Crossroads von lunalinn (decisions are never easy) ================================================================================ Kapitel 24: Sommerferien ------------------------ Die Sommerferien kamen schneller als gedacht, auch wenn Remus die Zeit im Krankenflügel so zäh wie Druhbels Bester Blaskaugummi vorgekommen war. Zwar waren seine drei Freunde mindestens einmal am Tag zu Besuch gekommen, doch diese hatten immerhin ihre eigenen Verpflichtungen. Zwischen Unterricht, Quidditch und Dates blieb eben nur begrenzte Freizeit, so dass es meistens Peter gewesen war, der bei ihm gesessen hatte. Soweit es in der Möglichkeit seines Freundes stand, hatte dieser ihm die Hausaufgaben gebracht und ihm erzählt, mit was sie sich befasst hatten. Da sich Remus kaum hatte bewegen können und immer noch unter ziemlichen Schmerzen litt, war es schwierig gewesen, sich zu konzentrieren. Seine einmal monatliche Verwandlung, bei der es ihn zusätzlich zerriss, hatte bei seiner Genesung nicht gerade geholfen. Und dann war da noch die Sache mit Snape, die ihn wie ein Geschwür quälte. Dass er mit niemandem darüber reden konnte, machte es bloß schlimmer. Seitdem ihn der Fluch erwischt hatte, ließen alle drei erst recht kein gutes Haar mehr an dem Slytherin. Sirius hatte sich zudem unheimlich darüber aufgeregt, dass Remus ihnen keine Rache an Snape erlaubte. Generell konnten es seine Freunde nicht nachvollziehen, dass er keine Wut darüber empfand, sondern das Thema einfach hinter sich lassen wollte. Sie ahnten ja auch nicht, dass zwischen Snape und ihm mehr als ein lebensgefährlicher Fluch stand. Obwohl Remus nie wirklich daran geglaubt hatte, dass sich der Slytherin auf ihn einlassen würde, war da immer dieser Funken Hoffnung gewesen. Die Hoffnung, dass seine Gefühle kein Grund wären, um die zerbrechliche Freundschaft, die sie in diesem Jahr aufgebaut hatten, in sich zusammenfallen zu lassen. Vielleicht war es naiv gewesen, zu glauben, dass Snape in der Lage war, ihm wenigstens auf eine neutrale Art und Weise mitzuteilen, dass es niemals solch eine Beziehung zwischen ihnen geben würde. Er hätte es verstanden, wenn Snape für eine Weile nicht mehr in seiner Nähe hätte sein wollen, bis sich alles beruhigt hatte. Wenn er ihm gesagt hätte, dass Lily die Einzige war, die er wollte, und er das akzeptieren musste. Wehgetan hätte es trotzdem, doch alles wäre angenehmer gewesen,als Snapes verletzende Worte. Krank…widernatürlich…als würde er sich so nicht bereits sein ganzes Leben lang fühlen. Dass er Hogwarts als Werwolf besuchen durfte und Freunde gefunden hatte, die ihn akzeptierten, wie er war, stellte das größte Geschenk dar, das man ihm hatte machen können. Damit verglichen wirkte Snape so unwichtig…warum konnte er es also nicht vergessen? Weil er sich in diese unrealistischen Idee verrannt hatte, dass aus ihnen ein Paar werden könnte? Es war das erste Mal, dass sich Remus getraut hatte, Gefühle dieser Art zuzulassen. Vielleicht, weil Snape ein Außenseiter war, jemand, der gewissermaßen sein Schicksal teilte – zumindest bevor er James, Sirius und Peter getroffen hatte. Es gab einige Gemeinsamkeiten mit Snape, trotzdem sie vom Charakter her unterschiedlicher nicht hätten sein können. Er hätte wissen müssen, dass es dennoch nicht funktionieren konnte. Weil Snape war, wie er war, und sich nicht ändern würde. Anstatt zu erkennen, wie schrecklich sein Fluch gewesen war, und Abstand von den dunklen Künsten zu nehmen, hatte er nichts daraus gelernt. Was er offensichtlich am meisten bedauerte, war, Sirius nicht erwischt zu haben. Remus glaubte ihm, dass es ihm leid tat, ihn getroffen zu haben…aber das reichte in dem Fall nicht aus, um ihm zu verzeihen. Andererseits hatte auch Sirius einst Snapes Tod in Kauf genommen, indem er ihn zur heulenden Hütte geschickt hatte. War das nicht im Endeffekt dasselbe? Vielleicht…und er hatte Sirius vergeben. Möglicherweise konnte er auch Snape verzeihen, falls seine Reue jemals aufrichtig sein würde. Bevor er nach Hause zurückgekehrt war, hatte es nicht danach ausgesehen… „Seht sie euch an, wie sie um ihn herumschwirren…“ Remus blickte von seinem Buch zu Sirius, der neben ihm im Gras lag, und dann in die Richtung, in die sein Freund schaute. Auch Peter, der bei ihnen saß, hob den Kopf, um die Slytherins besser beobachten zu können. Rabastan Lestrange stand in einiger Entfernung zu ihnen, umringt von seinem Gefolge, doch eigentlich war dies nichts Neues. „…als könnte man bei den Gerüchten stolz sein. Widerlich.“ „Gerüchte?“, fiepte Peter verwirrt, woraufhin Sirius die grauen Augen verdrehte. „Dein Ernst, Wurmschwanz? Die reden doch alle davon, dass Lestrange nach seinem Schulabschluss in diese schwarzmagische Sekte eintritt.“ Remus schwieg, auch wenn ihm bei diesem Thema ganz flau im Magen wurde. Die Erzählungen über einen dunklen Lord und seine Anhänger, den sogenannten Todesser, wurden immer präsenter. Einige hielten ihn für den neuen Gellert Grindelwald, andere vertraten die Meinung, dass man dem zu viel Gewicht beimaß. „Apropos widerlich…“, murmelte Sirius, dem die blanke Abscheu ins Gesicht geschrieben stand. Der Grund war nicht schwer zu erkennen und Remus presste die Lippen aufeinander, kaum dass er ihn entdeckte. Es war ihm nicht entgangen, dass sich Snape seit seinem Fluch häufiger in der Nähe der Slytherins aufhielt. Sie schienen ihm mit weniger Verachtung als zuvor zu begegnen, mieden ihn nicht mehr oder schickten ihn weg, wenn er zu ihnen stieß. Remus empfand nur Unverständnis dafür, schließlich waren das dieselben Leute, die ihn noch vor einer Weile abgefangen und misshandelt hatten. Und nun stand er bei ihnen und lauschte Lestranges arrogantem Gerede von einer neuen Ära? Unweigerlich fragte sich Remus, ob er sich so sehr in Snape getäuscht haben konnte. Und was war mit Lily? Er hatte immer den Eindruck gehabt, dass er bereute, sie als Freundin verloren zu haben. „Ich versteh nicht, warum du ihm das durchgehen lässt, Moony“, hörte er Sirius nicht zum ersten Mal sagen. „Sogar Krone ist der Meinung, dass er eine Lektion verdient. Du hättest sterben können!“ Remus ahnte, dass es seinem Freund nicht nur darum ging, Rache für das, was ihm widerfahren war, zu nehmen. Für Sirius war James‘ Wut die Gelegenheit, mal wieder gemeinsam als Rumtreiber in Aktion zu treten, denn seit er seine Freizeit öfters mit Lily verbrachte, fiel das flach. Remus wollte Sirius nicht unterstellen, dass es ihm gar nicht um ihn ging, doch zweifellos spielte der zweite Grund eine Rolle. Tief seufzte er, ließ sich gegen die Rinde des Baumes in seinem Rücken sinken, wobei er seinen Blick wieder auf die Seiten seines Buches heftete. „Lass gut sein, Tatze“, erwiderte er leise. „Ich möchte ehrlich gesagt einfach nicht mehr daran denken.“ Sirius schaute ihn lange an und auch, wenn er sich nach einer Weile frustriert brummend ins Gras zurückfallen ließ, wusste er, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen war. Bald fingen die Sommerferien an und vielleicht konnte Remus der Abstand tatsächlich helfen, sich mit allem abzufinden. Es konnte nicht ewig wehtun, nicht wahr? Remus wurde aus seinen Gedanken gerissen, als es zweimal dumpf an seiner Zimmertür klopfte. Er stemmte sich von seinem Bett hoch, setzte sich auf, ehe er einen kurzen Blick zum Wecker auf dem Nachttisch warf. Oh…schon so spät… „Junge, deine Mutter hat das Abendessen fertig!“, hörte er seinen Vater von unten. „Komm runter, ja?“ „Ist gut, Dad! Bin gleich da!“ Noch während er dies sagte, fühlte er, wie sein Hals eng wurde. Warum auch immer er es vorher gut hatte verdrängen können, seitdem er wieder zuhause war, kamen die Schuldgefühle in ihm hoch. Was würde er seinen Eltern damit antun, wüssten sie, dass er sich in einen anderen Jungen verguckt hatte…immerhin hatten die beiden schon mit seiner Lykanthropie zu kämpfen. Würde er ihnen damit nicht noch mehr aufbürden? Zumal ihn Mädchen auch nicht abstießen. Es hatte durchaus die eine oder andere Hexe gegeben, die ihm gefallen hatte, nur war er meistens zu schüchtern gewesen, nach einer Verabredung zu fragen. Dennoch war das nicht mit seinen Gefühlen für Snape zu vergleichen, so verrückt es ihm selbst erschien. Was, wenn er sich noch mal zu einem Jungen derartig hingezogen fühlte? Sowas verschwand ja nicht plötzlich, oder? Vielleicht sollte er froh sein, dass Snape ihn abgewiesen hatte, denn das nahm ihm eine Menge Probleme, so feige es auch klang. Seine Freunde hätten das ohnehin niemals akzeptiert und vermutlich hätte er die Fehde mit dem Slytherin nur weiter angestachelt. Möglicherweise, und so bitter das auch war, hatte Snape ihm tatsächlich einen Gefallen getan. Remus atmete ganz tief durch, ehe er von seinem Bett aufstand, um sich nach unten zu begeben. Er brauchte Zeit für sich, um nachzudenken und sich zu erholen. Er würde Snape einige Wochen nicht sehen und Abstand bekommen, um seine Gedanken zu sortieren und sich damit abzufinden. Er wünschte nur, es wäre einfacher… Still blickte Severus aus dem Fenster seines Zimmers, das ganz oben im Dachgeschoss lag, abgeschnitten vom Rest des Hauses. Er hasste es ebenso sehr wie das restliche, ärmliche Industrieviertel, welches an einem schmutzigen Fluss lag. Trist und eintönig, jedes Haus glich dem anderen. Spinner’s End unterschied sich nicht von den übrigen Straßen in Cokeworth, ebenso wie die Menschen einander glichen. Unzufrieden und misstrauisch begegneten sie einander und Severus erinnerte sich daran, wie ungern er in seine frühere Muggelschule gegangen war. Dagegen erschien ihm die Begegnung mit Lily noch heute wie ein Lichtblick in der Finsternis. Nun, er hatte seinen Weg gewählt…daran würde er von jetzt an festhalten, anstatt sich mit all jenem aufzuhalten, das er sowieso nicht haben konnte. Lily hatte sich Potter zugewandt – vermutlich wäre es früher oder später auch ohne ihren Bruch passiert. Selbst wenn der Zeitpunkt kommen würde, an dem Potter sich als das miese Schwein entpuppen würde, das er war, würde sie nicht zu ihm zurückkehren. Nicht mal als seine beste Freundin. Lily hatte nie bemerkt, was er für sie fühlte, und er konnte es ihr nicht sagen. Zu groß war die Angst vor Zurückweisung. Wenn er aber jemand Mächtiges wäre, jemand mit einem gewissen Ruf…möglicherweise würde sie ihn dann endlich sehen? Und falls nicht, würde er zumindest die Anerkennung bekommen, die er verdiente. Er war talentiert, er war klug…er verdiente es, endlich etwas zu erreichen und nicht mehr der gehänselte, unbeliebte Schniefelus zu sein. Den ersten Schritt hatte er für dieses Ziel getan, auch wenn er nach wie vor bereute, Lupin getroffen zu haben. Lupin, der ihn die restliche Zeit in Hogwarts gemieden oder ignoriert hatte. Es verursachte immer noch Übelkeit in ihm, ein Gefühl von…Verlust, welchen er zu häufig in zu kurzer Zeit verspürt hatte. Es machte ihn verletzlich und wenn er etwas nicht gebrauchen konnte, dann Schwäche. Weder vor Lestrange noch vor seinem verhassten Muggelvater, der ihm nicht mal mehr in die Augen sehen konnte. Tobias Snape war nie ein warmherziger Vater gewesen, der viele nette Worte für seinen einzigen Sohn übrig hatte. Kritisieren konnte er weitaus besser als loben, aber gut, damit hatte er sich seit Jahren abgefunden. Er konnte nicht behaupten, dass die Anwesenheit seiner Mutter viel daran geändert hätte, doch sie hatte sich wenigstens nach seinen Fortschritten erkundigt. Tobias hatte aus seiner Verachtung für alles Magische nie einen Hehl gemacht, aber jetzt, wo seine Frau tot war, schien es nicht mal mehr dafür zu reichen, seine Abneigung zu verbergen. Sie teilten keinerlei Gemeinsamkeiten und allein der Gedanke, sein Vater könnte mit ihm über seine Mutter sprechen, etwas Klarheit bringen…undenkbar. Severus würde nie erfahren, was wirklich passiert war – und vielleicht war das gut so. Wie Geister lebten sie aneinander vorbei, sprachen bloß das Nötigste miteinander. Severus zählte die Stunden, die er hier noch ausharren musste, bis er zurück nach Hogwarts konnte. Ein Seufzen entwich ihm, während er vom Fenster zu seinem Bett ging und sich auf die schmuddelige Matratze fallen ließ. Mit mattem Blick starrte er an die mit Rissen gezeichnete Decke, sich unweigerlich fragend, was andere Schüler in ihren Ferien taten. Vermutlich ihre Freunde treffen... und abermals sehnte er sich nach Lilys Anwesenheit. Nach ihrem blumigen Duft und ihrem hellen Lachen…den leuchtend grünen Augen, in denen so viel Lebensfreude stand, dass sie sogar auf einen grimmigen Kerl wie ihn selbst abfärben konnte. Solange sie unter sich waren zumindest. Severus ließ die Arme zu beiden Seiten fallen, während er langsam die Lider senkte. Müdigkeit überfiel ihn allmählich, wobei er nicht einschätzen konnte, ob es Erschöpfung war. Von was sollte er erschöpft sein? Sicher, er lernte und forschte in seiner Zeit in Spinner’s End, ansonsten hatte er nichts zu tun. Diese Monotonie ermüdete ihn zweifellos…und vielleicht resultierte daraus die unsinnige Frage, was Lupin wohl gerade tat. Lupin, von dem er gar nicht so viel wusste, wie man hätte meinen können, wo sie doch das sechste Jahr so oft zusammen gelernt hatten. Sie hatten sich über so vieles unterhalten, doch über nicht viel Persönliches – Severus wusste, dass er selbst der Grund war. Er blockte im Vorfeld alle Themen ab, die ihm das Gefühl gaben, sich eine Blöße zu erlauben. Lupin war nach wie vor einer der Rumtreiber und damit eine potenzielle Gefahr. Wo wohnte Lupin eigentlich? Wie er war er ein Halbblut und wenn er sich recht erinnerte, hatte er seine Eltern einmal am Bahnhof King’s Cross gesehen. Obwohl Lupins Mutter wie Severus‘ Vater ein Muggel war, schien Magie nichts Beängstigendes für sie zu sein. Noch dazu mit einem Werwolf als Kind. Im Gegenteil, Lupins Eltern machten zwar den gleichen erschöpften Eindruck wie ihr Sohn…dass sie ihn liebten, stand bei ihrer innigen Verabschiedung jedoch außer Frage. Die Umarmungen im Hause Snape, wenn es denn welche gab, waren dagegen steif und kurzlebig. Eher eine unangenehme Pflicht, die es hinter sich zu bringen galt. Seitdem sich seine magischen Kräfte bemerkbar gemacht hatten, hing der Haussegen ohnehin schief. Als Lupin ihn auf dem Turm umarmt hatte, war das zuerst befremdlich gewesen. Es war anders als mit seinen Eltern oder Lily. Sein erster Impuls war es gewesen, den Werwolf wegzustoßen…warum hatte er es also nicht getan? Lupin war warm gewesen, die Berührung hatte etwas Tröstliches gehabt, was er in diesem Moment gebraucht hatte. Dringend gebraucht hatte. Wie viele Beleidigungen er ihm an den Kopf geworfen hatte und trotzdem…Lupin war geblieben. Wie ein Hund. Trotz all des Spotts und der Verachtung erwischte er sich ab und an dabei, wie er an den Kuss dachte. Zwei Jungs, die sich küssten. Moment, nein, Lupin hatte ihn geküsst – und natürlich war das falsch gewesen. Falsch und…gar nicht so eklig, wie man hätte meinen können. Nicht, dass er das Lupin gegenüber je zugeben würde. Dennoch war es schlicht und ergreifend falsch. Es durfte niemals wieder passieren und das würde es nach allem, was vorgefallen war, auch nicht. So gesehen hatte er ihnen beiden einen Gefallen getan. Ja, wenn er sich das immer wieder sagte, es auf diese Weise betrachtete, würde es irgendwann aufhören. Dieses vermaledeite Herzrasen... Das penetrant schrille Geräusch der Klingel ließ Severus so abrupt hochschrecken, dass er beinahe aus dem Bett gefallen wäre. War er etwa eingeschlafen? Anscheinend war er das, denn als er nach draußen sah, erkannte er, dass bereits die Abenddämmerung eingesetzt hatte. Er strich sich die Haare aus der Stirn, als er sich aufsetzte. Abermals ertönte die Klingel und Severus fragte sich unweigerlich, wer auf die beschränkte Idee kam, seinen Vater besuchen zu wollen. Die Nachbarn konnten es nicht sein, denn diese hielten sich nur noch konsequenter von ihnen fern, seit das mit seiner Mutter passiert war. Vermutlich waren sie das neue Lieblingsthema der Straße, in der ohnehin nie etwas Spannendes passierte. Ein bitterer Zug legte sich um Severus‘ Mundwinkel, während er sich erhob und seine zerknitterte Kleidung zu ordnen versuchte. Das graue Hemd war ihm wie die meisten seiner Sachen viel zu groß, die schwarze Hose ein Stück zu kurz, so dass man seine dürren Knöchel sehen konnte. Severus konnte es nicht erwarten, irgendwo eine Anstellung zu finden, um finanziell nicht mehr auf seinen Vater angewiesen zu sein. Wenn er in der Zaubererwelt genügend Geld verdiente, etwas aus sich machte…würde er sein armseliges Leben ändern. Er würde nicht so ein Versager wie Tobias Snape werden! Apropos…war sein Vater nicht da? Welchen Grund gab es sonst, dass es erneut schellte, dieses Mal zweimal hintereinander. Dennoch konnte er das Gepolter samt ein paar hässlichen Flüchen nicht vernehmen, woraufhin er hinunter in den Flur ging. Da sich ihrem Haus niemand aus der Umgebung freiwillig näherte und sie keine nennenswerten Verwandten hatten, vermutete er, dass ihnen jemand etwas verkaufen wollte. Irgendein Vertreter, dem er gleich gehörig die Meinung geigen würde, dass er seinen Firlefanz anderen Idioten andrehen konnte. An der Tür angekommen, riss er diese mit einem Ruck auf, die zornig blitzenden, schwarzen Augen verengt, während er Luft holte und…erstarrte. Wenn möglich wurde er noch blasser, konnte einfach nicht fassen, wer da an der Schwelle seiner Tür stand und ihm so hochmütig entgegen blickte. Es gab keinen Zweifel daran, dass er es war. Dieses lange, silberblonde Haar, die fein definierten Züge und der smaragdgrüne Mantel, der zweifellos zu viele Galleonen gekostet haben musste… Lucius Malfoy wirkte in dieser tristen, schmutzigen Muggel-Gegend genausoso fehl am Platz wie ein Knallrümpfiger Kröter am Lehrertisch von Hogwarts. Wie lange war es her, dass er ihn gesehen hatte? Schließlich hatte er schon vor einigen Jahren die Schule verlassen und zu dieser Zeit war Severus noch unbedeutender gewesen, als es jetzt der Fall war. Für einige Sekunden brachte er nicht mal eine Begrüßung zustande, da er diesen, in der Tat, hohen Besuch nicht deuten konnte. „Sei gegrüßt, Severus“, nahm Malfoy ihm dies ab. „Vermutlich überrascht es dich, mich hier zu sehen, in diesem…Ort.“ Severus blickte ihn stumm an, während er bloß ein Nicken von sich geben konnte. Nur Lucius Malfoy konnte die Bezeichnung Ort wie ein Schimpfwort klingen lassen. „Mir wurde zugetragen, dass verborgenes Talent in dir steckt…doch sicherlich möchtest du mich reinbitten in dein…bescheidenes Heim, damit wir uns in Ruhe unterhalten können.“ Das Letzte, das er wollte, war, Lucius Malfoy in das schäbige Haus seines Vaters einzuladen. Ihm entging der Blick nicht, mit dem er bedacht wurde, und es trieb ihm die Schamesröte in die bleichen Wangen, da er sich erneut seiner heruntergekommenen Kleidung gewahr wurde. „Ich…ja. Natürlich“, murmelte er dennoch und deutete hinein, woraufhin der Ältere an ihm vorbeistolzierte. Was wollte Lucius Malfoy von ihm? Severus war wohl bekannt, in welchen Kreisen sich der Blonde bewegte. Man sagte, er stünde diesem neuen Lord sehr nahe…dass er einer der Todesser war, die die Welt in Angst und Schrecken versetzten. Weil sie Macht und die damit einhergehende Veränderung fürchten, wisperte die kleine Stimme in seinem Kopf. Neben Scham und Nervosität fühlte er ebenso Aufregung. Was hatte Lucius gesagt? Er hatte von seinen Talenten gehört? Dass ihm ein Malfoy Interesse entgegenbringen sollte, erschien ihm absurd. Wenig später standen sie sich im Wohnzimmer gegenüber – Lucius hatte abgelehnt, als er ihm einen Platz auf der, zugegeben, schmuddeligen, mit curryfarbenem Stoff bezogenen Couch angeboten hatte. Getränke bot er gar nicht erst an, schließlich hatten sie bloß Wasser und irgendein billiges Bier. Hätte er wenigstens neuen Tee gekauft…aber nun denn, es ließ sich nicht ändern. Das hier war ein überraschender Besuch, auf den er sich nicht hatte vorbereiten können. „Was…kann ich für dich tun?“, fragte er mit krächzender Stimme. Direkt fühlte er sich noch erbärmlicher, als Lucius auf seine aalglatte Weise lächelte. Es wirkte täuschend freundlich, was auch an seinem attraktiven Gesicht liegen konnte, aber dahinter verbargen sich List und Tücke. „Das ist eine sehr gute Frage, Severus“, erwiderte Lucius anerkennend. „Auch wenn ich sie ein wenig umformulieren würde; was kannst du für dich tun?“ Irritiert blinzelte Severus, wusste damit nicht direkt etwas anzufangen. Dabei war er sonst nicht so begriffsstutzig, allerdings kam solcher Besuch nicht alle Tage vor. Natürlich erhoffte er sich etwas Bestimmtes von dem Älteren, wagte jedoch nicht, sich zu viele Hoffnungen zu machen. Meistens wurde er ohnehin enttäuscht. „Für…mich?“, wiederholte er überfordert und Lucius seufzte hörbar. „Dafür, dass du ein so brillanter Kopf sein sollst, bist du bemerkenswert langsam. Ich nehme an, das ist der Nervosität geschuldet. Keine Sorge also, ich sehe es dir nach.“ Severus spürte, wie seine Wangen brannten, doch seine normalerweise spitze Zunge verweigerte ihm den Dienst. Nicht nur aufgrund seiner innerlichen Aufregung, sondern auch, weil er es sich mit diesem Besuch und seiner Bedeutung nicht verscherzen wollte. So sehr ihn Lucius‘ Arroganz auch anwiderte, er musste es herunterschlucken. Jedes giftige Wort. „Nun denn, es liegt nicht in meiner Absicht, dich hinzuhalten, also komme ich direkt zur Sache. Rabastan Lestrange unterrichtete mich über dein herausragendes Talent in Zaubertränke und darüber hinaus erwähnte er einen dunklen Zauber, den du selbst entwickelt hast. Entspricht dies der Wahrheit?“ Diesmal kam die Antwort schneller, vielleicht lag es daran, dass er sich durch das Lob in seiner Annahme bestärkt fühlte, weswegen Lucius hier war. „Ja. Ja, das war…mein Fluch.“ „Interessant…vor allem, dass du den Mut besessen hast, ihn in der Schule gegen einen Gryffindor einzusetzen. Nicht besonders klug, aber dennoch…mutig.“ Lucius lächelte gediegen, doch sein scharfer Blick behielt ihn genauestens im Auge, so als suchte er nach einem Zeichen für Lüge in seinem Gesicht. Diesbezüglich musste sich Severus keine Sorgen machen, niemand wusste, wie er zu Lupin stand. Dass er bedauerte, den Fluch eingesetzt zu haben…und den Werwolf getroffen zu haben. „Dass Dumbledore dich nicht der Schule verwiesen hat, wundert mich, aber nun ja, er war immer ein nachsichtiger Narr, nicht wahr?“ „Scheint so.“ Es fiel ihm nicht schwer, dem zuzustimmen, denn nach wie vor hielt sich seine Sympathie gegenüber dem Schulleiter in Grenzen. Ja, er hatte ihn nicht von der Schule geworfen, aber die Schikanen der letzten Jahre hatte er ebenso wenig unterbunden. Weil die Gryffindors immer seine Lieblinge gewesen waren und es immer sein würden. „Wie auch immer“, kam Lucius auf den Kurs zurück. „Deine Talente sind in unserer Mitte in aller Munde und natürlich weiß auch er davon. Er hat großes Interesse daran, dich kennenzulernen, Severus. Ich muss dir nicht sagen, welche Ehre dies zweifellos für jemanden wie dich darstellt.“ Innerlich wurde Severus heiß und kalt, sein Herz schien vor unterdrückter Aufregung zu zerspringen. Er wusste genau, von wem Lucius sprach…und trotzdem ihn eine leise Stimme warnte, dass es gefährlich war, dem auch nur zuzuhören…es faszinierte ihn. Dass jemand wie dieser mächtige, dunkle Lord Interesse an ihm bekundete, erschien ihm wie ein verzweifelter Traum. „Mir sind die schrecklichen Gerüchte bekannt, die sich um den dunklen Lord ranken“, fuhr Lucius unbeirrt fort. „Doch sei dir gewiss, er verfolgt durchaus edle Ziele, die Zauberer und Hexen an die Spitze bringen werden…gewisse Opfer zu bringen, ist auf diesem Wege selbstverständlich unvermeidlich.“ Der bittere Beigeschmack, der an diesen Worten haftete, reichte überraschenderweise nicht aus, um ihn abzustoßen. Bedenken waren da, doch sie konnten das entfachte Feuer nicht löschen. Lucius schien das Funkeln in seinen schwarzen Augen deuten zu können, denn sein Lächeln wurde eine Spur zufriedener. „Ich verstehe natürlich, dass du zuerst deinen Abschluss machen möchtest…etwas nachdenken musst – und das ist in Ordnung. Auch der dunkle Lord hat Verständnis dafür, wenngleich es ratsam wäre, seine Geduld nicht überzustrapazieren. Das sollte niemand tun.“ Severus nickte mechanisch, innerlich erleichtert, dass er nicht sofort aufbrechen sollte, um sich diesem Lord anzuschließen. So sehr ihn diese unerwartete Wendung seiner Optionen für die Zukunft betreffend auch freute…es gab doch immer ein aber. Er wollte die Möglichkeiten überdenken, bevor er sich entschied…und vor allem warten, bis dieses Hochgefühl verschwand. Wenn es denn verschwand, denn bislang hatte ihm niemand dieses Gefühl gegeben. Nun, Lily und Lupin vielleicht, aber das konnte man nicht vergleichen. „Ich…habe verstanden“, erwiderte er steif. „Ich werde darüber nachdenken und…natürlich bin ich mir der Ehre bewusst. Richte…richte dem dunklen Lord meinen Dank aus.“ Lucius verengte die grauen Augen, während seine Mundwinkel merklich zuckten, doch er nickte bloß. „Das werde ich, Severus“, versprach er ihm. „Doch ich zweifle nicht daran, wie deine Entscheidung ausfallen wird.“ Provokant abwertend ließ er den Blick durch das Zimmer schweifen, ehe er wieder ihn ansah. „Ich höre von dir.“ Im nächsten Moment verschwand er mit einem leisen „Plop“, ließ Severus allein in seiner persönlichen Hölle zurück. Es wunderte ihn nicht im Geringsten, dass sich Lucius so sicher war, was seine Entscheidung anbelangte. Man musste sich hier ja nur einmal umsehen…nein, dieses Leben war kein Grund, sich dem dunklen Lord zu verweigern. Gewisse Opfer, ertönte die misstrauische Stimme erneut in seinem Kopf und ja, das war einer der Gründe, die ihn in seiner Begeisterung drosselten. Es war kein Geheimnis, dass Muggel und Muggelstämmige…Schlammblüter…keinen Platz in den Reihen der Todesser fanden. Sein Magen drehte sich bei dieser Beleidigung um und sofort kamen ihm Lilys grüne Augen in den Sinn. Würde er diesen Weg wählen, würde er sie für immer verlieren. Unweigerlich fragte er sich, was mit Lupin sein würde, wenn er selbst als Halbblut in den Kreis des dunklen Lords aufgenommen werden konnte? Severus hielt in seinen Gedanken inne, als die Haustür ruppig aufgerissen wurde und Tobias Snape wenig später vom Flur ins Wohnzimmer polterte. So, wie er torkelte, schien er getrunken zu haben. Mal wieder. Öfter, seit dem Tod von Severus‘ Mutter. „Was stehs’n da rum…geh mir aus’n Augen…“, hörte er ihn brummen und fühlte grenzenlose Verachtung. Wortlos ging er an seinem Vater vorbei, zurück nach oben in sein Zimmer, in dem er sich nicht weniger gefangen fühlte. In diesem Haus, in diesem Viertel…er verabscheute alles davon…und es wäre so einfach, dem für immer zu entkommen. Plötzlich erschien es ihm so unglaublich einfach. Unglaublich…verlockend. Hosted by Animexx e.V. 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