklich machen? Wird mich jemals wieder etwas glücklich machen? “Wenn die Halluzinationen nachlassen, dem Arzt mitteilen”, riss mich die Dame aus den Gedanken. Ich brauchte eine Weile, bis ich verstand, was sie gerade gesagt hatte. Es traf mich, wie ein Blitz; Halluzinationen. Der Arzt verschrieb mir Tabletten gegen Halluzinationen! Wut überflutete meinen Körper. Ich werde schon wieder missverstanden. Ich werde schon wieder unterschätzt. Ich werde schon wieder für dumm gehalten. “Vergessen Sie es!”, fauchte ich stinksauer und verließ diesen Raum, der in Weiß getunkt war. Nein, nein - das konnte nicht sein. Ich rannte nach Hause, sperrte hastig die Türe auf, lief die Treppen hinauf und stolperte in mein Zimmer. Am Boden liegend, begann ich, leise zu weinen. Wieso glaubt mir keiner? Wieso kann mich niemand heilen? Warum? Warum kann man einen sensiblen Mann nicht akzeptieren und ihn genau so selbstverständlich, wie eine sensible Frau, akzeptieren und seelisch verarzten? Bin ich denn nicht besonders dadurch? Nein, bin ich nicht. Ich bin doch einfach nur schwul. Die Kälte des Bodens ließ mich frösteln. Ich bekam so auf dem Bauch liegend nur schwer Luft und lag sehr unbequem. Nichts desto Trotz wollte ich mich nicht wieder aufrappeln, ich wollte in diesem Moment einfach nur so liegen bleiben, in Selbstmitleid versinken und weinen. Ich erschrack, als ich etwas pelziges in meinem Gesicht spürte; Aurora. Sie begab sich in diese “Hennenposition”, in der man die Pfoten der Katze nicht mehr sieht. Etwas zwischen Liegen und Sitzen. “Hey, Kleine”, wimmerte ich und versuchte, sie anzulächeln. Sie miaute mich an und strich mit ihrer Wange gegen meine. Ein paar Haare von ihr blieben an meiner Wange. Vorsichtig setzte ich mich auf und putzte mich ab. Behutsam streichelte ich das Tier und kraulte es. Aurora schnurrte, was mir ein Lächeln ins Gesicht zauberte. Sie sprang auf meinen Schoß und schlief schnell ein. So auch ich. Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen die Wand und wurde wieder Opfer meiner unbesiegbaren Müdigkeit. Meine Augenlider wurden schwer, mein Atem verlangsamte sich und die Tränen trockneten. Es war alles ruhig, nur noch das Ticken der Uhr wahr zu hören. Mein Kätzchen war sicher bei mir und fühlte sich geborgen. Ich werde immer für dich da sein, so, wie du immer für mich da warst. In schlechten Zeiten bist du nie von meiner Seite gewichen, und dafür danke ich dir. Du bist die beste Freundin, die ich nie hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)