Adel Verpflichtet von caelita ================================================================================ Adel verpflichtet 13 -------------------- Lange ritt er, als er in der Ferne wirklich eine Erhebung ausmachen konnte. Er versuchte sein Pferd noch mehr anzutreiben und flog buchstäblich auf den Berg zu. Der Gaul berührte den Boden kaum, und trotzdem kam der große Hügel nur langsam näher. -*- Es graute schon der Morgen, und Schuldig saß da und beobachtete, wie sich der Horizont verfärbte. Er war so in seine Gedanken versunken, dass er das Getrampel des Pferdes nicht hörte. Der Hügel lag mit der Kliffseite zur Aufgehenden Sonne. Die andere Seite war mit einem Wald bewachsen. Das Plateau war waldlos. Nur Gräser wuchsen dort. Aya hatte das Pferd zurückgelassen, nachdem es am Fuße des Hügels zusammengebrochen war und hatte den Berg zu Fuß erklommen. Jetzt stand er am Waldrand und sah Schuldig am Abgrund sitzen und die aufgehende Sonne beobachten. Er ging leise näher, wobei sich sein aufgeregtes Herz allmählich wieder beruhigte. "Schuldig...", sagte er leise, als er nur noch zwei Meter von ihm entfernt stand. Dieser drehte sich langsam um. "Was willst du hier?", fragte der Angesprochene, als er Aya erkannte. "Ich will... nicht noch einen Toten auf meinem Gewissen haben." Schuldig lachte auf. "Oh wie nett...!" Aya setzte sich neben Schuldig. "Mein ganzes Leben habe ich mich danach gerichtet, was mir vorgeschrieben wurde... es ist nicht...." "Es ist egal... warum bist du überhaupt gekommen? Wer hat dich geschickt? Ich glaube kaum, dass du selbst auf die Idee gekommen bist, hier her zu kommen." Aya schwieg. "Warum gehst du nicht einfach zurück? Du hast doch ein schönes Leben vor dir... du wirst heiraten, und deine Braut wird dir sagen, was du zu tun hast. Was willst du mehr?" "Welche Braut?" Schuldig sah ihn überrascht an. "Ich... habe das nur erfunden...ich dachte... damit währe der Abschied leichter..." "Erfunden?" "Die Wahrheit ist, dass ich Angst habe. Ich fürchte mich davor, dass... ich..." "Vor mir?" "Nein! ... ich... habe Angst, dass ich wieder etwas falsch mache. Es hat damals meiner Schwester das Leben gekostet, dass ich..." "Währe sie auch ohne dich geritten?" Aya sah Schuldig erstaunt an, und nickte dann. "Dann hättest du es nicht verhindern können. Warum gibst du dir noch immer die Schuld daran?" "Mein Vater hat... mir damals die Schuldgefühle sozusagen... eingeprügelt...", lächelte Aya wehmütig. "Und auch meine Mutter hat mir die Schuld gegeben. Sie hat es nie ausgesprochen, aber ich sehe es noch heute in jedem ihrer Blicke..." Aya sah auf seine Hände. "Ich hätte sie zurückhalten müssen, aber ich habe es nicht getan. Und dafür muss ich jetzt bezahlen. Ich träumte ihren Tot immer wieder... lange Zeit. Dann - ganz langsam - haben diese Träume aufgehört. Aber an dem Abend nach dem Ball... da träumte ich es wieder..." Schuldig schwieg einen Moment und beobachtete den Horizont. Ohne sich zu Aya zu wenden fragte er: "Habe ich dir jemals erzählt, wie meine Eltern gestorben sind?" Aya verneinte. "Unser Anwesen brannte, und ich war von den Flammen eingeschlossen. Mein Vater kam um mich zu holen, aber ich hatte zuviel Angst. Ich konnte mich nicht bewegen. Da hat er mich hochgehoben und getragen. Unter ihm gab der Boden nach und wir fielen. Ich saß neben ihm als er starb. Mitten in einem Inferno lag er da, und röchelte. Er sagte mir damals, dass es sich zu sterben lohnt, wenn man damit jemanden anderes glücklich macht, den man liebt. Dann schickte er mich weg. Aber ich konnte mich noch immer nicht bewegen. Da rannte dann auch meine Mutter, die schon in Sicherheit war, wieder ins Haus und holte mich heraus. Sie starb dann auch, noch während alle damit beschäftigt waren, den Brand zu löschen. Sie erklärte mir noch, dass ich immer auf mein Herz hören sollte. Ich sollte immer so handeln, dass ich kein schlechtes Gewissen habe. Und so habe ich es gehalten, seit damals. Ich dachte, für dich zu sterben, damit du dein Leben leben kannst, währe in Ordnung, aber..." "Aber?" "Ich weiß, dass du nicht glücklich bist... Nicht so, wie du jetzt lebst." Aya sagte nichts. In ihm kämpfte die Erinnerung an das, was damals geschah, mit dem, dem er sich jetzt zu stellen hatte. Träge kletterte das erste richtige Sonnenlicht über den Horizont. "So rot...", sprach Schuldig weiter, "...wie der Horizont dort brennt, brennt das Verlangen in mir, dich glücklich zu sehen - so brennt das Verlangen in meinen Fingern, dich überall zu berühren." Aya Blick schnellte zu Schuldig. Seine Wangen waren rot - röter noch, als der Horizont. Schuldig sah ihn ebenfalls an. Er hob seine Finger zu Ayas Wange. "Ich will das du für mich lächelst." Aya schluckte. "Warum ich? Warum muss es unbedingt mein Lächeln sein?" Schuldig ergriff Ayas Hand und legte sie auf seine Brust. Sein Herz schlug darunter fest und gleichmäßig. "Frag, warum der Himmel blau ist... frag, warum die Sterne scheinen... Gott hat es gegeben, sagt die Kirche. Aber wenn Gott alles gibt, warum ist dann meine Liebe zu dir falsch?" "Bitte..." "Ich kann nicht einfach aufhören dich zu lieben. Genauso wenig, wie du aufhören kannst, dich deiner Schwester zu erinnern." "Schuldig... bitte hör auf. Irgendwie..." "Mir ist jetzt etwas klar geworden. Du gehörst wohl in deine Welt. Du kannst ihr nicht entkommen. Du bist so anders als ich, als Tag und Nacht. Der Mond weiß um die Existenz der Sonne, sie gehören zusammen, und trotzdem wird er sie nie sehen, sie nie erreichen. Erst wenn sie beide erloschen sind, werden sie zusammen finden. Wir beide sind wie die Sonne und der Mond. Erst im Tod werden sich unsere Seelen finden. Vorher ist es unmöglich." "Schuldig sprich nicht..." Ein Finger legte sich auf Ayas Lippen. "Still. Ich gehe voraus und warte auf dich. Wenn du dann nachkommst, werden wir zusammen sein - nicht vorher." Schuldig und Aya waren aufgestanden und bis zu den ersten Bäumen gewandert. Schuldig legte seine Lippen auf Ayas. "Ich kann nicht weiterleben...", sagte er, nachdem er den Kuss wieder gelöst hatte, "...in dem Wissen, das deine Lippen jemand anderes als ich berührt. Darum vergib mir bitte." "Was soll ich dir vergeben?" "Du bist zwar hergekommen, aber du wirst nie mit mir zusammen sein... oder?" Aya sah zum Horizont. Die Sonne war schon zur Hälfte aufgegangen. Dann sah er in die andere Richtung. Der Mond war schon so gut wie unsichtbar. "Wie Sonne und Mond. Sie sehen sich von fern, finden aber nicht zusammen. Es ist wohl so wie du sagst... Ich kann es nicht vergessen... der Blick meiner Mutter... ich kann sie nicht noch mal so verletzen." Wieder sah er Schuldig an. "Ich liebe dich auch... ich liebe dich, dass es mein Herz fast zerfetzt, aber... ich kann nicht." Schuldig sah zum Mond, der kaum noch ein Schatten war. "Du hattest Recht. Am Anfang war es nur ein Spiel. Ich wollte die Schale brechen, dich aus der Reserve locken. Ich wollte nur etwas spannendes und schweres schaffen, um mich selbst zu bestätigen. Doch dann habe ich dich näher kennen gelernt... nicht ich habe dich, sondern du hast mich verändert, ohne das ich es bemerkt habe. Ich habe meine Unabhängigkeit verloren. Ich bin der Mond... du die Sonne... geh zurück... ich werde warten." Aya sah Schuldig an - suchte nach Worten, um ihn umzustimmen, fand sie aber nicht. Schuldig schritt auf die Klippe zu und Aya folgte ihm. Was konnte er sagen? WAS? Schuldig trat zur Klippe. Sein Gesicht hatte er der Sonne zugewendet. Er streckte die Arme aus. "Ich werde dich einfangen, wenn du stirbst." Dann ließ er sich langsam nach vorne fallen. Aya stand da und konnte sich nicht bewegen. Er starrte noch lange zu der Stelle, an der Schuldig gestanden hatte. Dann drehte er sich um und stieg den Berg langsam hinunter. Er fühlte sich lehr... so lehr und einsam wie zu dem Zeitpunkt, als seine Schwester auf einmal weg gewesen war. Tränen stiegen in seine Augen und schnürten ihm die Kehle zusammen, aber er drehte sich nicht um. "Wie Sonne und Mond...", hallte es in seinen Gedanken nach, "Ich werde dich einfangen..." Hätte er darauf geachtet, hätte er sich gewundert, dass das Pferd, nachdem es doch vorhin zusammengebrochen war, jetzt wieder auf seinen eigenen Beinen stand und auf ihn wartete. Wie in Trance saß er auf. Er war nicht fähig, ihm einen Befehl zu geben, aber es schritt trotzdem Zielsicher zurück. -*- Aya saß den ganzen Tag in seinem Zimmer. Am Abend sah er aus dem Fenster. "Wenn die Sonne untergeht, kommt der Mond... sie erreichen sich erst, wenn sie verlöschen..." Er war auf den Turm gegangen um die Sonne untergehen zu sehen. Jetzt stellte er sich auf die Zinnen. "Nicht in diesem Leben... aber danach... du brauchst nicht lange zu warten Schuldig... die Sonne geht auch unter..." Er sah eine Gestalt im Garten. "Aschanti...", flüsterte er. Die Gestalt verschwand unter einem Baum. Dann hörte er Lachen, und sah zwei Kinder, die Spielten. Noch einen Moment später sah er wieder die Gestalt. Sie stand da und sah zu ihm hoch. Aya hob eine Hand wie zum Gruß. "Auch wir werden uns dann wieder sehen..." Er breitete die Arme auf und schloss seine Augen. Er stellte sich Schuldig vor. Ließ den Augenblick in dem Rosenhain Revue passieren, bevor Schuldigs Tante aufgetaucht war. Aya fühlte seinen Körper schwerelos wie damals. Diesmal störte keine Tante... kein Mensch störte... ihre Lippen berührten sich das erste mal wirklich. ~ ENDE ~ Nachwort: Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, ob es eine Möglichkeit gäbe, dass beide doch zusammen kommen, aber ein Mensch ändert sich nicht um 180° Dazu sind wir nicht fähig. Hätte ich diese Geschichte in der heutigen Zeit geschrieben, währe vielleicht ein Happy End herausgekommen, aber damals waren die Leute einfach noch zu versteift auf ihre Traditionen und das was sich ,gehört'. Hätte ich es anders geschrieben, wäre ich kitschig geworden... Denn die Vorstellung von Liebe, die alle Hindernisse überwindet, und sich gegen alles Behaupten kann, ist zwar wunderschön, aber ich glaube nicht daran. Aber ich glaube, dass Menschen immer wieder die Chance bekommen ihre Fehler gutzumachen. Sei es später im Leben, oder in einem neuen Leben... Aber was auch immer passiert... Wenn man sich selber treu bleibt und auf seine innere Stimme hört, kann man nicht wirklich was falsch machen. Leider können die Wenigsten heute noch ihre innere Stimme hören. Danke fürs Lesen. Caelita Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)