This Is Called Love von Shunya (Kurzgeschichten Sammlung) ================================================================================ Kapitel 1: Alte Liebe rostet nicht ---------------------------------- „Levi? Du bist doch Levi?ˮ, fragt er mich und neigt den Kopf kaum merklich zur Seite. Ich kann nicht anders als ihn anzustarren, denn nach all den Jahren die wir uns nicht gesehen haben scheint er sich äußerlich kaum verändert zu haben. Vage nicke ich und kann meinen Blick nicht von ihm abwenden. „Levi?ˮ „Äh...ja...ˮ, stammele ich und senke hastig den Blick. Ich starre auf meine noch unberührte Kaffeetasse. Wie konnte das denn passieren? Ich blicke auf die Zeitschaltuhr. Von fünf Minuten sind nur noch vier übrig. „Wie-wie ist es dir so ergangen?ˮ, frage ich Manuel und bin froh, dass ich doch noch den Mund aufkriege. Er sieht immer noch so unwiderstehlich aus wie damals. Ob er sich extra für das Speed Date so aufgestylt hat? Sein schwarzer Anzug ist bestimmt von Armani. Die Rolex lässt auch darauf schließen, dass er es mittlerweile weit gebracht hat. Da komme ich mir in meinem Aufzug irgendwie ziemlich kläglich vor. Ich trage ein schwarzes Shirt mit einem Bild von Schroedingers Katze, blaue Jeans und ausgelatschte Sneakers, die schon bessere Tage gesehen haben. Nervös nestele ich an meinem geflochtenen Lederarmband. „Ich arbeite für eine Werbefirma und leite meine eigene Abteilung.ˮ Manuel streicht sich gelassen über den Nacken und holt ein Marlboropäckchen aus seiner Anzuginnentasche hervor. Auf dem Feuerzeug, welches er nach dem Anzünden auf den Tisch legt ist ein Regenbogenfarbenmuster. „Was arbeitest du?ˮ, fragt er desinteressiert und sieht sich in der Bar um. Ein beliebter Treffpunkt für Schwule in der einmal im Monat wie heute ein Speed Dating stattfindet. Mittlerweile ist es bei mir schon zu einer Art monatlichen Gig geworden. Ich bin jedes Mal hier. Immer auf der Suche nach Mr. Right und nun sitzt er vor mir. So wie damals. „Ich arbeite als Lagerist.ˮ Ich streiche mir nervös über den Hals und kratze mit einem Finger auf der Tischplatte herum. „Hattest du in der Zwischenzeit...?ˮ Dumme Frage. Ich halte inne und breche ab. Natürlich hatte er Freunde. Wahrscheinlich sogar jede Menge. Ein Mann wie Manuel lässt doch nichts anbrennen. „Hm?ˮ, fragt er. „Nicht so wichtig.ˮ „Hast du schon einen Kerl kennengelernt, für den du dich interessierst?ˮ, fragt Manuel und zieht den Aschenbecher näher zu sich heran. Ich schüttele den Kopf. Nr. 1 ist bloß auf Sex ausgewesen. Nr. 2 hat nur aufs Äußere geachtet. Da habe ich ja nicht einmal eine Chance gehabt. Nr. 3 hat aus mir unerklärlichen Gründen ausschließlich über Schiffe geredet. Nr. 4 ist verheiratet und sucht nach einem One-Night-Stand. Vielleicht sollte ich ihn mit Nr. 1 verkuppeln? Nr. 5 ist mein ehemaliger Klassenkamerad Manuel der mein Liebesgeständnis in den Wind geschlagen hat nachdem ich eine Woche Mut ansammeln musste um es ihm überhaupt zu sagen. Durch Zufall habe ich herausgefunden, dass er auf Männer steht. Beim Klassentreffen habe ich ihn zuletzt gesehen. Wir haben aber nicht miteinander geredet. „Wieso hast du mich damals nicht gewollt?ˮ, frage ich ihn ohne Umschweife genau in dem Moment als der Wecker schrill durch die Bar tönt. Meine Hände sind schweißnass. Ich bin nervös, aber ich muss ihn das fragen. Es hat mich all die Jahre gequält und verfolgt. Immer wieder habe ich mir diese blöde Frage gestellt. Es hat mich einfach nicht losgelassen. Manuel hat sich bereits erhoben und nach dem Feuerzeug gegriffen, doch ich halte ihn zurück. Meine Hand liegt auf seiner. Fordernd sehe ich zu ihm auf. „Ähm, die Plätze müssen getauscht werden.ˮ Ein Mann, wohl eher der sportliche Typ, steht neben Manuel und fordert seinen Platz ein. Manuels Zigarette hängt in seinem Mundwinkel. Er zieht seine Hand unter meiner fort, bleibt jedoch bei mir am Tisch stehen. Wieso schweigt er jetzt? Will er es mir nicht sagen? Ich habe es verdient zu erfahren warum er mich damals abgewiesen hat. Sei der Grund noch so banal. Wir waren jung, es kann zig Gründe gegeben haben warum er nicht mit mir gehen wollte. Trotzdem ist er mir diese Antwort in all den Jahren schuldig geblieben. Diese Frage verlangt nach einer Antwort. Einer Erklärung. Hier und jetzt. Einerseits habe ich Angst davor es zu erfahren, andererseits hoffe ich dadurch fortan eine Last weniger mit mir herumzuschleppen. Ich weiß noch wie ich in der Schulzeit Manuel unablässig mit den Augen verfolgt habe. Jede Bewegung, jede Regung. Ich habe ihm im Unterricht gelauscht, wenn er Fragen der Lehrer beantwortet hat oder sich mit seinen Freunden unterhielt. Mein letztes Schuljahr hat sich ausschließlich um Manuel gedreht. Wegen ihm habe ich meinen Abschluss versemmelt. Jetzt steht er hier vor mir. Er sieht noch attraktiver aus, aber auch verschlossener als gerade eben. Manuel wird es mir nicht sagen. „Ich habe immer noch Gefühle für dich.ˮ Es ist nervenaufreibend ihm dabei in die Augen zu sehen. Ich atme tief durch. Ruhig bleiben, Levi. „Das ist doch schon ewig her. Lass es auf sich beruhen.ˮ Manuel wendet sich vollends ab. Der Fremde nimmt seinen Platz ein. Aus dem Augenwinkel sehe ich zu Manuel, der nur einen Tisch weiter sitzt. Als sich unsere Blicke treffen wende ich hastig den Kopf zur Seite. „Hi, ich heiße Fabian und arbeite in einem Fitnessstudio.ˮ Mein Gegenüber reicht mir die Hand und zeigt mir sein Zahnpastalächeln. Ich schüttele seine Hand und stelle mich ebenfalls vor. Mir fällt es schwer auf ihn einzugehen. Die Begegnung mit Manuel hat mich total durcheinander gebracht. Immer wieder flimmern Szenen aus der Vergangenheit vor meinem inneren Auge auf und ich bereue es mittlerweile regelrecht heute hergekommen zu sein. Er hat wohl nie die Stadt verlassen, genauso wenig wie ich. Wohl oder übel mussten wir uns also irgendwann mal über den Weg laufen und dass wir beide schwul sind ist seit meiner Schulzeit längst kein Geheimnis mehr. Schon nach zwei Minuten beginnt sich mein Gesprächspartner dank meiner einsilbigen Antworten zu langweilen. Die Unterhaltung stirbt ab und so sitzen wir nur schweigend am Tisch, trinken Kaffee und warten darauf, dass diese lästigen ewig andauernden drei Minuten enden. Mein Blick gleitet immer wieder zu Manuel, der sich scheinbar prächtig mit dem Mann neben mir versteht. Sie reden angeregt miteinander. Nach einigen Wortfetzen wird mir allerdings klar, dass sie bloß über das letzte Fußballspiel diskutieren. Ich starre auf den Zettel, der neben meiner Kaffeetasse liegt. Bisher habe ich noch keine Nummer angekreuzt. Am Ende des Speed Datings wird der Zettel wohl immer noch leer sein. Ich habe die Ellenbogen auf den Tisch gestützt, umgreife die rechte mit der linken Hand und knabbere heimlich an meinem Daumennagel. Eine schlechte Angewohnheit von mir. Die Zeit verinnt schleichend. Als würde sie komplett still stehen, auch wenn sie das nicht tut. Es kommt mir trotzdem so vor. Die Ziffern auf der Zeitschaltuhr beschleunigen ihr Tempo leider auch nicht. Der Fitnesstrainer trommelt ungeduldig mit den Fingern auf dem Tisch herum. Alle paar Sekunden trinkt er einen Schluck aus seiner Tasse. Dann ertönt endlich das lang herbeiersehnte Signal. Noch ehe ich aufsehen kann ist der Kerl schon aufgestanden und hat das Weite gesucht. Der Nächste kommt an meinen Tisch. Nach der Unterhaltungsphase werden die Zettel abgegeben. Ich starre noch immer auf mein leeres Blatt. Ein Schatten auf der Tischplatte lässt mich aufsehen. Manuel steht vor mir. „Soll ich den abgeben?ˮ, fragt er und legt mir seinen Zettel auf den Tisch. Ich schlucke hart. Einzig meine Nummer ist angekreuzt. Ich sehe zu ihm auf und habe keinen blassen Schimmer was ich sagen soll. Mein Kopf ist genauso leer wie das Stück Papier vor mir. Manuel zieht den Stuhl mir gegenüber zurück und lässt sich darauf nieder. „Du wolltest wissen warum ich dich abgewiesen habe.ˮ Es klingt wie eine Feststellung. „Ja!ˮ, antworte ich und räuspere mich. Ich setze mich aufrecht hin und sehe ihn erwartungsvoll an. „Auf deiner Schulter ist eine Spinne herumgekrabbelt. So ein richtig fettes Viech.ˮ Manuel schmunzelt, während ich ihn entgeistert ansehe. Er zündet sich eine Zigarette an und lehnt sich auf seinem Stuhl zurück. „Ich habe eine extreme Spinnenphobie. In meinem ganzen Leben habe ich bisher keine besonders guten Erfahrungen mit den Viechern gemacht. Und dann standest du vor mir und hattest so ein ekelhaftes Ding auf deiner Schulter sitzen und hast es nicht mal bemerkt. Ich war im ersten Moment wie gelähmt. Ich habe dir nicht richtig zugehört und musste die ganze Zeit auf das dämliche Krabbeltier starren. Als du schließlich auch noch ein paar Schritte auf mich zugekommen bist habe ich es nicht länger ausgehalten und bin weggelaufen.ˮ „Deswegen hast du damals gesagt 'Halte dich von mir fern'...ˮ, stelle ich irritiert fest. Manuel nickt. „Erst als ich im Schulgebäude war ist so langsam durchgesickert was du mir da erzählt hast. Ich habe es nur am Rande mitbekommen. Scheiße, das war das erste Liebesgeständnis, dass ich je in meinem Leben bekommen habe und ich renne wegen so einer dummen Spinne weg.ˮ Manuel fährt sich mit der freien Hand fahrig durch die Haare und nimmt einen Zug von der Zigarette. „Als ich zurückgegangen bin warst du schon weg.ˮ „Auf dem Klassentreffen habe ich dich das letzte Mal gesehenˮ, erzähle ich ihm. Manuel nickt erneut. „Ich war drauf und dran zu dir zu gehen, aber ich konnte nicht. In der Zeit war ich mit einem anderen Mann liiert und es hätte ja uns beiden wenig genützt.ˮ „Ist wohl so...ˮ, gebe ich niedergeschlagen von mir. „Würdest du mich noch einmal fragen, würde ich ja sagen, Levi.ˮ Er sieht mich ernst an. Wieder fällt es mir schwer seinem Blick standzuhalten. Ich schaffe es dennoch. „Wir sind nicht mehr in der Schule!ˮ, bricht es aus mir heraus. „Ja, schon klar...ˮ Manuel stützt sich mit beiden Unterarmen auf dem Tisch ab. „Aber wir sind doch beide aus einem bestimmten Grund hier oder etwa nicht? Wir sind beide Single und suchen einen Partner. Weshalb sollten wir es also nicht miteinander versuchen?ˮ „Weißt du eigentlich wie ich mich damals gefühlt habe?ˮ, frage ich ihn. „Als du diese Worte zu mir gesagt hast hatte ich das Gefühl du ekelst dich vor mir. Ich habe ewig gebraucht um dich anzusprechen und dir zu sagen, dass ich dich mag. Und dann kommt so was! Ich war wie vor den Kopf gestossen. Die letzten Schulwochen waren eine einzige Qual, weil ich dir jeden Tag aufs Neue über den Weg gelaufen bin. Ich konnte mich auf gar nichts mehr konzentrieren.ˮ Manuel schweigt und drückt seine Zigarette im Aschenbecher aus. „Vielleicht hast du Recht? Wir haben uns beide verändert. Wir sind nicht mehr dieselben.ˮ „Ja...ˮ, erwidere ich niedergeschlagen. Ich bin so dumm. Was mache ich hier eigentlich? „Wir sind keine Kinder mehr und wir führen verschiedene Leben. Es ist wohl besser so. Ich habe wirklich all die Jahre nicht darüber hinwegkommen können. Das hat mich verrückt gemacht. Irgendwo im Hinterkopf hatte ich immer diese Frage wieso du das damals gesagt hast. Und jetzt...ˮ Ich zucke mit den Schultern. „Jetzt ist es...ˮ „...zu spät?ˮ, vollendet Manuel meinen Satz. „Ich kann doch nicht mein Leben lang auf einen Mann warten. Das Leben ist zu kurz.ˮ „Aber jetzt willst du auch nicht mit mir zusammen sein.ˮ „Verstehst du es nicht? Ich muss auch irgendwann mal mit der Vergangenheit abschließen können und wie soll das gehen, wenn du hier vor mir sitzt?ˮ Wieso sage ich ihm das? Verdammt, er will doch mit mir zusammen sein! Wieso blocke ich jetzt ab? Ich bin so dumm, so dumm, so dumm... „Hast du jemanden in Aussicht? Jemanden vom Speed Dating?ˮ, fragte Manuel. Ich blicke herunter auf den unausgefüllten Zettel und knabbere auf meiner Unterlippe. „Hör mal, es ist im Grunde genommen egal. Es ist deine Entscheidung. Ich zwinge dich zu nichts.ˮ Manuel steht auf. „War schön dich mal wieder zu sehen.ˮ „Ja.ˮ Ich halte den Kopf gesenkt und sehe ihm nicht nach. Ich bin so dumm. Hastig stehe ich auf und greife nach Stift und Zettel und renne Manuel nach. Er ist schon fast zur Tür raus. „Manuel!ˮ, rufe ich. Er bleibt stehen und dreht sich mir zu. „Was ist?ˮ „Ich habe mich entschieden!ˮ Energisch drücke ich ihm den Zettel in die Hand. „Nr. 5.ˮ Manuel hebt den Kopf und zieht eine Augenbraue hoch. „Dein Ernst?ˮ Ich nicke emsig. „Mein voller Ernst. Eine zweite Chance lasse ich mir nicht durch die Lappen gehen!ˮ Lächelnd tritt Manuel auf mich zu. Sein Grinsen wird immer breiter und auch ich kann mich nicht länger zurückhalten. Wir fangen an sinnlos zu kichern, stehen an der Garderobe direkt vor der Tür und lachen ohne uns um die neugierigen Blicke um uns herum zu kümmern. Kapitel 2: Flower Boy --------------------- „Hey, Christian!ˮ Aufgeregt kommt meine Kollegin zu mir und hockt sich neben mich. „Rate mal wer wieder da ist?ˮ „Wer?ˮ, frage ich genervt, weil ich echt keinen bock habe ihr dummes Ratespiel mitzumachen. „Dein Lieblingskunde.ˮ Sie grinst breit und deutet in den Vorderraum. „Wohl eher unser Stammkunde.ˮ „Ich frage mich wirklich für wen er die Blumen jeden Tag kauft?ˮ, grübelt Julia und stützt ihr Kinn auf die Hand, während sie neben mir hocken bleibt. Ich seufze. „Kannst du das nicht übernehmen? Du siehst doch, dass ich gerade dabei bin die Clivien umzutopfen.ˮ „Würde ich ja gerne, aber er hat nach dir gefragt.ˮ Julia zieht einen Schmollmund. „Frag ihn doch einfach mal warum er ständig die Blumen kauft?ˮ „Was? Das sagt sich so leicht!ˮ Empört boxt Julia mir gegen die Schulter. „Hast du ihn dir mal richtig angesehen? Er ist ein echter Hingucker! Ich kriege kein Wort heraus, wenn er mir gegenüber steht. Was für eine Schande.ˮ Sie seufzt wehleidig. „Würde er nur nicht immer so griesgrämig durch die Weltgeschichte spazieren, dann könnte er wirklich jede Frau haben.ˮ „Vielleicht macht er das mit Absicht? Damit er vor all den Frauen seine Ruhe hat?ˮ, erwidere ich belustigt. „Als eine Art Schutzschild?ˮ „Klar, warum nicht?ˮ „Jetzt geh schon rüber. Er ist schon ganz ungeduldig. Ich mache das hier fertig.ˮ „Okay.ˮ Ich gebe mich geschlagen, wische mir die verdreckten Hände an der Schürze ab, so dass die Erde daran hängen bleibt und gehe nach vorne in den Verkaufsraum. Da steht er und sieht mir aufmerksam entgegen. Er ist einen Kopf größer als ich. Bestimmt um die 1,80 Meter. Mindestens. Er trägt wie üblich einen schwarzen Anzug. Ob er direkt von der Arbeit hierher kommt? Hinter der schneidigen Brille verstecken sich stechend grüne Augen. Seine Haare sind hellbraun und kurzgeschnitten. Keine Haarsträhne liegt an der falschen Stelle. Wie immer sieht er perfekt geschniegelt aus. Würde mich nicht wundern, wenn er sogar zur Maniküre geht. Ich stemme meine Hände auf den Tresen. „Guten Tag. Das Übliche?ˮ, frage ich ihn monoton. Seine Lippen sind zu einem schmalen Strich zusammen gepresst als er zustimmend nickt. „Einen Moment bitte.ˮ Julia hat Recht. Mich würde auch mal interessieren wieso er immer die gleichen Blumen kauft. Wieso er jeden Tag herkommt? Für wen sind diese Blumen? Ich gehe nach vorne und hocke mich direkt vor das große Fenster zur Straße hin. „Sieht so aus als wären keine mehr da...ˮ, murmele ich und schiebe ein paar Blumentöpfe zur Seite. „Wie wäre es stattdessen mit der Crossandra?ˮ Als ich mich umdrehe erschrecke ich, weil er auf einmal so dicht hinter mir steht. Sieht so aus als würde seine Miene noch eine Spur grimmiger aussehen, wenn das überhaupt geht. Ich ziehe den Topf in der die lachsfarbene Pflanze mit den dunkelgrünen Blättern steckt hervor. „Sie blüht von Frühjahr bis Herbst. Allerdings sollte sie an warmen bis feuchten Plätzen stehen, da sie recht anfällig für Schädlinge ist. Am besten nicht unter 18° C. In Wohnräumen oder im Badezimmer wäre es am geeignetsten.ˮ „Hm...ˮ Er wirkt wenig begeistert. „Ich bestelle Ihre Blumen gleich damit wir sie wieder auf Vorrat haben.ˮ „Okay.ˮ „Prima.ˮ Lächelnd erhebe ich mich mit dem Topf und gehe an die Kasse. Ich stecke die Pflanze in eine Tüte und nenne den Preis. Er schiebt mir einen Schein zu und als ich ihm das Wechselgeld gebe, berühren sich unsere Hände. Seltsam, ich hätte nicht gedacht, dass er solche warmen Hände hat. Bei einem Mann wie ihm würde man im ersten Moment nicht einmal denken, dass er Blumen mag. Als er den Laden verlässt sehe ich ihm nachdenklich hinterher. *** „Huch! Haben Sie mich erschreckt!ˮ Mein Herz klopft heftig in meiner Brust. Ich hocke hinten im Lager bei den Pflanzen und bin dabei einige von vertrockneten Blättern zu befreien. „Wie lange stehen Sie schon dort?ˮ „Nicht sehr lange.ˮ „Einen Moment, bitte. Ich kümmere mich sofort um Sie.ˮ „Es eilt nicht.ˮ Mein Blick bleibt auf ihm hängen. Er ist heute später hier. Kurz vor Ladenschluss. Ich habe mich schon gewundert wo er bleibt. „Ihre Blumen sind leider noch nicht eingetroffen. Sie werden aber im Verlauf der Woche ankommen.ˮ Ich lächele ihm kurz zu, ehe ich noch ein paar Blätter im Müllbeutel verschwinden lasse. „Danke.ˮ Er räuspert sich. „Alles okay? Werden Sie krank?ˮ, frage ich ihn verwundert. Als ich mich umdrehe sieht er mich überrascht an. Doch dann verdunkelt sich seine Miene schlagartig. „Möglich. Ich habe ein leichtes Kratzen im Hals.ˮ „Ah, verstehe. Ich habe ein paar Salbei Bonbons in meiner Tasche.ˮ Ich gehe zu meinem Spind und bin doch ein wenig nervös. Normalerweise verirrt sich kaum ein Kunde in den Lagerraum. Ich öffne den Spind und wühle in meiner Tasche. Endlich fündig geworden gebe ich dem Mann eine handvoll der Bonbons. „Danke.ˮ Ein kaum merkliches Lächeln erscheint auf seinem Gesicht. Oder irre ich mich? „Ähm, soll ich Ihnen eine neue Pflanze heraussuchen? Kommen Sie mit der Crossandra klar?ˮ „Ja, ich habe sie im Badezimmer stehen.ˮ „Schön.ˮ Ich lächele zufrieden. „Heute sind ein paar Venusfliegenfallen eingetroffen. Die können Sie gut im Schlafzimmer aufstellen. Gerade in der Sommerzeit wird man so ein paar lästige Fliegen los.ˮ Er folgt mir in den Verkaufsraum. Ein Blick aus dem Fenster sagt mir, dass es langsam Abend wird. Der Himmel verdunkelt sich. Der Laden wirkt schummrig. „Geben Sie mir zwei.ˮ Ich nicke und bringe die Pflanzen zur Kasse. Als ich kurz aufsehe lutscht er an einem der Bonbons. „Ähm...ˮ Ich atme tief durch und nehme all meinen Mut zusammen. „Darf ich Sie etwas fragen?ˮ Er hebt den Blick und sieht mir direkt in die Augen. Unwillkürlich kommt mir der Gedanke, dass die grimmige Miene nun mal sein Gesicht ist. Er kann nicht anders gucken. Nervös lecke ich mir über die trockenen Lippen. „Sie kaufen jeden Tag dieselben Blumen hier und ich wollte Sie einfach mal fragen für wen die sind. Für Ihre Frau? Verzeihen Sie, wenn ich Ihnen zu nahe trete.ˮ Für einen Moment überkommt mich das mulmige Gefühl als hätte ich nicht fragen sollen. Er weicht meinem Blick aus und wirkt verärgert. Ich habe es doch gewusst. Ich hätte ihn nicht fragen sollen. Es ist ihm zu persönlich. „Ich möchte darauf nicht antworten.ˮ „Verstehe. Tut mir leid.ˮ Hastig berechne ich die Pflanzen, kassiere das Geld und reiche ihm die Tüte. „Auf Wiedersehen.ˮ Er nickt flüchtig und verlässt den Laden. Seufzend stütze ich mich auf den Tresen und vergrabe mein Gesicht in den Händen. In was für ein Fettnäpfchen bin ich da nur wieder getreten? *** „Nächste Woche ist Valentinstag. Was schenkst du mir?ˮ, fragt Julia grinsend. Ich ziehe eine Schnute. „Frag deinen Freund. Wieso soll ich dir etwas schenken?ˮ „Och man...ˮ Julia zieht eine Grimasse und streckt mir die Zunge heraus. „Ich werde so gerne beschenkt.ˮ „Wie wäre es mit einer Blattlaus?ˮ, frage ich sie neckend. „Igitt! Du bist so eklig!ˮ, meint Julia und schubst mich leicht, so dass ich mich am Regal abstützen muss. Ich lache und klatsche in die Hände. „Du hast es so gewollt. Du bekommst eine ganze Ladung Blattläuse auf Schokolade serviert. Gourmets würden das bestimmt als Delikatesse durchgehen lassen!ˮ „Bah~! Du bist echt widerlich! Wehe du machst das wirklich!ˮ Ich strecke ihr die Zunge aus, woraufhin Julia mir spielerisch gegen die Brust boxt. „Ähem!ˮ Jemand räuspert sich. „Guten Tag!ˮ Ich lächele und gehe an die Kasse. Irgendwie sieht er heute mitgenommen aus. „Ist es besser geworden?ˮ „Was?ˮ, fragt er krächzend und mit heiserer Stimme. „Okay, hat sich erledigt.ˮ Ich lächele. Salbei Bonbons sind eben kein Wundermittel gegen Erkältungen. „Sie wirken gut gelauntˮ, meint er und reibt sich mit der Hand über den Hals. „Wir haben nur Spaß gemacht.ˮ Verschmitzt sehe ich zu Julia. Dann kommt mir jedoch ein Gedanke. „Stimmt ja, nächste Woche ist Valentinstag. Möchten Sie da eine bestimmte Blume kaufen? Rosen gehen an dem Tag weg wie sonst was.ˮ „Ich mag Rosen nicht.ˮ Erstaunt ziehe ich die Augenbrauen hoch. So was. Wie interessant. „Äh... nun ja, wir haben auch noch reichlich andere Pflanzen.ˮ „Ich weiß nicht...ˮ Er sieht schon wieder genervt aus. Weil er nicht weiß was er nehmen soll? Oder hat er niemanden, dem er an Valentinstag Blumen schenken könnte? Aber für wen kauft er dann immer die anderen Pflanzen? Ich linse zu Julia, die noch immer schweigend beim Regal mit den Töpfen steht und schweigt. Sie starrt ziemlich auffällig zu unserem Kunden was dieser jedoch scheinbar nicht zu bemerken scheint. Stattdessen ruht sein Blick auf mir. „Ich nehme das Übliche.ˮ Ich nicke emsig. „Die Blumen treffen morgen ein. Ich habe schon eine E-Mail erhalten.ˮ „Ich habe Ihnen für heute eine Amaryllis zur Seite gestellt.ˮ „Danke.ˮ Ich lächele und gehe nach hinten. Wieso trete ich nur immer von einem Fettnäpfchen ins Nächste? Erst gestern und heute schon wieder. Ich greife nach dem Topf und bringe die Pflanze nach vorne. „Hier ist sie.ˮ Er mustert sie und nickt. „Das wäre alles? Gute Besserung.ˮ Er sieht flüchtig zu mir und verlässt den Laden. Sofort kommt Julia auf mich zu. Sie schlittert über den glatten Boden und prallt mit der Schulter leicht gegen mich. „Sah er heute nicht umwerfend aus?ˮ, schwärmt sie. „Meinst du?ˮ „Kannst du ihn nicht mal fragen wie er heißt?ˮ, bettelt sie. „Wenn du etwas mit ihm anfängst erzähle ich es deinem Freund!ˮ, drohe ich mit erhobenen Zeigefinger. „Ach ein bisschen schmachten darf ich ja wohl! Ist ja nicht so, als würde mein Freund andere Frauen gar nicht ansehen!ˮ, meint sie schmollend. „Du bist unverbesserlich.ˮ Seufzend gebe ich nach. „Also gut. Ich frage ihn morgen.ˮ Freudestrahlend fällt Julia mir um den Hals. Doch so schnell wie sie das getan hat, lässt sie auch wieder los. „Herrje, schon so spät. Ich mache Schluss für heute!ˮ „Bis nächste Woche.ˮ Stimmt ja. Morgen ist bis 13 Uhr noch geöffnet und dann habe ich endlich mal wieder Wochenende. *** Nach der Arbeit am Samstag laufe ich heim. Ich wohne praktisch direkt um die Ecke. Zwei Straßen weiter steht mein Wohnkomplex. „Merkwürdig, heute war er gar nicht da...ˮ, murmele ich stirnrunzelnd beim Türaufschließen. Vielleicht ist er ja wirklich krank geworden? Gestern sah er nicht sehr fit aus. Meine Sachen lasse ich im Flur zu Boden fallen, streife mir die Schuhe von den Füßen und lasse mich im Wohnzimmer aufs Sofa plumpsen. Ich strecke Arme und Beine weit von mir und schließe die Augen. Nächsten Samstag ist Valentinstag. Wieso musste Julia dieses leidige Thema nur ansprechen? Während alle Verliebten diesen Tag für Liebesbeweise nutzen hänge ich nach Ladenschluss Zuhause alleine herum. Mit den Händen reibe ich mir über die Augen und gähne herzhaft. Zum Teufel mit Valentinstag. Es ist ein ganz normaler Samstag. Mehr nicht. Schwungvoll stehe ich auf und gehe in die angrenzende Küche um mir eine warme Mahlzeit zu kochen. *** Am Montag kommt er erst Abends vorbei. Kurz vor Ladenschluss. Julia war ziemlich niedergeschlagen, dass sie ihn verpasst hat. „Hallo, ich habe Sie schon vermisst!ˮ, grüße ich ihn lächelnd. Irritiert sieht er mich an. „Ah, das war nur so dahin gesagt. Sie waren am Samstag nicht hier.ˮ „Ja, ich war zwei Tage auf Geschäftsreise.ˮ „Echt? Wo waren Sie?ˮ, frage ich ihn neugierig. „In Luxemburg.ˮ „Wow! Ist es schön dort?ˮ „Ich habe nicht viel von der Stadt gesehen. Ich war nur wegen der Arbeit dort.ˮ „Ach wie schade.ˮ Ich stütze mich auf den Tresen und sehe ihn bedauernd an. Seufzend lasse ich meinen Blick durch den Laden schweifen. „Ich komme hier kaum raus. Viel verdienen tue ich nicht, dabei würde ich gerne viel reisen. Jedes Mal, wenn ich neue Pflanzen aus anderen Ländern bekomme ist es als würde ich eine kleine Weltreise machen. Verstehen Sie? Ich sehe zwar nicht das Land, aber wenn ich die Pflanzen betrachte bin ich immer wieder beeindruckt was es für verschiedene Arten auf der ganzen Welt gibt.ˮ Er nickt und es scheint als würde er sich ein wenig entspannen. Er lehnt am Tresen und lauscht meinen Erzählungen ohne das es ihn stört. Die meisten Kunden sind eher kurzangebunden. Ihn hingegen scheint es nicht zu belästigen. „Darf ich fragen wie Sie heißen?ˮ Er sieht mich an und wirkt erstaunt. „Mikael.ˮ „Oh.ˮ Wow, hübscher Name. „Oh?ˮ, fragt er. „Na ja, ich hatte gedacht eher so etwas Alltägliches wie Daniel, Stefan oder Matthias...ˮ Er verzieht seine Miene. Ich beuge mich grinsend ein wenig weiter über den Tresen. „Ich heiße Christian.ˮ Als er mich aufmerksam ansieht ziehe ich mich wieder ein Stück zurück. „Ah!ˮ Meine Hand schlägt wuchtig auf die Tischplatte. „Ihre Blumen sind ja mittlerweile angekommen! Kommen Sie mit. Sie stehen noch hinten.ˮ Ich gehe durch die Tür und höre seine Schritte hinter mir. Auf einem Regal stehen die Neuankömmlinge. „Dacula Vampira.ˮ Lächelnd sehe ich zu ihm. Die Pflanze hat drei Blütenblätter, die aussehen wie ein Stern. Sie haben eine rötliche Punktmusterung und die Besonderheit ist, dass diese Orchiedeenart einen Duft verströmt. Hat schon etwas Vampirisches an sich, wenn Mikael sie so unwiderstehlich findet, dass er sie ständig hier kauft. Es sei denn sie gehen ihm dauernd ein und deswegen kauft er neue. Ihm? Oder einer anderen Person? Für wen auch immer sie sind. Mikael beugt sich vor und riecht an einer Dracula-Orchidee. Er schließt seine Augen und ein flüchtiges Lächeln ziert seine Lippen. Wie gebannt sehe ich ihn an. „Wollen Sie eine mitnehmen?ˮ, frage ich ihn. „Ja.ˮ Er nickt und reicht mir einen der Blumentöpfe. Ich nehme diesen an mich und gerade als ich mich umdrehen will, bleibe ich mit dem Fuß an irgendetwas am Boden hängen und strauchele. „Whoa!ˮ, entfährt es mir überrascht als ich auch schon zu Boden falle. Hastig greift Mikael nach mir, schafft es aber nicht mehr mich aufzufangen. Zusammen prallen wir auf den Boden. „Aua...ˮ, jammere ich und greife mir an den Schädel. Mikael liegt auf mir und hebt den Kopf. Als sich unsere Blicke treffen sind wir beide unfähig auch nur ein Wort von uns zu geben. Mein Puls rast und mein Herz schlägt wie ein Presslufthammer. Was für ein Schrecken! „Alles in Ordnung?ˮ, fragt er. Seine Stimme klingt so leise. Und er ist schwer, obwohl er recht schlank ist. „Ich lebe noch.ˮ Schmunzelnd sehe ich zu ihm. Erleichtert rappelt er sich auf und hilft mir hoch. „Dieser verdammte Wasserschlauch! Ich habe vergessen ihn aufzurollen!ˮ, murre ich und berühre ihn mit der Fußspitze. Mittlerweile beruhige ich mich langsam wieder von dieser Achterbahnfahrt gen Boden. Zum Glück scheint Mikael sich auch nichts getan zu haben. „Haben Sie jetzt Feierabend?ˮ, fragt er. Ich blicke auf als ich zurück im Verkaufsraum auf das Tastenfeld der Kasse tippe. „Ja.ˮ „Hm...ˮ Er nimmt die Tüte entgegen. „Ich muss noch die Abrechnung machen.ˮ „Okay.ˮ Er sieht mich abwartend an. Hä? Will er etwa warten? Worauf? Irritiert sehe ich kurz zu Mikael, ehe ich einen Stuhl hervorziehe und beginne die Kassenbons durchzugehen und das Geld zu zählen. Ruhig bleibt er am Tresen stehen. Nur hin und wieder sieht er sich im Laden um. Wir schweigen, aber irgendwie ist es nicht unangenehm. „Wäre es nicht einfacher den ganzen Schwung an Orchideen mitzunehmen, als jeden Tag hierher zu kommen? Ich meine, das ist doch ziemlich umständlich oder nicht?ˮ, frage ich Mikael abwesend. „Der Laden liegt auf dem Weg von meiner Arbeit nach Hause.ˮ Wieder wirkt er kurzangebunden. Ob er das so meint oder weicht er mir gerade aus? „Ist das so?ˮ, stellle ich fest und schließe die Kasse mit einem Schlüssel ab. Ich stehe auf und hole meine Sachen aus dem Spind. Als ich wieder in den Laden trete steht Mikael an der Tür. Er wartet tatsächlich auf mich. Ich lächele, öffne die Tür und lasse ihn als erstes hinaustreten. Ich schließe den Laden ab und stehe etwas unschlüssig herum. „Tja... also...ˮ „Hast du hunger?ˮ, fragt er. Nanu? Kein Siezen mehr? Soll mir nur recht sein. Auf Dauer ist es irgendwie nervig. Da fühlt man sich so alt. Zumindest ich. „Ja,schon...ˮ „Hier gibt es einen Imbiss.ˮ Er deutet hinter sich. „Ich lade dich ein.ˮ „Danke.ˮ Lächelnd gehe ich mit ihm die Straße entlang. Ich werde echt nicht schlau aus ihm. Wieso lädt er mich jetzt zum Essen ein? Muss er nicht nach Hause? Hat er keine Frau und Kinder oder zumindest eine Freundin? Kurz darauf sitzen wir auf einer kniehohen Betonmauer vor einem Parkplatz, der zu einem Supermarkt gehört. „Ich bin sprachlos.ˮ „Wieso?ˮ, fragt Mikael. „Weil du einen Döner isst.ˮ „Und?ˮ Verdattert sieht er mich an genau wie ich es bei ihm tue. „Na ja, irgendwie wirkst du nicht wie der Dönertyp.ˮ „Dönertyp?ˮ Mikael schmunzelt. „Ich meine nur, du siehst aus als würdest du ausschließlich in teuren Restaurants essen!ˮ, versuche ich umständlich zu erklären. Mikael wirkt sichtlich amüsiert. „Ich verdiene zwar gut, aber das wäre dann doch etwas zu teuer auf Dauer.ˮ Ich beiße in meinen Döner mit Hühnchen und kaue andächtig. Hin und wieder fährt ein Auto auf der Straße vor uns vorbei. Es ist bereits dunkel und die vielen Straßenlichter lassen die Nacht aufleben. Nur wir beide sitzen ein wenig in der schummrigen Dunkelheit. Die nächsten Straßenlaternen stehen etwas abseits von uns. „Danke für den Döner.ˮ Nach dem Essen verabschiede ich mich von Mikael. Er ist doch umgänglicher als ich vermutet habe. Sogar nett und wenn er lächelt... Abrupt bleibe ich stehen und drehe mich um. Ich blicke ihm nach und schüttele den Kopf. Was denke ich da nur für Unsinn? Kopfschüttelnd trete ich den Heimweg an. *** Die nächsten Tage taucht er nicht auf. Die Arbeit im Laden ist eintönig. Hin und wieder bediene ich einige Kunden, kümmere mich um die Pflanzen und halte immer wieder Ausschau nach Mikael. „Wenn du noch einmal seufzt ziehe ich dir den nächsten Kübel über den Kopf!ˮ, meckert Julia belustigt. „Den kriegst du doch gar nicht hoch.ˮ „Doch die kleinen Kübel schon!ˮ, meint sie drohend und lehnt sich neben mich auf den Tresen. „Was ist los mit dir?ˮ „Ich habe keine Ahnung.ˮ „Vermisst du deinen Stammkunden?ˮ, neckt sie mich. „Ach, wo denkst du hin?!ˮ, fahre ich sie ungehalten an. „Du wirkst als hättest du Liebeskummer oder Geldsorgen.ˮ Sie grinst breit. „Was ist es?ˮ „Weder das eine noch das andere!ˮ, murre ich und wende mich ab. „Du bist sauer, weil Samstag Valentinstag ist und du niemanden hast mit dem du diesen Tag verbringen kannst.ˮ „Pff~ träum weiter!ˮ „Du wirst es schon überleben.ˮ Julia klopft mir lachend auf den Rücken. „Frauen stehen nun mal nicht auf Floristen. Sie wollen Männer wie Mikael! Geheimnisvolle, gutaussehende Männer.ˮ Verstimmt sehe ich sie an, als sie sich auch schon umdreht und mit der Gießkanne zu den Blumen am Fenster geht. Mit den Fingern trommele ich auf der Tischplatte herum. Auf die andere Hand stütze ich meinen Kopf. Ob das stimmt? Bin ich vielleicht nicht mal attraktiv? Hier kommen doch ständig Frauen in den Laden. Aber wahrscheinlich nicht wegen mir. Frustriert spiele ich mit meinem Kugelschreiber. *** Am Samstag habe ich so viel zu tun, dass ich gar nicht großartig zum Grübeln komme. Rote Rosen gehen scharenweise über die Ladentheke und wenigstens an diesem einen Tag im Jahr machen wir ein äußerst gutes Geschäft. Um 13 Uhr kann ich dann endlich schließen und räume den Laden auf. Mit Besen und Schaufel säubere ich den Boden. Die Türklingel macht sich bemerkbar. „Wir haben geschlossen.ˮ „Ah... ähm...ˮ Ich drehe mich um und sehe Mikael in der Tür stehen. Ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen. „Du bist es!ˮ Langsam komme ich ihm entgegen. „Ich habe dich die ganze Woche nicht gesehen.ˮ „Ich hatte ziemlich viel um die Ohren.ˮ Er bleibt in der Tür stehen und wirkt äußerst reserviert. Er hat die übliche ärgerliche Miene aufgesetzt. Was ist mit ihm los? „Stimmt etwas nicht?ˮ, frage ich ihn stirnrunzelnd. „Nein, nein!ˮ, meint er hastig und sieht sich um. „Bist du alleine?ˮ Ich nicke und endlich tritt er in den Laden. „Möchtest du doch eine Rose kaufen? Wir haben noch ein paar im Lager übrig.ˮ Er kratzt sich an der Wange und schüttelt verhalten den Kopf. Ich stütze mich auf den Besenstil und mustere ihn. Was hat er bloß? Mikael atmet tief ein. „Okay, jetzt oder nie!ˮ „Hä?ˮ, frage ich. Was meint er damit? Auf einmal kommt er direkt auf mich zu und bleibt ziemlich nahe vor mir stehen. Er hat mich zurückgedrängt, so dass ich dicht vor einem Regal mit Blumensamen stehe. Irritiert sehe ich zu ihm auf. Er räuspert sich und so intensiv wie er mich ansieht fühle ich mich doch ein klein wenig unbehaglich. „Die sind für dich!ˮ Er holt eine Tüte hervor, die er hinter seinem Rücken versteckt gehalten hat, greift hinein und reicht mir eine kleine Packung Mon Chéri. „Ah....ˮ Mit hochgezogenen Augenbrauen nehme ich sie ihm verblüfft ab, nachdem er sie mir etwas grob in die Hände gedrückt hat. „Vielen Dank.ˮ „Ich kann dir ja schlecht in deinem Laden eine Blume schenken.ˮ „Hä? Was?ˮ, frage ich erstaunt. Er räuspert sich erneut und beugt sich vor. Ich drücke mich automatisch gegen das Regal und starre ihn an. Oh mein Gott! Er küsst mich! Wieso macht er das? Für einen kurzen Augenblick kneife ich die Augen zusammen. Seine Lippen sind weicher als sie aussehen. Der heiße Atem streift mein Gesicht und seine warme Hand ruht an meinem Hals. Die andere liegt auf meiner Schulter. Stocksteif stehe ich eingeklemmt da und spüre wie mein Herz schlägt oder ist das mein Puls? Meine Wangen sind knallrot, zumindest fühlen sie sich an als würden sie in Flammen stehen. Der Druck seiner Lippen verstärkt sich ein wenig, ehe seine Lippen sich von meinen lösen. Ich sehe zu Mikael auf, der noch immer so emotionslos wirkt. „Ich mag dich!ˮ, gesteht er mir und geht ein wenig auf Abstand. „Ach ja und ich bin schwul.ˮ „Schön...ˮ, stammele ich verdattert. Hätte er mir das nicht mal früher sagen können? Mein Blick schweift unstet durch den Laden, weil ich ihm kaum ins Gesicht sehen kann. „Also... ich...ˮ Was soll ich bloß sagen? Mein Kopf ist total leer! „Ich muss wohl einiges erklären.ˮ Mikael steckt seine Hände in die Hosentaschen. „Ich habe dir doch erzählt, dass dein Laden auf dem Weg von meiner Arbeit zu meinem Haus liegt.ˮ „Ja.ˮ Ich nicke und lecke mir abwesend über den Mund. „Ich habe dich schon oft hier im Laden gesehen, aber ich hatte nicht den Mut dich anzusprechen. Als ich das erste Mal hier im Laden stand wusste ich absolut nicht was ich dir sagen soll. Das war vor zwei Monaten. Ich habe spontan eine Pflanze gekauft, die du mir ausgesucht hast.ˮ „Die Dracula-Orchidee...ˮ, füge ich hinzu. „Ich bin jeden Tag gekommen und konnte somit in deiner Nähe sein, aber ich habe einfach nicht den Mund aufbekommen. Mir hat einfach der Mut gefehlt. Ich wusste auch nicht ob du in festen Händen bist, aber irgendwann habe ich einem Gespräch zwischen dir und deiner Kollegin gelauscht, beziehungsweise ich habe es überhört. Als ich erfuhr, dass du Single bist bin ich weiterhin hierher gekommen. Ich wollte in deiner Nähe sein.ˮ Wie ein Esel sehe ich Mikael an. „Du-du bist in mich verliebt?ˮ, frage ich ihn mit großen Augen. „So ist es.ˮ Meine Schultern sacken herunter. Deswegen kam er also jeden Tag aufs Neue in den Laden und hat immer wieder dieselben Blumen gekauft. Jetzt wird mir so einiges klar. Er ist jeden Tag in den Laden gekommen um mich zu sehen. „Ich....ˮ, meine ich langgezogen. Was soll ich denn jetzt sagen? „Ich kann mir denken wie du dich jetzt fühlst. Ich wollte es nur endlich loswerden, Christian. Ich werde dich nicht weiter belästigen.ˮ Er lächelt gutmütig, öffnet die Tür, doch gerade als er hinaustreten will halte ich ihn instinktiv zurück. Er sieht auf meine Hand auf seinem Arm, dann zu mir. Hastig lasse ich los. „Du belästigst mich nicht!ˮ, erwidere ich. „Das ist echt nett von dir.ˮ Lächelnd hebe ich die Packung Pralinen. „Dann darf ich wieder kommen?ˮ, fragt Mikael. „Also...ˮ, druckse ich ein wenig herum. „Ich habe jetzt Feierabend. Magst du auf einen Kaffee mit zur mir kommen?ˮ Abwartend und etwas nervös sehe ich ihn an. Erst wirkt er überrascht, doch dann glätten sich seine Gesichtszüge. Als er mir antwortet lächelt er hinreißend. „Gerne.ˮ Kapitel 3: Wer Dornen sät ------------------------- „Sam! Mein süßer Sammy. Schnuggiputz!ˮ, lallt Eli als er zur Tür hereinkommt und mir geradewegs in die Arme fällt. Er hat mal wieder getrunken, torkelt und kann sich dabei kaum auf den eigenen Beinen halten. Was für ein erbärmlicher Anblick. Ich halte die Luft an, weil mir von dem Alkoholgeruch schlecht wird da Eli mir direkt ins Gesicht atmet. „Wo warst du wieder?ˮ, frage ich ihn stirnrunzelnd. „Bei Dirk.ˮ Ein heftiger Stich fährt mir durch die Brust. „Wer ist Dirk?ˮ, frage ich ihn misstrauisch. „Hab ihn auf 'ner Party getroffen.ˮ Eli lacht und bekommt nicht mal mit was er da von sich gibt. Er ist total neben der Spur. Ärgerlich stoße ich die Haustür mit dem Fuß zu und zerre den Betrunkenen ins Schlafzimmer. Mühsam versuche ich ihn seiner Kleidung zu entledigen. „Hat Dirk auch getrunken?ˮ „Oh ja, vor allem mein Sperma!ˮ, Eli lacht sich darüber scheckig, während mir sich die Eingeweide zusammen ziehen, als hätte er mir gerade mit voller Wucht in den Magen geschlagen. „Der hat meinen Schwanz gelutscht wie einen Lolli, sach ich dir!ˮ Eli grinst selig vor sich hin. Verbissen versuche ich ihm die Hose von den Beinen zu ziehen, nachdem ich seine Schuhe ausgezogen und achtlos in eine Ecke des Schlafzimmers neben der Tür geworfen habe. „Was massu da?ˮ, fragt er und senkt den Blick. „Hab noch genug zum abspritzen, leck mich ruhig!ˮ Voller Schadenfreude klopft er sich lachend auf den Oberschenkel. „Ich ziehe dich aus für den Fall, dass du dich wieder vollkotzt.ˮ „Mir is' nich' schlechd.ˮ Er klingt ja sehr von sich überzeugt. Ich kenne ihn da aber mittlerweile ein wenig besser. Eli beugt sich über mich und versucht mein Shirt am Rücken hochzuziehen. „So weich...ˮ, schwärmt er, streift fahrig mit seinen Händen über meine Haut und lässt sich wie ein nasser Sack auf mich sinken. Genervt ziehe ich meinen Kopf zur Seite. Er ist verdammt schwer. „Lass den Mist, Eli!ˮ „Lass uns figgen, Dirk...ˮ, murmelt er leise, dann rührt er sich gar nicht mehr. Ich lasse mich auf den Boden sinken und schlinge meine Arme um ihn. „Du verdammtes, mieses Arschloch...ˮ, flüstere ich. Meine Kehle ist wie zugeschnürt. Ich kriege kaum Luft. Meine Augen brennen verdächtig. „Mhm...ˮ Eli schmatzt und schmiegt sich fast schlafend an mich. Ich halte es nicht mehr mit ihm aus. Jedes Mal tut er mir das an. Jedes verdammte Mal. Schniefend wische ich mir mit dem Handrücken über die Nase. Schluchzer erschüttern meinen Körper. Ich drücke mein Gesicht in seinen warmen Pullover und halte meinen Freund fest an mich gepresst. *** Am nächsten Morgen liege ich wach im Bett. Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugetan. Ich bin total fertig und müde. Die halbe Nacht habe ich geheult und jetzt fühle ich mich einfach nur ausgelaugt und erschöpft. Eli liegt neben mir im Bett und brummt. Er wird heute einen mächtigen Kater haben. Sein Arm legt sich auf meinen Bauch und er rutscht näher an mich heran. Noch immer riecht er nach Alkohol, aber wenigstens hat er nicht gekotzt. „Morgen...ˮ, nuschelt er und küsst meine Schulter. Ich antworte nicht, sondern starre weiter durch den Spalt zwischen den Gardinen nach draußen. Hellblauer Himmel. Passt so gar nicht zu meiner derzeitigen Stimmung. Deprimiert sehe ich zu Eli. Er hebt den Kopf an und küsst sich meinen Hals entlang. „Ich bin nicht Dirk.ˮ Eli öffnet die halbgeschlossenen Lider und runzelt die Stirn. „Mir ist schon klar, dass du Sam bist. Wer ist Dirk?ˮ „Der Typ, den du gestern gevögelt hast.ˮ „Oh, scheiße! Nicht schon wieder.ˮ Eli stöhnt und rappelt sich im Bett auf. Er sieht auf mich nieder und klatscht die flachen Hände vor seinem Gesicht zusammen so wie es die Asiaten beim Beten tun. „Tut mir so leid! Ich habe wieder zu viel getrunken! Es wird nicht mehr passieren! Ich liebe dich!ˮ, entschuldigt er sich überschwänglich und leiert seine perfekte Litanei herunter wie er es schon so oft getan hat. Ich wende den Blick emotionslos ab und gucke zum Fenster. „Sam, bitte sei mir nicht böse!ˮ, jammert Eli. „Ich werde es wieder gut machen. Ich verspreche es dir!ˮ Beim letzten Satz lache ich kurz höhnisch auf. Wie oft hat er mir das schon gesagt? Immer diese leeren Versprechungen. Er hält sich nie daran. Nie! „Es war bloß Sex. Du weißt, dass ich dich mag und nur mit dir zusammen sein will. Die anderen Kerle bedeuten mir nichts.ˮ „Schon klar...ˮ, murmele ich wenig überzeugt. Ich kriege keine Luft. Er nimmt mir die Luft zum Atmen. Seine Nähe macht mich krank. Ich will, dass er sich verzieht. Ich will meine Ruhe haben. Tränen treten mir in die Augen. „Geh...ˮ, flüstere ich mit erstickter Stimme. Ich lege mir die Hand über die Augen, weil ich die Tränen nicht länger zurückhalten kann. Erstaunlich, dass immer noch welche kommen. Müssten die Tränen nicht irgendwann versiegen? „Nicht weinen, Sam!ˮ Eli beugt sich über mich und streicht mir zärtlich über die Wange. Er versucht mir die Hand aus dem Gesicht zu ziehen. „Fass mich nicht an!ˮ, brülle ich jäh und stoße ihn heftig von mir. Eli fällt rücklings aufs Bett und sieht mich verdutzt an. Heulend ziehe ich mir die Decke über den Kopf. „Verschwinde!ˮ, schluchze ich. Mir versagt die Stimme als ich es sage und die letzten Silben gehen dabei fast unter. „Sam...ˮ Ich merke, dass er noch untätig auf dem Bett sitzen bleibt. „Es tut mir echt leid. Ich habe mich total daneben benommen.ˮ „Geh weg...ˮ, heule ich qualvoll. Wieso ist er immer noch hier? Einzig meine Schluchzer tönen durch das Schlafzimmer. Ich kann mich nicht zurückhalten. Ich fühle mich elend. Wieso habe ich ihm nur immer wieder aufs Neue verziehen? Er ist unverbesserlich und das wird sich nie ändern. Ich war so blöd und wollte es nur einfach nicht wahrhaben. Immer wieder habe ich gehofft, dass er unsere Beziehung ernst nimmt. Er hat es nie getan. Nicht so wie ich. Dauernd geht er auf Partys und betrinkt sich. Er lernt nicht aus seinen Fehlern. Jedes Mal landet er im Bett von anderen Kerlen als zu mir zu kommen. Und ich bin so dumm und warte bis er endlich nach Hause kommt, nur um ihn zu entkleiden, seinen Kopf über die Kloschüssel zu halten, ihn zu waschen und ins Bett zu bringen. Ich bin es so leid. So unendlich leid... „Ich dachte, du liebst mich.ˮ Elis Stimme klingt so weit weg. Ich habe dich geliebt, Eli. Irgendwann einmal. Aber das ist lange her. Viel zu lange. „Leb wohl, Eli...ˮ, flüstere ich heiser und verberge mein Gesicht im vollgeheulten, nassen Kissen. Und dann ist er endlich weg. Ich starre abwesend an die Wand. Sekunden, Minuten, Stunden... Ich weiß es nicht. Es fühlt sich an als hätte er einen wichtigen Teil von mir mitgenommen. Er hat mir so oft ins Herz geschlagen bis es zerbrochen ist und nun in Scherben am Boden liegt. Eine Scherbe hat er mitgenommen und wer auch immer es schafft mein Herz wieder zusammen zu setzen, es wird immer eine Wunde darin klaffen. Ein tiefer Riss, der nicht mehr heilt. Der ein Teil von mir sein wird. Eine verblassende Erinnerung. Eine unsichtbare Narbe hinterlassend. Man sieht es nicht, aber sie ist da. Sie wird immer da sein. Kapitel 4: Call Me ------------------ Ich komme aus dem Imbiss und sehe zum Himmel. Die Sonne scheint unbarmherzig auf mich nieder. Es ist heiß und ich schwitze ein wenig unter meiner Uniform. Der Himmel selbst ist beinahe wolkenlos und hellblau. Über mich fliegt ein Schwarm Vögel hinweg. Die Passanten um mich herum gehen geschäftig ihres Weges. Ich trinke meinen Kaffee aus einem Pappbecher und beiße herzhaft von dem Hamburger ab, den ich mir gegönnt habe. Mein Funkgerät rauscht, doch als die Meldung durchgegeben wird merke ich, dass es nicht zu meiner Straße gehört, also gehe ich weiter zur Nebenstraße in der mein Auto parkt. Normalerweise sind immer zwei Leute auf Streife, aber da heute jemand ausfiel bin ich allein unterwegs. Dieser Distrikt ist ohnehin nicht gefährlich, dafür floriert eine Straße weiter die Prostitution. Ich komme wohl nicht darum vorbei die Straße später abzufahren. „Oh man, nicht schon wieder...ˮ, murre ich und trinke den Kaffee, während sich meine Schritte beschleunigen. „Hey! Das ist keine Sonnenliege sondern ein Polizeiwagen! Runter von der Motorhaube!ˮ, brülle ich den Jungen an der dort liegt und die Arme hinter seinem Kopf verschränkt hat. Er richtet sich ein wenig auf und zieht die Sonnenbrille ein Stück herunter. „Hi!ˮ „Jedes Mal, wenn ich hier Streife fahre tauchst du auf und machst irgendwelchen Unsinn!ˮ, fahre ich ihn ungehalten an. „Los, runter da!ˮ Missmutig lässt er sich von der Motorhaube rutschen. Er trägt eine schwarze Jogginghose mit zwei weißen Seitenstreifen, Turnschuhe und ein dunkelblaues Shirt ohne Aufdruck. „Du warst fast drei Wochen nicht mehr hier. Ich habe dich schon vermisst, Sergejˮ, flötet er breit grinsend. „Wie wäre es, wenn du endlich mal anfängst mich zu Siezen?!ˮ, brumme ich genervt. „Tust du doch auch noch nicht und gib es zu, es stört dich nicht mal.ˮ Er grinst breit und wischt sich die blonden Haare aus dem Gesicht, die ihm der Wind in die Augen weht. „Oh, lecker!ˮ Er reißt mir prompt den Burger aus der Hand und beißt davon ab. „Hey, spinnst du?! Gib den zurück, Brian!ˮ Empört packe ich sein schmales Handgelenk, dass zerbrechlicher aussieht als es in Wirklichkeit ist und merke in dem Moment, dass ich in der anderen Hand noch den Pappbecher halte. Was für ein Dilemma! „Ne, Sergej, wann gehst du endlich mit mir aus?ˮ, fragt Brian mich. „Und jetzt streite nicht wieder ab, du seist nicht schwul. Ich habe dich letztens im Club außer Dienst gesehen. Deine Zunge steckte ziemlich tief im Mund von diesem Italiener.ˮ Ärgerlich sehe ich ihn an. „Verfolgst du mich etwa?ˮ „Nö, wir treiben uns nur zufällig in den gleichen Clubs herum und wenn wir ehrlich sind gibt es die nicht gerade wie Sand am Meer.ˮ „In meiner Freizeit kann ich ja wohl tun was ich will!ˮ Ich lasse sein Handgelenk los und greife nach der halben Burgerhälfte. Dass der Junge mit dem Gesäß auf der Motorhaube lehnt und ich zwischen seinen Beinen stehe, bemerke ich erst jetzt. Ich trete einen Schritt zurück und gehe energisch zur Fahrertür. „Sergej! Ich warte noch auf eine Antwort!ˮ „Ich bin doch viel zu alt für dich.ˮ Geschäftig steige ich ein und stelle den Kaffeebecher in die Vorrichtung in meiner Tür. Ich schließe diese und kurbele das Fenster herunter. Im Inneren ist es stickig und brütend heiß. Brian kommt zu mir und stützt sich mit beiden Armen ab. Er sieht zu mir durch das offene Fenster und zieht einen Schmollmund. „Ich bin schon volljährig, weißt du?ˮ, erzählt er und sieht mich erwartungsvoll an. „Wir kennen uns schon seit letzten Sommer. Tu nicht so als würdest du mich nicht wollen, Sergej.ˮ „Ich bin 27. Was willst du von mir? Such dir einen Jungen in deinem Alter.ˮ „Ist mir egal. Ich mag dich. Mich stört es nicht, dass du älter bist.ˮ Er neigt den Kopf zur Seite und lächelt schelmisch. „Hast du nie daran gedacht, dir mal einen jüngeren Kerl zu angeln? Jetzt will dich mal einer und du blockst ab.ˮ „Ich habe keine Zeit für so was...ˮ Das Funkgerät im Wagen rauscht und wieder wird eine Meldung durchgegeben. Wir lauschen schweigend. „In einem Kiosk in der 9. Straße randaliert ein Betrunkener.ˮ Ich drücke auf das Fungerät und anworte kurz, dass ich in der Nähe bin und unterwegs sei. Ich drehe den Zündschlüssel um und sehe zu Brian während der Motor brummend startet. Mit der Hand mache ich eine flüchtige Bewegung um ihn zu verscheuchen. Brian verzieht seinen Mund und seufzt. „Spaßbremse...ˮ, nörgelt er. Noch ehe ich reagieren kann beugt er sich flink in den Wagen rein und küsst mich. Seine rechte Hand stützt sich auf meinen Arm am Lenkrad, die andere greift fest in die Wagentür. Seine Lippen sind weich und für einen Moment schließe ich die Augen. Ich greife in seinen Nacken und ziehe Brian ein wenig fester an mich, übe mehr Druck auf seine Lippen aus und koste diesen Moment voll und ganz aus. So schnell wie es passiert ist lassen wir auch schon wieder voneinander ab. Er leckt sich über die Lippen und greift in seine Hosentasche. Auffordernd drückt er mir einen zusammengefalteten Zettel in die Hand. „Ruf mich an, wenn du dir endlich eingestanden hast, dass du mich magst.ˮ Er lächelt, stößt sich vom Wagen ab und geht einige Schritte zurück, während ich kopfschüttelnd aus der Parklücke fahre und den Wagen zur Kreuzung steuere. Im Rückspiegel sehe ich, dass er mir nachsieht. Ich öffne den Zettel, werfe einen flüchtigen Blick drauf und schmunzele. „Schätze mal heute Abend habe ich ein Date.ˮ Lächelnd schalte ich den Blinker an der Kreuzung an und biege links ab, reihe mich in den Verkehr ein und stecke mir Brians Nummer in die Brusttasche. Dann lache ich auf. „Ich lasse ihn noch einen Tag zappeln.ˮ Kapitel 5: Hunted ----------------- „Bleib nicht stehen!ˮ, ruft er mir zu und zerrt mich unnachgiebig hinter sich her. Ich kriege kaum Luft. Meine Lungen brennen und meine Beine schmerzen. Wir rennen kreuz und quer durch die Stadt und werden sie einfach nicht los. Ein Blick zurück. Da kommen sie schon um die Ecke. Ich keuche und habe seit drei Straßenblocks Seitenstechen. Ich bekomme meine Atmung nicht mehr unter Kontrolle. Es schmerzt höllisch. Unsere Schuhe klackern auf dem Asphalt. Jetzt nur nicht schlapp machen, Haruki. Liam zieht mich ohne Erbarmen hinter sich her. Im Gegensatz zu mir scheint er noch fit zu sein. Er wendet abrupt in eine Seitengasse ab und beinahe pralle ich an die Ecke des Gebäudes an dessen Außenmauer wir entlang gelaufen sind. Die Gasse ist gerade mal so breit, dass zwei Leute nebeneinander hergehen könnten. Überall liegt Müll, zerbrochenes Glas und Müllsäcke, die teilweise von den Tieren zerfetzt worden sind. Eine Katze rennt uns fauchend aus dem Weg. Ich lausche meinem eigenen abgehackten Atemzügen. Wir rennen durch die Gasse und gelangen in eine Nebenstraße. Passanten weichen uns überrascht aus als wir an ihnen vorbeirennen und beinahe in sie hineinlaufen. „Liam!ˮ, rufe ich erschöpft. „Ich kann nicht mehr...!ˮ „Mach mir jetzt nicht schlapp! Wir müssen es nur bis zum Hafen schaffen! Wenn wir die Fähre noch kriegen haben wir es geschafft!ˮ, brüllt er mir zu ohne mich dabei anzusehen. Sagt sich so leicht. Ich kann wirklich nicht mehr laufen. Mir tut alles weh. Meine Kehle ist trocken und tut weh. Der Wind brennt in meinen Augen und bringt sie zum Tränen. Wieso ist diese Straße nur so verdammt lang? Ich hoffe, Liam weiß wo wir hinlaufen müssen. Mein Blick irrt unstet umher. Keine Ahnung wo wir hier sind. In dieser Gegend der Stadt war ich noch nie. Ich werfe noch einmal einen flüchtigen Blick über die Schulter zurück. Sie kommen gerade aus der Gasse. Noch immer werden wir verfolgt und werden diese Wachhunde einfach nicht los. Wieso musste Liam mich nur da reinziehen? Diese Typen kriegen uns noch. Die werden uns erschießen! Liam zerrt mich auf einmal mitten auf die Straße. „Hey, was soll das?ˮ, frage ich panisch. Wir sprinten auf die andere Straßenseite, springen auf den Bürgersteig und stürmen direkt auf eine Lagerhalle zu, deren Tor nur halb herunter gelassen worden ist. Da drüber ist ein Schild mit einem Fischlogo. Liam beugt sich herunter und verschwindet unter dem Tor. Ich tue es ihm gleich ohne seine Hand loszulassen. Nie im Leben würde ich loslassen. Wir laufen weiter und sehen uns um. Der beißende Geruch von Fisch steigt mir sofort in die Nase. Auf der anderen Seite ist alles offen für die Ladungen von LKWs. So langsam habe ich das Gefühl, dass Liam schon mal hier gewesen ist. Hinter einem Stapel Kisten hocken wir uns hin. Ich schnappe nach Luft wie ein Fisch an Land. Liam drückt mir seine Hand auf den Mund. „Shht!ˮ Er hält sich den Zeigefinger vor die Lippen. Mit großen Augen sehe ich ihn an und nicke. Ich kauere mich dicht neben ihn und werde an seine Brust gedrückt, als er mir den Arm umlegt und mich eng an sich zieht. Ich lehne meine Stirn an sein Schlüsselbein und schließe die Augen. Ein atmen und aus atmen. Leichter gedacht als getan. Ich atme durch die Nase. Meine Finger krallen sich in seine enganliegende schwarze Lederjacke. Sie ist ganz kalt. Er hat den Job vermasselt. Jetzt sind sie hinter uns her. Dass wir uns ineinander verlieben hätte wohl keiner von uns beiden geahnt, als wir uns das erste Mal begegnet sind. Er hätte mich töten sollen. Hat er aber nicht und jetzt stecken wir in diesem Dilemma! Liam existiert nicht. Er ist nirgendwo registriert und trägt lediglich ein paar gefälschte Ausweise bei sich. Sein Leben lang hat er Menschen umgebracht und dieser eine Moment, der in dem er mich am Leben gelassen hat, hat alles infrage gestellt. Jetzt muss er beseitigt werden und wenn sie mich ebenfalls erwischen schlagen sie zwei Fliegen mit einer Klappe. Dann wäre alles wieder im Lot. Deswegen müssen wir die Fähre erwischen. Wir müssen runter von der Insel auf der wir uns bisher versteckt haben. Auch dies war kein geeigneter Ort um unterzutauchen. Sie werden uns finden. Immer wieder. Bis sie uns endlich haben. Bis wir tot sind werden sie uns verfolgen und jagen. Ich sehe zu Liam auf. Seine dunkelblonden Haare hängen ihm ins Gesicht. Als er mich ansieht blicke ich in seine klaren hellblauen Augen. Er küsst mich flüchtig und eindringlich auf die Lippen. Dann hören wir Schritte. Sie sind hier und durchsuchen die große Lagerhalle. Dank dem lauten Echo kann ich kaum zuordnen wo sie sich gerade befinden. „Geht's wieder?ˮ, flüstert Liam mir ins Ohr. Ich nicke, obwohl ich total erschöpft bin. Wir müssen weiter und sie endlich loswerden. Leise schleichen wir uns an den hochgestapelten, einfarbigen Kisten vorbei. Zwischen zwei Kistenstapeln kann ich sie flüchtig sehen. Alle drei Männer sind bewaffnet. Sie suchen alles ab. Liam schleust mich durch die Halle. Beim letzten Stapel halten wir an. Für einen Moment sind wir ohne Deckung, wenn wir durch das Tor nach draußen rennen. Wir müssen es wagen, ob wir wollen oder nicht. Liam sieht zu mir und drückt meine Hand fest in seiner. Ich nicke. Mein Puls rast und mein Herz schlägt heftig in meiner Brust. Das Signalhorn der Fähre ertönt aus der Ferne. Scheiße, ob wir das noch schaffen? „Jetzt oder nie!ˮ, flüstert Liam und wirft kurz einen Blick in die Halle. Dann rennt er los. Ich folge ihm und wage es nicht zurückzusehen. „Da sind sie!ˮ „Los, schieß!ˮ Die Pistolen klingen wahnsinnig laut in meinen Ohren. Wie ein Kanonenfeuer schießen die Kugeln an uns vorbei. Bis Liam aufschreit. Ich sehe wie er sich während des Rennens ans Brein greift. „Liam!ˮ „Keine Sorge, nur ein Streifschuss!ˮ, brüllt er und hetzt weiter. Er beginnt zu humpeln, verringert jedoch kaum das Tempo. Es muss extrem schmerzen. Wir laufen um einen weißen Lastwagen herum. „Los, los! Ihnen nach!ˮ, ruft einer der Männer. Ich höre ihre Schritte und eine Gänsehaut überrint meinen Körper. Dieses Gefühl gejagt zu werden ist furchtbar. Ich will einfach nur weg. Nur weg von hier. „Da vorne ist der Hafen, Haruki!ˮ Energisch schleift Liam mich hinter sich her. Eine frische Meeresbrise schlägt mir ins Gesicht. Es schmeckt salzig auf meiner Zunge. Nur noch ein Stück. Bitte, wir müssen es schaffen. Bitte, bitte, bitte... Diesmal laufen wir schräg über das Hafengelände, nur um hinter einer weiteren Lagerhalle zu verschwinden und somit sind wir den Männern für ein paar Sekunden aus ihrem Sichtfeld entkommen. „Da hinten ist die Fähre!ˮ, rufe ich und als würde dieser Anblick meine Lebensgeister wecken, laufe ich schneller. Ich bekomme neue Energie und bin beinahe gleichauf mit Liam. Ich halte seine Hand fest mit meinen Fingern umschlungen. Seine Verletzung macht ihm zu schaffen. Er wird langsamer. „Halte durch! Wir sind fast da!ˮ, rede ich energisch auf ihn ein. Am Pier hetzen wir vorbei an Schiffen, die hier angelegt haben. Die Fähre befindet sich noch an Ort und Stelle. Passagiere betreten sie und Autos werden verladen. Gleich sind wir da. Nur noch ein Stück. Hoffentlich fährt sie nicht ohne uns los. Panik kriecht mir durch Mark und Bein. Was sollen wir machen, wenn wir sie nicht mehr erwischen? Wenn sie vor unseren Augen ablegt? „Schneller, Liam! Schneller!ˮ Wir hasten den Pier entlang. Hinter uns erklingen wieder Schüsse, aber sie sind zu weit entfernt und wahrscheinlich sind die Männer mittlerweile genauso erschöpft wie wir. Es sind nur noch 50 Meter, die uns trennen als die Laderampe der Fähre hochgefahren wird. „Nein, halt! Wir müssen noch mit!ˮ, brülle ich was meine Lungen hergeben. Sie hören uns nicht. „Fahrt nicht ab! Halt! Wartet!ˮ Ich sehe panisch zu Liam. Was jetzt? „Nicht anhalten! Renn weiter!ˮ, fordert er mich auf. Gehetzt sehe ich zum Schiff. Scheiße, das ist doch wohl nicht sein ernst?! Noch 30 Meter, 20 Meter, 10 Meter... Ich nehme das letzte Stück anlauf und dann lässt er meine Hand los. Wir springen. Unter uns das tiefe Wasser. Tosende Wellen schlagen an den Betonsteg. Liam ergreift das Ende der Laderampe. Entsetzt sehe ich ihn an. Meine Hände haben sie nur um Zentimeter verfehlt. Ich falle! Er reißt eine Hand runter und greift nach mir. Liam packt mich, noch ehe ich in das Wasser stürzen kann. Er hält mich am Handgelenk. Ich sehe zu ihm auf und versuche an der Unterseite der Rampe mit Händen und Füßen Halt zu finden. Immer wieder rutsche ich ab. Sein Griff an meiner Hand schmerzt. Ich trete gegen die Rampe und springe daran ab und nach oben. Endlich kann ich danach greifen. Liam lässt mich los und schiebt mich am Hintern über die Rampe. „Hey, was machen Sie da oben!ˮ, ruft ein Mann unter mir. Er trägt eine Schutzweste und sieht mich entgeistert an. Liam zieht sich an der Rampe hoch und schwingt sein Bein darüber. „Das ist lebensgefährlich!ˮ, brüllt der Mann uns an. Wir ignorieren ihn. Ich sehe noch einmal zurück. Die Männer stehen am Pier und sehen uns ratlos nach. Ich lasse mich runterfallen und gehe in die Knie, als ich auf dem harten Boden aufkomme. Erschöpft lasse ich mich zu Boden sinken und ringe nach Atem. „Was haben Sie sich nur dabei gedacht?!ˮ „Haruki...ˮ Liam kriecht auf mich zu und hält sich das angeschossene Bein. Ich ergreife sein Gesicht und küsse ihn fordernd. Er zieht mich in eine Umarmung und legt seinen Kopf auf meine Schulter. „Alles ist gut...ˮ, flüstert er keuchend. Ich spüre seinen Atem auf meinem Hals. Ich weiß er meint er nur gut, aber es wird nie so sein. Sie werden nicht aufhören uns zu suchen. Nicht solange Liam am Leben ist. Nicht solange er all ihre Geheimnisse ausplaudern kann. Ich klammere mich an ihn und schließe meine Augen. Jetzt für den Moment ist es aber tatsächlich gut. Für eine kurze Zeit sind wir in Sicherheit. Hier auf dem Meer können sie uns nichts antun. Wir sind in einer sicheren Zone. Und danach... Tja, wer weiß schon was danach kommt? „Ich bleib bei dir, was auch geschieht...ˮ, murmele ich matt und schlinge meine Arme um seinen Rücken. Ich lasse nicht los. Niemals! Kapitel 6: Die Mutprobe ----------------------- „Ugh~ ist das echt euer ernst? Wieso muss ich das machen?ˮ, frage ich Malte und Timo kläglich. Wir stehen vor einem Kiosk und wie so oft gehen wir unserem Lieblingshobby nach: Mutproben durchziehen. Immer wieder lassen wir uns neue Ideen einfallen um unsere Freizeit mit sinnlosen Einfällen aufzupeppen. 'Uns' sind eigentlich nur Malte und Timo. Ich bin meistens der Depp, der ihre kuriosen Ideen als Erster durchführen muss. Heute stehen wir also vor einem kleinen Geschäft aus dem ich einen Energiedrink mitgehen lassen soll. Damit es nicht auffällt muss jeder von uns in ein anderes Geschäft gehen und die Beute wird hinterher natürlich brüderlich geteilt. Trotzdem fühle ich mich total unbehaglich. Was ist, wenn ich erwischt werde und die Verkäufer meine Eltern anrufen? Dann bin ich echt am Arsch! Die sind total streng! „Komm schon Rafa! Sei keine Memme!ˮ, spornt Timo mich an. Der hat leicht reden. Er muss ja auch noch nicht ran. Ich klatsche energisch in die Hände. Jetzt oder nie! Ich kann das! Entschlossen gehe ich auf die Glastür zu und öffne sie. Ein kurzer Blick zu meinen Freunden, die mir gespannt nachsehen, dann betrete ich den Laden. Jetzt darf ich nur keine Fehler machen. Möglichst unauffällig in das Geschäft reingehen. Nicht nervös wirken und mich bloß nicht ständig umsehen damit niemand auf mich aufmerksam wird. Meine Füße fühlen sich an als wären sie in Beton eingemeißelt. Ich kann kaum einen Schritt nach dem anderen tun. Ich komme nicht umhin mich trotzdem einmal umzusehen. Direkt links am Eingang vor der Fensterfron steht eine Regelwand mit diversen Zeitungen und Magazinen, in der Mitte steht ein längliches Regal mit Süßkram. Mir gegenüber ist die Kasse und direkt neben mir die Getränkekühlschränke auf die ich es abgesehen habe. Auf der anderen Wandseite gegenüber vom Fenster stehen lediglich Regale mit Alkohol. Ich stelle mich vor das Regal mit dem Rücken zur Kasse. Der Kassierer steht bei den Weinflaschen und unterhält sich mit einem Kollegen, der ihn wohl abwechseln soll oder sonst was. Wenn er unaufmerksam ist, ist es ein klarer Vorteil für mich. Einstecken und nichts wie weg! Ich öffne die Tür und frische, kühle Luft schlägt mir wie eine eiserne Faust ins Gesicht. Meine Hände sind vor Aufregung nass geschwitzt. Guck bloß nicht zu den Verkäufern, Rafael! Meine Hand greift wahllos nach einer Energiedose. Sie ist ganz kalt. Mit zitternden Fingern nehme ich sie an mich. Mir schlägt das Herz bis zum Hals. Nix wie raus hier! „Hey!ˮ, ertönt eine männliche Stimme hinter mir. Oh, Fuck! Automatisch bleibe ich stehen. Argh~ wieso mache ich das? Ich sollte die Beine in die Hand nehmen und rennen! Wieso bleibe ich Esel auch noch stehen? Puh~ okay, ich habe die Dose noch nicht eingesteckt, dann können sie mir auch nichts anhaben. Langsam und mit einem mulmigen Gefühl im Bauch drehe ich mich um. Der Verkäufer steht mir gegenüber. Er hat dunkelbraunes Haar und gleichfarbige Augen. Er trägt eine schwarze Jeans und ein weißes Shirt mit einem Drachen darauf dazu schwarze-weiße Sneaker von Nike. Er scheint etwas älter zu sein als ich, wirkt aber noch nicht sehr erwachsen. Ich schlucke und bin trotzdem nervös. Ob meine Freunde schon längst das Weite gesucht haben? Schöne Freunde wären mir das! Okay, ich würde es ja auch nicht anders tun bei so einem Dilemma. „I-ich kann das erklä...ˮ Weiter komme ich gar nicht. Der Junge kommt ein paar Schritte auf mich zu, beugt sich herunter und küsst mich spontan. What the Fuck?! Was geht denn jetzt ab? Was macht er? Ist er gar nicht wütend wegen der Dose? Hat er es überhaupt gemerkt? Wieso zum Teufel küsst er mich? Sprachlos starre ich ihn an und bin unfähig mich auch nur einen Zentimeter vom Fleck zu bewegen. Dann endlich lässt meine Lähmung nach und hastig schubse ich ihn von mir. Er grinst und dreht sich zu dem anderen Verkäufer um. „Ich habe ihn geküsst, also her mit den 20 Euro!ˮ, meint der Junge mir gegenüber. „Was...?ˮ, frage ich verwirrt. „Ach wir haben gewettet, ob er es fertig bringt den ersten Kerl der heute in den Laden kommt zu küssen.ˮ Der andere Verkäufer lächelt säuerlich und gibt dem Jungen sein Geld. Ich schlucke und lecke mir fahrig über die Lippen. So ein Idiot! Mit grimmiger Miene sehe ich zu ihm auf. „Deine Freunde gucken schon hier rein? Habt ihr nicht selber eine Wette am laufen?ˮ, fragt mich der Junge und deutet auf die Dose in meiner Hand. Unwillkürlich laufe ich knallrot an und werfe einen Blick über die Schulter. Er hat es also doch bemerkt. Waren Timo und Malte zu auffällig? Jetzt glotzen sie wie die Esel durch die Glastür. Was mache ich denn jetzt? Schuldbewusst senke ich den Kopf auf die Brust und strecke ihm die Dose entgegen. „Da!ˮ „Nein, ist schon gut. Ich zahle sie für dich von meinem gewonnen Geld.ˮ „Wieso?ˮ, frage ich verwirrt. „Weil ich dich für meine Wette benutzt habe und als dank für den Kuss.ˮ Er grinst und kratzt sich am Hals. „Ah, okay...ˮ Ich lasse die Hand mit der Dose sinken. Meine Wangen stehen in Flammen. Verdammt, ist das peinlich! Wieso bedankt er sich denn für den Kuss?! „U-und du arbeitest hier?ˮ, stottere ich und habe das Gefühl mein Kopf ist total leer. Hirn, fang endlich wieder an zu funktionieren! Hat der Kuss eine Sicherung da oben durchgebrannt? „Ja. Halbtags. Vielleicht sehen wir uns ja mal wieder?ˮ „Vielleicht...ˮ, murmele ich vage. „Ich heiße Dominik und du?ˮ „Rafael.ˮ „Danke für den Kuss.ˮ Er lächelt verschmitzt. Argh! Jetzt hat er sich schon wieder bedankt! Mit hochrotem Kopf mache ich auf dem Absatz kehrt und stürme aus dem Laden. „Hey, hast du sie gekriegt?ˮ, fragt Malte neugierig und schaut mir über die Schulter um einen Blick auf die Dose zu erhaschen. „Was hat der Typ gemacht?ˮ, will Timo wissen. Ich antworte nicht. Mein Blick fällt noch einmal in den Laden. Dominik steht noch an Ort und Stelle, hebt kurz die Hand und winkt mir lächelnd zu. Ich presse die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Tja, da haben wir wohl beide eine Mutprobe bestanden. Ich winke ihm zögerlich zu und suche hastig mit meinen Freunden das Weite. Mein erster Kuss und dann auch noch mit einem Jungen... Obwohl, ist ja auch egal. Viel wichtiger ist: Ich habe meinen ersten Kuss bekommen! Freudestrahlend laufe ich weiter, mache einen jauchzenden Luftsprung und ignoriere die fragenden Blicke meiner Freunde als ich lachend weiterrenne. Kapitel 7: Scheikh ------------------ Ich mag Anzüge, sie sind so viel ansehnlicher als diese bodenlangen Thawbs, die man als Scheich normalerweise trägt. Mein Vater ist als Erbe seines Vaters zu einem Ölscheich geworden. Der Reichtum kam also nicht plötzlich. Ich bin damit aufgewachsen, genieße es in vollen Zügen und habe mir all meine Wünsche erfüllt. Das Problem daran ist, wenn man alles haben kann wird das Leben schnell langweilig und eintönig. Ebenso die Kleidung. Ich finde es erfrischend, dass die Jugend sich mittlerweile auch im westlichen Stil kleidet. Ich betrachte mich im Spiegel und sehe an mir herunter. Ich sollte es mit Stolz tragen. Jeder Araber, der etwas auf sich hält trägt einen Thwab. Der Diener klopft an die Tür und kommt herein. „Der Journalist Arik Ward ist hier.ˮ „Ich werde ihn selbst empfangen.ˮ Hoffentlich fängt er nicht an von Politik zu sprechen. Diese Ausländer treten gerne von einem Fettnäpfchen ins Nächste. Bestimmt geht es nur wieder um das Öl. Wie ich zu meinem Reichtum kam beziehungsweise mein Vater vor mir. Ich bin ja nur der Erbe. Seit einem Jahr übernehme ich die Arbeit meines verstorbenen Vaters. Ein plötzlicher Herzinfarkt hat ihn über den Jordan geschickt, nicht lange nach dem Tod meiner Mutter. Ich setze mir die Ghutra auf den Kopf, binde den Agal einen schwarzen Strick darum, verlasse mein Schlafzimmer und gehe zur Haustür. Da steht er. Der Mann, den ich lieber in meinem Bett sehen würde, als mit ihm lästige Gespräche zu führen. Er ist Amerikaner, lebt derzeit aber hier in Dubai und arbeitet für ein Onlinemagazin. Ich weiß, dass er auf Männer steht, denn ich habe genaustens über ihn nachgeforscht. Ich bin kein Mann, der etwas dem Zufall überlässt. „Ahlan wa sahlan!ˮ „Ahlan bik!ˮ Er erwidert lächelnd die Begrüßung und wir schütteln die Hände. Am Eingang zieht Arik sich die Schuhe aus und folgt mir. Ein Diener bringt Erfrischungen und kleine Häppchen. Wir betreten den Majlis, den Empfangsraum und lassen uns auf den Sesseln einander gegenüber nieder. Zwischen uns steht ein Glastisch auf dem der Diener alles abstellt. Arik greift dankbar nach dem kalten Glas Wasser. Ich komme nicht umhin ihm auf den Hals zu starren und zuzusehen wie sich sein Adamsapfel auf und ab bewegt bei jedem weiteren Schluck. Der nächste Gedanke ist allerdings nicht mehr ganz so jugendfrei, also versuche ich schleunigst an etwas anderes zu denken. Arik kommt mir entgegen und direkt auf den Punkt. Er stellt mir gezielte Fragen, auf die ich kurzangebunden reagiere – wie so oft. Eines kommt zum anderen und so dauert das Gespräch maximal eine Stunde an in der ich mich wie bei einem Verhör fühle. An der Haustür schüttele ich ihm etwas länger die Hand als beabsichtigt und streiche wie zufällig über seine warme Haut. Ob er es bemerkt hat, weiß ich nicht, da er sich nichts anmerken lässt. Ich sehe ihm nicht nach als er die Wohnung verlässt. *** Auf der Party, die ich eine Woche später besuche ist er ebenfalls zugegen. Wir feiern auf einer langen schnittigen blau-weißen Yacht. Wahrscheinlich hat ihn ein Bekannter von mir eingeladen. Umso besser. Hier bei Alkohol und lauter Musik kann man sich zumindest etwas unterhalten ohne formell klingen zu müssen. Ich hoffe, er hat seinen Job heute zu Hause gelassen. Wenn er dumme Fragen stellt werfe ich Arik höchstpersönlich ins Meer. Er trägt zu seiner sonnengebräunten Haut ein rotes Poloshirt, eine blaue Jeans und schwarze Schuhe. Die dichten schwarzen Haare tun ihr übriges und lassen ihn nur noch mehr wie einen Araber aussehen. Man könnte meinen er sei hier aufgewachsen. „Salam alaykum, Arik!ˮ, grüße ich ihn ungezwungen. Er dreht sich zu mir um und hält einen Blue Splash in der Hand. „Wa alaykum as-salam, Farikˮ, erwidert er lächelnd und drückt meine Hand. Immer wieder amüsant wie ähnlich sich unsere Namen sind, denn nur ein einziger Buchstabe trennt sie voneinander. Ob dies ein Wink des Schicksals ist, dass ich mich so zu ihm hingezogen fühle? Seit unserer ersten Begegnung vor drei Monaten bei einem kurzen Interview geht mir dieser gutaussehende Mann mit den stechend grünen Augen nicht mehr aus dem Kopf. Die Musik zwingt uns dazu nahe beieinander zu stehen und dem jeweils anderen ins Ohr zu brüllen. Wir ziehen uns ans Heck der Yacht zurück und stehen somit etwas Abseits der tanzenden Meute im Inneren. Der laue, frische Wind zerzaust unsere Haare. Immer wieder ist er am Lachen und scheint bester Laune zu sein. Auch wenn wir nur Small Talk machen scheint er viel ausgelassener zu sein als bei unserem Interview. Meine Hand auf der Reling tastet sich suchend zu seiner. Als ich seinen Handrücken berühre entzieht er sich mir nicht. Mit den Fingern streiche ich über die Haut. Arik trinkt und sieht mir dabei tief in die Augen. Niemand beobachtet uns als ich mich zu ihm herunterbeuge und diese sinnlichen Lippen mit meinen berühre. Er schmeckt nach Alkohol. Meine Hand schlingt sich fest in Ariks Nacken. Ich intensiviere den Kuss, schiebe ihm meine Zunge in den Mund und spüre wie sich seine Finger in mein Hemd krallen. Das Glas stellt er hinter sich auf einen Tisch und schlingt seine Arme fest um meinen Oberkörper. Ich dränge ihn lechzend gegen die Reling ohne auch nur noch einen Zentimeter Abstand zwischen unseren Körpern zu gewähren. Ich habe mir schon immer genommen was ich haben wollte, aber noch nie habe ich jemanden so sehr begehrt wie Arik. Meine Hand rutscht unter sein Shirt und berührt die warme Haut. Nach einer schier endlosen Zeit löse ich den Kuss und lasse meine Lippen über seine Wange wandern. Ich spüre die rauen Bartstoppeln und küsse mich zu seinem Hals herunter. Er stöhnt mir ins Ohr und sein Atem kitzelt, beschert mir eine Gänsehaut und bringt meine Geduld ans Ende ihrer Kräfte. Ich gehe auf Abstand, ergreife seine Hand und schleife Arik entschlossen unters Deck. Wir laufen durch einen engen, schlauchartigen Gang und suchen nach einem leerstehenden Zimmer. Wir landen im eleganten Schlafzimmer meines Freundes und sehen uns flüchtig um. Der Raum an sich ist nicht sehr groß, rechteckig und das weiße moderne Kingsize Bett nimmt den meisten Platz ein. Direkt an der Wand zu meiner Rechten ist eine kleine Sitzecke mit grauer Couch, einem schwarzen kreisrunden Tisch und direkt neben dem Bett befindet sich eine schwarz lackierte Kommode. Gegenüber ist ein schmaler Schrank mit Fernseher, während sich direkt am Kopfende des Bettes ein riesiger Spiegel befindet. An der Fensterfront gibt es eine weitere Sitzecke mit weißen, lederbezogenen Sesseln und einer Tür zum angrenzenden Badezimmer. Der Teppich unter unseren Schuhen ist flauschig und weich. Ich ziehe Arik energisch an mich und zerre ihm ungeduldig die Kleidung vom Leib. Er tut es mir gleich und immer wieder suchen unsere Lippen lüstern nacheinander. Grinsend schubse ich Arik aufs Bett und klettere schließlich über ihn. Wir sind nackt. Ich halte seine Handgelenke in die Laken gedrückt und sehe auf ihn herunter. Lust, Verlangen und Gier sehe ich in seinem herausfordernden Blick. Heute Nacht gebe ich ihm alles was er will. Wir wälzen uns wolllüstig im Bett, nutzen jede freie Fläche und in dieser Nacht zeige ich ihm Dinge, die er sich noch nicht einmal in seiner wildesten Fantasie erträumt hätte. Ich entlocke Arik die schönsten Laute, beschere ihm eine wohlige Gänsehaut nach der anderen, klammere mich wie ein Ertrinkender an ihn und suche Halt in seiner liebevollen Umarmung. Ein Passagier würde draußen im Gang nur das Ächzen und Knarzen des Bettes, das Stöhnen und Keuchen der Liebenden hören, aber ihm würde entgehen, dass diese eine Nacht unser beider Leben verändern sollte. Das es niemals mehr so sein würde wie jetzt. Dass es unsere einzige Nacht sein würde in der wir eng umschlungen in einem Bett liegen. Eine Nacht im Schein des hellen Vollmondes, der sich auf der Wasseroberfläche spiegelt, das Zimmer hell erleuchtet und seine unheilvollen Fühler nach uns beiden ausstreckt um uns in die dunkle Finsternis der Ewigkeit ziehen zu können. *** Manchmal braucht es nicht viele Worte um zu verstehen, dass man einander braucht. Worte, die einfach nicht ausreichen um auszudrücken was man für jemanden empfindet. Worte, die einen schönen Moment ruinieren könnten. Falsche Worte, die nur Unsicherheit, Hass, Wut und Misstrauen heraufbeschwören können. Und manchmal, wenn man dennoch vergisst sie zu benutzen, sie nicht einsetzt um diese Gefühle, die sich aufstauen, in jemandem aufkeimen und sich wie ein zartes Netz einer Spinne im Innersten ausbreiten, dann ist es vielleicht zu spät. Zu spät um den Moment zu retten. Zu spät um alles in Ordnung zu bringen. Wie abhängig wir doch von Wörtern sind. Wie ein Wort etwas Gutes auslösen kann und im nächsten Moment alles zerschlägt was man sich nach langer Zeit aufgebaut hat. „Es ist ein Geschenk. Mein Geschenk für dichˮ, sage ich ihm. Man züchtet eine Blume, sieht ihr beim Wachsen zu, gibt ihr das Nötigste damit sie stark wird und dann, wenn man vergisst sie zu gießen, ihr keine Aufmerksamkeit mehr schenkt, sich die Blätter verfärben, Schädlinge sie zerfressen, diese Blume vertrocknet und verkümmert, dann weiß man, dass man früher hätte eingreifen müssen. „Das ist kein Geschenk. Es ist ein Fluch!ˮ, meint er verbittert und stößt mich von sich. Ich taumele zurück und sehe ihn überrascht an. Ich verstehe nicht wieso er mir das antut nachdem ich ihn so gut behandelt habe, ihm alles gab was er wollte. Er ist undankbar. Zorn brodelt tief in meinem Inneren. Erst ist es eine kleine Flamme, noch versuche ich die Situation zu retten. Ihm das neue Leben schmackhaft zu machen. Ich führe ihn an der Hand durch die Dunkelheit, zeige ihm was ihm vorher alles entgangen ist. Er zeigt mir keine Dankbarkeit. Er verkümmert und vertrocknet jeden Tag mehr. Ich bin am Ende. Ich weiß nicht was ich tun soll. Nacht für Nacht gebe ich ihm Halt, rede auf ihn ein und immer wieder prallt alles an ihm ab. Er hat eine unsichtbare Mauer errichtet und lässt mich nicht mehr in sein Innerstes blicken. Er will gehen. Zurück nach Amerika. Weg von mir. Er flüchtet vor meinem Geschenk. Vor dem was ich aus ihm gemacht habe. Ich lasse ihn nicht gehen. Nicht solange da noch ein Funken Liebe in mir ist. Ein kleiner Funke Besessenheit von seiner liebenswerten Person und seinem attraktiven Äußeren. Noch immer suche ich nach dem Menschen in den ich mich einst verliebt habe. Viel zu spät begreife ich, dass er nicht mehr da ist, dass er schon lange gegangen ist und nur eine Leere Hülle hinterlassen hat. Er hat das Geschenk, das ich ihm gemacht habe nicht akzeptiert, sein neues Ich mit Händen und Füßen von sich ferngehalten. Er gibt mir die Schuld. Mir allein. Er sieht nicht was ich damals sah. Er sieht keine Zukunft für uns beide. Kein gemeinsames Leben. Arik will nicht so sein wie ich. Er sieht nicht, dass ich es damals nicht freiwillig angenommen habe. Dass ich dem kleinen Mädchen nur helfen wollte. Sie machte mir ein Geschenk und ich war nicht fähig es abzulehnen. Sie hat das Böse in mir erweckt und es gedeihen lassen. Sie ließ mir keine Wahl, so wie ich sie ihm nicht ließ. *** Ich trete in das Verließ unter meiner Wohnung, gehe vorbei durch die engen Grabstätten meiner Vorfahren und ignoriere die Gebeine zu beiden Seiten. Die Luft riecht abgestanden und muffig. Der Gang vergrößert sich zum Ende hin. Links und Rechts sind von oben bis unten Schädel aufgetürmt, die mich aus ihren hohlen Augen anstarren. Mir die Schuld an allem geben. Mich verachten und verhöhnen. Ich trete gebückt durch das Loch in der Wand vor mir und halte die Taschenlampe fest in meiner Hand. Der Lichtschein tastet suchend die Wände ab, erleuchtet die feste Erde an den Wänden und den Körper der sich vor mir befindet. Aus matten, seelenlosen Augen sieht er durch mich hindurch. Er hängt in Ketten an der Wand und ist dem Zerfall und der Verwesung zugeschrieben. Lange bleibe ich abwesend vor ihm stehen und versuche mich an den Mann zu erinnern in den ich mich verliebt hatte. Der Mann, der nicht mehr hier ist. Meine Hände ballen sich für Sekunden zu Fäusten. Ich trete nahe an ihn heran und hebe meine Hand. Seine Wange ist ganz kühl. Er zuckt kaum merklich unter meiner Berührung zusammen. Meine Hände schlingen sich um seinen ausgemergelten Leib. Es ist mir egal wie abstoßend er mittlerweile aussehen mag. Ich liebe ihn noch immer. „Du hast mich nie gefragt...ˮ, flüstert er kaum hörbar in mein Ohr ohne sich zu rühren. Wie könnte er auch. Ich schließe die Augen und lächele. „Ich habe mir schon immer genommen was ich haben wollte.ˮ Er wird hierbleiben. Bei mir. Für immer. Weil ich ein Egoist bin, weil ich ihn liebe, auf diese krankhafte und besitzergreifende Art, die seine eigenen Wünsche außer Acht lässt. Tief in mir verschließe ich den kleinen zweifelnden Keim, dass nicht er das abstrakte, hässliche Monster ist, sondern ich. Dass ich hier statt seiner in Ketten hängen müsste. Bis in alle Ewigkeit. Kapitel 8: Bei Umzug Herzklopfen -------------------------------- Endlich! Ich bin bei meinen Eltern ausgezogen und nun geht es direkt in meine erste eigene Wohnung. Mittlerweile ist sie bezugsfertig, die letzten Wochen sind die Wände tapeziert worden, Teppiche wurden verlegt und jetzt warte ich hibbelig, darauf dass der Umzugswagen eintrifft. Einen Tag muss ich noch mal schuften. Die Möbel müssen von A nach B transportiert werden und zum Glück habe ich den Sonntag, also morgen, frei um mein Glück in vollen Zügen zu genießen. Allerdings kann ich mir schon denken, dass meine Mutter trotzdem ab und an mal nach dem Rechten sieht. Dafür kennt sie mich viel zu gut. Mütter sind eben so. Als der Umzugswagen endlich eintrifft, öffne ich die Haustür und rufe meinen Freunden zu, dass sie sich bereithalten sollen. Da ich nicht viel habe sind es auch nur zwei Männer, die mir die Umzugsfirma samt kleinem LKW geschickt hat. „Hallo!ˮ, grüße ich die beiden Männer. Der eine ist älter und scheint was Umzüge betrifft ein echter Veteran zu sein. Er ist stämmig gebaut und wenig redselig. Der Andere ist etwas älter als ich und sieht auch noch verdammt gut aus. Schwarze, kurze Haare, braune Augen und mal abgesehen von der schmuddeligen Arbeitskleidung ist er herrlich sonnengebräunt. Als er vor mir steht kann ich ihm kaum ins Gesicht sehen und bringe vor Verlegenheit kaum ein Wort heraus, also lächele ich nur dumm vor mich hin. Feixend sieht mein bester Freund zu mir. Am liebsten würde ich ihn jetzt in den Schwitzkasten nehmen! Wir betreten die Wohnung und ohne lange zu diskutieren wird angepackt. Schwere Möbel und all die Kartons mit Kleidung, Kleinkram, Büchern und Elektronik müssen verstaut werden. Immer wieder bin ich staunen und untätig am zusehen wie die beiden Umzugshelfer die schweren Möbel tragen als würden sie gar nichts wiegen. Nach einiger Zeit ist alles so verladen, dass auch nichts umkippt. Ich fahre mit den Jungs in meinem Auto voran, der Umzugswagen folgt uns. Es ist schon ein komisches Gefühl die Heimat zu verlassen in der ich mein ganzes bisheriges Leben verbracht habe. Ich bin hier aufgewachsen und noch nie mit meiner Familie umgezogen. Dafür wohne ich von nun an näher an meinem Arbeitsplatz und kann mir lange Fahrten ersparen. „Der eine Typ hat dir ja echt den Kopf verdreht, Jan!ˮ, meint Fabian grinsend. Er sitzt vorne neben mir. Hinten sitzen Lukas und Hannes. „Aber so was von!ˮ, pflichtet ihm Lukas bei. „Hättest ruhig etwas mehr mit anpacken können!ˮ, kommt es von Hannes. „Quatsch! Der gefällt mir gar nicht! Außerdem will ich nichts mit Heteros anfangen!ˮ, streite ich es unbehaglich ab. Die Jungs lachen, weil sie es eben besser wissen. Ich gehöre zu der Sorte Mensch, die sich Hals über Kopf in jemanden verliebt. Und zwar jedes Mal. Es ist ein Fluch. Ich bin hoffnungslos verloren. Ja, der Typ hat es mir angetan, aber ich weiß ja noch nicht einmal seinen Namen. Und was soll er schon von einem Jungen wollen? Ich sollte mir also keine Hoffnungen machen. Kurz darauf kommen wir an. Mein Appartement ist im dritten Stock eines Wohnhauses in einer ruhigen Nebenstraße ab vom Schuss. Es dauert eine ganze Weile bis die Möbel in den Zimmern stehen und auch am richtigen Platz. Meine Freunde helfen mir die Möbel so hinzustellen wie ich sie haben will. In einer kurzen Pause, steht der Mann meiner Träume auf dem Balkon und raucht während die anderen sich mit Pizza vollstopfen und mit Bier versorgt werden. An meinen Fingernägeln knabbernd sehe ich immer wieder heimlich zu ihm. Als ob das niemand merken würde! „Geh doch zu ihm!ˮ, meint Fabian leise und boxt mir gegen den Arm. Mürrisch sehe ich zu ihm. „Ich will mir keine unnötigen Hoffnungen machen.ˮ „Ich habe ihn vorhin kurz gefragt. Er heißt Richard und ist 24 Jahre alt. Uuuuund er ist noch Single.ˮ Verschwörerisch grinsend sieht er mich an. Ich strecke ihm die Zunge aus und sehe auf Richards breiten Rücken und seufze. Einen tollen Arsch hat er auch. „Gib dir 'nen Ruckˮ, meint Fabian und schubst mich Richtung Balkon. Schöner Mist! Was soll ich denn sagen? Ich bin nicht gerade der Aufreißertyp. „Hi!ˮ, grüße ich zurückhaltend und bleibe im Türrahmen zum Balkon stehen. Richard dreht sich zu mir um und nickt. „Ist doch okay oder?ˮ, fragt er und hebt die Hand mit der Zigarette an. Ich nicke und betrete den Balkon. Meine Arme stütze ich auf die Brüstung und sehe nach unten. Der Balkon geht nach hinten raus also habe ich einen guten Blick in die Gärten der Nachbarn. „Danke für eure Hilfe.ˮ „Ist mein Job.ˮ „Ja, stimmt.ˮ Stirnrunzelnd sehe ich angestrengt in die Gärten. Verdammt! Was soll ich bloß sagen? Bei anderen sieht das immer so einfach aus! Die Stille hält weiter an. Gleich geht er wieder rein und sie sind ja beinahe fertig. Was mache ich nur? Sag was, Jan! Irgendetwas! Ich atme tief durch und drehe mich genau in dem Moment zu ihm um als er es ebenfalls tut. Unsere Gesichter sind einander wahnsinnig nahe und erneut herrscht diese angespannte Stille, dieses unangenehme Schweigen. Er grinst und ich kann auch nicht anders als es zu erwidern. Wieder sehen wir nach vorne. Verlegen kratze ich mich am Arm. „Deine erste Bude?ˮ, fragt Richard. Überrascht sehe ich zu ihm, dann kurz ins Innere der Wohnung und nicke. „Ja, merkt man das?ˮ „Du wirkst ziemlich nervös auf mich.ˮ „A-ach so.ˮ Argh! Ist es mal wieder so offensichtlich? Ich muss mich verdammt noch mal zusammen reißen! „Macht nichts. Ich werde auch schnell nervös, nur fauche ich dann alle an wie eine wildgewordene Katze, auch wenn ich es nicht so meine.ˮ Ich lache. Ja, das bringe ich auch manchmal. „Ist ein gutes Gebiet hier. Sicher und ruhig. Ein Freund von mir wohnt hier in der Nähe.ˮ „Aha.ˮ Kann er mir nicht verraten wo er wohnt? Würde mich viel mehr interessieren. „Dein Freund meinte vorhin...ˮ, beginnt er. „Wie war das noch gleich? Dein Name ist Jan. Du bist schwul und ich soll mir bei dir keine Hoffnungen machen, weil schon genug Kerle auf dich abfahren. Was meinte er damit?ˮ Richard sieht mich mit hochgezogener Augenbraue an und nimmt einen Zug. Ich werfe einen mörderischen Blick zu Fabian, der uns aus sicherer Entfernung beobachtet. Er grinst und streckt mir die Zunge heraus. Nervös und mit knallroten Wangen sehe ich zu Richard. „Tja, also, ja, das stimmt. Das mit meinem Namen und das andere.ˮ „Dass du schwul bist oder das ich mir keine Hoffnungen machen soll?ˮ, fragt Richard. „Das Erste...ˮ Meine Wangen stehen in Flammen. Fabian, du blödes Arschloch! Wenn ich dich in die Finger kriege! „Na ja, also...ˮ Richard lächelt und zieht aus seiner Hosentasche ein Handy hevor. Er klickt ein wenig darin herum. „Ich habe einen Freund, der ist auch schwul und er... ah, hier ist es... er ist Single. Hier ist die Nummer. Kannst ihn ja mal anrufen.ˮ Enttäuschung macht sich in mir breit. So ein Mist. Er will echt nichts von mir. Lächelnd ziehe ich mein Handy hevor und tippe die Nummer ab. „Kay, danke.ˮ „Kein Problem.ˮ Er steckt sein Handy zurück und nimmt noch einen letzten Zug von seiner Zigarette. Den Rauch bläst er aus und schnippt die Kippe anschließend weg. „Äh... wie-wie heißt dein Freund denn?ˮ, frage ich ihn noch hastig, ehe er wieder hineingeht. Er dreht sich um und lehnt sich mit dem Rücken an den Türrahmen. „Sein Name ist Richard. Er ist Single und ehrlich gesagt, macht er sich schon ein wenig Hoffnungen.ˮ Er zwinkert mir zu und lässt mich verblüfft auf dem Balkon stehen. Dann lache ich amüsiert und gehe ihm kopfschüttelnd hinterher. Kapitel 9: Planmäßig verzweifelt -------------------------------- Endlich Sportunterricht. Klar, ich mache gerne Sport. Vor allem spiele ich mit Vorliebe Fußball, aber zurzeit gibt es einen ganz anderen Grund warum ich mich gerade auf diese Unterrichtsstunde am meisten freue. Erwähnter Grund ist, dass ich von hier aus das Zimmer von unserem Schularzt sehen kann. Und eben dieser hat es mir seit einiger Zeit angetan. Im Gegensatz zu all den anderen Lehrern ist er nämlich nicht asbachuralt, sondern ziemlich jung und fällt genau in mein Beuteschema vom Äußeren her. Vom Platz aus kann ich ihn gut im Auge behalten und manchmal hängt er sogar am Fenster und sieht uns zu. Spricht ja von selbst, dass ich mich dann besonders anstrenge. So auch heute. Er lehnt am Fensterbrett und sieht zu. Wir sind gerade am Warmlaufen. Immer im Kreis herum ist auch irgendwie dämlich. Da weiß man mal wie sich Hamster in Laufrädern fühlen. Jetzt ist auch meine Chance gekommen. Ab und an kann ich es mir leisten. So merkt er nicht, dass ich es absichtlich tue und er denkt sich höchstens, dass ich ein Tollpatsch bin. Als ich absichtlich so laufe, dass ein anderer Schüler gegen mich prallt, strauchele ich und gebe mir Mühe mich nicht allzu sehr am Boden abzustützen. Stöhnend bleibe ich am Grund und sehe auf mein Knie. Es blutet leicht. Was tut man nicht alles für ein paar Minuten allein beim Schularzt? „Leo? Alles in Ordnung?ˮ, ruft mein Sportlehrer. „Ja, das Knie blutet ein bisschen, aber das geht schon!ˮ „Nichts da! Geh zum Schularzt und lass ihn das mal ansehen! Wenns nicht so schlimm ist, kannst du immer noch an der Stunde teilnehmen!ˮ „Okay!ˮ Läuft ja wie geschmiert! Zum Glück ist mein Sportlehrer von der überfürsorglichen Sorte. Also humpele ich von dannen mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Als ich zum Fenster sehe ist Herr Scholz leider nicht mehr zu sehen. Schade. Oder hat er es gesehen und kommt mir entgegen? Das wäre ein Traum! Ich laufe vom Sportplatz direkt zum Schulgebäude rüber und durch die verlassenen Flure. Meine Schritte klingen hier irre laut. Vor dem Krankenzimmer bleibe ich stehen und klopfe. Nach wenigen Sekunden runzele ich die Stirn und klopfe erneut. „Komisch, keiner da? Er war doch eben noch am Fenster...ˮ, murmele ich und drücke die Türklinke herunter. „Geh ruhig rein.ˮ Ich zucke zusammen und drehe mich um. Die Schritte habe ich kaum wahrgenommen. „Herr Scholz musste dringend weg. Hat 'nen Anruf bekommen. Alles okay?ˮ, fragt der Junge. So ein verdammter Mist! Jetzt war alles total umsonst! Verfluchte Scheiße! „Eh~ nicht so wichtig.ˮ Ich bin imstande wieder zu gehen als er mein Humpeln bemerkt und mich am Arm zurückhält. „Bleib hier. Ich sehe mir das mal an.ˮ Er öffnet die Tür zum Krankenzimmer und wartet darauf, dass ich eintrete. Was ich nun auch widerwillig und mit verbissener Miene tue. Was für ein Jammer! Ich setze mich auf die Liege, während der Junge die Tür schließt und sich auf den Drehstuhl des Arztes nieder lässt. „Ich kenne dich. Du heißt Sven Peters oder?ˮ, frage ich ihn neugierig. „Ja, woher kennst du mich?ˮ Überrascht sieht er zu mir auf. „Na ja, war 'ne ziemlich große Sache als du dich an der Schule geoutet hast. Du warst sozusagen das Gesprächsthema Nr. 1 für ein paar Wochen.ˮ „Aha...ˮ Er hebt mein Bein an und stellt es zwischen seinen Beinen auf dem Sitz des Drehstuhls ab. Ich presse meine Lippen zu einem schmalen Strich zusammen und verbeiße mir einen anzüglichen Kommentar. Legt er es darauf an oder was? Moment mal! Auf was? Stirnrunzelnd sehe ich ihm zu wie er die Wunde vom grobkörnigen roten Sand säubert und mir eine Salbe draufschmiert. Er klebt ein Pflaster drüber und jedes Mal, wenn mich seine Finger an der nackten Haut zufällig berühren überkommt mich eine leichte Gänsehaut. „Ich bin auch schwulˮ, erzähle ich nach einer Weile des Schweigens in der ich ihm einfach nur zugesehen habe. „Cool!ˮ, meint er nur und sieht mich abwartend an. Was heißt hier cool? Ist das etwa alles? „Ist sonst noch was?ˮ, fragt er und stemmt seine Hände auf die Oberschenkel. „Nein, nichts!ˮ, murre ich und hoppse von der Liege herunter, nachdem ich mein Bein zurückgezogen habe. „Danke!ˮ Energischen Schrittes gehe ich zur Tür und suche schleunigst das Weite. Was habe ich auch erwartet? Zu blöd, dass Herr Scholz nicht da ist. Jetzt muss ich wieder so lange warten bis ich mir erneut einen Unfall leisten kann. *** Zwei Wochen später bin ich der Meinung, dass ich es wieder riskieren kann. Dummerweise klappt es nicht so wie ich es vorhergesehen habe. Wohl eher wie ich es geplant habe. Wieder einmal Sport. Diesmal spielen wir Fußball. Ich stehe im Tor. Einer der Jungs kommt auf mich zugerannt genau in dem Moment als ich loshechte um den Ball zu fangen, bevor er ins Netz prallt. Der andere Junge ist so dicht vor mir, dass er nicht mehr rechtzeitig stoppen kann und mich heftig anrempelt. Ich stürze nach hinten und bekomme den harten Pfosten gegen den Nacken. Es schmerzt höllisch. Ich sacke zusammen, kauere mich hin und greife mir in den Nacken. „Leo!ˮ, ruft diesmal nicht nur mein Sportlehrer sondern auch einige meiner Mitschüler, die mich besorgt umringen. „Alles okay?ˮ, fragt Herr Meyer. „Nicht anfassen!ˮ, zische ich. Boah~ das tut so schon sau weh! Dann soll da nicht auch noch jemand in meinen Nacken grabschen! „Ist noch alles dran?ˮ Oh, die Stimme kenne ich doch. Mr. Cool. Der Kühlschrank aus dem Arztzimmer. „Sieht man doch!ˮ, fahre ich ihn ungehalten an. „Ich bringe ihn ins Krankenzimmer.ˮ „Okay, danke Sven.ˮ Hey! Was soll das? Habe ich jetzt etwa gar nichts mehr zu melden? Ich erhebe Einspruch! Sven umgreift meinen Oberkörper und die Kniekehlen und hebt mich hoch, als wäre ich eine Feder. Als ich in sein Gesicht sehe, merke ich mit Genugtuung, dass ich alles andere als leicht bin. Gut so. Geschieht ihm ganz recht! Was mischt er sich auch ein? Soll er mich ruhig tragen. Trotzdem lehne ich mich kaum merklich an seine Brust. Mein Kopf ruht an seiner Halsbeuge und für einen Moment fühlt es sich gar nicht mal so schlecht an wie eine Prinzessin durch die Gegend getragen zu werden. Auch wenn Prince Charming mächtig am Schnaufen ist. „Wieso machst du das? Kriegst du dafür Pluspunkte?ˮ, frage ich ihn verächtlich. „Ja, das hoffe ich doch.ˮ Sven sieht nach vorne, während er die Tür des Schulgebäudes anstrebt. „Ach? Von wem? Vom Sportlehrer?ˮ, will ich höhnisch wissen. „Ich dachte von dir?ˮ Mit unbestimmten Blick schaut er mich flüchtig an. Irritiert sehe ich zu ihm hoch, auch wenn das arg auf den schmerzenden Nacken geht. Gibt's doch nicht! Steht der etwa auf mich? Ist er so kühl, weil er schüchtern ist oder was? Kleinlaut lasse ich mich zum Krankenzimmer tragen. Nach ein paar Mal klopfen öffnet sich die Tür noch immer nicht. „Ist wohl mal wieder unterwegs.ˮ Mit dem Ellenbogen drückt Sven die Türklinke herunter ohne mich abzusetzen. Er geht sofort zur Liege und lässt mich vorsichtig darauf nieder. Aus einem weißen Schrank befördert er ein Kühlkissen zutage und legt er mir fürsorglich auf den Nacken. „Danke.ˮ Ich schließe seufzend meine Augen. Man, fühlt sich das gut an. Erleichterung überkommt mich. Die Kälte hemmt den Schmerz ein wenig. Als ich die Augen wieder öffne, sehe ich Sven direkt in die Augen. Er sitzt auf dem Stuhl und hat sich leicht vornübergebeugt, um mir mit der Hand das Kühlkissen an den Nacken zu drücken. Ganz langsam rollt er mit dem Stuhl näher an mich heran ohne seinen Blick von mir zu nehmen. Ich drehe mich ein wenig auf die Seite und spüre wie mir das Herz bis zum Hals schlägt. Sein Gesicht ist auf einmal so nahe, seine Lippen nur noch Zentimeter entfernt. Ich spüre seinen warmen Atem auf meinem Gesicht, dass mein Wangen in brennen und sehe ihn nur noch aus halbgeöffneten Lidern an. Der leichte Druck auf meinen Lippen, erst schüchtern, dann mutiger, lässt es in meinem Bauch mächtig kribbeln. Da scheint einigen Flugzeugen die Turbinen ausgegangen zu sein. Totalabsturz. Massenkarambolage! Ich schlinge meine Arme um Sven, ignoriere meinen zeternden Nacken und es stört mich nicht im Geringsten, dass er halb auf der Liege hängt und sich wahrscheinlich dabei gerade einen Krampf holt. Dass er mir gleich die Zunge in den Mund schiebt, kommt zwar ein wenig plötzlich, ist aber überaus willkommen. Mein Hirn hat sich eh längst verabschiedet. Es ist mit meinem Verstand untergetaucht. Svens rechte Hand fährt mir über den nackten Oberschenkel immer tiefer Richtung Shorts und eine Gänsehaut überkommt mich. Ich spüre seine warmen Finger unter dem Stoff. Aber nur am Rande, seine Zunge erfordert weitaus mehr Aufmerksamkeit. „Ähem!ˮ Jemand räuspert sich und lässt uns hastig auseinander fahren. Herr Scholz steht in der Tür. „Das hier ist kein Aufenthaltsraum.ˮ „Ja, äh...ˮ Sven scheint ebenfalls kaum klar denken zu können. Wie gut, dass ich damit nicht der Einzige bin. „Er hat... sein Nacken hat Schmerzen.ˮ „So? Sein Nacken hat Schmerzen?ˮ Grinsend kommt der Arzt ins Zimmer und scheucht Sven von der Liege weg. Hastig setze ich mich auf und lasse mich vom Arzt untersuchen. „Scheint ordentlich geprellt zu sein. Damit musst du zum Orthopäden gehen. Das muss auf jeden Fall geröngt werden. Dafür haben wir hier nicht die erforderlichen Geräte.ˮ „Okay.ˮ „Das Kühlpad kannst du mitnehmen. Gute Besserung.ˮ „Danke.ˮ „Soll ich dich heimbringen?ˮ, fragt Sven hilfsbereit, nachdem ich die Tür hinter mir geschlossen habe und wir wieder im Flur stehen. „Nee, ich rufe im Sekretariat meine Mutter an.ˮ Er nickt und bleibt zaudernd bei mir stehen. „Schon komisch...ˮ Ich neige den Kopf zur Seite und krause die Stirn. Sven sieht mich fragend an. „Ich dachte, ich steh auf ihn, aber als er mich berührt hat habe ich irgendwie nichts gefühlt.ˮ „Tja, war wohl nur eine vorübergehende Schwärmerei, was?ˮ „Möglich.ˮ Ich zucke mit den Schultern. „Also dann...ˮ Sven wendet sich ab. Hastig greife ich nach seinem Arm. „Was ist?ˮ, fragt er hoffnungsvoll. „Sehen wir uns morgen?ˮ, frage ich ihn mit einem Kloß im Hals. „Klar, warum nicht?ˮ Er lächelt freudig und drückt mir noch einen flüchtigen Kuss auf den Mund ehe er zurück Richtung Sportplatz läuft. Nachdenklich sehe ich ihm nach. Meine Hand legt sich auf den Bauch. Es kribbelt wieder heftig. „Massencrash von Flugzeugen...ˮ, murmele ich grinsend. Kapitel 10: Jahrestagspleite ---------------------------- Grummelnd sitze ich vor dem Fernseher auf der Couch und halte die Fernbedienung in meiner Hand als würde ich sie jeden Moment mit nur einer Bewegung in all ihre Einzelteile zerschmettern wollen. Würde ich auch gerne. Ich würde sie sogar mit größter Freude gegen die Wand pfeffern. Allerdings steht mir dieses Dramaqueen-Gehabe dann doch nicht so. Also versprühe ich Gift und Galle wo ich nur kann. Und ich bin heute extrem angepisst. Ich hänge den ganzen Tag in der Wohnung herum und mein Freund Nick hält es nicht einmal für nötig zu erwähnen, dass wir ein ganzes Jahr zusammen sind. Alle Paare feiern ihren Jahrestag, aber nein, eine gewisse Person scheint das nicht nötig zu haben. Ich habe aber auch keine Lust es ihm zu verklickern. Angefressen starre ich auf den Bildschirm. Irgendeine tierisch, nervige Soap läuft gerade. Mit Blicken, die töten können zappe ich weiter. Irgendetwas Gutes läuft doch heute sicher auf irgendeinem Sender oder? Am besten ein Film in dem alle paar Sekunden einer draufgeht mit viel Geballer. Ich brauche Action um auf andere Gedanken zu kommen. Ich höre Schritte im Flur, die langsam näher kommen. Nick lehnt sich auf die Rückenlehne. „Läuft wohl nichts?ˮ, fragt er und klettert darüber hinüber um sich auf dem Sofa niederzulassen. „Scheinbar nicht.ˮ Ich habe keine Lust auf seine Visage. Kann er sich nicht woanders aufhalten? „Alles okay? Du siehst so wütend aus.ˮ Nick sitzt mit angezogenen Beinen seitlich auf dem Sofa und betrachtet mich nachdenklich. „Was soll schon sein?ˮ, entgegne ich mürrisch und zappe unbeirrt weiter. Nick grinst und rückt näher an mich heran. „Das Gesicht kenne ich nur zu gut, Kai. Was ist dir jetzt schon wieder über die Leber gelaufen?ˮ „Nichts!ˮ, kommt es zwischen zusammengebissenen Zähnen. Nick kriecht noch näher an mich heran. Noch weiter und ich schubse ihn von der Couch! Widerwillig sehe ich zu ihm. Er grinst breit und tut nichts. Was soll das? Will er mich verwirren? „Kannst du im Schlafzimmer die Bettwäsche wechseln?ˮ, fragt er mit Unschuldsmiene. Klar, jetzt kommt auch noch so ein Mist! „Wieso sollte ich?ˮ, frage ich desinteressiert und blicke wieder zum Fernseher. „Weil ich es das letzte Mal gemacht habe, jetzt bist du dran.ˮ Noch immer grinst er breit wie ein Honigkuchenpferd. So ein Idiot. Er ist bloß zu faul. Immer muss ich alles tun. Seufzend erhebe ich mich und schlurfe ins Schlafzimmer. Stirnrunzelnd sehe ich mich um. Das Doppelbett ist frisch bezogen. Was hat er denn? Ich lüpfe die Bettdecke, aber es scheint alles vollkommen in Ordnung zu sein. So ein Spinner. „Das Bett ist doch gemacht! Willst du mich verarschen, Nick?!ˮ, brülle ich ihm zu und gehe zurück durch den Flur ins Wohnzimmer. Er sitzt auf dem Sofa und wirft mir auf einmal einen Haufen bunter Konfetti entgegen. Entgeistert sehe ich ihn an. Das Zeug hängt mir in den Haaren. „Alles Gute zum Jahrestag, du Griesgram!ˮ, meint er lachend und deutet auf den Glastisch zwischen Sofa und Fernseher auf dem nun ein großes verpacktes Paket thront. Ich beiße mir auf die Unterlippe. Er hat es also doch nicht vergessen? Langsam gehe ich zu dem Paket und öffne es. „Eine neue Konsole?ˮ, frage ich ihn verblüfft. „Ja, nachdem ich letztens so ein Missgeschickt mit dem Colaglas hatte...ˮ Verlegen sieht Nick zu mir. Ich lächele und drücke ihm einen Kuss auf die Lippen. Er zieht mich am Shirt fest an sich und als ich endlich wieder zum Denken komme, fällt es mir siedend heiß ein. „Au backe! Ich habe gar nichts für dich!ˮ Verdammt! Die ganze Zeit war ich so angepisst, dass er den heutigen Tag vergessen haben könnte, dass ich überhaupt nicht an sein Geschenk gedacht habe. Nicht mal die letzten Tage, weil ich zu viel Stress auf der Arbeit hatte. Nick lächelt. „Ich weiß. Ich kenne dich doch. Wir beide wissen auch, dass du einen tollen Körper hast mit dem du das wieder gerade biegen kannst, nicht wahr?ˮ „Du Idiot!ˮ, erwidere ich lachend, hebe ihn hoch und trage meinen Freund ins Schlafzimmer. Mit dem Fuß trete ich hinter mir die Tür zu, die laut ins Schloss fällt. Kapitel 11: Fly High -------------------- „Wer ist der Typ, der uns immer beim Hochsprung zusieht?ˮ, frage ich meinen Kumpel Tarek. Der Junge streckt seine Glieder und sieht zur Absperrung des Sportplatzes. Nicht weit von uns entfernt steht ein Junge, die Arme auf die eiserne Stange gestützt, sieht er gar nicht mal so übel aus wie ich feststelle. Selbst aus der kurzen Distanz kann man ihn gut erkennen. Er hat kurzgeschnittenes schwarzes Haar und einen blassen Teint. Die Augenfarbe kann ich von hier jedoch nicht sehen. Braun, vermute ich. Er trägt eine dunkelblaue Jeans und einen schwarzen Pullover und ziemlich nichtssagende Schuhe. „Ist das nicht der Typ, der letztes Jahr diesen Unfall hatte? Ihm ist irgendetwas im Fuß gerissen. Seitdem kann er keinen Sport mehr machen. Der hat doch auch Hochsprung gemacht. Hab ihn schon öfter hier gesehen.ˮ Tarek sieht zu mir. „Ich glaube, der heißt Sören irgendwas...ˮ „Aha...ˮ, erwidere ich und sehe zu dem Jungen. Täusche ich mich oder hat er unsere neugierigen Blicke bemerkt? „Marius! Nicht unterhalten! Du bist dran!ˮ, ruft mein Sportlehrer ungeduldig. Ich sehe aufgeschreckt zu ihm und nicke. Ich gehe ein Stück zurück und nehme Anlauf. Ich renne auf die Latte zu. Kurz vor der Stange springe ich mit einem Bein ab und drehe meinen Körper. All die Kraft aus meinen Beinen nutze ich für diesen Sprung. Ich liebe diesen Rückwärtssprung. Für einen kurzen Moment ist nichts als den Himmel zu sehen und im freien Fall das Gefühl des Fliegens zu haben ist einfach genial. Ein Zauber, der leider nach wenigen Momenten sein jähes Ende findet. Ich spüre wie mein Fußballen die Stange berührt. Sie fällt aus der Halterung der beiden Ständer und in dem Moment wird mir klar, dass ich es mal wieder vergeigt habe. Ich falle rücklings auf die weiche Matte und vorbei ist der Zauber. Seufzend setze ich mich auf und sehe zu dem Jungen. Wie hieß er noch gleich? Sören? Er steht noch immer an Ort und Stelle und sieht zu mir. Keine Regung ist auf seinem Gesicht abzulesen. Ich rutsche von der Matte und stehe auf, während zwei Mitschüler die Stange wieder aufhängen. Ich stelle mich an den Rand und sehe zu Tarek, der direkt nach mir dran ist. Er nimmt weniger Anlauf als ich und legt mehr Kraft in den Absprung. Liegt ihm einfach mehr als mir. Er kommt gut hoch und springt mit einer eleganten Fließbewegung über die Stange. Für einen Moment wirkt es, als würde er die Stange berühren, doch sie bleibt unbeweglich liegen. Er fällt auf die Matte und streckt beide Arme in die Höhe. Seine Hände sind zu Fäusten geballt und er jauchzt begeistert. Ich ringe mir ein Lächeln ab. Es ist nur eine normale Sportstunde aber das heutige Resultat fällt bei mir ziemlich ernüchternd aus. Drei Sprünge und jedes Mal habe ich einen Fehler gemacht. Beim ersten Mal habe ich den Absprung vergeigt. Beim zweiten Mal hat der Anlauf nicht gestimmt und jetzt die Stange mit dem Fuß runterzureißen ist auch keine Glanzleistung. Da die Stunde sich ihrem Ende nähert schlendere ich ziellos hin und her. Immer mal wieder fällt mein Blick auf den Jungen, der ab und an in meine Richtung sieht. Dann pustet der Lehrer endlich durch die Trillerpfeife und wir sind erlöst. Die ersten stürmen vom Platz, andere haben es weniger eilig. Ist ja eh die letzte Stunde für heute. Ich bleibe zurück und winke Tarek kurz zu, der sich vom Acker macht. Ich nehme in einem halbrunden Kreis Anlauf und setze zum Sprung an. Heute ist einfach nicht mein Tag. Ich springe voll gegen die Stange. Ich lande mit ihr ächzend auf der Matte und bleibe stöhnend liegen. So ein Mist! Als ich Schritte höre sehe ich auf und robbe von der blauen Matte herunter. „Soll ich dir helfen?ˮ Sörens Stimme klingt sehr tief, dass passt gar nicht richtig zu seinem Äußeren. Ich kratze mich verlegen am Hals, weil es mich schon ein wenig anturnt. Außerdem ist es peinlich, dass er diesen Sprung gesehen hat. „Ja, danke.ˮ Wir hängen die Stange wieder ein. „Du musst viel mehr Kraft in den Absprung legen und zieh die Füße höher. Du hältst sie nicht hoch genug.ˮ Verblüfft sehe ich zu ihm. „Okay.ˮ „Du konzentrierst dich viel zu sehr auf den Anlauf als alles andere. Du musst an den Sprung denken.ˮ Ich nicke und versuche mich auf den Sprung zu fokussieren. Ich laufe leichtfüßig los und springe kräftig ab. Mein Körper fliegt schwungvoll hoch und über die Stange. Ich beuge den Rücken durch und blicke in den Himmel. Erst im letzten Moment fällt mir ein, dass ich die Füße hochziehen soll. Also höher als sonst. Es klappt und fassungslos falle ich auf die Matte. Da. Sie hängt noch. Erstaunt sehe ich von der Stange zu dem Jungen. „Es hat geklappt!ˮ Er lächelt was mir ein kurzes Kribbeln im Bauch beschert. Oder liegt das an dem gelungenen Sprung? Selig lächelnd bleibe ich liegen und strecke alle Viere von mir. Ich sehe zum Himmel und Glücksgefühle durchströmen meinen Körper. „Ruh dich nicht darauf aus.ˮ Ich hebe den Kopf an. „Du musst am Ball bleiben und trainierenˮ, meint Sören. „Woher weißt du, dass mir so viel daran liegt? Am Hochsprung, meine ich.ˮ Fragend sehe ich ihn an. „Ich konnte es dir ansehen, außerdem bist du immer noch hier. Die anderen sind schon alle längst weg.ˮ „Ich könnte auch ehrgeizig sein.ˮ „Wegen einer läppischen Stunde mit Hochsprung? Wohl kaum. Oder doch?ˮ, fragt er grinsend. Ich setze mich auf. „Ich mag diesen einen kurzen Moment, wenn man das Gefühl hat frei zu schweben und zu fliegen und dabei in den hellblauen Himmel sieht.ˮ Ich halte inne und sehe zu Sören. „Sorry, ich bin hier am Schwärmen und du kannst ja gar nicht mehr springen.ˮ „Ach, dann hast du es also schon gehört?ˮ, fragt er und setzt sich zu mir. Ziemlich dicht sogar, wie mir auffällt. „Ja.ˮ „Ich hatte einen ziemlich schweren Unfall. Das mit dem Fuß hat sich irgendwie nie gebessert. Bei Wetterumschwung schmerzt es manchmal so stark, dass ich kaum laufen mag.ˮ Er ringt sich ein Lächeln ab. Der Ärmste. Er will Sport machen und kann es nicht. Das ist doch unfair. „Komm her!ˮ, fordere ich ihn auf und klopfe neben mir auf die Matte. Er sieht mich an, tut dann aber was ich von ihm verlange. Ich lege mich rücklings hin und Sören ebenfalls. Wir starren in den beinahe wolkenlosen, blauen Himmel. „Schön...ˮ, sagt Sören. „Ja, nicht wahr? Fast wie beim Sprung. Kannst du dich noch an das Gefühl erinnern?ˮ Als ich zu ihm sehe hält er die Augen geschlossen und lächelt versonnen. „Ja, ich spüre es.ˮ Ich grinse und sehe dann zu ihm, als er mich ansieht. Alles auf eine Karte setzend rücke ich näher zu ihm und drücke ihm einen spontanen Kuss auf die Lippen. Keine Ahnung was mich gerade überkommt. Der Moment hat sich eben angeboten und Sören sieht ja auch ganz hübsch aus. Wieso also nicht? Sören blickt mir verblüfft in die Augen, sagt jedoch nichts. „Äh...sorry?ˮ, füge ich noch hastig hinzu. Ein Schmunzeln schleicht sich auf seine Lippen. „Ist ja keiner hier der uns zusehen kann.ˮ Also stört es ihn nicht? Wer hätte das gedacht. Hätte auch in die Hose gehen können. Ich rücke also noch näher an ihn heran und küsse Sören ermutigt ein weiteres Mal. Er legt mir die Hand an den Hals, presst sich an meinen Körper und erwidert den Kuss. Jetzt bin ich aber doch verblüfft. Hat er mir verschwiegen, dass er in seiner Freizeit Jungs vernascht? Ist er auch schwul? Mein Gehirn schaltet sich dann aber doch aus. Wir liegen eng umschlungen auf der Matte und küssen uns, während die Hände auf Wanderschaft gehen bis Sören nach einer Weile ganz über mich klettert und sich auf mich legt. Als er mich am Hals küsst, eine Hand unter meinem Shirt, die andere frech in meine Shorts greift, blicke ich in den Himmel und es ist mir egal wie weit das Ganze hier noch geht. Keiner sieht uns zu. Wir sind allein. Nur ein Vogel fliegt hoch über uns zwitschernd vorüber. Kapitel 12: Abschied -------------------- Wir stehen Hand in Hand am Gate und beobachten die Flugzeuge. Sie werden be- oder entladen. Mit Fracht und Passagieren. Ich verstärke den Druck meiner Hand. Seine ist angenehm warm. Trotzdem habe ich Angst sie loszulassen. Nicht zu wissen was danach kommt. Ob er wieder zurückkommt oder nicht und wenn ja, lebendig oder tot? „Ich werde dir schreibenˮ, meint er. „Dafür wirst du doch gar keine Zeit haben.ˮ Ich ringe mir ein Lächeln ab und sehe zu ihm. Ihm geht es nicht anders. Sein erster Außeneinsatz. Natürlich ist er aufgeregt und nervös. Man kann noch so viel dafür trainieren, letztendlich ist man sich selbst überlassen. Im Kugelhagel zählt das alles nichts mehr. Da bist nur du und der hauchdünne Faden des Lebens, den jemand jederzeit durchschneiden kann. Und wenn ich das nicht will? Wenn ich so egoistisch bin und nicht loslassen will? Wenn ich will, dass er lebt und hier bei mir bleibt? Kann mir das jemand zum Vorwurf machen? Geh nicht. Bleib hier. Bleib bei mir. Egal wie oft ich es mir im Kopf sage, es kommt nicht über meine Lippen. Ich kann ihn nicht von seiner Entscheidung abhalten. Er will es tun. Er will helfen. Für sein Land und seine Leute. Er will den Menschen in den Krisengebieten helfen. Wie kann ich dann so egoistisch sein? Deswegen lasse ich seine Hand noch nicht los. Ich muss sie spüren. Muss fühlen, dass er noch lebt. Wie sich seine Wärme auf meinen Körper überträgt. Von seiner warmen Hand auf meine, welche eiskalt ist. Ich erinnere mich an letzte Nacht als er mich in den Armen gehalten hat. Ich wünschte, die Zeit wäre in dem Moment für uns beide für immer stehen geblieben, aber sie tickt unaufhörlich weiter. Tickt und tickt und tickt. Ohrenbetäubend laut in meinem Kopf. Jede Sekunde, die verstreicht rückt diesen unausweichlichen Moment näher heran. Diesen furchtbaren Moment des Abschieds. Was soll ich dann tun? Wie soll ich die Leere füllen? Diese Ungewissheit ob er zu mir zurück kommt oder eben nicht? Ist das hier ein endgültiger Abschied? „Du grübelst wieder zu viel, Markus.ˮ Er zerwuschelt mir die Haare. „Ich kann die kleinen Zahnräder in deinem Gehirn sehen. Die arbeiten schon die ganze Zeit.ˮ Meine Lippen zittern. Ich räuspere mich und lächele ihm flüchtig zu. Nur nichts anmerken lassen. Ich sollte positiv denken und mir nicht das Schlimmste ausmalen. Er wird zu mir kommen. Ich hoffe es so sehr. Was soll ich denn machen ohne ihn? Dann ist die Wohnung ganz leer. Vielleicht habe ich mal die Chance mit ihm zu skypen, aber das ist momentan eher Wunschdenken. „Ist bald soweit.ˮ Milo sieht auf seine Uhr und streicht mit seinem Daumen über meine Hand. Meine Mundwinkel ziehen sich herunter. Meine Fassade brökelt und bekommt Risse. Tiefe Furchen, die sich durch meine aufgesetzte lächelnde Maske ziehen. Der Kloß in meinem Hals lässt sich nicht herunterschlucken. Ich fühle mich elend zumute. Ich will seine Hand nicht loslassen. Gleich ist es vorbei, dann ist er weg und ich bleibe zurück. Ich schniefe und sehe starr aus der Fensterfront direkt vor uns. Kann der Flug sich nicht verspäten? Wieso kann es kein Unwetter geben damit alles abgesagt wird? Nur ein paar Minuten länger. Nur eine Minute. Das würde mir schon reichen. „Es wird Zeit, Markus.ˮ Er dreht sich mir zu und lächelt kaum merklich. Ich kann ihm ansehen, dass es ihm genauso schwer fällt wie mir. Uns ist beiden nicht zum Lächeln zumute, trotzdem müssen wir irgendwie den Schein wahren um nicht wie kleine Kinder zu heulen und uns in den Armen zu liegen. Er küsst mich und umarmt mich fest. Ich kann kaum atmen als er mich an sich presst. Es schmerzt, aber ich will nicht, dass er loslässt. Er hat längst losgelassen. Er hat meine Hand zuerst losgelassen. „Milo. Ich will, dass du lebst!ˮ, flüstere ich ihm ins Ohr. „Tu alles um das da drüben zu überleben und dann komm zu mir zurück.ˮ Ich kann es nicht sehen, aber er lächelt. Er tut es. Ganz sicher. Ich spüre es. Zwischen den Tränen ist irgendwo ein Lächeln zu sehen. Dann lässt er los und greift nach seinem Gepäck. Ich atme tief durch und sehe zu wie er zum Check-In geht. Vor dem Tunnel zum Flugzeug sehe ich ihn ein letztes Mal. Meine Hand ist eiskalt. Kapitel 13: Zwischenstopp ------------------------- Eigentlich hatte ich mir vorgenommen die Zugfahrt zu verschlafen. Drei Stunden sind schon quälend lang. Was nimmt man nicht alles auf sich um die Familie zu besuchen. Wenigstens ist nun Wochenende, aber morgen Abend muss ich wieder zurück, weil am Montag die Arbeit ruft. Deswegen sitze ich auch so früh am Morgen im Zug. Ich möchte möglichst viel von meiner Familie an diesen zwei Tagen haben. Ich bin eben ein Familienmensch und kann mir gut vorstellen irgendwann selber eine zu haben. Es gibt nur ein winziges Problem: ich bin schwul. Mit den Kindern wird es also schwierig, aber daran will ich im Moment eh noch nicht denken. Woran ich allerdings denke ist der gutaussehende Typ, der sich neben mich gesetzt hat. Er hat braune Haare, die seine Augen ein wenig verdecken. Sie sind wellig, aber sie scheinen auch nicht an ihrem Platz bleiben zu wollen. Es sieht wirr aus. Er trägt einen schwarzen Pullover mit einem knallgelben Smiley darauf. Dazu blaue Jeans und schwarze-weiße Sneaker. Nur einen Blick in sein Gesicht konnte ich noch nicht erhaschen. Schade, aber auch. Ich versuche wieder zu schlafen, aber es ist schon ziemlich unangenehm. Außerdem ist es schrecklich unruhig, da werde ich jedes Mal aufs Neue wach. Ich krame meinen Actionthriller aus dem Rucksack heraus und schlage die Seite auf, an der ich zuletzt aufgehört habe. Mühsam versuche ich mich auf den Text zu konzentrieren, aber die Unterhaltungen der anderen Passagiere lenken mich ständig ab. Ich schätze mal die drei Stunden Zugfahrt sitze ich gelangweilt herum und hoffe darauf, dass die Zeit schnell verstreicht. „Was liest du da?ˮ Ich sehe auf und direkt in sein Gesicht. Grüne Augen hat er. Ein klares Grün. Weiche Gesichtszüge. Wie Typen aus diesen Teeniefilmen in die sich die Mädchen Hals über Kopf verlieben. Was hat so einer denn hier in der Bahn verloren? Direkt neben mir? „Äh... Was?ˮ, frage ich verdattert. Scheiße! Was hat er noch gleich gefragt? „Ich wollte nur wissen was du da liest?ˮ Er lächelt. „Ehm...einen neuen Debutroman. Ist ziemlich viel Action.ˮ Ich halte ihm das Buch entgegen. Er guckt sich das Cover an und liest den Klappentext. „Klingt gut. Wie ist es?ˮ „Bisher kann ich nicht klagen.ˮ Ich grinse und nehme das Buch wieder an mich. Aufs Lesen habe ich jetzt aber noch weniger Lust. Die Angel steckt im Wasser, also muss ich den Fisch auch irgendwie an Land ziehen. Nur wie halte ich das Gespräch in Gang? „Wo fährst du hin?ˮ „Nach Bremen. Meine Familie wohnt dort.ˮ „Ah, ich fahre nur ein paar Stationen in die Richtung.ˮ Er lehnt sich in seinem Sitz zurück und seufzt. „Wieso wohnst du denn von deiner Familie so weit weg?ˮ „Ich habe meine Ausbildung in einer anderen Stadt gemacht und die Firma hat mich direkt danach übernommen. Das Angebot konnte ich nicht ausschlagen, auch wenn es ziemlich weit weg ist.ˮ „Ja, die lange Fahrt ist schon übel.ˮ „Ungefähr drei Stunden.ˮ „Das gibt Rückenschmerzen.ˮ Er lacht. „Ich heiße Timo!ˮ, stelle ich mich spontan vor. „Etienne.ˮ „Franzose?ˮ „Schuldig.ˮ Er lacht und wirft theatralisch die Hände in die Luft. „Ich mache eine Art kleine Rundreise durch Deutschland.ˮ „Du hast gar keinen Akzent.ˮ „Ja, meine Eltern sind Deutsche. Wir sind nach Frankreich gezogen als ich noch klein war. Da habe ich schon Deutsch gesprochen. Französisch musste ich erst mühsam lernen.ˮ „Für Sprachen habe ich so gar kein Gefühl. Liegt mir einfach nicht.ˮ „Zahlen?ˮ „Mathematik? Erst recht nicht!ˮ, wehre ich lachend ab. „Ich bin eher der kreative Typ. Ich zeichne.ˮ „Und was?ˮ „Ein wenig Landschaftsmalerei und Portraits.ˮ „Bist du gut darin?ˮ „Geht so. Ich glaube, es gibt bessere Zeichner.ˮ „Man muss sich immer mit Anderen messen. Das Leben ist ein ewiger Teufelskreis. Das ende nie.ˮ „Hast schon recht. Und du? Was ist dein Fachgebiet?ˮ „Mir die falschen Partner suchen. Mit der Liebe habe ich einfach kein Glück.ˮ Etienne lächelt deprimiert. „Was meinst du?ˮ „Ich habe jemanden kennen gelernt. Den wollte ich besuchen, aber als ich ankam lag er mit 'ner anderen im Bett.ˮ „Er?ˮ, frage ich erstaunt. „Nun, also ich bin Bi. Deswegen wollte ich es mit ihm versuchen. Wir sind uns in allem so ähnlich, aber irgendwie habe ich wohl zu viel erwartet.ˮ Ich schlucke und grinse spöttisch. „So als halber Französe hast du doch einen gewissen Charme oder nicht?ˮ „Scheint ja nicht gewirkt zu haben.ˮ Ich glaube, bei mir schon. Ob das komisch rüberkommt, wenn ich ihm sage, dass ich schwul bin? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich zwei Schwule in einem Zug begegnen und dann auch noch nebeneinander sitzen? Nennt man das Schicksal? Vorsichtig, zögernd strecke ich meine Hand aus. Ich berühre seine und streichele über die weiche, ein wenig raue Haut. Erst runzelt Etienne die Stirn, dann sieht er auf meine Hand und zieht seine darunter hervor. „Was machst du da?ˮ, fragt er. Ich ziehe meine Hand zurück und werfe einen Blick aus dem Fenster. Idiot! Er trauert wohl noch. Da will er bestimmt nicht von einem Wildfremden angegrabscht werden. Ich antworte ihm nicht, sondern sehe weiterhin nach draußen. Die Lippen zu einem schmalen Strich zusammengepresst sehe ich zu wie die Landschaft an mir vorüberzieht. „Stehst du auf Männer?ˮ, will Etienne nach einiger Zeit wissen. Ich nicke ohne ihn anzusehen. „Schon lange?ˮ „Nein.ˮ „Hast du schon...?ˮ, deutet er an. Ich sehe zu ihm und schüttele den Kopf. Bin ich froh, dass das Abteil zurzeit nicht so voll ist. „Also weißt du es noch nicht so lange?ˮ, hakt er noch einmal nach. „Ich glaube unbewusst habe ich es gewusst, aber es hat gedauert bis es mir klar wurde.ˮ „Weiß es deine Familie?ˮ Etienne beugt sich neugierig vor. „Ja, seit ein paar Wochen. Sie haben es gut aufgenommen.ˮ Etienne kramt in seinem Rucksack und zieht zwei Coladosen heraus. „Darauf stoßen wir an!ˮ Er reicht mir eine Dose und streckt dabei die Zunge heraus. Grinsend ziehe ich die Lasche auf und höre das bekannte Sprudeln. Wir stoßen an und trinken. „Hier, ich habe noch Kekse!ˮ Etienne befördert noch eine Tüte mit gemischten Keksen aus dem Rucksack hervor. „Ah, cool. Die mit Marmelade mag ich.ˮ „Da müssten welche drin sein.ˮ Er reißt die Tüte auf und wühlt ein wenig darin herum. Triumphierend hält er mir einen unter die Nase. Ich greife danach und stopfe mir den Keks in den Mund. „Was machst du jetzt? Weiterreisen?ˮ „Ja, was sonst? Der Typ war eh nur ein Zwischenstopp. Ich wollte ihn sehen und es ist gescheitert. So ist das halt.ˮ „Hm...ˮ Ich knabbere an einem Keks und krümel ganz nebenbei meinen Pullover voll. Etienne trinkt aus der Dose und für einen Moment herrscht wieder Stille. „Und wenn ich dein nächster Zwischenstopp bin?ˮ, frage ich dreist. Flirte ich etwa mit ihm? Etienne verschluckt sich an seiner Cola und hustet. Ich grinse und klopfe ihm halbherzig auf den Rücken. „Ist das dein Ernst oder verarschst du mich gerade?ˮ „Sehe ich aus als würde ich es nicht ernst meinen?ˮ Wir sehen uns an und müssen dann beide wie blöde lachen. „Also drei Stunden nach Bremen? Dann brauche ich ein neues Ticket.ˮ „Ich besorge dir eines.ˮ Ich krame in meiner Hosentasche und klicke auf meinem Handy herum. „Hey, das ist echt schräg und nett.ˮ Etienne beugt sich vor und küsst mich spontan auf die Wange. Ich halte verlegen inne und sehe ihm in die Augen. Er ist nur wenige Zentimeter von meinem Gesicht entfernt. „Wie lange bleibst du in Bremen?ˮ, fragt er neugierig. „Zwei Tage. Morgen Abend muss ich zurückfahren.ˮ „Zwei Tage. Nur wir zwei und deine Familie.ˮ Er grinst und beugt sich noch etwas weiter vor. „Ein bisschen überhastet, meinst du nicht?ˮ „Wieso?ˮ Stirnrunzelnd betrachte ich ihn. „Wieso soll es überhastet sein? Wir verbringen nur ein Wochenende zusammen.ˮ „Weißt du wie das klingt?ˮ Anzüglich zwinkert Etienne mir zu. „Manchmal muss man auch was riskieren oder nicht? Einfach mal spontan sein.ˮ Etienne nickt und zieht sich zurück. „Stimmt auch wieder. So wie ich mit meiner Deutschlandreise. Ich wollte einfach mal alles anschauen. So viel sehen wie möglich.ˮ „War das spontan?ˮ „Ja, fast. Die Reise wollte ich schon lange machen. Ich habe es einfach vor ein paar Wochen umgesetzt. Ganz spontan.ˮ Er trinkt wieder von seiner Cola. „Ich komme dich mal besuchen. Vielleicht.ˮ „In Frankreich?ˮ „Wo sonst?ˮ Ich zwinkere ihm zu. „So ganz spontan.ˮ Er lacht und lehnt sich seufzend zurück. Etienne sieht mich ernst an. „Ich möchte jetzt auch etwas ganz spontan machen.ˮ „Und was? Einen Zug entführen?ˮ, necke ich ihn. „Falscher Film.ˮ Er lacht und boxt mich leicht gegen die Schulter. „Wenn ich dich jetzt küsse, reißt du mir dann den Kopf ab?ˮ Ich verziehe meinen Mund, wäge ab und schüttele den Kopf. „So ganz spontan wohl eher nicht.ˮ „Genug davon! Ich ziehe es jetzt durch, auch wenn mein Kopf auf dem Spiel steht.ˮ Erheitert lehnt er sich zu mir und hält kurz inne. Wieder starre ich in seine grünen Augen. Seine Lippen legen sich weich auf meine. Ich schließe meine Augen und auch wenn es nicht mein erster Kuss ist, so ist es doch mein erster mit einem Mann. Etienne greift mir in den Nacken und übt einen leichten Druck aus. Wir küssen uns und es fühlt sich gut an. Besser als ich es mir immer in meiner Fantasie ausgemalt habe. Etienne zieht sich zurück und trinkt den letzten Rest seiner Cola. Meine ist noch fast voll. Ich lecke mir über die Lippen. Es schmeckt ein bisschen nach Cola. „Zeigst du mir ein bisschen was von Bremen?ˮ, fragt Etienne. „Klar. Für jeden Kuss eine Sehenswürdigkeit.ˮ „Machen wir davon Fotos?ˮ, flachst Etienne lachend. „Ja, wir spielen Touristen mit allem drum und dran.ˮ „Das könnte mir gefallen.ˮ Etienne lehnt sich an meine Schulter. Sein Kopf ist schwer. „Bestell mal schön mein Ticket.ˮ „Klar, für einen Kuss!ˮ, fordere ich frech. Er lächelt und hebt seinen Kopf ein wenig an. Ohne zu zögern beuge ich mich herunter und küsse ihn. Vielleicht wird die Zugfahrt doch noch ganz unterhaltsam? Mit der richtigen Person vergehen drei Stunden wie im Flug. Kapitel 14: Strike! ------------------- Genervt und mit vor der Brust verschränkten Armen sitze ich auf einer Bank und sehe missmutig in die Runde. Meine Mutter hat meinen Bruder überredet mich mit zur Bowlingbahn zu nehmen. Jetzt muss ich mit ihm und seinen Freunden abhängen, wo doch heute der Star Trek-Marathon läuft. Tobias' Freunde sind auch noch solche halbstarken, lärmenden Proleten. Ich passe da so ganz und gar nicht in die Runde. „Hey, du bist dran, du Wicht!ˮ, meint einer der Jungs, boxt mir in die Schulter und macht sich neben mir breit, so dass ich erst Recht Platz machen muss. Genervt erhebe ich mich also und reibe mir über den schmerzenden Arm. Zu dumm. Der Kerl sieht echt gut aus. So ein richtiger Aufreißer, aber wenn er den Mund aufmacht möchte man ihn nach kurzer Zeit mit einer Bowlingkugel bewerfen. Matthias heißt er, wenn ich mich recht erinnere. Bei all den Typen kann man sich auf Anhieb sowieso nicht alle Namen merken und wozu auch? Nach dem heutigen Abend sehe ich sie ohnehin nicht wieder. Ich greife nach den Kugeln und suche mir eine aus, die gut in der Hand liegt. „Na, wie viel wetten wir?ˮ „Der Kleine wirft doch voll daneben!ˮ „Hey, Zwerg! Die Pins musst du treffen!ˮ „Genau! Nicht in die Rinne!ˮ „Oder gleich auf die Bahn unserer Nachbarn!ˮ, grölt einer lachend. Grummelnd kehre ich ihnen den Rücken zu. Arschlöcher! Tobias macht auch noch mit. Das gibt Prügel zuhause! Ich ziehe die Hand mit der Bowlingkugel nach hinten und stelle mich in Position. „Auch ein hübscher Arsch kann entzücken!ˮ, brüllt einer der Jungs lachend. Ich stöhne innerlich. Was findet Tobias nur an diesen Affen? „Du machst das schon.ˮ Irritiert drehe ich mich um. Der Junge, der mich eben vom Platz gedrängt hat sieht mich aufmunternd lächelnd an. Matthias. Verlegen sehe ich zu ihm. „Hey, Matze! Mach ihm keine schönen Augen!ˮ „Genau, sonst wirft er sich dir noch an den Hals!ˮ „Matze! Wenn er einen Strike schafft kannst du ihn ja zur Belohnung vernaschen!ˮ „Wo ist da die Belohnung für ihn?ˮ „Na, er darf es mit Mr. Long-John treiben!ˮ Die Jungs lachen, dabei sind sie nicht mal betrunken, aber sie reden sich so in Rage, dass sie nicht mal merken was sie da von sich geben. „Streng dich an, Benni!ˮ, feuert Tobias mich an. „Matze ist auch schwul. Vielleicht läuft da noch was!ˮ Beschämt wende ich den Blick ab, weil jetzt alle Jungs durcheinander reden. Ich schaue flüchtig zu Matthias, der nur breit grinst. Irgendwie anzüglich? Irritiert wende ich den Blick ab. Ich gehe wieder in Position und schwinge den Arm. Die Kugel entrutscht meiner Hand und rollt über die Bahn. Angespannt sehe ich zu wie sie auf die Pins zurollt. Wenigstens ein Kegel soll umfallen. Wäre zumindest nicht übel. Ich balle meine Hände zu Fäusten und halte den Atem an. Angespannt sehe ich zu den Kegeln. Schließlich herrscht fassungslose Stille. Die Jungs hinter mir geben keinen Laut von sich. Dann jubelt Tobias. „Strike!!!ˮ Benommen sehe ich zu den Pins. Kein einziger steht noch. „Pah! Ist doch nur Anfängerglück!ˮ „Genau!ˮ „Anfängerglück!ˮ Ich drehe mich um und trete hastig einen Schritt zurück, als Matthias auf einmal zu mir kommt. „Gut gemacht!ˮ, lobt er mich. Er ist so groß, dass ich zu ihm aufsehen muss. Erst jetzt nehme ich ihn so richtig wahr. Seine kurzen schwarzen Haare, braune Augen, die breiten Schultern und die große Statur. Er trägt ein enganliegendes schwarzes Shirt und eine dunkelblaue Jeans. Er grinst seine Freunde an und beugt sich zu mir herunter. Noch ehe ich zurückweichen kann küsst er mich. Die Jungs grölen. Hastig löse ich den Kuss und wische mir mit dem Handrücken über den Mund. Was soll der Mist? Mit geröteten Wangen sehe ich zu Matthias und würde am liebsten im Erdboden versinken, doch der tut sich nicht auf. Sehr zu meinem Leidwesen. Ein anderer Junge mit strohblonden Haaren springt auf und schubst uns aus dem Weg. „Los, weg da! Ich bin dran!ˮ Ich werde gegen Matthias gedrückt und spüre wie er mich am Arm stützt. Ich winde mich aus seinem Griff und gehe zurück zur Sitzecke. Hastig stürze ich mein Glas Cola herunter. Matthias lässt sich neben mich fallen. Unsere Beine berühren sich. Ich linse zu ihm, aber er bemerkt es nicht sondern guckt zu dem Typen der jetzt dran ist. Ich habe das Gefühl seine Lippen liegen noch immer auf meinen. Wieso hat er das bloß gemacht? Aus einer Laune heraus? Weil die anderen Jungs ihn angestachelt haben? Der Rest des Abends wird megalangweilig. Matthias glotzt immer zu diesem Blondschopf und scheint ihn mit den Augen aufzufressen und meine nächsten Kugeln gehen entweder in die Rinne oder treffen nur ein paar Kegel. Meine Laune sinkt auf den Tiefpunkt. Nach einiger Zeit suche ich die Toiletten auf. Hoffentlich kann ich bald nach Hause gehen. Ich habe keine Lust mehr. „Ach, du bist auch hier?ˮ, höre ich Matthias' Stimme. Überrascht drehe ich mich ihm zu. Er sitzt auf einer Toilette, die Tür weit offen und raucht heimlich. Stimmt ja, er hat sich vor mir aus dem Staub gemacht. „Hast du keine Lust mehr dem Blonden auf den Arsch zu glotzen?ˮ, frage ich ihn gehässig. Er grinst und bläst den Rauch aus. „Hast es bemerkt, was?ˮ „War ja ziemlich offensichtlich.ˮ „Ich habe ihm mal den Schwanz geblasen, aber mehr lief da nicht. Wir waren sturzbetrunken.ˮ Er nimmt einen Zug und lehnt sich zurück. „Dein Arsch ist auch nicht von schlechten Eltern, Benni.ˮ „Aha...ˮ Unschlüssig bleibe ich stehen. Eigentlich wollte ich pissen, aber nicht vor ihm. Deftinitiv nicht vor ihm! „Soll ich dir zur Hand gehen?ˮ, fragt Matthias anzüglich. „Nee!ˮ Trotzdem bleibe ich noch immer stehen. Vor diesem Jungen, den ich im Grunde gar nicht kenne. Der mit mir flirtet. Der so viel mehr Erfahrungen mit Jungs gesammelt hat als ich bisher. Es ist die Neugierde, die mich hier verharren lässt. Der erste Eindruck war nicht gerade der Beste, aber Matthias scheint trotz dem Affenzirkus ein netter Kerl zu sein. Er drückt seine Kippe auf dem weißen Fliesenboden aus und winkt mir lasch zu. „Komm her.ˮ Erst zögere ich, dann gehe ich auf ihn zu bis ich schließlich zwischen seinen gespreizten Beinen verharre. Er drückt hinter mir die Tür zu und sieht zu mir auf. Ich atmete tief durch und bin nervös. Matthias lächelt und zieht mich auf seinen Schoß, bis ich ganz nahe an ihn gepresst auf seinen Beinen sitze. Wir küssen uns. Einfach so. Ohne irgendwelche Hintergedanken. Zumindest meinerseits. Matthias Hände wandern flink unter meinen Pullover. Ich spüre sie an meiner nackten Haut, sie erkunden jeden Zentimeter und wandern immer tiefer zu meinem Hosenbund. Ich atme gegen seine Lippen und öffne meine als er mir die Zunge in den Mund schiebt. Feucht und frech neckt sie meine, lässt sich von ihr umgarnen und raubt mir den Atem. Seine Hand steckt längst in meiner Hose. Als zwei Jungs lachend ins Männerklo kommen sind Matthias und ich längst mit unserer Erkundungstour zu tieferen Einblicken angelangt. Er hat mich gegen die Tür gedrängt. Die Hose hängt mir irgendwo in den Kniekehlen und knallrot lausche ich den Jungs, während Matthias sich an mir austobt. Wie soll man da leise bleiben? „Wo sind eigentlich Matze und der Kurze abgeblieben?ˮ „Keine Ahnung. Ob die es miteinander treiben?ˮ „Kennst doch Matze. Der kann seine Finger nicht bei sich behalten.ˮ Matthias stöhnt unterdrückt. Oh man, kann er nicht leiser sein? „Whoa, schnell raus hier. Da scheint jemand eine längere Sitzung vor sich zu haben!ˮ „Igitt! Das stinkt immer so grauenvoll!ˮ Die Jungs hasten aus dem Klo, nachdem sie sich erleichtert haben. Matthias liebkost meinen Hals. „Stört es dich nicht, dass sie so über dich reden?ˮ, frage ich ihn. „Nö. So ganz unrecht haben sie doch nicht oder?ˮ Er lacht leise und streicht mir durch die Haare. „Ich kanns nicht fassen was wir hier gerade gemacht haben!ˮ Ich lehne meinen Kopf an die kühle Tür. Meine Wangen glühen. Matthias zieht seine Hose hoch, also tue ich es ebenfalls hastig. Ich öffne die Tür. Matthias wirft einen Blick hinaus. Wir treten in den Raum und verlassen schließlich die Bowlingbahn. Draußen schlägt uns frische Luft entgegen. Aus einem Automaten holt Matthias uns Coladosen. Nach dem Quickie tut das echt gut. Die Flüssigkeit rinnt mir durch die trockene Kehle. Wir sitzen auf einem Ständer für Fahrräder. Nicht gerade angenehm, aber besser als uns die Beine in den Bauch zu stehen. Matthias' Hand streicht über mein Bein. Ich grinse. Er kann seine Hände wirklich nicht bei sich behalten. „Magst mich mal treffen? Also ohne die anderen?ˮ, fragt er nach einiger Zeit. „Denke schon.ˮ Er nickt breit grinsend und trinkt seine Cola. Müde lehne ich meinen Kopf an seine Schulter. Meine Hand streicht über seinen linken Arm bis hinunter zu seiner Hand. Unsere Finger verschlingen sich miteinander. Mir streicht die kühle Abendluft über das Gesicht, zerzaust meine Haare und lässt mich leicht fröstelnd näher an Matthias heranrücken. Wieder bin ich es, der seine Nähe sucht. Bleibt nur zu hoffen, dass er es zulässt und abzuwarten, ob mehr daraus wird. Dass vielleicht irgendwann mal aus mir und ihm ein wir wird. Kapitel 15: Pizza Delivery Boy ------------------------------ Ich atme erleichtert auf als ich vor dem großen Wohnhaus parke. Ich steige vom Mofa und sehe an der Außenfassade hinauf. Ich nehme den Pizzakarton aus der Tasche und gehe zur Haustür. Die letzte Bestellung für heute, dann kann ich endlich heimfahren. Heute ist mal wieder besonders viel losgewesen. Der Summer ertönt, nachdem ich auf den Klingelknopf gedrückt habe und energisch drücke ich die Tür auf. Ich laufe die Treppen hinauf bis in den dritten Stock. Ist zwar täglich ein zusätzliches Training, aber auf Dauer ist es auch nervig. Vor allem wenn man den ganzen Tag treppauf, treppab laufen muss. Irgendwann mag man einfach nicht mehr. Die Tür steht offen. Der Mann dreht mir den Rücken zu und unterhält sich mit jemandem. Als ich die letzten Stufe erklimme wendet er sich mir zu. Am liebsten hätte ich jetzt die Pizza fallen gelassen und augenblicklich reißaus genommen. Wieso ausgerechnet er? „Thilo?ˮ, fragt der Kerl erstaunt. Er trägt lediglich ein weißes Shirt und eine schwarze Jogginghose mit zwei weißen Seitenstreifen. Seine Füße stecken in weißen Socken und die blonden Haare hängen ihm zerzaust ins Gesicht. „Hi, René...ˮ, grüße ich ihn lustlos. „Du bist umgezogen?ˮ „Eh, ja.ˮ Er lächelt und streicht sich die Haare aus dem Gesicht. „Bist du jetzt Pizzabote?ˮ „Sieht so aus.ˮ Ich drücke ihm den Karton in die Hand und nenne ihm den Preis. René drückt mir das Geld in die Hand. Ich verstaue es im Portemoinee und will gerade gehen als er mich am Handgelenk packt und zurückhält. „Ich will dich wiedersehen.ˮ Es klingt so entschieden und fordernd aus seinem Mund. „Wozu? Das letzte Mal ging es auch schief oder nicht? Du hast mit deinem Ex geschlafen. Das war auch der Grund warum wir Schluss gemacht haben. Was soll ich mit dir? Ich meine, was bringt es mir, wenn du einfach nicht über ihn hinweg kommst?ˮ „René ist die Pizza da?ˮ, höre ich eine Stimme aus der Wohnung. Ein halbnackter junger Mann kommt in den Flur. „Wenn man vom Teufel spricht! Willst du mich verarschen?!ˮ, fahre ich René an und reiße mein Handgelenk aus seinem Griff. „Du willst mich zurück und knallst mir das vor die Nase, wenn er hier ist?! Arschloch!ˮ „Thilo, bitte! Hör mir zu!ˮ „Ach, leck mich!ˮ Wütend laufe ich die Treppe hinab, mehrere Stufen auf einmal nehmend. Dieser blöde Schwachmat. Soll er doch seinen Ex ficken! Wieso hat er ihn dann überhaupt verlassen?! In meinem Bauch brodelt die Wut. Wieso mussste ich ausgerechnet René beliefern? Ausgerechnet ihn? Am Mofa angekommen halte ich inne und stütze mich auf dem Sitz ab. In meinem Kopf herrscht Chaos. Ich muss an den Moment denken, als ich ihn mit diesem Arsch erwischt habe. In unserer Wohnung. Wie sie es in unserem Bett wolllüstig miteinander getrieben haben. Ich gehe in die Hocke. Mir dreht sich der Magen um. Tief durchatmend versuche ich mich wieder unter Kontrolle zu kriegen. „Alles in Ordnung?ˮ, vernehme ich eine tiefe, sanfte Stimme. Ich sehe auf und zu einem attraktiven Mann hinauf. Dank der Dunkelheit des Abends kann ich seine Haarfarbe kaum erkennen. Er trägt eine schwarze Lederjacke und blaue Jeans. „Ja, geht schon...ˮ, murmele ich. Hab nur gerade erfahren, dass mein Ex es wieder mit seinem Ex treibt. Boah~ wie scheiße das schon klingt! Zur Hölle mit diesen Dreckskerlen! „Pfefferminz? Hilft mir manchmal, wenn der Magen rumort oder so.ˮ Er drückt mir einen grün verpackten Bonbon in die Hand. Ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen. „Danke.ˮ Ich stehe auf und stecke mir den Bonbon in den Mund. Darauf herumzulutschen hilft schon ein wenig. „Also dann...ˮ Er nickt mir zu und geht zum Haus. Er wohnt also hier? Ich sehe zu wie er die Haustür aufschließt und im Inneren des Gebäudes verschwindet. Ich steige auf das Mofa und fahre zurück, damit ich endlich mit dem Bike heimfahren kann. *** Ich grummele in meinen nichtvorhandenen Bart hinein. Ausgerechnet das Haus muss ich am Anfang der Woche beliefern. Der Montag macht seinem verhassten Dasein alle Ehre. Ich stehe mit Pizzakarton bewaffnet vor der Haustür. Es musste ja so kommen, dass René mich noch einmal sehen wollte. Bestimmt kommt er jetzt wieder mit seinen hohlen, dummen Entschuldigungen an. Ich drücke auf die Klingel und sofort ertönt der Summer. Hat der Depp etwa an der Tür gewartet oder von oben aus dem Fenster gesehen? Ich stapfe die Treppen hinauf. Jeder Schritt fühlt sich an als müsste ich den Mt. Everest besteigen. Meine Füße sind schwer als würde ich Schuhe aus Beton tragen. René wartet an der Tür auf mich. „Ich wollte mit dir reden.ˮ „Hab ich mir schon gedacht. Ich habe Schicht, also keine Zeit! Hier!ˮ Grob drücke ich ihm den Pizzakarton in die Hand. René kann ihn gerade noch so auffangen, da lasse ich auch schon los. Er greift nach meiner Hand und zerrt mich in die Wohnung. „Was soll der Scheiß?ˮ, fahre ich ihn an. René stellt den Karton auf einer Kommode im Flur ab. „Ich habe das nicht nur so dahin gesagt letztens. Ich habe das ernst gemeint!ˮ „Und ganz zufällig war dein Ex da.ˮ „Na ja, wir sind nicht mehr zusammen und ich brauche den Sex halt.ˮ „Und ganz zufällig ist dein Ex allzeit bereit!ˮ Wütend sehe ich ihn. „Thilo, reg dich nicht so auf. Tut mir wahnsinnig leid, was ich getan habe. Ich weiß, dass ist einfach nicht zu verzeihen, aber... Ich vermisse dich!ˮ „Hast du den Text eingeübt?ˮ, frage ich ihn höhnisch. „Nichts als leere Worte. Fick doch deinen Ex! Fick dich!ˮ René versucht mir einen Kuss zu geben, doch ich schubse ihn von mir und reiße die Haustür auf. Ich stürme aus der Wohnung, gerade als der gutaussehende Fremde die Treppe herunter kommt. Ich sehe zu ihm, renne ihm entgegen, packe ihn am Arm und schleife ihn Treppe wieder hinauf. „Thilo!ˮ, ruft René mir nach. „Was ist los?ˮ, will der Fremde überrumpelt wissen. „Der da ist los! Wo ist deine Wohnung?ˮ „Die da.ˮ „Los, schließ auf!ˮ, fordere ich ungehalten. Mit hochgezogener Augenbraue tut er es und energisch dränge ich ihn in die Wohnung. Erst als die Haustür ins Schloss fällt atme ich erleichtert auf. „Was ist los? Bist du belästigt worden?ˮ, fragt er skeptisch. „Kann man wohl so sagen. Von meinem Ex!ˮ Ich lehne mich gegen die Tür und rutsche daran hinab. „Oh.ˮ Er setzt sich neben mich an die Tür. Seine Schulter berührt meine. „Dann war er gestern schuld an deinem Zustand?ˮ „Der Typ hat das Sodbrennen erst erfunden!ˮ, grummele ich. „Ich war auf einem Familienfest. Er wollte nicht mit. Den Grund habe ich erfahren als ich früher nach Hause gekommen bin. Da lag er mit seinem Exfreund in unserem Bett!ˮ Kochend vor Wut sehe ich den Fremden an. „Das ist echt mies.ˮ „Das Beste kommt ja noch! Gestern sehe ich ihn nach einigen Monaten wieder und er sagt mir, dass er mich vermisst! Rate mal wer dann in den Flur kam!ˮ „Wenn du willst kannst du eine Weile hier bleiben.ˮ Ich sehe gequält zu ihm. „Danke.ˮ „Eines solltest du aber wissen.ˮ „Was?ˮ, frage ich ihn überrascht. „Ich kenne ihn. Hab ihn in einigen Gay Bars getroffen.ˮ Meine Augenbrauen ziehen sich hoch. „Moment mal! Dann bist du...!ˮ „Ja, aber keine Sorge. Ich habe es nicht mit ihm getrieben. Ist nicht mein Kaliber.ˮ Erleichtert atme ich auf. Das hätte mir gerade noch gefehlt. Grinsend stößt er mich mit seiner Schulter an. „Du hingegen schon.ˮ Er steht auf und läuft durch den Flur in einen anderen Raum. Sprachlos sehe ich ihm nach. Ich bin sein Typ? Hastig rappele ich mich auf und laufe ihm nach. Also das ist äußerst interessant! Dem muss ich definitiv nachgehen. An einer Tür halte ich kurz inne. Sie ist halbgeöffnet. Ich drücke die Tür auf. Sein Schlafzimmer. Sehr ordentlich und ein breites Bett. Perfekt. Ich schlendere in die Küche in der er sich aufhält. „Cola oder Saft?ˮ, fragt er und hält die Kühlschranktür auf. „Mit deinem Namen wäre ich erst mal zufrieden.ˮ Lächelnd lehne ich mich gegen den Türrahmen. „Malte.ˮ „Thilo.ˮ „Hab ich schon gehört. Dein Freund war nicht zu überhören.ˮ „Mein Exfreund!ˮ, verbessere ich ihn. „Und jetzt muss ich ihn auch noch beliefern...ˮ Ich schlage die Hände vors Gesicht und stöhne wehleidig. Malte lacht. „Ich bin ja auch noch da.ˮ Ich lasse die Hände sinken und sehe ihn an. Abgeneigt bin ich nicht und ich bin Single. Was also spricht dagegen, außer das mein blöder Ex im selben Haus lebt? Malte schließt die Kühlschranktür. „Cola oder Saft?ˮ, fragt er erneut. „Orangensaft.ˮ Ich deute auf die Packung in seiner Hand. Er nimmt zwei Gläser aus dem Schrank und schenkt uns ein. „Was machst du nach der Arbeit?ˮ Ich trinke einen Schluck und sehe zu ihm. „Wieso?ˮ „Wie wäre es mit einer Pizza und einem Film?ˮ Grinsend streckt er mir die Zunge heraus. „Also dich beliefere ich gerne.ˮ „Heißt das du kommst vorbei?ˮ „Klar, da sage ich nicht nein.ˮ Lächelnd trinke ich das Glas leer. „Danke.ˮ „Ich habe noch zwei Pizzen im Tiefkühlfach. Du musst also nur dich mitbringen.ˮ „Gerne doch.ˮ Lächelnd gehe ich in den Flur. So langsam muss ich eh wieder zurück. Mein Blick fällt ins Schlafzimmer. Also das will ich heute Abend noch etwas ausführlicher inspizieren. Ein Grinsen schleicht sich auf mein Gesicht. „Dann bis später.ˮ „Okay.ˮ Etwas unschlüssig bleiben wir an der Tür stehen. Malte beugt sich herunter und gibt mir einen Kuss auf die Wange. Verlegen sehe ich ihn an und verlasse mit klopfenden Herzen das Wohnhaus. Wie heißt es so schön? Schließt sich eine Tür öffnet sich eine andere. Da muss einfach was dran sein. Lachend laufe ich runter und hämmere an Renés Tür. Er öffnet deprimiert. „Los, her mit dem Geld! Kostenlose Pizza ist nicht. Ach ja, ich habe ein Date heute Abend! Also spar dir deine miese Tour! Ich komme nie wieder zu dir zurück! Nicht mal über meine Leiche!ˮ Verdrossen gibt René mir das Geld. „Etwa mit Malte?ˮ, will er wissen. „Sag ich dir doch nicht!ˮ Ich strecke ihm die Zunge heraus und verlasse entschlossen das Gebäude. Scheiß auf meinen Ex! Andere Mütter haben auch hübsche Söhne! Kapitel 16: Ein (un)romantisches Date ------------------------------------- „Hör mal, Nicholas! Können wir nicht irgendwie... ich meine, dass hier...ˮ Unschlüssig bleibe ich stehen und lasse den Blick durch die Eissporthalle schweifen. Sie ist nicht so voll wie im Winter, aber auch zu dieser warmen Jahreszeit kommen hin und wieder gerne einige Schlittschuhläufer in die Halle um ihren Spaß zu haben oder zu trainieren, die normalerweise von der ortsansässigen Eishockeymannschaft genutzt wird. Ich habe mein erstes richtiges Date mit Nicholas und wir verbringen es ausgerechnet hier. Mein Freund hat so gar keine Ahnung was Romantisch ist. Allerdings kann man ihn auch nicht als Romantiker bezeichnen. Das einzige was für ihn darunter fällt ist Sex und der ist in meinen Augen noch weniger romantisch. Schon gar nicht mit ihm. „Komm schon! Sei keine Memme! Rauf aufs Eis!ˮ, ruft Nicholas und fährt seelenruhig ganz in meiner Nähe seine Runden. Ich stehe auf wakeligen Kufen auf dem Rand vor der Absperrung und kralle mich daran fest um nicht umzukippen. Ich habe ihm schon so oft gesagt, dass ich nicht der sportliche Typ bin und er schleift mich hierher. Nicholas ist ein Sadist. Mittlerweile ist er wesentlich netter zu mir geworden als in der Anfangszeit, aber er denkt immer noch nur an seinen Spaß. Ich bleibe hingegen doch oft auf der Strecke. Jammernd setze ich einen Fuß auf die glatte Eisfläche und rutsche sofort weg. Wie soll man da drauf stehen bleiben? Mühsam kämpfe ich mich auf das Eis und muss mir anhören wie Nicholas herzhaft über meine kläglichen Versuche lacht. Idiot! Verbissen arbeite ich mich an der Absperrung entlang. Nie im Leben würde ich loslassen und beneide die anderen Läufer, die hier so geschmeidig und sanft über das Eis gleiten als wäre es das Normalste auf der Welt. Ich habe jetzt schon keine Lust mehr. Mein Blick sucht Nicholas, der sich von mir entfernt hat und sein eigenes Ding durchzieht. Ich komme mir hier ziemlich verloren und auf mich gestellt vor. Gefrustet hangele ich mich weiter an der Absperrung vorwärts. Ab und an rutschen mir die Beine dann aber doch weg. Ein kleiner Junge läuft schnurstracks an mir vorbei. Mir klappt glatt die Kinnlade herunter. Wenn der das kann, kann ich das doch auch. Unsicher lasse ich los und versuche ein paar Meter zu gleiten. Von gleiten ist allerdings keine Spur zu sehen. Ich rudere mit den Armen und falle schmerzhaft zu Boden. „Aua...ˮ Mein Hintern schmerzt. „Du sollst laufen und nicht herumsitzen!ˮ, höre ich Nicholas belustigte Stimme hinter mir. Ich sehe zu ihm auf als er sich über mich beugt. „Sagt sich so leicht. Ich kann das nicht.ˮ „Übung macht den Meister!ˮ Nicholas grinst, lässt mich sitzen und zieht wieder seine Kreise, doch diesmal um mich herum. Grummelnd versuche ich mich zu erheben und kämpfe mich zurück zur Absperrung was Nicholas scheinbar äußerst amüsant findet. Wenn der so weitermacht gehe ich nach Hause. Egal, was er dann sagt. Als ich mich endlich wieder an die rettende Absperrung klammere atme ich erleichtert auf. Erschocken schnappe ich nach Luft, als Nicholas gegen mich prallt und seine Arme um mich schlingt. Ich werde gegen die hüfthohe Wand gedrückt und schnappe nach Luft. Ärgerlich drehe ich mich zu ihm herum, bekomme jedoch schon im nächsten Moment einen Kuss auf die Lippen gedrückt. Widerwillig gebe ich nach und lehne mich gegen ihn. Meine Hände krallen sich aber trotzdem noch in die Absperrung. Nicholas Hände legen sich auf meine und lösen langsam meine Finger davon was ich gar nicht so witzig finde. „Los, komm! Wir versuchen es nochmal!ˮ, flüstert er eindringlich gegen meine Lippen. Er zieht mich zu sich herum und stellt sich vor mich. Langsam fährt er rückwärts und zwingt mich dazu hinterherzukommen. Meine Hände lässt er jedenfalls nicht los. Mit wackeligen Beinen und total unsicher auf den Schlittschuhen rutsche ich vorwärts und lasse mich von Nicholas mitziehen. „Benutz' deine Beine oder soll ich hier alles machen?ˮ, meckert Nicholas mit mürrischer Miene. Vorsichtig bewege ich meinen Fuß vorwärts und rutsche sofort wieder aus. Ich hänge mich gegen Nicholas Hände oder an sie, wie auch immer, denn kurz darauf hänge ich wie ein nasser Sack in seinen Armen und komme mir echt blöd dabei vor. „Etwas tiefer und...ˮ, deutet Nicholas breit grinsend an. „Halt die Klappe!ˮ, erwidere ich knallrot und versuche mich aufzurichten. „Für ein Fliegengewicht bist du echt schwer!ˮ, beschwert er sich. Ächzend rappele ich mich auf und hänge immer noch mit meinem ganzen Gewicht an ihm. „Das macht keinen Spaß!ˮ, nörgele ich und halte mich an Nicholas fest. „Du gibst dir ja auch keine Mühe.ˮ „Das ist mir zu kompliziert.ˮ „Willst du zu mir kommen und vögeln?ˮ, fragt Nicholas hoffnungsvoll. Ernüchtert sehe ich in sein Gesicht und schüttele entschieden den Kopf. Dann lieber doch das hier. Ist immerhin unser erstes Date. Wir hatten noch nie ein Date. Es sei denn Sexdates zählen dazu. Jedes Mal, wenn wir uns außerhalb der Schule treffen landen wir ausschließlich in seinem Bett. Kommt er zu mir beginnt er für gewöhnlich erst mal mein Chaos aufzuräumen und dann landen wir im Bett. Es läuft also im Prinzip immer darauf aus, dass wir Sex haben. Das hier hingegen ist mal eine Abwechslung, auch wenn sie mir weniger Spaß macht als Nicholas. „Los, du Mimose! Ein Fuß vor den anderen!ˮ Nicholas gleitet rückwärts und schleift mich mit sich. Hoffentlich falle ich nicht wieder auf den harten Boden. Die ganze Zeit starre ich auf meine Füße und die gefrorene Eisfläche. „Guckst du auf meinen Schritt oder was machst du da?ˮ, fragt Nicholas neckend. „Ich versuche nicht den Boden zu küssen.ˮ „Küss lieber mich!ˮ Ich sehe zu Nicholas auf, der sich nicht mehr bewegt und mich in seine Arme zieht. Er küsst mich frech und umarmt mich so fest, dass ich mich in seinem Klammergriff kaum rühren kann. Peinlich ist es mir in der Öffentlichkeit zwar schon, aber Nicholas zu küssen ist auch nicht so übel. Ich entspanne mich, da er mich hält und genieße es. Mein Körper schmiegt sich an seinen. Nicholas Lippen sind warm und weich. Ich schließe meine Augen und genieße den Moment der trauten Zweisamkeit. Zumindest solange bis der kleine Streberbengel von vorhin Nicholas rempelt und wir mit einem überraschten Aufschrei zu Boden segeln. Polternd falle ich auf den Rücken, Nicholas auf mir liegend. „Aua...ˮ, jammere ich schon das zweite Mal an diesem Tag. Vielleicht hätte ich den Sex doch vorziehen sollen? „Noch alles dran?ˮ, fragt Nicholas und richtet sich auf. „Glaub schon...ˮ Er hilft mir auf was sich wieder als äußerst schwerfällig darstellt, da ich einfach nicht sicher auf den Schlittschuhen stehen kann. Er bringt mich zur sicheren Absperrung zurück. Ich laufe über die kleine Erhebung und finde wieder sicheren Halt auf dem rutschfesten Boden. Seufzend lasse ich mich auf einer Bank nieder. Der Junge fährt weiter seine Runden als sei nichts geschehen. Kleine Ratte! Nicholas setzt sich neben mich. „Sex?ˮ, fragt er. „Definitiv!ˮ Ich lehne mich an seine Schulter und schließe die Augen. Er klopft mir tätschelnd aufs Knie. „Dir ist aber schon klar, dass ich dich spätestens im Winter wieder hierherschleifen werde?ˮ, fragt er scheinheilig. „Bitte nicht!ˮ, jammere ich und drücke mein Gesicht in seine Jacke. „Weihnachtsmarkt?ˮ „Besser! Viel besser!ˮ Er lächelt und gibt mir eine kleine Kopfnuss. Ich greife mir murrend an die Stirn, als er mir auch schon grinsend einen Kuss auf den Mund drückt. Kapitel 17: Cyrils Bilder ------------------------- Ich weiß nicht wie lange diese Melancholie anhalten wird. Ich fühle mich manchmal als würde ich nicht richtig in diese Welt gehören. Als wäre ich am falschen Ort. Als hätte man mich an der falschen Bushaltestelle abgesetzt und nun sitze ich hier fest bis ein Wunder geschieht. Oder bis mein Tod eintritt. Diese lethargische Stimmung, die tagtäglich auf mein Gemüt drückt nimmt mir jegliche Lebensfreude. Ich habe im Prinzip auf gar nichts mehr Lust. Ich dümpel jeden Tag aufs Neue vor mich hin, befolge meinen üblichen Tagesablauf so wie man es von mir verlangt. „Hast du keine Ahnung was du zeichnen sollst, Cyril?ˮ, fragt mich Mr. Leclerc. Ich sehe stumpf zu ihm auf und zucke mit den Schultern. Ist doch egal was ich zeichne. Es landet sowieso nicht in den Fluren wo all die anderen Bilder zur Schau aufgehängt werden. Wieso also sollte ich mir die Mühe machen und etwas zeichnen? „Dir fällt schon noch etwas ein.ˮ Er lächelt mir aufmunternd zu und geht zu Finn, der in einiger Entfernung neben mir sitzt und streicht seine Hand. Sie versuchen unauffällig zu sein, aber wer genau darauf achtet, dem fällt auf, dass zwischen den beiden etwas läuft. Seit geraumer Zeit. Das ist auch der Grund warum Tony seit einigen Wochen griesgrämig durch die Weltgeschichte flaniert. Seine düsteren Bilder sind noch düsterer geworden, wenn das überhaupt möglich ist. Tony leidet unter Depressionen. Er stopft sich mit allerlei Tabletten voll. An manchen Tagen fängt er grundlos an zu heulen und nur ganz selten gibt es mal Tage an denen er gut gelaunt ist. Besonders schlecht drauf ist er seit Leclerc und Finn zusammen sind, denn vorher hatte Tony etwas mit unserem Kunstlehrer am laufen. Ich habe sie einmal gesehen. Nur ganz kurz, weil Finn den Gang runterkam. Ich habe durch das Fenster der Klasse gesehen. Tony hat zwischen Leclercs Beinen gehangen und ihm den Schwanz geblasen. Ob mehr zwischen ihnen war weiß ich allerdings nicht. Mein Blick fällt wieder auf die Staffelei vor mir und das weiße leere Blatt. Wenn ich es weiß lasse, geht es dann auch als Bild durch? Weiß kann doch für so vieles stehen. Wenn man Fantasie hat. Ich glaube, der Leclerc hat keine Fantasie. Er erwartet, dass ich das Bild mit Farbe fülle. Hauptsache es ist etwas darauf zu erkennen. Ich bin auch so leer wie das Papier. Ich weiß nicht was mit mir los ist. Wieso mir alles in letzter Zeit so gleichgültig erscheint. Vielleicht habe ich ja den Glauben in die Menschheit und das Leben an sich verloren? Es gab so vieles an das ich denken musste. So vieles, dass mich enttäuscht hat und es noch immer tut. Dieser Gedanke, dass ich eigentlich nicht in diese Welt gehöre. Ob es Tony genauso geht? Hat er in Leclerc etwas gesehen? Etwas, dass ihm Hoffnung gab? Etwas, dass ihn zu hoffen wagte seine Depressionen zu überwinden? Ob meine Lethargie auch eine Art von Depression ist? Sie ist doch so vielfältig. Selbst das Denken ist anstrengend. Ich mag nicht mehr. Nicht mehr über solche Dinge nachdenken. Es ist anstrengend... einfach nur anstrengend. Und ich bin müde. Es klingelt. „Okay, das war es für heute. Gute Arbeit, Leute! In der nächsten Stunde machen wir daran weiter!ˮ Leclerc klatscht in die Hände und die Kursteilnehmer suchen eilig das Weite. Lustlos bleibe ich auf meinem Platz sitzen. Pausen. Wozu braucht man die überhaupt? Reine Zeitverschwendung. Man sollte lieber eine Stunde nach der anderen abhalten damit man früher heimgehen kann. Um eine oder zwei Stunden mehr vom Tag zu haben. „Cyril? Du bist ja noch hier.ˮ Er kommt auf mich zu und stellt sich neben mich. „Es ist immer noch weiß. Na, mach dir keine Gedanken. Dir kommt schon noch eine Idee. Gerade, wenn man nicht dran denkt kommt einem oft ein Geistesblitz. Mach dir keinen Kopf, Junge. Für die nächste Stunde hast du bestimmt eine Idee was du zu Papier bringen möchtest.ˮ Wortlos stehe ich auf und gehe aus dem Raum. Aus dem Augenwinkel fällt mir auf, dass Finn noch hier ist. Er sieht mich nur an, als ich zu ihm blicke. Ich schließe die Tür hinter mir, drehe mich kurz um und sehe wie die beiden nahe beieinander stehen. Sehe wie sie sich liebevoll küssen und einander umarmen. Als ich Schritte höre, sehe ich den Gang entlang. Tony ist stehen geblieben und sieht mich ausdruckslos an. Soll das hier ein Blickduell werden? „Sind sie da drin?ˮ, fragt er heiser und räuspert sich. Ich nicke. Er schnieft und blinzelt. Wir sagen beide nichts, stehen nur im Flur der Universität herum wie Statuen, die darauf warten, dass man sie an den richtigen Platz stellt. Nur wo ist der richtige Platz? Schließlich macht Tony auf dem Absatz kehrt und läuft den Flur entlang. Er geht auf die Toiletten zu. Aus einem Impuls heraus folge ich ihm gemächlich ohne Eile. Keine Ahnung wieso. Ich weiß ja eh nicht wie ich mir die Zeit vertreiben soll. Da kann ich ihm genauso gut nachlaufen. Als ich den Toilettenraum betrete, beugt sich Tony über ein Waschbecken und stützt die Arme am Rand ab. Fasziniert sehe ich ihm beim Heulen zu. Er hat die Augen zusammengekniffen, unter den Lidern rinnen die Tränen hindurch, seine Wangen hinab um am Kinn ins Waschbecken zu tropfen. Seine Nase läuft und sein Mund ist leicht geöffnet aus dem immer wieder unterdrückte Schluchzer entweichen. Seine Schultern zucken kaum merklich. Ein innerer Drang überkommt mich. Ich würde ihm zu gerne durch die wuscheligen braunen Locken streichen. Ob sie so weich sind wie ich es mir denke? Ich neige den Kopf zur Seite und als die Tür hinter mir ins Schloss fällt schreckt Tony auf und sieht zu mir. Sein Gesicht ist geplagt von Leid und Schmerz. Da ist etwas in mir. Etwas, das langsam wieder in Erscheinung tritt. Etwas, dass ich nicht in Worte verfassen kann. Ein Leuchten in der Dunkelheit. Nur ganz klein. Kaum wahrnehmbar. Aber es ist da. Hier und jetzt. Tony hat es entfacht, dass wird mir nun klar. Fünf oder sechs Schritte haben uns voneinander getrennt, die ich überbrückt habe und nun dicht vor ihm stehe. Meine Hände liegen auf seinen Wangen, streichen ihm die Tränen aus dem Gesicht, auch wenn wieder Neue zum Vorschein kommen. Genau wie ich braucht er etwas. Einen Sinn im Leben. Jemanden, der ihm Halt gibt und ihn auffängt, wenn er es am dringendsten braucht. Ich ziehe ihn an mich und schlinge meine Arme fest um seinen Körper. Meine Hand streicht ihm beruhigend über den Rücken. So lange bis er nicht mehr weint. So lange wie er seinen Kopf an meiner Schulter ruhen lässt und es hin nimmt, dass ich ihm durch die Haare streiche. Er riecht gut. Ich drücke ihn von mir und sehe Tony in die Augen. Diese leere, schwarze Dunkelheit darin will ich füllen. Mit Lebensmut, Freude und was es nicht noch alles gibt, dass man empfinden kann. Das Licht in mir wird stärker. Ich spüre es. Wie von selbst suchen meine Lippen seine. Sie sind weich und schmecken salzig von den Tränen. Es stört ihn nicht. Vielleicht ist es ihm auch egal, dass ich ihn jetzt küsse. Vielleicht stellt er sich Leclerc dabei vor? Vielleicht sieht er mich gar nicht. Weiß nicht, dass ich da bin und ihm all meine Aufmerksamkeit schenke. Vielleicht sieht und merkt er es bald. Irgendwann. Vielleicht... Er zieht sich zurück. Zurück in sein Schneckenhaus. Sein Kopf sucht Halt an meiner Schulter. Halt den ihm bedingungslos gewähre. Ich küsse ihn am Hals und streiche mit meiner Nase über die warme, weiche Haut, die so gut riecht. Er heult nicht mehr. Steht einfach nur still an mich gelehnt da und krallt seine Finger in mein Hemd. Ich lege meine Hand auf seine und umgreife sie. Vielleicht ist es das was ich zeichnen muss? Zwei verlorene Seelen in einer Welt in die sie nicht gehören. Die zueinander finden und sich den nötigen Halt geben? Dunkelheit in der ein Licht leuchtet. Ein klitzekleines Licht, das noch wachsen und gedeihen muss bis es irgendwann einmal so groß ist, dass es Wärme schenken kann. Wärme und Geborgenheit. Sein warmer Atem streift meinen Hals. Ruhig und gleichmäßig als würde er schlafen. Die Stille im Raum lässt mich ebenso schläfrig werden. Ich warte noch ein bisschen. Der Bus, der mich abholt kommt bestimmt nicht so zeitig. Ich habe jemanden gefunden mit dem ich mir die Zeit vertreiben kann. So lange bis er mich nicht mehr braucht. Dann steige ich in den Bus ein und fahre dorthin wo ich wirklich hingehöre. Ein leises Lächeln, kaum merklich, schleicht sich auf meine Lippen. Ich habe etwas gefunden, dass mich noch nicht ganz vom Leben trennt. Jemanden, für den es sich lohnt im Hier und Jetzt zu bleiben. Jemand, der mich fasziniert und mich braucht. Der mir zurückgibt was ich verloren geglaubt habe. Kapitel 18: Süße Siebzehn ------------------------- Die Party auf der ich heute bin ist die größte Pleite überhaupt. Da bin ich endlich 17 Jahre alt und durfte endlich, endlich mal meine erste Party schmeißen und dann passiert so etwas! Mein Schwarm Lena steht mit Tobias in einer Ecke und frisst ihm das Gesicht weg! Wütend umgreife ich mein Bierglas noch fester. Alle haben super gute Laune und ich würde mich am liebsten in meinem Zimmer verkrümeln, wären da nicht gerade Anja und Thomas am fummeln. Und was ist mir? Hey, ich sollte heute im Mittelpunkt stehen! Meine freie Hand greift in das Polster des Sofas. Die beiden kutschenden Esel neben mir heben nicht gerade meine Stimmung. Vor allem weil der Kerl dem Mädchen am Arsch herumgrabscht und mit seiner Hand dauernd gegen mein Bein stößt. Das nervt! Überhaupt nervt mich im Moment einfach alles! So habe ich mir das einfach nicht vorgestellt. Aus Frust würde ich am liebsten heulen, aber mit 17 Jahren und auch noch an meinem Geburtstag kommt das bestimmt nicht so gut. Also tue ich das einzig Sinnvolle in dieser Situation. Ich setze mein Bier an die Lippen und trinke es in großen Schlucken. Mein zweites Bier und statt feuchtfröhlich auf dem Wohnzimmertisch halbnackt herumzutanzen hocke ich auf dem Sofa und ziehe eine Fresse wie Sieben-Tage-Regenwetter. Ich stelle meine Bier auf dem Tisch ab und vergrabe mein Gesicht in den Händen. Ob es jemandem auffällt, wenn ich mich in der Garage verstecke? Vielleicht teilt die Maus ihren Käse mit mir, die schon seit einer Woche so gescheit ist und der Falle aus dem Weg geht und trotzdem ihre Ködelspur in der Garage verteilt wie Rotkäppchen ihre Brotkrumen im finsteren Wald? Ich halte es nicht mehr auf dem Sofa aus, erhebe mich abrupt und gehe in den Flur. Die Badezimmertür ist sperrangelweit auf und irgendein Typ, den ich nicht kenne hängt mit dem Kopf in der Kloschüssel. Idiot. Im Schlafzimmer meiner Eltern haben sich scheinbar alle zu einem Knutschduell verabredet. Wird das ein Marathon? Neidisch bleibe ich stehen und sehe ihnen unverhohlen zu. 17 Jahre und ungeküsst. Kann man noch tiefer sinken? Seufzend ziehe ich meines Weges. Irgendwo in dieser vermaledeiten Wohnung muss es doch einen Rückzugsort geben! Zur Not krabbele ich auch unter eines der Betten! Ein Junge rempelt mich an, ignoriert mein 'Hey!' und torkelt einfach mit seinem Freund lallend weiter durch den Flur. Er schwenkt sein Glas Bier so stark herum, dass die Hälfte auf dem Boden landet. Meine Mutter wird einen Herzinfarkt bekommen, wenn sie das sieht. Ihr guter Teppich! Ich wünschte sie hätte mir diese scheiß Party verboten. Wieso muss sie nur so eine coole Mutter sein und alles erlauben? Oh mann! Sogar mein Hund hat seinen Spaß! Der hängt am Buffet und bekommt von den Leuten um sich herum lauter Fleischbällchen zugesteckt! So ein Verräter! Mit Schmollmund bleibe ich mitten im Flur stehen und lasse die Schultern hängen. Meine Mundwinkel ziehen sich immer weiter herunter und der Kloß in meinem Hals will auch nicht verschwinden, egal wie oft ich auch schlucke. Gerade als ich mich aus Protest einfach auf den Boden setzen will packt mich ein Mädchen am Arm. „Los, komm mit Fabian! Das Spiel beginnt!ˮ „Hä? Was für ein Spiel?ˮ „Ach das hat Junge irgendwo aufgeschnappt! Komm einfach mit!ˮ Alle versammeln sich im Wintergarten und scharen sich in einem Halbkreis um einen Jungen herum. Er hat ein paar Tüten Gummibärchen dabei. „Stellt euch auf: Junge, Mädchen, Junge, Mädchen und so weiter!ˮ, fordert er mit einem breiten sadistischen Grinsen im Gesicht. „Einer nach dem anderen nimmt ein Gummibärchen in den Mund. Bei allen Farben küsst ihr das Mädchen oder den Jungen neben euch. Erwischt ihr aber ein grünes Gummibärchen müsst ihr die Person neben euch aussetzen und euer eigenes Geschlecht küssen, also den Jungen oder das Mädchen neben euch! Das Gummibärchen müsst ihr beim Küssen im Mund behalten!ˮ, erklärt der Junge die Regeln. „Und haltet euch beim Aussuchen der Gummibärchen die Augen zu. Schummeln ist nicht!ˮ Mir wird ganz flau im Magen. Mit Partyspielen hatte ich es noch nie sonderlich. Jetzt müssen wir uns auch noch küssen. Ich meine, bei diesem blöden Spiel bekomme ich auch noch meinen ersten Kuss! Wie unromantisch ist das denn? Zur Hölle, ich würde am liebsten abhauen. Was, wenn ich überhaupt nicht küssen kann? Was, wenn ich... Hastig sehe ich mich in meinem Umkreis um. Okay. Wenn ich Pech habe werde ich von einem Jungen oder einem Mädchen geküsst. Ich selber muss dasselbe tun. Oh je... Mein Herz schlägt heftig in meiner Brust. Meine Hände sind schweißnass. Was mache ich, wenn ich Mundgeruch habe? Und ich habe so viel Bier getrunken. Ach nee, nur zwei Gläser bisher. Sollte noch gehen. Nervös lasse ich den Blick umher schweifen. Der erste Junge nimmt mit geschlossenen Augen ein Gummibärchen aus der Tüte, die der Junge in die Mitte gelegt hat. „Los, Mund auf!ˮ Er streckt die Zunge heraus. „Rot!ˮ, brüllen alle lachend. Erleichtert geht er zu dem Mädchen neben sich und etwas zögernd beginnen sie sich mit Zunge zu küssen. Oh mann, ich will einfach nur weg hier. Das Mädchen hat Glück. Sie erwischt ein gelbes Gummibärchen. Sie küsst den Jungen neben sich. So geht es eine Weile weiter. Mein Kopf ist leer. Panisch suche ich nach einer Möglichkeit von hier abzuhauen. Soll ich Übelkeit vortäuschen? Migräne? Irgendwas... „Grün!ˮ, brüllen plötzlich alle. Erschrocken sehe ich von meinen Schuhen auf. In der Mitte des Raumes steht Pascal. Er ist eine Stufe über mir. Mein Blick fällt auf das grüne Gummibärchen auf seiner Zunge. Grün. Was heißt das noch mal? Grinsend kommt er auf mich zu. Die anderen Jugendlichen im Raum jubeln und kreischen. Einige wenden angeekelt den Blick ab. Er hat grün. Okay. Dann muss er... Wie Schuppen fällt es mir von den Augen. Er muss mich küssen!!! „Küssen! Küssen! Küssen!ˮ, grölen alle Anwesenden anstachelnd im Chor als Pascal etwas unschlüssig vor mir stehen bleibt. Knallrot sehe ich zu ihm auf. Er hat einen athletischen Körper, weil er viel Basketball spielt, schwarze Haare und stechend blaue Augen. Er trägt ein Shirt von einem Egoshooter-Spiel und dazu Jeans und schwarze Schuhe. Ich will ihn nicht küssen. Nicht Pascal! Der wechselt doch seine Freundinnen wie die Unterwäsche. Einen Schritt zurücktretend erwäge ich es in Betracht einfach wegzulaufen, doch Pascal ist schneller. Seine Hand packt zu, seine Finger krallen sich in meinen Pullover und mit einem kräftigen Zug reißt er mich nach vorne. Ich kann mich gerade noch hastig mit den Händen gegen ihn stützen um nicht an seinen Oberkörper zu prallen. Leuchtend wie eine rote Ampel sehe ich zu ihm auf. Alle reden wild durcheinander. Pascal sieht wichtigtuerisch in die Runde damit es auch ja alle mitbekommen. Er senkt den Kopf um mich zu küssen. Meiner rutscht immer weiter in den Nacken, soll heißen ich versuche ihm irgendwie zu entkommen indem ich den Kopf zurückziehe. Ein Grummeln entkommt meiner Kehle. Beherzt presst er mir seine Lippen auf den Mund. Ich kneife sofort die Augen zusammen und die Lippen presse ich zu einem schmalen Strich. Hier kommst du nicht rein! Ich spüre Pascals Atem auf meinem Gesicht. Er steht ganz nah vor mir und seine Lippen sind erstaunlich angenehm weich. Angespannt halte ich den Atem an. „Mit Zunge!ˮ „Jetzt macht schon!ˮ „Küsst euch!ˮ Der Raum ist erfüllt von erhitzten Gemütern die ihren Spaß an dem Spiel haben, vor allem weil die erste Person im Raum ein grünes Gummibärchen erwischt hat. Pascals Zunge leckt über meine Lippen. Hilfe, das ist tatsächlich seine Zunge! Noch immer wage ich es nicht meine Augen zu öffnen. Meine Wangen stehen in Flammen und mir ist das Ganze hier so unendlich peinlich! Vor Scham würde ich am liebsten im Erdboden versinken. Dann muss ich aber doch mal wieder zu Atem kommen und unbewusst öffne ich die Lippen, statt durch die Nase zu atmen wie es mir kurz darauf siedend heiß einfällt. Flink schiebt Pascal mir die Zunge in den Mund. Ein ersticketer Laut entweicht mir. Meine Finger krallen sich in Pascals Arme und ich finde es wirklich schade, dass meine Nägel so stumpf und abgekaut sind. Seine nasse, feuchte Zunge stupst meine an. Ich spüre wie er mir das Gummibärchen in den Mund schiebt. Es schmeckt süß und der ganze Geschmack verbreitet sich in meinem Mund. Ein Mädchen kreischt schrill und begeistert auf und lässt mich zusammen zucken. Dummerweise habe ich in dem Moment mit meiner Zunge Pascals berührt und dieser sieht es nun als willkommenen Anlass den Zungenkuss zu intensivieren. Als ich die Augen ein kleines bisschen öffne, merke ich, dass er seine geschlossen hält und sich voll und ganz auf den Kuss konzentriert. Merkt er gar nicht, dass uns alle zusehen? Noch ehe ich es richtig realisiere gehe ich auf seinen Kuss ein, wenn auch nur zögernd. Außerdem habe ich Angst mich an dem Gummibärchen zu verschlucken. Irgendwie schaffe ich es dann aber doch es in eine Ecke zwischen Zahnreihe und Wange zu schieben. Pascal hat freie Fahrt und als ihm ein Seufzer entfleucht ist es vollkommen um die Meute geschehen. Alle schreien wild durcheinander und kriegen sich kaum noch ein. Ein Blitz schreckt mich auf. Einige halten ihre Handys auf uns oder machen begeistert Fotos und Videos. Hastig löse ich mich von Pascal und renne vor Scham aus dem Raum. Aus einem Impuls heraus renne ich die Treppe hinauf und in mein Zimmer. Zum Glück ist es leer. Hinter mir höre ich Schritte. Gerade als ich die Tür zustoßen will greift eine Hand zwischen Tür und Angel und versucht sie aufzustemmen, ehe sie ins Schloss fällt. „Warte mal! Lass mich rein!ˮ, höre ich Pascals Stimme. Auch das noch! Wieso rennt er mir nach?! „Verschwinde!ˮ, brülle ich ihn an und stemme mich mit all meinem Gewicht gegen die Tür. Pascal ist nur leider stärker. Zentimeter um Zentimeter drückt sich mir die Tür in den Rücken. Meine Füße rutschen über den Teppich und mit einem heftigen Stoß in den Rücken stolpere ich nach vorn. Pascal kommt ins Zimmer und schließt die Tür. Er sieht mich an und bleibt stehen. Ich lasse mich ergeben auf mein Bett sinken. Die Matatze gibt unter meinem Gewicht ein wenig nach. Pascal kommt auf mich zu und lässt sich neben mir nieder. „Bist du wütend auf mich?ˮ, fragt er und beugt sich leicht vor um mir ins Gesicht sehen zu können. Beschämt schüttele ich den Kopf und blicke stur auf meine Füße. „Die haben alle Fotos gemacht und morgen ist das bestimmt im Internet auf Youtube, Facebook und so...ˮ „Ist doch bloß ein Kuss gewesen.ˮ „Nein, eben nicht!ˮ, fahre ich ihn aufgebracht an. Für ihn mag es nur irgendein Kuss gewesen sein. Für mich nicht. Das war immerhin mein erster Kuss! Als ich ihm das sage, sieht er mich perplex an. Er rauft sich die Haare und sieht sich im Zimmer um. Wahrscheinlich weiß er nicht was er darauf sagen soll. „War er schlecht? Also dein erster Kuss?ˮ, fragt er schließlich. „Stört es dich, dass du von einem Jungen geküsst worden bist?ˮ Ich sehe zu ihm auf und zucke mit den Schultern. „Weiß nicht...ˮ Ich atme tief durch. „Ich wollte nur nicht so geküsst werden, weißt du? Nicht vor allen Leuten.ˮ Meine Zunge verirrt sich in eine Ecke des Mundes und dann fällt mir das grüne Gummibärchen wieder ein. „Ich habe noch das Gummibärchen im Mund.ˮ Pascal grinst. Ich muss lachen und die Anspannung fällt etwas von mir ab. „Gibst du es mir zurück?ˮ, fragt Pascal leise. Ich sehe ihn irritiert an, doch dann wird mir klar was er meint. Verlegen sehe ich ihn an. „Ich meine hier ist es doch okay oder? Nur du und ich. Allein in deinem Zimmer.ˮ Er lächelt und beugt sich vor. „Komm schon, gib es mir zurück.ˮ Belustigt sehe ich ihn an. „Hol es dir doch!ˮ, erwidere ich flachsig und wundere mich selbst über mein Verhalten. Vielleicht ist mein Geburtstag doch nicht so ein Reinfall? „Happy Birthday!ˮ, murmelt Pascal und küsst mich. Er schiebt mir seine Zunge in den Mund, drückt mich in die Laken, spuckt das Gummibärchen in eine Ecke meines Zimmers und widmet sich wieder voll und ganz mir. Ich schlinge meine Arme um seinen Körper und ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen. Einen Jungen zu küssen ist gar nicht mal so übel. „Fabian...ˮ, murmelt er gegen meine Lippen. „Ich habe beim Spiel geschummelt. Ich wollte dich küssen.ˮ Kapitel 19: Letzte Chance ------------------------- „...und dann meinte sie...ˮ Lauro sieht mich an. „Hörst du mir überhaupt zu, Phil?ˮ Er wirkt verärgert. Aus meinen Gedanken gerissen sehe ich zu ihm. Bis eben habe ich hauptsächlich aus dem Fenster gestarrt und die hellen Lichter in der Nacht betrachtet. „Tut mir leid.ˮ Ich starre auf meinen unangerührten Teller. Das Steak wird langsam kalt. Da führt er mich in so einem exqusitien Laden aus und ich kann es nicht einmal richtig genießen. „Also seit der Hochzeit bist du ständig weggetreten. Was ist bloß mit dir los?ˮ Lauro zerschneidet sein Steak und spießt ein größeres Stück mit seiner Gabel auf, die er zum Mund führt. Sein Blick ruht auf mir, während er kaut. „Man könnte meinen du gönnst es mir nicht.ˮ Er schüttelt den Kopf und seufzt. Er schaufelt so viel Gemüse wie möglich auf die Gabel und stopft es sich in den Mund. „Ich fühle mich nur nicht besonders.ˮ Mein Blick wandert wieder zum Fenster. „Du hast mir heute noch kein einziges Mal richtig in die Augen gesehen. Was verbirgst du vor mir?ˮ „Gar nichts!ˮ, wehre ich hastig ab. Lustlos stochere ich in einem Salatblatt herum. „Wir wollten dich eigentlich nächstes Wochenende einladen. Wir wollten eine Weinprobe machen, aber bei deiner Laune verdirbst du uns nur alles.ˮ „Dann fahrt doch alleine hin.ˮ „Da! Schon wieder! Du bist total abweisend! Das kotzt mich an!ˮ, wettert Lauro ungehalten. „Nichts passt dir in den Kram, du schweigst dich aus und lehnst alles ab bei dem meine Frau dabei ist! Mag sein, dass du sie nicht leiden kannst, aber dann sei so gut und zeig das nicht auch noch!ˮ „Halt die Klappe.ˮ „Was?!ˮ Wütend sieht er mich an. „Ich sagte, du sollst die Klappe halten!ˮ, fahre ich ihn ungehalten an und werfe die Gabel scheppernd auf den Teller. „Es geht immer nur um sie! Das kotzt mich an!ˮ Ich erhebe mich von meinem Stuhl, wühle in meinem Geldbeutel herum und werfe einige Scheine auf den Tisch. „Danke für das Essen...ˮ Mit schnellen Schritten gehe ich Garderobe und schlucke hart. Wieso nur kann ich mich in seiner Gegenwart einfach nicht unter Kontrolle halten? „Phil!ˮ Er ist mir also mal wieder nachgerannt. Klar, unsere Freundschaft bedeutet ihm etwas, aber wenn wenigstens etwas mehr dahinter stecken würde. Nur, mehr kann ich nicht mehr verlangen. Dafür ist es einfach zu spät. Er ist verheiratet und ich habe es einfach nicht über mich gebracht, es einfach nicht geschafft ihm zu sagen was ich für ihn empfinde. Es ist zu spät. Es ist meine Schuld, dass ich den Zeitpunkt habe verstreichen lassen. „Phil, warte!ˮ Lauro hält mich am Arm zurück. Ich halte inne als ich mir den Mantel überstreifen will und sehe ihn abwartend an. „Ich will es nur verstehen. Wieso verabscheust du meine Frau so?ˮ „Das tue ich doch gar nicht.ˮ „Du gibst dir aber auch keine Mühe sie kennen zu lernen!ˮ Verärgert sieht Lauro mich an. Ich lächele und lehne mich an die Wand. „Weißt du was ich besonders an dir mag? Du bist genauso groß wie ich. Die perfekte Kusshöhe. Ich muss mich nicht bücken oder mir den Hals verrenken.ˮ Lauro runzelt die Stirn. „Was sagst du da?ˮ „Ich mag dich.ˮ „Klar, ich mag dich doch auch.ˮ Jetzt ist er irritiert. Ich lächele und greife mit der Hand an das Revers seines Anzugs. „Ja, nur sind meine Gefühle für dich stärker als du es je erahnen würdest. Ich werde es dir nicht sagen, nicht jetzt. Dafür ist es zu spät.ˮ Ich halte inne und lasse von ihm ab. „Ich bin eifersüchtig auf deine Frau. Ich verachte sie nicht. Ich ertrage es nur nicht, wenn sie sich in deiner Nähe aufhält, weil du dann nur noch sie siehst und nicht mich. Wenigstens für ein Stunden am Tag möchte ich dich für mich haben und wenn es schon nicht so geht wie ich es mir immer vorgestellt habe, dann... dann weiß ich auch nicht.ˮ Ich trete dich vor ihn und sehe ihm in die Augen. „Ich möchte nur nicht, dass du mich vergisst. Ich bin auch noch hier, Lauro. Du bist es, der mich nicht ansieht.ˮ Ich ringe mir ein letztes Lächeln ab und gehe an ihm vorbei. Ich öffne die Tür des Restaurants und fühle wie mich die kalte Luft umhüllt. Ich schlinge den Mantel fester um mich und gehe den Weg entlang, der zum Parkplatz führt. „Phil!ˮ Auf halber Strecke bleibe ich stehen und sehe zu Lauro. Er steht in der Tür des Restaurants und als er merkt, dass ich mich nicht mehr bewege läuft er zu mir. Außer Atem bleibt er stehen. „Hat das Geld nicht gereicht?ˮ, frage ich ihn genervt. „Ich habe es nicht gewusst.ˮ „Wie auch? Ich habe es immer für mich behalten.ˮ „Wieso? Das ist unfair mir gegenüber!ˮ „Unfair? Du hast doch geheiratet und bist glücklich. Oder etwa nicht?ˮ Lauro greift nach meiner Hand. „Du bist mein bester Freund. Seit der Schulzeit sind wir durch dick und dünn gegangen. Du hättest es mir sagen müssen! Ich habe ein Recht darauf es zu erfahren.ˮ „Nun, gerade hast du es erfahren.ˮ Ich hebe eine Augenbraue und sehe ihn belustigt an, auch wenn mir eigentlich nicht danach ist. „Grins nicht so blöd, wenn dir nicht danach ist!ˮ, murrt Lauro und seufzt. Er atmet tief durch. „Wie lange schon?ˮ „Als wir unsere Ausbildung begonnen haben ist es mir klar geworden.ˮ „So lange also...ˮ Lauro wirkt überrumpelt. Ich kaue auf meiner Unterlippe herum. Meine Mundwinkel ziehen sich herunter und in meinen Augenwinkeln brennt es verdächtig. Ich schniefe und wische mir mit der freien Hand hastig über die Augen. Lauro umarmt mich. Überraschend und fest schließt er mich in seine Arme. Ich schlinge meine Arme um ihn und vergrabe mein Gesicht an seiner Schulter. „Komm mit!ˮ, meint Lauro nach einiger Zeit. Er löst sich von mir und sieht mich mit einem undefinierbaren Blick an. Er umgreift meine Hand und zerrt mich schnellen Schrittes hinter sich her, die Straßen entlang. Ich sehe mich verwirrt um, denn ich habe keine Ahnung wo er hin will. Nach einiger Zeit wird es mir klar. Wir stehen vor einem Hotel. „Was soll das Lauro?ˮ, frage ich ihn. Ich fühle mich etwas unbehaglich und weiß nicht was er damit bezweckt. Will er mich verarschen? Mich demütigen? Mir zeigen was ich niemals haben kann? Lauro schleift mich ins Hotel. Wir haben Glück. Es gibt ein freies Zimmer mit Doppelbett. Lauro nimmt die Schlüsselkarte entgegen. Wir gehen zum Fahrstuhl, steigen ein und fahren in unser Stockwerk. Kurz darauf stehen wir vor der Tür. Mir ist ganz flau im Magen. Ich weiß nicht ob ich mich freuen soll oder ob all das hier nur eine Farce ist. Lauro schließt die Tür auf. Mit weichen Knien folge ich ihm und schließe die Tür hinter mir. Das Zimmer ist nicht sehr groß. Es gibt ein Doppelbett, eine kleine Ecke mit Tisch und Stuhl sowie einem Telefon und einigen Broschüren. In der anderen Ecke gibt es neben dem Fenster eine Sitzecke. Das Badezimmer grenzt an das Schlafzimmer an. Lauro entledigt sich seiner Jacke und setzt sich auf das Bett. Unschlüssig bleibe ich im Raum stehen. „Es gab eine Zeit, da war ich neugierig. Verstehst du? Ich wollte so einiges ausprobieren in sexueller Hinsicht.ˮ Stumm blicke ich zu ihm. „Für kurze Zeit, das war während der Schulzeit, da war mein Verlangen schwer zu ertragen. Manchmal war ich drauf und dran dich zu fragen es mit mir auszuprobieren, aber ich habe jedes Mal einen Rückzieher gemacht. Ich war nicht in dich verliebt. Ich wollte nur mit dir schlafen. Ich würde es jetzt noch mit dir tun, Phil.ˮ „Du bist verheiratet.ˮ „Ja und deswegen gebe ich dir nur diese eine Chance. Diese eine Nacht. Heute Nacht schlafe ich mit dir. Danach, also danach... shit! Ich weiß nicht was danach kommt, aber ich biete dir eine einmalige Chance. Ich werde meine Frau nicht für dich verlassen, dass könnte ich nicht, aber heute Nacht, wenn du es willst, gehöre ich dir.ˮ Ernst sieht Lauro zu mir auf. Langsam gehe ich zu ihm, bleibe stehen und hebe meine Hand. Ich streiche ihm über die Wange und kann kaum klar denken. Was wir hier tun ist falsch. Er hat eine Frau, die Zuhause auf ihn wartet. Andererseits. Es ist ja nur eine Nacht. Eine sündige Nacht. Weiter nichts. Und dann? Was kommt dann? Ich kann meine Gefühle für ihn nicht so einfach verdrängen. Dafür liebe ich Lauro viel zu lange. Er treibt es mit mir, kehrt dann in sein normales Alltagsleben zurück und lässt mich mit all meinen Problemen im Stich. „Du zögerst...ˮ, stellt Lauro fest. „Du willst also nicht.ˮ „Doch...ˮ Meine Stimme klingt ganz rau. Ich räuspere mich hastig. Lauro steht auf und schiebt seine Hände an meinem Oberkörper hinauf. Er lässt sie unter meinen Mantel gleiten und streift ihn mir von den Schultern. Der schwere Stoff fällt zu Boden. Wir stehen nahe beieinander. Ich spüre seinen Atem auf meinem Gesicht. Lauro entledigt sich seiner Jacke und den Schuhen. Er zieht sein Sakko aus und knöpft sein weißes Hemd auf. Ich greife nach seiner Krawatte und löse den Knoten. Ich ziehe ihn an der roten Krawatte näher zu mir heran. Unsere Lippen finden zueinander. Ich schließe die Augen und küsse ihn erst zögernd, dann eindringlich und fordernd. Lauro wehrt sich nicht. Meine Hand streift über seine Haut, während er mir Sakko und Hemd auszieht. Seine Hände bleiben am Hosenbund hängen. Ungeduldig öffnet er Knopf und Reißverschluss. Ich lasse ihn machen, konzentriere mich ganz auf den Kuss und lasse mich von ihm aufs Bett ziehen. Ich komme auf ihm zum Liegen und küsse ihn innig. Meine Arme um seinen Oberkörper schlingend sehe ihm in die Augen. Er grinst schelmisch und seine Hand streicht verlangend über meine Brust. Diese eine Nacht habe ich ihn ganz für mich allein. Ich schlucke und mache mich hastig an seiner Hose zu schaffen. Meine Hände zittern ein wenig vor Aufregung. Kein Wunder, bei dem Schlafzimmerblick den Lauro mir gerade, ganz der verführerische Italiener, zuwirft. Und dann spüre ich ihn, halte ihn fest in den Armen und passe mich dem Rhythmus seiner Bewegugen an. Mir ist heiß und unser Atem geht stoßweise. Ich suche seinen Blick, küsse seine Lippen, seine Haut und lausche seinem Keuchen und Stöhnen. Wie ein Ertrinkender suche ich Halt an ihm, greife nach seinen Schultern und klammere mich an seinem Leib fest. Immer wieder versuche ich mir in Erinnerung zu rufen, dass es nur für diese eine Nacht ist, aber die Lust nimmt Überhand und lässt es mich immer wieder vergessen. Dann kommt der Morgen und die Realität holt uns wieder ein. Als ich aufwache ist er nicht mehr da. Das Bett ist leer. Geblendet von den Sonnenstrahlen die ins Zimmer scheinen verstecke ich mein Gesicht im Kissen. Die Traurigkeit, die mich überfällt ist kaum in Worte zu fassen. Wie soll ich diese Leere nur jemals füllen? Wie soll ich über ihn hinweg kommen nach dieser Nacht? Wenn ich ihn jeden Tag aufs Neue sehe? Zusammen mit seiner Frau? Ich brülle laut ins Kissen. So laut, dass es schmerzt. Matt und erschöpft bleibe ich liegen, drehe mich auf den Rücken und setze mich mit einem Ruck im Bett auf. Vom Bad her höre ich tapsende Schritte. Die Tür geht auf. Lauro stürmt ins Zimmer. „Alles okay?ˮ, fragt er verwirrt. „Du hast geschrien!ˮ Er ist nackt und nass. Ich kann nicht anders und muss bei seinem Anblick lachen, aber ich bin mächtig froh, dass er noch da ist. Er setzt sich zu mir an die Bettkante und lehnt seine Stirn an meine. „Wie geht’s jetzt weiter?ˮ, frage ich leise mit halbgeschlossenen Augen. „Keine Ahnung, aber wir finden schon eine Lösung. Das hoffe ich zumindest.ˮ Lauro sieht mir in die Augen, ich tue es ihm gleich. „Ich bleibe an deiner Seite. Wir stehen das durch. Wie war das noch? Wir gehen durch dick und dünn.ˮ „Ja, okay. Such mir einen gutaussehenden Lover.ˮ Lauro sieht erst empört drein, dann lacht er herzhaft. Er schließt mich in die Arme und streicht mir über den Rücken. Ich schmiege mich an ihn. Das hier will ich genießen. Noch ein paar Minuten, dann kehre ich zurück in die bittere Realität, aber bis dahin, nehme ich mir die Zeit mit ihm. Solange es eben geht, solange bis ich ihn seiner Frau zurückgeben muss. Kapitel 20: Versprechen am Strand --------------------------------- „Wow, da haben wir mal schönes Wetter und sind am Strand und dann so etwas!ˮ Loana baut sich vor uns auf. Ihre langen blonden, leicht gewellten Haare wehen im Wind und in ihrem knappen Bikini ist sie ein echter Hingucker. Na ja, für alle Männer die nicht schwul sind. Ich nehme meine Sonnenbrille herunter und warte auf ihre Predigt, doch dann kommt Selena an und will wissen was los ist. „Ich meine, wir verbringen den Tag am Strand und dann sieh' dir diese beiden Idioten an! Ewan hängt in viel zu warmen Klamotten herum, noch dazu in Schwarz und sieht aus als bereite er sich für den Winterschlaf vor und Pete liest ein Buch nach dem anderen! Sag mal, wie viele Bücher hast du da mitgebracht? Jungs! Wir sind am Strand! Sommer, Sonne, Meer! Hallooooo?!ˮ Loana baut sich anklagend vor uns auf. Pete zuckt nicht mal mit der Wimper, viel mehr beginnt er seine Bücher zu zählen. Wir beide haben uns in einem Strandkorb verkrümelt und haben auch nicht vor ihn so schnell zu verlassen. Ich mag diese Hitze nicht. Schwitzen ist unerträglich und ich bekomme immer viel zu schnell einen Sonnenbrand. Also bewege ich mich lieber gar nicht aus dem Schatten heraus. Pete ist auch nicht wirklich in Stimmung. Er liest lieber seine Bücher und hat sich an mich gelehnt. Träge blicken wir zu den beiden Mädchen auf. Selena greift nach Loanas Arm. Die brünette Schönheit versucht sie zu besänftigen. „Lass doch die beiden Spaßbremsen, dann haben eben nur wir unseren Spaß.ˮ Sie zieht Loana mit sich zum Wasser. Ich seufze und setze meine Sonnenbrille wieder auf. „Sieben Bücher sind doch nicht viel oder?ˮ, fragt Pete mich mit hochgezogener Augenbraue. „Ich lese die doch zurzeit alle parallel.ˮ „Du brauchst dich nicht zu rechtfertigen. Loana ist nur angepisst, weil wir nicht mit ihr im Wasser spielen.ˮ „Hm...ˮ Pete sieht zu unseren Freundinnen. „ Sollen wir zu ihnen gehen?ˮ „Mir ist nicht danach.ˮ „Ein bisschen Farbe im Gesicht könnte dir mal ganz gut tun, Ewan.ˮ Pete beugt sich zu mir vor und grinst schelmisch. „Rote Farbe oder was? Ich sehe danach doch aus, als hätte man mich zu lange auf der Pfanne brutzeln lassen.ˮ „Ich creme dich auch ein.ˮ Pete greift zu seinen Füßen nach einer Tube mit Sonnencreme. Seufzend richte ich mich auf und ziehe mir den enganliegenden Pullover aus. Auch das dünne Shirt landet in der Ecke des Strandkorbes hinter mir. Als Pete sich über die Lippen leckt kann ich mir gut denken, woran er gerade denkt. Er verteilt die Sonnencreme auf seinen Händen und reibt meine Haut damit ein. Sie fühlt sich angenehm kühl an. Petes Hände gleiten über meinen Hals, die Schultern entlang und an den Armen herunter. Besonders viel Zeit lässt er sich bei meinem Oberkörper. Er reibt meinen Bauch ein und hält inne als ich mir die Hose ausziehe. Etwas linkisch versucht er mit den Armen hinter mich zu greifen und meinen Rücken ebenfalls einzucremen. Spielerisch beißt er mir dabei in den Nacken, so dass ich kurz erschreckt zusammen zucke. „Du genießt das, was?ˮ, frage ich ihn neckend. „Aber so was von!ˮ Er grinst belustigt und zupft an meiner Badehose. „Schade, dass ich dir die hier nicht ausziehen darf.ˮ „Zuhause!ˮ Ich lächele frech und strecke ihm die Zunge heraus. Mit Schmollmund bearbeitet er mein linkes Bein, während ich fix das Rechte eincreme. Anschließend helfe ich Pete beim Eincremen. Seine Haut ist angenehm warm und glatt. Er dreht mir den Rücken zu und ich kann nicht anders, als ihn von hinten zu umarmen. Mein Kinn bette ich auf seine Schulter und schließe für einen kurzen Moment die Augen. „Bist du gerade am Einschlafen?ˮ, fragt Pete nach einer Weile lachend. „Mhm...ˮ, gebe ich träge von mir. Er dreht seinen Kopf zu mir herum, so weit wie möglich und sieht mir in die Augen. „Wir sollten heute Abend noch mal hierher kommen. Ich setze mich auf deinen Schoß und wir spielen hoppe, hoppe, Reiter.ˮ Er grinst anzüglich. Ich pruste los vor lachen und lasse von ihm ab. „Du Spinner!ˮ Ich gebe ihm einen Klaps auf den Hinterkopf und stehe auf. Lächelnd reiche ich ihm die Hand, welche er ergreift und ziehe Pete hoch. Er folgt mir zum Wasser. Die salzige Meeresluft zerzaust unsere Haare. Der Sand unter meinen Füßen ist warm und bleibt zwischen meinen Zähen hängen. Selena winkt uns stürmisch zu und kaum sind wir bei den Mädchen angekommen bespritzt Loana uns mit Wasser. Ich laufe zu ihr, umgreife sie und schwinge sie im Kreis drehend durch die Luft. Loana kreischt und quietscht belustigt, ehe ich sie einfach ins Wasser fallen lasse. Sie taucht prustend auf und wirft sich auf mich. Wir fallen platschend ins Wasser und kaum bin ich wieder an der Oberfläche, stürzt sich auch schon Selena auf mich und springt mir beherzt von hinten auf den Rücken. Rettend flüchte ich mich nach einer weiteren Bruchlandung zu Pete, der seine Hände um meinen Nacken schlingt und mich einfach so küsst. Klatschnass stehen wir im Wasser und kümmern uns nicht um die Leute um uns herum. Ich ziehe ihn näher an mich heran und grinse gegen seine Lippen. Ohne die Brille kann Pete zwar nicht so gut sehen, aber er sieht definitiv noch eine Spur attraktiver aus. Ohne Vorwarnung lasse ich mich einfach nach hinten ins Wasser fallen. Pete gibt noch einen empörten Laut von sich, ehe wir untertauchen. Die lauten Geräusche am Strand verstummen und gerade als ich einen Unterwasserkuss mit ihm versuchen will, packt mich jemand am Arm und zieht mich zurück an die Wasseroberfläche. Kurz komme ich zu Atem als Selena mich frech wie sie ist gleich wieder unter Wasser drückt, ehe sie mich endlich frei lässt. Ich schnappe nach Luft wie ein zappelnder Fisch an Land und räche mich sofort bei ihr indem ich sie kurz untertauche. Nach einiger Zeit löst sich die Gruppe auf. Die Mädchen flirten mit einigen Jungs, Pete schwimmt noch eine Runde und ich gehe den Strand entlang zu einem Stand mit Eis. Ich besorge mir eine Waffel mit Schlumpfeis und sehe den gefüllten Strand entlang. War doch keine schlechte Idee hierher zu kommen. Nachdem ich mein Eis verschlungen habe besorge ich noch drei weitere Sorten mit verschiedenen Geschmacksrichtungen und kämpfe mich durch die Menschenmassen zurück zu meinen Freunden. Ich lasse mich in den Strandkorb fallen und reiche den Mädels ihr Eis, als sie zu mir gelaufen kommen und es mir regelrecht entreißen. Als Pete sich endlich wieder zu uns gesellt habe ich sein Vanilleeis beinahe gänzlich vertilgt. Schmollend lässt er sich vor mir zu Boden in den Sand fallen und lehnt seinen Kopf auf meine Knie. Ungerührt lecke ich weiter an dem Eis. „Du bist fies!ˮ, jammert Pete. „Tja, wer konnte denn nicht aus dem Wasser kommen?ˮ, frage ich ihn dreist. Dann bin ich aber gnädig und strecke ihm das Eis entgegen. Zumindest das was noch davon übrig ist. Ich sehe zu wie er das Eis ableckt und lecke mir dabei sofort angetan über die Lippen. Wieso sieht das bei ihm nur immer so verführerisch aus? „Ewan, du siehst aus als würdest du lieber Pete als das Eis vernaschen wollen!ˮ, neckt mich Selena, die neben mir im Strandkorb sitzt. Auch Loana grinst breit. Sie lehnt an unserem Unterstand und leckt genüsslich ihr Erbeereis ab. Ich beuge mich vor und sehe Pete unverhohlen beim Essen zu. Er zieht zwar eine Augenbraue hoch, lässt sich allerdings nichts weiter anmerken. Seufzend lasse ich mich wieder zurücksinken. „Na, ob du noch mal braun wirst?ˮ Selena zupft an meinem Arm herum. „Du siehst aus wie eine Leiche.ˮ „Muss ja nicht jeder so aussehen als käme er aus dem Solarium.ˮ Angriffslustig sehe ich sie an. Selena gibt mir einen harten Tritt ans Bein, wobei ich es so schnell zurückziehe, dass ich Pete beinahe das Eis aus der Hand trete. Ärgerlich sieht er mich an. Ungerührt zucke ich mit den Schultern und tue so als sei nichts geschehen. „Komm, Selena! Lass uns noch mal zu den Jungs gehen. Die waren süß!ˮ Loana sieht ihre Freundin auffordernd an, die sich langsam erhebt und uns nur kurz zuwinkt. Pete und ich sehen den Mädchen nach. „Weg sind sie.ˮ „Lassen ihre allerbesten Freunde einfach zurück.ˮ „Dabei wollten sie uns heute unbedingt dabei haben.ˮ „So viel zu unserer tiefen Freundschaft.ˮ Pete und ich sehen uns grinsend an. „Auch gut, dann habe ich jetzt mehr von dir.ˮ Ich beuge mich vor, nachdem Pete auch die Waffel verschlungen hat und küsse seine süßen Lippen. Sie schmecken noch nach Vanille. Er lässt sich von mir auf den Schoß ziehen und lacht. „Wie war das noch mit hoppe, hoppe, Reiter?ˮ, fragt er breit anzüglich. Lächelnd küsse ich ihn und schlinge meine Arme um seinen Leib. Pete schmiegt sich an mich und mittlerweile wünsche ich mir auch, dass wir endlich ganz allein sind. Ich würde zu gerne ein paar nicht gerade jugendfreie Dinge mit ihm anstellen. „Weißt du, ich konnte mir nie vorstellen mit dir zusammen zu sein. Ich meine, du bist eine Brillenschlange und ich Mr. Obercool.ˮ Pete lacht. „Von wegen! Du hast nur niemanden an dich herangelassen. Du bist total schüchtern! Ich habe auch echt viel Mut gebraucht um dich anzusprechen. Ich war verdammt verknallt in dich!ˮ „War? Etwa nicht mehr?ˮ, frage ich ihn empört. „Na ja...ˮ Pete druckst herum. Sein Mund ist auf höhe meines Ohres als er mir zuflüstert: „Jetzt bin ich in dich verliebt.ˮ „Ja, ich weiß! Ich bin einfach unwiderstehlich!ˮ Grinsend drücke ich ihn fest an mich. „Idiot!ˮ, gibt Pete von sich. „Irgendwann heirate ich dich mal.ˮ Pete rückt von mir ab und sieht mich verblüfft an. „Wie jetzt? Echt?ˮ „Klar doch. Ich stehe zwar nicht so auf Eheringe, aber ich denke Handschellen tun es auch oder?ˮ Pete lacht herzhaft. „Du spinnst doch.ˮ „Ich schenke dir auch 'ne Menge Kinder.ˮ Mit den Wimpern klimpernd sehe ich zu Pete auf, der sich vor Lachen kaum noch einkriegt. „Du kriegst doch keine Kinder!ˮ „Na, hier sind doch lauter Kinder. Wir nehmen einfach ein paar mit.ˮ Pete krümmt sich vor Lachen. Ich lächele und stoße leicht mit der Faust an seine Stirn. Mit tränenden Augen sieht Pete zu mir. „Was würde ich nur ohne dich machen?ˮ, fragt er belustigt. „Hm, Bücher lesen, masturbieren,...ˮ, zähle ich mit den Fingern auf. Pete kichert und boxt mir gegen den Arm. „Ich dachte, ich wäre hier der Romantiker von uns beiden?ˮ, fragt er grinsend. Ich verziehe meinen Mund, greife nach einem der Bücher und halte es ihm vor die Nase. „Du liest BDSM-Bücher mit schwulen Männern! Was ist daran romantisch?ˮ Pete zuckt unbeteiltigt mit den Schultern. Dann grinst er wie ein Honigkuchenpferd. „Du willst mich also mal heiraten?ˮ „Na ja, jetzt wo es überall erlaubt wird, warum nicht?ˮ Pete schürzt die Lippen und sieht dabei aus wie eine Ente. Nur mit Mühe kann ich ein Lachen unterdrücken. Auf seine Wangen hat sich eine kaum merkliche Röte geschlichen. „Wir heiraten also in Handschellen und stehlen ein paar Kinder.ˮ „Alles für den guten Zweck.ˮ Pete grinst schelmisch. „Ich glaube, darüber schreibe ich eine Geschichte.ˮ „Mit BDSM?ˮ „Unbedingt!ˮ Pete beugt sich vor und küsst mich verlangend. Ich schlinge meine Arme um ihn und spüre ein heftiges Kribbeln in meinem Bauch. Keine Ahnung ob wir in naher Zukunft immer noch zusammen sind, aber jetzt und hier will ich es genießen und ihm nahe sein. Und mal ganz ehrlich: ich will ihn heiraten! Wer also ist der Romantiker von uns beiden?! Ich lache und richte mich auf. „Komm, wenn wir schon hier sind, müssen wir noch unsere Mädels einfangen und ihnen verklickern, dass du bald in Handschellen abgeführt wirst!ˮ „Nooooo~ˮ, jammert Pete lachend und rennt mir hinterher, den Strand entlang. Unsere Finger fest miteinander umschlungen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)