Als wir Kinder waren von KarliHempel ================================================================================ Kapitel 1: Erinnerung --------------------- Als wir Kinder waren Ich lief aufgeregt den Gang entlang zum Speisesaal. Ein neuer Junge sollte heute in dieses Kinderheim kommen, dass sich selbst „Privatschule mit Internat“ nannte. Immer wieder rutschte mir die große Sonnenbrille von der Stirn auf die Nase und ich schob sie zurück in meine Haare. Vor dem Speisesaal hielt ich an, atmete kurz durch und lauschte vorsichtig an der Tür. Hören konnte ich nichts, doch ich wusste, dass sich Personen dahinter befanden. Ich kniff meine Augen zusammen um die Gedanken unseres Heimleiters zu hören, doch alles was ich Sekunden später hörte, war die Tür und ein Räuspern. Vorsichtig öffnete ich ein Auge und grinste den hochgewachsenen Mann an. „Du sollst doch nicht lauschen!“, kam es mahnend von ihm, ehe er sich zu mir hockte und mir durch die langen Haare strich. „Du bist ein talentierter Junge, Schuldig. Dennoch darfst du nicht einfach lauschen, wenn sich andere unterhalten“ Ich nickte und schielte dann um die Tür. Der Neue saß auf einem Hocker und seine Füße hingen etliche Zentimeter über dem Boden. Ich fragte mich, wie er wohl da rauf gekommen war. „Ist er das?“, fragte ich neugierig und erntete ein zustimmendes Geräusch. „Willst du ihm hallo sahen?“ Schnell nickte ich und rannte zu dem Jungen. Er blickte mich erst erschrocken dann skeptisch an. „Mein Name ist Schuldig. Und wer bist du?“, fragte ich unter einem breiten Lächeln und hielt ihm eine Hand hin. Mit mehr Eleganz, als ich es ihm zugetraut hatte, rutschte der Neue von dem Hocker und verbeugte sich etwas vor mir. „Mein Name ist Ran“, kam es leise von ihm. Ich begann zu grinsen und umarmte ihn herzlich. „Willkommen, bei den ungewollten Kindern!“, lachte ich und bemerkte, wie er die Luft anhielt und starr wurde. „Schuldig! Ran ist Japaner. Körperliche Nähe ist nichts, was man bei ihnen unter Fremden austauscht.“, hörte ich den Mann sagen und löste mich etwas von Ran. Er versuchte seine Verlegenheit zu verbergen, doch ich konnte hören, wie seine Gedanken rasten. „Es muss dir nicht peinlich sein!“, kicherte ich und machte einen Schritt von ihm. „Besser?“ Ich legte meinen Kopf leicht schief und grinste ihn wissend an. Er nickte, dann blickte er zu dem Mann empor. „Ich danke Ihnen, dass sie mich aufnehmen, Herr Iljin.“, meinte er ruhig und verbeugte sich vor ihm. Den Namen des Heimleiters konnte oder wollte ich mir einfach nicht merken. Mir reichte zu wissen, dass er Russe war, streng sein konnte und gute Geschichten erzählte. Kalte Schale, warmer Kern. Oder so. Er hatte mir einmal von Väterchen Frost erzählt, als es ganz fürchterlich geschneit hatte. „Aber ich bin Deutscher. Bei uns umarmt man sich eben, wenn man sich mag!“, berichtigte ich und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Die große Sonnenbrille fiel mir dabei erneut auf die Nase. Nun grinste ich breit um meine eigene Verlegenheit zu verbergen und tat, als ob ich es genau so geplant hatte. „Komm Neuer! Ich zeig dir alles!“, gab ich gutmütig von mir und schritt voran. Die schnellen Schritte hinter mir nahm ich amüsiert zur Kenntnis. Ich lief langsamer um dem Neuen Zeit zulassen sich umzusehen. Ich blickte mit noch immer hinterm Kopf verschränkten Armen hinter mich, über die Ränder der Sonnenbrille. Der Neue blickte mit ausdruckslosen Augen auf den Boden. Ich begann zu grinsen. „Wenn du nicht aufpasst verläufst du dich irgendwann“, begann ich, blickte erst nach vorn, dann schloss ich meine Augen und legte den Kopf etwas in den Nacken um theatralisch zu seufzen. „Und ich habe so gar keine Lust dir alles zweimal erzählen zu müssen.“, beklagte ich mich und schielte aus dem Augenwinkel zu ihm. Er nickte. „Ich habe ein gutes Gedächtnis.“, meinte er und blieb plötzlich stehen. Er starrte in den Raum zu seiner Linken. Ich drehte mich zu ihm um und beobachtete ihn eingehend. Seine Gedanken waren geradlinig und er schien auf etwas in dem Raum fixiert. Langsam ließ ich meine Arme sinken und steckte meine Hände in die Taschen meiner Hose. Ich trat an ihn heran und blickte in das Zimmer. Zwei Jugendliche kämpften mit Holzschwertern und in Rüstungen gegeneinander. Ich hatte zwar den Namen des Sportes schon einmal gehört, doch waren Namen für mich einfach nicht wichtig. Schelmisch grinste ich ihn an. „Du willst wohl auch mal das Schwert schwingen? Dann nenn ich dich ab jetzt Killer.“, kicherte ich, doch er schien wie in Trance. Seine Augen bekamen einen sehnenden Glanz. „Ich kann das.“, gab er leise von sich und trat in den Raum ein. Die Jungs beendeten ihr Training und sahen auf den Neuen herunter. Mit wenigen Blicken war klar, der Neue würde seine Chance bekommen. Er erhielt ein Holzschwert und eine dieser Masken von dem einen Jungen, der Andere kniete sich hin um mit dem Kind ungefähr auf Augenhöhe zu sein. Interessiert lehnte ich mich an die Ecke der Tür und beobachtete. Die Jungs blieben still, doch in ihren Gedanken spotteten sie über den Kleinen. Der jedoch war vollkommen konzentriert. Seine Gedanken waren klar, ruhig, wie Eis. Spiegelglatt, kam es mir in den Sinn und eine leichte Gänsehaut zog sich über meinen Arm. Ruhe legte sich in den Raum, als der Neue das große Schwert über seinen Kopf hob. In den Gedanken der Jugendlichen hörte ich schallendes Gelächter und ich unterdrückte ein Knurren. Solche Zwiespältigkeit in Denken und Handeln war mir nicht neu. Ich kannte das nun schon seit knapp eineinhalb Jahren. Doch ärgerte es mich noch immer. Warum konnte man nicht einfach sagen, was man dachte? Warum konnte man nicht ehrlicher zu einander sein? Warum konnte man nicht mehr wie ich sein? Ich machte keinen Hehl daraus, dass mich Namen und langweilige Menschen nicht interessierten. Ich sagte, was ich dachte und dachte, was ich sagte. Wie ein Blitz traf mich ein Gedanke und ich sah auf den Neuen. Mit einer Kraft, die ich so nicht erwartet hatte hieb er auf den Jugendlichen ein. Dieser stand auf, wollte sich so vor den kraftvollen Schlägen retten. Doch wurde er immer weiter über die Matte gedrängt. Der Kleine trat hinter die Beine des Größeren, stieß ihn mit der Schulter an und brachte ihn so zu Fall. Ran stellte sich auf seinen Bauch und hielt ihm das lange Holzschwert an den Hals. Mein Mund stand offen und ich starrte Ran an. Diese Kraft. Diese Präzision. „Alter. Du wurdest von einem Fünfjährigen besiegt.“, kam es mit Unglauben von dem Anderen. Endlich mal etwas Ehrlichkeit von ihm. Ich schnappte einen anderen Gedanken auf. Der Besiegte wollte Ran eine Lektion erteilen, ihm den Hintern versohlen und Rache üben. Schnell kam ich zu ihnen, schnappte Ran an den Schultern und zog ihn Richtung Tür. „So ein Pech. Es ist schon so spät. Wir werden erwartet.“ Es war nicht gelogen. Wir wurden in Rans Zimmer erwartet. Träge setzte Schuldig sich auf und rieb sich die Augen. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass er gerade einmal vier Stunden geschlafen hatte. Seine Laune war am Tiefpunkt angekommen. Er schwang die Beine aus dem Bett. Er träumte viel. Schon immer. Es war seine Art mit den fremden Gedanken zurecht zu kommen. Doch von seiner Kindheit hatte er schon lange nicht mehr geträumt. Es ärgerte ihn. Er zog sich ein Shirt und eine dünne Stoffhose an. Der Sommer war zu heiß für zu viel Kleidung. Er setzte sich die Sonnenbrille in die Haare und begab sich in die Küche. Ohne ein Gruß schnappte er sich eine Tasse und goss sich Kaffee ein, ehe er sich an den Tisch setzte und schnaufte. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Brad etwas über die Zeitung und dann zur Uhr geschielt hatte. Auch Schuldig blickte an die Uhr. Sieben Uhr zwölf. Viel zu früh. So früh stand er doch sonst nicht auf. Er schlürfte an seinem Kaffee. Bei jedem Schluck lauter. Sollte ruhig jeder in der Villa mitbekommen, dass er mies gelaunt war. „Hör auf damit, das nervt!“, kam es von Brad, der seine Zeitung niederlegte und ihn mahnend ansah. Der Deutsche hingegen bedachte ihn mit einem gelangweilten Blick. „Siehst du in deiner Kristallkugel, dass ich nächster Zeit damit aufhöre?“, fragte er zurück. Brads Blick wurde dunkler. „Nein...“, fing er an, wurde jedoch von Schuldig unterbrochen. „Warum versuchst du es mir dann auszureden?“, wollte er wissen. Seine Stimme klang genervt. Der Amerikaner richtete seine Brille und räusperte sich. „Wir bekommen es bald mit einer gegnerischen Gruppe zu tun.“, begann er. Schuldig hatte seine Tasse abgestellt, hob nun die Arme gelangweilt über den Kopf und wackelte mit den Händen. „Juhu!“, rief er sarkastisch, lies die Arme fallen und schlürfte erneut an seinem Kaffee. Ihm war an diesem Morgen einfach alles uninteressant. Er war genervt und gelangweilt. Blöde Kombination. „Ein nerviges Geräusch!“, kam die ruhige Stimme Nagis an sein Ohr, ehe seine Tasse aus seiner Hand schwebte und in der Mitte des Tisches abgestellt wurde. „Sag ich ja.“, bemerkte Brad und versteckte sich wieder in seiner Zeitung. Schuldig knurrte ungehalten. „Ach leckt mich doch...“, maulte er in seiner Muttersprache und verschränkte bockig die Arme vor der Brust. „Nagi, gib ihm den Kaffee wieder, sonst beleidigt er uns den restlichen Tag auf deutsch.“, erklang die Stimme hinter der Zeitung. Die Tasse schob sich über den Tisch zu dem Langhaarigen, der sie mit übertriebenen Geräuschen leerte und geräuschvoll abstellte. „Ich brauche frische Luft.“, meinte er und erhob sich. Mürrisch stapfte Schuldig aus der Küche. Ein :“Aber bring keinen um!“, begleitete ihn. Er warf die Haustür zu und atmete durch. Mit den Händen in den Taschen spazierte er in die Stadt. In der Fußgängerzone ließ er seinen Geist abschweifen. Er schnappte etliche Gedanken auf ohne sie sich zu merken. Es beruhigte ihn und nahm ihm seinen Ärger. Allmählich konnte er darüber nachdenken, warum er von dem Heim geträumt hatte. Er ließ sich auf eine Parkbank nieder und schob die Sonnenbrille auf die Nase. Es hatte lange gedauert, bis sie ihm gepasst hatte. Ein Lächeln zog sich über seine Lippen. Die Sonne schien und er genoss die Gedanken, die ihn durch wuschen und Alles, was ihm nicht gefiel, mit sich nahmen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)