Crossroads von lunalinn (decisions are never easy) ================================================================================ Kapitel 19: Helfersyndrom ------------------------- Seit jeher hatte Severus gelernt, seine Probleme ausschließlich mit sich selbst auszumachen. Es hatte wenige Jahre gebraucht, bis er realisiert hatte, dass er sich nicht mal auf seine Eltern verlassen konnte. Wann ihm diese Erkenntnis gekommen war, wusste er nicht mehr genau…es musste irgendwann auf dieser Grundschule für Muggel passiert sein. Vielleicht damals, als die anderen Kinder auf ihn losgegangen waren und seine Kleidung dabei in Mitleidenschaft gezogen worden war. Sein Vater hatte ein ziemliches Theater veranstaltet, während seine Mutter nur da gesessen und vor sich hin gestarrt hatte. Immer, wenn sie sich einmischte, wurde es noch schlimmer, von daher konnte er es ihr schlecht nachtragen. Sicher hatte Lily ihm oftmals geholfen, wenn er Probleme gehabt hatte…vor allem, wenn diese Probleme mit den Rumtreibern zu tun hatten. Gewollt hatte Severus dies dennoch nie, denn es hatte ihn jedes Mal beschämt. Hilfe von anderen war etwas, das er nicht gewöhnt war…es war ihm unangenehm, weil es bedeutete, dass er zu schwach war, um sich selbst zu helfen. Und jetzt saß er hier…mit pochender Stirn im Krankenflügel…und mit Lupin, der sich weigerte, endlich zu verschwinden. Madame Pomfrey hatte ihr Bestes getan, um ihm zu helfen, doch der Zauber war wohl hartnäckiger als gedacht, so dass er die Nacht über hier bleiben sollte. Severus war das eigentlich ganz recht, denn das Wort auf seiner Stirn war immer noch nicht gänzlich verschwunden. Was ihm nicht recht war, war Lupins Anwesenheit, doch da dieser anscheinend mittlerweile immun gegen seine Boshaftigkeit war, konnte er nicht viel tun, um ihn zu vertreiben. Noch war es nicht so spät, dass er von Madame Pomfrey rausgescheucht wurde. Im Gegenteil, sie hatte gemeint, dass ihm der Beistand von einem Freund in seiner Situation sicher helfen würde. Als wären Lupin und er auch nur annähernd so etwas wie Freunde. Was zeichnete Freunde überhaupt aus? Lily war seine Freundin gewesen, sie hatte sich um ihn gesorgt, war nett zu ihm gewesen und er war gern mit ihr zusammen und Lupin…verdammt, mit dem war es inzwischen genauso. Nicht, dass er lieber mit diesem Werwolf zusammen gewesen wäre als mit Lily…oder dass er auch nur annähernd ihren Status bei ihm erreichen könnte, aber…er respektierte Lupin. Zur Hölle, er hatte sogar zugelassen, dass Lupin seine Hand länger als drei Sekunden berührte. Warum eigentlich? Besser, er fing gar nicht erst an, darüber nachzudenken…er hatte schon genug Kopfschmerzen. Außerdem würde das bedeuten, dass Lupin wichtig genug war, um komplizierte Gedanken an ihn zu verschwenden. Dabei versuchte er ihn doch die ganze Zeit auszublenden, damit dieses unangenehme Gefühl endlich verging. „War das dein Ernst?“ Das mit dem Ausblenden wurde wohl nichts und er seufzte innerlich. Ohne den Blick von einer besonders hässlichen Vase auf einer der Kommoden zu nehmen, murmelte er nur: „Was?“ „…dass es meine Schuld ist…was dir passiert ist.“ Severus schnaubte leise. „Warum interessiert dich das?“, erwiderte er und machte sich nicht die Mühe, zu verbergen, wie genervt er war. Nicht nur von Lupin oder seinen überflüssigen Fragen, sondern von der gesamten Situation. Sie hatten ihn verfolgt und abgefangen, waren zu dritt gewesen, von daher hatte er keine Chance gehabt…und trotzdem nagte der Vorfall an ihm. So hinterlistig es auch gewesen sein mochte, er hätte besser aufpassen müssen, doch stattdessen hatte er seine Deckung vernachlässigt. Rosiers dreckiges Lachen wollte ihm einfach nicht aus dem Kopf gehen und er krallte die Finger zornig in die Decke. „Weil…ich das nicht wollte…also, dass sowas passiert.“ Er warf Lupin einen Seitenblick zu…und stellte fest, dass der sich tatsächlich schuldig zu fühlen schien. Zumindest deutete er den Ausdruck in den bernsteinfarbenen Augen so…wie ein getretener Hund, richtig lächerlich. Schließlich war es nicht nur seine Schuld…auch wenn Severus das in seiner Wut behauptet hatte. Musste er das jetzt aufklären? Konnte ihm doch egal sein, was der Werwolf dachte…leider war es das nicht und das war ziemlich frustrierend. „Die haben sowieso schon lange drauf gewartet, mir eins reinzuwürgen“, brummte er nach einer Weile und drehte den Kopf wieder weg. „Ich war halt unvorsichtig…und jetzt lass mich damit in Ruhe. Dein Mitleid ändert auch nichts dran.“ Lily wäre vermutlich stolz auf ihn gewesen, wenn sie solche Worte von ihm gehört hätte; wie oft hatte sie ihm vorgeworfen, engstirnig und nachtragend zu sein? Auf jeden Fall sehr oft. „Ich weiß“, hörte er Lupin sagen. „Aber…ich möchte irgendwas tun. Also…für dich…weil…es ist einfach nicht in Ordnung, was die mit dir gemacht haben.“ Severus wollte ihn anzischen, dass vieles im Leben nicht in Ordnung war, doch das Thema Rumtreiber wollte er nicht schon wieder anschneiden. Außerdem wollte er ausnahmsweise mal keinen Streit anfangen. Nicht jetzt, wo er genug andere Probleme hatte…wobei er nicht glaubte, dass sie ihm so schnell wieder auflauern würden – wenn auch nur aufgrund der Befürchtung, er könnte zu Slughorn oder gar zu Dumbledore rennen. Zwar hatten sie ihm gedroht, doch das war ja keine Garantie für sein Schweigen. Lupin wollte also was für ihn tun? Damit es ihm besser ging? Das war ja richtig rührend…und vollkommen unnötig. Niemand brauchte was für ihn tun. Aber Lupin wollte es. Warum? Ach ja…weil er so ein netter Kerl war…das war ja kaum auszuhalten. Wenn er ihm mit dieser Gutmensch-Tour kam, fiel es ihm wirklich schwer, zynisch zu sein. „Du hast genug getan“, meinte er, bevor er auf Lupins ungläubigen Blick hin ergänzte: „Und nein, das meine ich nicht sarkastisch.“ Igitt…wirkte Lupins Freundlichkeit so ansteckend, dass er jetzt auch schon damit anfing? Andererseits…würde er ohne, dass der Gryffindor ihn gefunden hätte, immer noch in dieser muffigen Besenkammer stecken. Es schauderte ihn bei dem Gedanken, dass er tagelang dort drin hätte liegen können. Wer hätte ihn vermisst? Wenn er Glück gehabt hätte, vielleicht einer der Lehrer – Slughorn ausgenommen, denn der kümmerte sich nur um die wichtigen Schüler. Zudem verhielt sich Lupin in dieser Situation diskreter, als es andere Leute getan hätten. Er fand es weder lustig noch würde er ihn damit aufziehen…dessen war er sich sicher. Eigenartig, wie gut er inzwischen von dem Werwolf dachte. Als er zu Lupin sah, lächelte dieser ihn an…und Severus spürte, wie seine Wangen zu kribbeln begannen. Konnte dieser Idiot nicht mal damit aufhören? Diese Freundlichkeit machte ihn noch ganz krank, sowas war er einfach nicht gewöhnt. „Gern geschehen“, gab er zurück und legte für einen Moment die Hand auf seinen Unterarm. Die warmen Finger berührten seine Haut, ließen ihn reflexartig zusammenzucken; warum tatschte der ihn jetzt schon wieder an? Das war doch nicht normal…oder? Wobei…wenn er so zurückdachte, hatte Lily ihn auch oft flüchtig berührt. Reagierte er also über? Wahrscheinlich…auch wenn er das natürlich niemals laut zugegeben hätte. „Ah, wie ich sehe, sind Sie in bester Gesellschaft, Mr Snape!“ Wie von der Tarantel gestochen, zog Severus beim Klang der vertrauten Stimme seinen Arm weg und auch Lupin zuckte so heftig zusammen, dass er beinahe von der Bettkante gefallen wäre. Albus Dumbledore schien das erfolgreich zu ignorieren, während er mit dem gewohnt freundlichen Lächeln auf den Lippen näher schritt. Wie konnte sich ein alter Mann bitte so geschickt anschleichen, dass keiner ihn bemerkte? Und was fiel Madame Pomfrey überhaupt ein, den Schulleiter zu rufen? Er hatte doch deutlich gemacht, dass er mit niemandem darüber sprechen wollte. „Verzeihen Sie mir die Störung“, fuhr Dumbledore im Plauderton fort. „Es war gewiss nicht meine Absicht, Sie beide zu…nun ja, zu erschrecken.“ Severus wusste nicht einmal, warum ihm bei diesen Worten die Hitze in die Wangen stieg, doch Lupin schien es ähnlich zu gehen. Beruhigend war das zwar nicht, aber immerhin ein schwacher Trost. Dumbledore blickte sie weiterhin aus seinen blauen Augen über die Ränder seiner Halbmondgläserbrille an…und da war so ein seltsames Funkeln, das ihm gar nicht behagte. „Sie haben uns nicht erschreckt!“, log er und versuchte, besonders patzig zu klingen. Lupin runzelte daraufhin die Stirn, besaß anscheinend aber genug Taktgefühl, um nicht zu widersprechen. „Oh, tatsächlich?“, fragte Dumbledore verwundert. „Mir schien, ich hätte Sie beide in einem vertrauten Augenblick überrumpelt…“ Severus wünschte sich, er könnte im Erdboden versinken, doch dies war ihm natürlich nicht vergönnt. Es blieb ihm also nichts anderes übrig, als den Schulleiter so finster wie möglich anzustarren, in der Hoffnung, es möge diesen dazu bringen, wieder zu gehen. „Aber nun gut, ich möchte Sie nicht weiter in Verlegenheit bringen…“ Neben ihm schien Lupin einem Herzinfarkt nahe, zumindest wenn man nach dem Japsen ging, was diesem soeben entwich. Er selbst hatte mehr das Gefühl, er würde gleich explodieren; was faselte dieser alte Mann da von Verlegenheit?! Es gab ja nicht mal einen Grund dafür! „…kommen wir also zum Grund meines Besuchs.“ Obwohl Dumbledore immer noch so freundlich lächelte, wirkte sein Ausdruck beunruhigend scharf und Severus graute es bereits jetzt vor dem unvermeidlichen Gespräch. Der Schulleiter fixierte seine Stirn und es fiel dem Slytherin schwer, nicht einfach den Kopf wegzudrehen. Bringen würde das sowieso nichts. „Madame Pomfrey hat mich bereits über den Vorfall unterrichtet, Mr Snape“, begann er ruhig, doch Severus spannte sich direkt an. „Sie sagte mir, dass Sie sich weigern, ihr mehr darüber zu erzählen…oder diejenigen zu nennen, die Ihnen das angetan haben.“ Severus presste kurz die Lippen zusammen, funkelte den Schulleiter kühl an. „Dann ist ja alles gesagt“, schnappte er, auch wenn er wusste, dass es nicht so leicht sein würde. „Uhm…Snape, vielleicht solltest du ja doch…darüber reden?“ Dass Lupin ausgerechnet jetzt beschloss, sich einzumischen, war keinesfalls hilfreich. Er schoss dem Werwolf einen tödlichen Blick zu, unter welchem der andere zusammenzuckte; hoffentlich reichte das aus, damit er still war. „Ich muss Mr Lupin Recht geben, Mr Snape“, meldete sich Dumbledore wieder zu Wort. „Sie wurden offensichtlich angegriffen und dabei verletzt, so ein Verhalten wird in Hogwarts nicht geduldet.“ War ja klar, dass er nun so klug daher redete, aber wenn seine kleinen Lieblinge Potter und Black involviert waren, kümmerte das den alten Mann nie. Warum sollte er also den Mund aufmachen? Es würde alles nur schlimmer machen und niemand würde ihn mehr ernst nehmen. Dass selbstgerechte Gryffindors das nicht verstanden, sollte ihn wohl nicht wundern. „Ich werde nichts dazu sagen.“ Dumbledore sah ihn mit hochgezogenen Brauen an, doch wenn er hoffte, dass Severus einlenken würde, hatte er sich geschnitten. „Sind Sie sicher?“ Demonstrativ verschränkte der Slytherin die Arme, sah finster zurück. „Ja. Es gibt nichts zu sagen.“ Dumbledore ließ ein Seufzen verlauten. „Nun, das ist bedauerlich, denn ich glaube nicht, dass es sich hierbei um einen Unfall handelt, nicht wahr? Sie müssen die Täter nicht schützen…“ Severus fiel es schwer, dem stechenden Blick standzuhalten, aber er tat es; er war mindestens so stur, wie der alte Mann beharrlich war. Sollte er endlich aufgeben und verschwinden. „Ich schütze niemanden!“, zischte er. „Ich will nur nicht darüber reden!“ Ein paar Sekunden lang schaute Dumbledore ihn nur an, so als erwarte er, dass Severus seine Meinung dadurch ändern würde. Dann wanderte sein Blick langsam zu Lupin rüber, der immer noch neben ihm saß, sich aber wohl nicht noch mal einzumischen traute. „Mr Lupin?“ Der Angesprochene blickte auf und Severus wusste, ohne ihn ansehen zu müssen, dass ihm die Unsicherheit ins Gesicht geschrieben stand. Wehe, er würde auch nur ein Wort darüber verlieren… „Möchten Sie etwas sagen?“ Lupin hatte jetzt genau zwei Optionen…entweder er erzählte Dumbledore, dass er gesehen hatte, wie ihm die Leute aus seinem Haus gefolgt waren, oder er hielt den Mund. Severus hatte das ungute Gefühl, dass sein lächerlicher Gryffindor-Stolz ihn zu Ersterem verleiten würde – doch Lupin sollte klar sein, dass er von ihm dann nichts mehr zu erwarten hätte. Für ihn selbst sollte das kein großer Verlust sein...umso ärgerlicher, dass es ihm trotzdem widerstrebte, in Zukunft wieder allein in der Bibliothek zu sitzen. Lupin öffnete ein paar Mal den Mund, schloss ihn wieder, sah zu ihm und schlussendlich wieder zu Dumbledore, der geduldig wartete. „Ich…es tut mir leid, Professor…ich weiß auch nicht, wer ihm das angetan hat.“ Das kam doch recht überraschend und dem Schulleiter musste es genauso gehen, auch wenn der lediglich nickte. „So bedauerlich dies auch ist…ich verstehe.“ Noch einmal wurden sie beide eindringlich angesehen, doch da sich keiner von ihnen noch weiter äußerte, gab er endlich auf. „Falls Sie Ihre Meinung ändern sollten, wissen Sie, wo Sie mich finden…ich habe jederzeit ein offenes Ohr für meine Schüler.“ Severus schwieg verbissen, wohingegen Lupin sich leise bedankte. „Bei Madame Pomfrey sind Sie in guten Händen, Mr Snape…ruhen Sie sich aus.“ Das gütige Lächeln nervte ihn allenfalls, doch Dumbledore schien seine finstere Miene zu ignorieren und nickte ihnen beiden zu, ehe er sich umdrehte und den Raum verließ. Eine Weile sagte keiner von ihnen beiden etwas, auch wenn er Lupins Blick auf sich spürte. Sollte er sich jetzt auch noch schuldig fühlen? Es ging keinen etwas an, was passiert war…doch anstatt etwas zu sagen, seufzte Lupin nur resigniert und es kostete Severus einiges an Selbstbeherrschung, ihn nicht anzufauchen. „…was?“, murrte er stattdessen und drehte sich zu ihm. Lupin lächelte schief. „Du bist der komplizierteste und misstrauischste Mensch, den ich je kennengelernt habe.“ Severus schnaubte leise. „Das hat seine Gründe, wie dir vielleicht bekannt sein dürfte.“ Auch wenn Lupin die Andeutung sicher verstand, blieb er weiterhin freundlich; gab es überhaupt etwas, das den Werwolf wütend machen konnte? Wobei, einmal hatte er es ja geschafft, diesen aus der Haut fahren zu lassen. „…ich weiß“, meinte Lupin und sah ihn aus seinen Bernsteinaugen ernst an. „Aber du solltest vielleicht mal versuchen, wenigstens den Menschen zu vertrauen, denen was an dir liegt.“ Die Worte ließen Severus für einen Moment erstarren – nicht mal eine sarkastische Bemerkung wollte ihm einfallen. Soweit er sich erinnern konnte, war Lily die einzige Person in seinem Umfeld, die jemals Vergleichbares zu ihm gesagt hatte…und bei ihr was das was anderes. Da war wieder dieses unangenehme Gefühl von vorhin, bevor Dumbledore plötzlich vor ihnen gestanden hatte. Weil er merkte, wie seine Wangen erneut zu kribbeln begannen, wandte er den Blick ab; irgendwas lief hier doch gewaltig schief. „Hast du eigentlich keine eigenen Probleme, um die du dich kümmern musst?“, erwiderte er abweisend, hielt sich aber mit Bemerkungen über pelzige Kreaturen zurück. Seit wann achtete er auf seine Wortwahl, wenn es um den Werwolf ging? „Einen ganzen Haufen“, gab Lupin zurück. „Aber wir Vertrauensschüler haben dieses Helfersyndrom…“ Als Severus ihm einen Seitenblick zuwarf, lächelte der andere ihn an. Bei ihm zweifelte er nicht mal, dass es ernst gemeint war…Lupins Freundlichkeit war immer sein Ernst, so viel wusste er inzwischen über ihn – auch wenn er ein Feigling war und oft kein Rückgrat hatte. Da hatte wohl jemand sein Helfersyndrom lange unterdrückt, um nicht mit seinen Freunden zu streiten. „…scheint bei dir ja nervtötend stark ausgeprägt zu sein“, brummte er jedoch nur, weil er nicht über die Rumtreiber reden wollte. Lupin schmunzelte, doch bevor er noch etwas sagen konnte, wurden sie erneut unterbrochen – und vielleicht war das gut so. Auch wenn Severus sich ganz sicher nicht Slughorn dafür gewünscht hätte…vor allem nicht, als er dessen Gesichtsausdruck sah. Es war kein Geheimnis, dass sich sein Hauslehrer nur für die Schüler, die durch Beziehungen oder mit außergewöhnlichem Talent herausstachen, interessierte. Für jemanden wie ihn hatte Slughorn eigentlich nichts übrig, weswegen Severus das Bedauern im Gesicht des Professors nicht ernst nehmen konnte. Als würde es diesen Heuchler ernsthaft kümmern, was ihm widerfahren war – obwohl Potter und Black nicht in seinem Haus waren, zollte er ihnen mehr Aufmerksamkeit als ihm. Severus hatte sich schon damit abgefunden, aber es wäre ihm lieber gewesen, Slughorn wäre einfach gar nicht gekommen. Anstatt ihn jedoch direkt zu bemitleiden, wandte er sich überraschenderweise erst einmal an Lupin. „Oh, Mr Lupin…Sie sind auch hier…hm…“, bemerkte er und wirkte dabei ein wenig zerstreut. „Ich hatte nicht damit gerechnet…aber gut.“ Sein erzwungenes Lächeln sah aus, als hätte er Zahnschmerzen. „Sehr freundlich von Ihnen, dass Sie Mr Snape Gesellschaft geleistet haben…doch ich muss Sie nun bitten zu gehen. Ich…muss mit Mr Snape allein sprechen. Es ist wirklich wichtig…und duldet leider keinen Aufschub.“ Lupin sah Slughorn verdutzt an, ehe er ihm einen zögerlichen Seitenblick zuwarf. „Oh…natürlich, Professor…uhm…“ Die bernsteinfarbenen Augen flackerten kurz zu ihm rüber, als erwarte er eine Erlaubnis. Severus nickte nur steif, war jetzt noch beunruhigter als bei Dumbledores Besuch; was war passiert, dass Slughorn Lupin sogar rausschickte? Es ging doch bestimmt nicht nur um den Angriff auf ihn – das wäre seinem Hauslehrer egal gewesen. „Also…bis später dann, Snape…“, murmelte ihm der Werwolf zu und wieder nickte Severus schon beinahe mechanisch. Erst als Lupin den Raum verlassen hatte, schaute er zu Slughorn, der sich unbehaglich räusperte und dann etwas hervorholte. Einen Brief. Severus bemerkte, wie der Professor ihn eine Weile zwischen den Fingern drehte, wohl nach Worten suchte. Das miese Gefühl in seiner Magengegend wurde schlimmer. „Nun…ich weiß, dass es…ein schlechter Zeitpunkt ist – natürlich gibt es dafür keinen richtigen Zeitpunkt, bei Merlin, das wollte ich damit wirklich nicht sagen! Ich habe vorhin von dem Vorfall gehört…scheußlich, was Ihnen da angetan wurde, wahrlich scheußlich!“ Er schüttelte den Kopf, wobei sein Schnauzbart bei der Bewegung mitwippte. „Dennoch…es duldet keinen Aufschub, Mr Snape, so leid es mir tut…ich…nehmen Sie.“ Severus hatte das Gefühl, als würde ihn jemand würgen, während er den Brief mit zittrigen Fingern entgegennahm. Verdammt…da stimmte etwas ganz gewaltig nicht. Er bekam nie Briefe…von niemandem…und so, wie sich Slughorn verhielt, musste es ziemlich übel sein. Als er den Absender sah, wusste er nicht, ob er den Brief überhaupt öffnen wollte, doch Slughorn nahm ihm die Entscheidung ab. Er trat neben das Bett und legte eine Hand auf seine Schulter, drückte diese fest. „Der Brief ist von Ihrem Vater…er kam vor etwa einer halben Stunde hier für Sie an“, meinte er und blickte ihn so voller Mitleid an, dass es kaum auszuhalten war. „Sie müssen jetzt stark sein…ich bin sicher, Ihre Mutter hätte es so gewollt…“ Es war der letzte Satz, der Severus zu Eis erstarren ließ. Seine Nägel gruben sich in das vergilbte Papier, während er Slughorn wie einen Geist anstarrte. „…was?“, würgte er hervor und spürte, wie das Zittern seiner Hände stärker wurde. Slughorns stachelbeerfarbene Augen bedachten ihn erneut mit diesem ihm verhassten Blick. „Es war ein Unfall, Mr Snape…keiner bezweifelt dies.“ Er seufzte und drückte noch einmal seine Schulter, ehe er von ihm abließ. „…lesen Sie den Brief in Ruhe, mein Junge“, fuhr er dann fort und wandte sich zum Gehen. „Und…mein Beileid. Wenn Sie irgendetwas brauchen, lassen Sie es Madame Pomfrey wissen…“ Damit neigte er den Kopf und verließ den Raum. Severus konnte ihm nur hinterher starren…dann senkte er den Blick auf den Brief in seinen Händen. Er wusste nicht, wie lange er dort gesessen hatte, bis er sich endlich dazu überwinden konnte, ihn zu öffnen. Bis er die Bedeutung der unsauberen Handschrift tatsächlich verstanden hatte, fühlte er sich, als hätte ihn jemand mit einem Schockzauber getroffen. Sein Herz raste, seine Finger waren schwitzig und sein Körper bebte…er hätte nicht gedacht, dass dieser Tag noch schlimmer werden könnte. Wie man sich doch irren konnte…und nun saß er hier. Mit diesem verfluchten Brief…und er hatte keine Ahnung, wie er damit umgehen sollte. Er saß nur da und wartete darauf, dass ihn die Emotionen überrollten. Doch im Moment…war da nur die schmerzhafte Leere. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)