Mogelpackung von Aislynn (Sasuke/Sakura) ================================================================================ Kapitel 9: Donnerschlag ----------------------- [Montag, 13 Juli, 18:42 Uhr] Was Sakura bei ihrer Rückkehr nach Hause erwartete, waren keine alten Bekannten, sondern der angesäuerte Ruf ihrer Mutter, sobald das Mädchen die Tür ins Schloss hatte fallen lassen: "Sakura? Bist du das?" Sie seufzte bedrückt auf und meldete sich widerwillig mit einem "Ja," wohl wissend, dass sie in Schwierigkeiten steckte. "Würdest du bitte herkommen? Ich muss mit dir reden." Ach, was ein Wunder. Sie wollte endlich mal mit ihr reden. Sakura konnte die Bitterkeit dieses Gedanken fast auf der eigenen Zunge schmecken und es brachte ihre Stimmung abrupt dazu, in Gereiztheit umschlagen, sodass sie sich nicht mal die Mühe machte, ihre Schuhe auszuziehen, als sie in Richtung der edel eingerichteten Küche stampfte. Ihre Mutter erblickte sie dort, Nagasawa Yukiko stand in aller Strenge an dem reich gedeckten Tisch. Harter Blick, zierliche, in schmale Hüften gestemmten Hände, angespannte Gesichtsmuskeln... Sakuras Konturen und Haltung versteiften sich im Echo daran ebenfalls sofort. Ein Sturm war im Anmarsch. "Dein Schulleiter hatte angerufen, er sagte, du hattest jemanden geschlagen? Und dann bist du aus dem Nachsitzunterricht ausgerissen?" Es fiel Yukiko sichtlich schwer, ihre melodische Stimme nicht über Zimmerlautstärke anzuheben, insbesondere da ihre Tochter stur und teilnahmslos an ihr vorbei auf die sauber glänzende Tischplatte starrte. "Ich habe alle deine Freunde angerufen und die halbe Stadt in der Suche nach dir abgefahren." Ein Kampf gegen die innere Verstimmung, den Yukiko verlor, als sie schließlich doch zunehmend lauter wurde. "Niemand wusste, wo du bist! Sakura, kannst du dir überhaupt vorstellen, wie besorgt ich war?!" Sie atmete gezwungen aus in einem vagen Versuch, sich wieder zu beruhigen, während ihr Kind einfach nur dastand, still und unbeweglich. Nur zuhörend. "Was ist in der Schule passiert? Wo warst du die ganze Zeit gewesen?" Wieder nichts, nur störrische Wortlosigkeit. Kein Augenkontakt, nur eine düstere Miene auf dem filigranen Gesicht, dessen Schönheit sicherlich ein Erbe. Die selbe Schönheit, die auch der Mutter gebührte, auch wenn ihr hübsches Gesicht momentan durch Verzweiflung und Sorge verzerrt war. Sie begriff sehr gut, dass sie ihr Kind einfach nicht mehr erreichte. Seit einer langen Zeit nicht mehr. Es schien als driftete es immer weiter von ihr weg und die meisten Gründe dafür... wusste sie. Die ehemalige Frau Haruno schüttelte den Kopf und presste eine Hand gegen ihren Mund, dämpfte somit ein Flüstern und ein schweres Seufzen gegen die Handfläche. "Du hast solch ein Glück, dass dein Vater heute morgen auf Geschäftsreise ging. Dass er nichts hiervon erfahren hatte." In diesem Moment hob Sakura abrupt den Kopf, ein jähzorniges Aufblitzen erleuchtete ihre hellgrünen Augen. "Er ist nicht mein Vater," zischte sie erbost, was ihre Mutter zum hilflosen Anstarren bewegte. "Hör auf, das zu sagen!" Sie war nunmehr fast am Schreien und einmal mehr, wie all die Male zuvor, begriff Sakura mit schmerzvoller Verzagtheit, wie sinnlos das alles hier war. "Hör auf, ihn ständig zu verärgern! Warum musst du ihn immer wieder provozieren?!" So viel Verzweiflung in jener Stimme, so viel Unverständnis und das machte Sakura im Gegenzug umso wütender. Warum? Warum?! Sie fragte wirklich nach dem gottverdammten warum?! "Weil ich ihn hasse!" Das scharfe Lufteinziehen ihrer Mutter ignorierend, gab es für sie letztendlich kein Halten mehr. Sie hatte schon zu oft geschwiegen und alles, was sie mühevoll in sich verschloss, immer und immer wieder, brach mit einem Schlag aus ihr heraus. "Ich hasse dieses Haus, ich hasse diese Umgebung, ich hasse diese Schule! Ich hasse dieses Leben, das wir führen, Mutter!" Besagte Frau war in zwei schnellen Schritten bei ihr und der scharfe Hall der Ohrfeige vibrierte durch den Raum sowie durch Sakuras Wange, die augenblicklich rot und von einem brennenden Schmerz eingehüllt wurde. "Hör auf!" Jetzt schrie ihre Mutter wirklich, und jede Silbe schlug durch Sakuras Brust hindurch, wie sadistische Gewehrkugel, die sie nicht umbringen, sondern ihr nur weh tun würden, ganz egal, wie oft sie ihr Herz trafen. "Hör auf, so egoistisch zu sein! Du, du, du! Mein ganzes Leben dreht sich seit Jahren immer nur um dich! Dein Glück, deine Zukunft! Ich habe mein Bestes gegeben, nachdem dein Vater gestorben war, ich habe alles für dich getan! Ich wollte dir alles geben! Und jetzt hast du es! Du hast alles, Sakura, du kannst alles haben, was du willst!" Ein sorgenloses Leben in Fülle und Hülle, Geld, Ansehen, Ruhm, Macht, alle Wege standen ihr offen... Warum nur, warum nur war sie so versessen darauf, es alles weg zu werfen? Sich so rigoros dagegen zu stemmen, gegen Ryuutarou zu rebellieren, es alles kaputt zu machen... Alles, was sie für ihre Tochter aufgegeben und getan hatte, und trotzdem, dies hier... Warum? "Ich brauche dein Alles nicht! Ich brauche deine Aufopferung nicht!" Sakuras Stimme überschlug sich nunmehr ebenfalls. "Ich will eine Mutter, die sich genauso um ihr eigenes Glück bemüht, wie um meins!" Diese Pein. Dieses Leiden. Sie beide waren nicht diejenigen, die diese Hölle verdienten, nein... Aber nichtsdestotrotz waren sie beide es, die qualvoll in ihr schmorten. "Und das hier..." Sie griff zum Kragen ihrer Bluse und riss gewaltsam dran, kleine Plastikknöpfe fielen mit seichtem Klimpern auf den gefliesten Boden. Sie zog eine Seite runter und drehte sich halb zu ihrer Mutter, beobachtend, wie diese zurückschreckte ob des Anblicks der argen, blau-rot-gelblichen Flecken auf der hellen Haut. "Und das hier..." Sakuras Finger deutete anklagend auf die geplatzte Unterlippe ihres Elternteils, ein Memento, das die Rage ihres Stiefvaters auch bei ihr hinterlassen hatte und ein Bild, das Sakura selbst zehntausend mal mehr weh tat, denn ihre eigenen schamvollen Verletzungen. "Das kann's nicht sein! Das ist nicht okay, Mama!" Konnte sie es nicht sehen? Wollte sie es nicht? Oder war es sie, Sakura, die in all dem Unrecht hatte? Die blind war? Die nicht verstand? "Das ist das Leben, Sakura..." Mit einem Male klang ihre Mutter so, so müde. Fast schon resigniert. Fast so, als habe sie etwas essenziell Überlebenswichtiges schon vor langer Zeit aufgegeben, doch ihre erschöpfte Ausrede konnte ihr aufgebrachtes Kind absolut nicht beruhigen. Sakuras Hände ballten sich zu Fäusten, die ordentlich gemachten Fingernägel schnitten tief in die zarte Haut der Handflächen. "Erspar' mir den hirnlosen Scheiß! Es ist nicht so, als hätten wir keine verdammte Wahl!" Diese lächerliche Belehrung, dass das Leben unveränderbar war und man sich seinem Schicksal zu fügen hatte, die ihre Mutter ihr hier gab; das konnte und wollte sie nicht akzeptieren. "Halt sofort den Mund! Was ist das für eine Ausdrucksweise?!" Yukiko war sichtlich und zutiefst geschockt, und vollends verzweifelt, da ihre Tochter dem, das so sehr schmerzte, einfach keine Ruhe gab. "Um Himmels Willen, was passiert nur mit dir?! Du schlägst dich mit anderen, reißt aus der Schule aus, treibst dich weiß Gott wo herum und machst da weiß Gott was! Wieso tust du mir das an?!" Sie sank auf den nächstbesten Stuhl und ließ ihren Kopf auf ihre Arme fallen. Wenig später brach sie in Tränen aus, in bitteres, lautes, herzzerreißendes Weinen. Mit der Situation letztendlich überfordert, weinte sie nicht nur wegen ihrer Tochter, die sie so sehr liebte und die sie trotzdem, Stück für Stück, verlor. Sie weinte wegen allem. Weil sie die Wahrheit wusste, weil es weh tat. Trotz aller Verleugnung und trotz allen Mühen, sich selbst zu belügen... es tat weh. Sakuras Zähne vergruben sich hart in ihre Unterlippe, ihre Augen gerötet ob der Anstrengung, die eigenen Tränen verbissen zurück zu halten, ihre Starrsicht aus dem Küchenfenster heraus unscharf und verschwommen. Sie konnte es nicht ertragen; die verzweifelten Tränen ihrer Mutter, diesen Streit, die Hoffnungslosigkeit von all dem hier. Konnte es nicht ertragen, ihre Mutter zu verletzten, konnte es nicht ertragen, von ihr verletzt zu werden. Immer und immer und immer wieder, ohne, dass sich je etwas daran änderte. Sie wollte einfach nur weglaufen... Weg von allem hier, einfach nur weg, weg, weg, weit weg... "Sakura! Komm zurück!" Die weinerliche Stimme ihre Mutter, die ihr nachklang, als sie aus der Küche rauschte, hastig ihre Jacke vom Haken griff und aus der Eingangstür stürmte. Sie drehte sich nicht um. "Liebling, bitte!" Doch sie hörte nicht zu. Die Treppen runter, aus dem großen Tor raus und wahllos die Straßen entlang. Hinaus ins nirgendwo... auf dem Weg irgendwohin... Einfach nur weg. Wie viel Zeit seitdem verging, wusste keiner zu messen. Es war tiefe Nacht und Sasuke träumte ein Wirrwarr aus Surrealismus und Erinnerungen, als sein Unterbewusstsein Ereignisse, Gefühle und Gedanken der letzten Tage verarbeitete und es alles zu etwas Unbegreiflichem vermischte. Ein harter Aufprall, mit dem er zu Boden geschickt wurde, der Griff des Messers glitschig in seiner feuchten Handfläche. "Steh auf." Ein streng gesprochener Befehl und er zwang seinen ausgepowerten, mitgenommen Körper dazu, dem Folge zu leisten. Alles schmerzte, seine Fokus verschwamm dann und wann, doch seine Beine hielten ihn mit leichtem Zittern aufrecht, schwer atmend und schweißgebadet. Er stürmte voran, schlug nach seinem Gegner und dieser wich aus, schnappte sein Handgelenk und verdrehte es mit geübter Leichtigkeit, sodass seine Hand das Messer ungewollt loslassen musste. Noch ein gekonnter Griff, und er traf einmal mehr hart auf dem Boden auf. "Noch mal." Sich aufrappelnd, konzentrierte er den stechenden, jähzornigen Blick seiner Augen auf dem halbmaskierten Gesicht, das dunkelbraune Auge, das ihn mit ruhiger Wachsamkeit eingehend musterte. Eine Serie aus Tritten und Schlägen, die allesamt dank präziser Evasion seines Gegenübers daneben gingen, und die Bretter des Dojos krächzten einmal mehr unter seinem Gewicht, als er auf diese geschickt wurde. "Noch mal." Alles drehte sich und plötzlich war es Nacht, ein zierlicher Körper gepresst an die kalte Wand des Clubs, verschreckte grüne Augen und Seiichiros hämische Miene. Diesmal traf seine Faust, und Seiichiros Gestalt krümmte sich auf dem Boden. "Steh auf." Diesmal war es seine eigene Stimme, doch Gehorsam wurde ihm nicht geleistet. Er griff den Kragen des Jungen und zerrte ihn auf die Füße. Holte aus, und schlug zu. "Noch mal." Eine vertraute Anweisung, doch sie kam aus dem nirgendwo, trotzdem befolgte er sie gehorsam. Harte Schläge, ohne Zurückhaltung, ohne Gnade, ohne Reue. "Noch mal." "Noch mal." "Noch mal." Es spielte sich wie eine Schleife in seinem Kopf, geflüstert von irgendetwas, das tief drin pulsierte. Er hörte das eklige Knacken brechender Knochen, fühlte die zähe Hitze des Bluts, das von seiner mechanisch arbeitender Faust tropfte. Er begriff so klar, dass dieser Mensch, auf den er einschlug, sterben würde, wenn er nicht aufhörte. Aber er konnte nicht stoppen. "Noch mal." "Iyaaaah!" Der hohe Schrei ließ ihn abrupt inne halten, die blutige, menschliche Form vor ihm auf dem Boden regte sich kaum in der roten Lache, die sich rasch kreisförmig unter dem röchelnden, spastisch zuckenden Gestalt ausbreitete. Er sah auf und starrte in vor Angst und Schock weit geöffnete, tiefgrüne Augen, die zierlichen Hände krampfhaft über dem lieblichen Mund gepresst. Er blickte runter auf seine in Scharlach verschmierten Hände, sah zu, wie eine davon sich hob und kleine, rote Tröpfchen von ihr fielen, als er sie nach dem geschockten, hübschen Wesen vor ihm ausstreckte. Sie schüttelte den Kopf und taumelte zurück. Sein Herz schlug schnell und wild, er machte einen Schritt auf sie zu und spürte ein eisiges Hauchen in seinem Rücken, das ein beklemmendes, kaltes Gefühl der Angst hochsteigen ließ. Undurchdringbare Dunkelheit hinter ihm, und direkt aus ihr schossen bizarre, schwarze Klauen, welche lange Krallen in ihn schlugen. Sie gingen wie Fleischhaken durch Haut, Muskel, und Knochen, das Blut, das spritzte, war nunmehr sein eigenes. Sie zogen ihn hinein in die Schwärze, und alles, was er vor sich sah, war jenes schöne Antlitz und die blanke Furcht in hellen, schreckgeweiteten Augen. Seine blutverschmierte, ausgestreckte Hand zitterte, doch jene zierlichen Füße machten nur einen weiteren Schritt zurück, sie weichte weg von ihm mit einem schockierten, entgeisterten Kopfschütteln. Schwärze war in seinem peripheren Sichtfeld, nunmehr war es, als wäre er in einem langen Tunnel und das Licht in der Öffnung wurde immer schmaler genauso wie ihr hübsches Abbild, je weiter die unbarmherzigen Krallen ihn hinein in die Dunkelheit zogen. Ein hoher Laut in seinen Ohren. Das Fleckchen Licht wurde immer kleiner und kleiner. Der hohe Laut wiederholte sich. Zuerst dachte er, das Geräusch war nur in seinen Träumen. Wie ein mildes Surren, das langsam in ein höher klingendes Geklirre überging und letztendlich zu einem schrillen Klingeln wurde. Was zum... Die Augen einen Spalt breit öffnend drehte Sasuke sich von der Seite auf den Rücken und starrte erst mal benommen die Decke an, auf der Mondschein und Schatten ein seltsames Muster kreiert hatten. Den Arm ausgeworfen griff er nach seinem Handy auf dem Nachttisch und drückte den winzigen Knopf auf der Plastikumrandung, damit der Display ihn mit seiner plötzlichen Helligkeit zunächst blendete und dann die Uhrzeit verriet. Es waren unglaubliche 1:52. Was zum Teufel...? "Verflucht...", knurrte er und grimassierte verstimmt, als das penetrante Geräusch der Türklingel einmal mehr unangenehm in seine Ohren schnitt. Da klingelte tatsächlich irgendein Lebensmüder um gottverdammte zwei Uhr nachts an seiner Tür, wo er es doch endlich nach großer mentaler Anstrengung geschafft hatte, sich zum Einschlafen zu bewegen, auch wenn er auf den dazugehörigen Traum getrost verzichtet hätte, was seine allgemeine Stimmung und Gemütszustand noch düsterer machte. Wenn es hier nicht um Leben und Tod ging, würden hier verfickt nochmal Köpfe rollen. Leise vor sich her grummelnd schwang Sasuke seine Füße aus dem Bett, fuhr sich einmal frustriert mit der Hand übers Gesicht und ging so wie er war, in simpler schwarzer Boxershorts bekleidet, zu Tür. Die Mühe, irgendwo einen Lichtschalter zu betätigen, machte er sich nicht und das, was er beim Aufmachen der Eingangstür erblickte, traf ihn ganz und gar unvorbereitet. "Sakura?" Im Licht des Treppenflurs gebadet stand tatsächlich diese eine Gestalt vor ihm, tiefgrüne Augen starrten ihn an, als ob auch sie Schwierigkeiten damit hatte, zu glauben, wen sie da vor sich sah. Sasukes Augenbrauen zogen sich in einem unmutigen Ausdruck zusammen. "Was zur Hölle machst du hier?" Fragte er mit ziemlicher Schärfe in der Stimme, was Sakura zum schuldigen Absenken ihrer Augen verleitete, während sie eine leise Antwort gab: "Ich... wusste nicht, wo ich sonst hingehen sollte..." Alles, was diese Replik bewirkte, war, dass Sasukes Brauen noch tiefer Richtung Nasenbrücke rutschten. "Wie wär's mit - nach Hause?" Die verärgert-angesäuerten Noten in seiner Stimme zwangen sie dazu, den eigenen Körper hilflos mit den Armen zu umschlingen. "Ich kann nicht... es ist kein... kein Zuhause..." Wisperte sie verloren, womit sie einen langen, durchdringend stechenden Blick kassierte. Vielleicht war es die falsche Entscheidung gewesen, hierher zu kommen, aber sie hatte wirklich niemanden mehr, an den sie sich wenden konnte und nachdem sie stundenlang in der Stadt umhergestreut war, hatte sie die Dunkelheit der Nacht doch genug verschreckt, dass sie sich schutzsuchend vor seiner Tür wiederfand. Sasukes Brust wölbte sich mit einem tiefen Atemzug und er kniff seine Nasenbrücke, bevor sich auf dem Absatz umzudrehen und zurück in Richtung Schlafzimmer zu marschieren. Da er ihr die Tür nicht von der Nase zugeschlagen hatte, vernahm sie das als eine Art Einladung und huschte ihm hinterher, besagtes Stück Holz sachte hinter sich wieder ins Schloss fallen lassend. In der Dunkelheit sah sie nur seine Umrisse und tapste ihm hastig nach, in das vom Mondlicht erhellte Schlafzimmer. Er verlor kein Wort und warf sich bald darauf einfach nur wieder ins Bett, wo er sich auf die Seite drehte, die Decke über sich zog und seinen bestürzten nächtlichen Besuch anscheinend komplett vergessen hatte. Sakura stand eine Weile lang unbeholfen im Türrahmen und wagte sich dann vorsichtig ins Innere des Zimmers, einen kleinen Schritt nach dem anderen. War er sauer? Doch er hatte sie nicht rausgeschmissen, hieß das, sie durfte bleiben? Er hatte nichts gesagt und jetzt schien er einfach nur wieder zu der Aktivität zurückgekehrt zu sein, bei der sie ihn offensichtlich gehörig gestört hatte: schlafen. Sollte sie wieder gehen? Sie wollte nicht. Sie konnte nicht, wohin auch? Sie war von Zuhause abgehauen, sie hatte in dieser Stadt niemand anderen mehr, zu dem sie gehen konnte. Sie fühlte sich verletzt, miserabel und verwirrt. Und wurde gerade allem Anschein nach eklatant ignoriert. Was sie irgendwo verstehen konnte... Wer war sie schon für ihn? Sie hatten nur ein paar Küsse geteilt. Sie hatten gerade mal damit angefangen, sich näher kennen zu lernen und sie entlud bereits all das Drama ihres ganzen Lebens auf ihn. Störte ihn mitten in der Nacht in seinem Zuhause wegen Problemen, von denen er wahrscheinlich nicht mal hören wollte. Doch... was sollte sie sonst tun? Sie wollte nicht gehen... Sie wollte einfach nur hier bleiben. Sie fühlte sich sicher, hier, bei ihm. Mit ihm. Das junge Mädchen näherte sich vorsichtig der freien Seite des Betts und stand einige Minuten lang unentschlossen davor, bevor sie sich zögerlich auf die Kante setzte. Dann schlüpfte sie aus ihren Ballerinas und ihrer Sommerjacke, erstes ließ sie auf dem Fußboden stehen und letzteres faltete sie zusammen und platzierte es oben drauf. Wenig später legte sie sich hin und drehte sich Sasukes deckenverhülltem Rücken, der ihr zugewandt war, zu. Das Möbelstück, ein komfortables, mittelgroßes Doppelbett, war nicht allzu breit, doch Sakura nahm sowieso nicht viel Platz ein und ihre zierliche Gestalt machte sich noch ein wenig kleiner, als sie sich da ganz nah an der Kante einnistete. Minuten der absoluten Stille krochen vorbei, und entgegen möglichen Annahmen schlief Sasuke überhaupt nicht. Sie konnte es nicht sehen, aber seine Gesichtsmuskeln zuckten immer wieder leicht und es schien fast so, als ob sie sich zwischen einem Ausdruck der Verärgerung und Besorgnis nicht entscheiden konnten. Er atmete gezwungen ruhig, ein, aus, ein, aus. Und dann ließ er ein vergrämtes Knurren vernehmen, während seine Hand vorschoss und unsanft auf den großen Knopf der Nachttischlampe schlug, um das Zimmer mit mildem, gelblichen Licht etwas mehr zu erleuchten. Er drehte sich so abrupt um, dass Sakura ob ihres plötzlichen Aufschreckens fast von der Bettkante stürzte, daran gehindert durch seinen Arm, den er ausgeworfen und mit dem er sie umfangen hatte, um sie vorm Herunterfallen zu bewahren und sie stattdessen in die Bettmitte zu ziehen, wo sie nun halbbenommen lag und mit weit geöffneten, smaragdgrünen Augen zu ihm hinauf starrte, da er sich auf den anderen Arm aufgestützt und nun halbwegs über ihr gebeugt war. Der Blickkontakt und Bewegungsruhe hielt nicht lange, sie zog scharf die Luft ein, als er sie abrupt runter drückte, sodass ihr Oberkörper halb auf seinem stützenden Arm lag und ihr Gesicht sich halbwegs im Kissen vergraben fand, was ihm größtenteils ihre Kehrseite präsentierte. Seine freie Hand griff den Kragen ihrer Bluse nahe ihrem Nacken und da die meisten Knöpfe sowieso schon ausgerissen waren und die Kleidungshälften kaum zusammengehalten wurden, bedurfte es keiner großen Anstrengung, den Stoff mit einer ruckartigen Bewegung von ihrer Schulter und halb von ihrem Rücken runter zu ziehen, um diese freizulegen. Die alten Striemen waren da, ihre Verfärbungen nun um einiges verblasster und es war ungemeine Erleichterung, die sich in nachtschwarzen Tiefen wiederspiegelte, keine frischen, neuen Verletzungen auf der zarten Haut entdeckt zu haben. Erleichtert war auch das Ausatmen, das seine Lippen verließ und als sie es hörte, lösten Sakuras Muskeln langsam die Anspannung ihrer gegenwärtigen Schockstarre wieder, nachdem die Erkenntnis ob des Grundes für seine Handlung in ihren Verstand sickerte. Diese Einsicht erwärmte ihr Herz bis zu dem Punkt, wo es ihr fast die Luft abschnitt. Und er sorgte sich doch... "Er hat mich nicht angefasst...", flüsterte sie leise, und da ein Auge wegen des Kissens davor geschlossen blieb, starrte das andere gedankenverloren in den kleinen Spalt zwischen dem weißen Stoff des Kissenbezugs und seiner entblößten Brust so nah, dass sie die warme Haut fast mit ihrer Stirn berührte. Nein, ihr Stiefvater hatte sie nicht angefasst. Er war nicht der Grund dieses nächtlichen Vorbeischneiens. Sasuke lehnte sich etwas zurück, um ihr Gesicht besser sehen zu können und blitzte sie aus verengten Augen an, seine Stimme durchzogen von einer Note Härte. "Wieso zur Hölle bist du dann hier?" Wiederholte er seine Frage von vorhin, woraufhin Sakura schwer schluckte und ihren Kopf ein wenig drehte, womit sich ihre Wange nun ins Kissen presste und sie ihn vernünftig mit beiden Augen anschauen konnte. "Meine Mutter und ich... wir haben uns gestritten. Sie hat geweint... Und ich... Ich konnte es nicht mehr eintragen. Alles... Ich konnte einfach nicht..." Sie wusste nicht, ob ihre Worte für ihn allzu viel Sinn machten. Ihre Zähne vergriffen sich in der ihm langsam wohlbekannter Manier an ihrer Unterlippe, während sie seine eher düstere Miene beobachtete. "Ich wusste nicht, wo ich hingehen sollte..." "Und da ist dir nichts Brillanteres eingefallen, als zu mir zu kommen?" Irgendwie hörte er sich überaus verärgert an. Wahrscheinlich war er es auch, sie würde es ihm nicht mal verübeln können. Und dennoch... dennoch tat es weh. Sie hatte gedacht... sie hatte gehofft... Doch vielleicht erwartete sie zu viel, zu schnell. Sie hätte nicht herkommen sollen. Nein, sie hätte wirklich nicht herkommen sollen... "Ich- Ich sollte gehen..." Wisperte sie letztendlich, darum bemüht, die Tränen der Enttäuschung und Zurückweisung zu unterdrücken. "Ich hab dich gestört... Es tut mir Leid..." Ihre Stimme riss beinahe ab und sie setzte sich ruckartig auf, verzweifelt darum bemüht, einmal mehr die Flucht zu ergreifen, bevor die Last negativer Emotionen sie einmal mehr entzweibrach. Allerdings kam sie diesmal nicht sehr weit, wenige Sekunden und ein paar blitzschnelle Bewegungen später traf ihr Rücken auf die Matratze und ihr Kopf auf das Kissen auf, und mit einem Male war Sasuke über ihr. Ein Bein über ihre beiden geworfen, presste sein athletischer Körper ihr Fliegengewicht nunmehr ins Bett, während ihre Hände nebst ihrem Kopf in die Weichheit des Kissens einsanken dank der Fesseln seiner Finger um ihre Handgelenke. Sasuke war nicht wütend, nicht auf sie. Er war wütend auf sich selbst wegen ihr, weil er begriff, zu welchem verflixt gewaltigen Ausmaß er eigentlich um sie besorgt war. Zu sehr besorgt. Viel zu sehr. Er entwickelte eine gottverdammte Bindung zu diesem zierlichen, stoischen kleinen Wesen und tief drin war er nicht dazu bereit. Er wollte keine Bindungen, nicht von dieser Art, und doch konnte er sich selbst nicht davon abbringen, dieses wunderschöne, zerbrechliche Geschöpf in sein Leben einzulassen, mehr noch, sie dort zu begrüßen und sie genau dort zu wollen. Er wollte sie in seinem Leben haben, er wollte sie, und die Tatsache, dass er sich selbst diesen verfluchten Wunsch, dieses Verlangen nicht mal angesichts der Gefahr, die Kakashi ihm vor kurzem erst so unmissverständlich klar gemacht hatte, nicht austreiben konnte, machte ihn rasend. "Was willst du von mir?" Sein geschmeidiger Bariton war zu einem rauen Flüsterton abgesunken, ein lauernder Funken in seinem nahezu räuberischen Blick. "Erst mitten in der Nacht wie ein verlorenes Kätzchen an meiner Tür kratzen, und jetzt liegst du mit diesem verdammten, zutraulichen Rehblick unter mir in meinem Bett." Ehrlich mal. War sie blind? Sie war eine Versuchung auf zwei Beinen, umso mehr wenn sie sich so verloren und unschuldig präsentierte; er besaß zwar eine Menge an Willenskraft und Selbstkontrolle, aber er war auch nur ein Mann. "Hast du überhaupt eine Ahnung, was ich gerade mit dir anstellen wollen würde?" War es wirklich die Art Trost, die sie akzeptieren würde? Die Art Trost, die sie wollte? Sasuke hatte keinen blassen Schimmer davon, wie man Menschen tröstete. Er mochte es nicht, über Dinge zu reden, besonders über Gefühle. Wenn er wollte, konnte er körperliche Befriedigung geben, aber er wusste nicht, wie man bedrückte Stimmungen hob und gebrochene Herzen flickte. Es war eine Kunst, die er nie hatte erlernen wollen, dennoch war er auch niemand, der jemanden ausnutzen würde, nur um auf eigene Kosten zu kommen. Nichtsdestotrotz, er hasste Sentimentalitäten, all die Rührseligkeiten und Gefühlsduselei. Sie konnte sich an seiner Brust ausweinen und er konnte jemandem, der sie verletzt hatte, die Fresse einschlagen, aber das war auch schon das bevorzugte Limit seiner beziehungstechnischen Fähigkeiten. Was wollte sie noch; jetzt, hier, von ihm? Es gab nur noch eins, was er noch für sie tun konnte, etwas, das sie einmal schon fast angenommen hatte, aber... Sie starrte einfach nur zu ihm hoch und sagte dann etwas, was er so nie erwartet hätte. "Dann tu es." Seine Stirn legte sich in Falten. "Was...?" Das dunkle Peridot ihrer Augen blickte ihn so intensiv an, es bescherte ihm beinahe eine Gänsehaut. "Was, wenn ich es will...? Was, wenn ich gar darüber fantasiere, dass du Dinge mit mir anstellst...?" Der Tag ihres kleinen, jäh unterbrochenen Intermezzos auf seiner Wohnzimmercouch, hatte sie danach, in jener Nacht, nicht in ihrem Bett gelegen und sich ausgemalt, wie es wohl weitergegangen wäre? Wie es sich angefühlt hätte, was passiert und wie es passiert wäre... Jedes Mal, wenn er sie küsste, wenn sie sich berührten... Wenn die Hitze zwischen ihnen stieg und jede Nervenfaser sich nach ihm zu verzehren schien... Hatte mit dem Wunsch nach Schutz und Geborgenheit nicht auch mit die Hoffnung auf mehr sie auch heute hierher geführt, in seine Arme? Sie wollte mehr. Sie wollte alles. Sie wollte ihn. Sasuke schüttelte kurz den Kopf in einem Mix aus Unglaube und Widerstand gegenüber dem, was sich unaufhaltsam durch sein Inneres zog. "Was ich dir geben kann, ist nur ein Placebo. Keine Wunderheilung." Sex war einfach, körperliche Bindung war direkt und auf den Punkt, mit einem klaren Anfang und einem klaren Ende. Beziehungen hingegen waren kompliziert und für Frauen schien das eine mit dem anderen einherzugehen. Das war der Grund, warum Beziehungen für ihn nie wirklich funktionierten, obschon er es ein paar Mal versucht hatte. Doch seine Persönlichkeit und emotionelle Distanziertheit stieß andere letztendlich immer von ihm weg. Er ließ sie nie nah genug an sich heran und irgendwann wurden sie dessen müde, gaben es auf und gingen fort. Und er würde sie ziehen lassen, weil er es sich nicht erlaubte, für jemanden Gefühle zu entwickeln. Echte Gefühle. Er konnte Sakura hier nichts versprechen. Wenn sie miteinander ausgingen, miteinander schliefen, hieß es bei Weitem nicht, dass es Liebe war. Zumindest nicht für ihn, zumindest nicht sofort und sicherlich nicht hier und jetzt. Vielleicht gar nie... Wer wusste es schon, wenn er es nicht mal selbst tat. Ihre Hände waren zwar eingefangen, aber er war nah genug, dass auch ein einfaches Vorschießen ihres Kopfes reichte, um seine Lippen mit ihrem sinnlichen Paar entschlossen und hitzig einzufangen. Ein Kuss, den er nicht unterbrach, stattdessen verließ nur ein unebenes Ausatmen der rasch um einiges geschmolzener Selbstkontrolle seine Nase. Sakura lehnte sich minimal zurück. "Gib mir alles, was du kannst. Was du geben willst." Ganz egal, wie viel es war. Ganz egal, was es war. Sie erwartete keine Liebeserklärungen, erwartete nicht, dass er alsbald in sie vernarrt war und ihr glorreich die ewige Liebe schwor, ihr sein Herz ausschüttete und ihres zusammenklebte. Das war nicht seine Art und es war nicht die Art, die sie zu ihm hingezogen hat. Sie küsste ihn erneut, die Berührung diesmal zärtlich und weich, genauso wie ihre Stimme, die in einem federleichten Hauchen gegen seine Lippen vibrierte. "Ich will es alles haben. Ich will dich." Genauso, wie er war. Ob hier und jetzt oder in hundert Tagen, daran würde sich nichts mehr ändern. Er war ein großes Puzzle, und sie würde es Stück für Stück einsammeln, bis sie es zusammensetzen und ganz für sich allein behalten konnte. Er hatte ihr Herz bereits erobert und sie hatte nicht vor, seins ihren eigenen Fängen einfach so entfliehen zu lassen. Irgendwann würde es ihr gehören und diese Nacht war nur ein weiterer Schritt diesem Ziel entgegen. Den eigenen Schmerz vergessen, spürte sie gerade hier und jetzt etwas vollkommen anderes, in seinen Worten, seinem Blick, seiner Tonlage, seiner Körpersprache... es war die selbe Zwickmühle, die auch ihr schon so viele Knochen gebrochen hatte, der Kampf zwischen irgendetwas, das er brauchte und irgendetwas, das er fürchtete. Was auch immer es war, das er brauchte, sie wollte es ihm geben. Was auch immer es war, das er fürchtete, sie wollte ihn davor beschützen. Sie wusste nicht, ob sie weder das eine noch das andere wirklich für ihn tun konnte, doch sie würde verdammt sein, wenn sie es nicht mit aller Kraft und in allem Ernst versuchen würde. Denn wenn es eines gab, woran Sakura keinen einzigen Zweifel mehr hatte... dann, dass Sasuke es absolut Wert war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)