Love Happens von May_Be ================================================================================ Kapitel 16: Mobbing ------------------- Nachdem Mio am nächsten Tag ihre Klasse betrat, senkte sich das Stimmengewirr allmählich, so als würde man ein Radio leiser drehen. Alle Blicke schienen auf sie gerichtet zu sein. Sie stand in der Tür und fühlte sich wie auf dem Präsentierteller, allen ausgeliefert. Am liebsten würde sie schreien, dass sie nicht so starren und sich um ihren eigenen Kram kümmern sollten, aber sie sparte sich die Kraft und Mühe. Mios Blick wanderte zu ihrer Freundin, Dori, die sofort den Augenkontakt abbrach und unsicher zur Seite schaute. Konnte sie sie wirklich noch als Freundin bezeichnen, nachdem sie gestern mit den anderen Mädchen aus der Leichtathletik-AG ihre Schuluniform versteckt und nicht mehr hergegeben hatte? Wer solche Freunde hatte, brauchte ganz sicher keine Feinde. Mio war bewusst, dass Dori sich aufgrund von Nanamis Dominanz eingeschüchtert fühlte. Aber das würde Mio nicht länger tolerieren oder entschuldigen. Man konnte anhand der angespannten Atmosphäre deutlich spüren, dass hier etwas faul war. Mio versuchte die Blicke ihrer Klassenkameraden zu ignorieren, doch ihre schlechte Vorahnung ließ sich nicht im Keim ersticken. Das war auch berechtigt, denn als sie an ihren Platz trat, bot sich ihr ein übler Anblick. Ihre Schuluniform, die gestern entwendet wurde, lag nass und zusammengeknüllt auf dem Tisch. Die Flüssigkeit tropfte immer noch auf den Boden herunter und bildete eine kleine Pfütze vor Mios Füßen. Zum Glück hatte Mio eine Ersatzuniform zu Hause gehabt, die sie gerade trug. Ihr Stuhl war ebenso feucht oder klebrig, das konnte sie auf den ersten Blick nicht erkennen. Aber vorher wurde dieser mit Stiften bekritzelt. Idiotin! Hure! Dumme Kuh! Stirb! Solche und andere Beleidigungen standen darauf. „Na, Mio-chan. Wie war gestern dein Date mit Keiji-Sempai?“ Nanamis Stimme trällerte spöttisch durch Mios Bewusstsein, während der Rest der Klasse schwieg. „Ich hab gehört, du wurdest gestern sehr gut von ihm bezahlt für... na, sagen wir mal, gewisse Dienste.“ Keiner wagte es etwas zu sagen, jeder schien Mios Reaktion abzuwarten. Als Mio sich kurz regte, hielt jemand hörbar den Atem an. Anscheinend erwartete man, dass sie Nanami zwischen die Beine trat oder so etwas Ähnliches, sowie sie es gestern bei Akira getan hatte. „Oh, ja. Das wurde ich in der Tat“, stimmte Mio zur Überraschung aller zu. Sie nahm ihre nasse Schuluniform vom Tisch und wandte sich direkt an Nanami, sodass sie ihr in die Augen sehen konnte. Sie hoffte, dass ihre Uniform nur von Wasser getränkt war, aber es fühlte sich irgendwie auch noch klebrig an. „Ich würde dir auch empfehlen, so etwas auszuprobieren. Das wäre für solche Schlampen wie dich genau das richtige.“ Nanamis Empörung ließ sie einen Moment lang unaufmerksam werden. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass Mio ihr so taff gegenübertreten würde. Mio ergriff diese Gelegenheit und warf die nasse Uniform auf sie. Nanami hatte nicht genug Platz, um auszuweichen, drehte sich jedoch zur Seite und wurde an der Schulter getroffen. „Danke, dass du sie gewaschen hast, aber sie ist nicht sauber genug“, meinte Mio und wandte sich dann wieder ihrem Platz zu. Sie stellte ihre Tasche kurz auf dem Boden ab und ging zu einem Schrank am Ende des Klassenzimmers, in dem ein paar Lappen lagen. Sie nahm sich einen davon heraus und hörte grade noch wie es hinter ihr raschelte. Abrupt wandte sie sich um, doch Nanami hatte bereits den gesamten Inhalt ihrer Schultasche auf dem nassen Tisch verstreut. Da der Tisch für all die Sachen zu klein war, landeten einige davon auf dem Boden. Mio funkelte Nanami wütend an. Diese blöde Gans wollte sie heute anscheinend fertig machen. „Du denkst wohl, du kannst alles machen, was du willst und kommst damit heil davon“, zischte Nanami bösartig, „aber nicht mit mir. Ich werde dir das Leben zur Hölle machen!“ Mio ließ nicht zu, dass ihre Wut die Oberhand gewann. Sie steckte doch nur deswegen in Schwierigkeiten, weil sie dem beliebten Akira einen Tritt verpasst hatte, auch wenn er das garantiert verdiente. Kein Wunder also, dass sie den Zorn einiger Mädchen auf sich zog. Gewalt würde nur noch mehr Gewalt auslösen. Das war ein ewiger Teufelskreis, den sie durchbrechen musste. Irgendwann würde Nanami ihre Lust daran verlieren, Mio zu quälen. Mio musste sie nur ignorieren. Aber leider war da noch ihre große Klappe... „Weißt du, Nanami, du bist doch bloß neidisch. Zuerst wollte Akira was von mir und jetzt Keiji-Sempai. Bitter oder, dass dich keiner will. Aber kann man es ihnen denn verübeln?“ Jeder konnte sehen, wie Nanamis Gesicht rot anlief. Wenn Mio ihr eine Ohrfeige verpasst hätte, hätte das sicher weniger weh getan. „Du...“ Nanami wollte grade zu einer Beleidigung ausholen, als der Englischlehrer die Klasse betrat. Er fragte in die Runde, was hier los sei, als er das Chaos auf Mios Tisch sah. „Hibayashi! Können Sie mir vielleicht erklären, was dieser Unfug soll?“ Mio sah zu Nanami, die ihr einen vernichtenden Blick zuwarf. Dann wanderte Mios Blick über ihre Klassenkameraden, die ihren Blick gesenkt hielten. Mio wusste, dass es nichts bringen würde, zu petzen. Sie würden alle gegen sie aussagen oder gar nichts sagen. Niemand würde hinter ihr stehen, um ihre Aussage zu bestätigen. „Nur ein Missverständnis“, murmelte Mio. Herr Kitano hob skeptisch die Braue. „Dann räumen Sie dieses Missverständnis unverzüglich auf, damit wir mit dem Unterricht beginnen können.“   In der Mittagspause verließ Mio als erstes die Klasse. Man konnte nicht sagen, dass sie Angst hatte, ihren Mitschülern ausgeliefert zu sein. Dennoch war das ein gewaltiger Druck, dem sie nicht ausgesetzt sein wollte. Sie hatte sich in der Kantine etwas zu essen geholt und setzte sich an einen leeren Tisch, musste jedoch gleich feststellen, dass sie keinen großen Appetit hatte. Mio stocherte mit ihren Essstäbchen lustlos in ihrem Essen herum und kaute unbewusst auf ihrer Unterlippe. Nanami hatte ihr den Krieg erklärt, so schien es. Aber wenn sie dachte, dass Mio ein leichtes Opfer sein würde, dann kannte sie sie womöglich schlecht. Doch gleichzeitig stellte Mio sich die Frage, was sie gegen Nanami und ihre Gefolgsleute ausrichten konnte. Alleine im Kampf gegen alle. Ganz schön unfaire Verteilung. Her Kitano hatte eindeutig gesehen, was vorhin los war. Er müsste blind sein, um es nicht zu sehen. Aber Lehrer hielten sich bei solchen Angelegenheiten gerne raus. Während Mio vor sich hingrübelte, spürte sie, wie ihr etwas über den Kopf gekippt wurde. Weiße Flüssigkeit tropfte von ihren Haaren hinab, lief über ihr Gesicht und landete als kleine Tropfen auf dem Tisch. Mio drehte sich um und sah Nanami vor sich stehen, die mit einem überlegenen Grinsen auf sie herab sah. Hinter ihr standen weitere Mädchen, einige kicherten hinter hervor gehaltener Hand, während andere Mio entschuldigende Blicke zuwarfen. „Das war für deine freche Klappe“, erklärte Nanami und wedelte mit der halbleeren Milchverpackung. Mio spürte wie ihr Puls raste, sie nahm ihre Umgebung kaum noch wahr. Sie erhob sich abrupt von ihrem Platz, sodass der Stuhl umkippte und schlug Nanami die kleine Milchpackung aus der Hand. Nanamis Blick veränderte sich, sie wich erschrocken zurück. Mio fixierte sie mit ihrem Blick. Keiner rührte sich. Die Anspannung war deutlich zu spüren, fast zum Greifen nah. Sie schien eine Ewigkeit anzudauern. Mio war die erste, die sich rührte. Sie schnappte ihre Tasche und drängte sich an den Mädchen vorbei. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass das Treiben in der Schulkantine für einen Augenblick innegehalten hatte und die Aufmerksamkeit einzig und allein ihr und ihren Peinigern galt. Sie hasste es im Mittelpunkt zu stehen! Sie verließ eilig die Kantine und lief schnurstracks durch den Flur, ohne ein konkretes Ziel zu haben. Das war grade wohl die größte Demütigung überhaupt. Mios Haare waren zum Teil nass und die Milch war ihr sogar in den Nacken gelaufen. Ekelhaft. Dieses Biest würde es bereuen. Mio trat um die Ecke, um die Frauentoilette aufzusuchen und stieß hart mit jemandem zusammen. Sie taumelte nach hinten, wurde jedoch rechtzeitig am Arm gepackt und vom Hinfallen abgehalten. „Hoppla“, meinte eine bekannte männliche Stimme. Als Mio ihren Blick hob, erblickte sie Keiji, der sie grinsend ansah, bis er ihre nassen Haare und ihren aufgelösten Gesichtsausdruck bemerkte. „Was ist denn mit dir passiert?“, fragte er sichtlich besorgt. Mio wich seinem durchdringenden Blick aus und wollte ihm ihren Arm entziehen, doch er ließ sie nicht aus seinem Griff. „Nichts.“ Sie hatte keine Lust ihm jetzt alles haargenau zu erklären und versuchte sich erneut aus seinem Griff zu befreien. Vergebens. „Ach ja?“, sagte er wenig überzeugt. Keiji zog sie näher heran. Ohne dass ihr Zustand einer Erklärung bedurfte, schien er die Situation zu durchschauen. „Wer war das?“ „Niemand“, erwiderte Mio stur. „Mio...“, setzte er an, doch sie schnitt ihm das Wort ab, indem sie ihm einen vernichtenden Blick zuwarf. „Das geht dich nichts an klar! Und jetzt lass mich verdammt noch mal in los!“ Sie sah die Verärgerung in seinem Gesicht und bereute ihren Ausbruch sofort. Keiji stieß sie etwas unsanft gegen die Wand und baute sich vor ihr auf. „Du sagst mir jetzt, wer das war“, verlangte er in einem erstaunlich ruhigen Ton zu wissen. Doch man hörte an seinem Unterton heraus, dass er keine Widerrede duldete. Als vollkommener Gegensatz dazu, legte er seine Hand sanft an ihre Wange und hielt ihren Blick gefangen. Intuitiv wusste Mio, dass Nanami nichts gutes blühte, wenn sie sie verriet. „Ich werde schon alleine damit fertig“, sagte sie trotzig, „außerdem... was kümmert dich das, hm? Du hast mich jahrelang ignoriert und dann auf einmal interessiert du dich für mich?“ Keijis Züge verhärteten sich. „Du hast ja keine Ahnung...“ Seine Antwort regte sie auf. Wovon sollte sie denn keine Ahnung haben? Er sagte das so, als hätte sich sich diese Geschichte ausgedacht, als hätte er sich nicht von ihr entfernt und ihre Freundschaft ins Leere laufen lassen. „Du bist ein Heuchler, Keiji“, sagte sie etwas ungehalten, „du hast gesagt du liebst mich, aber wie kannst du jemanden lieben, den du verlassen hast? - Du kennst mich nicht einmal mehr richtig, du weißt nichts über mich! - Du hast gesagt, wir sind zusammen, ja? Dann pass' gut auf. Ich mach Schluss mit dir.“ Sein Gesichtsausdruck ließ nicht auf seine Gefühle schließen. Sie wusste nicht, ob er verärgert, wütend, enttäuscht oder traurig war. Seine Augen hielten sie nur weiterhin gefangen. Grade wollte Mio einen erneuten Versuch starten, um aus seinen Fängen zu entkommen, aber schon die erste Regung schien Keiji-Sempai aus seinen Gedanken zurückzuholen. Er drückte sie mit seinem Körper gegen die Wand, sodass ein Entkommen unmöglich war. Bevor Mio protestieren konnte, senkte er seine Lippen auf ihre und küsste sie. Mio weitete erschrocken die Augen und drückte mit ihren Händen gegen seinen Oberkörper, doch er ließ sich keinen Zentimeter weit schieben. Selbst als sie gegen seine Brust schlug, ließ er nicht von ihr ab. Seine Zunge drang in ihren Mund ein und er küsste sie besitzergreifend. Atemlos löste er sich von ihr. „Hast du es immer noch nicht verstanden? - Du gehörst mir.“ Erst jetzt löste er sich von ihr und machte auf dem Absatz kehrt. „Ich finde noch heraus, wer das war“, fügte er hinzu und ließ Mio perplex stehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)