Mogelpackung von Aislynn (Sasuke/Sakura) ================================================================================ Kapitel 15: Wiedersehen ----------------------- [Mittwoch, 14 Juli, 02:16 Uhr] Das quecksilberfarbene, verschmutzte Glas vor ihm reflektierte das trübe Licht der nackten Glühbirne über seinem Kopf, die Hände in die Kante des Waschbeckens gestützt starrte er in die tiefschwarzen Augen seines perfekten Zwillings auf der anderen Seite des Spiegels. Es stank, die kleine Kabine der Toilette an der Tankstelle, an der er kurz gehalten hatte, war verpestet mit dem unangenehmen, sauren Geruch von Unsauberkeit und abgestandenem Urin. Etwas, was der junge Mann vor dem Spiegel kaum wahrnahm, denn als er in die endlosen Abgründe der eigenen Augen starrte, spielten sich ganz andere Bilder in seinem Kopf ab und was er roch, imaginär wie es gewesen sein mag, waren Flammen. Feuer und brennendes Holz. Brennendes Fleisch... der Gestank von brennendem Fleisch, von dahin schmelzender Haut, war um so viel abscheulicher denn jeder andere Geruch es je hätte sein können. Er starrte in das eigene endlose Onyx und er sah... sah... Die Dunkelheit seines Schlafzimmers wurde von einem kleinen Lichtstrahl durchbrochen, der durch den Spalt der aufgemachten Zimmertür vom Flur einfiel. Das war das erste, was er erblickte, während jemand ihn sanft aber bestimmt an der Schulter rüttelte. "Sasuke." Er erkannte die Stimme sofort und blinzelte ein paar Mal, um seine von Schlaftrunkenheit verschwommene Sicht zu klären. "Steh auf. Schnell." Er verstand nichts, spürte nur die starke Arme, die ihn mit behutsamer Entschlossenheit aus dem Bett zogen. "Aber wieso denn? Nii-san, was soll das...?" Bekleidet in einen hellblauen Schlafanzug griff eine seiner Hände instinktiv den Saum des schwarzen Shirts, welches sein Bruder trug. Lange Finger packte das Handgelenk seiner anderen Hand, die immer noch verschlafen an einem tiefschwarzen Auge rieb, die Handfläche des älteren Jungen rau und warm gegen seine Haut. "Sei leise." Langsam wieder wacher, blickte Sasuke auf und der angespannte Ausdruck auf jenem vertrauen Gesicht brachte sein Herz abrupt zum schnelleren, aufgewühltem Pochen. "Nii-san... Was ist los?" So schaute sein Bruder nur, wenn etwas gewaltig nicht in Ordnung war und er konnte die wenigen Male, in denen der Andere so geschaut hatte, an den Fingern einer Hand abzählen. Itachi antwortete nicht, sondern lugte hinaus in den Flur und trat dann rasch heraus, ihn hinter sich her ziehend. Jetzt hörte Sasuke auch Stimmen und eine davon erkannte er als die seiner Mutter. Sein Atem stockte, es hörte sich so an, als weinte sie, leidvoll und bitterlich. "Kaa-chan...", wisperte er und riss sich mit einem Male aus dem Griffe seines älteren Geschwisterteils, die kleine Hand schlüpfte schnell und einfach aus den Fingern des Siebzehnjährigen, weil diese ihn nicht annähernd fest genug gehalten hatten. "Sasuke!", der halbgewisperte Ausruf hielt ihn nicht davon ab, zum Geländer zu rennen, das den gerundeten Flur des ersten Stocks ihres Familienanwesens umschloss, seine weit geöffneten Augen blickten zwischen den ornamentiert geformten, dicken Holzstäben runter auf die große Eingangshalle eine Etage tiefer. Das Bild, das er nie wieder vergessen können würde, brannte sich just dann jäh mit traumatisierender Intensität von Schreck und Schock in sein Gehirn ein. Ihr Vater saß in einer kleinen Blutlache auf dem Boden, sein linkes Bein war unnatürlich verbogen und dickflüssiges Scharlach breitete sich rasant über den hellen Stoff seines Hemds aus der Stichwunde in seiner Seite. Ihre Mutter saß auf den Knien neben ihm und weinte in seine Schulter hinein, er hielt sie schützend an sich gepresst fest und blickte rauf in die Gesichter der drei Männer, die um sie standen, einer davon hielt das blutverschmierte Katana noch in der Hand, die anderen beiden hatten die Läufe ihrer Pistolen auf das Paar gerichtet. Ein weiches 'plopp' des durch den Schalldämpfer ausgespuckten Schusses und der Oberkörper ihres Vaters zuckte abrupt, ihre Mutter schrie auf, bevor sie brutal getreten wurde und notgedrungen von ihrem Mann ablassen musste. Auch Sasukes Lippen fuhren auseinander und auch er wollte schreien, doch eine Hand legte sich prompt gegen seinen Mund und Nase, während er mit einem heftigen Ruck nach hinten gezogen wurde. Beide seiner eigenen Hände schossen hoch, krallten sich in den lebendigen Knebel und versuchten mit aller Kraft, diesen wieder runter zu zerren, während verzweifelte Laute ins Wimmern und Jaulen gedämpft wurden und heiße Tränen augenblicklich zu fließen begannen. Er strampelte und winselte wie ein verschreckter kleiner Welpe, nicht gewillt, zu glauben, was er gerade gesehen hatte. Es konnte nicht wahr sein... konnte nicht, durfte nicht... Mutter! Vater! Er wollte schreien, schreien und weinen und zu ihnen rennen, aber alles, was er tun konnte, war, entgeisterte Töne von sich zu geben und sich mehr oder minder den Flur entlang schleifen zu lassen. Die Schritte, die die Treppenstufen hochstiegen, kriegte er nicht mit, sein Bruder aber umso mehr. Itachi zerrte ihn ins nächstbeste Zimmer, eins der vielen Gästeschlafgemächer im ersten Stock. Er ging kurz auf ein Knie. "Sasuke. Sieh mich." Ein schroffes Schütteln an seinen Schultern zwang den jüngeren Uchiha, aus großen, tränenerfüllten Augen zu seinem Bruder zu sehen. "Es wird alles wieder gut. Hörst du mich?" "Aber Tou-san... Kaa-san...", seine Stimme brach und er wurde brüsk in eine feste Umarmung gezogen. "Es wird alles wieder gut. Warte einen Augenblick, rühr dich nicht vom Fleck." Damit ließ Itachi ihn wieder los und stand rasch auf, Sasuke blieb wie anordnet und angewurzelt dort stehen, wo er war und beobachtete das Tun des Älteren, ohne irgendetwas zu verstehen. Es musste alles ein Alptraum sein... Es musste... es musste... Die großen Balkontüren aufgestoßen, drehte Itachi sich zu dem Doppelbett und zog kurzerhand die Matratze runter, um diese zu besagtem Balkon zu zerren und sie von diesem runter zu schubsen. Sie landete mit einem dumpfen Geräusch auf dem von sauber gemähtem Gras bedeckten Boden im großen Garten. Als sein großer Bruder ihn auf die Arme hob und ebenfalls zum Balkon trug, klammerte Sasuke sich ängstlich an ihn, doch er schaffte es nicht, irgendetwas zu sagen, denn die Zimmertür hinter ihnen flog in diesem Moment auf. "Hey! Stehen bleiben!" Er konnte nicht mal schreien, Atem und Herzschlag erfroren in seiner Brust, als er sich fallen spürte, indes das unheilverkündende 'plopp' der abgefeuerten Pistole erklang. Über die Balustrade geworfen schaffte er nicht mal ein Piep, die paar Sekunden des Freiflugs brachten alle Sinne zum Aussetzen, bis er auf der dicken, weichen Matratze aufkam. Er rappelte sich auf und krabbelte vor, fiel ungeschickt von der Kante in das üppige Gras und wirbelte blitzartig umher, womit er hoch zu dem Balkon starren konnte. Nein, nein, nein... Itachi... Itachi! Er wollte schreien, einmal mehr, und einmal mehr kam nur ein geschocktes Wimmern heraus. Wenig später erschien eine Gestalt auf dem Balkon, schwang sich über das Geländer und landete bald geschmeidig auf der Matratze. Der Zwölfjährige plumpste auf seinen Hintern sowohl vor Erleichterung als auch weil seine Beine so sehr zitterten, dass sie ihn einfach nur nicht länger halten konnten. Itachi hob ihm beim Laufen wieder vom Boden auf und seine Arme schlossen sich krampfhaft um den Hals seines Bruders, als er das Gesicht in der Beuge davon vergrub und sich ganz fest an die sichere Präsenz des Älteren presste. Der Horror des Geschehenen brachte seinen Körper zum hilflosen Beben, und die Tränen hörten nicht auf. Er hatte Angst... Angst um sich, Angst um Itachi, Angst um ihre Eltern, die sie zurückgelassen hatten. 'Es wird alles wieder gut.' Er hing sich verzweifelt an diese Worte, in blindem Vertrauen, dass sein großer Bruder Recht haben würde. Itachi hatte immer Recht... Er war stark und schlau und selbstsicher und überhaupt all das, was Sasuke auch irgendwann mal werden wollen würde. Itachi wusste immer, was er tat. Sicherlich auch jetzt. Nicht wahr... nicht wahr...? Die Schiebetüren des Dojo gingen mit einem leichten Rattern auseinander und der Siezehnjährige schlüpfte gleich einem Schatten geschwinde hinein. Er setzte Sasuke wieder ab und suchte in der mondlichtuntermalten nächtlichen Dunkelheit irgendetwas auf dem Boden. Sein kleiner Bruder konnte nur große Augen machen, wenn sich eins der Planken im ebenjenem Boden löste und einen geräumigen Hohlraum offenbarte. Itachi winkte ihn mit der Hand herbei. "Komm her." Er tapste schnell auf den Älteren zu, stolperte die letzten Schritte ungeschickt und fiel fast auf die Nase, aufgefangen durch jene verlässlichen Arme, die ihn bald unter den Achseln griffen und behutsam in das Versteck absenkten. Der Boden unter seinen nackten Fußsohlen war mit etwas Weichem ausgelegt, doch in der Finsternis um sich sah er absolut nichts, er starrte sowieso hinauf zu Itachis Silhouette am Rande des Lochs, in dem er nun war. "Bleib dort und sei ganz still. Okay?" Die sonst so ruhige, geschmeidig tiefe Stimme war angespannt und klang gehetzt, was Sasuke auf keinen Fall beruhigte. "Nein!", rief er verzweifelt durch ein Schluchzen aus. "Nein, lass mich nicht alleine, Nii-san!" Nichts auf der ganzen Welt schien in dem Moment fürchterlicher, als jene schützende Präsenz nicht mehr in seiner Nähe zu wissen. Hier war es dunkel und unheimlich, aber draußen war es noch schlimmer und gefährlicher. Itachi sollte mit rein! Er wollte hier nicht alleine bleiben, er wollte nicht! "Bleib hier, bitte!" "Ich komme sofort wieder, Sasuke. Hörst du? Mit Mutter und Vater. Ich verspreche es dir. Du musst jetzt ganz tapfer und ganz leise sein, bis ich wieder da bin. Okay? Kannst du das für mich tun?" Er war zwölf, er war nicht blöd. Es waren bewaffnete Männer in ihrem Haus, mehrere davon, ihr Vater war verletzt und vielleicht auch gar nicht mehr- Doch er war auch absolut verängstigt und hatte ein blindes Vertrauen zu seinem Bruder. Itachi musste irgendeinen Plan haben. Wenn er sagte, dass er zurückkommen würde, wenn er es gar versprach... dann würde er es auch tun. Mit Mutter und Vater, er würde gleich zurück sein. Er hatte es versprochen. "Okay...", wisperte Sasuke also erstickt und bemühte sich um einen winzigen Fetzchen Fassung. Anstatt Tränen und Hysterie sollte er sich seinen Bruder zum Beispiel nehmen, so wie immer, so wie er es schon seit Kindheitsbeinen tat. Ruhe und Gefasstheit... Er konnte es tun. Tapfer sein, und still hier warten. Itachi zog die Planke wieder an ihre rechtmäßige Stelle und bevor der kleine Spalt Licht über seinem Kopf komplett verschwand, flüsterte Sasuke instinktiv einen jener Sätze, die man den geliebten Menschen in seinem Leben so, so viel öfter sagen sollte. "Nii-san... Ich hab dich lieb," seine verzweifelte Tonlage erbebte unter der Last der Emotionen, von denen er nur einen Bruchteil wirklich definieren konnte. Sein Herz raste, könnte es das letzte Mal sein, dass er- Nein, nein. Itachi hat versprochen, er würde zurückkommen. Er hatte es versprochen. Der ältere Uchiha stockte kurz in seinem Tun, und Sasuke hatte fast das Gefühl, als ob ein weiches Zittern in die sanft zurückgegebenen Antwort mit einfloss: "Ich dich auch, kleiner Bruder." Und dann war er verschwunden. Seine Schritte hallten noch dumpf über den Dojo-Boden, die Schiebetüren ratterten hinter ihm zu und dann... Dann fand sich Sasuke allein mit der Dunkelheit und seinen aufgewühlten, stummen und doch so lauten Gedanken, die alle durcheinander in seinem Kopf dröhnten, wie Rasselkugeln, die im Rikochettschüssen von den Schädeldecken prallten und seinen Verstand mit den schrecklisten und unmöglichsten Szenarien durchlöcherten. Er setzte sich auf den Boden und umschlang die Knie mit den Armen, versucht, genau das zu sein, was er Itachi geschworen hatte: tapfer und leise. Es was schwer... Die Finsternis um ihn herum war erdrückend, und die Nervosität und durchlebter Schock erschütterten jeden Nerv, was seinen jungenhaft schlanken Körper zum unkontrollierten Beben brachte. Er wollte nur, dass es vorbei war... Dass Itachi wiederkam, mit ihren Eltern, so, wie er es versprochen hatte. Doch Zeit verging, und er war immer noch alleine. Bis ein seltsames Geknister ihn alarmierte, gefolgt von dem nicht minder alarmierenden Geruch von Rauch und Feuer. Er sprang auf die Füße und riss den Kopf hoch, durch die kleinen Rillen, die die lose Planke über ihn abzeichneten, meinte er, rötlich-gelbes Licht durchsickern zu sehen. Keine Minute später wurde es klar. Flammen... das Dojo stand in Flammen. Die Panik, die sich wie Säure über sein ganzes vegetatives System ergoss, war unbeschreiblich. Raus konnte er nicht, das Loch war zu tief und ganz egal, wie hoch er sprang, er konnte die Planke nur mit Fingerspitzen berühren. Er würde sie nie zur Seite bewegen können, um hier raus zu kommen und das Feuer wurde immer wilder, das bedrohliche Knistern, die Hitze, der Qualm... Vergessen waren die Versprechen, er war auf einmal weder tapfer noch leise, als er um Hilfe schrie. Er schrie nach seinem Bruder, nach seinen Eltern, nach irgendjemanden, der ihn hätte retten können, doch alles, was er an Replik erhielt, war die schadenfrohe, bedrohliche Kakofonie der Flammen, die sich gierig zu ihm durch Holz und Stoff hindurch fraßen. Letztendlich stürzte eins der großen Balken unter der Decke ein, ein brennendes Ende davon brach durch die Planke hindurch und erschlug fast den Jungen in dem Freiraum darunter. Er schaffte es gerade noch, zurück zu springen, Hitze und Rauchschwaden strömten ihm umgehend entgegen. Er hustete, der ätzende Rauch brannte in den Lungen genauso wie die Glut des Feuers gegen die Haut, eine Hand schützend vor sich haltend schaute er sich gehetzt um. Den hinein gefallenen Balken als eine Art Brücke zu benutzen, um aus dem Loch im Boden raus zu kommen, erwies sich als keine gute Idee. Er verbrannte sich die Hände, doch das war das kleinste allen Übels, denn halbwegs über das Holzstück drüber, brach es an einer zu sehr vom Feuer untermauerten Stelle unter seinem Gewicht entzwei und er stürzte zurück in die Lücke, aus der er heraus zu kommen versuchte. Schlimmer noch, die entflammten Hälften fielen auf ihn drauf, klemmten ihn erfolgreich zwischen sich und dem Boden ein. Er konnte sich nicht bewegen... Er konnte nur schreien. Nii-san. Nii-san, hilf mir. Mutter! Vater! Irgendjemand... Itachi! Itachi! ITACHI! Er spürte und roch das eigene Fleisch an seinem Rücken brennen, die dünne Hautschicht und die zahlreichen Nervenendungen schmolzen qualvoll von Sehnen und Muskeln in dermaßen beißend-grausamen Schmerzstichen, es zwang ihn fast zum Brechen. Und er konnte sich nicht bewegen. Es tat so weh, bis es irgendwann unerträglich wurde und der Rauch, er war überall, in seiner Nase, Kehle, Augen... 'Hilf mir... Hilf mir, Nii-chan...', hallte es in seinem Kopf, bevor es alles mit einem male von erlösender, süßer Schwärze der Ohnmacht verschlungen wurde. So und nicht anders hatte seine Hölle damals angefangen, mit einem fast authentischen Fegefeuer und der dazugehörigen Tortur an Körper und Seele. Die Erinnerungen waren unerwünscht und verhasst, etwas, was er nicht mal mit Kakashi geteilt hatte, doch sie spielten sich immer wieder vor seinem inneren Auge ab, während des gesamten Fahrtwegs seinem Ziel entgegen, wie ein Fluch, den er nicht loswerden konnte. Er schaffte die knapp achtstündige Fahrt in unter sechs, weil er zum Teil das Doppelte des Geschwindigkeitsbegrenzung aus seinem metallischen Ross raus presste. Es dauerte jedoch eine kleine Weile, bis er die Adresse fand, die Mittagssonne stand hoch im Himmel und das wärmende, fröhliche Licht, das es ausstrahlte, empfanden Sasukes müde Augen als etwas unangenehm Grelles. Er hatte letzte Nacht schon nicht viel Schlaf gehabt und mittlerweile war er seit über 24 Stunden auf den Beinen, dabei in der nicht gerade besten physischen Verfassung und sein Körper verheizte die letzten Tropfen Sprit, auch wenn sein Besitzer davon unglücklicherweise keine Notiz nahm. Gefühlschaos trieb ihn voran, ungeachtet der schwerwiegenden Notlage seines leidenden Organismus, was sich nicht gerade positiv auf den stetig steigenden Pegel seiner Gereiztheit auswirkte. Er war ein wandelndes Pulverfass, und die Lunte brannte bereits lichterloh. Sein Ziel, das sich als ein ziemlich ansehnliches, zweistöckiges Haus herausstellte, lag in einer ruhigen Wohngegend, der er keine Beachtung schenkte, weil er nur die Eingangstür im rigorosem Visier hatte. Bei dieser angekommen betätigte er die Türklingel, nur um keine Sekunde später zusätzlich gegen das Stück Holz zu hämmern, energisch und fordernd. Eine junge Frau öffnete die Tür, um sich unverzüglich mit einem stechend-zornigen Blick nachtschwarzer Tiefen konfrontiert zu finden. "Wo ist er?" Gekleidet in eine simple und doch geschmackvoll elegante Combo aus schwarzer Hüftjeans und hellblauer Bluse mit luftigem Volant, die sich gebührend eng an ihre formschöne Figur schmiegten, besaß die junge Frau schulterlanges, in einem A-Bob geschnittenes, azurblaues Haar verziert von einem mit einer Rose besetzten Haarreif und goldschimmernde Augen, die ihn einen Moment lang geruhsam musterten. Dann trat sie beiseite und deutete mit der Hand in das innere des Hauses. Ihre weibliche Stimme erklang weich und wohltönend: "Die erste Tür direkt links von der Treppe." Er wunderte sich nicht einmal, wieso sie so ruhig war und irgendwie zu wissen schien, wer er war und wieso er hier einmarschierte. Das war ihm egal, er durchschritt rasch den Eingangsbereich mit je einem Couchset zu jeder Wand und befand sich bald darauf in der Eingangshalle, in einiger Entfernung war eine kleine Grünfläche von der sich zu jeder Seite eine Treppe hochschlängelte und er nahm die linke davon ins Visier. Die Tür fast direkt links davon erspähte er keine Sekunde später und keine Sekunde später riss er diese auch auf. Die Innenausstattung präsentierte sich als ein stillvoll eingerichtetes Büro, gehalten in warmem Nussbraun und Bordeaux. Um einen Teppich platzierte Sofa und Sessel vor dem bodenlangen Fenstern an der entferntesten Wand, in den Zimmerecken zu den Seiten davon großwüchsige, saftgrüne Zimmerpflanzen. Ein riesiger Wandschrank mit Büchern und Aktenmappen unmittelbar an der rechten Zimmerseite hinter der Tür, links ein massiver Tisch aus dunklem Mahagoniholz, vor dem Tisch ein bequemer Sessel und dahinter ebenfalls einer, aus dem sich gerade eine Gestalt erhob. "Sasuke." Er erkannte die Stimme sofort, genauso wie die Gestalt an sich. Das vertraute Gesicht, die Augen, die den seinigen so ähnlich sahen. Das Haar, das ebenfalls genauso schwarz und seidig wie sein eigenes war. "Du verdammtes Arschloch...", flüsterte er entgeistert und riss sich von der Stelle. Er griff das erste, was ihm in die Finger kam: den Stuhl, und hob ihn hoch, mit der vollen Absicht, das Möbelstück dem Anderen entgegen zu schmeißen. Dass noch eine weitere Person im Zimmer gewesen war, hatte er nicht einmal bemerkt. Doch genau diese Person schoss rasend schnell hervor und sprang leichtfüßig vom Boden direkt auf den Stuhl auf, den Sasuke über den Kopf gestemmt hielt. Ein Sprung, der eigentlich unmöglich sein müsste, immerhin war der junge Uchiha gesunde 174cm groß, mit dem Stuhl dazu waren es gut über zwei Meter. Das plötzliche Gewicht, das sich auf eben jenen Stuhl niederließ, kippte den in der Luft balancierten Gegenstand und Sasuke konnte ihn nicht länger halten. Er ließ los und der Stuhl krachte hinter ihm zu Boden, während die Person genauso locker mit einem kleinen Salto abgesprungen war und in geringer Distanz genau gegenüber dem Schwarzhaarigen landete. Turmalinfarbene Augen schnitten mit kühler Emotionslosigkeit in wütend lodernde Seen aus angriffslustig schimmerndem Onyx. Die Hand von Sasukes Gegenüber langte hinter den eigenen Rücken nach etwas, hielt aber augenblicklich inne, als jene Stimme umsichtig erklang. "Gaara." Die rothaarige Präsenz mit der ungewöhnlichen Tätowierung eines Kanji auf der Stirn, senkte die Hand langsam wieder an der eigenen Seite ab. Schwarze Hose, weinroter, vorne und hinten eingeschnittener Mantel mit hoch zugeknüpftem Kragen und drüber eine einschultrige, silbergraue Weste bildeten sein seriöses und zugleich elegantes Outfit. "Aus dem Weg," knurrte Sasuke bedrohlich, der Rotschopf stand zwischen ihm und der Person, die mittlerweile um den Tisch herum gekommen und sich hinter besagtem Rotschopf befand. Nichts würde ihn daran hindern, jenen Mistkerl zu Rede zu stellen und wenn dieser Gaara oder wie auch immer er hieß es wirklich drauf anlegen wollte- "Es ist okay. Lass' uns bitte allein." Gaara drehte sich zu ihm um, als wäre Sasukes Existenz für ihn selbst nunmehr mit einem Schlage vollkommen irrelevant, und verbeugte sich leicht. Mit einem sachten Flattern der Mantelhälften um seine Beine schritt er wenig später an Sasuke vorbei, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen. Die Tür fiel leise hinter Gaara zu und ließ zwei unterschiedlich geladene Pole allein, den schäumenden Zorn des einen und die gesammelte Fassung des anderen. "All diese Zeit... du warst am Leben, all diese Zeit?!" Das Zittern, das die Kontrolle über seinen gesamten Körper erlangte, brachte auch Sasukes Tonfall zum Beben, eingeklemmt zwischen absoluter Verständnislosigkeit, entgeistertem Unglaube und unterschwelliger, resolut unterdrückter Freude waren seine Gedanken und Gefühle ein einziges Chaos, der pulsierend in einem Wunsch mündete - er wollte jene Präsenz gleichzeitig umarmen und ihr so richtig eins in die Fresse geben. Letzteres überwog derzeit um Längen. "Wie ist das überhaupt möglich... Du..." Er fand keine Worte und schüttelte fassungslos den Kopf. Trotz aller Kampfeslust war es fast ein Reflex, zurück zu weichen, wenn sein Gegenüber einen Schritt auf ihn zumachte. "Sasuke-" "Komm mir nicht zu nah!" Er konnte nicht... Seine Gestikulation war scharf und irgendwie ziellos, die Hände ballten sich zu Fäusten und entrollten sich wieder, er hob sie und sank sie wieder ab. "Es kann überhaupt nicht... Es ist unmöglich- Ich habe dich begraben, Itachi!" Letztendlich schoss eine ebenjener Hände hoch und kratzte über den eigenen Skalp unter den seidigen Strähnen, die es bedeckten, voller Erschütterung und vergangenem doch nie vergessenem Schmerz. "Neben unseren Eltern, ich habe dich begraben!" Wie... Er hatte diese eine Stimme über die Telefonleitung gehört und ausgeflippt, jetzt wo er vor dem lebendigen Besitzer davon stand, fühlte er sich gänzlich überrumpelt, er starrte in dieses so vertraute Gesicht und sah die Empathie, die in jenen genauso nachtschwarzen Augen reflektiere, auch wenn der Gesichtsausdruck seines Bruders unverändert blieb: ruhig und gesammelt. "Du hast nichts, als einen leeren Sarg begraben, Sasuke. Ich hatte überlebt," seine Tonlage war sanft und fest, beinahe... schonend. "Man wollte dich und Kakashi glauben lassen, ich wäre tot. Irgendwo war ich es auch gewesen." Der jüngere Uchiha verstand immer weniger. Er hatte überlebt...? Man hat seinen Tod gestellt? Wieso? Wer? Warum? "Was...? Wie meinst du- Das macht überhaupt keinen Sinn!" Wenn er doch die ganze Zeit lang am Leben war, wo zum Teufel war er gewesen? Als Sasukes Welt auseinander fiel und in Finsternis versank, wo war er gewesen?! "Es ist komplizierter, als du denkst. Ich konnte mich nicht frei bewegen." Itachi machte wieder einen Schritt auf ihn zu und Sasuke wich wieder zurück, stolperte fast über den umgekippten Stuhl hinter ihm. "Ich bin erst seit knapp einem Jahr wieder zurück-" "Ein gottverdammtes Jahr?!" Jetzt hatte er einmal mehr das Verlangen, selbigen Stuhl auf sein Geschwisterteil zu schleudern. "Und du hast nicht daran gedacht, zum verfickten Hörer zu greifen oder wenigstens zu Stift und Papier?!" Irgendeine Nachricht, ein Lebenszeichen... Wieso die Funkstille? Wieso das Verheimlichen? "Das war das Letzte, was du gebraucht hast-" Oh, das schlug dem Fass den Boden aus. Sasukes Augen blitzten wuterfüllt auf und er stürmte voran, die Faust auf die unbewegte Miene seines Bruders gerichtet. "Halt die Schnauze!" Der Ältere wich aus mit einer Leichtigkeit und Eleganz, die seinen ungewollten Gegner nur weiter zum Kochen brachte. "Was weißt du schon davon?! Weißt du, was ich nach all dem Scheiß hätte gebrauchen können? Meinen verdammten, tot geglaubten Bruder!" Er schlug nach ihm, immer und immer wieder, traf aber nur Luft. "Sieben Jahre, Itachi... Sieben verfickte Jahre!" Letztendlich fing Itachi die abermals nach ihm ausgeworfene Faust ab, die Berührung jener Handfläche gegen sein Handgelenk ein größerer Schock gegen seine Sinne, als Sasuke es erwartet hatte. Wie ein realer Beweis, dass der Mensch vor ihm wirklich echt war. "Ich sagte doch, ich bin erst vor knapp einem Jahr wieder zurückgekehrt." Sein Arm wurde geschickt verdreht und sein Körper genauso geschickt geschubst, was ihn fast mit der Nase auf den teppichbezogenen Boden klatschen ließ. Er behielt mit Mühe das Gleichgewicht und wirbelte sofort wieder herum, um seinen älteren Bruder weiterhin mörderisch überreizt anzufunkeln. Zurückgekehrt? Von wo? Und überhaupt- "Sasuke... Nachdem ich ihn aufgefunden hatte, hat Kakashi mir erzählt, was du nach jener Nacht durchgemacht hast." Die plötzliche Reue, die Itachis stattlichen Konturen und die samtige Klangfarbe seiner Stimme berührte, nahm dem jüngeren der Brüder genauso plötzlich allen Wind aus den Segeln. Sasuke senkte die Hände ab und starrte sein Gegenüber einfach nur unbeholfen an. "Du hattest dir endlich nochmal ein normales Leben aufgebaut. Ich wollte es nicht wieder ruinieren, sondern das genaue Gegenteil. Ich wollte dich beschützen und das ging am besten, wenn ich mich von dir fernhielt." Es tat weh. Die Worte, die er sprach, die warme, einsichtige Intonation mit der er sie überbrachte. Es schnürte Sasuke die Kehle zu und er fühlte seine Brust sich so heftig von irgendwelchem unbekannten Gewicht zusammengedrückt, das Atmen war unglaublich schwer. Itachi... Immer noch... Er war immer noch... Mein großer Bruder. "Das Letzte, was du gebraucht hattest, waren all die Gefahren, denen unser Wiedersehen dich aussetzen würde. Es war zu spät, du hattest es endlich überwunden und bist mit deinem Leben vorangeschritten, mein Auftauchen hätte es nur kaputt gemacht. Es war besser so." Diesmal blieb er wie eingefroren auf der Stelle, während Itachi einen Schritt auf ihn zumachte. Und noch einen, und einen mehr, mit bedachter, behutsamer Vorsicht. "Es hat sich nichts geändert, Sasuke. Damals wie heute, glaube mir, ich habe bei allen meinen Entscheidungen in allererster Linie immer an dich gedacht." Er war so nah, ein Ausstrecken der Hand hätte gereicht, um ihn zu berühren. Diese Nähe brachte so viel hoch... so viele Erinnerungen... so viele Gefühle, Gedanken... Der Kloß in seinem Hals erschwerte das Sprechen, insofern entfloh Sasukes Antwort ihm in einem erschüttert-ungläubigen Hauchen. "Damals wie heute... bist du immer noch ein unglaublicher Idiot... Nii-san." Sieben Jahre, die jenes Wort nicht mehr über seine Lippen gekommen war, er dachte, sie hätten gänzlich vergessen, wie diese Silben überhaupt geformt wurden. Doch sie erinnerten sich... und er tat es auch. Sie beide taten es, und beim Klang jenes Rufs schmolz auch Itachis Geruhsamkeit dahin, machte somit Platz für aufrichtige Erleichterung und Emotionen, die verrieten, wie sehr sein kleiner Bruder ihm ebenfalls gefehlt hatte. Wie schwer es gewesen war, all jene Zeit ohne ihn leben zu müssen... und wie gewichtig das Wunder dieses Moments, wo sie sich endlich wieder gegenüber standen, sich auf beider ihrer Schultern legte. Sasuke zuckte zusammen, als Itachis Arme sachte um ihn griffen. Er erstarrte, doch sie hielten ihn fest und zogen ihn näher, bis sie ihn mit behutsamer Kraft an die so vertraute, so sehr vermisste Wärme drückten. Er war am Leben. Itachi war am Leben... er lebte. Lebte... Er lebte... Die Gründe waren in diesem Augenblick mit einem Schlage vollkommen egal, es zählte nur dieser eine unbeschreiblich wundervolle Fakt. Die Erkenntnis sank mit einer abrupten Wucht in sein Bewusstsein und seine Hände schossen hoch, um sich verzweifelt in den Stoff an jenem starken Rücken zu verkrallen. Seine Stirn fiel gegen jene Schulter, seine Augen schlossen sich und alle Muskeln spannten sich abrupt an, als er Itachis Umarmung mit aller Macht erwiderte, sodass sein Körper von der Anspannung, der Kraft, mit der er den Anderen festhalten wollte, zu zittern anfing. Er konnte nicht länger- Und da waren sie. Die Tränen, die mit einem Male und einem gedämpften Schluchzer überflossen, aufgesogen von dem dunklen Material an jener strammen Schulter. Eine Hand um Sasukes Nacken gelegt, presste Itachi ihn nur weiter gegen seine Halsbeuge und streifte seine Lippen wohlwollend sanft gegen die schwarzen Strähnen nahe jener Schläfe. "Es ist alles gut. Alles gut." Seine Stimme war ein geruhsames Flüstern, auch wenn er selbst die Augen schließend sich um die Fassung bemühte, den Ansturm an Gefühlen standzuhalten. Anstatt in Tränen drückten diese sich aus in der Festigkeit seines Griff, den er jäh um seinen kleinen Bruder verstärkte, schützend und nahezu verzweifelt zugleich. "Es wird alles wieder gut, Sasuke." Das verspreche ich dir. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)