Love Happens von May_Be ================================================================================ Kapitel 19: Shibuya ------------------- Das Vergnügungsviertel Shibuya strahlte heute Nacht heller als sonst. Die Bars und Clubs lockten mit ihren riesigen Leuchtreklamen. Die Menschenmassen strömten durch die Straßen auf der Suche nach Unterhaltung und Abenteuer. Und sie waren mittendrin. „Wo wollen wir als erstes hin?“, fragte sie aufgeregt. Obwohl Mio nicht das erste Mal in Shibuya war, war sie dennoch voller Euphorie. Eigentlich war ihr jedes Restaurant, jede Bar, jeder Club recht. Sie hatte seit Langem keine so gute Laune mehr. Sie konnte platzen vor Glück. Und das nur, weil sie mit Keiji-Sempai hier war. So, wie er es ihr damals versprochen hatte. „Du bist heute aber ziemlich gut gelaunt“, stellte Keiji grinsend fest und zog sie näher an seine Seite. „Da möchte ich glatt über dich herfallen.“ Für diesen Spruch kassierte er einen Stoß in die Rippen. An seine anzüglichen Bemerkungen würde sie sich wohl oder übel gewöhnen müssen. Aber das hieß nicht, dass das schnell passieren würde. Keiji lachte über ihre Reaktion und legte seinen Arm um ihre Schulter, damit sie nicht entwischen konnte. „Wie süß du dich sträubst. Dabei…“, er machte eine bedeutungsvolle Pause und beugte sich etwas hinab zu ihrem Ohr, „…hat dir das doch letztens so gut gefallen.“ Die Hitze stieg Mio augenblicklich zu Kopf bei dem Gedanken daran, was er in dem Krankenzimmer mit ihr getan hatte. Zwar hatten sie nicht miteinander geschlafen, aber… „Du… bist echt unmöglich“, murmelte sie kleinlaut und wandte verlegen ihren Blick ab. Wie konnte er das so unverblümt sagen? Vor allem hier in der Öffentlichkeit. Sie waren mitten auf der Straße, mitten in der Menschenmenge. Wenn jemand das hören würde, was würde man von ihnen denken? Aber wahrscheinlich war das für Keiji keine große Sache so wie für sie. Es war das erste Mal, dass ein Mann sie auf diese Weise berührt hatte. Er hatte verborgene Gefühle in ihr geweckt, deren Existenz sie nicht einmal ahnte. Er dagegen hatte sicher schon unzählige Frauen gehabt und mit ihnen alle möglichen Dinge getan… Mios Gedankengang endete abrupt. Sie wollte sich diese Dinge nicht vorstellen, aber die Bilder nahmen unaufhaltsam Gestalt an und lösten ein beklommenes Gefühl in ihrem Herzen aus. Sie riss sich von Keiji los und stampfte wütend davon. „Hey, warte! Wo läufst du hin?“ Keiji holte sie mit wenigen Schritten ein und wirbelte sie herum. „Lass mich!“, forderte sie ihn auf, doch er hielt sie umso fester an ihren Schultern fest. „Was hast du?“, fragte er verständnislos. Mio konnte seine Verwirrung verstehen. Gerade war noch alles in bester Ordnung und jetzt benahm sie sich plötzlich wie ein eingeschnapptes Kind, das nicht ihre Lieblingssüßigkeiten bekam. Sie presste stur die Lippen aufeinander und strafte ihn mit ihrem eisigen Schweigen. „Mio… Nun sag schon“, hakte Keiji weiter nach, „bist du sauer, weil ich das vorhin gesagt hab?“ Nun fing er wieder davon an… Mio senkte beschämt den Blick und biss sich auf die Unterlippe. „Ich bin eher sauer, weil das keine große Sache für dich ist und du das hier laut rumposaunst. Ich weiß, du hast sicher mit so einigen Frauen deine Erlebnisse gehabt… aber für mich ist das Neuland.“ Es war nicht fair von ihr, ihm vorzuwerfen, dass er bereits mit anderen Frauen geschlafen hatte, aber sie konnte nicht anders. Da er ihr nicht sofort eine Antwort gab, hob sie langsam ihren Blick und glaubte nicht, was sie dort sah. Dieser unverschämte Kerl grinste sie frech an. „Bist du etwa eifersüchtig?“, neckte er sie und brachte sie damit nur wieder auf die Palme. Mio spürte, wie ihr linkes Auge zuckte. Er raubte ihr echt den letzten Nerv. Sie sprach offen über ihre Gefühle und er nahm sie nicht einmal ernst. „Idiot“, schimpfte sie und versuchte sich aus seinem Griff zu befreien. Doch er hielt sie unnachgiebig fest, legte seine Arme um sie, bis sie aufhörte herumzuzappeln. „Du bist hier der Idiot“, sagte er sanft, „diese Frauen haben mir nichts bedeutet. Sie können mit dir nicht einmal konkurrieren. Ich will doch nur dich, du Dummkopf.“ Er drückte sie etwas von sich, umfasste ihr Gesicht und sah sie ernst an. „Hast du das immer noch nicht verstanden?“ Mios Herz machte einen Sprung, um dann noch schneller zu schlagen. Sie berührte seine Hände, die auf ihren Wangen lagen, und strich leicht darüber. Was war das nur, dass sie ihm jedes Wort glaubte? War das Dummheit, Vertrauen, Liebe? So schnell konnte nur er die Wogen glätten und ihr Selbstvertrauen zurückgeben. „Ich hab’s verstanden.“ Keiji lächelte zufrieden und hauchte ihr einen Kuss auf die Nasenspitze. „Das will ich auch hoffen.“ Dann umfasste er unerwartet ihr Kinn und ein dunkles Glitzern, das ihr einen Schauer über den Rücken jagte, blitzte in seinen Augen auf. „Sonst würde ich es dir gleich hier beweisen.“ Mios Atem stockte. Was seine Worte konkret bedeuteten, konnte sie nicht sagen, aber sie wusste instinktiv, dass sie es nicht unbedingt herausfinden wollte. Bevor Mio eine gescheite Antwort einfallen konnte, lachte Keiji unbekümmert und ergriff ihre Hand, damit sie ihren Weg fortsetzten.   ~*~   Zwischen den tanzenden Körpern bewegte sie sich im Rhythmus der Musik. Die Augen geschlossen, die Arme in der Luft. Es gab in diesem Moment nichts außer der Musik. Und ihm. Mio spürte die Wärme seines Körpers hinter sich. Die Hände an ihrer Hüfte. Den Atem an ihrer Halsbeuge. Es war mal wieder ein Kinderspiel, sich in einen Club hineinzuschmuggeln. Diesmal hatte Keiji nichts einzuwenden, schließlich war er ihr Begleiter. Mit ihm fühlte sie sich sicher, auch wenn sie niemand war, der Angst hatte. Dennoch war es beruhigend, jemanden wie ihn an seiner Seite zu wissen. Er hauchte ihr ihren Namen ins Ohr, woraufhin ein wohliger Schauer ihren Körper durchzog. Konnte das die Wirklichkeit sein? Mio kam es manchmal immer noch so vor wie ein Traum. Seit Keiji sie vor zwei Wochen auf der Krankenstation der Schule aufgesucht hatte, hatte ihre Beziehung eine konkrete Richtung angenommen. Was vorher wie ein Spiel erschien, hatte sich in etwas Ernstes verwandelt. Nicht nur, dass sie ihren Sandkastenfreund wiederhatte, sie war jetzt sogar mit ihm zusammen. Träumte sie auch wirklich nicht? Mio drehte sich zu ihm um, um sich seiner zu vergewissern. Ein Blick in seine vertrauten Augen, die sanfte Haut seiner Wangen unter ihren Fingerspitzen bestätigten seine Präsenz. Lächelnd zog Keiji sie fest an sich und beugte sich zu ihr hinab, um sie zu küssen. Mio senkte den Blick und gab sich seinem Kuss hin. An seinen Lippen haftete immer noch der Geschmack des Erdbeercocktails, den sie vorhin getrunken hatten.   Nachdem sie genug getanzt hatten, gingen sie an die Bar, um sich Erfrischungen zu holen. Sie setzten sich an den Tresen und bestellten sich zwei Flaschen Bier. „Weißt du noch, als wir das letzte Mal zusammen in Shibuya waren?“, fragte Mio ihn. Sie musste lauter sprechen, um den Bass zu übertönen. Keiji nahm einen Schluck von seinem Getränk und verzog sich das Gesicht, als würde es ihm nicht schmecken. „Als du mit Akira hier warst?“ Mio schüttelte den Kopf. „Nein. Ich meine, damals... als ich 12 war. Weißt du noch?“ Keiji schien nachzudenken. Konnte es sein, dass er sich nicht mehr daran erinnerte? Dabei war jener Moment unvergesslich für sie. „Da hatten wir uns doch von zu Hause weggeschlichen und sind nach Shibuya gefahren. Ich war so aufgeregt! Du hast mich durch das Vergnügungsviertel geführt und mir gesagt, dass hier jeder der sein konnte, der er wollte. Vor allem aber er selbst. Damals hatte ich es nicht verstanden, doch jetzt schon. Das kannst du doch nicht vergessen haben!“ Ihre Begeisterung färbte nicht auf ihn ab, ebenso wenig wie ihre Erzählung seinem Gedächtnis auf die Sprünge half. Keiji lächelte leicht und strich ihr kurz über die Wange. „Tut mir leid. Ich weiß es nicht mehr.“ Mio zog eine Schnute. „Wirklich nicht? Erinnerst du dich denn an gar nichts, was an diesem Tag passiert ist?“ „Was soll denn sonst noch passiert sein?“ Keijis Lächeln verschwand und seine Augenbraue schoss skeptisch in die Höhe. Sie verstand diese jähe Veränderung nicht und zuckte vorsichtig mit den Schultern. „Keine Ahnung... Irgendetwas, an das du dich vielleicht von diesem Tag erinnerst. Vielleicht erinnerst du dich dann auch an unseren Ausflug.“ Keiji-Sempai presste die Lippen aufeinander und richtete seinen Blick für einen kurzen Augenblick auf einen unbestimmten Punkt hinter ihr. Mio legte fragend den Kopf schief und winkte mit ihrer Hand vor seinem Gesicht hin und her, als er ihr nicht mehr antwortete. „Keiji...“ Als wäre es das Stichwort, das ihn aus seiner Trance erweckte, sah er sie wieder an. Sein kalter Blick irritierte sie ein wenig. „Warum ist es dir so wichtig, dass ich mich daran erinnere? Ich weiß es nicht mehr, ok?“ Mio blinzelte perplex und hob abwehrend die Hände. Sie wusste nicht, warum er sich deswegen so aufregte. „Ok. Vergiss es.“ Damit war das Thema beendet und Mio sprach es an diesem Abend nicht mehr an, obwohl die Neugierde sie natürlich auffraß. Seine Reaktion war unverständlich und übertrieben. Was konnte ihn denn an ihrer Frage verärgert haben? Mio konnte sich keinen Reim darauf bilden, aber nachbohren würde sie jetzt auch nicht. Denn dann wäre die Stimmung garantiert vollkommen im Keller. „Tanzen?“, schlug sie stattdessen vor und nahm ihm die Flasche aus der Hand, die sie auf dem Tresen abstellte. Sie glitt von ihrem Hocker und stellte sich zwischen seine Beine. „Oder bist du nicht mehr in Stimmung?“ Sie spielte an seinem Hemdkragen und sah ihn aus gesenkten Lidern an. Diese Gesten zeigten augenblicklich ihre Wirkung, denn Keijis Stimmung hellte sich im Nu auf. Er zog sie noch ein Stückchen näher, um mit seinen Lippen über ihre Wange zu wandern direkt zu ihrem kleinen Ohr. „Du solltest mich lieber nicht so anschauen.“ Sie liebte es, wenn er ihr Sachen zuflüsterte. „Warum nicht?“, fragte sie unschuldig, während ihre Arme sich um seinen Hals schlangen. „Sonst könnte ich mich vergessen.“ Er biss ihr sanft ins Ohrläppchen, was eine erneute Welle von Gefühlen in ihr auslöste. Mio entwich ein leiser Seufzer. Seine Hand vergrub sich in ihrem langen Haar, während die andere über ihren Rücken strich. Die Menschen um sie herum wurden in den Hintergrund ihres Bewusstseins gedrängt. Eine leise Geräuschkulisse. In diesem Augenblick existierten nur sie beide und sie hoffe, es würde ewig andauern. „Vielleicht ist das ja meine Absicht…“ Ihr Mund war schneller als ihr Verstand. Die Worte hatte sie gar nicht sagen wollen. Aber nun waren sie draußen, wie ein Vogel, der unaufhaltsam in die Weite des Himmels aufstieg. Keiji betrachtete sie aus seinen unergründlichen Augen, doch diesmal konnte Mio genau ablesen, was sich dahinter verbarg. Verlangen. „Du solltest mit deinen Wünschen vorsichtig sein, Mio. Sie könnten in Erfüllung gehen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)