Are You Sane, Baby? von Blaubeere20 ================================================================================ Kapitel 23: Das Reich der Schatten | Ryou ----------------------------------------- Ich wollte keine Scheu zeigen. Ich wollte reuelos und tapfer dastehen, doch meine Lippen hörten nicht auf, zu beben. Meine Luftröhre hatte sich verengt und in meinem Kopf entstand ein unaushaltbarer Druck. Mein ganzer Organismus spinnte herum, war überfordert. Der kalte Schweiß bahnte sich von meiner Stirn bis zu meinen Wangen. “Drück doch endlich ab”, provozierte ich den Mann, der sein Vorhaben lange hinauszögerte. “Drück ab, aber vergiss nicht”, meine Stimme wurde lauter. “Dass du eine Schande für all die Väter dieser Welt bist. Du hast keine Angst davor, deinen eigenen Sohn zu ermorden, aber davor, was andere Leute von dir denken, weil dein Sohn homosexuell ist. Normale Väter drehen das um”, meine Augen waren geschlossen und in meinen Gedanken hallten auditive Erinnerungen der vergangenen Jahre, in denen ich mir all die Beleidigungen anhören musste. All die Unterstellungen und die Vorurteile. “Normale Söhne sind aber nicht homosexuell und depressiv”, behauptete er mit einem Hauch von Ekel in der Stimme. Die ganze Energie, die sich in meinem Körper wegen der Todesangst und dem Adrenalin bildete, verwandelte sich in einen irre lauten Schrei. Die Wände vibrierten für einen Moment und das Echo meiner Stimme bereitete selbst mir eine Gänsehaut. “Ich habe den Tod verdient”, stimmte ich ihm mit kraftvoller Stimme zu und ballte die Fäuste. “Denn tot bin ich glücklicher, als hier mit dir!”, mein Ton wurde brüllend. Ich hatte das nicht verdient. Ich war zu gut dafür, um mich von ihm rumschubsen zu lassen. Ich war zu gut dafür, um darüber nachzudenken, ob seine Vermutungen wirklich stimmten. Ich war zu gut dafür, um zu weinen, weil er mich nicht akzeptierte. Ich war zu gut dafür. “Dann bist nicht du das Problem”, war sich jemand sicher - Yami erschien hinter meinem Vater. Augenblicklich wurde die Waffe fallen gelassen, prallte hart am Boden auf. Zitternd drehte sich Dad langsam aber sicher um, bis er Yami ganz beäugen konnte. “D-du…”, stammelte der Verwirrte und blickte abwechselnd zwischen mir und Yami her, bis sein Blick endgültig bei mir hängen blieb. Yami riss den Mann zu sich, sodass sein Rücken gegen seine Brust gepresst war. “Weißt du, wo Leute wie du hinkommen?”, flüsterte er mit einem zynischen Lachen. Die Augen meines Vaters waren weit aufgerissen und nun war er derjenige, der vor Angst schwitzte. “Erinnerst du dich noch, was ich zu dir sagte, was passieren wird, wenn du Ryou noch einmal weh tust?”, dem Weißhaarigen stand die enorme Wut ins Gesicht geschrieben. Er warf sein ängstliches Opfer auf den Boden. Es regte sich nicht. Yami schritt zu mir und drückte mich an sich. Zart küsste er meine Stirn. “Das ist das Einzige, was Ryous Stirn berühren sollte”, machte er deutlich und drehte sich um, um den traumatisierten Mann zu treten. Noch einmal. Und noch einmal. Stärker. Er kniete sich nieder, hob die Waffe auf und hielt sie seinem Opfer an den Kopf. “Peng”, flüsterte er amüsiert. “Ist nicht so lustig, was?”, sein Finger war bereits zum Abdrücken bereit. Es kam kein einziger Laut von Dad. Yami stand wieder auf. Überfordert fiel ich auf die Knie und atmete stark aus. Überfordert aber gleichzeitig erleichtert, dass man mir Nichts mehr antun konnte. Fest griff ich mir in die Haare und versuchte, regelmäßig ein- und auszuatmen. Alles drehte sich - nur Yamis Stimme hatte Konsistenz. “Du dreckiger Bastard! Wie konntest du es auch nur wagen, meinen Ryou so zu bedrohen?!”, die Tritte wurden immer stärker. Meine Augen waren auf das Geschehen gerichtet, doch ich spürte keinerlei Mitleid oder Schmerz. Das ganze Leid, das in mir verkapselt war, schien mit jedem weiteren Tritt ein wenig mehr zu sterben. Mit jeder weiteren Bewegung, die Yami am mir schon gleichgültigen Mann ausgeübt wurde, fühlte ich mich ein Stück freier. “Bitte aufhören”, winselte er schwach und hatte kaum noch Kraft, zu sprechen. Aus seinen Mundecken sammelte sich Blut und war weinrot. Die Augen halb geschlossen und die Hände am Bauch. “Dann entschuldige dich gefälligst bei Ryou!”, forderte Yami auf und riss den Mann mit einer Handbewegung hinauf. Dad sah mir in die Augen und flehte um Vergebung und Versöhnung. Das war der erste Moment in meinem Leben, in dem ich der Stärkere war. Zum ersten Mal hatte ich die Wahl, wer von uns beiden abhängig von wem ist. Es fühlte sich fremd und doch erlösend an. “Es tut mir wirklich Leid!”, kam es verzweifelt von Dad. “Glauben wir ihm das, Ryou?”, wollte Yami mit einem Grinsen im Gesicht wissen. Ich schüttelte den Kopf und zeigte mit dem Finger auf meinen Vater; “Dir tut gar nichts Leid!”. Er erschrack. Er konnte sich schon ausmalen, was passieren würde. Die ganzen Jahre, in denen ich Leid und Pein mit mir tragen musste. Die ganzen Monate, in denen ich versuchte, wieder wie ein normaler Mensch zu funktionieren. Die ganzen Wochen, die mir vorkamen wie Jahrhunderte, da sich meine Welt nicht mehr drehte. Die ganzen Tage, an denen mir selbst das hellste Licht vorkam, wie Dunkelheit. Die ganzen Stunden, in denen ich vom Tod träumte. Die ganzen Minuten, die mich spüren ließen, was Druck bedeutet. Die ganzen Sekunden, die mir durch die Finger flossen. Das alles konnte ich nicht vergeben. Das alles konnte er nicht mehr ändern. “Dir soll nicht vergeben werden”, Yami war überzeugt. Er spürte meine Gefühle und hörte meine Gedanken. Er wusste ganz genau, was meine Entscheidung war. Er kannte mich. Er konnte und wollte nicht zulassen, dass es mir noch einmal so gehen wird, wie ich es bis jetzt erlebt hatte. “Die Türe der Dunkelheit hat sich geöffnet”, sprach Yami leise. “W-was?”, Dad kannte sich nicht mehr aus. “Eine Welt ohne Licht. Da gehörst du hin”, erklärte der Bleichhaarige und sah gerade aus. Nach diesen Worten passierte etwas, das ich nicht erklären kann. Ich hörte nur seltsame Geräusche, das Zufallen einer Türe und dann wieder Stille. Dad war weg. Hastig richtete ich mich auf und lief zu Yami. Fest drückte ich mich an ihn und ließ nicht los. Es war aber nun alles gut. Es war alles wieder gut. “Das Reich der Schatten kennt keine Gnade”. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)