Dämonen von Rockstar ================================================================================ Kapitel 1: ----------- „Mir gefällt deine Wohnung.“ Als ich mich umdrehe, ist er plötzlich da. Blass sieht er aus, beinah wie ein Gespenst, ein nicht gerade umwerfender Anblick, versetzte er doch sonst die ganze Welt in verdutztes, atemloses Staunen über sein Spiel. Wie er hier herein gekommen ist? Eine gute Frage, aber ich spare sie mir, weiß dass er sie mir eh nicht beantworten wird, also behalte ich ihn einen Moment lang schlicht im Blick, während das Geräusch meiner schweren Stiefel bis zum Kühlschrank begleitet. Ich ziehe die Tür auf, angenehme Kühle dringt mir entgegen, denn die Luft heute Nacht ist warm. Eine warme, laue Sommernacht, vielleicht irgendwo draußen vor der Stadt, doch hier hängt sie ein faserig gewordener Schleier über uns. Das Papier der schlichten brauen Flasche zeigt irgendeinen Namen zusammen mit ein paar leicht bekleideten Mädchen, doch mein Blick ruht erneut auf ihm, von dem ich mir sicher bin, er hat bis jetzt kein einziges Mal den Blick von mir genommen. „Den Namen von meinem Psychotherapeuten hatte ich dir doch gegeben – was willst du noch?“ Meine Stimme klingt ein wenig steif, doch das ungute Gefühl in meiner Magengegend, wann immer ich sein Gesicht sehe, sei es in Natura oder auf all den Gott verdammten Werbeplakaten in dieser Stadt, mag einfach nicht verschwinden. Dabei sieht er alles andere als bedrohlich aus. Eher verloren, als wäre er in dieses Zimmer hinein gefallen und er wisse selbst nicht wie und warum. Er trägt noch sein Shirt von heute Nachmittag, nur die Haare sind zerzauster, als hätte er dort ein paar Mal hindurch gegriffen, um sie zu ordnen. Vergebene Liebesmüh. Sein Kopf sieht immer aus wie ein gerupftes Vogelnest. „Mit dir reden. Nochmal. Ohne Produzenten.“ Er spricht schnell, vernuschelt die Silben halb, so hastig erklingt sein Wortschwall, als wolle er reden; reden so schnell und so viel wie möglich, ehe ich ihn am Kragen packen und aus meiner Wohnung schleifen kann. „Und ohne Presse. Und…nur wir beide. Reden. Kann ich reinkommen?“ Eine unnütze Frage, denn er steht ja schon in meinem Wohnzimmer und ich verdrehe bloß die Augen, deute mit der Flasche dann aber auf die Couch direkt gegenüber vom Fenster. „Du machst doch sowieso, was du willst.“ „Du auch.“ Und erneut ist seine Antwort hastig, während er den Raum durchquert, aber sich dafür Zeit lässt. Der Blick hinter der unförmigen Brille mit den dicken Gläsern schweift, den Boden, die Wände, die Decke, Fotos, Kleidung, wieder Fotos, ein paar Zeitschriften und erneut die Fotos. Er bleibt einige Meter von mir entfernt stehen, greift sich leicht an die Brille und schiebt sie ein Stück weiter auf dem Nasenrücken empor. Ich trinke einen Schluck, eine Hand in meiner Hosentasche. „Hast du nicht gelesen, was sie über mich schreiben? Der „Rebell“ muss doch so sein.“ Ich hasse diesen Namen. Er klingt als wäre ich wie ein zorniger Teenager, denn ein ernstzunehmender Mann. „Du bist viel mehr als das. Sie sehen es nur nicht, weil sie dumm sind. Aber ich sehe es.“ Seine Stimme klingt gehetzt, getrieben. Und ich runzele die Stirn. Der nächste Schluck. „Was siehst du? Dass du durch die Gläser überhaupt irgendetwas siehst, ist Wunder genug.“ Er hält inne, als überlege er irgendetwas sehr schnell und ich lasse meinem Blick weiterhin auf ihm ruhen. Ich bin älter als er, doch die Leute setzten uns ständig in Vergleich. Ob er meine Augen hätte, fragen die einen. Ob er meine Schultern hätte, fragen die anderen. Ob er seine Art zu spielen durch das intensive Studieren meiner Filme gelernt hätte. Nein, antworte ich. Er hat nicht meine Augen. Er sieht immer melancholisch aus, zu viel Schmerz, zu viel Verletzbarkeit, ungesund für unseren Beruf. Er hat auch nicht meine Schultern, denn er ist viel schmaler als ich. Ich weiß, dass er trainiert. Aber es reicht nicht. Aber dass er sich einen Großteil seines „Genies“ von meinem abgeschaut hat, das allerdings glaube auch ich. „Du magst sie nicht? Ich kann sie abnehmen…aber dann sehe ich dich auf die Entfernung nicht mehr. Du musst näher kommen.“ Prompt landen seine langen, beinah mädchenhaft zierlichen Finger am Bügel seiner Brille. Er nimmt sie ohne zu zögern ab, blinzelt, schaut drein wie eine überraschte Eule, gerupft noch dazu. Ich trinke meinen nächsten Schluck, gehe aber nicht zu ihm rüber. Wieder ein Blinzeln. Seine Stimme klingt beinah flehend. „Bitte…ich sehe dich wirklich nicht. Aber ich will dich sehen.“ Ich frage mich, ob er die Tour auch bei irgendeiner seiner Starletts abzieht. Einfach in deren Wohnung einbrechen, ruhelos und gehetzt aussehen und ihnen dann sagen, sie sollen näher kommen, er könne sie sonst nicht sehen. Ich trinke erneut, atme dann aber eher genervt aus und setze den ersten Schritt auf ihn zu. Er sieht beinah erleichtert aus und die linke Hand, die die klobige Brille hält, ballt sich um das dicke Glas zusammen. „Ich denke, du „siehst“ mich?“ Meine Bemerkung klingt lakonisch und ich kann sehen, wie er sich für einen Moment den Kragen seiner Jacke in den Mund zieht und daran herum kaut, wie immer, wenn ihm irgendetwas unangenehm ist. Er sieht so fürchterlich getrieben aus, wie ein gejagtes, wildes Tier, nackt vor der Flinte des Jägers her getrieben. „Immer.“ Eine knappe Erwiderung, ein blinzelnder Blick, der sich schmälert, um mich doch fixieren zu können. „Aber jetzt gerade will ich dir gegenüber stehen. Ich will stehen. Vor dir. Bitte.“ Es sind nur ein paar Schritte, trotzdem fühle ich mich, als ginge ich auf meinen Henker zu. Nicht einen einzigen Moment lang lässt er mich aus den Augen, fixiert mich, starrt mich an, atmet unkontrolliert ein und aus, ein Rhythmus der nicht normal ist, er ist nicht normal, nichts ist normal. An der Normalität vorbei geschrammt mit zu schnellen Autos und Motorrädern. Meine Finger ballen sich um das Glas meiner Flasche. „Bist du jetzt zufrieden?“ Meine Stimme klingt ungnädig und gereizt, aber als ich vor ihm stehe, sieht er seltsam erleichtert aus. Die Hand, die die Brille umfasst hält zittert ein wenig, als er sie langsam in meine Richtung hält. Drohend ziehe ich die Augenbrauen zusammen. Herr Gott nochmal, Junge. Reiss dich zusammen. „Egal auf welchen Trip du bist, ich will damit nichts zu tun haben. Ich habe sowieso schon ein Haufen Ärger wegen dir, Herr Genie““ Seine Augen sind lächerlich groß als er mich damit einen Moment lang anstarrt, dann tritt ein seltsamer Ausdruck auf sein Gesicht. Es ist viel weicher als meins, viel mädchenhafter und ich weiß nicht warum, aber ich finde ihn kein Stück anziehend. Dabei findet ihn die ganze Welt anziehend. Jeder will ein Stück von ihm besitzen, außer mir. Aber vielleicht ist es deswegen. Ich will ihn nicht besitzen. Ich will ihn einfach nur wieder loswerden. Ein Arm schmiegt sich zögernd um meinen Hals, eine erschreckend heiße Stirn lehnt sich gegen meine Schulter und ich spüre, wie er mir gegen die Haut atmet. Für einen Moment stehe ich still. Bin regungslos. Gebunden. Gefesselt. Sein Arm wiegt wie eine Eisenkette um meinen Hals. Die Flasche rutscht mir ein Stück aus den Fingerspitzen. „Hast du…schon einmal daran gedacht, ob du vielleicht verrückt bist?“ Die Frage trifft mich unvorbereitet. So leise klingt sie, dass mich mehr der Ton seiner Stimme trifft, das sanfte Vibrieren seiner Lippen, die sich durch den Stoff meines Shirts auf meine Haut legt. Er ist viel zu heiß. Hat Fieber. Oder ist auf Drogen. Vielleicht aber auch beides oder auch nichts davon, denn wer so sehr leuchtet, der muss irgendwann einfach verglühen, das ist der Lauf der Natur. „Ich bin Schauspieler. Natürlich bin ich verrückt.“ Er atmet ein, er atmet aus, lässt mehr Atem durch mein Shirt dringen und für einen Moment krabbelt es mir über die Unterarme. Er hat sich kein Stück gerührt. Ich auch nicht. Sein Arm ruht um meinen Hals und ich habe das Gefühl, er klammert sich an mich wie an ein Rettungsanker, weil er sonst einfach ertrinkt. Ertrinkt in diesem ganzen glitzernden Wahnsinn, wo der schöne Schein regiert, das Sein nicht realisiert werden kann, weil es Niemand sehen will, niemand will schmutzige Details, es sei denn, sie lassen sich gut verkaufen. Er erinnert mich daran, wie sehr ich dieses ganze Getue eigentlich hasse. Wie sehr ich die Faust im Nacken nicht nur gespielt haben will. Meine Wut, mein Ärger, meine Aufregung über die Dummheit und die Akzeptanz gegenüber Verfall und der Entwertung von Leben und Persönlichkeit – an das alles erinnert er mich und die Flasche zwischen meinen Fingern macht einen weiteren Rutsch hinab. Es ist, als ziehe er mich hinab. Zu sich heran. Dichter. Enger. Verfänglicher. „Das ist doch unsere Aufgabe. Verrückt sein. Ein kleines Schoßhündchen sein, dem sie Futter und ein Haus über den Kopf zahlen, damit er weiter seinem Schwanz hinterher rennt. Er kläfft? Dafür gibt es die Presse. Er motzt und meckert? Dafür gibt es Zeitungsartikel. Du sollst nicht denken, du sollst das Stück Fleisch sein, für das du bezahlt wirst. Tanze, tanze, tanze. Tanz den letzten Tango. Aber tanz ihn so, dass wir dich dabei filmen können, lass dir die Stirn pudern, überschmink die Falte dort…das ist verrückt sein.“ Er ist still. Einen ganzen Moment sagt er nichts, aber ich höre ihn atmen. Es ist ein langsamer, unruhiger Klang, getrieben von Dämonen in seinen Kopf und meinen, die sich gerade gähnend erheben und gierig die klauenbestückten Hände ausstrecke. Geld allein macht nicht glücklich. Aber es gibt einem Sicherheit. Oder zumindest die Illusion davon. Vielleicht wir Menschen das. Illusion. Weil die Wirklichkeit so hässlich ist, dass sie niemand freiwillig ungeschminkt ansehen möchte. Ich senke den Kopf ein Stück, als er zu mir aufschaut. Seine Augen sind dunkel. Reflektieren nur schwach das Licht der vorbei zischenden Autos und ich kann mich darin spiegeln. Die Flasche zwischen meinen Fingern scheint Tonnen zu wiegen und sie beginnt zu zittern, als er sich deutlicher vor mein Gesicht bringt und mich anstarrt. Seine Augen brennen. Seine Augen sind voller Dämonen. Seine Augen sind meine Augen. „Ich sehe dich.“ Er flüstert. Sagt die Worte leise, geduldig und doch absolut rastlos, sind ebenso sinnlos wie die Berührung seines Mundes, als er die Lippen gegen meine drängt. Ich kann die Autos unten auf der Straße hören, ihr leises, monotones Surren, weil man von einem Punkt zum nächsten hetzt, ohne sich noch die Zeit zu nehmen, auch nur für einen Moment im hier und jetzt zu verweilen. Die Flasche rutscht aus meinen Fingern und knallt auf dem Boden. Ich höre Glas splittern, rieche den scharfen Geruch nach Alkohol, der vom Boden aufsteigt und sich mit dem Geruch seines After Shaves mischt. Er klammert sich an mich, schlingt den anderen Arm um meinen Hals und zieht sich an mich heran, meine Arme heben sich, legen sich um seinen Rücken und irgendetwas in mir ist für einen Moment erstaunt über die Tatsache, dass er gar nicht der adrette, durchtrainierte Heroen ist, für den ihn alle halten, sondern ein schmaler Junge, denn ich mühelos umgreifen und festhalten und mein Gesicht in seinem Haar vergraben kann. „Oh Gott sei Dank, sehe ich dich – ich bin nicht mehr alleine.“ Er starb am 30. September. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)