Are You Sane, Baby? von Blaubeere20 ================================================================================ Prolog: Ich bin nicht verrückt ------------------------------ Mein Name ist Ryou Bakura und ich leide laut den Ärzten an einer Psychose. Der Begriff bedeutet, dass der Betroffene fest davon überzeugt ist, etwas oder jemanden zu sehen; man würde die Hand ins Feuer dafür legen und darauf schwören. Jedoch entsteht dieses Trugbild des Geschehens rein durch die Psyche und ist keinesfalls wirklich. Die Leidenden fühlen sich missverstanden, so auch ich. Da ist dieses Ebenbild von mir, das mich Nacht für Nacht besuchen kommt. Er nennt sich Yami Bakura und behauptet, dass uns das Schicksal zusammengeführt hat. Yami ist aber keine Illusion; er berührt mich, er spricht mit mir und die Spuren, die er hinterlässt, sind ebenfalls sichtbar. “Das sind die üblichen Symptome einer Psychose: Du bist fest davon überzeugt, dass das wirklich geschieht”, sagt der Arzt ständig. Es ist aber echt. Es ist real. Und es raubt mir den Verstand. Kapitel 1: Schlechten Morgen! | Ryou ------------------------------------ “Bitte warten Sie!”, rief ich in die Ferne, als der Bus schon weitergefahren war. Ich hatte heute wieder einmal verschlafen, wegen meinem üblichen Morgentief und der starken Lustlosigkeit. Und nun verpasste ich auch noch den späteren Bus… Sauer kickte ich ein paar Steine und Äste auf dem Grund weg, während meine Hände in meinen Hosentaschen Platz fanden. Mein Rucksack hing an meiner linken Schulter herunter und verstärkte das Gefühl, belastet zu sein. Belastet mit allem. Mit meinen Eltern, mit der Schule, mit meinem Leben. Alles schien auf mir gelagert zu sein, und mich runter zu drücken. So, dass ich fast ersticke - aber niemals sterbe. Die Sonne knallte stark vom Himmel herab und tauchte die ganze Ortschaft in eine helle, warme Stimmung. Manche waren mit ihren Hunden Gassi, andere spazierten fröhlich und bestens gelaunt in die Arbeit. Und dann war da noch ich: Ryou, der schon seit in der Früh miserabel gelaunt ist. Der Ryou, der immer müde, schwach und traurig ist. Der Ryou, der nie etwas sagt. Der nie jemanden beleidigen oder zur Last fallen könnte. Ich fühlte mich nutzlos, ungewollt und zum Leben gezwungen. Einige Minuten später kam der nächste Bus, doch es war schon Viertel vor Acht. Normalerweise erwische ich zwei Busse früher; Sieben Uhr Fünfundzwanzig. Dann bin ich um Fünfundvierzig in der Schule, und habe noch genug Zeit, um die Bücher und Hefte für das erste Fach herzurichten. Für ein paar Bissen von meiner Semmel bleiben auch noch. Doch heute wird es nicht so sein: Heute werden alle mit grinsendem Blick auf mich schauen und schadenfreudig anfangen, zu flüstern. Ja, ich war ein Außenseiter. Niemand mochte den schüchternen Ryou, der sich alles gefallen lässt. Alle lachen, wenn er von den Lehrern bloßgestellt wird. Ja, alle lachen. Im Bus sah ich aus dem Fenster und fing innerlich an, zu zittern. Die Hausaufgaben für Mathe hatte ich nicht gemacht und würde sicherlich deswegen Ärger kriegen. Dass ich meine Hausübungen nie mache, liegt nicht daran, dass ich dumm bin - nein. Eher daran, dass ich die meiste Zeit wie halbtot wirke. Ich liege den ganzen Tag nur in meinem Bett und frage mich, ob ich sterben könnte, wenn ich aus unserem Stockwerk springen würde. Vor lauter Unachtsamkeit vergaß ich, auszusteigen und war schon zwei Stationen weiter. Innerlich fluchte ich und rannte sofort zur Tür, als sich diese dann schloß und der Bus den Weg zur dritten Station begann. “Das auch noch”, flüsterte ich verärgert und wäre am liebsten durch einen Herzinfarkt vom Schulbesuch verhindert worden. Ich stieg aus und überquerte die Straße, um den Bus in die andere Richtung nehmen zu können. Als dieser kam, betrat ich ihn mit halb geschlossenen Augen - ich bin so müde… Zur Sicherheit blieb ich während der Fahrt direkt bei der Türe stehen, um sofort aussteigen zu können. Nach der dritten Station verließ ich das Verkehrsmittel und ging mit hastigen Schritten auf das Schulgebäude zu. Alle Schüler waren bereits im Unterricht, es war still. Meine Beine liefen schnell die Treppen hoch, bis ich im ersten Stock vor der geschlossenen Klassenzimmertüre stand. Ich klopfte vor lauter Hektik sehr hysterisch gegen die Türe, welche mir dann von der Lehrerin geöffnet wurde. “Es tut mir Leid, ich -”, begann ich zu reden, bevor ich unterbrochen wurde. “Setz’ dich einfach”, meinte die Mathematikprofessorin und machte einen sehr gereizten Eindruck. Natürlich tat sie das - wer sieht schon gerne, dass der “faulste” Schüler auch noch zu spät kommt. Gleich nachdem ich mich setzte, und meinen Rucksack neben mir abstellte, kam die dunkelhaarige Frau auf mich zu und fragte nach meinen Aufgaben. Das Geflüster der Schüler hatte bereits begonnen und gab mir - traurigerweise - die Bestätigung dafür, dass in der Klasse die übliche Stimmung herrschte. Als ich daherstammelte, diese nicht gemacht zu haben, forderte sie mich sofort auf, die Gleichung an der Tafel zu lösen. “Wenn du dich so gut in Mathe auskennst, dass du Hausaufgaben für nicht nötig hältst, wirst du diese Gleichung sicher in Null Komma Nichts lösen!”, der Sarkasmus in der Stimme der Professorin war deutlich herauszuhören. Miz zittrigen Beinen erhob ich mich und spürte die bohrenden Blicke meiner Mitschüler auf meinem Rücken. Sie alle erwarteten Nichts von mir. Und genau auf dieses “Nichts”, auf diese Ahnungs- und Planlosigkeit, warteten sie. Um darüber zu lachen. Als ich vor der Tafel stand, nahm ich mir eine Kreide und hielt diese erst einmal eine Minute in der rechten Hand. Meine Augen musterten die Zahlen, Buchstaben, Klammern und Skizzen. In mir machte sich Panik breit - ich hatte keinen blassen Schimmer, wie ich auch nur anfangen sollte, diese Aufgabe zu lösen. Ich biss mir auf die Unterlippe. “Setz’ dich…”, kam es immer noch gereizt von der Lehrerin. Ich tat die Kreide zurück und drehte mich um. Spottende Blicke wurden mir zugeworfen. “Schwuchtel”, kam es aus der linken Reihe. Mein Magen verkrampfte sich und ich hatte das Bedürfnis, los zu weinen. Ich war sensibel und hielt nicht viel aus. Und das machte einen sehr femininen Eindruck. Oder, wie meine Mitschüler so schön sagten: Einen schwulen Eindruck. “Hat das Würstchen nicht heute Geburtstag?”, warf jemand ein. Das war richtig. Es war mir jedoch schon so egal, da sich niemand darum scherte. Keine Party, keine Torte, keine Geschenke. Wie gesagt: Ich bin nutzlos. Wieder auf meinem Platz angekommen, den ich - falls noch nicht erwähnt - mit niemandem teilte, beruhigte sich mein Herzschlag allmählich wieder. Einatmen, ausatmen. Einfach einatmen, und wieder ausatmen. Die Stunde endete schnell, und das Schrillen der Pausenglocke war für viele eine Erlösung. Ich trottete zu meinem Spind, auf dem ein Zettel angepickt war. Mit schwarzem Edding stand “LOSER” drauf. Wie gewohnt riss ich das Blatt Papier herunter und warf es in den Müll. Ich öffnete den Spind und guckte auf den Stundenplan: Zwei Stunden Sport. Ich presste die Lippen zusammen und starrte auf den Plan. “Mach’ Platz, Heulsuse!”, kam es von links, bevor mich jemand wegstieß. “D-du hattest genug Platz, deine Spindtüre zu öffnen…”, behauptete ich, bekam aber keine Antwort zurück. Traurig griff ich mir meine Sportsachen und schloss wieder zu. Mit mulmigem Gefühl schlenderte ich den Weg zur Sporthalle, wo sich schon einige meiner Klassenkameraden versammelt hatten. Der Sportlehrer öffnete uns die Türe, worauf die Mädchen und die Jungs in die jeweiligen Kabinen verschwanden. Die Jungs in meiner Klasse waren alle muskulös gebaut, im Gegensatz zu mir und meinem schmächtigen Körperbau. Bevor ich mich umzog, deckte ich meine Handgelenke mit jeweils einem Tuch ab, das ich umwickelte. Narben waren auf meinen Armen vorzufinden. Erst danach schlüpfte ich in meine Sportsachen. So frisch, wie die rochen, würde ich mich gerne auch wieder einmal fühlen; Frisch und blühend. Kapitel 2: Viel zu viel | Ryou ------------------------------ Der bricht gleich zusammen”, lachte jemand, während wir Liegestützten am Boden machen mussten. “Das könnte gut sein”, lächelte ich schwach. Meine Arme zitterten und ich hatte das starke Bedürfnis, etwas zu trinken. Schweiß rann mir den Körper hinunter, durchnässte mein Shirt. Ich stand auf und ging auf die Garderobe zu. Dort drehte ich den Wasserhahn auf, von welchem ich die Flüssigkeit genießend trank. Ich wusch mir das Gesicht und sah in den Spiegel; So kaputt siehst du aus, Ryou. Meine weißen Haare waren ganz zerzaust und gleichzeitig nass vom Schwitzen. Tiefe Augenringe zierten mein Gesicht und meine Körperhaltung war schlaff. “Ich brauche eine Pause”, sprach ich gegen den Spiegel. “Vom Leben”, beendete ich meine Aussage und legte meine Hände auf die Scheibe. Vielleicht wäre alles anders, wenn ich jemanden hätte. Jemanden, der sich um mich kümmert und sich für meine Anliegen interessiert. Jemanden, der Nachts neben mir liegt und mir meine Paranoia nimmt, sobald es dunkel wird. Dazu noch die Albträume, die üblich bei mir sind. “Du bist psychisch so demoliert”, meine Hände glitten an der Scheibe runter. Ich knirschte mit den Zähnen und beschloss, noch einen Schluck zu trinken. “Hey, du Schlappschwanz! Die Doppelstunde ist noch nicht vorüber!”, machte mich der Lehrer aufmerksam und bat mich somit indirekt, wieder am Unterricht teilzunehmen und das Päuschen zu beenden. So ging ich wieder zurück in die Halle, in der wieder eine ganz andere Stimmung herrschte; es tat gut, die paar Minuten in einem stillen Raum zu sein, und etwas Zeit für mich selbst zu haben. Andererseits bin ich doch viel zu oft alleine… “Basketball-Aufwärmübungen, falls du es verschwitzt hast”, informierte mich ein Mitschüler und warf mir den Ball zu. Ich jedoch besaß sehr schlechte Reflexe, und der Ball knallte somit direkt gegen meinen Magen, worauf mich ein schrecklicher Brechreiz überkam. Schmerzerfüllt hielt ich mir den Bauch, alle schüttelten seufzend den Kopf. Erneut fand ich meinen Weg zur Garderobe - diesmal hieß ich die Toilette willkommen. Hart fiel ich auf die Knie, welche dadurch blaue Flecken bekamen. Sofort übergab ich mich und ließ den Kopf noch eine Weile so hängen. “Ich muss hier weg”, stellte ich fest und begann schnell, wieder in meine Alltagskleidung zu schlüpfen. Hastig griff ich nach meiner Schultasche und rannte aus dem Schulgebäude. Ich lief zur Bushaltestelle, setzte mich und spürte, wie mein Herz gegen meine Brust schlug. Wo sollte ich hin? Es scheint so, als würde ich nirgendwo hingehören. Als wäre ich überall nur störend und überflüssig. Der Bus, in den ich planlos einstieg, kam sehr rasch. Es waren fast keine Leute drinnen, weshalb ich schnell einen Sitzplatz fand. Tränen bildeten sich in meinen Augen, während dem Gedanken, nicht einmal zuhause willkommen zu sein. Nach ein paar Stationen stieg ich aus und beschloss, etwas durch die Innenstadt zu schlendern. Meine Augen blieben bei einem Geschäft hängen, das goldenen Schmuck in der Auslage präsentierte. Es funkelte mir entgegen und lud mich ein, es besser zu durchforschen. Wie hypnotisiert betrat ich den Laden und steuerte direkt auf das Einzelstück zu. Es war ein goldener Ring, der in der Mitte eine Art Pyramide hatte, in welcher ein Auge dargestellt war. Es hingen längliche Dreiecke runter. Das einzigartige Design faszinierte mich, was der Verkäufer schnell bemerkt hatte. “Das einzige Exemplar, das wir haben”, informierte mich der große Mann und lächelte. “Wie viel?”, wollte ich mit lauter Stimme wissen, die mich selber erschreckte. Der Preis, der mir genannt wurde, war nicht überheblich hoch und für mich leistbar. “Ich nehm’s!”, versicherte ich und zahlte an der Kassa. Habe ich mir gerade ernsthaft eine Belohnung gegönnt, dafür, dass ich von der Schule abgehauen bin? Kurz hielt ich inne. Nein; ich habe mir eine Belohnung gegönnt, weil ich durchgehalten habe. Die letzten 3 Jahre habe ich überstanden und stehe heute hier. Dafür habe ich mich belohnt. Glücklich hing ich mir den Ring - wie ich ihn ab jetzt nennen werde - um. “Er steht Ihnen”, der Verkäufer musterte mich. “Danke!”, sprach ich höflich und verabschiedete mich. Der Tag war noch lang. Doch was bringt ein sonniger, schöner Tag, wenn man ihn mit niemandem teilen kann? Eine unermessliche Wut staute sich in mir. Bin ich wirklich so schrecklich, wie alle sagen? Hält man mich tatsächlich nicht aus, aufgrund meiner Sensibilität und der Art, wie ich mit Menschen umgehe? Ist es nicht normal, einen eigenen Charakter zu haben? Ich ließ einen lauten Schrei aus, alle Leute wandten den Blick zu mir. Unkontrolliert lief ich. Ich lief weit, weit weg - Richtung zuhause. Meine Arme schmerzten noch von den Liegestützten und meine Augen brannten vom Wind, der mir durchs Rennen entgegenkam. Nach einigen Metern wurde mir schwindelig und schwarz vor Augen, ich hatte mich wohl im Sportunterricht überanstrengt. Einen Mangel an Wasser hatte ich ebenfalls. Ich stützte meine Hände an den Knien ab und schnaufte. Die komplette Umgebung war nur noch halb vorhanden für meine Augen. Ich zuckte, als mein Handy vibrierte. Noch atmend hob ich ab; “Hallo?”. Eine verärgerte Stimme sprach mir entgegen; “Ryou! Wenn du nicht sofort nach Hause kommst, gibt es noch mehr Ärger, als es sowieso schon geben wird! Dein Lehrer hat angerufen!” - Dad. Ich versprach, mich zu beeilen. Zuhause angekommen, sperrte ich die Türe so langsam, wie es nur möglich war, auf. “Er ist da”, merkte mein Vater angesäuert und blickte mich entzürnt an. Ich zog mir still die Schuhe aus und setzte mich an den Tisch, wo auch schon meine Mutter saß. “Der Junge lernt nicht, der Junge redet nicht und der Junge fickt nicht!”, Papa schlug seine Hand gegen den Tisch und ihm entfleuchte ein verärgerter Laut. “Katsuro!”, mahnte Mum und schenkte ihrem Mann einen schockierten Blick. “Hat er schon mal ein Mädchen nach Hause gebracht? Nein. Und was soll dieses schwule Goldstück um deinen Hals?!”, er war total gereizt. Er klatschte sich die Hand gegen das Gesicht und wusste nicht weiter. Er wusste nicht, was mit so einer Schande von einem Sohn machen sollte. Noch weniger wusste ich, was ich mit mir machen hätte sollen. Eine Zeit redete Vater noch von meiner angeblichen Faulheit. “Er ist depressiv”, erinnerte ihn Mum und versuchte, mich zu verteidigen. “So eine Lusche habe ich auf jeden Fall nicht erzogen!”, mit diesen Worten verließ er das Wohnzimmer. Nicht einmal zu meinem siebzehnten Geburtstag zeigte er Verständnis für mich. Ich fing an, zu weinen und spürte, wie die heißen Tränen meine Wangen runterkullerten. Kapitel 3: Tabletten schlucken und Ängste spucken | Ryou -------------------------------------------------------- Ist in der Schule etwas vorgefallen?”, im Wohnzimmer war es still. “Ich bin dort nicht willkommen”, erklärte ich und fühlte mich genau so, wie Dad es beschrieben hatte; verweichlicht und schwach. Wie eine Lusche. Mum nickte leicht und blickte über meine Schulter, in die Ferne. Sie wusste, dass es mir die meiste Zeit nicht gut ging und wie ich jeden Tag kämpfen muss, um auch nur aufzustehen. Während Mama die war, die mich verstand, entwickelte sich Dad mit den Jahren zu ihrem Gegenteil. Als er merkte, dass ich nicht so taff, wie die anderen Jungs war, begann er, mich zu kritisieren. Während die Burschen in meiner Klasse schon feste Freundinnen oder zumindest One Night Stands hatten, beschäftigte ich mich lieber mit Modemagazinen und Kunst. Die Bezeichnung “Schwuchtel” war vielleicht nicht ganz so verfehlt; ich könnte mir nicht vorstellen, ein Mädchen zu beschützen und auf sie aufzupassen. Stattdessen würde ich mir jemanden an meiner Seite wünschen, der auf mich Acht gibt. Ich bin schreckhaft, zerbrechlich und liebesbedürftig. Und welche Figur würde besser zu mir passen, als ein großer, starker Mann, der mich im Arm hält? “Wann ist dein nächster Termin beim Arzt? Hast du noch Anti-Depressiva?”, fragte Mum, die sich seit meinem aller ersten Arztbesuch Sorgen um mich machte. “Ich gehe heute welche holen”, gab ich von mir und presste die Lippen zusammen. Theoretisch müssten diese Tabletten wirken, da sie den Serotoninspiegel erhöhen, sprich: die Glückshormone. Bei Depressionen wird die Gehirnregion, die für diese Hormone verantwortlich ist, blockiert. Anti-Depressiva lösen diese Blockade. Jedoch gibt es da ein Problem; die Medikamente lindern meine Symptome, aber nicht den Grund für meine Symptome. Welches da wäre: Einsamkeit und Missverständnis. Mum und ich redeten oft darüber, ob ich die Schule wechseln wollen würde. Ich aber bezweifelte, dass das viel helfen würde. Wer weiß, ob meine Art in einem anderen Schulgebäude akzeptiert werden würde? Natürlich bestünde die Möglichkeit. Aber die Schule, in der ich war, hatte einen sehr guten Ruf und es wurde sehr anerkannt, wenn man diese abgeschlossen hatte. Nur noch ein Jahr, dann wäre ich draußen. Dann hätte ich endlich etwas, worauf ich stolz wäre. “Rezept hast du?”, riss es mich aus meinen Gedanken. “Ja, hab’ ich”, versicherte ich und beschloss, mich auf den Weg zu machen. “Ach, ja: Schöner Goldring”, fiel ihr auf. Ich lächelte sie warm an und drückte sie noch, bevor ich erneut für diesen Tag aus dem Haus ging. Die Apotheke war nur 5 Minuten von mir entfernt, was ein umständiges hin- und herfahren vermied. Es war inzwischen 12 Uhr und die Wärme erreichte ihren Höhepunkt. Es war ein schöner Junitag, den viele Menschen fürs Schwimmen nutzten. Familien waren mit Sporttaschen bepackt und trotteten glücklich die Straßen entlang oder warteten bei Haltestellen. Wann war ich das letzte Mal schwimmen? Ich konnte mich nicht mehr erinnern. Es ist sicherlich schon 4 Jahre her, denn die Bänder an meinen Handgelenken würden viel zu komisch ausschauen. Und noch verrückter würde es aussehen, wenn ich sie nicht tragen würde. Stellt euch doch mal vor, ihr seht eine Person mit frischen Narben an den Armen im Schwimmbad… Ich hatte die Apotheke erreicht und zog die Türe, zum Öffnen. Ein Schmerz durchzuckte meine Armmuskeln, als ich dies tat. Scheint so, als hätte sich ein Muskelkater in mir breit gemacht. Es roch nach dem typischen Apothekengeruch, als ich den kleinen Laden betrat. Der Geruch gab mir eine Art Heimatgefühl und zugleich machte er mich traurig. Es war mittlerweile schon Routine, meine Medikamente zu holen. Es waren ein paar Leute hier, die sich Dinge, wie Nasensprays kauften, wegen der Pollenallergie. Wenn man hier so als Nichtallergiker stand, fühlte man sich schon fast topgesund. Doch das war ich nicht… Als ich mein Rezept der Dame vorzeigte, die mich schon kannte, zog sie eine Augenbraue hoch; “Keine Schlaftabletten?”. Ich schüttelte den Kopf und lächelte leicht; “Ich versuche, sie abzusetzen”. Wir beide wussten, dass so etwas erst möglich war, wenn man wieder psychisch gesund war. “Ganz sicher? Ich würde sie dir dazugeben”, die Frau hielt mir die Packung hin. “Ganz sicher”, bestätige ich und zahlte nur die erste Packung. Dankend verabschiedete ich mich und machte mich auf den Weg zurück. Als ich die Türe öffnete, flog mir Konfetti und Glitzer entgegen; “Happy Birthday, mein Großer!” - Mum. Sie hatte einen Partyhut auf und man sah eine Torte am Tisch stehen. Ich schnitt mir ein Stück ab und wollte hoch in mein Zimmer, als Dad plötzlich vor mir stand. “Wieso zittern deine Arme?”, wollte er wissen. Ich ignorierte ihn und ging an ihm vorbei. Wenn er wüsste, dass es vom Sportunterricht wäre, würde er nur wieder auf mir herumreiten. So ging ich die Treppen hoch und betrat mein Zimmer, in dem meine Katze Aurora war. Sie lag gemütlich auf meinem Bett und schnurrte vor sich hin. Als sie mich wahrnahm, sprang sie auf den Boden und lehnte sich liebesbedürftig an mich. “Hey, Kleine!”, begrüßte ich sie und setzte mich aufs Bett. Wie in Zeitlupe aß ich das Stückchen Torte; der ganze Appetit war mir vergangen. Den Teller, der irgendwann leer geworden war, stellte ich auf mein Nachtkästchen. Aurora miaute mehrmals, was mir den Verdacht gab, dass sie Hunger hatte. “Ich kann nicht aufstehen”, brummte ich und zog mir die Decke über den Kopf.Ich kann nicht aus dem Bett. Meine Augen schlossen sich, und mich überkam wieder diese unglaublich starke Müdigkeit, die ich nicht kontrollieren konnte. Nein, Ryou - wenn du jetzt einschläfst, bleibst du die ganze Nacht wach. Und dann schleichen sich die ganzen schlimmen Gedanken ganz nah an dich heran. Die Dunkelheit wird dich komplett auffressen. Unter dem Gefühl, zu ersticken, überstehst du die finsteren Stunden dann irgendwie, bevor dann ein paar Minuten später der Wecker klingelt - Schule. Ich richtete mich auf und sah aus dem Fenster; Stirbt man, wenn man aus dieser Höhe springt? Oder bricht man sich da nur ein Bein? Mein Grübeln hielt mich mehrere Stunden wach und hinderte mich daran, einzuschlafen. Ich weiß nicht, ob das nun besser war, als gedankenlos ins Land der Träume geschickt zu werden. Um 19 Uhr setzte ich mich für zwei Stunden an den Computer und sah nach, wann und wo die nächste Kunstausstellung war. Um 21 Uhr machte ich mich bettfertig und startete den ersten Versuch seit vier Jahren, ohne Tabletten einzuschlafen. Kapitel 4: Erste Begegnung | Yami --------------------------------- Es war bereits dunkel und ich spürte, dass Ryou langsam begann, Panik zu kriegen. Sein Nahtlicht war zwar an, aber er hatte trotzdem Angst. Ich befreite mich aus dem Milleniumring, sah zuerst wie ein Hologramm oder ein Geist aus, bevor ich letztendlich in Menschengestalt vor dem Kleinen stand. Er war auf die andere Seite gewälzt. “Ryou”, flüsterte ich. Der Junge drehte sich um und wurde bleich, wie sein Haar. Sein Atem ging nur stoßweise und die braunen Augen waren weit aufgerissen. “Ich wusste nicht, dass ich so gestört bin!”, ertönte es hysterisch von ihm. Er blinzelte stark, um sicherzugehen, dass ich keine optische Täuschung war. Ein Grinsen schmiegte sich an meine Lippen. “Keine Angst”, ich setzte mich auf sein Bett und sah ihn amüsiert an. Der 17-jährige schmiss ein Kissen nach mir und wurde noch panischer, als er merkte, dass das Kissen gegen mich prallte und mein Körper somit nicht nur Rauch oder Ähnliches war. Langsam gingen ihm die Ideen aus, um sich selber zu beweisen, dass ich keineswegs echt war. “Ich werde wahnsinnig!”, stellte er fest und war total zerstreut. “Yami Bakura. Die Freude ist ganz meinerseits”, ich streckte ihm meine Hand aus, die er nicht einmal im Traum angefasst hätte. Stattdessen schenkte mir der Kleine nur einen Blick, gemischt aus den Gefühlen Angst, Misstrauen und Wut. Ja, er war sauer, gab sich selber die Schuld daran, so durchzudrehen. Er gab sich für alles die Schuld; so, wie es ihm sein Dad beigebracht hatte. Undankbarer Narr. Er befahl mir, zu verschwinden. “Das möchtest du nicht. Du fühlst dich einsam”, machte ich ihm klar und strich durch sein Haar. Ryou war wie paralysiert, in einer Schockstarre. Ich habe alles mitbekommen; Seine Ängste, seine Wünsche und seine Worte. Alles habe ich aufgenommen. Ich hatte den Schlüssel zu seinem Verstand. Im Milleniumsring, den er sich gekauft hatte, war ich zuhause. Dort hauste ich und bekam jede einzelne Kleinigkeit mit, die in ihm und mit ihm passierte. Die Gespräche, die er führte und die Emotionen, die sich in ihm stauten. Wie ich genau dazu kam, in diesem Schmuckstück gefangen zu bleiben, weiß ich nicht. Meine Vergangenheit ist in meinem Kopf vollständig ausgelöscht. Das Einzige, das ich zu wissen glaube, ist, dass das Schicksal zu mir sprach, befreit zu werden, sobald der Auserwählte die Prophezeiung erfüllt. Nun schien es so weit zu sein. Ich bekam die Aufgabe zugeteilt, den Auserwählten zu beschützen und ihn in eine heile Welt zu bringen. Behutsam glitten meine Finger durch sein prächtiges Haar. “Jetzt verstehe ich!”, der Junge klang erleichtert. “Da ich mir so sehr Nähe wünschte, projeziert mein Gehirn nun dieses Wunschdenken in bizarre Halluzinationen um!”, seine Stimme hörte sich nun stärker und sicherer an, als vorher. Ach, du ahnungsloser, armer Ryou. Wir werden dich schon gesund pflegen. “Ich bin hier, um dir deine Ängste zu nehmen”, informierte ich ihn und legte meine Hände auf seine heißen Wangen. Folgendes schoss ihm dabei durch den Kopf; Das fühlt sich viel zu real an, dafür, dass das nur eine Fälschung ist. Leise lachte ich auf und merkte, dass er komplett verwirrt war. Er wusste nicht, was er nun glauben sollte. Vertieft in Angst und Hysterie. “Anstatt sie mir zu nehmen, flöst du sie mir ein!”, er zog sich die Decke bis zur Nase und presste seinen Rücken gegen die Wand, an die das Bett gestellt war. Wie ein Tier, das gerade von einem größeren, gefährlicheren bedroht wird, versuchte er, einen Fluchtweg zu finden. “Ich werde dir nichts Böses tun. Lass’ dich stattdessen von mir halten. So, wie du dir es wünschst”, kam es ruhig von mir. Ryou schüttelte den Kopf kräftig, atmete viel mehr Luft ein, als aus. Ein letztes Stück kam ich ihm noch näher, bis wir uns direkt in die Augen sahen. Seine hatten genau die selbe Farbe, wie meine; strahlten aber mehr Unschuld und Reinheit aus. Ryou war ein ehrlicher Junge. Jemand, der niemandem Schaden zufügen könnte. “All die Eigenschaften, die dir vorgehalten werden, sind die, die ich an dir liebe”, ertönte es sanft aus meinem Mund. Ryou wurde plötzlich ganz still und durchdachte das, was ich eben zu ihm gesagt hatte. “Du hast richtig gehört. Die Art, für die du täglich verspottet wirst, ist für mich das Puzzleteil, das mich komplett macht”, mein Herz fing ebenfalls an, schneller zu schlagen. Dieser Junge vor mir war so schön und zerbrechlich. Beschützungsbedürftig. “Wenigstens einer, der mir sagt, dass ich nicht so schrecklich bin, wie alle sagen”, fiel ihm auf. “Zwar ist es nur eine fiktive Person, die mir das sagt, aber Hauptsache jemand”, er ließ die Decke fallen und seufzte. Sein Blick war zuerst nach unten gerichtet, bevor er direkten Augenkontakt mit mir aufnahm. Ich rutschte neben ihn und legte meine Arme um ihn. Er fühlte dadurch eine Art Geborgenheit und errötete im Gesicht. Behutsam streichelte ich ihm wieder durchs Haar. Ryou wehrte sich nicht. Stattdessen klammerte sich der 17-jährige an mich und schmiegte seinen Kopf an meine Brust. “Ich weiß, dass du in der Nacht nie schlafen kannst. Ich bin für dich da”, versicherte ich ihm. Ryou schrack leicht auf; “Woher weißt du das alles über mich?... Ah, natürlich - du bist Fantasie. Erwünschte Fantasie - du weißt das alles, weil ich mich selber kenne. Schon klar”, seine Gedanken spielten verrückt und seine Körpertemperatur erhöhte sich. Erschöpft vom folternden Tag löste sich jegliche Körperspannung in ihm, und er sackte leicht ein. Er war zwar erschöpft, aber nicht müde. Leider. Er lauschte meinem Herzschlag. Seine Augen waren geschlossen, sein Atem war wieder regelmäßig - er hatte sich beruhigt. Meine linke Hand war auf seiner Schulter und mit der rechten streichelte ich seine Wange. Sein schmächtiger Körper war die perfekte Ergänzung für meine starken Arme. Ich werde dich beschützen, wie meinen eigenen Augapfel. “Willst du nicht doch wieder Schlaftabletten nehmen?”, fragte ich und beobachtete seine schönen Gesichtszüge. “Ich werde mit Tabletten vollgestopft…”, erzählte er mir leise. Ein verärgertes Geräusch entkam aus seinem Mund - er fühlte sich missverstanden. Von seinen Mitschülern, von seinen Lehrern und von seinem Vater. Also einfach gesagt: Von jedem, von dem er umgeben war. Ryou löste sich aus dem Griff meiner Arme und sah mich an; “Wenn du mit mir reden und mich halten kannst”, fing er an, “kannst du mich dann auch lieben?” Kapitel 5: Scheinende Erlösung | Ryou ------------------------------------- Blut durchpumpte meinen ganzen Körper. Vielleicht verursachten meine Anti-Depressiva Halluzinationen… Oh, ja - das steht ja auch in der Liste der Nebenwirkungen, in der Packungsbeilage. Ja, ich lese die Packungsbeilage. Ich lag in den Armen eines eingebildeten Mannes. So schwer es auch war, diesen Gedanken zu akzeptieren; es fühlte sich gut an. Es fühlte sich so verdammt gut an, in seinen Armen willkommen zu sein. “Ich kann und werde dich lieben”, versicherte Yami mir und lächelte leicht. Ein Stich durchzuckte meinen Brustkorb - hatte er das gerade wirklich gesagt? Wann hat mir das jemals jemand gesagt? Ich erinnerte mich zurück: Ich hatte niemals eine richtige Freundin. War nicht maskulin genug, um das perfekte Bild eines Mannes zu liefern und somit kam ich für kein Mädchen als Freund in Frage. In Gedanken seufzte ich. Nie war ich gut genug, kam nie auch nur in Frage, mit einem Mädchen auszugehen. Ich fühlte mich wieder von niemandem gebraucht. “Das bedeutet, deinen ersten Kuss hattest du auch noch nie”, erkannte Yami und schloss mich wieder in seine Arme. Er las einfach so meine Gedanken… Am liebsten hätte ich vor Verzweiflung geschrien, aber das hätten meine Eltern mitbekommen - und dann hätten sie mich gefragt, wovor ich mich nun fürchte, da ich ja alleine im Raum bin. Ich sah Yami ganz tief in die Augen und stellte fest, dass sie wirklich genau die selbe Farbe wie meine hatten. Aber nicht nur die Augen; alles stimmte mit meiner Erscheinung überein. Es raubte mir den Atem. Wie konnte etwas Ausgedachtes einfach so real sein? Ich strich über seine Brust, presste mit meiner Hand etwas fester dagegen. Hörbar schluckte ich. Genau konnte ich nicht sagen, ob ich nun fasziniert oder verzweifelt war. Möglicherweise einfach beides zur selben Zeit. “Bist du wirklich real und nimmst mir meinen Schmerz?”, meine Worte waren kaum wahrnehmbar. Wenn er wirklich dafür zu mir geschickt wurde, würde das der Anfang einer seelischen Besserung bedeuten. Meine Mum hat schon oft versucht, mir zu helfen. Sie zahlte eine teure Psychotherapie für mich, die aber nirgendwo hinführte. Normalerweise ist man bei einer Therapie, um herauszufinden, weshalb man so und so agiert. Wenn man beispielsweise Aggressionen hat, ist es Blödsinn, sich Medikamente reinzustopfen, die die Aggressionen lindern - denn wenn man den Grund für diese herausfindet, kommt es erst gar nicht mehr zu Aggressionen. Und das genau ist der Punkt: Ich weiß, dass ich wegen meiner Einsamkeit depressiv bin. Niemand wollte mich jemals haben und so blieb ich immer einsam und allein. Da meine Therapeutin mein Beziehungsleben nicht beeinflussen konnte, hatte das alles keinen Sinn. Sie konnte mir nicht einfach eine Freundin verschaffen. So kam es, dass ich lediglich mit Tabletten vollgestopft wurde. Es machte mich so traurig… “Dann liebe mich!”, sprach ich mit Tränen in den Augen und klopfte mit meinen Fäusten gegen Yamis Brust. Dieser steckte den kleinen Schock und den Schmerz weg, den ich nicht beabsichtigt verursacht hatte. Der Größere wischte mir die Tränen weg und drückte meinen Kopf erstmal an seinen Körper. “Es wird alles gut”, beruhigte er mich und musste mitanhören, wie ich schluchzte und weinte. War das denn eigentlich schrecklich und bemitleidenswert, oder war es ihm, wie allen anderen, herzlich egal? Vielleicht war ich ihm auch egal, wie allen anderen. Plötzlich baute sich eine gewaltige Distanz auf und das minimale Vertrauen, das sich in mir entwickelt hatte, zerfiel. Ich darf ihm nicht vertrauen. Ich darf niemandem vertrauen. Das habe ich schon oft genug bewiesen bekommen… Nun weinte ich noch stärker, fühlte mich hilflos. Neben mir jemand, der behauptet, er würde mir helfen wollen - doch den will ich nicht. Theoretisch sitze ich hier alleine. Schon wieder alleine und traurig. Ich verlor mich in einem Kampf gegen die Tränen. Es war so schrecklich frustrierend. Das war wie wenn man gerade verhungert, und neben einem steht ein Teller voller Essen, das man jedoch nicht essen konnte. Somit hungerte man weiter, obwohl direkt daneben die scheinende Erlösung war… In solchen Tränenausbrüchen hätte ich immer gern jemanden gehabt, der mich umarmte. Jetzt hatte ich jemanden dafür, wollte aber nicht mehr in seine Arme. Ich vertraue dir nicht, du bist fremd. Du bist fremd und könntest mir weh tun, mir Schmerzen zufügen… “Du hast mich gebeten, dich zu lieben”, erinnerte er mich und sah mich besorgt an. “Niemand wird mich lieben!”, mein Tonfall war laut. Mein Schluchzen zerbrach die Stille im Zimmer, und Yami hörte dabei zu. Voller Wut stieß ich den Mann vom Bett, sodass er am Boden landete. Ich fragte nicht, ob er sich weh getan hatte oder Ähnliches. Vielleicht war es ja das, was ich wollte: Jemandem weh tun. So, dass es mal jemand anderen erwischt, als mich. Als immer mich. Doch war ich wirklich so sadistisch geworden? Der kleine Ryou wollte jemandem schaden? Ich schlug mir die Hände vors Gesicht und wollte einfach Nichts mehr sehen. Weder den Raum, noch meine chaotische Art, meine Wünsche umzusetzen. Es wurde mir einfach alles zu viel und ich konnte dem nicht mehr standhalten. Mit einer kurzen Bewegung wurde ich am Arm gepackt und sofort vom Bett gezogen. Yami drückte mich ganz fest an sich, ich konnte mich nicht aus seinem starken Griff lösen. Er war muskulös und robust. So sehr ich auch versuchte, mich wegzustoßen, endete es immer wieder vergeblich. Es ärgerte mich, mich nicht wehren zu können. Ich konnte mich sowieso nie wehren… weder gegen die fiesen Mobbingattacken, noch gegen irgendetwas Anderes. Es tat wieder einmal weh. “Ich bin für dich. Nicht gegen dich”, der Mann ließ mich nicht los, wollte mich festhalten. Mir Geborgenheit verschaffen. Nach einer gewissen Zeit probierte ich gar nicht mehr, wegzukommen, und ließ einfach das geschehen, was geschah. Komme es, wie es solle. Mittlerweile hatte ich aufgehört, zu weinen. Mein Herzschlag regulierte sich allmählich wieder. Ich schloss die Augen und genoss das Gefühl, so gehalten zu werden. Du darfst dich nicht abhängig machen, Ryou. Er darf dir nicht wichtig werden, sonst endet das mit Schmerz - wie immer. Anders kenne ich es auch gar nicht. “Du bist aber nur…”, begann ich. Yami lauschte. “Du bist aber nur ein Produkt meiner Fantasie”, ich sackte zusammen. Kapitel 6: Zarte Lippen | Yami ------------------------------ Der leblos scheinende Körper war in meinen Armen geborgen. Ryou hatte wohl so etwas wie einen Schock erlitten, das war einfach zu viel auf einmal für ihn. Auf Händen trug ich ihn zurück ins Bett und deckte den Kleinen zu. Zur Sicherheit hörte ich noch seinen Herzschlag ab, der mir etwas langsam vorkam. Das Gesicht des Jungen war ganz blass geworden un die Wangen waren heiß. Falls ich ihm wirklich so einen Schrecken eingejagt habe, tut es mir Leid. Eigentlich bin ich zum Helfen und zum Beschützen bestimmt. Ich holte mir den Sessel, der beim Schreibtisch platziert war, stellte diesen vors Bett und setzte mich. Eine Zeit lang beobachtete ich den ruhig atmenden Ryou, der aber sicher nicht schlief. Er hatte, wie ich mitgehört hatte, Schlafstörungen, die es ihm nicht möglich machten, Nachts zu einer passenden Uhrzeit einzuschlafen. Ich wollte ihn kurz rütteln, um zu sehen, ob er überhaupt noch aufwacht, doch andererseits wollte ich ihn nicht… “stören”. Seine Brust hob und senkte sich sehr intensiv, was mir das Gefühl verschaffte, er bekäme nur schwer Luft. Eine Art Sorge bildete sich in mir. Seine Gedanken waren für mich gerade unzugänglich, da er weder träumte, noch aktiv etwas dachte. “Ryou”, sprach ich mit lauter Stimme und griff seinen Arm. Ich wiederholte seinen Namen, worauf er sein Gesicht kurz verzog. Als ich über seinen Hals strich, zuckte er kurz und öffnete letztendlich seine schönen, großen Augen. “I-ich hatte gerade einen komischen Traum”, er richtete sich auf und sah sich um. Als er mich erblickte, zerfiel das Gefühl von Erleichterung in ihm. “Bist du immer noch da?!”, fragte der 17-jährige und warf mir vor lauter Wut das zweite Mal in dieser Nacht das Kissen gegen mich - diesmal ins Gesicht. Ich behielt meine Kontrolle und reagierte nicht drauf; weder mit Worten, noch mit Taten. “Wir könnten gut miteinander auskommen. Du hast dich wohl gefühlt, als wir gekuschelt haben. Außerdem wolltest du doch einen Mann an deiner Seite, oder nicht?”, meine Geduld würde nicht so schnell verfliegen, immerhin wollte ich dem Kleinen wirklich helfen, ihm Komfort verschaffen. Diese Aufgabe werde ich nicht so schnell aufgeben. “Wenn du dich wirklich um mich kümmern würdest, würdest du mich schlafen lassen”, behauptete Ryou und sah mich angesäuert an. “Aber du kannst nicht”, entgegnete ich, worauf sich ein leidender Blick im Gesicht meines Gegenübers bildete. Ja, Ryou - du kannst nicht schlafen. Ein lauter, verzweifelter Ton entfuhr dem Jungen, der sich hart wieder ins Bett fallen ließ und an die Decke starrte. In seinem Kopf kreisten die Gedanken, wann die Halluzination - also ich - endlich nachlassen würde, und ob er diese Nacht überhaupt genug Schlaf bekommen würde. Und wie viel Ärger er wohl in der Schule bekommen würde. Ich spürte all seine Sorgen, all sein Leid und hatte das starke Bedürfnis, ihm das alles zu nehmen. Ich traute mich, mich neben ihn zu legen. Ryou seufzte genervt und blickte immer noch planlos auf die Decke. “Hast du dich schon einmal gefragt, wie sich Küssen anfühlt?”, wollte ich wissen und wartete auf seine Antwort. Er schmunzelte und biss sich auf die Unterlippe. “Ich habe es in vielen Filmen gesehen. Muss toll sein…”, sein Blick glitt zu mir. Mit seinen schönen Augen schaute er traurig in meine. Die Einsamkeit hat dich so kaputt gemacht, Ryou. Beide legten wir uns seitlich hin und waren zueinander gedreht. Seine Vertrauensblockade löste sich. Sie löste sich wahrscheinlich, weil er einsah, dass ich die einzige Person war, die ihm wirklich zuhörte und mich nicht über seinen Schmerz lustig machte. Seine Mutter tat dies ebenfalls nicht, doch diese lag Nachts nicht neben ihm und sorgte dafür, Ryou von seiner Angst der späten Stunden abzulenken. “Hast du schon mal wen geküsst?”, fragte der Bursche mit einem Ton, gemischt aus Neugier und Trauer. Kurz lachte ich auf und sah ihn für einige Sekunden an. Verwirrt wurde ich angesehen. Ich setzte mich auf, packte Ryou am Arm und zog ihn ebenfalls hoch. Bevor er auch nur ein Wort sagen konnte, nahm ich sein Gesicht augenblicklich in die Hände und legte meine Lippen zart auf seine. Unsere Münder öffneten sich einen Spalt, worauf wir begannen, uns innig zu küssen. Der Puls des Hellhaarigen erhöhte sich, er war aufgeregt und nervös. Um das hier nicht zu weit zu treiben, löste ich mich von ihm und hörte, wie laut er atmete. “Ja, ich habe schonmal wen geküsst”, grinste ich. Der Kleine umschlang mich mit seinen Armen und drückte mich an sich. Es war eine völlig neue Erfahrung für ihn, die er sicher niemals vergessen würde. “Das war so schön”, erkannte er und konnte es kaum fassen, gerade jemanden wirklich geküsst zu haben. “Aber es war nicht echt”, fügte er hinzu und hätte sich fast wieder in Hysterie verloren. Ein gespielt genervtes Seufzen war von mir zu hören, bevor ich Ryou den Kopf tätschelte. Er wird schon noch früh genug herausfinden, dass das Schicksal uns zusammengeführt hat. Ohne eine Regung blieb ich vor ihm sitzen und starrte ihm in die Augen. Ohne ein Wort, ohne ein Zucken, saß ich einfach vor ihm. Skeptisch blickte Ryou mich an, wartete darauf, dass etwas passierte. Diese reine Stille machte ihn total nervös und er fühlte sich unwohl. Dies zeigte sich auch in seinen Bewegungen; Öfter kratzte er sich am Kopf, streichelte seine Hand oder spielte mit seinen Fingern herum. Nach einiger Zeit ließ die Nervosität aber nach und mein Gegenüber äußerte sich; “Mir hat noch nie jemand so viel Aufmerksamkeit geschenkt, wie du in dieser gefühlten halben Ewigkeit”. Immer noch sahen wir uns in die Augen, konnten nicht mehr voneinander wegschauen. Es hat sich eine Bindung zwischen uns aufgebaut. “Ich werde dir immer zuhören und dir immer eine Schulter zum Anlehnen bieten”, versicherte ich ihm und fing an, zu lächeln. “Willst du nicht langsam versuchen, zu schlafen?”, wollte ich wissen, worauf Ryou nickte und sich wieder unter die warme Decke begab. Ich legte mich ebenfalls hin und umarmte den Kleinen von hinten. Er zuckte kurz, als er meinen Körper an seinem spürte. Dies schien ebenfalls neu für ihn gewesen zu sein. “Ich fühle mich so geborgen…”, gab er zu; nach ungefähr zehn Minuten hörte man, dass er nun im Land der Träume angekommen war. Kapitel 7: Das Ideal, das du bist | Ryou ---------------------------------------- Mitten in der Nacht wachte ich durch ein Kratzen an der Türe auf; es war Aurora. Da ich einen leichten Schlaf hatte, riss mich das sofort aus der Ruhe. Ich brauchte einen Moment, um zu realisieren, woher dieses warme Gefühl an meinem Rücken kommt - Yami hielt mich. Er atmete gleichmäßig und schien tief und fest zu schlafen. Vorsichtig drehte ich mich in die andere Richtung, blickte den ruhig schlafenden Mann an. Ein warmes Lächeln umspielte meine Lippen. Langsam begab ich mich aus dem Bett und öffnete die Türe. Die Katze schritt edel in das Zimmer herein, worauf ich die Türe wieder schloss. Ansonsten würde Mum oder Dad in der Früh einfach so hereinplatzen, denn ein nicht geschlossenes Zimmer bedeutete bei uns einfach, dass man ohne Fragen reinkommen durfte. Und das wollte ich nicht - vor Allem nicht, weil Yami da war. Ich ging in die Hocke und sah der weißen Katze direkt ins Gesicht, die mühseelig mit dem Fuß versuchte, ihr Halsband runterzukriegen. Das rote Stück Leder schien zu fest zugeschnürt zu sein. “Ach, Dad…”, sagte ich und seufzte laut durch den Raum. “Das ist viel zu locker, es soll sitzen!”, imitierte ich ihn spottend. So verstellte ich das Band um ein Loch, worauf Aurora mich anmiaute. Ich nahm es als Dankeschön wahr. Sanft streichelte ich den Kopf der Kleinen, als diese plötzlich anfing, einen Geruch zu wittern. Die Katze schritt von mir weg und sprang aufs Bett. Neugierig aber dennoch angriffslustig schnüffelte sie an Yamis Körper. Moment, sie kann ihn wahrnehmen? Sie nimmt seine Präsenz wahr? Erstaunt sah ich dabei zu, wie Aurora sich an Yamis Brust schmiegte und schnurrte. Wenn die Katze ihn genau so behandelt, wie andere Menschen, bedeutet das, er ist real… Mein Haustier legte sich hin und döste vor sich hin. Nichts desto Trotz schlief Yami immer noch, wie ein Stein und schien die Bewegungen und Vibrationen der Katze gar nicht gespürt zu haben. “Du scheinst ihn zu mögen”, stellte ich fest und beobachtete die schnurrende Fellkugel. “Du nimmst ihn wahr…”, meine Lippen bebten. Fassungslos sah ich Yami an. Unverschämt platzierte ich die Katze auf den Boden und legte mich wieder zurück ins Bett. Wollte den Mann wieder für mich haben. Ich war mit dem Gesicht zu ihm gedreht und starrte auf seine Lippen. Ich hatte das Bedürfnis, ihn nochmal zu küssen. Während dem Kuss hat es sich so angefühlt, als wäre ich innerlich wieder aufgeblüht. Es fühlte sich rein, zart und ehrlich an. Eine Gänsehaut bildete sich auf meinem Körper, gefolgt von einem kurzem Zittern. Ich musste die Sache noch verarbeiten; den ersten Kuss. So oft habe ich mir vorgestellt, wie es sein muss, die Lippen eines Anderes an den eigenen zu spüren. Wie warm es sein muss, mit wem zu kuscheln. Wie richtig es sein muss, jemandem in die Augen zu sehen, der sich um einen kümmert. Mit meinen Fingern fuhr ich an Yamis Wange entlang. Er hatte ein schönes Gesicht. Gleich danach rutschte ich ein Stück runter und drückte meinen Kopf gegen seine Brust. Tränen bildeten sich in meinen Augen; ich fühlte mich nicht mehr so alleine. Nicht mehr so auf mich selbst gestellt. Ich hörte seinen Herzschlag, ließ ihn auf mich wirken. Er war beruhigend. Wann hast du jemals den Herzschlag eines Anderen gespürt, Ryou? Niemals. Wann hast du jemals in den Armen eines Anderen geschlafen? Niemals. Das ist das aller erste Mal - und es ist wunderschön. Unvergleichlich schön. Plötzlich überkam mich das Verlangen, ihn zu berühren. Ich löste mich von ihm und meine Augen musterten seinen Oberkörper. Du wolltest schon immer wissen, wie es ist, mit wem rumzumachen, nicht wahr? Aber du warst zu schüchtern, zu ruhig, zu schwul. “Ihr hattet alle Recht”, flüsterte ich mir selber zu. “Ich bin einfach schwul”, beendete ich meinen ausgesprochenen Gedanken und biss in die Unterlippe meines Gegenübers. Dieser öffnete die Augen und fing schwach an, zu lächeln. War Yami im Halbschlaf? “Kannst wohl nicht genug davon kriegen”, stellte er fest und lachte kurz auf. “Weißt du, was mich gerade am meisten fasziniert?”, seine Stimme war rau. Still lag ich da. “Du bist gerade dabei, deine nie befriedigten Triebe an mir auszuleben. Nichts desto Trotz hast du immer noch dein schüchternes, zurückhaltendes Image behalten. Du scheinst, mich küssen und dich an meinem Körper vergreifen zu wollen, jedoch bist du bei dieser Handlung noch immer sehr vorsichtig und gar noch etwas unsicher und ängstlich. Diese Mischung ist interessant”, Yami strich mir durch die Haare. “Du hast Gefühle in mir freigesetzt”, behauptete ich und hätte ihm am liebsten das Shirt ausgezogen. “Oder du willst die Einsamkeit einfach nur füllen und es geht hier gar nicht um mich. Du würdest das vielleicht auch mit jeder anderen Person tun, die hier liegen würde”, glaubte er und wirkte fast schon etwas beleidigt. Möglicherweise kam er sich ausgenutzt vor. Nur dafür hier, um meine Depressionen zu lindern. Nur dafür hier, dass ich etwas hatte, mit dem ich mich glücklich machen konnte. Nein. Das durfte nicht sein. “Aber du bist so besonders…”, hauchte ich. “Du bist das Ideal, das ich mir immer im Kopf ausgemalt hatte”, gab ich zu und konnte dem Drang, ihm körperlich noch näher zu sein, nicht mehr standhalten. Ja, er war das Ideal, nach dem ich mich gesehnt hatte; meine Fantasie, unreal. Doch sein großer, stark gebauter Körper zog mich an. Ich schloss die Augen und biss mir auf die Unterlippe. “Ich will dich nicht ausnutzen. Ich will dir nur nah sein”, meine Stimme klang sehr zerbrechlich. “Vielleicht bereust du’s, wenn wir es hier überstürzen”, meinte Yami und hatte mittlerweile die Augen wieder zu, wollte weiterschlafen. “Wer hat mich aus heiterem Himmel geküsst?”, ein Grinsen war in meinem Gesicht zu erkennen. Yamis Mundwinkel zogen sich nach oben, der Mann schmunzelte. “Das war ein Unfall”, sagte der Weißhaarige lachend, die Augen immer noch geschlossen. Ich stahl ihm sein Kopfkissen und drückte es ihm ins Gesicht. Yami zog das Kissen weg und durchwuschelte meine Haare, woraufhin ich auch seine Frisur zerstörte. Der Mann begann, mich zu kitzeln. Lachend versuchte ich, mich gegen seine Kitzelattacken zu wehren. Aurora sprang zu uns, miaute mich an. Wahrscheinlich hatte sie Hunger. Total unverschämt griff sich Yami das Kätzchen und drückte es mir ins Gesicht. Fell spuckend sah ich gespielt sauer in die klaren braunen Augen, die mich vertrauensvoll ansahen. Ich hatte die beste Medizin gefunden, die ich mir niemals erträumen hätte können. Kapitel 8: Gut geträumt | Ryou ------------------------------ Die schrillen Töne meines Weckers zerstörten die bunten Wände meines Traumes. Hatte ich in dieser Nacht wirklich schön geträumt? Wie lange war es schon her, dass mich kein Albtraum bis in die frühe Morgendämmerung plagte? Kaum machte ich das dröhnende Geräusch aus, fiel mir ein, was vor einigen Stunden überhaupt passiert war. Yami Bakura. Ein Gefühl von Wärme umarmte meinen Körper für eine Sekunde; gestern Nacht war schön. Ein schüchternes Lächeln zierte mein Gesicht, als ich zur Kette mit dem goldenen Ring sah. Kurz streckte ich mich und bemerkte überrascht, dass mein übliches Morgentief nicht stattfand. Kein ‘ich hasse mein Leben’, kein ‘vielleicht sollte ich aus dem Fenster springen’ und kein ‘ich hasse jeden’... Ich war hin- und hergerissen zwischen ‘Das fühlt sich echt gut an, den Morgen so zu starten’ und ‘Das ist so ungewohnt, dass es schon gruselig ist’. Gelassen stieg ich aus dem Bett und rieb mir die Augen. Der Kalender, der auf meinem Nachtkästchen plaziert war, zeigte, dass ich heute eine Kontrolluntersuchung beim Psychiater hatte. Alle vier Wochen hatte ich das, um dem Doktor meinen neusten Stand der Dinge zu erzählen. Also wie es mir seelisch geht; ob sich etwas gebessert hat, ob sich etwas verschlechtert hat oder ob ich meine Medikamente bräuchte. Heute würde er sich auf etwas gefasst machen müssen… Im Bad nahm ich erst einmal eine heiße Dusche, bei welcher ich wie immer viel nachdachte. Hatte ich gestern Nacht wirklich meinen aller ersten Kuss? Beim Gedanken daran bildete der kalte Schauer, der meinen Körper durchlief, einen Kontrast zum heißen Wasser, das an mir runterprasselte. Die Empfindung, die ich hatte, als er mich im Arm hielt und sich anschließend von hinten an mich schmiegte, war einfach unbeschreiblich. So unbeschreiblich, dass ich mehr wollte; und selbst darüber erschrack. Diese Momente waren wie Magie, umgeben von Glitzer und Feenstaub. Wie die Flucht in eine andere Zeit. Die Dunkelheit der Nacht wurde mir zum Tor zu einer besseren Welt gemacht. Der Geruch meines Erdbeerduschgels hätte gut mit den sanften Berührungen von Yami harmonisiert, fiel mir belustigt auf, als ich mich damit einrieb. Ein süßer, umschmeichelnder Geruch, der mir in die Nase stieg und gute Laune machte. Wann machte mir die Morgendusche letztens Freude? Ich glaube, diesen Satzbau habe ich in letzter Zeit oft verwendet: Wann hat mir jemals, wann habe ich jemals und wann war es jemals anders. Ich denke, die Fragen vor Yamis Besuch waren eher in die Richtung ‘Wann war ich jemals jemandem wichtig?’, aber nachdem mich mein anscheinendes Ebenbild heimsuchte, veränderten sich meine Gedankengänge zu ‘Wann hat bin ich jemals glücklich aufgewacht?’, ‘Wann habe ich jemals gut geträumt?’ und ‘Wann hat mir etwas jemals Spaß gemacht?’. Ein Kribbeln war in meinem Magenbereich zu spüren. Auf eine Art war das sehr aufregend. Nach dem Duschen schlüpfte ich in meinen Bademantel und widmete mich meiner restlichen Morgenroutine, als die Türe plötzlich aufging. “Ryou… du bist schon wach?”, fragte Mum und wunderte sich darüber. Mit einem leichten Lächeln nickte ich. Ich stand sehr selten zu der Zeit auf, in der ich eigentlich aufstehen hätte sollen. Es war einfach so schwer, aus dem Bett zu kommen, das mir Wärme, Schutz und Sicherheit verschaffte. “Habe sehr gut geschlafen”, gab ich zu und war gerade dabei, mir die Zähne zu putzen. “Reden wir beim Frühstück weiter”, Mums Gesicht sah plötzlich entspannt und fröhlich aus. Kein Wunder, ich war eine Ewigkeit nicht mehr beim Frühstück, da ich wegen des späteren Aufstehens keine Zeit dafür fand. Wann war ich das letzte Mal beim… Halt. Da war es schon wieder! Fragen über Fragen, die darauf hindeuteten, wie sehr sich mein Leben verändert hat. Bis vor Kurzem noch, wie es sich so sehr ins Schlechte verändern konnte und nun, wie es sich so ins Bessere wenden konnte. Das war vielleicht zu viel aufeinmal. Zähne geputzt, Haare handtuchtrocken gerubbelt, Gesicht gepflegt, angezogen - auf, zum Esstisch! “Was”, stieß Dad nur heraus, als er sah, wie ich schon munter war und mich auf einen der drei Stühle setzte. Mums Blick hingegen war sehr herzlich, sie lächelte mir entgegen und hatte mir schon zwei Brote auf meinen Teller hingelegt. Diese bestrich ich mit Butter und tat großzügig Schinken darauf. Es war ein schönes Gefühl, den Tag nicht hungernd zu starten, wie üblich. Oh, ja - das Knurren meines Magens war mittlerweile schon die Standartmelodie des Vormittags. “Wie kommt es, dass du so gut geschlafen hast?”, wollte Mum wissen, biss von ihrem Brot ab. Ich fing an, zu grinsen, blickte verlegen runter und lief leicht rot an; “Ich hab’ gut geträumt”. Dad machte nur eine abschüttelnde Handbewegung und sah mich grimmig an; “So ein Blödsinn”. Er rutschte mit dem Sessel nach hinten, stand auf und verließ die Küche. “Bin dir wohl wieder nicht männlich genug”, rief ich sauer hinterher und schmiss mein bestrichenes Brot nach ihm. Augenblicklich blieb der Mann stehen, als er die Butter an seinem Rücken spürte. Langsam drehte er sich um, sah mich mit einem kalten Blick an, ehe er wieder an den Tisch kam. “Du kleines Würstchen traust dich, Essen nach mir zu werfen?”, seine Augen bildeten sich zu schmalen Schlitzen. “Bei deinem intoleranten Verhalten, kann man einfach nicht anders”, warf Mum ein, die dann ebenfalls so wütend angesehen wurde. Der Mann klopfte einmal kräftig auf den Tisch und zog sich an, um in die Arbeit zu gehen. Die Türe fiel mit einem gewaltigen Geräusch zu. Mum umarmte mich und streichelte mir durchs Haar; “Seitdem er gemerkt hat, dass du anders, als die anderen Jungs bist, akzeptiert er dich nicht mehr. Und weißt du was? Ich akzeptiere ihn nicht mehr”. Fragend sah ich sie an, erschrack, als ich in diese selbstsicheren und gleichzeitig hasserfüllten Augen sah. Ich beschäftigte mich jedoch nicht weiter mit der Aussage, als sich die Arme um mich herum wieder zurückzogen. Ich aß mein Frühstück fertig und ging in mein Zimmer, um meine Geldbörse, in der meine e-Card war, in meine Gesäßtasche zu stecken. Als Letztes hing ich mir meine goldene Ringkette um, bei welcher ich unkontrolliert lächeln musste. Kaum hatte der Tag begonnen, freute ich mich schon auf heute Nacht. Kapitel 9: Und es geht bergab | Ryou ------------------------------------ Die Fahrt bis zum Psychiater dauerte knapp eine Stunde. Ich langweilte mich immer, wenn ich dorthin musste. Bus, Ubahn, noch ein Bus und dann zu Fuß; zwar hatte ich ein Buch dabei, das ich las, doch ich kann mich in Verkehrsmitteln nur schwer aufs Lesen konzentrieren. Musik hören wollte ich nur ungern, da ich ein empfindliches Gehör hatte und es nicht mit übermäßig lautem Dröhnen schädigen wollte. Die Ubahnen und Busse waren alle pumpvoll, da sich um die Uhrzeit - sieben Uhr zwanzig - alle auf den Weg in die Schule machten. Etwas schadenfroh sah ich mich um, denn ich hätte nicht tauschen wollen. Die Leute starrten alle auf mein goldenes Schmuckstück, da es, zugegeben, etwas skurril aussah. Mir jedoch gefiel es außerordentlich gut und trug es auch gerne um den Hals. Vielleicht mochte ich es ja eben deswegen, weil es herausstach. Weil es einen starken Kontrast mit meiner Schüchternheit bildete, wer weiß. Die Fahrten kamen mir länger vor, als sonst, weil es sehr heiß und eng war, wegen der vielen Menschen. Ich fühlte mich sehr unwohl und ich verspürte bei der zweiten Busfahrt sogar ein Übelkeitsgefühl. Mit starkem Atmen versuchte ich, es zu unterdrücken, worauf einige Leute um mich herum mit komischen Blicken darauf reagierten. Als ich endlich ausstieg, streckte ich mich erst einmal und war froh, diese Fahrt überlebt zu haben. Erleichtert ging ich nun den restlichen Weg, als ich mir ausmalte, wie heiß es im Wartezimmer sein würde, da es dort keine Klimaanlage gab. Ein mulmiges Gefühl machte sich in mir breit. Wenn ich mich dort auch noch übergeben müsste, wäre der heutige Tag für mich gelaufen. Am Schalter zeigte ich wie gewohnt meine e-Card her und durfte Platz nehmen. Es waren 4 Leute hier, was für so eine Praxis viel Wartezeit bedeutete. Man konnte hier bei neuen Patienten schon mit 20 Minuten rechnen. Die Lebensgeschichte kurz erzählen, die aufbauenden Symptome schildern, Gefühls- und Gedankenverlauf widergeben und Weiteres. Innerlich seufzte ich; es gab nur einen schwachen Ventilator, der uns vor der massiven Hitze schützen sollte. Bevor ich drankomme, bin ich schon umgekippt. Ob das hier eigentlich normal war? Wenn ich mir die Personen hier so ansah, fragte ich mich immer, welche Probleme sie hatten. Ob es eine schwerwiegende, psychische Krankheit war oder einfach nur etwas Geringeres, wie Konzentrationsschwächen oder Stottern. Die Patienten im Raum fragten sich wahrscheinlich genau das Selbe. Ich wurde sogar mitleidig angesehen, da ich der Jüngste hier im Raum war, während hier nur Erwachsene ab 25 saßen. ‘Was hat denn der junge Mann dort? Der arme hat in dem Alter schon Probleme?’, genau so sahen sie mich an. Aber irgendwie freute es mich, dass ich wem Leid tat. Nicht, so wie Dad. “Bakura Ryou”, ertönte es dann aus den Lautsprechern. Schon völlig erschöpft wegen der Hizte, erhob ich mich langsam und betrat den kleinen Raum, der mit vielen Büchern über die Psyche ausgestattet war. Der Arzt schüttelte mir die Hand und danach nahmen wir auch schon Platz, als mir die erste Frage gestellt wurde; “Sind Sie mit den Anti-Depressiva zufrieden oder haben sich Nebenwirkungen gezeigt?”. Ich schwieg für eine Weile. Wie hätte ich das Theater von gestern Nacht beschreiben sollen? “Da war ein Mann auf meinem Bett. Er hat mit mir gesprochen”, erzählte ich und rückte mit dem Sessel etwas näher. “Ich habe seine Berührungen gespürt und ihn wie eine normale Person wahrgenommen. Ich denke, die Halluzinationen nehmen Überhand”. Der Arzt notierte sich alles auf. Anstatt mir eine Antwort darauf zu geben, weshalb ich plötzlich unbekannte Menschen wahrnehme, leitete er eine weitere Frage ein; “Ganz sicher, dass es nicht nur ein Traum war?”. Kräftig schüttelte ich den Kopf und schloss diese Theorie komplett aus. Ich wiederholte noch einmal, dass ich alles ganz genau wahrgenommen habe. “Sogar Aurora hat ihn gerochen…”, erinnerte ich mich, worauf mein Gegenüber selbstsicher etwas in den Computer eintippte und an die Frau am Schalter schickte, damit sie es ausdrucken konnte. Zögernd sah ich ihn an. “Es liegt nicht an den Medikamenten”, behauptete er mit starker Stimme und sagte mir, ich könnte schon gehen und mir das neue Rezept abholen. “Sie glauben mir nicht, oder?”, warf ich ein, bevor er sich verabschieden wollte. Ich fühlte mich sehr unwohl, als mir auffiel, dass ich mir selber nicht einmal glaubte. Was wollte ich dem Arzt eigentlich mitteilen? Dass sich die Halluzination echt angefühlt hat oder dass es real war und eine Halluzination somit ausgeschlossen war? Ich wusste selbst nicht, was ich sagen und glauben hätte sollen. “Du wirst dich besser fühlen”, sagte er Mann bestimmend und hielt mir die Hand hin, sodass wir uns verabschieden können. Ich jedoch starrte ihn nur an, weigerte mich, ihm Recht zu geben, obwohl ich es doch nicht besser wusste. Vielleicht stimmt es wirklich und ich bin durch die starke Depression einfach nur verrückt geworden. Ich sehe einen fremden Menschen, rede mit ihm, lasse mich von ihm berühren und vertraue ihm meine Geheimnisse an. Ich fühle mich bei ihm geborgen, glaube, seinen Namen zu kennen und gebe mich ihm voll und ganz hin. Das ist doch nicht normal. Vielleicht ist es wirklich besser, den Ärzten zu glauben, und loszulassen. Mein Wunschdenken hat mich schon zu weit an den Abgrund getrieben. Wo stehe ich nun? Schon zu knapp am Rand, an der Grenze der Norm. Ich muss weiter nach hinten, wieder an die sichere Seite. Muss mich fangen, muss meinen klaren Kopf wieder zurückgewinnen. Doch wann hatte ich das letzte Mal einen klaren Kopf? Spätestens heute Nacht werde ich meine Meinung wieder ändern. Heu’ Nacht werde ich wieder Opfer von Yamis anziehender Art, dem Ideal meiner Fantasiewelt. Ein starker, beschützender Mann, der sich um mich kümmert und mich nie gehen lassen wird. Genau das war es doch, was du immer wolltest, Ryou. Der Gedanke an Yami erregte mich, ich versank in meinen Gedanken. “Mach’ dir nicht so viele Gedanken darüber. Du wirst dich wirklich besser fühlen!”, versprach mir der Arzt und schüttelte mir zum Abschied die Hand. Ein fester Händedruck war zu spüren. Ich fragte mich, ob Yamis Händedruck genau so fest war. Hin- und hergerissen zwischen dem Glauben, durchzudrehen, und dem Wunsch, meinem Ebenbild für immer nahe zu sein, verließ ich den Raum. Kapitel 10: Halluzinationen und Katzen | Ryou --------------------------------------------- Ich ging zum Schalter und bekam mein Rezept, worauf ich mich verabschiedete und ging. Die Türe hinter mir geschlossen, sah ich auf das Zettelchen; Diagnose: Psychose. Was ist eine Psychose? Wahrscheinlich sollte es nur die Bezeichnung für einen Psycho sein - das “se” am Ende diente sicher zur Tarnung. Würdest du dich selber schon so bezeichnen, Ryou? Vielleicht, vielleicht. Beim Rausgehen war ich schon total verschwitzt und fühlte mich unwohl. Einzelne Haarsträhnen hingen mir lose im Gesicht, klebten schon nahezu an meiner Haut. Ein Wort schwirrte mir im Kopf herum: Wasser. Neben der Bushaltestelle war ein kleiner Imbiss, bei welchem ich mir ein Mineralwasser kaufte. Das erfrischende Nass bahnte sich meine Kehle runter - Erlösung. Ich wusste nicht, was mich mehr fertig machte; Die Hitze oder die Tatsache, dass meine Frisur nicht mehr saß. Ich betrachtete mich in einem Autospiegel, sah total fertig aus. Ich verzog das Gesicht, als der Bus ankam. Wenn es nur ein paar Stationen bis nach Hause gewesen wären, wäre ich wahrscheinlich gegangen, anstatt in dieser Menschenmasse drinnen zu stehen. Doch was hatte ich schon für eine Wahl. Als ich endlich aus dem zweiten Bus stieg, beschloss ich, ins Einkaufscenter zu gehen. Ich hatte Lust, mir ein Eis zu kaufen, und vorallem hatte ich Lust, mich von der Klimaanlage dort verzaubern zu lassen. Der ganze Schweiß an meinem Körper rief ein Gefühl von Ekel und Stress in mir hervor. Ich hasste es abgrundtief, nicht sauber zu sein. Die anderen Leute jedoch waren auch ganz durchnässt und völlig erschöpft von der Hitze. Aus dem Verkehrsmittel ausgestiegen, überlegte ich, ob ich nicht vielleicht zuerst zur Apotheke gehe und danach ein Eis essen. Die Neugier, die sich in mir entfesselte, wenn ich auf das Rezept sah, ließ mich nicht in Ruhe. Vielleicht wird mir das fremde Wort dort erklärt: Psychose… Ich strich mir die Haarsträhnen aus dem Gesicht und schlenderte zum kleinen, weißen Laden. Dort lächelte mich “meine” Apothekerin schon an. Ich übergab ihr das Rezept, worauf sie etwas schockiert reagierte. Sie war es gewöhnt, dass ich immer die selben Medikamente verschrieben bekam, aber auf eine neue Diagnose war sie nicht gefasst. Unsicher blickte sie zwischen dem Zettel und mir herum, bis sie mit langsamen Schritten die passenden Tabletten griff und auf die Theke legte. “Eine Stunde vor dem Schlafengehen einnehmen”, informierte mich die Frau mit stottender Stimme. Sie war besorgt. Als ich das erste Mal hier Anti-Depressiva bekam, fragte sie; “So starke Tabletten musst du in deinem Alter schon nehmen?” Ein Windspiel ist zu hören, als ich die Tür der Apotheke öffne. Zwei junge Frauen stehen hinter der Theke und bedienen freundlich und hilfsbereit die Menschen. Total unsicher und mit einem schweren Gefühl im Magenbereich stelle ich mich bei der linken Schlange an. Die Leute hier brauchten einfache Dinge, wie Schmerztabletten gegen Kopfschmerzen oder kühlende Salben für müde Füße. Ganz normale Dinge, die die Erwachsenen hier kauften. Und dann war da noch ich: Der kleine, 14-jährige Ryou, der Schlaftabletten und Anti-Depressiva auf seinem Rezept stehen hatte. Was würden die Personen hier von mir denken? Dass der kleine Junge etwas traurig ist? Ich komme mir so lächerlich vor. “Bitteschön”, kommt es von der Dame vor mir, ehe ich den kleinen, weißen Zettel vorlege und kein Sterbenswörtchen sage. Die Kehle ist mir wie zugeschnürt und ich nehme das Zittern meiner Knie wahr. Die Frau mustert mich, merkt, dass ich erst in jungen Jahren bin, fragt; “So starke Tabletten musst du in deinem Alter schon nehmen?”. Alle Blicke sind plötzlich auf mich gerichtet, Neugier bricht aus. Gleichzeitig nehmen einige Leute schon Abstand von mir, fragen sich, was falsch mit mir ist. Mir ist nach Heulen zumute. Die Apothekerin holt die beiden Päkchen, schreibt dazu, wie oft ich sie nehmen soll, packt sie in ein Sackerl und verrechnet mir den Preis. Wird das Zeug helfen? Wird es mich wieder glücklich machen? Wird mich jemals wieder etwas glücklich machen? “Wenn die Halluzinationen nachlassen, dem Arzt mitteilen”, riss mich die Dame aus den Gedanken. Ich brauchte eine Weile, bis ich verstand, was sie gerade gesagt hatte. Es traf mich, wie ein Blitz; Halluzinationen. Der Arzt verschrieb mir Tabletten gegen Halluzinationen! Wut überflutete meinen Körper. Ich werde schon wieder missverstanden. Ich werde schon wieder unterschätzt. Ich werde schon wieder für dumm gehalten. “Vergessen Sie es!”, fauchte ich stinksauer und verließ diesen Raum, der in Weiß getunkt war. Nein, nein - das konnte nicht sein. Ich rannte nach Hause, sperrte hastig die Türe auf, lief die Treppen hinauf und stolperte in mein Zimmer. Am Boden liegend, begann ich, leise zu weinen. Wieso glaubt mir keiner? Wieso kann mich niemand heilen? Warum? Warum kann man einen sensiblen Mann nicht akzeptieren und ihn genau so selbstverständlich, wie eine sensible Frau, akzeptieren und seelisch verarzten? Bin ich denn nicht besonders dadurch? Nein, bin ich nicht. Ich bin doch einfach nur schwul. Die Kälte des Bodens ließ mich frösteln. Ich bekam so auf dem Bauch liegend nur schwer Luft und lag sehr unbequem. Nichts desto Trotz wollte ich mich nicht wieder aufrappeln, ich wollte in diesem Moment einfach nur so liegen bleiben, in Selbstmitleid versinken und weinen. Ich erschrack, als ich etwas pelziges in meinem Gesicht spürte; Aurora. Sie begab sich in diese “Hennenposition”, in der man die Pfoten der Katze nicht mehr sieht. Etwas zwischen Liegen und Sitzen. “Hey, Kleine”, wimmerte ich und versuchte, sie anzulächeln. Sie miaute mich an und strich mit ihrer Wange gegen meine. Ein paar Haare von ihr blieben an meiner Wange. Vorsichtig setzte ich mich auf und putzte mich ab. Behutsam streichelte ich das Tier und kraulte es. Aurora schnurrte, was mir ein Lächeln ins Gesicht zauberte. Sie sprang auf meinen Schoß und schlief schnell ein. So auch ich. Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen die Wand und wurde wieder Opfer meiner unbesiegbaren Müdigkeit. Meine Augenlider wurden schwer, mein Atem verlangsamte sich und die Tränen trockneten. Es war alles ruhig, nur noch das Ticken der Uhr wahr zu hören. Mein Kätzchen war sicher bei mir und fühlte sich geborgen. Ich werde immer für dich da sein, so, wie du immer für mich da warst. In schlechten Zeiten bist du nie von meiner Seite gewichen, und dafür danke ich dir. Du bist die beste Freundin, die ich nie hatte. Kapitel 11: Narben | Yami ------------------------- Es war kurz vor elf, als ich mich aus dem Milleniumsring befreite und Ryou vor seinem Computer entdeckte. Er schien etwas gegooglet zu haben. Hastig las er sich die Ergebnisse durch, war sehr stark konzentriert. Seine Haare waren handtuchtrocken, er schien geduscht zu haben. “Ryou”, sprach ich hinter ihm stehend, worauf er kurz erschrack. “Ich werde mich nie daran gewöhnen, dass du immer so plötzlich auftauchst”, gab er ernst zu und widmete sich wieder seinen Recherchen. Normalerweise hätte er kurz gelacht. Kurz gelacht und mit mir weitergeredet, doch irgendwas hinderte ihn daran, klar zu denken. Ich konnte Verzweiflung und Hektik in ihm ablesen. Mit langsamen Schritten näherte ich mich dem Bleichhaarigen, legte meine Hände auf seine Schultern und las, was auf dem hellen Bildschirm stand. “Psychose” war das Wort, nachdem gesucht wurde. Ryou ließ einen lauten Schrei aus, schob sich mit dem Bürosessel weg vom PC und fuhr sich hastig durch die Haare. Er wirkte sehr isoliert, in sich gekehrt. Es bereitete mir Sorgen, konnte mich jedoch nicht entscheiden, ob ich ihn beruhigen soll oder nicht, da er nicht weiter auf mich eingegangen ist. Während Ryou in seine Panik vertieft war, schielte ich rüber zum Bildschirm und las, was dem Kleinen so eine Angst eingejagt hatte. Ursachen: Nicht ganzheitlich bekannt. Oft verbunden mit Schizophrenie und/oder Depressionen. Symptome: Akkustische und optische Halluzinationen. Behandlung: Neuroleptika Dauer: Meistens eine Episode. Durchschnittliche Erstmanifestation: Frauen: 25-29 Jahren, Männer: 20-24 Jahre. Ich hätte es mir denken können. Wer würde beim Erleben von Kommunikation mit einem uralten Geist in einem goldenen Schmuckstück nicht anfangen, zu hinterfragen, was mit einem los ist? Ich ließ einen Seufzer aus, hob Ryou von seinem Stuhl und drückte ihn an mich. Er legte die Arme um mich und atmete sehr tief ein und aus. Auch zitterte er leicht und stand nicht fest auf seinen Füßen. In die dunklen Farben seines Gefühlszustandes wurden einige hellere dazugemischt, während ich ihn im Arm hatte. Ich ließ ihm einige Minuten, um sich zu beruhigen. Eigentlich war ich der Grund, weshalb er so austickt, und gleichzeitig war ich sein Zufluchtsort. Ironie des Schicksals. “Egal, was du bist; ich will, dass du bei mir bleibst…”, flüsterte Ryou, löste sich langsam von mir und sah mich an. “Werde ich auch immer. Ist heute etwas passiert, was dich sehr geprägt hat?”, ich strich ihm durch seine frisch gewaschenen Haare und wollte wissen, wie sein Tag verlaufen war. Mein Gegenüber griff sich einen kleinen, weißen Zettel, der neben seinem PC lag und steckte ihn mir hin. In Gedanken las ich: Diagnose: Psychose. Das war also der Grund. Das war der Grund, warum du so außer Rand und Band bist, mein Kleiner. “Man verschreibt dir Tabletten gegen mich?”, fragte ich mit einem Hauch Spott in meiner Stimme. Erstens wird es nicht funktionieren, und zweitens werde ich nie, nie, niemals von Ryou’s Seite weichen. Er braucht mich - das Schicksal wollte es so. “Ich habe meinem Psychiater gestanden, dass ich dich sehe und wahrnehme. Dann verschrieb er mir etwas gegen meine angeblichen Halluzinationen…”, erzählte mir der 17-jährige, zerknüllte das Rezept und warf es gezielt in den kleinen Mülleimer. Selbstsicher sagte er, dass er diese Tabletten auf keinen Fall nehmen wird, ehe er kurz ins Bad verschwand. Ich setzte mich kurz auf seinen Bürosessel und starrte auf die Definition, die offen war. Kurz lachte ich auf und schüttelte den Kopf. Ich sah mich etwas auf dem Schreibtisch um, meine Augen schweiften langsam über die Holzplatte. Notizhefte, Stifte, Kekse und ein Glas Wasser - nichts Außergewöhnliches. Plötzlich entdeckte ich aber etwas, das ich nicht genau zuordnen konnte; zwei dünne, lange, schwarze Tücher. Oder waren es doch Augenbinden? Etwas perplex glotzte ich, wandte meinen Blick jedoch ab, als Ryou wieder ins Zimmer kam. “Du kannst den Computer herunterfahren, ich brauche Nichts mehr”, informierte er mich und legte sich ins Bett. Der süßliche Geruch seiner Nachtcreme betörte mich ein wenig, als er mir sanft in die Nase stieg. Der Duft passte gut zu Ryous Charakter, so zart und zerbrechlich. Mit geschlossenen Augen sog ich den Passionsfruchtduft tief in meine Lungen. “Yami?”, kam es verwirrt vom Teenager, der meine mentale Abwesenheit bemerkte. Sofort fing ich mich wieder und fuhr den PC herunter. Ryou griff nach den mysteriösen zwei Tüchern, die schwach vom Nachtlicht beleuchtet wurden. Neugierig sah ich zu, was passieren würde. Er band sie sich um die Handgelenke, riss dann aber die Augen auf, weil ich einfiel, dass ich auch noch da war. Sofort sah er zu mir rüber und war wie erstarrt. Es musste um etwas gehen, von dem er nicht wollte, dass es jemals irgendwer erfährt. Er fühlte sich ertappt und presste seine Lippen zusammen. Dann erinnerte ich mich, dass ich ihn in der ersten Nacht damit gesehen habe. Er hatte etwas schwarzes an den Handgelenken, ich machte mir aber nicht weiter Gedanken drüber, es gehörte in dem Moment einfach zu ihm dazu. “Ich hätte duschen sollen, bevor du erschienen bist…”, er bereute die Tatsache, es nicht getan zu haben und zog seine Hände zu sich. “Was versteckst du vor mir?”, fragte ich und setzte mich zu ihm aufs Bett. Er hatte seine Hände gegen seinen Bauch gedrückt und der Blick war gesenkt. Seine Stirnfransen hingen ihm ins Gesicht und ich konnte seine Augen nicht mehr sehen. Vorsichtig nahm ich seine linke Hand, doch er zog sie sofort zurück und schüttelte den Kopf kräftig. Was war denn mit ihm los? Ich war mir nicht sicher, was er vor mir verstecken wollte, doch ich musste ihn beschützen. Ich musste stets wissen, was er tut und sicher gehen, dass es nichts war, das seine Gesundheit gefährdete. Es war meine Aufgabe, auf ihn aufzupassen - und das wird er nicht verhindern können. So zog ich - mit blutendem Herzen - sehr stark an seinem Handgelenk und hielt es fest. Ryou entfleuchte ein Schmerzensschrei, der aber nicht alleine von meinem Ziehen entstanden sein konnte. Ich umklammerte mit der linken Hand seine, und löste meine rechte von seinem Handgelenk. Ich riss meine Augen weit auf, während Ryou in Scham versank. Frische, tiefe Schnittwunden zierten seine Haut und bildeten zentimeter lange Narben. Schockiert lockerte ich meinen Griff und war sprachlos. “Liebst du mich trotzdem noch?”, kam es verletzt von Ryou. Kapitel 12: Befriedigung | Ryou ------------------------------- Nein, nein - das durfte nicht wahr sein. Yami hat das entdeckt, das niemand weiß. Und mit “niemand” meine ich auch wirklich niemand. Nicht einmal meine Ärzte wissen das, es ist ein Geheimnis zwischen mir und meiner Selbst. Es zerschmetterte mich innerlich, so gesehen zu werden. So schutzlos, so unfähig, mich zu verteidigen. Ich war total entblößt, die Scham fraß mich regelrecht auf. Gleichzeitig empfand ich eine gewaltige Wut, die sich in meinen Augen klar widerspiegelte. Ich fühlte mich so, als wäre man in meine Privatsphäre eingedrungen. Es war mein Geheimnis, und zwar nur meines. Allein ich besaß das Recht, zu entscheiden, ob wer meine nackten Handgelenke sehen durfte oder nicht. Das war, wie als hätte man mir das Handy weggenommen und all meine Nachrichten gelesen. Zwar waren da keine außer die von Mum und Dad, doch das Prinzip zählte. Das Wort “Privatsphäre” war sogar zu schwach, um zu beschreiben, was es für mich war; es war eher private Privatsphäre. “HABE ICH DIR ERLAUBT, NACHZUSEHEN?”, schrie ich entzürnt und wäre in der Lage gewesen, Yami ein Wörterbuch ins Gesicht zu schlagen. Yami wich fast zurück, als er mich so schreien hörte und bekam Gänsehaut. Dann kam er mir näher und blickte mir sehr ernst aber doch etwas beleidigt in die Augen; “TUT MIR LEID, WENN ICH DICH BESCHÜTZEN WILL”. Ich hätte fast gefragt, vor wem er mich beschützen wolle. Vor mir selber etwa?, dachte ich spottend, verspürte dann jedoch einen Stich im Herzen. Ja, vor mir selber. Mein Verlangen war es, dass jemand kommt, und mich vor meinen düsteren Gedanken beschützt. Vor meinen Panikattacken und meiner Sucht nach der Klinge. Ich wollte wen, der mich davon abhielt, meinen Alltag zu leben. Schweigend band ich mir die schwarzen Bänder um die Gelenke und sah zu Yami hoch. Es war furchtbar still und nur das Nachtlicht hinderte den Raum daran, komplett dunkel zu sein. Er fasste mir extrem vorsichtig an die Stellen, die verbunden waren, und flüsterte; “Ja, ich liebe dich immer noch. Und keine einzige Narbe wird das jemals ändern”. In diesem Moment lockerte sich etwas in mir. Etwas, das mich jahrelang leiden ließ: Fehlende Bestätigung. Bestätigung, dass ich trotz meines Selbsthasses und den psychischen Störungen perfekt für jemanden sein konnte. Dass mich trotzdem eines Tages jemand so annehmen wird, wie ich war. Und nicht so, wie man mich gerne hätte. Ich fragte mich, ob ich liebenswert war, oder ob das nur Wunschdenken war. Ich fragte mich so Vieles. Und nun, in meinem fast abgedunkelten Zimmer, am Bett sitzend, habe ich meine Bestätigung bekommen. “Ich werde dir nicht verbieten, es weiter zu tun. Ich finde es auch nicht verblödet oder sehe auf dich herab. Ich will nur alles über dich wissen, um sicher zu gehen, dich in- und auswendig zu kennen. Sodass ich dir ehrlich sagen kann, dich bedingungslos zu lieben”, Yami streichelte meine Handgelenke. Meine Augen fingen an, feucht zu werden. Ich wimmerte leise und krallte mich an Yamis Shirt fest. Ich habe ihn angeschrien, obwohl er das doch eigentlich nicht verdient hatte. Es tat mir so Leid, und das spürte er wahrscheinlich. Behutsam tätschelte er meinen Kopf. Ich wollte gerade etwas sagen, als wir beide ein Kratzen an der Türe wahrnahmen - Aurora. Ich erhob mich und machte der Katze auf, ehe ich die Türe wieder schloss. Das Tier sprang direkt auf Yami, der erschrack und das Glas Wasser am Schreibtisch umwarf, das mit Wasser gefüllt war. Er kam mit dem Ellbogen an und schon zierten Splitter den Boden. Aurora schnüffelte konzentriert am Mann und sah mich fragend an. Ich kann es mir auch nicht erklären, Aurora. Ich kann es mir ebenfalls nicht erklären. Yami nahm die Katze von sich und platzierte sie am Boden. Danach nahm er mir ganz vorsichtig die Bänder runter und küsste meine Narben. Ich erschauderte, fühlte mich nach wie vor so verdammt hilflos und zur Schau gestellt. “Es tut mir Leid, Ryou. Wie kann ich das wieder gut machen?”, Yami wirkte plötzlich trotz seiner starken Erscheinung so schwach - es tat ihm wirklich Leid. Seine Augen waren halb geschlossen und er blickte mich flehend um Vergebung an. Suchend nach meiner Zustimmung, ihm weiterhin zu vertrauen. Mein Herz schmolz dahin. Niemand war jemals so emotional abhängig von mir, niemandem waren meine Entscheidungen so wichtig. “Ich verzeihe dir, denn du bist das Einzige, das für mich noch zählt”, gab ich zu, kniete mich hin und schlang meine Arme um den Mann. Es wirkte so befreiend, endlich zu wissen, jemandem wichtig zu sein - und zwar wirklich wichtig. Es fühlte sich so an, als hätte man mich aus diesen schweren Ketten, die mich jahrelang belasteten, befreit. Nichts hinderte mich mehr daran, weitere Schritte zu wagen. “Ich beseitige die Scherben vom Glas, bevor dir noch was passiert”, meinte Yami und stand auf. Meine Augen blieben an den Splittern kleben - sie waren so glänzend und scharf. Perfekt, um Haut zu schneiden. Um den seelischen Schmerz für einen Moment zu vergessen. Mich überkam eine verdammt starke Versuchung, es war so verlockend. Yami war gerade dabei, die Splitter vorsichtig auf einen Haufen zu tun, als er meinen Drang verspürte. Augenblicklich blickte er zu mir hoch und war entsetzt. “Ryou…”, flüsterte er besorgt und schüttelte leicht den Kopf. Er ließ den Scherbenhaufen liegen und kam wieder zu mir ins Bett. “Nicht dran denken, Kleiner”, bat er mich, verwickelte mich in einen total unerwarteten Kuss. Er nahm mein Gesicht in die Hände und strich mit seinen Daumen über meine Wangen. Ich fühlte mich so geliebt. So, so geliebt. Wir lösten uns langsam voneinander, bevor Yami mir eine Frage stellte; “Würdest du dich wirklich besser fühlen, wenn du dieses Bedürfnis befriedigst?”. Ich zögerte lange, nickte dann aber schließlich. Der Weißhaarige hob eine Scherbe auf und drückte sie mir in die Hand. Ich zeichnete mit der Spitze einen geraden, langen Strich auf mein Handgelenk und atmete laut aus. Ich schloss die Augen und spürte, wie mir das Blut über die Haut ronn. Es tropfte auf meine Bettwäsche. Ein zweiter Schnitt folgte und ich wusste, ich werde nicht aufhören können. Ich öffnete verwirrt die Augen, als ich plötzlich ein seltsames Gefühl an meinen Wunden spürte; Yami schleckte mir das Blut mit seiner Zunge weg. Es erinnerte mich ein wenig an Aurora, wenn sie sich putzte. Perplex starrte ich den Mann an, der mir am Arm herumschleckte. “Es brennt, richtig? Ich will nicht, dass du Schmerzen spürst”, seine Lippen waren voller Blut. Kapitel 13: "Ich bin nicht sehr sanft" | Yami --------------------------------------------- Ich wollte nicht, dass er weiter macht. Ich wollte nicht, dass er sich selbst noch mehr Schmerzen zufügt. Ich riss ihm die Scherbe aus der Hand und warf sie auf den Boden. In meinem Mundinneren schmeckte ich Blut, welches ich von Ryus Handgelenken abschleckte. Ich fuhr fort und meine Zunge glitt über seinen ganzen Arm, hinüber zu seiner Schulter und letztendlich liebkoste ich ihn an seinem Hals. Ryu schloss die Augen und ließ es über sich ergehen. Mit leichten Bissen verursachte ich eine ordentliche Gänsehaut beim Weißhaarigen. “Yami…”, hauchte er mit halb offenen Augen und vergrub seine Hände in meinen Haaren. Die Lust überkam mich und ich hatte den Anschein, es wäre mir erlaubt, sie mit ruhigem Gewissen auszuleben. Wenn Ryu etwas nicht wollen würde, hätte ich das schon längst gespürt. Und ich würde sofort aufhören, wenn ihm etwas nicht passen würde. Ich sagte, ich gebe Acht auf ihn, und dieses Versprechen werde ich niemals brechen. Der 17-jährige begann, mich hektisch zu küssen; auch ihn hatte das Verlangen geschnappt. Sein Herz pulsierte und er atmete schwer. Ich konnte sehr gut wahrnehmen, wie erregt der Kleine war - jedoch bahnte sich die Angst und die Unsicherheit ebenfalls ihre Wege in ihm. Immerhin kannte er diese Situation nicht, das würde sein erstes Mal werden. Es war aber erstaunlich, wie er diese Zweifel keineswegs äußerlich zeigte; man erkannte nur diese stets steigende Gier nach mehr in ihm. Und das turnte mich so richtig an. “Ich muss dich aber warnen”, sagte ich mit einem fast bestialischem Grinsen. “Ich bin nicht besonders sanft”, flüsterte ich, sodass Ryu erschauderte. In ihm bildete sich eine seltsame Mischung aus Angst und Neugierde. Natürlich wusste er, dass er empfindlich war und nicht viel aushielt. Andererseits reizte ihn dieses Neue, dieses Unbekannte, das auf ihn zukommt. Mein Süßer wusste gar nicht, wie ihm geschieht. Ich zog ihm das Shirt aus und betrachtete seinen Oberkörper; er war zierlich, aber trotzdem wunderschön. So eine reine, unschuldige Aura strahlten nur die wenigsten Menschen aus. Vielleicht lag es daran, dass es kaum noch ehrliche Menschen gab. Ryu war so rein, schüchtern und zurückhaltend. Das, was mir in diesem Moment besonders daran gefiel, war, dass diese Art mit Erregung und grenzenlosem Verlangen gepaart wurde. Es machte mich so an, dass mein Schützling gerade so bedürftig war und mir in den nächsten Minuten an die Wäsche gehen würde. Ich küsste seinen Oberkörper und war dabei, seine Boxershorts auszuziehen. Sein Glied war schon ganz hart und wartete nur darauf, angegriffen zu werden. Splitternackt saß er vor mir und blickte mir mit leicht geröteten Wangen in die Augen. Ich starrte eine Weile auf seinen Penis, bis ich wieder anfing, seinen Körper mit Küssen zu versähen. Ryu unterbrach mich aber dabei, indem er mir auch mein Shirt auszog. Gleich danach öffnete er meinen Gürtel, streifte mir die Jeans ab, gefolgt von meinen Boxern. Auch bei mir fand sich ein steifes Glied und der Bleichhaarige staunte nicht schlecht. “Oh mein Gott…”, hauchte er und konnte seinen Blick einfach nicht abwenden. Augenblicklich drückte ich ihn runter; “Nimm ihn in den Mund!”. Ich klang befehlend und ungeduldig. Ryu nahm mein bestes Stück in den Mund und zitterte vor lauter Erregung. Ich packte ihn fest an den Haaren und zog hin und her. Genüsslich stöhnte ich auf und legte meinen Kopf in den Nacken. Seine Lippen waren sehr weich, glitten wunderbar über meinen Penis. Der Anblick machte mich so geil, dass ich den Kleinen am liebsten sofort umgedreht und gefickt hätte. Sein Kopf glitt hin und zurück, hin und zurück. Mein Stöhnen wurde lauter und ich krallte mich fester an seine Haare, worauf er einen Laut von sich gab. “Hab’ ich dir weh getan?”, fragte ich provozierend, ließ ihm aber keine Gelegenheit, um zu antworten, drückte seinen Kopf ganz nah an mich. Ryu sah zu mir hinauf, seine Augen funkelten mir entgegen - ein schönes Braun. “Willst du in meinen Arm?”, wollte ich mit ruhiger Stimme wissen, worauf ich ein Nicken als Antwort bekam. Ich ließ seine Haare los und strich drüber. Er war gerade dabei, meinen Penis aus dem Mund zu nehmen, als ich ihn wieder hineinstieß und mit schnellen Bewegungen fortfuhr; “Du bewegst dich hier nicht weg, bevor ich dir nicht in den Mund gespritzt habe!”. Seinen Kopf drückte ich in meine Richtung, sodass ich fast ganzheitlich in ihm drinnen war. Mein Stöhnen verwandelte sich in ein hektisches Keuchen. Ich rammte mein Glied immer wieder rein und kam schließlich zum Höhepunkt; ich ergoss mich in Ryus Mund. “Schluck’!”, befahl ich und war ganz außer Puste. Man hörte ein lautes Schlucken, was mich anmachte. Ich zog meinen Penis aus seinem Mund und begutachtete meinen Liebsten, las seine Stimmung; Ich spürte, dass er mehr wollte. Ihn schüchterte meine Dominanz nicht ein, was ich Anfangs vielleicht befürchtet hatte. Sobald er aber auch nur das kleinste Anzeichen macht, dass es ihm unangenehm wird, wird die Aktion hier abgebrochen. Ich werde dich zu Nichts zwingen, mein Süßer. Ryu richtete sich auf und legte seine Arme um mich, sein Puls war erhöht. Er wollte mich gerade küssen, als ich plötzlich sein Glied in die Hand nahm und es stimulierte. Ein unkontrollierter, lauter Stöhner verließ seinen Mund. “Hör auf…”, winselte er und sah mich schon fast verzweifelt an, die Lippen aufeinander gepresst. “Sonst was?”, grinste ich und verschnellerte meine Bewegungen. “Sonst komm’ ich”, stieß er keuchend heraus. “Stimmt”, sagte ich mit einem bösartigen Grinsen, wartete, bis er fast vorm Höhepunkt war, und hörte blitzartig auf. Ryu wollte es selbst beenden, ich griff mir aber seine Handgelenke. Flehend wurde ich angesehen. “Du Arschloch”, entglitt es Ryu unter keuchendem Atem. Er zuckte und gab leidende Laute von sich. Leise lachte ich auf. “Weißt du, was ich glaube?”, fragte ich amüsiert. Ich wurde fragend und zugleich winselnd angesehen. “Ich glaube, dass du mir noch einmal den Schwanz schön durchbläst!”, mit dieser Aussage drückte ich ihn wieder runter und schob meinen Penis in das feuchte Gebiet. Erneut griff ich fest in sein weiches Haar. Ryu begann, zu masturbieren, und ergoss sich auf der Bettdecke. Er stöhnte genüsslich und ausgiebig, während ich ihm immer wieder mein Glied in den Mund rammte. Ein großer Fleck zierte seine Decke und der Kleine bebte. Er ließ sich nach hinten fallen und schnaufte einige Male, bevor er noch ein letztes Mal aufstöhnte. “Und jetzt fick mich gefälligst!”, er hatte noch immer nicht genug. Kapitel 14: "Du bist ein Miststück!" | Ryou ------------------------------------------- Völlig fertig lag ich in meinem Bett, hatte aber immer noch nicht genug von dem, was hier gerade abging. Trotz der unsanften Griffe von Yami erregte mich jede einzelne Sekunde des Geschehens. Vielleicht aber nur, weil es meine aller erste sexuelle Erfahrung mit einer anderen Person ist? War ich verliebt oder einfach nur geil? Oder beides? Ich warf die Frage aus meinem Kopf und konzentrierte mich sofort wieder auf den perfekten Mann vor mir. “Wer hätte gedacht, dass du so sein kannst”, fragte Yami mit einem neugierigen Unterton und begutachtete mein Gesicht. Er strich mit seinem Zeigefinger über mein Nasenbein, berührte danach meine Lippen und flüsterte; “Alles in Ordnung?”. Ich gab ein zustimmendes “Ja” von mir und schmiegte mich an seine Brust. Es war sehr fürsorglich von ihm, nach meinem Zustand zu fragen. Es machte mich glücklich. “Na dann kann es ja weitergehen”, meinte Yami grinsend und drehte mich auf den Bauch. Er knetete meine Pobacken und stöhnte kurz leise. “Du hast so einen schönen Arsch”, hauchte der Mann und verstärkte seine Bewegungen. Und ich fühlte mich schön. Ich fühlte mich so schön. Mein Gesicht, meine Haare und mein gesamter Körper gefielen Yami - und diese Besätitgung löste ein solch angenehmes Gefühl in mir aus, dass ich leicht lächeln musste, obwohl mir in dem Moment eher nach Stöhnen zumute war. Ich war zum ersten Mal in meinem Leben für jemanden wunderschön. Mein Gedanke wurde unterbrochen, als ich spürte, wie sich ein Finger in meinen After schob. Scharf sog ich die Luft ein und schloss meine Augen. Yamis Hände waren größer als meine und die Finger waren auch sehr breit. Ich mochte die Tatsache, dass er größer und muskulöser war, als ich. Um ehrlich zu sein, turnte er mich seit der ersten Nacht an. Natürlich nur als flüchtiger Gedanke, da ich ja das erste Mal in Panik ausgebrochen bin. Aber ich dachte mir ungefähr so etwas, wie: Gott, scheiße! Da ist ein Fremder in meinem Zimmer! Ein ziemlich geiler, aber dennoch!! Ich krallte mich an der Bettdecke fest, als Yami drei Finger in mich steckte. “So jemand, wie du, hat wahrscheinlich kein Gleitgel im Zimmer, hm?”, seine Stimme war gefüllt mit Erregung. “I-ich hab Vasel-line in der zweit-ten Schu-schubla-ade”, stammelte ich und genoss weiterhin die Bewegungen des Mannes. Dieser griff sich die kleine Packung Vaseline aus meinem Nachtkästchen, schmierte es sich auf seine Finger und rammte diese erneut in meinen After. Er klatschte mir auf den Po und zog unsanft an meinen Haaren. Ich unterdrückte einen Schrei und presste meine Lippen zusammen. Ich setzte mich auf, drehte mich zu ihm und sah, dass er masturbierte. Sein Penis war wirklich groß und einfach nur perfekt. “Auf die Knie!”, befahl er fast ungeduldig, griff dann aber selbst ein; Yami drehte mich um, klammerte seine Hände um meine Oberarme und zog sie stark runter, sodass ich augenblicklich auf allen Vieren war. Er zog absichtlich nicht an meinen Handgelenken, weil er wusste, ich habe Narben darauf. Ich presste meinen Hintern verlangend gegen sein Glied, atmete tief. “Ich hab’ keinen Platz, hör auf damit!”, Yami klatschte mir fest auf den Arsch und schob mich etwas weiter nach vor. Er spreizte meinen Hintern, um dann vorsichtig mit seiner Eichel in das Loch einzudringen. Er wollte mir in dieser Situation auf keinen Fall weh tun, weil ich hier - im Gegensatz zum Haareziehen und des Weiteren - bleibende Verletzungen bekommen konnte. Als er seinen Penis irgendwann ganz in mir drinnen hatte, ließen wir beide einen langen Stöhner aus. “Alles in Ordnung?”, wollte er wissen, worauf ich wieder bestätigte. “Na dann kann ich dich ja halbtot ficken!”, schloss er knapp an meiner Antwort an und begann, sein Glied sehr schnell rein- und rauszuziehen. Ich atmete tief ein und aus, krallte mich am Bett fest und biss die Zähne zusammen. Seine Bewegungen waren schwungvoll und rythmisch, hastig und wild. Seine Hände waren auf meinen Hüften platziert, seine Hoden stießen immer wieder gegen mich. “Du bist ein Miststück!”, kam es laut von Yami, der sich an meinen Haaren vergriff und fest an diesen zog. Mein Genick war nun belastet, ich bekam noch schwer Luft, wobei ich diese sehr dringend brauchte; ich stöhnte fast pausenlos. Yami schien trotz der vielen, schnellen Bewegungen nicht den Takt zu verlieren. “Lass bitte los”, brachte ich mit Mühe heraus und merkte, dass das der erste Moment war, in dem es mir wirklich zu viel wurde. Sofort löste er den Griff und streichelte daraufhin meinen Kopf zärtlich. “Tut mir Leid”, gab er von sich, hörte aber noch immer nicht auf, mich zu vögeln. “Aber du bist trotzdem ein Miststück!”, fügte er hinzu und klatschte mir sehr fest auf den Po. Ich begann, mit meiner rechten Hand meinen Penis zu massieren, ehe Yami meine beiden Hände nahm, sie auf meinen Rücken platzierte und fest hielt; “Du Luder wirst dich hier nicht ergießen, bevor du richtig ordentlich von mir durchgenommen worden bist!”. Er liebte es, mich zu quälen. Man merkte es, er liebte es einfach. Trotz der Anstrengung, die es erfordert, sein Becken minutenlang hin und zurück zu bewegen, schien Yami nicht zu ermürden und machte mich mit seinen Bewegungen einfach nur wahnsinnig. Mein Glied war total steif und ich war so erregt, wie noch nie in meinem Leben. Plötzlich aber zog Yami seinen Penis raus. Verwundert drehte ich mich um, immer noch knieend. Er masturbierte. Mit seiner linken Hand drückte er meinen Kopf etwas runter und befahl mir, mich nicht zu bewegen. “Soll ich ihn in den Mund nehmen?”, fragte ich noch sehr angeturnt mit halb offenen Augen. “Miststück!”, rief er laut und spritzte mir direkt ins Gesicht. Ein sehr lauter, langgezogener Stöhner war zu hören und Yami legte den Kopf in den Nacken. Im ganzen Gesicht hatte ich nun Sperma verteilt, er hatte sich sehr ausgiebig ergossen. Der Weißhaarige umklammerte daraufhin mein Glied und bewegte seine Hand rasch rauf und runter, sodass auch ich zum Höhepunkt kam. Yamis Hand war nun voll mit meiner Ejakulation. “Nicht nur weiße Haare stehen dir”, sagte er verlegen und schmierte mir das Sperma, das er auf seiner Hand hatte, in mein Gesicht. Ich aber war viel zu befriedigt, um ein Wort darüber zu verlieren. Unverschämt drückte er mich dann tatsächlich noch sein schlaffes Glied zwischen die Lippen, befahl mir, es mit meiner Zunge zu streicheln. “Vielleicht fick’ ich dich nochmal, wenn du schläfst”, verriet er mir grinsend und zog seinen Penis aus meinem Mund. “Ich liebe dich auch”, gab ich von mir und hatte erst einmal genug für diese Nacht. Kapitel 15: Splitter | Ryou --------------------------- Im Halbschlaf hörte ich, wie die Vögel draußen zwitscherten und mir wurde klar, dass die Nacht vorbei war. Die Nacht - diese Nacht… Ich öffnete langsam meine Augen und starrte an die Decke, atmete tief aus. Hatte ich gestern tatsächlich mein erstes Mal? In mir bildete sich ein sehr komisches Kribbeln, das mir bis in die Zehen reichte, ich biss mir auf die Unterlippe und begann, zu grinsen. Ich richtete mich auf, fuhr mir durch meine ungekämmten Haare und stand auf, als ich plötzlich einen lauten Schrei von mir gab - ich trat auf Glasscherben, und vor meinen Augen spielte sich ein Flashback ab; Aurora warf das Glas um, und Yami wollte die Splitter, die er auf einen Haufen getan hatte, gerade beseitigen, als mich der Drang überkam, sie über meine Haut zu fahren. Es war kein Traum. Es war kein Traum. Es war kein Traum. Er ist real. Mit Schmerzen im linken Fuß plumpste ich zurück ins Bett, bemerkte, dass eine Scherbe in mein Fleisch eingedrungen war. Die Türe ging plötzlich auf und meine Mum fragte besorgt, was passiert ist. Als sie sah, dass ich mir meinen Fuß hielt, und diesen genauer betrachtete, war sie schockiert. “Ryou! Ich rufe die Rettung!”, meinte sie und stürmte aus dem Zimmer, als sich Dad augenblicklich vor sie stellte. “Was ist denn jetzt schon wieder?”, fragte er und trat zu mir. Herablassend blickte er meine Wunde an und lachte auf, bevor er sich wieder umdrehte. “Wir müssen die Rettung rufen!”, kam es panisch von Mum, worauf Dad nur sagte, ich solle mir den Splitter rausziehen und Ruhe geben. Es dauerte nicht lange, bis meine Eltern anfingen, lautstark zu schreien und sich zu streiten. Sie trugen den Streit in die Küche und ich hörte nur, wie sie sich gegenseitig sagten, dass sie schon lange Nichts mehr füreinander fühlten - mein Herz zersprang in tausend Splitter. Leise begann ich, zu weinen, zu schluchzen, fast zu ersticken. Ich ertrug Dads Verhalten zwar nicht, aber ich konnte nicht mit dem Gedanken leben, ein Scheidungskind zu werden. Ich wollte in einer Familie leben, ich wollte ein normales Kind sein. Ich wollte einfach nur ein normales Leben führen. Mum redete davon, dass sie sich schon lange scheiden lassen wollen würde, und dann war es einen Moment lang still. “Du kannst den Jungen haben!”, behauptete Dad und erneut zersprang mir mein bereits kaputtes Herz. Du kannst den Jungen haben… Ich wusste nicht, ob die Schmerzen im Fuß stärker waren als die, die ich emotional spürte. Ich wusste nicht, wo ich hingehörte und was ich mit meinem Leben anfangen hätte sollen. So gerne hätte ich einfach die Türe zugesperrt, um mir das nicht anhören zu müssen, aber ich konnte nicht auftreten. So saß ich einfach auf meinem Bett und weinte, während ich den Milleniumsring fest in den Händen hielt. “Yami”, flüsterte ich mit brechender Stimme. “Wo bist du”, fragte ich ins Leere und konnte nicht beschreiben, wie gerne ich ihn gerade bei mir gehabt hätte. Wo bist du, Yami. Wo bist du. In meinem Zustand konnte ich unmöglich zur Schule gehen - im wahrsten Sinne des Wortes. Ich wischte mir die Tränen weg und versuchte, mich zu beruhigen. Gleich danach aber erwischte mich wieder ein Weinkrampf, worauf ich meine Beruhigungstabletten schluckte. Ich fand schon immer, dass sie ziemlich süß aussahen, so klein und rosa. Eine Weile starrte ich die rundlichen Tabletten an, und so komisch es auch klingen mag, ihr niedliches Erscheinungsbild machte mich glücklich. Ich schmunzelte. Der Gedanke aber, wieder Medikamente zu schlucken, brachte mich zur Weißglut. Ich saß da, ein wütender Teenager, dem zu Heulen zumute war und eine Packung rosaner Tabletten anstarrte, während in seinem Fuß ein Glassplitter steckte, der der Beweis dafür war, dass es einen Geist, der im Inneren seines Schmuckstückes lebte, wirklich gab. Das war ich gerade. Und es fühlte sich so unreal an. Zu dem Zeitpunkt fragte ich mich, ob Yami nur in der Nacht auftauchen kann, und wenn ja, weshalb. Ich fragte mich, ob ihn andere Menschen sehen könnten und wie sie darauf reagieren würden, ob man ihn sogar mit mir verwechseln könnte. Einige Theorien bildeten sich in meinem Kopf, während mein Fuß pulsierte. “Mum, ich hab’ wirklich Schmerzen!”, rief ich so laut ich konnte, in der Hoffnung, den Streit meiner Eltern zu übertönen. Ich war mir nicht wirklich sicher, ob sie mich gehört hatte. “Mum!”, meine Stimme zitterte und ich begann vor lauter Verzweiflung fast wieder, zu weinen. Da ich meinen Fuß so anspannte, verkrampfte er sich, und ich schwörte, nie wieder in meinem Leben “Schlimmer kann es nicht werden” zu denken. “Der Junge ist viel zu verwöhnt! Wenn du die Rettung rufst, wird er nie lernen, Schmerzen auszuhalten!”, Dad hörte sich aggressiv und angriffslustig an. Ich schluckte. Hoffentlich tut er Mum Nichts an… Es ist schon einmal passiert, dass er sie geschlagen hat. Ich glaube, das war ein Jahr zuvor - ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, worüber sie stritten, aber es war ziemlich schlimm für mich. Mum kam mit einem blauen Auge davon. Es schien so, als würde ich jeden negativen Gedanken durchgehen, um eine Entschuldigung dafür zu haben, um weinen zu dürfen. Hat es Dad schon so weit gebracht, und mir das Gefühl gegeben, als Mann nicht weinen zu dürfen? Hat er das wirklich geschafft? Ich werde ihn diesen Kampf nicht gewinnen lassen. Ich bin etwas Besonderes und werde ihm das auch zeigen. Ein komischer Druck bildete sich in meinem Brustkorb, als ich merkte, dass ich mich für etwas Besonderes hielt. Yamis Worte. Ich fühlte mich so unbeschreiblich besonders bei ihm, ich fühlte mich so schön. So wunderschön. In diesem Moment wäre ich gerne in seinem Arm gelegen. Er hätte mich beruhigt und mir übers Haar gestrichen. Einen Moment schloss ich die Augen und stellte mir vor, seinen muskulösen Körper an meinem zu spüren und geborgen zu sein. Er war mein Halt, er war meine Stütze, er war mein alles. Ich erschrack, als man einen lauten Aufprall aus der Küche hörte. “Mum?!”, schrie ich entsetzt und voller Furcht, doch es kam keine Antwort zurück. Die Stimmen, die vorher stritten, verstummten, und ich wusste nicht, was ich fühlen hätte sollen. Kapitel 16: Schmerzen über Schmerzen | Ryou ------------------------------------------- Da ich die Schmerzen nicht aushielt, rief ich selber die Rettung. Außerdem hätte ich dann erfahren können, was Mum passiert war. Ich streckte meine Hand mit viel Mühe aus und griff nach dem Handy, in das ich die drei Zahlen eintippte, und meinen Unfall beschrieb. Ebenfalls kündigte ich an, dass meiner Mutter etwas passiert sein könnte. Der Mann gab eine ungefähre Zeit von 10 Minuten an. Ich bedankte mich und legte auf. “Wehe, du hast ihr etwas angetan…”, drohte ich meinem Vater indirekt mit geschlossenen Augen. Ich presste die Lippen zusammen und atmete tief aus. Aurora kam ins Zimmer und miaute laut, als hätte sie mir etwas sagen wollen. Ihre schwarzen Pupillen waren geweitet und füllten fast das ganze Auge aus. Erneut miaute sie und stupste mein Schienbein mit ihrer Nase. Ich blickte sie eindringlich an, machtlos. “Kleine, ich kann Nichts tun”, sprach ich zu ihr und streichelte ihren Kopf. Sie sprang auf meinen Schoß und machte es sich dort gemütlich, schien aber trotzdem noch sehr angespannt und nervös. “Weißt du, was passiert ist?”, fragte ich sie zart. In innerhalb weniger Minuten hörte ich Sirenen draußen schrillen. Mein Vater öffnete verwirrt die Türe, sagte den Sanitätern, sie sollen raus aus seiner Wohnung. “Und Sie sollten sich besser auf eine Anzeige wegen Körperverletzung vorbereiten”, entgegnete einer der Männer. Ich fragte mich, was mit Mum passiert war, ehe Aurora von meinem Schoß sprang, weil ein ihr Fremder die Treppe hinaufkam. “Ah, und Sie sind der mit dem Splitter”, erinnerte sich der Herr und kniete sich nieder, um sich meinen Fuß genauer anzuschauen. Er verband ihn mit einem eher dickeren Stoff, bevor ich in den Rettungswagen gebracht wurde. Gleich darauf wurde Mum neben mir hingelegt, ihr Gesicht war blass und sie schien nicht bei Bewusstsein zu sein. Geschockt und besorgt blickte ich den reglosen Körper an, hoffte, es war nichts all zu Schlimmes. “In der Küche befand sich eine zersplitterte Vase. Wir nehmen an, dass man diese nach ihr geschmissen hat”, informierte mich der blonde Mann, der den Puls von Mum checkte. Dad hat eine verdammte VASE nach ihr geworfen?! Ich schloss die Augen und presste die Lippen gegeneinander, am liebsten hätte ich aggressiv losgeschrien. Ich bin vielleicht nur ein schwächlicher, 17-jähriger Sohn aber ich kann sehr wohl auch unangenehm werden. Dieser Idiot kann doch nicht einfach so meine Mum verletzen - schon wieder. Der Wagen fuhr sehr schnell und die Welt schien sich so schnell zu verändern, wenn man aus dem Fenster sah. All die Menschen, die Häuser und die Bäume rasten an uns vorbei, und es fühlte sich so an, als wäre ich in der Zeit stehen geblieben. Ein kalter Schauer machte sich in mir breit, worauf ich mich kurz schüttelte. “Alles in Ordnung?”, fragte einer der Sanitäter, worauf ich eifrig nickte. Die Schmerzen in meinem Fuß hatte ich für einen Moment wegen der Wut vergessen. Es brauchte einen Moment, bis ich wieder zu mir kam, und die Situation, in der ich eigentlich war, wieder erkannte. Als das Fahrzeug hielt, fragte ich mich, was mit Mum passieren würde. Wird man sie in die Notaufnahme schicken? Meine Finger zitterten stark; es tat mehr weh, Mum so zu sehen, als der Schmerz in meinem Fleisch. Einer der Männer erhob sich, schob die Türe auf und verkündete;“Den Jungen in Zimmer 45a und die Dame 19f”. Ich erschrack kurz, als ich in einen Rollstuhl gesetzt wurde, der soeben geholt wurde. Mit diesem wurde ich in mein verordnetes Zimmer gebracht, ehe ich sah, wie Mum hastig von den Männern wo anders hingetragen wurde. Wird man sich gut um dich kümmern? Ich wurde in einen kleinen Raum gebracht, wo bereits ein Arzt drinnen war. Die Sanitäter setzten mich vorsichtig auf die Liege und verließen das Zimmer, als sie mich richtig positioniert hatten. Ich erläuterte kurz meine Situation, ehe der Doktor ein paar Instrumente und eine Spritze auf seinem Tisch vorbereitete. Meine Spritzenphobie kehrte seit Langem wieder zurück und ich versuchte mir einzureden, dass ich mich nicht fürchten solle; dennoch wurde ich ganz panisch. “Ausatmen”, befahl der Arzt und stach mit der Spitze ein, als ich seine Worte befolgte. Es piekste und danach kam dieses unangenehme Gefühl, wenn dir die Flüssigkeit in den Körper transferiert wird. Als er fertig war, schüttelte ich mich kurz vor Ekel. Mein Fuß wurde betäubt und der Mann begann, mit seinen verschiedenen Werkzeugen herumzutun. Während er dies tat, starrte ich an die Decke und fragte mich, ob ich heute noch entlassen werden konnte oder ob ich eine Nacht hier bleiben müsse. Meine Aufmerksamkeit wurde erregt, als ich ein eigenartiges Gefühl an meinem Fuß spürte; der Splitter war draußen und die Wunde wurde genäht. Es war sehr komisch, dabei zuzusehen, wie deine Haut zusammengeflickt wird. Vor jedem Stich denkst du, du wirst gleich vor Schmerzen umkippen, obwohl du einfach garnichts davon spürst. Während der Doktor flickte, war es still. Ich starrte auf den Splitter, der mit Blut übersäht war. Er war ziemlich groß und ich konnte von Glück reden, dass er nicht irgendeine Sehne verletzt hat. “Wir wären fertig”, wurde ich informiert. “Ich habe Ihnen den Fuß mit einem sehr robusten, aber nicht all zu dickem Verband umwickelt. Sie sollten noch in Ihre Schuhe passen”, er klang sehr entspannt. Ich meisterte es, meinen verbundenen Fuß in den Schuh zu packen, und hatte somit keine Zweifel mehr, ob ich nach Hause kommen würde. “Falls etwas passieren sollte, einfach anrufen!”, waren die letzten Worte an mich, bevor ich mich auf den Weg Heim machte. Meine Bewegungsgeschwindigkeit litt nicht unter meiner Verletzung, es war alles wie immer. Ich musste mich erst einmal orientieren, wo genau ich war und mit welchen Verkehrsmitteln ich nach Hause kommen würde. Es war schon dunkel und die Wege waren nicht mehr so gut zu erkennen. Ein Taxi hupte mich an, als ich auf der Suche nach einer Straßenbahnhaltestelle war. “Brauchen Sie ein Taxi?”, wollte der dunkelhaarige Fahrer wissen. “Ich hab’ nur nen 10er dabei”, antwortete ich etwas schüchtern und zuckte mit den Schultern. “Kommst du gerade aus dem Krankenhaus dort?”, führte er das Gespräch weiter, worauf ich nickte. “Dann steig’ ein; ich nehm' dich gratis mit”. Kapitel 17: Herausforderung | Ryou ---------------------------------- Etwas misstrauisch war ich anfangs, doch es war ein öffentliches Taxi. So stieg ich ein und verriet dem Fahrer meine Adresse. Er tippte diese in sein Navigationssystem und folgte der Spur. Sobald er sich die nächsten Meter gemerkt hatte, brach er die Stille; “Leute, die aus dem Krankenhaus kommen, haben entweder etwas hinter sich oder haben jemanden besucht, der ihnen am Herzen liegt”. Ich nickte, was er durch den kleinen Spiegel über ihm wahrnahm. “Und diese Leute haben eine nette, kleine Geste verdient. Außerdem ist es heiß und du siehst fertig aus”, er sah konzentriert auf die Straße. “Danke für’s Mitnehmen”, meine Augenlider wurden schon etwas schwerer. Der ganze Stress hatte mich so schwach gemacht. Während der Fahrt unterhielt ich mich noch mit dem Fahrer darüber, dass es nie wem geschadet hat, ein guter Mensch zu sein und dass das mehr Leute einsehen sollten. Er setzte mich vor meiner Stiege ab. “Warten Sie”, warf ich ein und kramte fünf Dollar heraus, die ich ihm übergab. “Es sollte echt mehr Personen davon geben, nicht wahr?”, so verabschiedete ich mich von ihm. Sein Lächeln blieb mir sehr gut in Erinnerung. Ich sperrte die Türe auf, ging in die Stiege und stand dann vor meiner Wohnungstür. Dad ist hier drinnen. Er hat Mum mit einer Vase beworfen… Ich wurde wieder so wütend, es war unbeschreiblich. Vielleicht war er ja sauer, dass ich die Rettung gerufen hatte. Vielleicht würde er mich gleich anschreien. Entschlossen öffnete ich die Türe und trat ein, ehe ich hinter mir wieder zumachte. Leise zog ich mir die Schuhe aus und ging auf Zehenspitzen durch das Wohnzimmer - niemand zu sehen. Ich stieg die Treppe hoch und wollte in mein Zimmer, als ich sah, dass die Türe offen stand und Aurora davor war. “Aurora!”, rief ich freudig. “Du bist also zurück”, erklang es düster vom Zimmer meiner Eltern. Vielleicht hatte ich mich etwas zu laut über meine Katze gefreut. Tief atmete ich durch und drehte mich zu meinem Vater um, der mich böse anfunkelte. “Ich hab’ eine Anzeige am Hals”, sein Blick durchbohrte mich. “Hast du verdient”, behauptete ich entschlossen und stand ihm selbstsicher gegenüber. Augenblicklich ohrfeigte er mich und man hörte ein deutliches dumpfes Geräusch. Immer noch sahen wir uns an, es wurde still. Leicht zitternd blieb ich am selben Platz, wich nicht von der Stelle. “Ich habe keine Angst vor dir”, meine linke Wange schmerzte und fühlte sich gleichzeitig taub an. “Solltest du aber, du respektlose Schwuchtel!”, er holte nochmal aus und schlug auf die selbe Stelle ein. Mutig schluckte ich die Angst hinunter und blieb weiterhin stehen. Das Licht aus dem Zimmer meiner Eltern leuchtete und bot uns ein halbbelichtetes Gesicht unseres Gegenübers. Mein Vater zog eine Augenbraue hoch und fragte mich, seit wann ich - angeblich - nicht mehr vor meinen Problemen davonlaufe. Ich gab keine Antwort, wartete nur darauf, dass wir die Sache geklärt hatten, obwohl es für die Beziehung zwischen uns keine Lösung hatte. Er würde sich nie ändern, weil er keinen Respekt mehr vor seinem eigenen Sohn hatte. Er würde ihn nie tolerieren. Er würde ihm nie den nötigen Raum geben, sich weiter zu entwickeln. Er würde nie. “Du hast gewaltsam Hand an eine Frau gelegt. Und du nennst dich einen Mann?”, mein Ton war ernst und tief. Er war überrascht über meine Aussage, konnte nicht glauben, dass ich einer seiner 0815-Sätze gerade selber verwendete. “Schwing’ dich und deine große Klappe in dein Zimmer!”, befahl er und wusste nicht, wie er sich hätte rausreden können. Spottend lachte ich kurz und drehte mich um. Auch er ging in sein Zimmer und knallte die Türe zu. Ich griff sofort zu meinem Handy, um Mum anzurufen. Sie hob nicht ab und ich fragte mich, was man mit ihr gemacht hat. Im Internet suchte ich mir die Nummer des Krankenhauses heraus und rief an. Mich gut erinnernd fragte ich nach der Patientin in Raum 19f. Die Frau leitete mich weiter. Als mich dann wieder eine weitere weibliche Stimme begrüßte, stellte ich die selbe Frage nochmal. “Die Patientin schläft noch und muss erst einmal wieder zu Bewusstsein kommen. Sie ist jedoch hundert prozentig außer Lebensgefahr”, berichtete sie mir mit einer ruhigen Stimme. Ein Stein fiel mir vom Herzen. “Wann kann ich sie besuchen kommen?”, wollte ich hektisch wissen. “Schwer zu sagen. Wir rufen Sie an, wenn sie wieder bei Bewusstsein ist”, kam es verständnisvoll aus der anderen Leitung. Ich bedankte mich und legte auf. Gleich darauf ließ ich mich ins Bett fallen und atmete tief aus. Es war ein sehr chaotischer Tag, der mich so einiges an Kraft kostete. Ich fragte mich, ob ich die nächsten Tage alleine mit Dad auskommen würde oder ob er mich noch weitere Male ohrfeigen wird. Meine Hand ruhte auf meiner linken Wange, während ich die Augen zusammenkniff. Kurz darauf erhob ich mich und ging in die Küche, um mir Eiswürfel in einen kleinen Beutel zu tun und gegen meine Wange halten konnte. Ich band den Beutel zusammen und nahm ihn mit in mein Zimmer. Aurora folgte mir und legte sich mit mir ins Bett. Laut miaute sie mich an. “Der Idiot hat dir das Halsband wieder zu eng gestellt”, merkte ich und lockerte es ihr. Sie miaute erneut, was mich vermuten ließ, dass sie Hunger hatte. Ich hätte mit meinem verbundenen Fuß nicht so viel gehen sollen, aber ich liebte Aurora und sie liebte mich auch. So füllte ich ihren Futternapf, der im Wohnzimmer platziert war. Ihren fast leeren Wassernapf machte ich auch voll und streichelte das Tier einige Male. Ich setzte mich auf die Couch und versuchte, mich zu entspannen. Wenn man aber versuchte, sich keinen Stress zu machen, war das ironischerweise selbst Stress. Ich hielt mir den kalten Eisbeutel gegen die Wange und zuckte kurz. Es kühlte, aber es war leicht unangenehm. Auroras Schmatzen war neben dem Ticken der Uhr das Einzige, das zu hören war. Die Fenster waren alle zu und es drangen kaum Töne herein. Bevor ich auf der Couch einschlief, rappelte ich mich auf und steuerte wieder in mein Zimmer. Bevor ich hineinging, warf ich einen wütenden Blick auf die Tür des Nebenzimmers; “Rache”. Kapitel 18: Rache | Yami ------------------------ Zweiundzwanzig Uhr - Zeit, den kleinen Ryou zu besuchen. Ich erschien ihm wohl zum richtigen Zeitpunkt; er lag depremiert in seinem Bett. Auf den zweiten Blick erkannte ich, dass seine linke Wange angeschwollen war, was ich vorher schon wusste. Während ich mich im Ring befand, spürte ich Angst und Schmerz in Ryou. Gegen Vormittag verletzte er sich stark und eine Zeit danach waren Sirenen von draußen zu hören. Ich glaubte, mich daran zu erinnern, dass es etwas mit seinem Fuß gewesen war. Seiner Mutter stieß ebenfalls etwas zu. Doch vor ein paar Stunden erreichte der Tag seinen Höhepunkt: Sein Vater schlug ihn. “War es dein Vater?”, fragte ich, ohne vorher einen Zusammenhang aufzubauen. “Ja und ich hasse ihn”, gab der Kleine verbittert von sich und seufzte laut. Ich wusste, dass er Probleme mit seinem Vater hatte. Doch niemand soll es wagen, Hand an meinen Schützling zu legen. Entschlossen erhob ich mich und marschierte aus dem Zimmer. Ryou fragte erschrocken, wohin ich gehe und dass man mich sehen könnte. Natürlich konnte man mich sehen - ich war real und die Rache höchstpersönlich. Dieser Wichser würde schon noch sehen, was passiert, wenn man meinem Kleinen gegenüber gewaltätig wird. Dieser Idiot hatte jeglichen Respekt vor seinem Sohn verloren, und das war keineswegs akzeptabel. Ich ging zuerst ins Wohnzimmer - kein Vater vorzufinden. Als ich jedoch in der Küche jemanden essen hörte, schmiegte sich ein schadenfreudiges Lächeln an meine Lippen, während ich gleichzeitig Zorn spürte. Ich betrat die Küche, woraufhin der Mann sein Brot fallen ließ. “Bist du gewachsen?”, kam es erstaunt von ihm. Ohne ihm zu antworten, packte ich ihn am Kragen, zerrte ihn zwei Meter mit mir mit, stieß ihn gegen die Wand und umschlang seinen Hals fest mit meiner rechten Hand. Der Vater zitterte und war über die Kraft seines ‘Sohnes’ erschrocken. Er konnte sich nicht von mir losreißen. “Wenn du Ryou noch einmal weh tust, kann ich dir nicht versprechen, dass ich dich nicht qualvoll sterben lasse”, fauchte ich wütend. Mein Gegenüber sah mich immer noch verwirrt und ängstlich an. Ich hatte das Bedürfnis, ihn in Stücke zu reissen und diese zu verbrennen, sodass Nichts mehr von ihm übrig blieb. Niemand, ich wiederhole, niemand schlägt meinen Ryou. Jeder, der es tut, soll seine gerechte Strafe bekommen. “Wieso redest du in der dritten Person von dir?”, der Mann ringte nach Luft, worauf ich begann, breit zu grinsen. “Wieso schlägst du meinen wunderschönen Ryou, du Dreckskerl?”, ich holte aus und schlug ihm auf die Nase. Diese blutete nun und der sonst so selbstsichere, freche Familienvater schien plötzlich so klein und verweichlicht, wie ein Schoßhündchen. Ein teuflisches Grinsen zierte mein Gesicht; “Und du nennst dich einen Mann?”. Er fühlte sich erniedrigt und in seinem eigenen Spiel geschlagen. So, wie es ihm recht geschah. Plötzlich hörte ich Schritte hinter mir - Ryou kam dazu. Er war in seinem Pijama und blickte regungslos zu uns. Sein Vater hingegen keuchte laut auf; “WAS GESCHIEHT HIER?!”. Natürlich dachte er, er würde wahnsinnig werden, da er nun seinen Sohn doppelt sah. Er fiel auf die Knie und blickte mit weit aufgerissenen Augen zwischen uns her. Das süße Honigbällchen im Pijama und ich, der rachsüchtige Serienkiller. Er war fassungslos, erhob sich und wollte in sein Zimmer rennen, ich aber schnappte ihn am Shirt und zerrte ihn ohne viel Mühe wieder zu mir. Er zitterte. “Du Schwein wirst meiner besseren Hälfte nie wieder etwas tun, haben wir uns verstanden?”, fragte ich ein letztes Mal. Verängstigt nickte er, bevor ich ihm noch einmal gegen die Nase schlug. Nun wusste er, wie es sich anfühlte, zweimal auf die gleiche Stelle geschlagen zu werden. Penner. Ich löste meinen Handgriff und er flitzte in sein Zimmer, knallte die Türe panisch zu und sperrte ab. Danach wandte ich mich wieder zu Ryou, der zu mir kam und mich drückte. Er sagte Nichts, aber ich spürte, dass ich seinem Dad die Art von Rache spüren ließ, die er sich gewünscht hatte. Alleine hätte er so eine Aktion jedoch nie zusammengebracht. Der zierliche, süße Ryou war nicht im Stande, jemandem derart Angst einzuflößen. Aber hey, dafür war ich ja da. Plötzlich begann er, zu lachen; “Der ist davon gelaufen, wie ein kleines Kind!”. Mit einem Grinsen im Gesicht nickte ich und starrte nach oben zur Türe, die er abgeschlossen hatte. Wie feige. Ich nahm Ryous Gesicht in die Hände; “Ich werde nicht zulassen, dass dich jemals wieder irgendwer anfasst”. Die Augen meines Gegenübers funkelten. Er fühlte sich beschützt und in Sicherheit. Erst jetzt bemerkte ich seinen verbundenen Fuß. So trug ich ihn zurück in sein Zimmer und legte ihn in sein Bett. Eine Weile starrte er mich an, bis er mir eine Frage stellte; “Kommst du eigentlich nur Nachts raus? Ich könnte dich tagsüber auch gut gebrauchen”. Ich lachte kurz auf, sah in die Ferne; “Um dir diese Frage ausführlich zu beantworten, würde ich gerne mit dir an einen schönen Ort gehen”. Ryou sah mich etwas verwirrt an. Immerhin war es schon Nacht und ich wusste, dass er um so eine Uhrzeit nur ungerne raus ging. Ich strich ihm durch seine weichen Haare und küsste seine Stirn. Er wusste natürlich nicht, wieso ich mit ihm an einen schönen Ort dafür gehen wollte und was für mich als schöner Ort zählte. Bevor ich ihm also seine Frage beantworten konnte, erschuf ich mit meiner Antwort nur neue Fragen. So schlug ich mit ruhiger Stimme vor; “Lass uns auf’s Dach gehen und die Sterne beobachten”. Ryou blinzelte verwirrt und konnte nicht so recht ahnen, was das nun sollte. Ich aber wollte ihm alles an einem ausgeglichenen Ort erklären, als in seiner Wohnung, mit der er schlechte Erinnerungen verband. Ich trug Ryou aus dem Bett, die Stiegen hinunter und half ihm, seine Schuhe anzuziehen. Er schlüpfte in seine Jacke und ließ mir den Vortritt. “Vertrau’ mir”, kam es entspannt von mir, bevor ich die Wohnungstüre aufmachte. Wir fuhren mit dem Aufzug bis zum Dachgeschoß. “Auf die Leiter”, sagte ich zu ihm und zeigte auf eine, die ungefähr vier Meter über dem Boden ihre erste Stufe hatte. Der Nachtspaziergang konnte beginnen. Kapitel 19: Heile Welt | Ryou ----------------------------- “Ich soll da rauf?”, fragte ich etwas nervös. “Na komm, ich helf’ dir”, Yami hob mich hoch und ich setzte meinen rechten Fuß auf die erste Stufe und hielt mich fest. Als ich oben angekommen war, kam Yami nach und wir waren nun in einer Etage, in der man nicht wohnen konnte; eine weitere Leiter würde uns bis aufs Dach führen. Diese Leiter war jedoch etwas höher angesetzt. Yami hob mich wieder hoch und ich kam erfolgreich auf die erste Stufe. Mit festen Griffen schaffte ich es, bis ganz hinauf und spürte schon die Sommernachtsluft. Vorsichtig betrat ich mit meinen Füßen die drittletzte Sprosse und stützte mich bereits mit den Händen am Dach ab. Mit etwas Mühe und Geschick gelang es mir, heil oben anzukommen. Ich sah zu Yami runter, der flink die Sprossen raufkletterte und schnell bei mir angelangt war. Die Panorama war wunderschön. Wir sahen zwar nicht die ganze Stadt, aber es reichte. Die Laternen und Lichter beleuchteten die Straßen und ließ sie trotz der Dunkelheit lebendig wirken. “Vertraust du mir?”, kam es plötzlich von Yami. “Ja”, antwortete ich selbstsicher und sah ihn an. Er nahm meine Hand und führte mich bis an die Kante des Daches, ehe er sich setzte und meinte, ich solle neben ihm Platz nehmen. ‘Ich vertraue dir’, schoss es mir dabei durch den Kopf. Ich setzte mich und bekam einen Minischub Adrenalin, als ich spürte, wie meine Füße runterbaumelten. Yami legte den Arm um mich und wir blickten beide nach vorne. “Du hast die Prophezeiung erfüllt. Du bist des Milleniumringes würdig. Du bist nun mein Schützling und ich werde auf dich aufpassen. Ich bin nur Nachts rausgekommen, weil ich wusste, es würde unangenehme Konsequenzen haben, wenn mich jemand zu Gesicht bekommen hätte, doch heute ging es zu weit. Es ist meine Pflicht, dich zu beschützen und immer, wenn dir jemand weh tut, werde ich dich rächen. Meine Aufgabe ist es, deine blutenden Stellen zu heilen und dich niemals gehen zu lassen”, Yami klang sehr ernst und er drückte mich fester an sich. Ich legte meinen Kopf an seine Schulter und schloss die Augen. “Ich werde auch nicht zulassen, dass dir jemand jemals etwas antut”, alleine die Vorstellung daran brachte mich zum Glühen. Yami ist mir in diesen zwei Nächten unglaublich wichtig geworden, es war kaum zu glauben. Er berührte meine Seele, ohne sich an den Splittern zu schneiden. Er berührte meine Seele, ohne sie mit einer falschen Bewegung endgültig zum Zerfall zu bringen. Die Art, mir Sicherheit und Geborgenheit zu geben, war eine ganz eigene bei ihm. Yami brauchte nur aufzutauchen, damit sich ein Gefühl von innerer Wärme in mir bildete und meinen Körper stets beruhigte. Mir fehlte immer etwas in meinem Leben. Es ging mir wahrscheinlich deshalb auch so schlecht. Irgendetwas hat gefehlt, und das machte mich so verdammt traurig und hoffnungslos, ich fand keine Freude mehr am Leben - bis Yami kam. Er gab mir Halt, Verständnis und Bestätigung. Ich war mir so sicher, dass es mit ihm nur noch Berg auf gehen würde. Nicht, weil er die Höhen und Tiefen in meinem Leben beeinflussen konnte, - was man nie kann - sondern weil er immer hinter mit stehen würde, egal, was passiert. Und so jemanden brauchte ich. “Es hieß”, begann Yami, “dass ich dich in eine neue, heile Welt bringen würde. Ob dies symbolisch oder wortwörtlich aufgefasst werden soll, weiß ich nicht”. Ich starrte gerade aus, betrachtete die Stadt in den Lichtern der Nacht. “Aber du bist meine heile Welt”, ich musste lächeln. Yami küsste meine Wange und sah mich mit seinen braunen Augen an. Der Wind wehte leicht, kaum spürbar und die Sommerluft umgab unsere beiden Körper. Unsere Füße hingen lose in der Luft. Ich wagte einen Blick runter, bei dem mir sehr unwohl wurde. Reflexartig klammerte ich mich an Yami und versuchte, das Bild der Höhe, das in meinem Kopf gespeichert wurde, zu verdrängen. “Hast du Angst, Kleiner?”, fragte Yami sanft und ich spürte, dass er mich ansehen wollte. Ich nickte und traute mich gar nicht mehr, die Augen zu öffnen. Mein Freund stieß ein grelles Lachen aus und wuschelte mir durch die Haare. Er bat mich, aufzustehen. An dem Platz, wo ich saß. An der Kante des Daches. Da, wo mich eine falsche Bewegung runterfallen lassen hätte können. Genau da wollte er, dass ich auf beiden Beinen stehe. “Tut mir Leid, aber -”, protestierte ich. “Vertraust du mir?”, unterbrach mich Yami und gab mir keine andere Wahl, als seine Bitte in die Tat umzusetzen. Sehr nervös und angespannt, aber vorallem vorsichtig, erhob ich mich und stand im Endeffekt auf meinen Beinen. Meine linke Körperhälfte war der Stadt zugeneigt. “Ich zieh’ dich zu mir, falls du ausrutschst”, versprach er und schien sich blind auf seine Reflexe zu verlassen. Laut atmete ich die Luft aus, als ich an der Kante des Daches stand. Ohne viel zu zweifeln stand Yami gekonnt auf und stellte sich mit seiner rechten Körperhälfte zur Stadt und war direkt gegenüber von mir platziert. Meine Angst ließ den Wind nun stärker erscheinen, und die Höhe höher, als sie tatsächlich war. Meine Beine zitterten und ich befürchtete, jeden Augenblick runterzufallen. Ich musste aufhören, zu zittern. In diesem Moment konnte ich mich nicht auf mein Vertrauen zu Yami konzentrieren. Ich war damit beschäftigt, meinen unruhigen Körper ruhig stellen zu wollen. Unerwartet nahm Yami mein Gesicht in seine Hände und blickte mir bestimmt in meine durchterfüllten Augen. Er streichelte meine linke Wange und zog mich dann mit der anderen Hand zu sich. Wir standen uns nun sehr nahe gegenüber, während mein Herz zu hoch schlug. Das Adrenalin pumpte sich durch meine Adern und ließ jegliches klares Denken in mir kalt. Ein sehr intensives Kribbeln machte sich in meinem Körper breit und ich konnte nur noch an die Höhe denken, in der wir uns befanden. Ich zuckte, als Yami mein Gesicht wieder in seine Hände nahm, seine weichen Lippen auf meine legte und mich küsste. Mein Körper schlotterte immer noch, die Angst ging nicht weg, aber es war wunderschön. Ich war seins und er war meins. Als wir uns von einander lösten, sah er mich grinsend an; “War das nicht der aufregendste Kuss in deinem Leben? Ein Kuss mit einem solch heftigen Adrenalinschub und einem Platz, wo dir jeden Moment der Tod den Arm um den Hals legen könnte, und in dem Augenblick hattest du einen Kuss mit der Person, die du am meisten liebst”. Kapitel 20: Der Test | Yami --------------------------- In Ryou konnte ich Furcht und Spannung ablesen, die sich nicht abbaute. Gleichzeitig genoss er jedoch die Dramatik und den Kick, auch, wenn er es nicht vor mir zugeben wollte. Er konnte nicht sagen, dass ihm dieses neue Gefühl gefiel, da er Angst generell nicht mochte und immer nur negativ damit konfrontiert wurde. In diesem Fall aber empfand er es als aufregend; es war eine andere Form von Angst. Ryou schreckte für gewöhnlich vor Sachen zurück, die ihm nicht bekannt waren oder so wirkten, als könnte es ihm seelischen Schaden zufügen. Ich hatte sein Gesicht noch in den Händen und sah meinem Liebling tief in die Augen. Sein Körper bebte. Ryous sanfte Gesichtszüge reichten mir, um mich wohl zu fühlen und glücklich zu sein. Ich könnte mir im Leben nie vorstellen, meinen Schützling zu verlieren - ich würde es mir nie verzeihen können, falls diese Situation eintreffen sollte, immerhin versprach ich ihm und mir selbst, ihn stets zu beschützen und vor allem Bösen zu bewahren. Das Verhalten seines Vaters ließ mich vor Wut kochen, ich hätte diesen Hund am liebsten in Fetzen gerissen, wenn er Ryou nicht im entferntesten Sinne etwas bedeutet hätte. Mit meinen Worten ‘Vertrau’ mir’ habe ich gespürt, wie eine gewisse Unsicherheit in Ryou entstand. Obwohl er wusste, ich würde ihn niemals in eine Gefahr bringen, aus der ich ihn nicht jederzeit hundert prozentig retten könnte, war er sich unsicher und Nervosität machte sich in ihm breit. Als ich ihn fragte ‘Vertraust du mir?’, hatte er gar keine andere Wahl, als zuzustimmen. Er liebte mich und wollte nicht, dass ich sehe, dass seine Angst sein Wissen überrempelte. Immerhin wusste er, dass ich ihn immer beschützen würde. Man brauchte sich trotzdem nicht sonderlich wundern, dass diese zwei Worte etwas in Ryous Magen verdrehten, denn seinem Vater vertraute er früher auch einmal. Früher hatten sie ein gesundes Vater-Sohn-Verhältnis, bis beide merkten, dass Ryou anders war, als die anderen. Und als sein Vater das nicht akzeptierte und sich danach zu einer verdammten Furie entwickelte, musste Ryou miterleben, wie sich die Person, der er von seiner Geburt an vertraute, gegen ihn stellte und ihn somit dermaßen im Stich ließ, bis das letzte Stück Hoffnung in ihm starb. Somit fiel es ihm unglaublich schwer, jemals wieder gänzlich zu vertrauen. Er wusste nicht, ob wieder dasselbe passieren würde. Der Kleine wollte doch nur Verständnis und Akzeptanz. Ich beschloss, den ultimativen Vertrauenstest durchzuführen. Es würde ein Test und gleichzeitig eine Erfahrung für ihn werden. Test in dem Sinne, dass ich sehe, ob er währenddessen an mir zweifelt. Und Erfahrung in dem Sinne, dass er nach dem Test nun zu tausend Prozent Bescheid weiß, dass er bei mir sicher aufgehoben ist - selbst in den extremsten Situationen. “So langsam wird es aber Zeit, mir zu vertrauen”, grinste ich, nahm seine Hand und hielt sie fest. Er fragte sich, was nun kommen würde, Ungewissheit war zu spüren. Als ob die Höhe und der Wind am Dach nicht schon genug war, hatte ich etwas vor, das er sein Leben lang nicht mehr vergessen würde. Ich zog ihn leicht an der Hand mit mir mit und drehte ihn somit um 90 Grad; Er zeigte der Stadt nun den Rücken und ich stand vor Ryou, nahm auch noch seine zweite Hand. Noch mehr Fragen entstanden im Kopf meines Schützlings. Er konnte nicht erahnen, was ich mit ihm vorhatte. “W-was hast du vor”, Ryou zitterte und konnte sich nicht ausmalen, durch was ich ihn in dieser Nacht noch ziehen würde. “Vertraust du mir?”, fragte ich mit einem bestialischen Grinsen, das ihm einen kalten Schauer über den Rücken laufen ließ. Ich muss schon zugeben, es war ziemlich zynisch von mir, ihm so eine Angst einzujagen, doch spätestens jetzt hätte er wissen müssen, dass ich eine Mischung aus Sarkasmus, Zynität und Sanftmut war. Noch, bevor er antworten konnte, verpasste ich ihm ohne jegliche Reue einen leichten Schubs mit dem Fuß gegen seinen Bauch, sodass Ryou nun in der Höhe gefährlich herunter baumelte. Der Wind sauste durch seine Haare, seine Pupillen waren extrem geweitet und der Körper wie erstarrt. Es schien fast wie eine Schockstarre zu sein; seine Hände questschten meine, sein Griff wurde aber nicht fester. Die Stärke, mit der er sich an mir festhielt, blieb konstant - er regte sich kaum. Erst ein paar Sekunden später schnappte er einen tiefen Zug Luft und kam quasi zu sich. Ich stand fest am Grund, meine Arme waren angespannt, hielten den Kleinen sicher fest. “WENN DU MICH FALLEN LÄSST, DU ARSCHLOCH, DANN-”, Ryou blickte hinunter und konnte kaum noch nach Luft schnappen. Sein Brustkorb wirkte wie ein Luftballon, der abwechselnd aufgeblasen und dann wieder zerdrückt wurde. “Würdest du mir zumuten, dass ich dich fallen lasse? Würdest du? Würdest du?”, ich beugte mich etwas hinunter und ließ ihn somit noch tiefer herumhängen. Ein Grinsen legte sich auf meine Lippen. Genau konnte ich nicht ablesen, welches Gefühl bei ihm dominierte; es war ein großes Chaos und die verschiedenen Gefühle übertrumpften sich immer wieder und wechselten Positionen. “Würdest du mir zutrauen, dass ich dich loslasse?”, wollte ich nun wirklich wissen und beobachtete amüsiert, wie der Kleine so in der Luft hing. “DEINE STARKEN ARME HABEN SICHER AUCH CONTRAPUNKTE”, brüllte Ryou entzürnt und panisch. Mit einem Mix aus Wut und Angst blickte er mir direkt in die Augen, so gut er konnte. Er wartete. Er wartete darauf, dass ich “zur Vernunft” komme und ihn endlich wieder hinaufziehe. Er wusste, dass ich es konnte. Er wusste, dass ich ihn jederzeit wieder hochnehmen könnte - Test bestanden. Lachend zog ich ihn wieder zu mir herauf und betrachtete seinen Gesichtsausdruck, welcher nicht einfach zu beschreiben war. Noch im Schockzustand versuchte er, ein Wort herauszubringen, bevor er mir eine Ohrfeige verpasste. “Wow, zuerst bin ich ein Arschloch, dann sind meine Arme nicht gut genug und dann das”, ich lachte und hielt mir die Wange, die etwas schmerzte. Ryou war stinksauer, er hätte mich am liebsten vom Dach gestoßen. Doch durch die Erleichterung, dass er wieder sicher am Grund stand, musste er mich einfach umarmen. Auch, wenn er lieber böse auf mich sein wollte. “Du bist so ein Arschloch”, kam es wütend von ihm, während er sich an mich kuschelte. “Ich hätte dich nie fallen lassen. Niemals. Merk’ dir das”, ich löste mich von ihm und küsste ihn. Kapitel 21: Sterne | Ryou ------------------------- Wir lösten uns nach dem Kuss und ich wusste wirklich nicht, was ich sagen hätte sollen. Es machte mich so verdammt sauer, dass mich Yami in Lebensgefahr schweben ließ, was andererseits aber nie gefährlich war, da er mich jederzeit hochziehen hätte können. Ich wusste, dass er mich nie fallen lassen hätte, jedoch jagte er mir einfach so eine Angst ein, dass ich dachte, ich würde ihn erwürgen, sobald ich wieder Boden unter den Füßen haben würde. “Du bist so ein Arschloch”, wiederholte ich und stieß ihm gegen die Schulter. Yami lachte auf; “Dann schrei’ es doch in die Welt hinaus”. Er drehte mich zur Aussicht, verschränkte die Arme und sah mich amüsiert und erwartend an. Ich schluckte laut und fühlte, wie der Adrenalinspiegel höher stieg. Die Lichter der Stadt wirkten aus dieser Höhe fast bedrohlich. “Was bin ich?”, fragte Yami, der meine Anspannung erkannte. Ich holte tief Luft, hielt diese kurz an und ließ einen lauten Seufzer heraus. “Arrogant bist du!”, sagte ich in normaler Lautstärke, schritt einige Meter zurück, sodass ich wieder sicherer war, und blinzelte Yami sauer an. “Hast du dich nicht getraut?”, er musste sich bemühen, um nicht noch frech zu grinsen. Er wusste, dass ich gerade einen Gefühlscocktail in mir sprudeln hatte. Ich meine, er wollte mir einzig und allein nur zeigen, dass er mich nie fallen lassen hätte - und wenn, wäre er mitgefallen. Nichts desto Trotz hat es ihn viel zu sehr amüsiert, mich in gefährlicher Höhe runterbaumeln zu sehen. Es hatte ihm viel zu sehr Spaß gemacht. Wenn es das aber nicht getan hätte, wäre es nicht Yami gewesen. Schadenfroher Penner. “Die Lichter scheinen hier viel heller”, bemerkte ich und stand regunglos, fasziniert, fest auf beiden Beinen. “Die Sterne oder die Stadtlichter?”, Yami legte seinen Arm um meine Hüfte und sah mit mir in die unendliche Ferne. Die Sterne? Ich hob meinen Kopf leicht hoch und beobachtete die funkelnden Sterne. Kam Yami von dort? War er von einem anderen Stern? Von einer anderen Welt? Von einer anderen Dimension? Von einer anderen Realität? Was bist du? Eigentlich war es weniger wichtig, woher und was er war; die Hauptsache bestand darin, dass ich jemanden gefunden hatte, der mir wortwörtlich die Wunden leckte. Ich fragte mich, ob es dabei bleiben würde oder ob er verschwinden würde, sobald ich glücklich gemacht wurde. Jedoch gab er mir das Versprechen, immer für mich da zu sein… “Komm mit”, befahl mir der Größere plötzlich, ehe er mich an der Hand nahm und mich die Stufen runterführte. Ihm musste irgendeine Idee in den Sinn gekommen sein, sodass er mich so plötzlich wo anders hinführen wollte. Er beeilte sich, seine Schritte waren zügig. Meine Hand wurde fest gehalten, meine Füße schleiften beinahe hinterher. Es war mir ein Rätsel, weshalb wir nicht den Aufzug nahmen, anstatt vom höchsten Stockwerk runterzugehen. Unten angekommen, drehte sich Yami zu mir und versicherte mir; “Nun hast du wieder festen Boden unter den Füßen, Kleiner”. Ich schmunzelte kurz und blickte hinunter. Er wollte mir nichts Böses. Er wollte mir nie etwas Böses. “Aber wir sind noch nicht da!”, fügte er hinzu und nahm mich wieder an der Hand. Wir begaben uns aus dem Stiegenhaus, raus in die Umgebung. Yami stoppte am Parkplatz vor unserer Stiege. Die Welt sah von hier unten so flach aus, und man fühlte sich so klein. Von oben kam es einem so vor, als würde man auf alles und jeden herab sehen können, die ganze Welt. Von oben war die Welt klein und von unten war man selbst klein. Yami stieg auf die Motorhaube eines PKWs und raffte sich von dort aus geschickt aufs Dach des Autos. Er streckte mir seine Hand aus, die ich planlos annahm. Mit seinen starken Armen zog er mich zu sich hinauf. “Und von hier? Wie kommen dir die Sterne von hier aus vor? Weiter weg, nicht wahr?”, wurde ich ruhig gefragt. Wer hätte gedacht, dass sich dieser Mann so sehr für Perspektiven und Ästhetisches interessierte? Eine andere Möglichkeit wäre auch gewesen, dass er sich auf meine Interessen abstimmen wollte. “Sie scheinen weiter weg, unnahbarer, ja”, bestätigte ich und nickte. Gedankenverloren starrte ich in den Himmel und war fest davon überzeugt, dass es dort irgendwo Leben gab. Vielleicht nicht in unserem Sonnensystem, aber weit, weit weg. Intelligentes Leben, das ihre eigene Sprache hatte und seine eigene Kultur. Angeblich gab es nie eindeutige Beweise dafür, aber ich bin der Meinung, dass man diese einfach nur vertuscht hat. Dass die atemberaubenden Fotos und Videos vor uns geheim gehalten werden. Es konnte nicht sein, dass wir die einzigen im Universum waren. Das konnte nicht stimmen und davon war ich fest überzeugt. Sehr fest überzeugt. “Und was hältst du vom Mond?”, Yami blickte ein paar Grade weiter nach links, als ich. Ich schwenkte meinen Kopf und erkannte einen schönen Vollmond. Ich liebe Vollmond. Er sieht so aus, als würde er viele Geheimnisse und mysteriöse Tatsachen in sich halten. Das Leuchten wirkte immer leicht verschwommen, nicht, wie richtiges Licht. Es war etwas verzerrt und vertuscht. Das gefiel mir am Mond. Er war viel verletzlicher und ruhiger, als die Sonne. Sowie ich. “Der Mond ist ästhetischer, als die Sonne”, gab ich abgelenkt von mir und spürte, wie Yami seine Arme um mich legte. Man hörte ein paar Grillen und sah ein paar Ratten auf der Straße. Obwohl es schon sehr spät war, brannten noch Lichter in unserer Stiege und ich fragte mich, was die Leute, die noch wach waren, gerade taten oder dachten. Ob sie ihren Tag gemütlich ausklingen ließen oder ob sie in ihren eigenen Gedanken ertranken, wie ich vor noch nicht all zu langer Zeit. Es war nur einige Nächte her, als ich die Stille der Nacht noch unerträglich fand. Als die Dunkelheit mich verschlang und mich heimrief. Als sich die Angst durch die dünnste Vene meines Körpers bahnte und regelrecht schmerzhaft kitzelte. Das alles war nur einige Nächte zuvor noch Standart. Es war Standart, bevor Yami kam. Bevor er mich liebevoll in den Arm nahm und mir versicherte, dass ich sicher war. Wäre ich runtergefallen, wäre er mitgefallen. Kapitel 22: Die Rache mit den Schusspatronen | Ryou --------------------------------------------------- Durch laute Geräusche wurde ich aufgeweckt. Fragend öffnete ich die Augen und bemerkte, dass der Krach aus dem Zimmer meines Vaters kam. Hörte sich so an, als würde er mit den verschiedensten Dingen herumwerfen. War er sauer auf irgendwen? Ehrlich gesagt hatte ich nicht den Mut dazu, um nachzusehen. Dad schien sehr aggressiv drauf gewesen zu sein und stellte somit eine Gefahr für meine Sicherheit dar. Ich hatte keine Lust, mir wieder weh tun zu lassen, mich demütigen zu lassen. Keine andere Wahl zu haben, als geschlagen zu werden. Fest rieb ich mir die Augen und beschloss, solange im Zimmer zu bleiben, bis er sich wieder beruhigt hatte. Als ich versuchte, aufzustehen, spürte ich, wie meine beine leicht zitterten. Mir fiel das gesamte Szenario von gestern Nacht ein, das Dach, die Autos, die Sterne. Ein kleines bisschen Adrenalin schien sich noch in meinem Körper zu befinden. Ich war mir ziemlich sicher, dass das die aufregendste Nacht meines Lebens war. Ich griff zum Milleniumsring, der auf meinem Schreibtisch lag und betrachtete ihn eine Zeit. Ich fragte mich, ob Yami drinnen schlief oder ob er jederzeit erscheinen konnte. Das Schmuckstück glänzte mir entgegen und schimmerte in einem satten Gold. “DRECKSKERL!”, ertönte es plötzlich aus dem Zimmer neben mir, in dem sich der Lärm noch immer nicht gezügelt hatte. Ich fragte mich, ob meinem Vater nicht bald die Gegenstände ausgingen. Die Wand war bestimmt auch schon total angeschlagen und hatte Risse. Nun war ich mir nicht mehr so sicher, ob er wieder zur Ruhe kommen würde, immerhin ging das nun schon Minuten und die Kraft, mit der er die Sachen warf, wurde nicht schwächer. Alle prallten laut gegen die Trennwand zwischen unseren Zimmern auf. Ich hatte vor, schnell ins Bad zu gehen und mich zu beeilen, sodass ich schnell wieder in meinem Zimmer sein konnte. Auf Zehenspitzen schlich ich zu meiner Türe, öffnete diese und tapste unauffällig weiter. Stark zuckte ich zusammen, als die Schlafzimmertüre aufging. Schwer atmend drehte ich mich um und erkannte meinen Vater. Ihm war die Wut deutlich ins Gesicht geschrieben. Hinter ihm sah man etliche zerbrochene Gegenstände, die teilweise auch Mum gehörten. “Du kannst nicht einfach Mums Sachen zerschmettern!”, schrie ich mit einer Ängstlichkeit in der Stimme und einer unsicheren Haltung. Ich wollte ihm klar machen, dass das nicht in Ordnung war, jedoch kam ich nicht aus meiner Schreckhaftigkeit heraus. Meine Knie schlotterten und meine Augen wässerten beinahe. Ich hatte Angst. Natürlich hatte ich Angst. “Diese dumme Ziege hat mich wegen Körperverletzung angezeigt”, verriet mir mein Vater und ballte die Fäuste. “D-das ist auch gut so!”, mein ‘Herz schlug mir bis zum Hals. Ich wusste genau, dass mir wegen diesen verteidigenden Aussagen etwas passieren würde. Dass ich seiner Meinung nach frech zurückredete. “Hat dir die Ohrfeige von letztem Mal nicht gereicht?!”, brüllte er und schritt näher. Ich taumelte zwei Schritte zurück, versuchte immernoch vergeblich, selbstbewusst zu wirken; “Hat dir die Drohung von letztem Mal nicht gereicht?”. Hatte er den Vorfall mit Yami längst vergessen? Oder hatte er das alles verdrängt? Mit einer straffen Haltung und geballten Fäusten stand er vor mir, lachte laut und zückte etwas aus seiner Gesäßtasche. “Ich bin bestens gewappnet”, flüsterte er mit einem Grinsen und richtete eine Pistole gegen mich. Das Blut in meinen Adern schien zu gefrieren und mein gesamter Brustbereich wurde kalt. Mit weit aufgerissenen Augen blickte ich auf die Waffe, ehe ich meinem Vater zutraute, dass er abdrücken würde. Er hätte kein Problem damit gehabt, mich aus dieser Welt zu schaffen. Ich war ihm nur eine Last, nur ein Klotz am Bein. Aber das durfte nicht passieren. Wer würde dann auf Mum aufpassen? Ich konnte sie doch nicht so zurücklassen. “Versuch’ doch nochmal, mich so am Kragen zu packen, wie letztes Mal”, er klang sehr amüsiert und fühlte sich mir überlegen. Er bewegte seinen steifen Arm einige Zentimeter nach oben, sodass er nun auf mein Gesicht zielte. Hörbar schluckte ich und versuchte, die Tränen zurückzuhalten. Stirb mit Ehre, Ryou. Stirb stolz. “Drück’ ab, wenn du willst”, begann ich. “Du sollst dir nur im Klaren sein, dass du den Tod verdienst”, mein Hals war inzwischen ganz trocken und fühlte sich komplett rau an. Wenn es schon so kurz vor dem Ende war, konnte ich ihm wenigstens noch sagen, wie es sich richtig gehörte. Er hatte all die Angst und das Leid verdient, das ich in diesem Moment zu spüren bekam. Er hätte bis in die letzte Vene die Kälte und Taubheit spüren sollen. Die letzten Wünsche, die man hatte, bevor man wusste, es ist gleich alles aus. “Du hast mir ziemlich viel Enttäuschung und Wut gebracht”, behauptete er und lehnte die Waffe gegen meine Stirn. Die kalte Fläche lag an meiner nackten Haut an und brachte meinen gesamten Körper zum Schlottern. “Du bist ein Feigling”, sprach ich mit geschlossenen Augen und einer dünnen, zerbrechlichen Stimme. “Du bist hier der Feigling”, korrigierte er seine Vorstellung und presste die Pistole stärker gegen meine Stirn. Mein Atem ging nur noch stoßweise und ich hatte keine Kontrolle mehr über die Funktionen meines Körpers. Die Umgebung hatte ich inzwischen ausgeblendet und nicht mehr wahrgenommen. Sie schien verschwommen; im Zentrum meines Blickfeldes war nur noch mein Vater, der sich nicht scheute, seinen eigenen Sohn zu erschießen. Der es nicht einmal bereut hätte. Der es nicht einmal in Erwägung gezogen hätte, einzusehen, dass er am Holzweg war. Ein lautes Miauen ertönte hinter meinem Vater und Aurora trat hervor. Ihre Ohren waren angelegt und sie fauchte. “Du Drecksvieh”, mein Vater stieß sie mit dem Fuß kräftig weg. “DU DRECKSVIEH!”, schrie ich, griff die Waffe rasch mit der linken Hand, lenkte sie weg von mir und wollte mich auf mein Gegenüber stürzen, als ich einen lauten Knall wahrnahm. Ich erstarrte sofort. Der Schuss ging in den Boden. “Jetzt reicht es mir aber!”, ich wurde am Kragen gepackt und das kalte Eisen schmiegte sich wieder gegen meine Stirn. Ich bekam keine Luft mehr, hörte das verzweifelte Miauen von Aurora und schloss die Augen. War es wirklich schon Zeit für mich? War meine Sanduhr schon bei den letzten Körnern? War ich es nicht wert, etwas in dieser Welt zu verändern? Kapitel 23: Das Reich der Schatten | Ryou ----------------------------------------- Ich wollte keine Scheu zeigen. Ich wollte reuelos und tapfer dastehen, doch meine Lippen hörten nicht auf, zu beben. Meine Luftröhre hatte sich verengt und in meinem Kopf entstand ein unaushaltbarer Druck. Mein ganzer Organismus spinnte herum, war überfordert. Der kalte Schweiß bahnte sich von meiner Stirn bis zu meinen Wangen. “Drück doch endlich ab”, provozierte ich den Mann, der sein Vorhaben lange hinauszögerte. “Drück ab, aber vergiss nicht”, meine Stimme wurde lauter. “Dass du eine Schande für all die Väter dieser Welt bist. Du hast keine Angst davor, deinen eigenen Sohn zu ermorden, aber davor, was andere Leute von dir denken, weil dein Sohn homosexuell ist. Normale Väter drehen das um”, meine Augen waren geschlossen und in meinen Gedanken hallten auditive Erinnerungen der vergangenen Jahre, in denen ich mir all die Beleidigungen anhören musste. All die Unterstellungen und die Vorurteile. “Normale Söhne sind aber nicht homosexuell und depressiv”, behauptete er mit einem Hauch von Ekel in der Stimme. Die ganze Energie, die sich in meinem Körper wegen der Todesangst und dem Adrenalin bildete, verwandelte sich in einen irre lauten Schrei. Die Wände vibrierten für einen Moment und das Echo meiner Stimme bereitete selbst mir eine Gänsehaut. “Ich habe den Tod verdient”, stimmte ich ihm mit kraftvoller Stimme zu und ballte die Fäuste. “Denn tot bin ich glücklicher, als hier mit dir!”, mein Ton wurde brüllend. Ich hatte das nicht verdient. Ich war zu gut dafür, um mich von ihm rumschubsen zu lassen. Ich war zu gut dafür, um darüber nachzudenken, ob seine Vermutungen wirklich stimmten. Ich war zu gut dafür, um zu weinen, weil er mich nicht akzeptierte. Ich war zu gut dafür. “Dann bist nicht du das Problem”, war sich jemand sicher - Yami erschien hinter meinem Vater. Augenblicklich wurde die Waffe fallen gelassen, prallte hart am Boden auf. Zitternd drehte sich Dad langsam aber sicher um, bis er Yami ganz beäugen konnte. “D-du…”, stammelte der Verwirrte und blickte abwechselnd zwischen mir und Yami her, bis sein Blick endgültig bei mir hängen blieb. Yami riss den Mann zu sich, sodass sein Rücken gegen seine Brust gepresst war. “Weißt du, wo Leute wie du hinkommen?”, flüsterte er mit einem zynischen Lachen. Die Augen meines Vaters waren weit aufgerissen und nun war er derjenige, der vor Angst schwitzte. “Erinnerst du dich noch, was ich zu dir sagte, was passieren wird, wenn du Ryou noch einmal weh tust?”, dem Weißhaarigen stand die enorme Wut ins Gesicht geschrieben. Er warf sein ängstliches Opfer auf den Boden. Es regte sich nicht. Yami schritt zu mir und drückte mich an sich. Zart küsste er meine Stirn. “Das ist das Einzige, was Ryous Stirn berühren sollte”, machte er deutlich und drehte sich um, um den traumatisierten Mann zu treten. Noch einmal. Und noch einmal. Stärker. Er kniete sich nieder, hob die Waffe auf und hielt sie seinem Opfer an den Kopf. “Peng”, flüsterte er amüsiert. “Ist nicht so lustig, was?”, sein Finger war bereits zum Abdrücken bereit. Es kam kein einziger Laut von Dad. Yami stand wieder auf. Überfordert fiel ich auf die Knie und atmete stark aus. Überfordert aber gleichzeitig erleichtert, dass man mir Nichts mehr antun konnte. Fest griff ich mir in die Haare und versuchte, regelmäßig ein- und auszuatmen. Alles drehte sich - nur Yamis Stimme hatte Konsistenz. “Du dreckiger Bastard! Wie konntest du es auch nur wagen, meinen Ryou so zu bedrohen?!”, die Tritte wurden immer stärker. Meine Augen waren auf das Geschehen gerichtet, doch ich spürte keinerlei Mitleid oder Schmerz. Das ganze Leid, das in mir verkapselt war, schien mit jedem weiteren Tritt ein wenig mehr zu sterben. Mit jeder weiteren Bewegung, die Yami am mir schon gleichgültigen Mann ausgeübt wurde, fühlte ich mich ein Stück freier. “Bitte aufhören”, winselte er schwach und hatte kaum noch Kraft, zu sprechen. Aus seinen Mundecken sammelte sich Blut und war weinrot. Die Augen halb geschlossen und die Hände am Bauch. “Dann entschuldige dich gefälligst bei Ryou!”, forderte Yami auf und riss den Mann mit einer Handbewegung hinauf. Dad sah mir in die Augen und flehte um Vergebung und Versöhnung. Das war der erste Moment in meinem Leben, in dem ich der Stärkere war. Zum ersten Mal hatte ich die Wahl, wer von uns beiden abhängig von wem ist. Es fühlte sich fremd und doch erlösend an. “Es tut mir wirklich Leid!”, kam es verzweifelt von Dad. “Glauben wir ihm das, Ryou?”, wollte Yami mit einem Grinsen im Gesicht wissen. Ich schüttelte den Kopf und zeigte mit dem Finger auf meinen Vater; “Dir tut gar nichts Leid!”. Er erschrack. Er konnte sich schon ausmalen, was passieren würde. Die ganzen Jahre, in denen ich Leid und Pein mit mir tragen musste. Die ganzen Monate, in denen ich versuchte, wieder wie ein normaler Mensch zu funktionieren. Die ganzen Wochen, die mir vorkamen wie Jahrhunderte, da sich meine Welt nicht mehr drehte. Die ganzen Tage, an denen mir selbst das hellste Licht vorkam, wie Dunkelheit. Die ganzen Stunden, in denen ich vom Tod träumte. Die ganzen Minuten, die mich spüren ließen, was Druck bedeutet. Die ganzen Sekunden, die mir durch die Finger flossen. Das alles konnte ich nicht vergeben. Das alles konnte er nicht mehr ändern. “Dir soll nicht vergeben werden”, Yami war überzeugt. Er spürte meine Gefühle und hörte meine Gedanken. Er wusste ganz genau, was meine Entscheidung war. Er kannte mich. Er konnte und wollte nicht zulassen, dass es mir noch einmal so gehen wird, wie ich es bis jetzt erlebt hatte. “Die Türe der Dunkelheit hat sich geöffnet”, sprach Yami leise. “W-was?”, Dad kannte sich nicht mehr aus. “Eine Welt ohne Licht. Da gehörst du hin”, erklärte der Bleichhaarige und sah gerade aus. Nach diesen Worten passierte etwas, das ich nicht erklären kann. Ich hörte nur seltsame Geräusche, das Zufallen einer Türe und dann wieder Stille. Dad war weg. Hastig richtete ich mich auf und lief zu Yami. Fest drückte ich mich an ihn und ließ nicht los. Es war aber nun alles gut. Es war alles wieder gut. “Das Reich der Schatten kennt keine Gnade”. Kapitel 24: Gebrochene Herzen | Ryou ------------------------------------ Konnte es wirklich sein, dass all das Schlechte nun vorbei war? Es war dann so still in diesem Haus; kein Jammern, kein Schimpfen und kein Drohen. Es schien nun farbiger und lebendiger. Das Zimmer, in dem Sachen herumgeworfen wurden, war leer. Nur noch kaputte Gegenstände drinnen. Ich ließ Yami los und betrat das Schlafzimmer. Bilder, Möbel und Porzellan wurden herumgeschmissen. Sesselbeine und Scherben zierten den Raum. Schweigend ging ich mit ausdruckslosem Gesicht langsame Schritte nach vorne. All diese Sachen wurden mit so viel Liebe gekauft, aber mit so viel Hass zerstört. Wie konnte er nur meinetwegen so viel Zorn entfachen. Derjenige, der es verdient hatte, war er selber. Und diese Zeit war endlich eingetroffen. Ich wusste nicht genau, wo er war und was ihn dort erwartete, jedoch war ich mir sicher, dass es gerecht war. “Er hat mich so gehasst”, fauchte ich angeekelt, war aber gleichzeitig verletzt. “Habe ich das verdient?”, mein Körper zitterte. Yami legte mir von hinten eine Hand auf die Schulter; “Es ist vorbei. Es ist alles wieder gut. Du musst nicht mehr darüber nachdenken”. Yami hatte Recht. Eigentlich spürte ich ebenfalls, wie der ganze Groll und der Schmerz in mir starb, als ich dabei zusah, wie Dad sein gerechte Strafe bekam. Doch in diesem Moment, in diesem Raum, waren die Erinnerungen so stark, dass ich sie beinahe riechen konnte. Die Gefühle kamen wieder hoch. “Du musst alles, was dich daran erinnert, vernichten”, antwortete Yami auf meine Gedanken. Das stimmte. Es durfte Nichts, was ihm gehörte oder mir sein Gesicht in Erinnerung rief, übrig bleiben. Dieses Haus brauchte eine Neugestaltung. “Aber erst, wenn Mum wieder da ist”, mein Ton war sehr seicht. Mum lag im Krankenhaus und ich wusste nicht, wie ihr Zustand aktuell war. Ich würde sie, sobald ich mich wieder beruhigt hatte, besuchen gehen. Außerdem konnte ich mir sowieso Zeit mit dem Besuch lassen, da man bei einer bewusstlosen Person nach einem Tag wahrscheinlich nichts Genaues sagen konnte. Vielleicht war sie noch gar nicht aufgewacht. Vielleicht hatte sie einen Gedächtnisverlust. Ich sammelte schon wieder Gedankenblöcke. “Denk’ nicht so viel darüber nach”, Yami nahm meine Hand und führte mich aus dem Raum. "Ich muss in diesem Raum noch etwas erledigen", behauptete ich und drehte mich um. Er hatte Recht - ich musste alles, was mich an Dad erinnerte, zerstören. Ich musste diese geladene Energie loswerden. Ich musste mich entladen. Erstmals griff ich mir den Bilderrahmen mit seinem Foto drinnen. Er hatte den Rahmen bereits herumgeschmissen, er lag am Boden. Mit meinen Händen klaubte ich ihn auf und knickte ihn in der Mitte, er war nun kaputt. Es hat ein lautes Knackgeräusch gemacht. Das Knacken erinnerte mich an das Knacken, als die seelische Verbindung zwischen mir und meinem Vater brach. Es erinnerte mich an das Knacken, das entstand, als er einmal meine Staffelei entzwei brach. Es erinnerte mich an das Knacken, als er Auroras Leckerlies zertrat, weil er die Katze nicht mochte. Es erinnerte mich an das Knacken, als mein Herz brach. Als nächstes ließ ich den Eierlikör, der am Kästchen stand, zersplittern. Die Flüssigkeit sammelte sich am Boden. Still sah ich zu, wie sich das Nass in verschiedene Richtungen ausbreitete. Es erinnerte mich an meine Tränen, die ich oft nicht mehr stoppen konnte. Es erinnerte mich an das Wasser in der Badewanne, wenn ich ein Bad nahm und mich darin ertränken wollte. Es erinnerte mich an aber auch an Regen, an die kalten Tage. Die Taschenuhr, die auch am Boden lag, wurde von mir gegen die Wand geschmissen. Sie prallte laut auf. Sie erinnerte mich an die verschwendete Zeit, die ganzen Auseinandersetzungen. Sie erinnerte mich an die Zeit in den frühen Morgenstunden, in denen ich nie schlief, weil mich meine Gedanken wach hielten. Sie erinnere mich an die Zeit, die nie vorbeiging, weil ich so nieder gemacht wurde. Die Zeit, die ich nie wieder zurückbekommen werde. Und dann hoffte ich auf bessere Zeiten. Die Uhr zersprang in Einzelteile, der Zeiger fiel heraus. Der Bilderrahmen lag entzweit vor meinen Füßen. Der Eierlikör pickte am Boden, sickerte langsam aber sicher ein. Es ging mir etwas besser. Ich drehte mich zu Yami, der im Türrahmen lehnte. Er hatte die Arme verschränkt und sah mich geduldig an. Seine Körperhaltung war locker, seine braunen Augen blinzelten mich an. "Tob' dich ruhig aus", kam es gelassen von ihm. "Ich denke, ich bin fertig", ich schritt auf ihn zu und umarmte ihn. Er war warm, er war kuschelig, er war alles, was mich stützte. Ich war froh, ihn an meiner Seite zu haben. Zwar wusste ich nicht genau, was er wirklich getan hat, aber er hat mich jedenfalls befreit. Er hat meine in einem Käfig weggesperrte Seele befreit. Yami hat mich spüren lassen, wie das Leben vor meiner depressiven Störung war. Durch ihn konnte ich wieder atmen. "Schauen wir erstmal nach den Besuchszeiten wegen deiner Mutter", Yami nahm meine Hand und wir verließen das devastierte Zimmer. Er hatte Recht, ich musste sie besuchen kommen. In meinem Zimmer fuhr ich den Computer hoch und ging auf die Homepage des Krankenhauses. Dabei musste ich daran denken, wie mich der Taxifahrer nach Hause gefahren hat. War das Karma, habe ich das verdient? War ich ein guter Mensch, habe ich genug gute Taten vollbracht, um belohnt zu werden? Das Einzige, das ich wusste, war, dass mein Vater ein schlechter Mensch war. Dass er genau das verdient hat, was ihm widerfahren ist. Er hatte seinen guten Job, seine Kollegen und meine Mum nicht verdient. Yami lehnte sich über meine Schulter und blickte auf den Computerbildschirm. "Morgen wären zwischen 9 und 13 Uhr die Besuchszeiten", er war sehr aufmerksam. "Geh' doch gleich morgen hin", schlug er vor und legte eine Hand auf meine Schulter. Ich nickte. Trotz des Freudegefühls, sie wiederzusehen, spürte ich ebenfalls die Angst vor dem Ungewissen. Ich wusste nicht, wie es ihr ging und ob sie schon bei Bewusstsein war. War sie wacfh aber in schlechtem Zustand? Oder wach und in gutem Zustand? Oder schlafend und in gutem Zustand? Oder sclhafend und in schlechtem Zustand? Ich brachte mich deutlich aus der Fassung. Kapitel 25: Hin und her | Yami ------------------------------ Ryou kam nicht zur Ruhe - er hatte zwei große Gedankenblöcke: Mutter und Vater. Er versuchte unzählige Male, einzuschlafen, aber ihm fiel immer wieder etwas Neues ein, das ihm Sorgen bereitete. Egal, wie oft ich versuchte, ihn zu beruhigen - ich scheiterte immer wieder. Er war ganz durcheinander und konnte nicht mehr klar denken. Er lag in seinem Bett, bis zum Hals zugedeckt und wälzte sich des öfteren. Seine Körperhaltung war sehr steif und verkrampft. Das ganze war eine zu große Belastung für ihn. Ich hätte mir so sehr gewünscht, dass er zumindest bisschen gschlafen hätte - dann hätte er das alles für eine Sekunde vergessen. Wie gerne hätte ich ihm diese innere Unruhe genommen. "Wenigstens habe ich dich", kam es nervös von ihm. Er verspürte plötzlich die Angst, auch mich zu verlieren. Ich setzte mich auf sein Bett und beobachtete ihn. Seine Stirn war schon ganz verschwitzt und die Augen waren weit aufgerissen. Kalte Luft strömte durch das Fenster. "Und das wird auch immer so bleiben", versprach ich ihm, nahm seinen Arm und zog ihn hinauf. Er saß nun mit gekrümmten Rücken da und sah mich verunsichert an. Er nickte nicht einmal. Ich war mir nicht sicher, ob wir es überhaupt am nächsten Tag zum Krankenhaus schaffen, da Ryou nicht so aussah, als ob er schlafen könnte. Ich spürte eine tiefgründige Belastung in ihm, die nicht leichter wurde. Sie schien sich durch seinen ganzen Körper zu fressen, wie eine dunkle Kraft, die ihn Stück für Stück zerstörte und von innen heraus lehmte. Ryou wirkte körperlich sehr schwach und müde, konnte aber kein Auge zudrücken. Augenringe zierten sein Gesicht und die Mundwinkel waren stark nach unten gefallen. Seine Haare waren zerzaust, die Haut war blasser, als sonst. "Willst du wieder auf's Dach, um dich abzulenken?", wollte ich wissen und streichelte über sein Haar. "Aber es ist so kalt", argumentierte er emotionslos. "In dir scheint es kälter zu sein", argumentierte ich, worauf er nur seinen Kopf weg drehte. Es war mir unmöglich, an ihn ranzukommen. Vielleicht war es auch eine schlechte Idee, wieder auf's Dach zu gehen, da, wo ich ihm so einen Schrecken eingejagt hatte. Ich schmunzelte. Ich wollte ihn nicht einfach so grimmig durch die Nacht gehen lassen. Er erschrack, als sein Handy klingelte. Jedoch hob Ryou nicht ab, er ließ es einfach läuten - er hatte keine Lust, mit irgendwem zu reden. Emotionslos sah er dabei zu, wie das Gerät am Schreibtisch vibrierte und leuchtete. Es versetzte den ganzen Tisch in Schwigung und bewegte sich hin und her. Es läutete lange, bis es endlich ausging. Der Bildschirm verdunkelte sich wieder. "Welcher Idiot würde mich zu der Zeit noch anrufen?", Ryou war nun genervt auch noch dazu. Plötzlich gab er einen Laut von sich und sah mich verzweifelt an; "Yami - meine Mutter!". Seine Augen waren sehr geweitet und der Ton war hoch. Sein Atem ging schneller, er bereute es, nicht abgehoben zu haben. Schnell sprang er aus dem Bett und griff das Handy, nur, um zu erkennen, dass es eine anonyme Nummer war. Die ganze Spannung verließ ihn wieder - seine Körperhaltung erschlaffte. "Ich kann nicht zurückrufen...", bemerkte er und presste die Lippen zusammen. Nachdem er das einsah, legte er das Gerät wieder auf den Tisch und kroch zurück ins Bett. "Wie, glaubst du, geht es ihr?", fragte Ryou mit leiser Stimme. "Ich kann es nicht sagen, mein Kleiner", ich sah ihm in seine braunen Augen. "Kommst du kuscheln?", fragte er. Ich verzog meinen Mund zu einem Lächeln und legte mich neben ihn. Vorsichtig nahm ich ihn in den Arm und küsste seine Wange. Seine Haut war weich. Etwas fester drückte ich Ryou an mich und wollte ihm so gut wie es nur ging das Gefühl von Sicherheit verschaffen. Die Situation war nicht gerade blumig und das wollte ich ausgleichen. Ich wusste, dass Ryou es liebte, mit mir zu kuscheln und in meinem Arm zu liegen. Er genoss jegliche Art von Körperkontakt mit mir. Er fühlte sich dadurch nicht mehr so einsam. Und es freute mich, seinen Schmerz lindern zu können. Als er sich noch enger an mich kuschelte, leuchtete der Bildschirm seines Handys wieder auf. Sofort begab sich Ryou aus dem Bett und griff nach dem Gerät, hob ab und meldete sich; "Bakura Ryou!". Die Augen waren wieder weit offen, sein Herz schien schneller zu schlagen. "Herr Bakura, hier spricht eine Krankenschwester des Krankenhauses, in dem Ihre Mutter eingeliefert worden ist", ich konnte die Stimme klar und deutlich hören, da es so still im Zimmer war. "Ja, wie geht es ihr?!", platzte es aus ihm heraus. Seine Körperhaltung war steif und er schrie beinahe in den Hörer. Es folgte ein paar Sekunden Stille. "Wir müssen Ihnen leider mitteilen, dass sie vor einigen Minuten verstorben ist", die Stimme wurde leiser. Ryou erstarrte. Das Handy fiel ihm aus der Hand und zersprang in zwei Teile. Es war absolut keine Regung zu erkennen. Ich stand auf und wollte ihn umarmen, jedoch wurde ich weggestoßen. "GREIF MICH NICHT AN!", schrie mein Schützling und ballte die Fäuste. Sein Blick war nach unten gerichtet und seine Stimme war sehr energisch. Einige Sekunden später begann er zu weinen. Ich versuchte erneut, ihn in den Arm zu nehmen aber diesmal machte er einen Schritt zurück. Er wollte keinerlei Nähe in diesem Moment. Er konnte sich auch nicht vorstellen, diesen Schock jemals verarbeiten zu können. Schweigend stand ich vor ihm und beobachtete ihn leidend. "Dich werden sie mir sicher auch noch nehmen", behauptete er und seine Stimme überschlug sich. Die Tränen flossen seine blasse Haut entlang, die Fäuste zitterten. Mit einem Schwung drehte er sich um und zerschmetterte die Computertastatur. "Ryou", ich griff mir seine Arme, hielt sie fest. Er fiel auf die Knie und atmete schwer. "Was mache ich ganz alleine auf dieser Welt?", fragte er, keuchend und weinend. "Du hast mir eine heile Welt versprochen! Du hast sie mir versprochen!", er war so enttäuscht. Enttäuscht von der Welt, enttäuscht von mir und enttäuscht von sich selbst. Wir beide hielten inne, als der Millenniumsring begann, zu leuchten. Kapitel 26: Ein neuer Anfang | Ryou ----------------------------------- Ich öffnete die Augen und erkannte, dass es schon Morgen war. Als ich mich daran erinnerte, was gestern Nacht passiert war, hatte ich wieder ver Verlangen danach, alles kaputt zu machen und zu zerstören. Ich wusste nicht einmal, welcher Tag es überhaupt war. War noch ganz zerstreut wegen all den Verlusten, die ich in Kürzester Zeit ertragen musste. Anstatt es aber wieder an unschuldigen Objekten oder sogar an Yami auszulassen, beschloss ich, es eine Weile in mir drinnen zu behalten, um nicht das ganze Zimmer zu verwüsten. "Yami?", fragte ich in den Raum, als mir auffiel, dass er nicht da war. "Bitte nicht...", flüsterte ich mir selber zu und ahnte das Schlimmste. Ich dachte daran, was ich gestern sagte. Dass ich im Endeffekt auch noch Yami verlieren würde. Meine Luftröhre verengte sich. Es gab nun keine Möglichkeit mehr, die Wut, die sich in mir staute, still loszuwerden. Voller Wut schmiss ich meinen gesamten Schreibtisch um und fiel schreiend auf die Knie. "Wieso...", wimmerte ich. Plötzlich öffnete sich die Türe und ich konnte nicht richtig identifizieren, wer da gerade vor mir stand. Es war eine Frau, die meiner Mutter verdammt ähnlich sah, jedes Detail passte. Ich hielt inne. "Ryou, was tust du? Hattest du einen Albtraum? Komm essen", sagte sie mit derselben Stimme, die meine Mum hatte. Regungslos blinzelte ich sie an und verstand nicht, was hier vor sich ging. Die Frau schloss die Türe und ging die Treppen hinunter. Verwirrter denn je erhob ich mich und griff mir erst einmal an den Kopf. Ich griff mir meinen Baseballschläger, der in meinem Schrank verstaut war und schlich leise die Treppen hinunter. Ich fühlte mich verwundbar und unsicher in meinem eigenen Haus. Fast ließ ich einen Schrei aus, als ich sah, wie jemand, der meinem Vater ähnelte, am Esstisch mit dieser Frau saß. Der Mann las Zeitung und saß gemütlich auf dem Sessel. "Ryou, hast du neulich wieder Lust auf Baseball bekommen?", fragte er und blickte zu mir herauf. Augenblicklich ließ ich den Gegenstand fallen und rannte voller Furcht in mein Zimmer zurück. Ich wusste nicht, was geschehen ist oder was in dem Moment geschah und was noch alles geschehen würde. Am liebsten wäre ich aus Verzweiflung aus dem Fenster gesprungen. "Ryou, ganz ruhig, ganz ruhig", befahl ich mir selbst un griff aus Reflex an meine Brust, um den Millenniumsring zu fassen, doch der war nicht mehr da. Ich verzog das Gesicht und blickte an mir hinunter - kein Ring. Konnte es sein, dass das alles nur ein Traum war? Ich durchdachte alles noch einmal und kam zur Theorie, dass das da unten wirklich meine echten Eltern waren und ich die Nächte mit Yami nur geträumt hatte. Doch das hätte nicht erklärt, warum mein Vater plötzlich nett war und meine Mutter so wirkte, als wäre ihr nie etwas zugestoßen. Meine Gedanken gerieten aus den Fugen. "Ryou, kommst du frühstücken? Du musst was essen, bevor du in die Schule gehst", die Frau stand in der Tür und beobachtete mich. "Stimmt etwas nicht?", sie näherte sich mir und blickte mich besorgt an. Als ich diese Augen sah, wurde mir bewusst, dass es niemand anderer als meine Mutter sein konnte. Die Augen waren viel zu echt und es hätten keine anderen als ihre sein können. Ich wurde überzeugt. "Ich komme gleich runter...", stammelte ich verwirrt und sah zu, wie sie wieder hinunter ging. Einige Sekunden später bewegte ich mich in die Küche und nahm Platz. "Ist etwas vorgefallen?", wollte mein Vater wissen und legte die Zeitung zur Seite. Es war wie in einem Paralleluniversum; mein Vater war nett zu mir und meine Mutter war nicht tot. Es war eine heile Welt. Mein Herz setzte kurz aus, als ich mich an Yamis Worte erinnerte, dass es seine Aufgabe war, mich in eine heile Welt zu bringen. Ich atmete für eine kurze Zeit nicht mehr. Dad klopfte mir auf die Schultern, ehe ich sagte, dass alles in Ordnung sei. "Alles in Ordnung...", wiederholte ich und starrte leer auf den Tisch. Ich hatte ganz vergessen, wann das letzte Mal in meinem Leben alles in Ordnung war. Es fühlte sich sogar komisch an, diese Worte in dieser Reihenfolge aufzusagen. Ich kannte das Gefühl, sich gut aufgehoben zu fühlen, gar nicht mehr. Ich brauchte erst einmal eine kurze Zeit, um das alles zu verdauen. "Fühlst du dich nicht gut? Willst du heute nicht in die Schule?", Mum sah mich besorgt an. "Schule...", flüsterte ich leise vor mich hin und erinnerte mich an all die Szenarios, die mir widerfahren sind. Das Hänseln der Mitschüler, der ganze Stress und das Gefühl, niemals gut genug gewesen zu sein. Mein Magen verkrampfte sich bei den Gedanken. Hatte ich nicht schon genug Schmerzen erlitten? Mein Vater ließ die Zeitung fallen, stand auf, ging in die Hocke und sah mir ins Gesicht. "Soll ich schnell in die Apotheke?", fragte er und ich bekam fast einen Schock noch dazu, weil ich mir nie vorstellen konnte, dass er mich jemals so liebevoll behandeln könnte. Sein Gesicht mit dieser Stimme gemischt war wie fremd, es war für mich wie etwas, das nicht zusammenpasste. Der kalte, dominante, verachtende Vater war verschwunden und ein neuer, liebevoller kam zum Vorschein. Plötzlich lösten sich all meine körperlichen Beschwerden und ich sah meinem Dad in die Augen und der mir bekannte Hass, der sonst immer in ihm zu sehen war, den konnte ich einfach nicht finden. Egal, wie tief ich in seine Augen sah. Ich zweifelte nicht mehr daran, dass es ein anderer Mensch war. Eine andere Version von ihm. "Es geht schon wieder", ich konnte nicht wegsehen. "Na dann, hopp!", er drückte mir ein bisschen Geld in die Hand und klopfte mir auf die Schulter. "Aber ich bin noch nichtmal duschen gewesen...", stellte ich fest und hatte Angst, zu spät in die Schule zu kommen. Die Türe öffnete sich und ich traute meinen Augen nicht: Yami stand da. Er hatte sportliche Sachen an und einen Rucksack an der linken Schulter runterhängen. "Der Kleine ist ja noch gar nicht mal fertig!", lachte er und schloss die Türe hinter sich. Er näherte sich mir und drückte mir einen Kuss auf die Stirn. Ich erschrack und blickte ängstlich zu meinen Eltern, die zu meiner Überraschung aber nur in unsere Richtung lächelten. Ich brach in Gelächter aus und fiel Yami um die Arme. Und es war eine heile Welt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)