Veränderung von hare ================================================================================ Kapitel 3: Begräbnis -------------------- Auf dem Weg nach unten fielen mir viele Details auf. Die Blumen auf den Socken, die Tatsache, dass sie keine Löcher aufwiesen. Das Treppengeländer, welches tatsächlich aus dem gleichen Holz war wie der Boden. Wie gut hier alles zusammenpasste. Meine Eltern waren wohl früher zurück gekommen, und mit ihnen der Regen, der mir die letzten Tage als Julia versüßt hatte, als ich Sonnenlicht als persönliche Gemeinheit der Atmosphäre gegen mich empfunden hatte. Nicht einmal Jakobs Vorhänge hatten es abhalten können. Doch die erste Helligkeit breitete sich schon in unserem Garten aus, während in dem Haus noch die Nacht nistete. Ein neuer Tag begann, und ich war noch immer nicht tot. Eine Frau stürmte auf mich zu, ich hatte ihr Haar, ihre Statur, ihre Augen, war aber größer als sie. Sie umarmte mich, küsste mich, als hätten wir uns drei Monate nicht gesehen, und nicht, wie ich es Hannahs ausgezeichnetem Gedächnis entnahm, sechs Tage. Nach der stürmischen Begrüßung schloss mich auch Hannahs Vater in die Arme, und während sie grob auspackten, machte ich mich an die Dienstagstradition der Murphys, es war der Dienstag, Pancakedienstag, an dem nur Spanisch geredet wurde. Ich entnahm das Rezept einem abgegriffenen Kochbuch, die Zutaten den gut gefüllten Küchenschränken, und schaffte es nach einigen misslungenen Versuchen tatsächlich, einigermaßen essbare Pancakes zu zaubern. Wir saßen um den Tisch, lachten, aßen, und führten daneben eine lebhafte Konversation, bei der ich mich deutlich besser anstellte als gedacht, auch wenn meine Mutter anmerkte, dass mein Spanisch etwas eingerostet wirkte. Ich schob es auf ihre Abwesenheit. Mein Vater übernahm es, aufzuräumen, denn Hannah ging jeden Tag in die Schule, auch am Pancakedienstag. Ich hatte diese Angewohnheit vor ein paar Jahren abgelegt wie eine alte Haut, doch für den Fall, dass dieses Leben mehr eine Leihgabe als ein Geschenk war, entschied ich, nicht auch noch dieses zu zerstören. Es wurde ein überraschend ereignisloser Tag. Die Stunden zogen an mir vorbei, ich hatte noch zwei Jahre abzusitzen, eine Sache, die Hannah und ich gemeinsam hatten, aber sie sah Anwesenheit als verpflichtend und ich als optional an. Naja. Man konnte nicht alles haben. Marie saß in Französisch neben mir, und ich stellte eine weitere Gemeinsamheit zwischen Hannah und mir fest: wir konnten kein Französisch, auch wenn Marie versuchte, mir alles mögliche zu erklären, jemandem die eigene Muttersprache beizubringen war, wie ich feststellte, furchtbar. Physik folgte, und dank dem nun vorhandenen Grundwissen war ich nicht furchtbar, saß aber alleine, ohne Marie. Es ging weiter mit Englisch, dann Deutsch, dann europäische Geschichte, irgendwann war es vorbei, und ich hatte das Gefühl, viel gelernt zu haben, dass ich aber nie brauchen würde. Marie schrieb mir eine SMS, dass wir uns in zwei Stunden bei ihr treffen würden, französisch lernen, und ich sagte wohl oder übel zu. Für die Zwischenzeit hatte ich andere Pläne. Ich benötigte über eine Stunde um zu Jakobs alter Wohnung zu finden. Normalerweise hatte ich nur drei Stationen mit der Straßenbahn fahren müssen, jetzt erst mit der UBahn, dann mit einem Bus. Irgendwann hatte ich es geschafft, stand in dem dreckigen Eingang, suchte kurz meinen Schlüssel, bis ich herausfand, dass ich keinen mehr hatte. Nun ja. Dann lag es wohl an mir, zu läuten. Meine Hand schwebte über der Glocke, irgendetwas hielt mich zurück, den Knopf zu drücken. Als ich bemerkte, dass mich eine alte Frau anstarrte, als wäre ich eine Einbrecherin (die dumm genug war zu denken, es gebe hier etwas zu holen), tat ich es doch. Das Summen war vertraut, wie alles, was ich mit dem Gebäude verband. Nach einiger Zeit hörte ich Jakobs Stimme, verschlafen oder verschwommen, ich war nicht sicher, aber es war seine. Vertraut. Was sonst. "Ja?" Natürlich war mir in meiner überaus klugen Überlegung nicht eingefallen, was zwischen uns passieren würde. Ein freudiges Wiedersehen mit der Freundin im neuen Körper wohl kaum. "Ist Julia hier?" Es war eine Frage, als hätte ich allzu viele Freundinnen gehabt, aber letztlich war ich die einzige Person, die mein altes ich besser kannte als Jakob. "Wer sind Sie?" fragte er, überrascht, als hätte er eher erwartet, dass ich mich ausgesperrt hatte, oder eine Handwerkerin war. Dann legte er abrupt auf. Gerade als ich mich umdrehen wollte, stand er vor mir, in Hemd und Hose, mit ungekämmtem Haar. Kleidung für ein Begräbnis, durchfuhr es mich. "Warte." Eine Bitte, mehr als eine Aufforderung. Ich drehte mich auf ihn zu, ging ihm nicht entgegen, "Woher kennst du Julia?" Hannahs Deutsch war akzentiert, eine alte Freundin war also ausgeschlossen, aber ich war noch nie besonders gut in der Schule gewesen, und war auch vor ein, zwei Wochen dort gewesen. Das musste reichen. "Wir besuchten die gleiche Schule, und sie saß in Englisch neben mir. Wir wollten gemeinsam lernen." Eine schlechte Lüge, falls ich tatsächlich tot war, war ich wohl oder übel begraben. Zwischen Tod und Auferstehung waren ein paar Tage vergangen. "Sie hat dich ein paar Mal erwähnt. Bist du Jakob?" Er nickte, und bat mich nach oben. So viele Eindrücke. Seine Schuhe, sorgsam im Vorzimmer aufgeschlichtet, dazwischen zwei Paar von meinen, dunkelrote Sneaker und meine Ballschuhe. Er hatte sie noch nicht weggeworfen. Ich konnte keinen Blick in das Schlafzimmer, welches auch als Wohnzimmer diente, werfen, die Tür war abgesperrt. Er reichte mir einen Becher Kaffee, er war kalt, wofür sich Jakob entschuldigte, genau wie für die Tatsache, dass er weder Milch noch Zucker hatte. Er fragte ob er mich mitnehmen sollte. "Wohin?" "Na, zur Beerdigung. Da wolltest du auch hin, oder?" Aus Zufall hatte ich in Hannahs Kleiderschrank dunkle Hosen und ein schwarzes Top gefunden, und entschieden, diese an jenem Tag zu tragen. Ich musste wohl mitspielen. "Ja, natürlich. Entschuldige, ich bin durcheinander." "Meine Eltern sollten gleich da sein, sie sind... sprich einfach nicht zu viel, ja?" Ich nickte, die Erinnerung an seine Eltern, im Traum wie in der Realität, deutlich im Kopf. Jakob verschwand in seinem viel zu kleinen Badezimmer, während ich an dem kalten Kaffee nippte, und versuchte, mir klar zu machen, dass ich gleich auf eine Beerdigung fahren würde. Entschuldigung: Auf meine. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)