Mogelpackung von Aislynn (Sasuke/Sakura) ================================================================================ Kapitel 1: Trugbilder --------------------- Mogelpackung Kapitel 1 Trugbilder [Freitag, 10 Juli, 07:47 Uhr] Die Menschen redeten. Sie redeten immer, und überall. Über Wetter, über Kleidung, über Arbeit, Politik, Gesellschaft. Doch kaum ein Gesprächsthema war unterhaltsamer als andere Menschen. Als diese zu beurteilen und zu evaluieren, ihre Art sich zu benehmen, ihre Art sich zu kleiden, ihre Art sich zu bewegen, ihr Auftreten, ihre Erscheinung, ihre Gestik und Mimik. Ja, Menschen waren immer das interessanteste Gesprächsthema überhaupt. Besonders in der Schule. Teenager auf dem Höhepunkt der Persönlichkeitsentwicklung, nicht zuletzt geformt durch ihre tagtägliche Umgebung und die Geschehnisse in dieser. Momentan war der große Schulhof voll mit Schülern aller Altersstufen, unterschiedlich im Aussehen und Verhalten, versammelt in kleinen und großen Gruppen, manche ganz allein ob ausgestoßen oder einfach nur mit sich selbst beschäftigt, Pärchen am Turteln, herumalbernde Jungs und kichernde Mädchen. In der Mitte des Hofs befand sich eine liebreizende Fontaine, niemand wusste genau, warum sie dort stand, wahrscheinlich einfach nur, um der üblicherweise langweiligen, akademischen Erscheinung des eigentlichen, riesigen Schulgebäudes etwas Extravaganz zu verleihen. Selbiges Gebäude kreiste den Schulhof in einem nicht geschlossenen, rechteckigen Gebilde ein, mehrere Treppenstufen führten zum verglasten Eingang, breite Flecken von saftig-grünem, frisch gemähtem Gras hier und da während die grauen, betonierten Flächen Absätze zum Klickern und Schuhsolen zum Stampfen brachten. Neben dem Springbrunnen stand eine Gruppe Menschen. Mädchen, zwei von ihnen saßen auf der Marmorumrandung des Bassins in welches das Wasser runter plätscherte, weitere drei standen in einer lockeren Pose daneben. Eine von ihnen sprang einem sofort ins Auge aufgrund ihrer beinahe aristokratischen Haltung und einer makellosen Erscheinung von Kopf bis Fuß, wie eine tadellose Präsentation aus Mutter Naturs Schönheitsselektion. Fein skulptierte Gesichtszüge und ein perfekt proportionierter Körper gehüllt in beispiellos elegante Kleidung. Sie war nicht größer als 1,65, rank und schlank und umgeben von einer Aura natürlicher Selbstsicherheit in ihr umwerfendes Aussehen, ein Auftreten, welches gewiss berechtigt war. Pinkfarbenes Haar umrahmte ihr bezauberndes Antlitz geschmeidig in einem exquisiten Styling, makellose Haut sanft und blass wie feinstes, lebendes Porzellan. Weite, liebliche, tiefgrüne Augen dezent unterstrichen durch einen Hauch von Make-up, stolz und beseelt mit dem Verständnis, das ihre Besitzerin das eleganteste und anmutigste Wesen war, welches diese Schule - wenn nicht diese ganze Stadt - zu bieten hatte. Niemand konnte an ihr vorbeigehen, ohne wenigstens einen Blick auf sie zu werfen: einen interessierten Blick, einen schüchternen Blick, einen anbetenden Blick, einen Blick der Lust, der Begierde, der Eifersucht oder gar des Hasses, weil sie so war, wie sie war - wunderschön, und sie alle waren gleichwohl zu ihr hingezogen. Nicht nur dank ihren Aussehens sondern auch dank der Art und Weise, wie sie sich hielt, würdevoll aber nicht arrogant. Sie war sich dessen vollkommen bewusst, dass sie mit dem richtigen Lächeln und dem richtigen Augenaufschlag jede oder jeden haben könnte. Sie wusste ob ihrer Reize Bescheid, nur dass sie diese selten einsetzte, trotz all der Gerüchte, die in der Schule kursierten. "Ne, Sakura. Ich habe letztens gehört, dass sogar Seiichiro sich für dich zu interessieren scheint," sprach eine der sitzenden Mädchen durch ein Grinsen aus, und schaute dabei auf zu dem anmutig Wesen, welches, lässig die Arme vor der wohlgeformten Brust verkreuzt, mit einer eher ausdruckslosen Miene dastand. Was sie gehört hatte, war nichts Neues für Sakura. Leute interessierten sich ständig für sie. "Oh, echt? Der Präsident des Schülerrats höchstpersönlich?", elaborierte die zweite Sitzende, ihre Worte unterstrichen von Respekt. Es war nicht von Belang, dass besagter Junge - oder eher fast schon Mann - dieses Jahr seinen Abschluss machen würde, während sie selbst noch knapp zwei Jahre davon entfernt waren. Alter tat nichts zu Sache, besonders nicht in Sakuras Fall. "Yep. Ne, Sakura, was wirst du machen, wenn er dich nach einem Date fragt?", das Mädchen neben der Angesprochenen grinste ebenfalls, obschon sie es nicht wagte, besagte Angesprochene spielerisch anzustupsen, während diese sich mit einer flüchtigen Geste eine rosenfarbene Strähne aus dem ansehnlichen Antlitz strich. "Wir werden sehen," zuckte Sakura sorglos mit den Schultern, ihre Augen beobachteten dabei etwas reserviert das rege Treiben auf dem Schulhof. Sie hatte schon vielen, sowohl Jungs als auch Mädchen, eine Abfuhr erteilt. Vorsitzende von unterschiedlichen Sportclubs in der prominenteren, männlicheren Kategorie, die Anführerin des Cheerleadervereins auf der Liste der beliebteren, weiblichen Abteilung. Natürlich auch diesem und jenem Klassen- und Stufenkameraden, jüngeren Schülern, älteren Schülern und sogar ein paar Lehrern. Eisprinzessin, so nannten sie manche Leute. Unheimlich schön, doch genauso unheimlich kalt und unantastbar, begehrt von so vielen und doch würdigte sie kaum jemanden eines längeren Blickes. Die meisten dachten, sie war hochnäsig aber sie hatte noch nie mit jemandem oder dessen Gefühlen gespielt. Sie war immer, von Anfang an, ehrlich und direkt mit ihnen gewesen: Tut mir Leid, ich bin nicht interessiert. Sie wusste natürlich, dass viele der Gerüchte in der Schule auch etwas ganz anderes besagten und sie somit in ein komplett anderes Licht rückten. Sie wusste auch, dass es sinnlos war, dagegen anzukämpfen und versuchte einfach nur, sich nicht darum zu scheren. Nichtsdestotrotz scherte sie sich immer noch mehr darum, als ihr lieb war und mehr, als es je jemand wirklich wissen würde. Ihr Blick blieb auf einer neuen Präsenz hängen, die ihre Ankunft mit dem lauten Aufbrummen eines Motorradgetriebes verkündete. Es war ein Monster von einem Fahrzeug, schwer und groß, lackiert ganz in einem schimmernden Schwarz. Es verströmte ein sanftes aber machtvolles Knurren seines Motors, als es geschmeidig in eins der Parklücken gelenkt wurde, ohne Mühe und mit Geschick. Das Knurren erstarb sobald Füße in Bikerboots ihre Sohlen auf den Boden platzierten, ein paar in Lederhandschuhe gehüllte Hände nahmen den nicht minder schwarz-schimmernden Helm vom Kopf des Fahrers und enthüllten somit ein sehr attraktives Gesicht. Zum Vorschein kam pechschwarzes Haar mit ein paar frech abstehenden Strähnen, und einige von diesen fielen sachte wieder in die Position, in der sie beim Helmabnehmen gestört wurden, während sich der gut gebaute Körper in dem stilvollen Bikeroutfit locker vom Motorrad schwang. Ihre Freundinnen, oder so pflegte Sakura sie zu nennen, kräuselten die Näschen, als sie die selbe Person beobachtend, auf der auch Sakuras Blick gerade verweilte. "Ständig so ein Protz, dieser Uchiha." Nun. Wenigstens hatte der Junge was zum Protzen, auch wenn Sakura diesen Gedanken lieber für sich behielt. Stattdessen gab sie ein unbestimmtes "Hmm," von sich. "Genau," stimmte eine der Sitzenden der vorherigen Aussage zu, fleißig dabei, eine genauso abschätzige Grimasse zu schneiden, die auch die anderen Mädchen, Sakura ausgenommen, auf ihren Gesichtern trugen: irgendwas zwischen Abscheu und Abfälligkeit, genauso wie einer guten Portion Spott. "Dennoch. Man sollte sich lieber nicht mit ihm anlegen," steuerte das zweite sitzende Mädchen ihre fünf Cent bei. "Man munkelt, er verdrischt Leute ziemlich übel. Ich hab gehört, es war er, der Najimuras Nase bei dem Handgemenge vorgestern gebrochen hat." Najimura war der Kapitän des Schulfußballteams, Sakura kannte ihn. Eine stämmige und beschränkte Sportkanone, der großen Spaß daran hatte, sich über Menschen kleiner und schwächer als er selbst in einer nicht selten hässlichen Art und Weise lustig zu machen. Beiläufig wunderte sie sich, ob Najumura immer noch jedes Tor, das er machte, ihr widmete. Idiot. Vorgestern war was gewesen...? Samstag? Ja, sie hatte davon gehört. Die Schülerfete in der Roten Rose, einem der bekannteren Nachtklubs der Stadt, hatte wohl einmal mehr mit zu viel Alkoholkonsum und Raufereien geendet, so wie eigentlich immer. Sakura war selber noch nie da gewesen, aber sie hatte schon einiges davon gehört. "Echt?", eine der Zwei, die neben der teilnahmslosen Sakura standen, hob die Augenbraue. "Ich hab auch gehört, dass er dealt. Mit dem richtig gefährlichen Kram, Heroin und Crack und so." War das der Grund, warum er auf dieser Party gewesen war? Um dort zu dealen, vielleicht? Vielleicht hatte er auch deswegen Najimuras Adlernase verbogen. "Das hab ich auch gehört!", beeilte sich die zweite Stehende, eifrig einzustimmen. "Ich wette, er hat'ne Knarre. Oder wenigstens ein Messer! Hat Noriko nicht letztens erzählt, dass ihre Freundin, ein Mädel aus einer anderen Schule, vor'nem Monat vergewaltigt wurde oder so? Wenn du mich fragst, kannst du einem Typen wie ihm so was zutrauen." Sakura legte die Stirn in Falten. Sie kannte Noriko aus der Parallelklasse, das genormte Miststück, das jede Stufe einfach haben musste. Immer wie ein Bluthund darauf aus, den miesesten und fiesesten Kram über alles und jeden, den sie nicht mochte oder der ihr quergekommen war, zu verbreiten, den sie ausgraben - oder sich ausdenken - konnte. Uchiha... Sie kannte nicht mal seinen Vornamen, und dennoch war es irgendwo schwer für Sakura, sich dieses ansehnliche Antlitz in einer Grimasse perverser Zufriedenheit vorzustellen, wie die von jemandem, der sich an einer anderen Person in welcher Weise auch immer verging. Doch was wusste sie schon... Vielleicht stimmten die Gerüchte über diesen Uchiha-Typen ja wirklich... Ohne es wirklich zu bemerken, starrte Sakura den Jungen an. Besagter Junge war gerade bei einer Gruppe Menschen angekommen, drei insgesamt, die so ähnlich aussahen, wie er selbst: schwere Bikerkleidung, Helm unter dem Arm, Zigarette zwischen den Zähnen, ungeachtet dessen, dass Rauchen auf dem Schulhof eigentlich verboten war. Es war die Art Leute, die viele auf den ersten Blick als grob und skrupellos bezeichnen würden. Die Unruhestifter, der gewalttätige Typ. Der Typ, den man mit allen Mitteln meiden sollte, wenn man nicht darauf aus war, in Schwierigkeiten zu kommen oder selbst welche zu verursachen. Sasuke würde nie abstreiten, dass er zuweilen gewalttätig war. Oder skrupellos, oder grob. Doch alles, was sich in seinen Taschen befand waren seine Hausschlüssel, sein Handy und eine Kaugummipackung. "Hey, Sasuke-kun. Heute ausnahmsweise mal nicht zu spät?" Er begrüßte seine Kumpels mit einem anerkennenden Kopfnicken, ließ sie aber ohne Antwort und drehte den Kopf, als er einen verweilenden Blick auf sich spürte. Seine Augen trafen auf ein dunkles, grünes Gegenpaar, und seine Gesichtszüge formten eine düstere Miene, nachdem er den Ausdruck in besagtem Gegenpaar vernahm. Dieser war abschätzend. Urteilend, beinahe schon vorverurteilend. "Hast du was mit dem Schulflittchen dort zu schaffen, Sasuke?", brachte ihn die Stimme einer seiner Freunde dazu, seine Aufmerksamkeit kurz diesem zuzuwenden. "Du planst doch nicht etwa, sie abzuschleppen?" fügte ein zweiter mit einem Glucksen hinzu, was Sasukes Gesichtsausdruck sich gefährlich verfinstern ließ. Mehr war nicht nötig, um den anderen effektiv zum Schweigen zu bringen, seine Belustigung mit einem Schlag wie weggefegt als er sich mit einem unbehaglichen Lächeln räusperte. Sasuke war nicht gut auf Witze zu sprechen, besonders wenn diese auf seine Kosten gemacht wurden. "Ich persönlich würd sie nicht mal mit Handschuhen anfassen," schaltete sich nun der dritte Junge ein, um die Situation wieder etwas zu entladen. "Man munkelt, sie hat schon mit der halben Schule geschlafen. Vielleicht hat sie für das ein oder andere Mal auch ein gutes Sümmchen abkassiert. Sogar Seiichiro scheint auf ihren Hintern scharf zu sein." Hm. Sasuke kannte Seiichiro. Ein Klassenkamerad und ein durch und durch unausstehliches Individuum, ein absolut aufgeblasenes und arrogantes Arschloch, nicht zuletzt dank seiner hohen Position in der Schule und dem Einfluss seines Vaters. Ein reicher Pinkel, was sein aufgeblähtes Ego in keiner Weise kleiner machte. "Yep," stimmte der unglückliche Witzbold eifrig ein und spuckte dabei angewidert zur Seite. "Ich hab gehört, sie steht auf Gangbang. Wo sie's so richtig schön in alle Löcher kriegt, die sie so hat. Gleichzeitig." Sasuke warf noch einen flüchtigen Blick in die Richtung des anmutigen weiblichen Wesens, das dort so lässig in einer unbeschwerten Pose verweilte. Der nunmehr gleichgültigen Ausdruck auf dem hübschen Antlitz, die stolze Haltung. Es war irgendwo schwer für ihn, sich diesen wohlgeformten Körper in einem Wirrwarr von nackten, schwitzenden Gestalten vorzustellen, gefangen in anstößiger Triebbefriedigung. Doch was wusste er schon. Vielleicht stimmten die Gerüchte über dieses Sakura-Mädel ja wirklich... Ohne es wirklich zu bemerken, starrte er zurück. Es war die Schulklingel, die den unerwartet langen Augenkontakt unterbrach, ihr Klang sanft und angenehm für die Ohren. Diese Privatschule legte großen Wert auf das Wohlbefinden ihrer Schüler bis hin zu solch kleinen Dingen, wie dem Ton der Klingel. Vier 45-Minuten langen Stunden später war die große Pause und fünf Minuten vor dem Ende dieser fand sich Sakura wieder auf ihrem Platz ein. Sie blieb nicht lange allein. "Hallo, meine Hübsche." Sitzend und interesselos den Blick aus dem Fester gerichtet, drehte sie sich nicht nach der Stimme um. Der starke Arm, der ungeniert um ihre schmalen Schultern griff, gehörte dem großgewachsenen Jungen, der neben ihrem Tisch zum Stehen gekommen war. Er besaß kurz geschnittenes, nach hinten gegeltes, braunes Haar und sein robuster, athletische Körper war in die weiß-blaue Schuluniform gekleidet, maßgeschneidert um seine muskulöse Statur zu Schau zu betonen. "Na, langweilst du dich?" Der Arm verschwand wieder, stattdessen senkte sich das Gewicht des älteren Jungen auf die Ecke der Schulbank, als Seiichiro sich lässig draufsetzte. Sakuras Klassenkameraden wagten tuschelnd dann und wann verstohlene Blicke in ihre Richtung, schließlich kam es nicht jeden Tag vor, dass der Vorsitzende des Schülerrates höchstpersönlich in der Unterstufe auftauchte. Ihre klare, smaragdgrünen Augen schwenkten den Blick vom Fenster weg und schauten auf, während ihre lieblichen Lippen ein nicht minder liebliches Lächeln formten. Ihre Stimme war samtig und leicht, etwas schüchtern, etwas verspielt. Alles Teil eines Images, das eigentlich gar nicht ihres war. "Ein wenig." "Weißt du..." Seiichiro streckte die Hand aus, um beiläufig eine Strähne von Sakuras Haar weg zu streifen - es war in der Tat genauso seidenweich wie es aussah. "...mit mir würdest du dich nie mehr langweilen. Interessiert?" Seine dunklen Augen beobachteten den jüngeren Teenager mit unmissverständlicher Begierde. Sie war ein feines Accessoire zum Aneignen, genau das, was er brauchte, um sich noch mehr hervorzutun. Eine zum Sterben schöne Freundin, die jeder wollte, und die er besaß. Seiichiro hatte schon genug Mädels jeden Alters gehabt und Sakura wusste gut, dass sie wahrscheinlich nur die ultimative Trophäe war. Mit jungen 17 Jahren war es ihr zweites Jahr an der Senior High, Seiichiro war eine Stufe über ihr und vor kurzem noch mit einer bildhübschen Studentin liiert. Warum dem nicht mehr so war, wusste Sakura nicht und zu ihrem Leidwesen war er nun also wieder Single und auf der Suche nach neuem Zubehör. Leicht die Lippen schürzend bemerkte sie ganz genau, wie hungrig der Blick des Jungen auf diesen haftete. "Vielleicht," gab sie zur Antwort. Nun, Seiichiro sah nicht schlecht aus, ganz und gar nicht. Er war älter, hatte viel Ansehen, einen guten Ruf, Geld und verdammt viel Macht. Er gab eine gute Partie ab, egal für wen. Gleichwohl hatte Sakura ein mehr unangenehmes denn gutes Gefühl bei der Sache. Doch... wie sagt man in solch einer Lage nein? Dies war anders, als jede bisherige Situation, dieser Junge stand an der Spitze der Nahrungskette, Erbe eines millionenschweren Firmenimperiums und auch wenn Sakura selbst aus einer wohlhabenden Familie stammt, stand Seiichiro immer noch weit drüber und seine Position schüchterne das junge Mädchen ziemlich ein. Wenn sie ihm einen Korb geben würde, waren die Konsequenzen ganz und gar unabsehbar. Seine Position und seine Persönlichkeit machten ihn gefährlich und es beängstigte sie genug, dass die Worte der Ablehnung ihr im Halse stecken blieben. "Ich sag dir was, Sakura-chan," Seiichiro bog sich leicht nach vorne, seine amüsiert schimmernden Augen studierten dabei eingehend jenes sündig schönes Gesicht. "Ich bin das Beste, was man hier kriegen kann." Womit er natürlich vollkommen Recht hatte. Es war der unverfrorene Hochmut, der bei ihr die Alarmglocken schrillen ließ. "Ich habe schon seit einiger Zeit ein Auge auf dich geworfen, und du gefällst mir sehr. Du bist genau das, was ich will." Der Unterton dieses trügerisch schmeichelhaften Satzes implizierte bereits, dass Seiichiro immer das kriegte, was er wollte. Sakura unterdrückte ein bitteres Schmunzeln, na wenn sie da mal kein Glück gehabt hat, huh. Nach Außen hin war ihre Reaktion eine andere - mit einem subtilen Flattern von feingeschwungenen, schwarzen Wimpern senkte sie lediglich ein wenig ihren Blick, schließlich musste man sich geschmeichelt zeigen, egal ob man nicht eher genau das Gegenteil fühlte. "Ich führ dich aus, diesen Samstag, zu einem schönen Ort, wo wir eine schöne Zeit verbringen können. Was sagst du?" Irgendwie klang es für sie nicht wirklich nach einer guten Idee und es war mit einem mulmigen Gefühl im Bauch, mit dem sie ein sanft ausgesprochenes "Warum nicht," verlauten ließ. Seiichiro lachte auf, eindeutig gut gelaunt. "Ausgezeichnet. Ich hole dich dann um Sechs ab?" Ein Nicken ihrerseits. Obwohl sie selbst aus sehr wohlhabenden Kreisen kam, da ihr Stiefvater großen Einfluss auf verschiede Businesszweige der Stand ausübte, war sie im Gegensatz zu Seiichiro noch zu jung, um ein eigenes Auto zu besitzen. Auch wenn sie auf verschieden hohen Stufen standen, gehörten sie beide zu der High Society, der Crème de la Crème der jüngeren Liga. Sie passten gut zusammen, nicht wahr... Seiichiros Macht und ihre Schönheit, die Vorzeigefrau am Arm eines einflussreichen Manns. Sie war ein Statussymbol, und der Gedanke machte sie krank. Sie wusste genau, was er wollte und dennoch konnte sie nicht dem Druck entfliehen, sich genau in die Rolle einzuzwängen, die ihrer beider Welt für sie vorsah. Es klingelte. "Wir sehen uns dann morgen." Seiichiro beugte sich vor, um seine Lippen gegen die weiche, helle Haut an Sakuras Wange zu pressen. Wie eine Reviermarkierung. Sie erschauerte beinahe, hielt ihr charmantes Lächeln aber aufrecht. Sobald Seiichiro den Klassenraum verlassen hatte, wandte sie den Blick wieder aus dem Fenster, dem klaren Sommerhimmel entgegen. Hoch am Firmament kreiste die Silhouette eines kleinen Vogels. Wenige Minuten später kam Seiichiro im eigenen Klassenraum an, und da der Lehrer sich dort noch nicht eingefunden hatte, wurde er sofort von seinen Kumpels und ein paar sonstigen Lakaien aus seiner Clique eingekreist. Ihr Geschnatter und Gelächter war laut genug, dass auch Sasuke es hören konnte, er selbst eine eher seriöse, wenn nicht sogar ein wenig bedrohlich wirkende Präsenz hinter seiner Schulbank, die an genau derselben Stelle stand, wie auch Sakuras ein paar Räume entfernt. Mitte der äußersten Reihe, am Fenster. "Und? Hat sie zugestimmt?" "Natürlich hat sie das. Als ob irgendjemand nein zu mir sagen könnte. Die Süße ist jetzt ganz mein." Seiichiros Stimme. Selbstbewusst, laut, arrogant. Quittiert wurde die Aussage von einem neidischen Glucksen. "Verdammt, Sei. Da hast du dir ja einen extra-hübschen Hintern ans Land gezogen." "Definitiv." Der Schülerratvorsitzende feixte selbstzufrieden. "Na dann wünsch ich dir schon mal viel Spaß im Bett." Gab ein anderer frivol grinsend von sich. "Ich wette, mit den Lippen gibt sie richtig gute Blowjobs." Es folgte eine weitere Lachsalve und Sasukes Augenbrauen zogen sich abrupt in Verachtung und Aversion zusammen. Was lief denn bei dieser Sakura falsch, um Gefallen daran zu finden, wie ein Sexspielzeug behandelt zu werden? Wusste die Kleine überhaupt, wie man über sie daherredete und wie krass sie objektiviert wurde? Kümmerte es sie überhaupt? Na ja. So oder so ging das Sasuke nicht wirklich was an. "Hmpf," ein unbestimmter Laut, den er eigentlich mehr an sich selbst gerichtet hatte, doch Seiichiros Aufmerksamkeit wandte sich augenblicklich zu ihm. "Hast du irgendwie Probleme, Uchiha?", eine gemächlich gestellte Frage, als der Brünette sich lässig gegen die eigene Schulbank lehnte. Onyxfarbene Augen fokussierten ihren kühlen Blick auf der Gestalt des Schülerratvorsitzenden, bevor eine angenehm tiefe Stimme eine ruhige Antwort verlauten ließ: "Nein. Willst du welche?" Seiichiro schnaubte, der abschätzige Laut begleitet von genauso abschätzigen Gemunkel seiner Kumpane, doch sie hielten sich zurück im Anschein von Gleichgültigkeit. Sie waren nicht dumm genug, sich mit Sasuke anzulegen, insbesondere hier. "Bleib mal ruhig, Kumpel. Musst du immer so griesgrämig sein?" Hohn. Aber es irritierte Sasuke nicht. Noch nicht. "Deine hässliche Visage fünf Tage die Woche sehen zu müssen hat nun mal diese Wirkung auf mich." Er hatte schon immer gewollt, besagte hässliche Visage mal richtig zu polieren, aber bis jetzt ging es nie über verbalen Schlagabtausch hinaus. Seiichiro, ungeachtet seines aufgeblasenen Verhaltens, fürchtete ihn und Sasuke selbst hatte keinen Bedarf an zusätzlichen Schwierigkeiten. Er hegte immer noch die Hoffnung, dass er seinen Schulabschluss ohne großartige Gewaltausbrüche zwischen sich und dem pompösen Arschloch dort schaffen würde. Erwähntes Arschloch funkelte ihn finster an. "Du solltest dein Maul echt nicht so weit aufreißen, sonst muss ich's dir irgendwann mal stopfen." Die Augenbrauen des Schwarzhaarigen schoben sich ein Stück tiefer nach unten, ein Aufblitzen von Ärger passierte die nachtschwarzen Tiefen, doch die Situation wurde durch das Erscheinen des Lehrers entschärft. So wie fast immer passte Sasuke im Unterricht eher mittelmäßig auf. Seine angeborene Intelligenz machte die elitäre Bildung hier leicht genug, damit seine Noten auch ohne große Anstrengungen präsentabel blieben, womit er nicht um seinen Abschluss fürchten musste und das war auch alles, was für ihn wirklich zählte. Mit einem Abschluss auf dieser Schule war man ihm Leben mehr als gut bedient, solange der Notenspiegel über den Durchschnitt blieb. Er wusste, dass es vielen ein Rätsel war, wie er es überhaupt auf diese Schule geschafft hatte, denn dieses Vorrecht gebührte bei weitem nicht jedem. Er passte hier nicht wirklich rein, weil weder sein Papi noch seine Mutti steinreich waren, noch war er eine Intelligenzbestie im Schulforderungsprogramm. Niemand außer dem Schulrektor wusste ob seines echten Hintergrunds und seiner wirklichen Herkunft, und er bevorzugte, dass es dabei blieb. Gleichgesinnte hatte er hier keine und seine Bikerkumpane galten sicherlich nicht als solche. Sie waren nichts mehr als ein Paar unerfahrene, verzogene Kids, die den harten Typen mimten, weil sie dachten, dass die Mädels darauf abfuhren oder dass es sie besonders 'cool' machte. Er gab sich mit ihnen ab, weil er nicht als komplett asozial dastehen wollte, also ertrug er sie, soweit es nötig war. Für jemanden wie ihn half es nun mal sich nicht allzu sehr von der Masse abzuheben und sich somit unnötige Schwierigkeiten vom Hals zu halten. Es war später an diesem Tag, als er an den Parkplätzen stand und dabei war, seinen Helm aufzusetzen und sich auf sein Motorrad zu schwingen, dass der schweigsame Junge wieder Sakura erblickte. Ihre zierliche, schlanke Gestalt wirkte ziemlich klein und zerbrechlich in mitten der Gruppe aus Seiichiro und seinen Kumpanen, welche allesamt kräftige, korpulente Burschen waren, die Sasukes Meinung nach viel zu viel Freizeit hatten. "Tsk. Ich schätze, Seiichiro hat sich ein neues Vorzeigebetthäschen angelegt." Die Stimme, die neben ihm erklang, ließ ihn den Kopf Richtung seiner Kumpels drehen, die gerade ebenfalls am Parkplatz angekommen waren. "Für wahr. Sieh dir das nur an, ist doch total abartig." Jedoch konnte er ohne Probleme sagen, dass es zum größten Teil Neid war, der da aus seinen sogenannten Freunden sprach. Seine pechschwarze Iriden schwenkten ihren Blick zurück zu der Szenerie, die er gerade eben schon beobachtet hatte. Seiichiro und seine Gefolgschaft lachten gerade über welch auch immer dummen Witz, der da gefallen sein mochte, und der Arm des Schülerratvorsitzenden war um die schmalen Schultern des Mädchens neben ihn geschlungen - er hielt sie ersichtlich demonstrativ an sich gepresst, wie eine neu erworbene Auszeichnung. Sasuke runzelte missfallend die Stirn. Sah so aus, als wäre dieses Mädel tatsächlich ein billiges Flittchen. Andererseits galt das Ausgehen mit dem Präsidenten des Schülerrats als so was wie das Gewinnen des ersten Preises, insofern war sie wohl ein teures Flittchen. "Was denkst du, Sasuke-kun?" In Antwort auf die Frage zuckte er nur die Schultern. "Geht mich nichts an." Dann wurde sein Gesicht vom Helmvisier verdeckt. Er schwang sich auf sein metallisches Ross und kurz darauf röhrte der kräftige Motor energisch auf. Dieses Geräusch brachte Sakura dazu, ihren Kopf nach rechts zu wenden, wobei sie geflissentlich den Fakt ignorierte, wie störend und unangenehm sich Seiichiros Arm um sie anfühlte. Das anmutige Wesen fühlte sich - zwar völlig unmerklich aber dennoch - unwohl in der Gesellschaft all dieser Jungs, fast schon Männer, um sie herum. Sie redeten über Dinge, an denen sie kein wirkliches Interesse hatte, zudem kannte sie keinen von ihnen gut genug (oder überhaupt), damit sie sich wirklich am Gespräch beteiligen konnte. Nun ja, vielleicht sah man es auch gänzlich nicht vor, dass sie sich überhaupt beteiligte. Sie war einfach nur da, eine wunderhübsche Dekoration an Seiichiros Seite, um seine Macht und Position elegant zu unterstreichen. Schaut her, er konnte jeden haben. Das mulmige Gefühl in ihrer Magengrube verstärkte sich bis zu dem Punkt, an dem sie sich wünschte, dass sie einfach nur nach Hause gehen könnte. "Was starrst du denn dort so Interessantes an, Süße?" Sie waren noch nicht mal ausgegangen und schon nahm er sich das Recht auf dumme Kosenamen heraus. Mit einem aufgezwungenen Lächeln schüttelte Sakura den Kopf. "Nichts." Dort war wirklich nichts Interessantes zum Anstarren mehr, weil das rote Rücklicht alles war, was von Sasuke und seinem Motorrad geblieben war, da er abgebremst und gerade um die Ecke und somit auch aus dem Sichtfeld gebogen hatte. "Soll ich dich heimfahren?" Bot Seiichiro derweil großzügig an, während er sein zahnpastawerbungweißes Lächeln aufblitzen ließ. Sakura schüttelte einmal mehr den Kopf, bemüht, nicht direkt in jenes Gesicht und den hochmutigen Ausdruck auf diesem zu blicken. Letztendlich bewegte sie subtil ihre Schulter, damit der lästige Arm um diese herum etwas abrutschte. "Nicht nötig. Meine Mutter holt mich ab." Natürlich war Öffentlicher Nahverkehr wie Busse oder Züge nichts, wo Sakura auch nur einen Fuß reinsetzten würde - das würden ihre Eltern auch nie im Leben zulassen. Diese waren der Meinung, dass ihr Kind weit über den Standards der Mittelschicht stand und sie hatten Sakura gut über den eigenen sozialen Status belehrt. Darüberhinaus arbeitete ihre Mutter ohnehin nicht, also hatte sie mehr als genug Zeit, ihre Tochter jeden Tag zur Schule zu kutschieren und danach wieder abzuholen. "Alles klar." Endlich nahm Seiichiro seinen schweren Arm wieder weg und Sakura war schnell daran, noch mehr Distanz zwischen ihnen zu bringen, doch der Junge griff nach ihrem Handgelenk und hielt sie noch einen Moment hin. "Ich seh' dich dann Samstag. Um Sechs." "Sicher. Ich werd' warten." Warten darauf, dass Seiichiros sündhaft teuer, silberner BWV durch die Eingangstore des prachtvollen Anwesen der Harunos rollte. Sie konnte schon beinahe die Stimme ihres Stiefvaters hören, der Mann lag ihr immerzu damit in den Ohren, dass sie sich doch endlich mal einen vernünftigen Freund anschaffen sollte. Und oh, würde er hierrüber nicht einfach nur entzückt sein? Seiichiro war immerhin nicht nur irgendein Freund, und ihr Stiefvater hatte sich schon immer die Gunst von Seiichiros eigenem Vater sichern wollen. Was wäre ein besserer und sichererer Weg zur langersehnten Geschäftspartnerschaft, denn die Beziehung der eigenen Sprösslinge wohlwollend abzusegnen? Sie hinderte ihre Mimik daran, eine Grimasse zu formen. Ja, verdammt noch mal, Seiichiro war das Beste, was man kriegen konnte. Sein Ego war ebenfalls das Größte, das man weit und breit finden würde. Der ältere Teenager beugte sich vor, doch Sakura neigte blitzschnell ihren Kopf, nur ein bisschen und doch genau richtig damit der Kuss, den sie bekam, auf der makellosen, samtigen Haut ihre Wange landete. Seiichiros Entourage verstummte für ein paar Sekunden, einer von ihnen hob die Augenbraue, ihre Gesichtsausdrücke allesamt irgendwo zwischen Unglaube und Belustigung. Der Vorsitzende des Schülerrats selbst stockte etwas in seinem Tun, doch lehnte sich wieder zurück, um die anmutige Schönheit vor sich eingehend zu mustern. Eisprinzessin, huh? Sakura konnte es beinahe spüren, die verdeckte Verhöhnung und Abfälligkeit in all diesen Augenpaaren, doch das störte sie recht wenig, als sie mit einem würdevollen Lächeln einen Schritt zurück nahm und sich adrett mit einem "Bis morgen," verabschiedete. Im Gegensatz zu allem, was andere von ihr dachten und was die Gerüchte der Schule besagten, hatte noch kein anderes Lippenpaar je ihr eigenes berührt und sie war jetzt sicherlich noch nicht dazu bereit, dieses Privileg irgendjemandem einzuräumen. Gottverdammter Vorsitzender des Schülerrats hin oder her. Kapitel 2: Gestutzte Flügel --------------------------- Kapitel 2 Gestutzte Flügel [Samstag, 11 Juli, 17:23 Uhr] Samstagabend. Eine schön proportionierte Figur stand vor einem fast bodenlangen Spiegel, welcher in die Schranktüren integriert war, und ein paar emeraldgrüne Augen beäugten selbige Figur anerkennend. Der junge Teenager war an nichts anderes als das Gutaussehen gewöhnt, angespornt nicht nur von ihrem ausgeprägten Stolz, sondern auch von Familienstandards. Ihre Eltern sahen immer und überall einwandfrei präsentabel aus und sie verlangten von ihrer Tochter nicht weniger, doch stets gerne mehr. Ein sanftes Klopfen an der Zimmertür führte dazu, dass sie, gekleidet in ein elegantes, dezent geblümtes, knielanges Sommerkleid, das nicht wirklich vornehm jedoch unglaublich gut an ihr aussah, sich zu selbiger Tür umdrehte. Ihre Mutter kam herein, eine Frau Mitte Vierzig, obschon sie aussah, als ob sie gerade ihre Dreißiger begann. Ein ohne Frage bestrickendes weibliches Wesen, das ihre Schönheitsgene sicherlich auch an ihre Tochter weitergegeben hatte, und Sakuras Stiefvater gab nicht selten mit seiner atemberaubenden Ehefrau an - sehr zum Missfallen seiner Stieftochter. Ihre Mutter war kein Schmuck zum Tragen und Prahlen.... genauso wie sie selbst keins war. Zu ihrem Leidwesen jedoch liebte die Gesellschaft es, Schönheit und Anmut in den Schaukasten zu stellen. "Wie lange wirst du weg sein, Sakura-chan?", fragte ihre Mutter und Sakura wandte sich wieder dem Spiegel zu, ihre flinken Finger zupften dabei an ihren ordentlich gestylten, pinken Strähnen, gaben der feinen Aufmachung den letzten Schliff. "Ich weiß nicht. Warum?" Sie konnte sich das Warum jedoch ganz gut denken. "Dein Vater bat darum, dass du vor Mitternacht Zuhause bist." Genauso wie sie sich denken konnte, dass bitten sicherlich nicht das war, was der Mann getan hatte. Nein, angeordnet traf es aller Wahrscheinlichkeit nach besser. Sakura schnaubte. Bevormundend wie sonst was, dieser Kerl. "Er ist nicht mein Vater," korrigierte sie beiläufig, schlüpfte in ihre weißen Sandaletten und warf einen Blick auf ihre teure, elegante Armbanduhr. Viertel vor Sechs. Ihre Mutter seufzte. "Liebling, bitte, hör auf damit. Und lass ihn sowas ja nicht von dir hören." Sie trat zum makellos aufgeräumten Schreibtisch und nahm das hochmoderne kleine Handy von der Tischplatte, um es ihrer Tochter zu reichen. "Würde nicht im Traum daran denken," bemerkte Sakura trocken und verstaute das luxuriöse Gerät in ihrer kleinen Handtasche. "Ich ruf an und geb Bescheid, wenn du mich abholen kommen kannst." Nicht, dass sie sich nicht hätte von dem Privatchauffeur der Familie hinbringen und abholen lassen. De facto nutze ihr Stiefvater den Service immerzu und manchmal wunderte Sakura sich, ob der Mann überhaupt noch wusste, wie man einen Wagen bediente. Ihre Mutter hatte jedoch die Angewohnheit, ihre Tochter selbst überall hinzufahren und Sakura beschwerte sich nicht drüber. Vielleicht war es irgendwo einfach eine liebgewonnene Erinnerung an simplere, schlichtere Zeiten, die für sie beide schon lange der Vergangenheit angehörten. Die wohlgeformte Brust der jung gebliebenen Frau Nagasawa - ehemals Haruno - wölbte sich leicht mit einem tieferen Atemzug, als sie dabei zusah, wie ihre Tochter, gestylt und gekleidet wie eine richtige Lady, gleich einem edlen Schmetterling grazil aus dem Zimmer flatterte. "Geh und sag ihm wenigstens Hallo!", rief sie dem Teenager hinterher. Sakura rollte mit den Augen, während sie den langen Flur im ersten Stock des prachtvollen Anwesens entlang schritt. Bevor die Treppen runter zu steigen, hielt sie vor der Tür des Büros ihres Stiefvaters an, klopfte einmal, stupste das Stück Holz offen und steckte ihren Kopf in den entstandenen Spalt. "Hallo," warf sie das Wort in den Raum. Der Mann hinter dem Schreibtisch hob daraufhin seinen Blick von dem Papierkram, an dem er immerzu arbeitete, zu ihr hoch. Nagasawa Ryuutarou war ein stattlicher Mann der auf das Ende seiner Vierzieger zusteuerte, von einer kräftigen Körperstatur und mit einer meist undurchdringlichen Miene. Ein langjähriger, echter Businessman und ein sehr erfolgreicher dazu, doch die Jahre des harten Geschäftslebens und des Top Dog Daseins hatten aus ihn einen Mann mit Eisenfaust und Steinherzen gemacht. Und Sakura wusste, wovon sie sprach. Vielleicht verdiente er irgendwo Respekt, schließlich hatte er nach fast drei Jahrzehnten aus einem kleinen Familienunternehmen mittlerweile Nagasawa Enterprises aufgebaut: einen wuchtigen, einflussreichen Konzern, der sich auf Computermikrochipentwicklung spezialisierte oder sowas in der Art. Sakura verstand nicht wirklich was davon und hegte auch nicht den Wunsch danach, noch weniger hegte sie irgendwelche positiven Gefühle für ihn. Genaugenommen war eher das exakte Gegenteil der Fall. "Würdest du nicht vielleicht erst mal reinkommen wollen?" Die Stimme streng, bohrten sich jene stahlgrauen Augen mit Schärfe und Nachdruck in das Mädchen vor ihnen. "Nein. Muss los." Bitte keine Fragen. Bitte keine Fragen. "Ich habe gehört, Seiichiro kommt dich abholen?" Verdammt. "Ja." Sakura war immer noch nicht eingetreten, sondern nahm eher einen Schritt zurück, sodass nicht mal mehr ihr Kopf im Türrahmen sichtbar war. "Wo genau wollt ihr hin? Und hat deine Mutter dir gesagt, um welche Uhrzeit du wieder Heim zu sein hast?" Doch der Teenager war bereits auf ihrem Weg die Treppe runter. Sie bezweifelte, dass ihr Stiefvater allzu begeistert wäre, wüsste er, wo genau Sakura heute Abend sein würde, Seiichiro hin oder her. Was die zweite Frage anging... wann hatte sie je wirklich auf ihn und seine Befehle gehört? Richtig, nie. Das war auch genau der Grund, warum er und sie oft und hitzig aneinander gerieten. Nicht, dass es Sakura allzu viel ausmachte, denn das Handeln aus reinem Trotz ihrem Stiefvater gegenüber war für sie mittlerweile so natürlich wie das Atmen. "Sakura!" Den sauren Ausruf ihres Stiefelternteils ignorierend, ging sie stur ihren Weg weiter und kam schließlich bei der Eingangstür an. Seine Stentorstimme war kräftig und klang ihr sogar hier unten noch ziemlich klar nach: "Wag es nicht, zu spät zu sein! Hast du mich verstanden?! Und-" Trink keinen Alkohol, nimm keine Drogen und hab keinen ungeschützten Sex. Ja, ja, man würde sich wünschen, der Kerl sorgte sich darum. Aber alles, worum er sich wirklich sorgte, war, nicht in der Lage zu sein seine Autorität und Einfluss in und auf Sakuras Leben zur Schau zu stellen. Das junge Mädchen warf die Eingangstür mit Wucht und einem frustrierten Knurren zu. Ryuutarou hatte die unglaubliche Fähigkeit sie auf die Palme zu bringen, ohne großartig viel zu tun oder zu sagen. Das könnte auch daher kommen, dass sie den Mann einfach nur abgrundtief hasste - dafür, wie er Sakuras Mutter und Sakura selbst behandelte. Arschloch. Manchmal wollte sie nichts sehnlicher, als ihm das Wort direkt ins Gesicht zu spucken. Eigentlich sollte sie es besser wissen, als ihn zu provozieren. Eigentlich sollte sie wirklich auf ihre Mutter hören, aber wenn Sakura eins war, dann rebellisch, stolz und stur. Sie erinnerte sich noch sehr gut an den Sturm der Entrüstung, nachdem sie verkündete, dass sie nicht gleich ihrer Mutter den Nachnahmen Nagasawa annehmen würde. Sie hatte fest darauf bestanden, eine Haruno zu bleiben und wenigstens dieser eine Sieg wurde ihr damals gegönnt. Kaum aus der Tür, sah sie auch schon Seiichiros protzigen Wagen in die Einfahrt rollen, laute Musik plärrte aus den Boxen durch die runtergelassenen Fenster. Der Brünette lehnte sich locker raus und winkte sie zu sich. Für einen Augenblick wollte Sakura sich einfach nur an den Kopf fassen und laut schreien. Das Leben, das sie lebte, trieb sie manchmal in den Wahnsinn. Nichtsdestotrotz, alles, was sich auf ihrem hübschen Antlitz zeigte war ein bezauberndes Lächeln und ihr zierlicher Körper bewegte sich mit katzenartiger Geschmeidigkeit dem teuren Gefährt entgegen. Sobald ihr wohlgeformter Hintern auf dem silbergefärbten, echten Leder des Beifahrersitz Platz genommen hatte, legte sich prompt eine Hand auf ihren Oberschenkel. "Bereit für eine Menge Spaß, Süße?" Sie schätze es nicht wirklich, wie jene Augen, versteckt hinter dem dunklen Glas der modernen Sonnenbrille, sie musterten - sie konnte diesen ekelhaft klebrigen Blick spüren. Ihre Mundwinkel zuckten minimal nach oben, ein unverständlicher Laut, nah an einem "Hm," verließ ihre Lippen. "Kein Grund, nervös zu sein," lachte Seiichiro ausgelassen auf und tätschelte ihren Schenkel, bevor seine Hand endlich weg von selbigem und zum Ganghebel fand. "Solange du mit mir unterwegs bist, brauchst du dir um nichts Sorgen zu machen." Auch nicht über dein überschäumendes Ego und deine gottverdammte Arroganz? Sich Dinge denken, nicht aussprechen, daran war Sakura schon gewöhnt und dieser Satz verließ ihre Stimmbänder natürlich nicht. Stattdessen beschäftigte sie sich nun damit, aus dem Fenster zu starren und bald darauf erkannte sie die Gegend hinter selbigen immer weniger. Generell war Sakura nicht so oft draußen, wie man es annehmen würde, denn ihre exzellenten Schulnoten schrieben sich gewiss nicht von selbst. Entgegen der Meinung der meisten Leute und Schulkameraden war sie ein sehr intelligentes und fleißiges Mädchen, das den größten Teil ihrer Zeit damit verbrachte, zu lesen und zu lernen. Ihr Stiefvater kaufte ihr keine Noten oder Empfehlungen, obschon er es gewiss konnte, doch Sakura würde sich eher den eigenen Kopf abreißen, als irgendetwas von dem Mann anzunehmen, was sie nicht absolut brauchte. Es reichte schon, dass der Bastard sie mit dem Notwendigsten versorgte, wie Essen, Kleidung, Bildung und ein Dach über dem Kopf. Im Allgemeinen konnte Sakura es kaum abwarten, sich von dieser Art Familienleben los zu reißen. Davon, und von einem glänzenden Schulabschluss, trennte sie nunmehr etwas mehr als ein Jahr. Solange musste sie noch ausharren. Sie hatte ihrem Stiefvater noch nichts von den Plänen erzählt - den Plänen, in denen sie nicht auf die von ihm ausgesuchte Universität ging und den Plänen, in denen sie nicht irgendeinen reichen Protz heiratete. Vorzugsweise den Sohn eines einflussreichen Geschäftsmanns natürlich, der später die Firma seines eigenen Vaters erben würde, was vorzugsweise nach einer Fusion mit Nagasawa Enterprises geschehen würde und zwei große Konzerne in einen noch größeren fusionierte. Seiichiro war in der Hinsicht natürlich die creme de la creme. Dabei sollte man in der Modernen doch eigentlich aus den Zeiten der Zweckehen und Zweckbeziehungen raus sein... Doch solange sie in diesem Leben feststeckte, musste sie mitspielen. Bevor sie ihre Pläne preislegen würde, musste sie erst sicher sein, dass sie breit war für die Konsequenzen. Sie musste bereit sein, auf eigenen Füßen zu stehen und für sich und ihre Mutter zu sorgen, damit sie beide nicht mehr von ihm abhängig waren. Dafür war ein glänzender Abschluss Pflicht, nur damit hatte sie eine Chance auf eine schnelle Einstellung und eine gute Karriere. Das Studium könnte sie dann ja immer noch nachhängen, eins, das sie sich selbst aussuchen würde. Alles, was sie wollte, war aus diesem Schlamassel, in das ihre Mutter sich selbst und ihre Tochter eingeheiratete hatte, wieder auszutreten. Nur noch ein bisschen, nur noch ein Jahr und ein paar Monate. Noch ein bisschen, und dieser ganze Albtraum würde hinter ihr sein. In Gedanken versunken bemerkte sie nicht, dass das Auto nicht weit vor einem der angesehensten Stadtclubs zum Halt gekommen war. Das Neonschild darüber verkündete stolz den berüchtigten Namen Rote Rose, die Sonne war bereits untergegangen und dadurch stach die blau-rot leuchtende, kurvige Schrift umso mehr hervor. Sakura richtete sich im Sitz aus ihrer zurückgelehnten Position wieder auf und hob zum ersten Mal, seit sie losgefahren waren, ihre helle Stimme. "Ich glaube nicht, dass man mich dort rein lässt." Mit Siebzehn war sie doch ein wenig zu jung für dieses Ambiente. Seiichiro neben ihr grinste nur breit und zog die Schlüssel aus dem Zündschloss. "Mach dir darum mal keinen Kopf, Schätzchen. Mit mir an deiner Seite steht dir der Weg zu jedem Ort öffnen." Himmel, wie dieses wichtigtuerische Feixen sie an ihren Stiefvater erinnerte. "Du wirst doch jetzt nicht kneifen, oder?" Manchmal hasste Sakura den eigenen ausgeprägten Standesstolz. Sie schnaubte leicht und öffnete die Beifahrertür, ein selbstbewusstes Wort auf den sinnlich roten Lippen: "Niemals." Niemals. Sakura kneifte nie und sie hatte auch keine Angst, oder so flüsterte ihr zumindest ihre jugendliche, standhafte Überzeugung zu. Als sie sich dem Clubeingang näherten, fand sich Seiichiros Arm den Weg um die schmalen Schultern seiner reizenden Begleitung, den zierlicheren Körper eng an den eigenen ziehend. "Ich müsste mal den Ausweis sehen," verkündete der stämmige Bursche vor der Tür und selbstverständlich war es nicht Seiichiros Ausweis, den er verlangte. Seiichiro war es jedoch, der durch ein autoritäres Lächeln hindurch antwortete: "Glaub mir, das musst du nicht," versicherte er dem Türsteher und winkte irgendjemandem hinter dem Rücken des Besagten zu. "Heute Abend bin ich ihr Ausweis." Nebenbei stellte Sakura plötzlich erschrocken fest, dass ihr echter Ausweis einsam und verlassen zu Hause lag, zusammen mit ihrem Portemonnaie. Sie war so darauf bedacht gewesen, schnell aus dem Haus zu kommen, sie hatte es doch glatt vergessen. Verflucht. Das hieß, dass Seiichiro heute ebenfalls für alles zahlen müsste. Na ja, sie war sich sicher, der Junge hätte das gemäß des High Society Formenzwangs so oder so getan, insofern sollte sie wohl einfach so tun, als ob sie das von ihm erwartete, damit ihre kleine Misere hier nicht auffiel. Sobald sie drin waren, führte Seiichiro sie zu einer kleinen, etwas abgegrenzten Lounge, sicherlich ein reservierter Platz, wo seine Kumpels und ihre aufgebretzelten Damen verschiedenen Alters und Modeltyps bereits warteten. Ein in schwarzes Leder gehülltes Couchset stand um ein Trio schmaler, runder Glastische herum und während Sakura sich hinsetzte, fiel ihr die Person hinter der Theke ins Auge. Sie kam ihr irgendwie bekannt vor, doch es war unmöglich, das Gesicht in der Halbdunkelheit zu erkennen, noch dazu mit all den sich ständig bewegenden Silhouetten vor der Bar. Die im Vergleich zu draußen stickige Luft durchzogen von Zigarettenrauch, zu viel gemischter Parfümdüfte und Alkoholgeruchs, die laute Musik zusammen mit dem Stimmengewirr überall um sie herum, das Lichtspiel und das Reflektieren dieses von den Diskokugeln an der Decke; das alles verursachte bei Sakura bereits leichte Kopfschmerzen. Sie war keine Partymaus. Genaugenommen war dies ihr erster Clubbesuch und genaugenommen hasste sie Menschenmengen. Der Kellner ließ nicht lange auf sich warten, die Getränkewahl der Oberschüler ziemlich vorhersehbar. Stark und hochprozentig, sie waren schließlich zum Feiern hier und der Feiererfolg setzte sich nicht selten gleich Alkoholpegel im Blut. Bald war auch Sakura an der Reihe, ihre Bestellung aufzugeben. Ohne mit der Wimper zu zucken: "Einen Saft für mich, bitte." Sekunden erschlagener Stille, in die dann eine Lachsalve reindonnerte, fast schon lauter, als das Gegröle der Musik. "Baby, an solchen Orten trinkt man keinen Saft," presste Seiichiro lachend hervor, bemüht, seine Belustigung unter Kontrolle zu kriegen. "Ich bin mir nicht mal sicher, ob sie überhaupt welchen servieren, es sei denn, er steckt in einem Cocktail." Sakura blieb gänzlich unbeeindruckt. "Einen Saft für mich, bitte," wiederholte sie stur und absolut ernst. Der Kellner grinste unsicher und schielte zu Seiichiro, der nur mit den Schultern zuckte. "Bring ihr ihren Saft," winkte er letztendlich feixend ab. Entweder war die kleine Schönheit neben ihm sehr juvenil, oder sehr vorsichtig. Wenn man Sakura fragte, wollte sie sich einfach nur nicht zum Idioten machen, weil das Bitterste, was sie je getrunken hatte, wahrscheinlich irgendein Arzneimittel sein würde. Der Kellner verbeugte sich und machte sich mit einem "Wie Sie wünschen," davon, während der braunhaarige Teenager näher zu Sakura rutschte. Der Arm schon wieder, sehr beharrlich darin, die Position um ihre Schultern zurückzuerobern. Dieser Abend gefiel Sakura bereits jetzt schon nicht und er gefiel ihr immer und immer weniger, je mehr Zeit verstrich, besonders da Seiichiro und seine Clique einen harten Drink nach dem anderen ihre Kehlen runterspülten. Das Gelächter wurde lauter, die Gespräche ausgelassener und die Witze obszöner, doch was sie am meisten störte, waren Seiichiros verklärte Starrblicke, die immer öfter an ihrem Körper haften blieben. Der eine Arm um sie herum drückte sie nunmehr viel fester an den Älteren und irgendwann griff auch plötzlich der zweite Arm von vorne um ihre Taille. Die Hand von selbigem Arm strich über ihren Oberschenkel hoch zu ihrer Hüfte, fuhr die schön geformte Kurve ihrer Taille nach und schlüpfte dann auf ihren flachen Bauch, der sich unter der aufdringlichen Berührung sofort anspannte. In diesem Moment wurde Sakura langsam bewusst, dass sie sich wirklich, wirklich, wirklich nicht hätte auf all das hier einlassen sollen. Was hatte sie erwartet? Dass Seiichiro sich vielleicht nicht als all das herausstellten würde, was man gut vermuten konnte? Nur weil Sakura sich hinter einer Fassade und ihr wahres Wesen hinter so vielen Verblendungen versteckte, hieß es nicht, dass andere nicht genau den Ruf hatten, den sie verdienten. Oder dass sich hinter ihrer noblen Aufmachung statt etwas viel Besserem etwas viel Schlimmeres versteckte. Sie hatte gedacht, sie würde das hier durchziehen können... mit ihm ausgehen, seine Freundin sein, vielleicht sogar- Doch jetzt, wo es alles so real und nah und am Passieren war, wurde ihr schlagartig klar... sie konnte es nicht. So tief wollte sie nicht sinken. Sie wollte nicht wirklich zu dem werden, wofür das halbe Umfeld sie ohnehin schon hielt. Sie wollte nicht. Sie konnte nicht. "Warum so angespannt, Saku-chan? Amüsier dich ein wenig... Willst du vielleicht doch einen richtigen Drink?" Die Stimme an ihrem Ohr war durchtränkt von Lust und der Atem, der ihr Gesicht streifte, roch streng nach Alkohol. Sie versuchte, ein wenig weg zu rutschen, doch Seiichiro hielt sie ziemlich eisern fest in seinem schraubstockartigen Griff. "Nein. Ich will lieber etwas an die frische Luft." Ihr war mit einen Schlag wirklich ein wenig schlecht, umso mehr als Seiichiros Hand anzüglich und unaufhaltsam höher zu ihrem Dekolleté glitt. "Ach, komm schon, Süße. Mach dich locker." Betrunkenes Lachen an ihrem Ohr und warme Lippen auf ihrer Wange, die Rot aufflammte, weniger vor Verlegenheit und mehr vor Unbehagen. "Oder vielleicht sollte ich dir dabei ein bisschen helfen, hmm?" Hier und da an der zierlichen Haut nippend wanderten jene Lippen weiter nach unten, hinterließen eine feuchte Spur ihre Kieferpartie entlang und trafen bald auf die Seite ihres schlanken Halses auf. "N-nein, nicht nötig. Senpai, warte... Nicht." Nein. Stopp. Hört einfach auf. Hör auf, hör auf. Hör auf, mich anzufassen. Die Liebkosungen der plumpen Lippen und feuchter Zunge fühlten sich eklig an, Sakura erschauerte es, nicht vor Genuss aber vor Abscheu. "Ich glaube wirklich, ich muss..." Muss hier raus. Muss hier weg. Weg, weg, weg. Sobald Zähne sachte in die weiche Stelle zwischen Hals und Schulter bissen und seine Hand unverfroren an ihre Brust griff, schoss sie letztendlich hoch auf die Füße und rammte dabei die scharfe Kante ihrer schmalen Schulter fast in sein Gesicht. "Ich brauche wirklich etwas frische Luft," murmelte sie fieberhaft und hastete rasch dem Hinterausgang entgegen, einfach nur weil dieser mit einem grünen Licht gekennzeichnet und leicht zu erkennen war. Zudem fühlte Sakura sich dem weißen, weglaufenden Strichmännchen auf der Lampe gerade sehr verbunden. Etwas benommen bahnte sie sich den Weg durch die euphorische, betrunkene, tanzende Menge. Die Musik war nichts mehr als ein entsetzlicher Lärm in ihrem Kopf, das Atmen fiel ihr schwer wegen der dunstigen, rauch- und schweißdurchtränkten Luft. Für einen Moment fühlte sie sich wie ein kleines, verängstigtes Tierchen, das verzweifelt nach einem Fluchtweg suchte. Zu laut... zu viele Menschen... Ihr dröhnte der Kopf und vor gerade durchlebtem Ekel rebellierte ihr Magen auf heftigste, sodass sie sich fast schon übergeben wollte. Endlich erreichte sie die Tür und stieß diese auf, stolperte hinaus in die kühle Atmosphäre der nächtlichen Stadt. Ihr zerbrechlicher Brustkorb hob und senkte sich unregelmäßig sowohl auch schnell, sie atmete so tief, dass ihr kurz schwindlig wurde. Eine Hand erhoben begann sie sich verzweifelt über den Hals zu wischen, Gesichtsausdruck bestürzt und aufgeschreckt, der schlanke Körper zitternd entweder wegen des abrupten Temperaturunterschieds im Vergleich zu der Hitze im Inneren des Clubs oder dem Wirrwarr aus Emotionen, die mit jedem rapiden Schlag ihres Herzens durch sie jagten. "Ihhh..." Wimmerte sie klagend, versucht, den Speichel und den unsichtbaren Schmutz jener Küsse von ihrer Haut zu putzen. Sie fühlte sich elendig. Mehr als alles andere wollte sie jetzt einfach nur nach Hause. Sie sollte ihre Mutter anrufen und sie fragen, bitten, anflehen, dass sie Sakura von hier abzuholen möge. Just als sie ihr Handy hervorgeholt hatte, ging die Tür hinter ihr wieder auf, diesmal aufgestoßen mit viel mehr Elan, sodass sie hart gegen die Wand knallte. "Oi, oi. Du willst doch nicht etwa schon gehen, und das auch noch ohne dich verabschiedet zu haben? Das ist ziemlich unhöflich." Seiichiros Stimme, belustigt aber nicht allzu erfolgreich darin, seine offensichtliche Verstimmung zu überspielen. Sieht so aus, als ob unsere Eisprinzessin dabei ist, dich abzuservieren, Sei, hallten die betrunkenen Sticheleien und Gelächter seiner Kumpane in seinen Ohren. Der Brünette schnaubte zornig. Niemand servierte ihn so einfach ab, oh nein, nicht mit ihm. Solch eklatante Respektlosigkeit würde er sich nicht bieten lassen, zudem war er viel zu sehr daran gewöhnt, immer das zu kriegen, was er wollte. Er hatte die Bedeutung des Wortes Nein nie wirklich gelernt und er würde es sich sicherlich nicht von einem großkotzigen Unterklässler beibringen lassen. Sakura erfror und wagte es nicht, sich umzudrehen, betend, dass all dies nur ein schlechter Traum war. Ihre Hand bebte und ihre Finger zitterten, was ihr das Wählen der Nummer ihrer Mutter ungemein erschwerte, denn plötzlich waren die tastenlosen Ziffern auf dem Display ihres Telefons irgendwie viel zu klein. Sie war so aufgebracht, sie hatte glatt die Kurzwahltaste dafür komplett vergessen. "Hey! Ich rede mit dir!", ein beleidigter Ausruf, Schritte, die rasch näher kamen, bald gefolgt von einer schweren Hand, die auf ihre Schulter niedersegelte und diese fest packte, um sie herum zu wirbeln. Mit dem Schock der abrupten, ungewollten Bewegung ließ Sakura das Handy fallen und wie alles teure Gedöns kam es mit dem Aufprall nicht wirklich klar und kriegte einen Sprung auf dem Display, der prompt schwarz wurde. Eine Chance das Gerät aufzuheben hatte sie nicht. Sakura starrte Seiichiro aus stark geweiteten Augen an, die Worte blieben ihr im Hals stecken, wenn sie überhaupt klar genug denken konnte, um zu wissen, was sie sagen sollte. Nicht, dass sie dazu überhaupt die Gelegenheit bekam, statt Silben verließ ein scharfes Lufteinziehen ihre Brust wegen des unsanften Stoßes, der sie hart mit dem Rücken gegen die Wand prallen ließ. Sie hatte keine Zeit ihre Hände zu heben, denn diese fanden sich in lebendigen Handschellen, geformt durch Seiichiros Finger, wieder, bald ganz immobilisiert, als sie seitlich von ihrem sich drehenden Kopf gegen roten Ziegel gedrückt wurden. Die eigene breitschulterige Statur gegen Sakuras kleinere, viel zierlichere Gestalt drängend, war Seiichiros Stimme ein erbostes, infames Zischen am gepiercten Ohr des jüngeren Teenagers: "Du kleine Schlampe hast schon den ganzen Abend lang dein kleines Eisprinzessinnenspiel mit mir getrieben. Ich glaube, es ist an der Zeit, dich etwas zu entfrosten." Schroff schob er sein Knie zwischen ihre schlanke Beine, doch Sakura gab nicht mal irgendeinen Laut von sich, weil grässliche Angst und blanker Schock ihr alle Luft abschnitten. Am allermeisten wünschte sie sich gerade verzweifelt, aufzuwachen, obschon eine kleine innere Stimme aus irgendeiner unbarmherzigen Ecke ihres Bewusstseins ihr unmissverständlich verdeutlichte, dass dies hier kein Traum war. Ihr ganzer Körper bebte vor Abscheu, Erniedrigung und Hilflosigkeit angesichts der demütigenden Position, in der sie feststeckte: von Seiichiro an die Wand gepflastert, mit dem aufdringlichen Schenkel des Jungen im Schritt und jenem Mund, der zurück zu ihrem Hals gefunden hatte, um diesen mit brüsken Küssen zu bedecken. Der stechende Schmerz, als Zähne sich achtlos an der hellen Haut vergriffen, schüttelte Sakura ein wenig aus ihrer Schockstarre heraus. "Nicht..." Verzweiflung gab ihr ihre Stimme wieder, auch wenn diese zuerst nicht mehr als ein Aufwimmern war. Dann jedoch- "Lass mich los!" Endlich spannten sich auch ihre Muskel in Gegenwehr an, doch sie versuchte vergeblich, sich aus Seiichiros eisernem Griff raus zu winden, der gut einen Kopf größere und fast doppelt so breitere Junge war ihr einfach nur überlegen, sie hatte seiner dominanten, physischen Stärke wenig entgegenzusetzen. Die Augen zugekniffen drehte sie ruckartig den Kopf zur Seite, um den Kuss, den er ihr auf die Lippen aufdrücken wollte, zu verhindern. Der Gestank von Alkohol und die ungewollte Hitze eines fremden Körpers ließ Übelkeit aufkommen und irgendwo wünschte sie sich beinahe, sie möge sich direkt in Seiichiros scheußliches Gesicht übergeben. Der Schülerratvorsitzende versuchte erneut, sie zu küssen, was Sakura den Kopf in die andere Richtung zucken ließ. Das im Gegenzug führte dazu, dass Seiichiro frustriert aufknurrte. "Ja, zier dich nur ruhig weiter. Jeder weiß doch, was für ein dreckiges Luder du wirklich bist." Lüsterne Sätze, die in ihr Ohr gehaucht wurden, und Sakura fuhr zusammen, während ihre Gesichtszüge sich zu einer leidvollen Grimasse verzogen. Seiichiro wusste nichts. Er wusste rein gar nichts. Überhaupt nichts... Nur dreckige Gerüchte, abscheuliches Gerede, ungerechtfertigte Anschuldigungen. "Hör auf..." presste sie hervor, doch sie weigerte sich, zu betteln. Nicht so... Gott im Himmel, bitte nicht so... "Hey." Die ruhige, von Missfallen durchzogene Stimme, die jäh in der Luft erklang, stoppte Seiichiro kurz in seinem Tun. Sakura indes, öffnete abrupt ihre Augen wieder. "Nehmt euch ein Zimmer." Das sanfte Klicken eines Zippos folgte, sich leicht runter beugend hielt Sasuke seine Hand um die kleine Flamme und schützte sie damit vor dem Wind, bis sie die Spitze seiner Zigarette zum Glühen gebracht hatte. Seine Augen wanderten dann zu den zwei intim miteinander verschlungenen Gestalten und erst jetzt erkannte er, wer sie eigentlich waren. Glimmstängel eingeklemmt zwischen den vollen Lippen, blies er einen feinen Streifen weißen, mentholaromatisierten Rauchs um den Filter herum aus. "Kümmer dich um deinen eigenen Scheiß," brummte Seiichiro und wandte seine widerwärtige Aufmerksamkeit wieder Sakura zu. Und wahrscheinlich hätte sich Sasuke in der Tat dazu entschieden, das Paar einfach zu ignorieren und links liegen zu lassen, wenn sein unvoreingenommener Blick sich nicht kurz mit dem jener verängstigten, tiefgrünen Iriden gekreuzt hätte. Seine eigenen Augen verengten sich, die glatte Stirn legte sich leicht in Falten - es sah nicht so aus, als ob die Kleine die Stellung, in der Seiichiro sie eingefangen hatte, allzu sehr genoss. Nein, genaugenommen sah sie total verstört und verängstigt aus. Nun, wo waren sie stehen geblieben? Verkommen grinsend lehnte sich der Schülerratvorsitzende wieder vor, und da diese verdammt anziehenden Lippen ihm einmal mehr entwischten, begnügte er sich damit, an dem zarten Ohrläppchen des Mädchens zu knabbern. Das Feuerzeug zurück in die Tasche gesteckt, blickte Sasuke einmal mehr zu der unschönen Szene nahe der kahlen Wand und fing den gequälten Blick jener Augen einmal mehr mit dem eigenen auf. Sie will's nicht? Na ja, es war ziemlich offensichtlich, dass sie es nicht tat. Sah eher so aus, als ließe der ehrenwehrte Vorsitzende des Schülerrates schon wieder das Arschloch raushängen. "Sei. Lass sie los," die blank gesprochenen Worte erinnerten an die eines resignierenden Elternteils, das zu ihrem unverbesserlichen Kind sprach. "Warum sollte ich?", warf Seiichiro desinteressiert zurück, während er betrunken-amüsiert das so verboten schöne Antlitz seiner Beute vor sich betrachtete. Irgendwo war es nur noch umso atemberaubender mit Spuren von Angst und Verzweiflung auf den feinen Gesichtszügen. "Weil ich's dir sage." Der Brünette blickte über die eigene Schulter, direkt in ein Paar fokussierter, nachtschwarzer Augen. Ihm entging die ausdrückliche Tonlage des Anderen nicht, und sie schien ihn äußerst zu verärgern. "Aha. Und natürlich tun wir alle immer artig das, was Sasuke-sama uns befiehlt." Lachte er spöttisch, der Rufname und der respektvolle Suffix getränkt in Hohn. Die Belustigung war schnell vorbei, er knurrte verächtlich. "Fick dich, Uchiha, verstanden? Das hier geht dich einen feuchten Dreck an." Sasuke schnaubte und neigte kurz den Kopf, um die Halsmuskulatur ein wenig zu strecken. Hand gehoben, pflückte er seine kaum angefangene Zigarette von den eigenen Lippen und ließ die schmale Tabakrolle achtlos auf den Boden fallen. "Was hast du gesagt?", fragte er fast schon irgendwie neugierig, doch seine Augen waren beinahe raubtierhaft auf Seiichiro fixiert, denn dieser war gefährlich nah dran, seinen verhaltenen aber dennoch jähzornigen Klassenkameraden wirklich sehr zu verstimmen. Dünnes Eis und eine Gefahr, die Seiichiros von übermäßigem Alkoholkonsum vernebelter Verstand weder besseren Wissens nicht wirklich ernst nahm, stattdessen produzierte es einen herablassende und hochmütige Antwort: "Ich sagte: verpiss dich, du Mutterficker." Dieses Mal war der Konter körperlicher Natur. Manche Sachen ließ Sasuke sich einfach nicht bieten, und diese hier war eine davon, der berüchtigte letzte Tropfen in den ohnehin schon randvollen Fass. Blitzschnell vorwärts schreitend packte er den Anderen am Kragen und zog ihn mit einem heftigen Ruck zu sich und somit auch weg von Sakura, während sein anderer Arm ausholte, um mit höchster Präzision und einer guten Menge Kraft die zu einer soliden Faust geballte Hand in diese eine hämische Fresse zu rammen. Blut spritzte aus der geplatzten Lippe und der gebrochenen Nase, mit einem benommenen Aufschrei ging Seiichiro augenblicklich in die Knie, sich mit beiden Händen das demolierte Atmungsorgan haltend, aus welchem bereitwillig rote Flüssigkeit in seine Handflächen quoll. Sasuke schüttelte einmal brüsk seine Hand, als ob die paar Bluttropfen und irgendwelchen unsichtbarem Dreck von ihr abschütteln zu wollen, und spuckte dann zu Seite auf den Boden. "Pass auf, was du sagst, Arschloch." Er leugnete nicht, dass das gerade eben eine große Befriedigung gewesen war. Er beugte sich runter, hob seine vorher fallen gelassene Zigarette wieder auf und steckte sie zurück in die Packung. Diese eine Kippe würde er später noch zu genießen wissen. Vorerst entschloss er sich, wieder ins Innere des Clubs zurückzukehren, also drehte er sich um und hatte die Tür im Visier. Er kam nicht weit, der Grund dafür eine helle, zittrige Stimme, die hinter ihm erklang: "Warte!" Nach einem ängstlichen Schielen zur Seiichiros schmerzgekrümmter Gestalt war Sakura schnell daran sich von der Wand, an der sie bis dato wie angeklebt gestanden hatte, zu lösen. Ein paar hastige Schritte brachten sie weg von dem leise vor sich hin jammernden Schülerratsvorsitzenden und naher an ihren unerwarteten Retter, der allerdings nicht wirklich so aussah, als hege er irgendein Interesse an der Person, welcher er gerade geholfen hatte. Sasuke bedachte den jüngeren Teenager nur mit einem kurzen Blick von Kopf bis Fuß und setzte seinen Weg fort. Beinahe. "Du kannst mich doch nicht einfach so hier lassen!" Nun... eigentlich sah der Junge so aus, als ob er genau das im Sinn hatte, doch Sakura fand die Vorstellung mehr als beängstigend. Sie war absolut und total aufgeschmissen. Kein Geld, kein Telefon, und Seiichiro würde sicherlich nicht so freundlich sein, sie nach Hause zu bringen. Schlimmer noch, was würde passieren, wenn er sich wieder aufgerappelt hat? Sasuke was so ziemlich ihre einzige Möglichkeit, heil von hier weg zu kommen, doch der Schwarzhaarige griff nach der Türklinke und drückte sie runter, offensichtlich ziemlich ungerührt von der Notlage seiner Schulkameradin. "Ich weiß doch überhaupt nicht, was ich jetzt machen soll..." Zitternd und den eigenen Körper fest mit den Armen umschlungen, fühlte Sakura sich von Kummer und Mutlosigkeit erdrückt, was sich auch deutlich in ihrem hübschen Gesicht und dem ersuchenden Ton ihrer verzagten Feststellung abzeichnete. Würde sie wirklich hier zurückgelassen werden? Was um alles in der Welt sollte sie dann tun? Ihre einzige Option wäre ein Bus, ein Taxi oder das Laufen zu Fuß, jedoch hatte sie ihre Geldbörse nicht bei sich und sie war noch nie in ihrem Leben Bus gefahren, ganz davon zu schweigen, dass sie keinen blassen Schimmer hatte, wo sich hier eine Haltestelle befinden möge. Oder in welcher Richtung ihr Haus lag, und die nächtlichen Straßen alleine in dieser Aufmachung rauf und runter zu wandern war eine grauenhafte Vorstellung. "Was hab ich davon?" Kopf rückartig gehoben, starrte sie Sasuke einmal mehr an, diesmal in Unverständnis und Verwirrung. "Wie bitte...?" "Was hab ich davon, wenn ich heute Nacht den Babysitter für dich spiele?", wiederholte der Ältere nonchalant, ein Funken Neugierte passierte dabei die unergründlichen Tiefen seiner Augen. Nichtsdestotrotz hielt er es erstmals für vernünftiger, sich aus Seiichiros Hörweite zu entfernen, ungeachtet dessen, dass der Schwarzhaarige völlig mit dem Schmerz und dem eigenen Wehklagen ausgelastet zu sein schien. Er öffnete die Tür und trat über die Schwelle. Sakura hastete ihm eilig hinterher. "Was... willst du denn haben?", ihre zaghafte Frage war gerade noch hörbar, bevor ihrer beider Figuren von der Halbdunkelheit und dem Lärm des Clubinneren verschlungen wurden. Sasuke warf die Tür hinter sich wieder zu und wartete, bis sie neben ihm stand, um sich leicht zu ihr herunter zu beugen. Ein normales Gespräch bei dieser Lautstärke um sie herum zu halten war zwecklos, nicht, dass es ihm in irgendeiner Weise zuwider war, an jenes liebliche Ohr zu sprechen. "Ich würde mich mit einem Kuss zufrieden geben." Mehr Witz als Ernst seinerseits, doch Sakura kriegte das nicht wirklich mit. Sie war immer noch unerfahren in Sachen zwangloser Flirts und flüchtiger Anspielungen, was sich zusammen mit ihrer Antwort verriet, als sie Sasuke für einen langen Moment in niedlicher Verworrenheit anstarrte und letztendlich ein unsicheres jedoch komplett ehrliches "Okay..." wisperte. Sie wusste nicht mal, warum sie dem so einfach zustimmte. Sie war daran gewöhnt, Leuten eine Abfuhr zu erteilen, insofern war das Umgehen mit dem Verspüren eines ehrliches Interesses an jemanden für sie komplett neu. Vielleicht hatte Sasuke gerade erfolgreich einen nachhaltigen Eindruck bei ihr hinterlassen oder vielleicht war sie einfach nur bereit, fast jeden Deal anzunehmen, solange es ihr seinen Schutz versprach. Vielleicht war es naiv und dumm, aber in Anbetracht dessen, was gerade draußen passiert war, fühlte sie sich in Sasukes Anwesenheit am sichersten und mehr als alles andere wollte sie dieses Gefühl gerade jetzt nicht verlieren. Eben Erwähnter hob eine dunkle Augenbraue, sich wieder zurücklehnend, um die nervöse, junge Schönheit vor sich zu beäugen. Diese Wende der Ereignisse hatte er nicht wirklich erwartet. Hatte sie gerade wirklich zugestimmt? Gemäß ihrem Image hatte er eher mit einer giftigen Abfuhr und ein paar scharfen Worten ihrerseits gerechnet, doch jetzt bemerkte er, dass ihre Hilflosigkeit weder aufgesetzt noch die Nachwirkungen des Shocks waren. Sie war verängstigt und das war nicht gespielt. War sie in Sachen jugendlicher Partys wirklich noch ein Grünschnabel? Was für ein kurioses, kleines Ding. Nun, sie alleine lassen würde er jetzt in der Tat nicht mehr können. Sakura war zweifellos eine Augenweide, das konnte man nicht abstreiten, genauso wie man nicht abstreiten konnte, dass jener perfekte Körper und jene roten Lippen anziehender aussahen, als es gut für sie war. Man konnte Gift drauf nehmen, dass es zu überhaupt nichts Gutem führen würde, sollte sie hier wie ein verlorenes Kätzchen umherstreuen. Nein, sie einfach nur sich selbst zu überlassen in mitten einer schwer angeheiterten Meute in und um dieses Gebäude herum, war genauso, als ob befestige man ein 'rape-me' Schild an ihr. Das konnte er nicht verantworten und Distanziertheit hin oder her, herzlos war er nicht. Er war auch bei Weitem nicht so gleichgültig, wie er sich gerne nach Außen hin präsentiere. "Folg mir." Mit dieser Anweisung schritt Sasuke tiefer in den Club herein und Sakura trottete ihm gehorsam und erleichtert hinterher. Dieser Abend war eine einzige Katastrophe, doch jetzt hatte sie den Fünkchen Hoffnung, dass sie dem Schlamassel mehr oder minder unversehrt überleben würde, und diese eine Hoffnung lag nunmehr komplett auf den strammen Schultern der Person, von der sie es am wenigsten erwartet hätte. Uchiha... Sasuke, huh...? Nun... jetzt wusste sie wohl auch seinen Vornamen, und sicherlich würde sie ihn nicht so schnell wieder vergessen. Kapitel 3: Auge des Orkans -------------------------- Sodale! Bevor meine Faulenzertage des zweiwöchigen Urlaubs diese Woche zu Ende gehen, wollte ich zum Wochenende (hoffentlich wird's auch zum Wochenende freigeschaltet, heute ist Freitag) noch ein Kapitelchen schaffen und siehe da, meine Musen haben mich nicht im Stich gelassen. Ein riesiges Dankeschön hierbei an meine Kommentatoren, es hat mich wirklich ungemein gefreut und motiviert, dass die Story bei so vielen so gut angekommen ist. Ich hoffe auch weiterhin auf eure überaus inspirierende Unterstützung ! Ab Montag geht's für mich wieder zu der 9/5 Jobroutine zurück, insofern kann ich nicht garantieren, dass die Hochladegeschwindigkeit dementsprechend nicht ein wenig gedrosselt wird. Also nicht wundern =) Und nun geht es ohne Umschweife weiter mit: Kapitel 3 Auge des Orkans [Samstag, 11 Juli, 23:19 Uhr] Sobald die Tür zum Pausenraum geöffnet und wenig später wieder geschlossen wurde, stumpfte das Gegröle der Musik beachtlich ab, was Sakura unheimlich begrüßte. Der Raum selbst sah so aus, wie Personalpausenräume in solchen Lokalen nach einem langen, anstrengenden, immer noch andauernden und noch längst nicht beendeten Betriebstag üblicherweise aussahen: ein Tisch, ein paar Stühle, eine sehr alte Couch, Butterbrotdosen und halbleere Getränkeflaschen unordentlich über die Tresen verstreut, eine Kaffeemaschine umringt von kleinen, braunen Kaffeeflecken und eine Unmenge an Papierkram, vermischt mit Kugelschreibern, Markern und Zigarettenschachteln. "Setz dich." Sakura nickte einfach und da Sasuke nicht spezifiziert hatte, wo genau sie sich hinsetzen sollte, ließ sie sich vorsichtig auf die Ecke der alten aber zu ihrer Überraschung sehr bequemen Couch nieder. Sie versank beinahe in der weichen Fütterung, als sie ein wenig höher auf dieser rutschte. "Hier." Sie blinzelte und hob den Blick, um ein mit Mineralwasser gefülltes Glas, das Sasuke ihr vor die Nase hielt, zu entdecken. Sie nickte einmal mehr, diesmal aus Dankbarkeit und nahm das Glas entgegen, es nun mit beiden Händen haltend, bevor wieder zu dem Jungen vor ihr aufzuschauen. Es war das erste Mal, dass sie ihn nah und ungehindert betrachten konnte, eine Gelegenheit, welche sie geflissentlich wahrnahm. Er wusste sich gewiss zu kleiden; weiße Sneakers, schwarze Jeans, ein schwarzes Hemd mit sauber gebügeltem Kragen und weißer Stoffumrandung die Säume entlang. Die Ärmel waren bis über die Ellenbogen aufgerollt, erzeugten somit die genau richtige Mischung aus lässig und stilvoll und unterstrichen nebenbei subtil seinen athletischen Körperbau. Er sah wirklich gut aus, soviel musste man ihm lassen. Es war unschwer zu erkennen, dass er einen guten Sinn dafür hatte, was ihm stand und trotz aller Reserviertheit Wert auf seine äußere Erscheinung legte. "Rühr dich nicht vom Fleck." Noch eine klare und unmissverständliche Instruktion, obschon Sakura sowieso keinerlei Lust verspürte in den stickigen, lauten, überfüllten Saal außerhalb dieser kleinen Oase der Ruhe und relativer Stille zurückzukehren. "Wo gehst du hin?", stellte sie dennoch die Frage. Raus zum Feiern? War er alleine hier oder mit seinen Kumpels? Kannte er den Eigentümer? Vielleicht war jemand aus seiner Familie gar der Besitzer, wenn er so ungehindert in Arbeitsbereiche eintreten konnte? Die einfachste Lösung war ihr nicht mal in den Sinn gekommen, bis Sasuke ihr diese in einem kurzen, prägnanten Satz, dem ein sanftes Schnauben vorausging, darbot: "Ich arbeite hier." Ehrliche Überraschung spiegelte sich in tiefgrünen Augen. "Du arbeitest?" War er etwa die ihr so bekannt vorkommende Gestalt hinter der Theke gewesen? Wenn sie sich jetzt daran zurückerinnerte... war sie sich schon fast sicher, dass dem so war. Also kein skrupelloser Dealer und kein pistolenschwingender Gangster. Nur ein Barkeeper? "Ja, ich arbeite." Sasuke musterte sie kurz eingehend und schnalzte mit der Zunge. "Ist wohl etwas, wovon du nicht viel verstehst." Die Siebzehnjährige senkte ihren Kopf und sah den Gasblasen im Wasser dabei zu, wie sie zur Oberfläche aufschwebten, nur um zu zerplatzen. Sie fühlte sich ein wenig unwohl, weil der Kommentar einen etwas urteilenden Nachklang gehabt hatte. Gleichwohl stimmte die Aussage, denn Sakura hatte noch nie auch nur einen Gedanken an einen Teilzeitjob verschwendet, weil es für sie dafür weder Grund noch Bedarf gab. Es fehlte ihr nie an Geld. Für nichts. Davon abgesehen hatte sie auch keine Zeit, denn das Lernen um all der schönen Einsen Willen war so ziemlich eine Vollzeitbeschäftigung. Und während sie in ihrer private Gedankenwelt, wo niemand Zutritt hatte, versank, verschwand Sasuke wortlos aus dem Raum. Die Idee, den Aufpasser für jemanden zu spielen, war schon ein wenig befremdend, er hatte schon seit einer geraumen Zeit auf niemanden mehr aufgepasst, außer sich selbst. Doch etwas an Sakura hatte auf jeden Fall sein Interesse geweckt. Abgesehen von dem Offensichtlichen, natürlich. Er war auch nur ein Mann und ihr umwerfendes Aussehen war sicherlich nicht zu verachten, besonders weil es so... natürlich schien. Sasuke hatte ein Auge für kleine Details, es war ihm sofort aufgefallen, dass sie so gut wie kein Make-up trug und auch ihr Outfit war eher elegant und ordentlich im Vergleich zu dem, was der Großteil der Mädels in solch einem Ambiente trug. Seine Vermutung von vorhin bestätigte sich immer mehr, Sakura war der ganzen Partyszene gegenüber allem Anschein nach ziemlich fremd und total abgeneigt, was sehr überraschte. Er hätte gedacht, sie würde sich hier wohl wie ein Fisch im Wasser fühlen, doch sie schien sich regelrecht zu fürchten. Nun, er schätzte in dem Falle könnte er seinen heroischen Akt von vorhin auch zu Ende bringen und die Schöne weg von den Biestern und sicher nach Hause bringen. Nachdem Sasuke gegangen war, krabbelte Sakura mit ihren in weißlackiertem Leder dekorierten Füßen auf die bequeme Couch und kuschelte sich in die Ecke von dieser ein. Dann und wann einen Schluck von ihrem Wasser nehmend, sah sie sich unkonzentriert im Raum um. Tief drin zitterte und zog sich immer noch alles willkürlich in ihr zusammen von dem Terror, den sie durchgemacht hatte, ihr Kopf jedoch war gefüllt mit Fragen. Warum arbeitete Sasuke hier? Wofür brauchte er das Geld? Sie kannte niemanden in ihren Kreisen, der wirklich einen Gedanken an Arbeit verschwendete, ihre Eltern bezahlten den privilegierten Kids so ziemlich alles. Oder lebte Sasuke vielleicht alleine? Er kam Sakura wie die Art Mensch dafür vor, er erschien sehr... unabhängig und eigenständig. Wenn ja, wo waren seine Eltern? Wer waren sie? Wenn sie darüber nachdachte, sagte ihr der Name Uchiha nicht wirklich was, in irgendeiner Weise ausgesprochen prominent schienen sie also nicht zu sein. Sasuke war auf jeden Fall kein Mann der vielen Worte, doch entgegen allem, was sie von anderen über ihn gehört hatte, die Geschichten über die Drogen, und die Waffen, und die Vergewaltigung, ja sogar über Mord (obschon das nun wirklich lächerlich war), war Sakura mehr neugierig auf den Jungen als sie von ihm eingeschüchtert war. Wenn er ihr hätte wirklich etwas antun wollen, würde ihn im Moment absolut nichts davon abhalten, sie war gegenwärtig absolut von seiner Gnade abhängig. Doch er hatte das komplette Gegenteil getan, er hatte ihr geholfen, obschon Sakura sich nicht hundertprozentig sicher war, ob Sasuke wegen ihr eingeschritten war oder ob er die Situation einfach nur als eine Entschuldigung dafür genutzt hatte, Seiichiro eine reinzuhauen. Hätte man Sasuke gefragt, war es wahrscheinlich ein bisschen von beidem gewesen. Nachdem er Sakura an einem sicheren, ungefährlichen Plätzchen verstaut hatte, kehrte er hinter die Bar zurück, auch wenn er dort nicht lange seine Ruhe hatte, nicht, dass es bei diesem Job überhaupt viel davon gab, besonders um diese Uhrzeit, doch seine unerschütterliche Coolness und Selbstbeherrschung waren eins der Dinge, die ihn so gut im Umgang damit machten. "Yo, Uchiha! Was bildest du dir, Penner, eigentlich ein?!" Hm. Wäre auch zu schön gewesen. Gerade an dem riesigen, mit allerlei feinsten Alkohols gefüllten Regal, blickte er kurz über die eigene Schulter zu dem Platz an der Theke, von dem er die wütende Stimme vernommen hatte. "Ich schwör, wenn ich mit dir fertig bin, wirst du wochenlang Blut pissen, hast du mich verstanden?!" Geflankt von zwei seiner Kumpane, die alle nicht minder verstimmt und betrunken aussahen, funkelte Seiichiro den Schwarzhaarigen an, wie ein rasender Stier ein rotes Stofftuch. In Verbindung mit der dicken Lippe und der geschwollenen Nase gab sein Gesicht jedoch ein eher bizarres denn bedrohliches Bild ab. "Ich dreh dir den Hals um, du verfickter Punk!" Sasuke drehte sich um und trat zu der breiten Holzplatte, die sie trennte, bevor er mit geübter Leichtigkeit ein sauberes Glas drunter her fischte und es bis knapp unter den Rand mit goldbrauner Flüssigkeit füllte. Ein sanftes Schubsen ließ den Kristallbehälter zu Seite gleiten, aufgehalten durch die Hand des angeheiterten Mannes, der es bestellt hatte. Dieser gluckste und hob zwei Finger zur Augenbraue in einem kleinen Salut an den Barkeeper, bevor davon zu torkeln. Den Arm nonchalant auf die polierte Platte abgestützt, lehnte Sasuke sich indes etwas vor und blickte gelassen in das verunstaltete, wutverzerrte Gesicht seines Klassenkameraden. "Bist du fertig, oder kommt noch was?" Eine Hand schnellte vor und krallte sich seinen Kragen, warmer Atem und penetranter Alkoholgeruch wallten ihm entgegen. "Komm mit nach draußen, bevor ich dich über die gesamte Theke drüber ziehe, du verdammter Hurensohn." Er seufzte. Wenn's denn unbedingt sein musste. Er hatte schon öfters mal den ein oder anderen aufbrausenden Kunden besänftigen müssen, letzte Woche war es noch der übermütige Kapitän des Schulfußballteams gewesen. Es waren keine schiefgegangenen Drogengeschäfte, die Najimura eine gebrochene Adlernase eingehandelt hatten, er hatte einfach nur eine der Kellnerin mit einer Prostituierten verwechselt. Ein Missverständnis, das Sasuke in Endeffekt klargestellt hatte. Seine Kollegen und seine Arbeitgeber waren mehr als zufrieden mit ihm, man fand schließlich nicht oft einen Bartender, der bei Bedarf auch Security spielen konnte. Wieso ein Neunzehnjähriger solch eine Begabung und Fähigkeiten besaß, erfragte hier keiner beziehungsweise hatten sie es langsam aber sicher aufgegeben. Sasuke war auch so nicht sonderlich gesprächig, und persönliche Fragen beantwortete er schon gar nicht. Momentan griff er scheinbar locker um das Handgelenk des Schülerratvorsitzenden und drückte es in einer eindeutig geübten Weise zu, die Seiichiros Finger, welche sich immer noch in den Kragen von Sasukes Hemd krallten, sich gegen den Willen des Brünetten öffnen ließ. Sasuke richtete sich wieder auf und zog kurz an selbigem Kragen, damit das Kleidungsstück wieder ordentlich auf seinem gutgebauten Oberkörper saß. "Sorry. Ich muss dich nochmal kurz alleine lassen." Warf er beiläufig seinem Kollegen hinter der Bar zu. Der Blick des Angesprochenen wechselte kurz zwischen Sasuke und Seiichiro plus Entourage, beunruhigt. "Kein Problem. Alles in Ordnung?" Eine knappe und souveräne Replik seitens des Schwarzhaarigen: "So gut wie." Wenige Augenblicke später war Sasuke wieder draußen an der frischen Luft. Die Nacht war klar und angenehm kühl, der schwarze Himmel übersät mit Sternen und der silberne Sichel des Mondes hoch am Firmament. Seine Hände wanderten kurz zu den Taschen seiner Jeans, um Feuerzeug und Zigarettenschachtel rauszuholen. "Wo ist die kleine pinkhaarige Schlampe?!" Ihm hinterher nach draußen getretenen Seiichiro und zwei seiner Handlanger, die Stimme ihres Anführers mit so heftigen Noten Ärger in ihr, sie überschlug sich fast. Sasuke drehte sich nicht um, steckte sich stattdessen die selbe angefangene Zigarette an, die er schon vorher hatte rauchen wollen, und machte einen Zug, eine weiße Linie schlängelte sich kurz darauf gemächlich dem Himmel empor. "Hat dich nicht zu interessieren." Er musste den Anderen nicht sehen, um zu wissen, dass dieser kurz vorm Explodieren war. Nach außen hin vollkommen entkrampft, spannten seine Muskeln sich in gewohnter Bereitschaft an. Der erwartete Gewaltausbruch ließ nicht lange auf sich warten. Auch wenn er mit den Rücken zu ihnen stand, war seine Reaktionszeit bemerkenswert. Ein kurzes Neigen des Kopfes ließ die Faust, die nach ihm ausgeworfen worden war, knapp an seinem Ohr vorbeisausen. Seine eigene Hand war blitzschnell dran, den Arm, der an der Faust dranhing, zu packen, während sein Fuß blitzartig nach dem Schienbein des Angreifers schlug. Zeitgleich gab er dem Anderen einen heftigen Ruck mit Zuhilfenahme seines gesamten Torsos, wodurch er den bemitleidenswerten Deppen mehr oder minder über die eigene Schulter drüber mit dem Gesicht voran dem Asphalt entgegen schmiss. Der heftige Aufprall mit dem harten Boden stellte sicher, dass der Pechvogel nicht mehr so schnell aufstehen würde. Kaum wieder aufgerichtet, schwenkte er den Oberkörper halb nach hinten, um mit der Kante des Unterarms den nächsten schludrigen Angriff von Seiichiros zweitem Handlanger abzublocken, bevor er den Jungen beim Zurückziehen des eigenen Arms den Ellenbogen unter den Kiefer rammte. Ein Glück, dass Besagter seine Zunge nicht zwischen seinen Zähnen hatte, den diese klappten mit einem üblen Knacken gegeneinander. Eine Hand hatte Sasuke noch frei, und diese formte sich abrupt zu einer Faust, die er in der weichen Stelle zwischen Rippen und Magen seines Gegners versenkte, als er sich diesem rapide komplett zuwandte. Während der zweite Kandidat röchelnd in die Knie ging, hatte er genug Zeit, noch einen Zug von seinem Glimmstängel, der die ganze Zeit über gemütlich zwischen seinen Lippen verweilt war, zu machen. In der nächsten Sekunde war Seiichiro bei ihm, doch er hatte nicht mal die Chance, auszuholen. Sasuke blies den ätzenden Rauch direkt in die Augen des Brünetten und dieser kniff die Lider instinktiv zusammen. Die abwehrend gehobenen Hände nutzten ihm wenig, Sasukes Ferse hackte sich hinter Seiichiros eigene und brachte ihn mit einem Ruck aus dem Gleichgewicht, ihn nach hinten kippen lassend. Das Auftreffen seines Hinterkopfs mit dem unbarmherzigen Härte des Bodens brachte in Seiichiros Sicht farbige Flecken zum Tanzen, ein hohes Piepen setzte in seinen Ohren an und sein Schädel dröhnte dermaßen, dass er nichts anderes, als ein benommen-gequältes Stöhnen von sich geben konnte. Sasuke hockte sich kurz neben dem wimmernden und fluchenden Schülerratvorsitzenden, ein tiefes Einatmen füllte seine Lungen einmal mehr mit dem vertrauten Mentholaroma. "Ich wünsche noch einen schönen Abend, und beehren Sie uns bald wieder." Damit pflückte er die Zigarette von seinen Lippen und drückte sie am Hemdkragen des Anderen aus, womit sich ein schwarzer Brandfleck auf dem teuren Textilerzeugnis bildete. Er seufzte und stand auf, sich kurz die Kleidung abklopfend und einen Blick auf das Minischlachtfeld werfend. Wunderbar. Damit könnte er sich seine Pläne von einem gewaltfreien Endspurt bis zur Abschlussfeier wohl getrost abschminken. Eine wirkliche Herausforderung hatte das Ganze hier nicht wirklich dargestellt, im Gegensatz zu Sasuke selbst verstanden diese angeheiterten Idioten hier von einem wirklichen Kampf genauso viel, wie ein Schwein vom Fliegen. Nichtsdestotrotz... er fragte sich, ob die Ehre eines hübschen Mädchens, das er nicht mal wirklich kannte, es wirklich Wert gewesen war, sich die mit Sicherheit noch kommenden Schwierigkeiten eingehandelt zu haben. Na ja. Kommt Zeit, kommt Rat. Wenig später war er auch schon verschwunden, damit Seiichiro und seine Lakaien sich ungestört vor Schmerzen auf dem Boden krümmen konnten. Die Uhrzeiger krochen auf fünf Uhr morgens zu, als Sasuke wieder in den Pausenraum zurückkehrte, nur um seinen heutigen Schützling beim friedlichen Dösen zu erwischen. Den Kopf auf den Armen und diese wiederum auf der Sofalehne abgelegt, schlief die Kleine seelenruhig vor sich hin. Er ließ ein leises "Hm," verlauten und stand bald darauf neben dem Sofa, um die schlafende Schönheit an der schmalen Schulter anzustupsen. "Hey." Für einen Moment überlegte er, wie er sie nennen sollte und entschied sich einfach für den Namen, den er kannte. "Sakura. Wach auf." Angesprochene regte sich und hatte erst mal damit zu kämpfen, ihre Augen vernünftig zu öffnen. Ihre Lider fühlten sich so schwer an... sie sehnte sich in diesem Augenblick der Benebelung und Schläfrigkeit so sehr nach ihrem weichen, kuscheligen Bett... Die pinkhaarige Grazie blinzelte und wenige Sekunden später holte sie die Erkenntnis darüber, wo und in wessen Gesellschaft sie war, schlagartig ein. Hastig rappelte Sakura sich wieder in eine vernünftige Sitzposition auf. "Entschuldige," murmelte sie, ihre rechte Hand rieb dabei an ihrem Auge, während sie die Linke hob, um ihren Mund abzudecken und ein mildes Gähnen gegen die zarte Handfläche zu dämpfen. Wie zur Hölle schaffte Sasuke es, die ganze Zeit wach zu bleiben? Ferner noch, die ganze Zeit dort draußen bei der Luft und dem Lärm zu arbeiten? Er müsste ein ziemlich beeindruckendes Durchhaltevermögen haben. Sobald sie auf den Füßen war, zupfte Sakura den luftigen Saum ihres hübschen Kleids zurecht und schaute rüber zu Sasuke in Erwartung von weiteren Anweisungen, welche erst mal ausblieben. Er schaute sie einfach nur mit einem undefinierbaren Blick an, was sie dazu brachte, sich verhalten zu räuspern. "Uhm... Ich wär dann soweit...", sprach sie schließlich zögerlich aus. Nun. Das konnte Sasuke sehen. "Vergisst du nicht was?", fragte er und beobachtete leicht amüsiert, wie Sakuras klare, grüne Augen sich in plötzlicher Einsicht weiteten. Es war natürlich einmal mehr nicht allzu ernst gemeint, er erwartete nicht wirklich einen Kuss noch weniger würde er jemanden zu so etwas zwingen. Sakura stand es frei, nein zu sagen und ihn zur Hölle zu schicken, was viele an ihrer Stelle wahrscheinlich auch gemacht hätten. Er wollte einfach nur gerne sehen, wie sie reagieren würde, denn soweit war alles, was sie tat, ziemlich kurios und nicht der Norm ihres Rufs entsprechend. Sie verhielt sich weder wie Queen Bitch noch wie ein schamloses Luder. Ganz im Gegenteil, ihr gesamtes Auftreten war wirklich ungemein... erfrischend. Wenn zuweilen nicht gar niedlich. Sakura indes plante, das Ganze mit Würde handzuhaben, oder es wenigstens zu versuchen. Ihr Problem war ziemlich simpel, schließlich wäre dieser... Kuss, den sie schuldete, ihr erster. Das konnte sie nicht einfach so laut zugeben, es würde sicherlich abwegig und seltsam klingen - siebzehn Jahre alt, umwerfend schön, und ungeküsst. Das frei einzugestehen war ihr dann doch zu peinlich. All das ausgenommen und egal, wie sehr sie es zu leugnen versuchte, war sie doch ein wenig... intrigiert von der Aussicht, obschon unglaublich nervös. Es war das erste Mal in ihrem Leben, dass sie jemanden auch küssen wollte. Sie hatte nur wirklich keinen blassen Schimmer, wie genau sie vorgehen sollte. Na ja... wie sagte man so schön. Augen zu und durch! Also nahm sie einen tiefen Atemzug, um ihre flatternden Nerven ein wenig zu beruhigen, sammelte all ihren Mut zusammen und machte einen selbstbewussten Schritt auf Sasuke zu, darauf aus, es schnell und schmerzlos zu machen. Sich leicht auf die Fußspitzen stellend schnellte sie mit dem Kopf rasch nach vorne und berührte seine Lippen in einer für sie welterschütternden, flüchtigen Sekunde. Ihre Absicht, sich sofort danach wieder zurück zu ziehen, wurde aber prompt vereitelt, denn Sasukes Hand griff um ihren Nacken und hielt sie somit auf der Stelle fest, als er ihre Lippen in einem ordentlichen Kuss einfing. Von einem Moment auf den anderen geschockt von dem plötzlichen Kontakt, erfror Sakura in ihren Bewegungen, ihre Lippen vollkommen reglos gegen das weiche Paar, welches an ihr eigenes gepresst war und sich sachte gegen dieses bewegte, um sie zu irgendeiner Gegenreaktion zu verleiten. Doch alles, was sie zustande brachte, war, ihre Lippen noch fester gegeneinander zu pressen, viel mehr aus Hilflosigkeit denn irgendwelchem Widerwille. Sie war einfach nur komplett überrumpelt, was dazu führte, dass der Kuss sich letzen Endes sehr... seltsam anfühlte. Sasuke ließ von ihr ab und bedachte sie mit einem belustigten Blick. "Du küsst wie eine Jungfrau," stellte er unverfroren fest und was eigentlich nur ein neckischer Spaß sein sollte, erwies sich als ein perfekter Volltreffer. Sakura wandte ihren Kopf ruckartig ab und starrte angestrengt ein Loch in den Boden, während sich ihre weißen Zähne in die eigene Unterlippe verbissen. Na super... Jetzt war die Katze also raus aus dem Sack. Für einen Moment legte sich eine absolute Stille um sie herum und Sasuke starrte das entzückende, verlegene Wesen vor sich an, bevor er letztendlich ungläubig schnaubte: "Ist nicht wahr, oder?" Spätestens nach dieser Aussage färbten sich Sakuras Wangen in einem gesunden Pink, welches mit der Farbe ihrer Haare wetteiferte. Der Neunzehnjährige schüttelte den Kopf, seine Augenbraue kroch nach oben und einer seiner Mundwinkel zuckte in einem fast schon verblüfften Grinsen. "Du bist eine Jungfrau." Dies war nun wirklich etwas, das man eine erschütternde Entdeckung nennen konnte. Ziemlich... unfassbar. Er lachte leise auf und Sakuras Kiefermuskulatur versteifte mit der Last fest zusammengepresster Zähne. "Was ist daran so schlimm?", obwohl geflüstert, kam die Frage dennoch in einer festen, gut hörbaren Stimme raus. "Hm?" Das Grinsen verschwand aus seinem Gesicht, um Platz für einen eher neugierigen Ausdruck zu schaffen. "Was ist so schlimm daran?", wiederholte sie, lauter diesmal, und blickte in Erwartung einer Antwort fast schon herausfordernd zu dem Schwarzhaarigen auf. Sie würde sich für so etwas sicherlich nicht verspotten lassen. Sasuke schmunzelte. "Nichts," und das war eine vollkommen ehrliche Aussage. "Ich war nur... Na ja." Er war nur überrascht gewesen. Geradezu perplex. "Ja," murmelte sie leise und verbittert, den Blick wieder gesenkt. "Ich weiß, was alle sagen." Natürlich wusste sie es. Hörte es jeden Tag hinter ihrem Rücken und manchmal, so wie heute Nacht von Seiichiro, wurde es direkt in ihr Gesicht gespuckt. Flittchen. Betthäschen. Schlampe, Luder, Hure. Musste sie doch sein, nicht wahr? Wenn doch so viele ihr anzüglich hinterher starrten, hinter ihr her jagten, sie bewunderten, sie um ihr Gesicht beneideten und sich nach ihrem Körper verzehrten, sie wollten. Sie musste schon Unmengen an Jungs gehabt haben, sie musste sich schon von Unmengen haben vögeln lassen. Ob Zweier, Dreier, SM, Bondage, Gangbang... Sie müsste es schon alles mitgemacht haben, nicht wahr? Es tat weh. Allein der Gedanke daran, was in den Köpfen anderer vorgehen musste, wenn sie sie sahen und daran dachten, auf welche Arten und Weisen sich wohl andere schon mit ihr vergnügt hatten. "Aber ich bin es nicht...", wisperte sie stur. Sie versuchte selbstsicher und stark zu klingen, und dennoch steckte in ihren Worten so viel aufrichtige, tiefe Traurigkeit, es war unmöglich, sie ganz zu überspielen. "Ich bin nicht das, was sie sagen..." Einmal mehr wurden sie von vollkommener Stille umhüllt. Nachtschwarze Augen beobachteten für einen Moment lang intensiv jenes hinreißende, schrecklich verkannte, liebliche Geschöpf; den trotzigen Ausdruck in den bemerkenswerten, tiefgrünen Iriden sowohl auch den Schmerz, den kein Stolz und keine Würde von einem wissenden Blick verstecken konnten. Ein Schritt brachte Sasuke näher an die betrübte kleine Existenz, sein Arm schlang sich sanft um die schmale Taille. Mit einem bestimmten und doch vorsichtigen Ruck brachte er die zierliche Gestalt näher an die eigene und neigte seinen Kopf runter und zu Seite, was kaum einige Millimeter zwischen ihren Lippenpaaren ließ. Eine von Sakuras Händen griff instinktiv nach seiner Schulter, die andere schnellte hoch, um die kleine Handfläche sachte gegen seine stramme Brust zu drücken. Smaragdfarbene Augen schauten ihn voller Verwunderung und reizender Aufgeregtheit an, nur um bald darauf halb zuzufallen als er ihren Mund mit dem eigenen verschloss, die Berührung fest und resolut, jedoch unterlegt von distinkter, umsichtiger Behutsamkeit. Unsicherheit und Anspannung ergriff jede Faser ihres Körper, die Luft blieb aus ihren Lungen weg und Wärme rollte über ihre grazile Gestalt her, einmal und noch mal und einmal mehr, umso stärker, als sie es endlich wagte, die geschickten, erfahrenen Bewegungen jener weicher Lippen unbeholfen nachzuahmen. Es lag keine Dominanz in diesem Kuss, erlaubte es ihr somit, langsam sicherer in ihrem Erwiderungen zu werden. Ein zittriges Ausatmen durch die schmale Nase, und ein kleines Aufkeuchen, wenn die angenehme, feuchte Glätte der fremden Zunge verleitend über ihre Unterlippe fuhr. Die natürliche Reaktion, zu der es sie verleitete, war, dass ihr Mund sich einen Spalt breit öffnete und den weichen Muskel hineinbat. Die wohlige Empfindung, als der Einladung nachgegangen wurde, war gekoppelt mit einem abrupten Zusammenziehen ihrer Bauchmuskeln, es fühlte sich einfach nur... federleicht und gut an. Sie seufzte leise in den Kuss hinein, feingeschwungene Wimpern flatterten sachte, um ihre Sicht komplett auszublenden und die Sinneseindrücke besser aufzunehmen. Bald fühlte sie sich wacker genug, die eigene Zunge ins Spiel zu bringen, damit diese ihren neuen Spielkameraden zaghaft begrüßen konnte. Sie war wie benebelt, auf eine vollkommen wundervolle Art und Weise, voller wohlig warmer, prickender Impressionen und fast komplett entspannt in jenem bedächtig festen Griff. Alle Angespanntheit war wie weggefegt, bis zu dem Punkt, dass sie nicht mal mehr wusste, ob sie noch aus eigenen Stücken heraus auf ihren Füßen stand oder ob es Sasukes zuverlässiger Arm war, der sie auf ihren so plötzlich erweichten Beinen aufrecht hielt. Das behagliche, elektrisierende Kribbeln in ihrer Magengrube intensivierte sich mit jeder Sekunde, bis sie sich ein verhaltenes, samtiges Aufstöhnen nicht länger verweigern konnte. Er ließ ihre süßen Lippen wieder frei, nur um diese danach noch ein, zwei Mal zu streifen, ein wohltuend sanfter Abschluss der intensiven Erfahrung. Ihre Atmung ging ein wenig schneller und flacher, als sie ihre Augen wieder öffnete, um in undefinierbare, nachtschwarze Tiefen voller unergründlicher Mysterien aufzustarren. Kaum merklich zuckten seine Mundwinkel in einem kleinen, amüsierten Lächeln. "Das nennt man einen Kuss." Merkte er gelassen an, bevor ihren zierlichen Körper aus seinem unverfänglichen Griff zu entlassen. Sich umdrehend schritt er zu einem der Tresen und griff seine schwarze Lederjacke von diesem, um sie kurzerhand Sakura zuzuwerfen. "Komm, ich bring dich nach Hause." Immer noch ein wenig benommen, beeilte sie sich, das Kleidungsstück aus der Luft zu fischen. Ehe sie ihm zur Tür folgte, erlaubte sie ihrer Zunge gleich dem eines neugierigen Kätzchens kurz über die eigenen Lippen zu lecken. Sie hätte gedacht, jemand wie Sasuke würde nach Zigaretten oder vielleicht sogar Alkohol schmecken, aber dem war überhaupt nicht so. Er schmeckte nach etwas undefinierbar Sanftem, minzig und ganz und gar angenehm. Irgendwie fühlte sie sich immer noch ganz kribbelig und leicht aufgedreht nach dem Kuss, aber diese Empfindung war ebenfalls ganz und gar angenehm. Die frühmorgentliche Luft draußen war ungemein kühl und sie war überaus glücklich darüber, dass sie sich in Sasukes warme Jacke einkuscheln konnte. Diese war ihr zwar ein paar Nummern zu groß, das kümmerte Sakura aber herzlich wenig, stattdessen genoss sie den überaus charmanten Duft seines Eau de Cologne, der subtil an den Textilfasern haftete. Wenig später stellte sie außerdem fest - auf einem Motorrad mitzufahren war mindestens genauso cool, wie es aussah. Sie hatte zuerst ein bisschen Angst gehabt, auf das metallische Ross aufzusteigen, weil es sich zunächst so wackelig und unsicher anfühlte, besonders wenn sie ihre Füße vom Boden löste und ihre um Sasukes gestählten Oberkörper geschlungenen Arme der einzige Halt war, der ihr blieb. Dank dem großen, schwarzen Helm fühlte sich ihr Kopf gut doppelt so schwer an und sie fürchtete fast, die Bedeckung würde ihr vielleicht ganz vom Haupt rutschen. Doch alles lief komplett Unfallfrei ab, sie nannte ihre Adresse und hörte bald danach das Aufknurren des Motors, welches um einiges lauter war, als wenn man es aus der Entfernung vernahm. Ihre Arme griffen fester um den Jungen vor ihr und sie presste sich instinktiv näher an ihn, was Sasuke zu einem für sie unsichtbaren Schmunzeln verleitete. Das Motorradfahren; noch ein erstes Mal für die unberührte Schönheit, huh? Für wahr, was für ein Abend. Für sie beide. Zu ihrer Überraschung spürte Sakura es kaum, wenn das Bike sich vom Platz bewegte, geschmeidig und leicht wie es gelenkt wurde. Sasuke fuhr schnell jedoch nicht annähernd so waghalsig, wie ihre voreingenommene Vorstellung es von Motorradfahrern annahm. Sein Fahrstil war geübt und selbstbewusst, seine Kontrolle über seinen mechanischen Kameraden schien leicht und ungezwungen, insofern waren all ihre Ängste und Bedenken rasch vergessen, sodass sie ihre Fahrt durch die immer noch größtenteils schlafende Stadt wenig später richtig genoss. Es war so komplett anders vom Gefühl her, als die Einengung des Autoinnerraums, so viel... freier und aufregender. Das Rauschen des Windes und das Spüren der Böen allein war ein unnachahmlicher Sinneseindruck. Sie würdigte im Stillen anerkennend Sasukes ersichtlich exzellenten Orientierungssinn, denn er führte das Motorrad bestimmt und sicher eine Route entlang, die sich im Gegensatz zu dem Weg, den Seiichiro gefahren war, um einiges kürzer herausstellte. Sie konnte nur vermuten, dass ihr verschwiegener Retter sich sehr gut in der Stadt auskannte und wahrscheinlich viel umhergefahren war. Es war fast schon Schade, für ihren Geschmack waren sie viel zu schnell an ihrem Haus angekommen. Sie stieg ab und gab die paar Gegenstände, die sie sich geliehen hatte, wieder ihrem Besitzer zurück. Der Helm verschwand also unter dem Sitz, während sich die stilvolle Jacke wieder auf ihren rechtmäßigen Platz auf jenen robusten Schultern einfand. "Sasuke-kun." In Lederhandschuhe gehüllte Hände zurück an der Lenkstange seines motorisierten Hengsts, drehte der Angesprochene seinen Kopf zu Sakura, deren lange, feingliedrige Finger sich gerade um seinen Arm geschlossen hatten, um ihn von einer zu schnellen Abfahrt abzuhalten. Sakura konnte jenes ansehnliche Antlitz wegen des Helmvisiers, den er sich nicht die Mühe gemacht hatte, hochzuklappen, nicht sehen, aber sie konnte den ruhigen Blick jener enigmatischen, dunklen Augen auf sich spüren. "Vielen Dank." Sprach sie leise Worte aufrichtiger Dankbarkeit, ihre weiche Stimme untermalt von argloser Wertschätzung all der bedeutenden Dinge, die er heute für sie getan hatte. Sie wusste, sie schuldete ihm so einiges für heute Nacht. Ihre Antwort war ein anerkennendes Nicken, und ihre Finger lösten sich wieder von dem starken Arm, den sie berührten. "Pass auf dich auf." Sprach er gelassen zum Abschied, sein Motorrad schon bald die Straße runter flitzend und ihr blieben nur die roten Rücklichter, denen sie nachschaute, bis diese hinter der nächsten Kurve verschwanden. Sakura warf einen Blick auf ihre Armbanduhr, spürend, wie sich beim Anblick der Zahlen alles in ihr verkrampfte. Es war fast sechs Uhr morgens. Ihre Mutter musste krank vor Sorge und der Wutpegel ihres Stiefvaters kurz vorm Zerbersten sein. Jedoch führte kein Weg daran vorbei, sich den beiden zu stellen, und es heraus zu zögern hatte auch keinen Sinn. Also drehte sich die pinkhaarige Schönheit mit einem schweren Seufzen ihrem Haus zu und begann, langsam darauf zuzulaufen. Es war ein sehr anstrengender, langer Tag gewesen und sie wusste, dass es noch lange nicht vorbei war. Aber es war okay. Als sie ihren kurzen Weg zu den großen Eingangstoren ihres luxuriösen Zuhauses schritt, hob Sakura eine ihrer Hände und streifte mit den Fingerspitzen hauchzart über ihre sündhaft begehrenswerten Lippen, auf welchen sich just dann ein liebliches, ergriffenes Lächeln abzeichnete ob der zauberhaften Erinnerung, die unsichtbar auf ihnen verweilte. Kapitel 4: Fairplay ------------------- Kapitel 4 Fairplay [Sonntag, 12 Juli, 14:43 Uhr] Es war schon kurz vor Drei, als sie aufwachte. Noch eine Stunde später, frisch geduscht und ohne Frühstück, griff sie die Haustürschlüssel von der Kommode in der Eingangshalle und verschwand nach draußen. Ihren Eltern sagte sie nichts, sie wollte einfach nur aus dem Haus raus, weil sie es drinnen kaum mehr aushielt. Es war Sonntag, das Wetter war so herrlich wie es sich für diese Jahreszeit gehörte, und Sakuras Stimmung war im Keller. Sie fühlte sich fix und fertig, seelisch mehr denn körperlich. Außerdem... Vor sich hin seufzend schloss das Mädchen ihre Augen und öffnete diese wieder rasch, um den sofort über sie hereinbrechenden Sturzbach der Erinnerungen zu entwischen. Erinnerungen an gestern Abend und gestern Nacht, oder eher gesagt heutigem sehr frühen Morgen. Wenn es möglich wäre, würde sie den größten Teil davon ganz vergessen wollen. Es ist schon eine Weile her gewesen, nicht wahr... das letzte Mal, dass... Ein verbittertes Zuflüstern der inneren Stimme, das sie fortscheuchte, während sie ziellos die Straße runter wanderte. Sie sollte es wirklich versuchen, sich auf anderes Gedankengut zu konzentrieren. Etwas Besseres, etwas Positiveres. Wenn schon nicht das Desaster von gestern, dann vielleicht das einzig Gute, was dort passiert war. Nach dem Horror mit Seiichiro und dem Missbrauchsversuch, dem sie fast zum Opfer gefallen war und vor dem Augenblick, wo sie die Türschwelle ihres Zuhauses überschritten hatte. Einfach ausgedrückt dachte sie an Sasuke. Die Rettungsaktion, den... Kuss, die nächtliche Fahrt auf dem Motorrad. Sie hatten nicht sonderlich viel miteinander gesprochen, doch der Junge hatte erfolgreich einen Eindruck hinterlassen. Sasuke war schon eine ziemlich außergewöhnliche Persönlichkeit. Cool, ruhig, beherrscht... Attraktiv. Sehr sogar. Er war selbstbewusst, obschon auf eine völlig andere Weise, als Seiichiro oder Sakuras Stiefvater. Er war weder arrogant noch zog er eine Show ab, er benutzte seine Kraft nicht dazu, sich das zu nehmen, was er wollte, ungeachtet alles und jedem. Es war eine stillere, elegantere Art des Selbstbewusstsein, die Art, die man gar nicht zu Schau stellen musste, damit andere Leute sie wahrnahmen und respektierten. Sasuke war einfach nur... anders. Sakura mochte die Kontenance des verschlossenen Jungen, ungeachtet allem, was in der Schule über ihn gesagt wurde. Sie war die Letzte, die wirklich Gerüchten glauben würde, selbst ein immerwährender Mittelpunkt von diesen, auch wenn sie nicht leugnen konnte, dass sie anfangs voreingenommen gewesen war und ihre Vorurteile ihm gegenüber gehabt hatte. So wie sie es sah, war Sasuke weder ausgesprochen böse noch gefährlich, solange man ihn nicht ernsthaft verstimmte. Er schien einfach nur mehr nach dem 'Taten sprechen lauter als Worte' Motto zu leben, nur hatte er auch keine Angst, zu agieren, wenn es nötig war, im Gegensatz zu vielen anderen, die nur große Töne spuckten und dann den Schwanz einzogen, sobald echtes Handeln gefragt war. Und dann war da natürlich der Kuss. Der erste echte Kuss ihres Lebens. Die Erinnerung daran brachte immer noch ihre Lippen zum aufgeregten Kribbeln und die sprichwörtlichen Schmetterlinge in ihrem Bauch zum wilden Umherflattern. Sie bestritt nicht, dass es ihr gefallen hatte, wozu auch? Sie hatte es ebenfalls genossen, von ihm gehalten zu werden; im Vergleich zu Seiichiros schamlosen Griffeln hatte sich Sasukes Umarmung ganz anders angefühlt. Bestimmt aber nicht zwingend, einfach nur bedacht und fest. Sicherheitsspendend. Ja, das war eine gute Beschreibung. Sie hatte sich weder bedroht noch unbehaglich gefühlt, sondern... geschützt. Warm und wohlig. Vom visuellen Aspekt her... Nun. Dass Sasuke unglaublich gut aussah, konnte man ihm wohl kaum aberkennen. Toller Körper, schönes Gesicht, guter Sinn für Styling und die Augen... tiefschwarz wie die Nacht und genauso geheimnisvoll. Ergänzt durch diese unnachahmliche enigmatische Aura um ihn, die ihn noch anziehender machte. Sie war neugierig auf ihn. Sehr sogar. Sie mochte auch das mondäne Motorbike. Sie mochte die Tatsache, dass er arbeitete. Und sie liebte den Fakt, dass er Seiichiros perfekte Nase gebrochen hatte. Ein leichtes Grinsen zog an ihren Mundwinkeln, als sie sich mit Genugtuung zurück an den Moment erinnerte, in dem jene Faust mit der einen hämischen Fresse kollidierte und an Seiichiros darauffolgendes Wehklagen. Sie kannte keine andere Person weit und breit, die sich dermaßen unverfroren mit Seiichiro anlegen würde, nicht nur verbal sondern auch körperlich. Doch Sasuke hatte weder gezögert noch war er eingeschüchtert gewesen. Überhaupt schien er nie wirklich seine Ruhe zu verlieren, fast schon gleichgültig allem und jedem gegenüber und doch blieb er selbst nie wirklich ignoriert. Sakura hatte viele Freunde, vielleicht mehr, als sie sich die Mühe machte, zu kennen, doch keine, von denen sie sagen würde, sie waren echt oder loyal. Von denen sie sicher sein könnte, sie würden ihr nicht bei der erstbesten vorteilhaften Gelegenheit den berühmten Dolch in den Rücken jagen. Sie vertraute Menschen nicht, weil die meisten eins von zwei bestimmten Dingen von ihr wollten: Sex, oder eine Mitschwimmgelegenheit auf ihrer dubiosen Erfolgswelle. Doch Sasuke... sie verspürte den arglosen und aufrichtigen Wunsch, mehr über ihn zu erfahren. Viel mehr. Sie wunderte sich, ob er eine Freundin hatte. Andererseits hätte er sie wohl kaum geküsst, wenn dem so wäre. Sie fragte sich, was er über ihren Kuss dachte und ob er überhaupt noch darüber nachdachte. Er war sicherlich nicht der Typ für konventionelle Verabredungen und herkömmliche romantische Bräuche, soviel konnte sie sagen. Sie würde drauf wetten, dass eine Beziehung mit ihm abseits jeder Standards und Normen liegen würde, es würde alles andere als gewöhnlich sein. Und sie mochte den Gedanken. Sie... nun ja. Sie mochte Sasuke. Sehr sogar. Obwohl sie sich erst gestern zum ersten Mal Angesicht zu Angesicht begegnet waren. Obwohl sie gestern zum ersten Mal miteinander gesprochen hatten. Dafür hatten sie schon einen Kuss miteinander geteilt. Den allerersten für Sakura, und sie würde einer Wiederholung ganz und gar nicht abgeneigt sein... Das brachte die siebzehnjährige Schönheit erfolgreich zum Erröten. Sag ihr bloß nicht, sie war ihrem ersten Schwarm begegnet. Wo sie selbst doch die Leidenschaft von so vielen war, könnte sie sich doch unmöglich in jemanden, der so vollkommen anders als sie war, verguckt haben? Er war aus einer vollkommenen anderen Welt und eine Klasse zu hoch für sie, genauso wie sie für ihn. Sie passten überhaupt nicht zusammen, spielten in grundverschiedenen Ligen, und sie wusste nicht mal, ob Sasuke überhaupt noch einen Gedanken an sie verschwendete. Wieso sollte er an Sakura interessiert sein? Er war niemand, der ein schönes Accessoire benötigte, er scherte sich nicht darum, was andere in und außerhalb der Schule von ihm dachten und vielleicht... vielleicht war es genau das, was Sakura so magisch zu ihm zog. Weil sie wusste, wenn sie mit ihm zusammen wäre, würde es eine Beziehung aus echter, aufrichtiger Interesse heraus sein und nicht nur aufgrund von Aussehen, sozialem Status und Prestige. Seine Persönlichkeit war unverfälscht und mit ihm... mit ihm würde sie es auch sein können. Im selben Augenblick hätte sie sich ohrfeigen können. Sie hatten sich einmal getroffen, einmal miteinander geredet, sich einmal geküsst und sie fantasierte bereits von Verabredungen und Zusammensein. Sie wusste nicht, ob gestern für Sasuke überhaupt irgendwas bedeutet hatte. Vielleicht war es etwas, vielleicht war es auch überhaupt nichts. Wie gut kannte sie den Jungen, um zu wissen, dass gestern nicht einfach nur ein spaßiger Abend in seiner Wahrnehmung gewesen war? Vielleicht hatte er Sakura mittlerweile komplett aus dem Kopf geschmissen. Zu allem Übel kannte Sasuke jetzt auch noch ihr größtes Geheimnis. Den Teenager erschauerte es bei dem bloßen Gedanken daran, was passieren würde, wenn es je herauskam. Die wunderschöne, stolze, glorreiche Eisprinzessin - eine Jungfrau. Man würde sie auseinandernehmen und lebendig auffressen, mit Hilfe von Spott und Lust. Der Hauptpreis im abscheulichen Wettbewerb jener, die ihr 'erster' sein wollen würden, die sie flachlegen wollen würden, nur um später damit anzugeben, dass sie es waren, die sie ihrer 'Blüte' beraubt hatten. Gott, ihr wurde schlecht, wenn sie nur daran dachte. Doch irgendwie war sie sich sicher, dass Sasuke es niemandem erzählen würde. Er erweckte einfach nur nicht den Eindruck von jemanden, der Gerüchte verbreitete oder sich überhaupt darum scherte. Andererseits, was machte sie da so sicher? Sie kannte ihn kaum und doch... seit gestern hatte sie irgendwie das Gefühl, dass sie ihn besser kannte, als irgendjemand anderen. Sie blieb stehen und schaute sich überrascht um. Ohne sich dessen bewusst gewesen zu sein, hatten sie ihre Füße zu ihrer Schule getragen, der Schulhof menschenleer an diesem heißen Sonntagnachmittag, aber sie vernahm Stimmen aus der Richtung des Sportplatzes, begleitet von dem Geräusch eines Balls, der rhythmisch auf den Boden aufschlug. Spielten da etwa Leute Basketball? Hörte sich stark danach an. Nachdem sie den großen Hof überquert hatte, sah sie in der Tat eine Gruppe Jungs hinter dem dünnen Gitter, das den Basketballplatz umringte. Es waren ungefähr zehn an der Zahl, alles Oberschüler, alle hinter dem dunkelorangen, schwarzgestreiften Ball her. Oder eher hinter demjenigen her, in dessen Besitz sich der Ball gerade befand und der unaufhaltsam dem Korb entgegen dribbelte. Sie erkannte die Gestalt, gekleidet in ein simples weißes T-Shirt und schwarze Sportshorts, nicht sofort. Erst als sie das markante Profil der feinen Gesichtskonturen im Ausdruck ruhiger Konzentration erblickte, identifizierte sie die Person augenblicklich. Ein kraftvoller Sprung, ein unbeirrte schnelle Bewegung aus dem Handgelenk heraus, und der Ball versank durch den Metallring und das weiße Netz. Dunk! Sasuke landete wieder mühelos auf den Füßen und fing den Ball ein, bevor dieser davon springen konnte, die freie Hand waagerecht mit der Handfläche nach oben gehalten, um die gratulierenden Low-Fives seiner nahstehenden Teamkollegen zu akzeptieren, bevor das Spiel wenige Sekunden später sofort weiterging. Sakura hatte einige der Jungs bereits in Sasukes Gesellschaft gesehen, einige von ihnen gingen auf ihre Schule und kamen ihr vage bekannt vor, andere wiederrum kannte sie überhaupt nicht. Die Jugendlichen schienen vollkommen von ihrem Spiel eingenommen zu sein und niemand bemerkte Sakuras zierliche kleine Silhouette, die das Basketballfeld betrat und sich Richtung der Zuschauertribüne begab. Es war einfach für sie, inmitten der vielen verstreuten Sporttaschen Sasukes auszumachen, diese lag ziemlich abseits von allen anderen und was noch wichtiger war, es war die einzige Tasche, neben der ein schimmernd-schwarzer Motorradhelm ruhte. Sich vorsichtig neben seinem Eigentum setzend, fokussierte das pinkhaarige Mädchen ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Spiel. Sakura mochte Basketball. Unnötig zu erwähnen, hatte sie es nie selbst gespielt, doch man musste kein Experte sein, um festzustellen, dass Sasuke verdammt gut war. Es dauerte nicht lange, bis sie mitbekam, welcher der Jungs für welches Team spielte und auch wenn so ziemlich alle von ihnen wussten, was sie taten, stachen nur zwei von ihnen wirklich heraus. Einer davon war Sakuras gestriger, unerwarteter Retter, wer der andere Junge war, wusste sie nicht. Diese zwei waren in der jeweils gegnerischen Mannschaft und lieferten eine spektakuläre Show von Einsatz und Können ab. Natürlich war Sakura persönlich viel mehr daran interessiert, Sasuke zuzugucken, als irgendjemand anderem auf dem Feld. Die geschickten, schnellen Bewegungen jenes athletischen Körpers, den geruhsamen Ausdruck jener ansehnlichen Gesichtszüge, die präzise Art, wie er den Ball kontrollierte und die eindrucksvolle Weise, auf die er die Punkte machte. Sie wusste nicht, wie es stand und welches Team am Gewinnen war, doch innerlich fieberte sie mit und feierte jedes Mal, wenn es Sasuke war, der den Ball durch den Korb jagte. Kraftvolle Slam-Dunks schienen seine Spezialität zu sein und Himmel noch mal, sah er beim Ausführen dieser gut aus: das sichere Dribbling, die bemerkenswerte Sprungkraft und das energische, scharfe Runterhämmern des Balls direkt in den Korb. Sie wusste nicht, wie lange sie dagesessen und das staunenswerte Spiel genossen hatte doch letztendlich fand der Match sein Ende. Dem Jubel und den erheiterten Gesichtsausdrücken nach zu urteilen, hatte Sasukes Team gewonnen, auch wenn der Schwarzhaarige selbst eher verhalten in der Demonstration seiner Freude war, während er freundschaftliches Klopfen auf seinen Rücken und Schultern akzeptierte und ein paar der gleichen, anerkennenden Gesten an den ein oder anderen seiner Jungs richtete. Als er dann seinem besten Gegenspieler gegenüber stand, reichte er ihm seine Rechte für einen festen Handschlag, bevor sich die Oberkörper der Rivalen leicht Schulter gegen Schulter anstießen in einer typischen, männlichen Halbumarmung - ein Kompliment an die Performance des jeweils anderen. Schließlich wandten sich alle den Tribünen, wo sich ihre Sachen befanden, zu und für einen Moment blieb der Blick nachtschwarzer Augen auf der charmanten Überraschung hängen, die dort thronte. Sasuke hatte während des Spiels durchgehend einen anhaltenden Blick auf sich gespürt aber nicht sonderlich darauf geachtet, erst jetzt begreifend, wer ihn da beobachtet hatte bei seiner wöchentlichen Sportaktivität, welche er jedem Fitnesscenter der Welt jederzeit vorziehen würde. Schweiß sickerte ihm in kleinen, dünnen Linien die Seiten des Gesichts runter, sein wohlgeformter Körper erhitzt durch das willkommene, angenehmen Work-out der jungen, leistungsfähigen Muskulatur. Ein beeindrucktes Pfeifen zog seine Aufmerksamkeit zurück zu den Jungs um ihn herum. "Wow. Auf wen wartet denn das süße Schneckchen da?" In Anbetracht dessen, wie sich ihre Blicke gekreuzt hatten und der Tatsache, neben wessen Sachen Sakura saß, waren einige von ihnen schneller von Begriff als andere, insofern ließ irgendjemand alsbald ein gutherziges, neckisches Glucksen von sich verlauten: "Oi, Sasuke. Hast du dir etwa einen privaten Cheerleader angeschafft?" "Nicht nur irgendeinen Cheerleader. " Warf ein Anderer belustigt ein. "Es musste unbedingt das heißeste Luder der Schule sein, eh? Hut ab, der Herr." Sasukes Brauen zogen sich in einem achtungsgebietenden Stirnrunzeln zusammen, dunkle Augen warfen dem Spaßvogel kurz einen scharfen Blick zu. "Klappe." Die starke Stimme ruhig und leicht abgesenkt, war es ein guter Hinweis darauf, dass er das Ganze nicht annähernd als lustig empfand und seine Kameraden verstummten in Bezug auf das Thema umgehend. Sasuke war nicht wirklich für seinen Sinn für Humor bekannt und ihn aufzuziehen, ganz egal wie gut man es damit auch meinte, war immer ein Spiel mit dem Feuer. Sein Temperament war ihnen allen bekannt und niemand wollte dieses eher schöne Zusammenkommen mit Blut und gebrochenen Knochen abrunden. Die kleine Gruppe zerstreute sich bald, jeder von ihnen unterwegs zu den eigenen Sachen auf den Bänken und Sasuke war keine Ausnahme. Bei seinem Besitz angekommen blicket er Sakura interessiert an. "Was machst du hier?" "Sitzen." Bestätigte sie das Offensichtliche. Sasuke schnaubte leicht und langte nach der Flasche Wasser in seiner Sporttasche. Eine einfache Bewegung drehte den Verschluss auf und er machte ein paar große Schlucke, bevor er seinen Kopf neigte und den Rest der Flüssigkeit über sein Haar und seinen Nacken zum Zwecke der Erfrischung ausschüttete. Die Hitze des Tages versprach, nur noch zuzunehmen und das Wasser würde sicherlich in einigen Minuten wieder verdunstet sein. Sakura beobachtete die Aktion mit einem amüsierten Lächeln, ihre helle Stimme indes richtete ein ehrliches Kompliment an ihn. "Das war eine Spitzenleistung eben auf dem Feld. Wie lange spielst du schon Basketball?" Sasuke fuhr sich mit den Fingern durch die nassen Haare und raufte sie flüchtig auf, womit einige Wassertropfen auf seinem unerwarteten, bildhübschen Zuschauer landeten. "Fast fünf Jahre." Die paar kristallklaren, liquiden Perlen von ihrer seidigen Wange wischend, hob Sakura eine perfekt gezupfte Augenbraue. "Beeindruckend." Das erklärte mit Sicherheit den hohen Level an Professionalität. Sie wunderte sich, warum er nicht dem Schulbasketballteam beitrat, er würde sicherlich eine absolute Bereicherung sein. Sasukes Antwort darauf wäre ganz einfach ausfallen: er konnte das Schulbasketballteam nicht leiden. Er konnte den verweichlichten Trainer nicht leiden, und insbesondere nicht leiden konnte er die verhätschelten Spieler - ein zu starker Schubser und schon machten sie ein totales Drama draus. Er mochte professionelles Basketball im Allgemeinen nicht. Viel zu pompös für seinen Geschmack, all der unnötige Schnickschnack drum herum, die quirligen Cheerleader, die dummen Maskottchen, die Menge an unnötigen Regeln im eigentlichen Spiel, die einen nur behinderten. Straßenbasketball war mehr sein Ding, wo niemand in die Pfeife blies, wenn du mal jemanden beim Dribbling oder der Ballabnahme umschmiss. "Hast du schon mal gespielt?" Stellte er beiläufig die Frage und ließ sich auf die Bank neben Sakura fallen, nun zusammen mit ihr beobachtend, wie die anderen Jungs einzeln oder in kleineren Gruppen davon schlenderten. Irgendwie waren sie beide ziemlich schnell die einzigen auf dem Sportplatz geblieben. "Nein." Antwortete sie mit einer Note Bedauern. "Ich würde gerne, aber es ist alles rhythmische Gymnastik und schicker Tanz für mich." Immerhin gebührte es für Mädchen wie sie nicht, einem Ball hinterher zu jagen, sich blaue Flecke einzuhandeln und sich dreckig zu machen. Die Sportclubs, zu denen sie angemeldet war, spezialisierten sich auf Eleganz, Wendigkeit, Biegsamkeit und allgemein ganz anderem Level der Fitness und Körperbeherrschung. Dabei würde Sakura sehr gerne mal die geläufigsten Sportarten ausprobieren, und wäre es auch nur Volleyball oder Badminton, ganz zu schweigen von Basketball oder Fußball. Sie lächelte, doch es war mehr bitter denn fröhlich. "Schließlich bin ich eine Lady." Vielleicht erzählten ihre Augen, die sehnsüchtig auf das Spielfeld starrten, eine andere Geschichte. Eine kurze Schweigepause entstand zwischen ihnen, bis Sasuke sich plötzlich wieder auf die Füße erhob. "Willst du's versuchen?" Jene tiefgrünen Seelenspiegel schauten verdutzt zu ihm auf, ihre Besitzerin allem Anschein nach ziemlich perplex. "Was...?" Sakura konnte dem gerade Gehörten kaum glauben. Sasuke schien unbeirrt und nickte kurz runter Richtung des Feldes, wo der Ball verlassen auf dem Boden lag. "Basketball. Willst du es mal versuchen?" Wiederholte er mit überzogener Betonung der Worte, sichtbar belustigt über den Ausdruck auf jenen viel zu entzückenden Gesichtszügen. Wenn sie die stolze Haltung ablegte, war die Eisprinzessin gar nicht mal so eisig. Sie war eher ziemlich süß. Sie blinzelte, bevor ein begeistertes Lächeln ihre sinnlich roten Lippen berührte. "Unheimlich gern!" Warum auch nicht? Sie war mit einem Schlag ungemein aufgeregt und so dankbar für das Angebot, sie hätte ihn glatt drücken können. Es war eher praktisch, dass ihr Markenkleidung heute aus leichten Ballerinas, einer türkisen Dreiviertelhose und einer beigen Stehkragenbluse bestand, das bot angemessene Bewegungsfreiheit und wirklich zum Schwitzen kommen würde sie eh nicht. Ihre erste Herausforderung bestand daraus, den Ball einfach nur länger als ein paar Sekunden in ihrem Besitz zu behalten. Das Dribbeln an sich war wirklich nicht schwer, das Laufen während man am Dribbeln war aber schon eher und obschon Sasuke klar überlegen war, nutzte er es nicht dazu, um anzugeben. Ständig so ein Protz, dieser Uchiha. Ganz und gar nicht. Stattdessen versuchte er zielgerichtet und mit Ernst, ihr das Spiel und ein paar einfache Tricks und Taktiken beizubringen und da Sakura alles andere als dumm war, lernte sie schnell und bereitwillig. Insofern war sie ein paar Stunden später ziemlich zufrieden mit den eigenen kleinen Erfolgen während ihrer Dribblingduelle, auch wenn sie kaum eine Chance hatte, sollte Sasuke ein wenig nachlegen. Nichtsdestotrotz freute es sie, dass sie ihn überhaupt dann und wann dazu bewegen konnte, nachzulegen, um seinen zierlichen Gegenspieler davon abzuhalten, den Korb zu erreichen. Natürlich war es offensichtlich, dass er in Bezug auf die Härte seines Spiels mit Nachsicht und Vorsicht handelte, sie hatte ihn immerhin auf dem Spielfeld gesehen, sein Körpereinsatz war alles andere als harmlos gewesen. Sicherlich bedurfte es für ihn überhaupt keiner großen Anstrengung, sie von ihren Füßen zu fegen, doch obschon es Körperkontakt gab, landete Sakura kein einziges Mal auf ihrem wohlgeformten Hintern. In dem Sinne war seine Einschätzung der eigenen Stärke ungewöhnlich genau, er hatte sie zwar kein einziges Mal umgeschubst oder ihr weh getan doch sie hatte auch nicht das Gefühl, wie eine Glasfigur behandelt zu werden. Davon abgesehen war Sakura selbst fleißig darauf bedacht, sich vom besagten Körperkontakt, wann immer er zustande kam, nicht allzu sehr von dem eigentlichen Spiel ablenken zu lassen. Sasuke seinerseits fand sich angenehm davon überrascht, dass das junge Mädchen eine solch gute Kondition besaß, die ersten Anzeichen von Müdigkeit zeigte sie erst nach gut einigen Stunden des Laufens, Springens und Dribbelns. Er hatte einen solchen Level an Fitness von jemanden wie ihr nicht erwartet, was für ihn kurz die Frage aufwarf, wie genau die kleinen Schönheit sich in dermaßen vorbildlicher Form hielt. Konnte wohl kaum all der Sex sein, wie die Gerüchte suggerierten. Mussten also wohl Tanz und Gymnastik sein und obschon er nicht einschätzen konnte, wie fordernd und fördernd die Disziplinen waren, war es klar, dass sie sich bei denen wohl ziemlich reinkniete und sie absolut ernst nahm und praktizierte. Einsatz und Hingabe der eigenen Körperfitness gegenüber, dass konnte er auf jeden Fall würdigen, insbesondere da er selbst ebenfalls große Acht darauf gab auch wenn höchstwahrscheinlich nicht aus den selben Beweggründen wie sie. Die Sonne hing mittlerweile um einiges tiefer über dem Horizont als der Ball gekonnt aus Sakuras Händen geschlagen wurde - zum letzten Mal am heutigen Tag, denn sie stemmte besagte Hände auf die eigenen Schenkel und nutzte den Moment zum Verschnaufen. "Ich glaub, das war's für mich." Lachte sie auf, außer Atem. Das verleitete Sasuke zum milden Grinsen. "Kann ich nachvollziehen. Um ehrlich zu sein, hätt ich nicht gedacht, dass du halb so lange durchhältst." Diesmal war es an Sakura, zu grinsen, sich wieder aufrichtend, um ihm kurz die Zunge herauszustecken. Er schnaubte belustigt und warf dem frechen Wesen den Ball entgegen, hart genug, damit Sakura ein paar Schritte zurückstolperte, als sie die luftgefüllte Gummikugel auffing. "Für jemanden, der nicht spielt, hast du dich ziemlich gut geschlagen." Kommentierte er dann, was ihr Grinsen in ein liebliches Lächeln verwandelte. Ihm schien, sie war nicht allzu sehr an Lob gewohnt, was sich mit ihrer nächsten Aussage bestätigte. "Ja, klar." Sprach Sakura selbstironisch aus, gefolgt von einer Portion Selbstkritik: "Ich hab kein einziges Mal getroffen." Nicht mal die Möglichkeit dazu gehabt, aber das machte nichts. Sie hatte unglaublich viel Spaß dabei gehabt und dafür war sie ihm überaus dankbar. Es hatte ihr den Tag gerettet, genauso wie sie selbst vor einer Menge unangenehmer Gefühle und Erinnerungen. Sasuke schaute sie einen Moment lang an, der Blick seiner onyxfarbenen Augen unergründlich. Ein paar feste Schritte brachten ihn dann bis knapp unter den Korb. "Komm her." Rief er sie gelassen zu sich, und den Ball immer noch vor ihrer Brust haltend folgte Sakura verwirrt der Einladung. Als sie neben ihm stand, ging er einmal um sie rum und seine Hände griffen sie sachte von hinten um die fein geformten Seiten ihrer schlanken Taille, um ihr Fliegengewicht wenig später mit Leichtigkeit hochzuheben, was sie zum scharfen Lufteinziehen ob des unerwarteten, aufwühlenden Kontakts verleitete. "Rein damit." Da machte es Klick in ihrem Kopf und mit einem losgelösten, fröhlichen Lachen donnerte Sakura den Ball durch den Ring direkt vor sich, so wie sie es heute so viele Male von Sasuke gesehen hatte. Er setzte sie wieder ab auf ihre schmalen Füße und sie wirbelte herum, um ihn glücklich anzustrahlen. Das verleitete Sasuke zum Schmunzeln, bevor seine Hand nach ihren seidig weichen, rosaroten Strähnen langte und diese kurz zerzauste. Für sich selbst merkte er an, dass es das erste Mal gewesen war, wo er Sakura lachen gehört hat: wirklich lachen gehört, frei und ungezwungen, ein niedlicher und natürlich melodischer Klang, der sehr angenehm für die Ohren war. In gespielter Verstimmtheit schlug sie jene starke Hand leicht weg, damit diese aufhörte, das perfekte Styling ihrer Haare zunichte zu machen und begriff im selben Augenblick ebenfalls, wie nah sie beide eigentlich standen. Ihr stockte der Atem mit dem plötzlichen Hochsprung ihres Herzens, und für eine Sekunde stellte sie sich etwas ganz anderes vor... Jener athletische Körper fest an ihren eigenen gepresst und Lippen, die sich berührten... Der ruhige, durchdringende Blick jener leicht verengter Augen verschlimmerte es nur, weil es den Eindruck erweckte, als ob Sasuke durch sie hindurch direkt in ihren Kopf sehen konnten, in welchem sich gerade solch skandalöse Bilder befanden. Alle Anspannung wurde jedoch mit dem kleinen, knurrenden Laut ihres Magens kurzerhand verstreut. Offensichtlich war er mehr als nur verstimmt darüber, dass alles, was seine Herrin ihm bis dato angeboten hatte, immer noch der Saft von gestern Nacht geblieben war. Sasuke runzelte die Stirn. "Ich hoffe mal, das ist kein Anzeichen irgendeiner verrückten Diät." Sie brauchte sicherlich keine, rank und schlank wie sie bereits war. Die Siebzehnjährige lachte lieblich betreten auf und schüttelte den Kopf. "Nein. Ich hab nur... Na ja." Mit allem, was passiert war, hatte sie es nur mehr oder weniger verdusselt, zu essen. Oder eher keinen wirklich großen Appetit gehabt, denn dieser wurde ihr erfolgreich sowohl gestern Nacht als auch heute morgen immer wieder verdorben. "Ich kann dich zu Hause absetzen, wenn du willst." Ein Angebot, das sie fest verneinte, während sie die Augen abwendete. "Danke... Aber ich will jetzt noch nicht nach Hause." Sie würde überhaupt nicht mehr dorthin zurückkehren wollen, wenn sie nur könnte. "Wo soll ich dich dann absetzen?" Sie zuckte verloren mit den Schultern. "Ich weiß nicht..." Er könnte sie auch einfach nur hier lassen, obschon das eine nicht minder triste Aussicht war. Den Kopf wieder erhoben, schaute Sakura den Jungen vor ihr einen Moment lang einfach nur an und stellte dann eine simple Frage, die in ihrer Quintessens wohl nicht komplizierter hätte sein können: "Kann ich vielleicht einfach nur mit dir kommen?" Egal wohin. Wohin auch immer er gerade gehen wollen würde. Einmal mehr schaute Sasuke sie auf die eine undefinierbare Art und Weise an, als ob versuchte er, ihre Gedanken zu lesen oder es in der Tat gar konnte. Dann kam ein gelassenes Schulterzucken seinerseits. "Wenn du's unbedingt willst." Ein kleines, erleichtertes Lächeln zierte ihre Lippen. "Absolut." Es war so wunderbar einfach, mit ihm. Keine Fragen, kein Verstellen, kein Springen durch zahllose Ringe. Fast so, als ob kümmerte es ihn nicht wirklich und dennoch gab es ihr nicht das Gefühl, dass er von ihrer Anwesenheit genervt war oder dass sie ihn nicht interessierte. In seiner Gegenwart war es so wunderbar einfach, nur zu sein, weil er Dinge nicht verkomplizierte. Es war erfreulich und erfrischend, besonders nach der schlangengrubenähnlichen Welt der Reichen und Privilegierten wo Verschwörungen, Komplotte, Intrigen, Falschheit, Lügen, Heuchelei und Vorspiegelungen so natürlich wie das Atmen waren. Sasuke drehte sich um und startete wieder Richtung der Tribünen, wo seine Sachen immer noch ruhten. "Dann lass uns gehen." Und mit einem leichten, fidelen Lächeln schritt Sakura ihm bereitwillig hinterher. Kapitel 5: Seelenbrandmal ------------------------- Hallo, zusammen =) Nicht wundern, dass das Kapitel so schnell nachgekommen ist, das letzte war eigentlich schon letzten Donnerstag fertig, es hat halt nur etwas länger mit dem Freischalten gedauert. Insofern freut es mich natürlich ungemein, dass Animexx seit kurzem von dieser Regelung abgekommen ist, womit die Autoren nun die Kapitel selber veröffentlichen können und die Freischalter es im Nachhinein nachprüfen. Das wird die Sache natürlich ungemein einfacher für Leser, Freischalter und Autoren machen und den Frustrationspegel besonders bei den letzten zwei Gruppen senken. Insofern ein großes Lob an das gesamte Animexx-Team, dass es sich nicht an festgefahren Systeme klammert und stets Innovationen einbringt. Ich weiß, es wird immer Leute geben, die das Frühere besser fanden, aber ohne Fortschritt gibt's nur Stagnation und das ist auf die Dauer nichts als nachteilig für die Entwicklung - auch bei einer Internetseite. Da die Anfrage auch schon ein Paar mal kam: natürlich kann ich gerne an diejenigen, die einen Extra-ping wünschen, eine ENS schicken, sobald ich ein neues Kapitel veröffentliche. Lasst es mich einfach via Komment oder ENS wissen, falls ihr das auch möchtet ^_^ Wird jetzt in der Hinsicht auch viel einfach sein, weil das Kapitel sofort da ist, sobald man es hochlädt und man somit sowieso bei Mexx eingeloggt ist und mal eben eine kleine Rundmail schicken kann, anstatt das man erst selbst darauf warten muss, dass das Kapitel freigeschaltet wird, es selber vielleicht erst nach einem oder zwei Tage mitkriegt, womit es für eine ENS dann schon eh zu spät ist. Also noch eine positive Auswirkung der neuen Regelung =) Das gesagt, mache ich jetzt brav meinen Mund zu und entlass euch in das kleine Abenteuer beim Lesen von: Kapitel 5 Seelenbrandmal [Sonntag, 12 Juli, 18:16 Uhr] Sie hätte einiges erwartet. Sie hätte erwartet, dass Sasuke sie Zuhause absetzt, trotz ihrer Ablehnung der Idee. Sie hätte erwartet, dass sie vielleicht zu irgendeinem Cafe fahren würden, wo Sakura ihren rebellierenden Magen beschwichtigen könnte. Sie hätte sogar erwartet, dass er sie einfach an irgendeiner Haltestelle lässt, doch sie hätte es sich nie vorgestellt, in seiner Wohnung im dritten Stockwert eines gemütlichen, hübschen Hochhauses zu landen. Zumindest bestätigte es eine ihrer vielen Annahmen: Sasuke wohnte in der Tat alleine. Der Eingangsbereich war klein aber gemütlich, es gab eine niedrige Kommode, auf die er seine Schlüssel und seinen Helm ablegte und es gab ein paar Kleiderhaken, an einem von denen Sakura ihre leichte Sommerjacke hängte. Ihm weiter hinein folgend, passierten sie eine Tür rechts im Gang und eine Tür links, während der Flur selbst in einem ziemlich geräumigen Wohnzimmer endete, mit einer weiteren Tür in den angrenzen Raum. Auf genau diese Tür wurde ihr gedeutet. "Da ist die Küche. Kannst dir nehmen, was auch immer es ist, das du isst." Soweit's vorhanden sein sollte, natürlich. Sakura schnaubte und verkreuzten die Arme vor ihrer fülligen Brust. "Ich sagte doch, ich bin auf keiner Diät. Ich ess das selbe Zeugs, wie du." Obschon sie nicht wirklich wusste, welche kulinarischen Vorlieben er hatte. Dennoch! Sie aß ganz normales Essen! Er schmunzelte nur und schnalzte mit der Zunge, bevor ihr auf die schmale Schulter zu klopfen. "Wenn du's sagst. Ich bin dann mal im Bad." Sie verabschiedete ihn mit einem Nicken und blieb nun also alleine in seinem Apartment, welches nebenbei klimatisiert zu sein schien, draußen waren es sicherlich um die 25 Grad doch die Temperatur hier drin war angenehm kühl. Erst einmal nahm sie sich die Zeit, sich im Wohnzimmer umzusehen: das bodenlange Fenster und die verglaste Tür raus auf den Balkon, das weiße Sofaset bestehend aus einer langen Couch und zwei Sesseln die im Halbkreis um einen niedrigen Glaskaffeetisch angeordnet und dem großen, in eine Wohnwand integrierten Plasmafernseher zugewandt waren. Auf dem Regal unter dem Fernseher versteckten sich ein paar Spielkonsolen, die übrigen Regale waren teils voll mit Büchern und teils mit Videospielen, CDs, DVDs und all dem kleinen Kram, den Leute so auf ihre Regale stellten. Was ihr jedoch prompt auffiel, war die komplette Abwesenheit irgendwelcher eingerahmten Fotos, die etwas über andere Menschen in seinem Leben verraten könnten. Schade, wie sie fand. In der hintersten Ecke, neben einem weiteren Fenster, hatte sich der Computertisch eingekuschelt, und obschon es nicht an die tadellose Ordnung von Sakuras eigener rankam, war die Arbeitsfläche nicht mal annähernd als unaufgeräumt als man von einem Jungen vermuten würde. Einige aufgeklappte Schulbücher lagen dort verstreut, Bleistifte, Taschenrechner, Zirkel, Collegeblocks... hatte er vor kurzem vielleicht Mathe gebüffelt? Sie stahl einen kurzen Blick auf die Notizen auf dem Tisch, verstand aber nur im Ansatz, dass es irgendwie um Kurvendiskussionen und Geometrie ging. Genau eine Klassenstufe zu hoch für sie, zumindest jetzt noch. Sie fasste nichts an und begab sich stattdessen in die Küche. Dort begrüßten sie angenehme Reinheit und warme Erdtöne, in denen die Ausstattung gehalten wurde. Eine an die Zimmergröße angepasste Küchenzeile, ein Tisch in der Mitte, vier Stühle drum herum. Kaffemaschine auf einem der Tresen, Wasserkocher, Mikrowelle, Früchteschale... all die kleinen Sachen, die eine gut und regelmäßig genutzte Küche so brauchte. Der große Kühlschrank war voll mit einer Vielfalt an Essbarem und überwiegend gesunden Zutaten, also war er kein Fan von Single-Haushalts aus Fastfood und Bier. An die Prachtvilla ihres Stiefvaters kam es sicherlich nicht ran, aber es war eine schöne Wohnung, exzellent möbliert, gehalten in Sauberkeit und gewiss nicht billig. Konnte man sich all das hier wirklich mit dem Gehalt eines Barkeepers leisten? Vielleicht hatte Sasuke noch einen anderen Job? Oder halfen seine Eltern aus? Vielleicht hatten sie die Wohnung für ihn gar gekauft und zahlten alle Rechnungen - so lebten die pseudo-selbständigen, reichen Teenager von heute gern. Auch wenn Sasuke ihr nicht wirklich wie jener Typ Jugendlicher vorkam. Wo waren seine Erzeuger überhaupt? Wohnten sie in dieser Stadt oder irgendwo anders? Warum nicht mehr zusammen mit ihrem Sohn? Hatte er Geschwister? All diese und noch mehr Fragen und Mutmaßungen flitzten in Sakuras Kopf umher, als sie an einem selbstgemachten Butterbrot kaute und dann und wann einen Schluck Apfelsaft aus einem klaren Glas nahm. Was machte Sasuke sonst noch in seiner Freizeit? Was waren seine Hobbys und Interessen, vom Basketball mal abgesehen? Was würde er nach der Schule machen wollen? Der Abschluss war für ihn ja nicht mehr weit entfernt, es blieben kaum noch ein paar Wochen übrig bis zum Ende des Schuljahres. Sie wusste nicht mal genau, wie alt er war. Rein logisch müsste er mindestens 18 und bereits oder fast 19 sein. Wollte er nach der Schule zu Uni gehen? Eine Ausbildung machen? Welche berufliche Richtung würde er einschlagen wollen? Wenn er alleine lebte, traf er all diese Entscheidungen wohl ebenfalls alleine und für sich, worum Sakura ihn ein wenig beneidete. Niemand, der ihm sagte, was er zu tun und zu lassen hatte... Für jemanden, der noch so jung war, war Sasuke in dem Sinne bereits überaus verantwortungsbewusst und erwachsen. Das war schon... beeindruckend. Neben ihm schien sie wohl in der Tat wie ein verwöhntes, unselbstständiges Gör... Fertig gegessen, warf sie einen Blick auf ihre Armbanduhr. Es war bereits nach 18 Uhr, doch solange sie vor Zehn Zuhause war, hatte sie nichts zu befürchten. Nichts mehr zu befürchten... das Schlimmste hatte schon gestern Nacht stattgefunden. Sie jagte die Erinnerungen schnell davon und erhob sich, um den Tisch von jeglichen Krümeln zu säubern und das Glas, das sie benutzt hatte, abzuwaschen, bevor sie es auf den Kopf gedreht an der Spüle zum Trocknen abstellte. Zurück im Wohnzimmer ließ sie sich auf die Couch nieder, darauf bedacht, sich nicht gegen diese zurück zu lehnen und schnappte sich eine Zeitschrift vom kleinen Couchtisch. Genauso wie es das glänzende Deckblatt bereits verriet, beschäftigte sich das Magazin mit Motorrädern und allen Möglichem drum herum, viele technische und kosmetische Kleinigkeiten, von denen sie so gut wie nichts verstand und trotzdem ziemlich fasziniert war. Nicht etwa, weil sie selbst reges Interesse an der Pflege und dem Innenleben eines Motorrads hatte, sondern weil Sasuke es tat. Sie fand es ungemein cool, dass er sich mit diesen Sachen beschäftigte und das Gefährt nicht nur besaß, um zu protzen, wie so viele von ihm behaupteten. Vielleicht wollte er mal Mechaniker oder Ingenieur werden und irgendwann mal selber Bikes zusammenbauen und designen? Das wäre doch mal eine bemerkenswerte Berufswahl. Es dauerte nicht allzu lange, bis ihr Gastgeber wieder zurückkehrte, frisch geduscht und umgezogen. Er hatte die Sportkleidung gegen eine dunkelblaue Jeans und ein simples Hemd in einem reinen Weiß getauscht, schwarzes Haar immer noch etwas feucht und leicht verstrubbelt. Die Ärmel bis über die Ellenbogen hochzukrempeln schien wohl eine Angewohnheit zu sein, doch was ihr viel eher auffiel: der Fakt, dass besagtes Hemd nicht zugeknöpft war. Anscheinend war es nur lässig übergeworfen worden und Besuch hin oder her, schien es ihn herzlich wenig in der lockeren Bequemlichkeit des Zuhauseseins zu stören. Zu verstecken hatte er sicherlich nichts, was zwischen den unverschlossenen Hemdhälften durchschien, waren gut geformte Muskeln bedeckt mit fein gebräunter Haut. "Satt?" Erkundigte er sich beiläufig auf dem Weg in die Küche. Er war so... unkompliziert. Sakura fand es bewundernswert, auch wenn sie die Augen abwendete und mit der Röte zu kämpfen hatte, nachdem sie einen Blick auf ihn erhascht hatte. Nichtsdestotrotz nickte sie beschwingt und antwortete mit einem klangvollen "Yep!", als sie eine weitere Seite voller glänzender Abbildungen mechanischer Teile und fachmännischen Texts umblätterte. Er behandelte sie, als hätten sie sich schon seit Jahren gekannt und es war gar nicht ihr allererster Besuch bei ihm. Sie würde gerne auch irgendwann so ungezwungen im Umgang mit anderen sein... Als hätte sie nicht ständig Angst davor, dass diese sie irgendwie betrügen, belügen oder sonst wie verletzten würden. Sasuke indes schmunzelte leicht ob ihrer unbeschwerten Replik, es sah nicht so aus, als ob man viel brauchte, um das niedliche Geschöpf glücklich zu machen. Es war für den aufmerksamen Teenager nicht schwer zu merken gewesen, dass etwas stark auf ihr lastete, und allzu viele Gründe für den niedergeschlagenen Unwillen, nach Hause zu gehen, wenn der Haussegen nicht in irgendeiner Weise schief hing, kannte er nicht. Doch er war ebenfalls niemand, der seine Nase in die Angelegenheiten anderer Leute zu stecken vermochte. Ein Getränkedose aus dem Kühlschrank heraus nehmend, wunderte er sich eher, warum Sakura irgendwie Gefallen an ihm gefunden zu haben schien. Er war daran gewöhnt, von Leuten schief und misstrauisch angeguckt zu werden und generell hielten sich die meisten gerne von ihm fern, weil er es zumeist sehr deutlich machte, dass er in seiner geruhsamen Einzelgängerlebensweise nicht gestört werden wollte. Dann waren da natürlich all die albernen Gerüchte, die viele einen Bogen um ihn machen ließen. Der überwiegende Teil jener Gerüchte war annähernd so wahr, wie die Annahme, die Erde wäre eine Scheibe und das konnte wohl auch in Bezug auf das meiste Gemunkel, das über Sakura kursierte, gesagt werden. All das, was er in zwei kurzen Tagen über sie gelernt hatte, verleitete ihn zu einem mild ungläubigen Grinsen. Die Kleine war in der Tat eine Nummer für sich, und ein ziemlich interessantes Individuum. Ein sehr anmutiges und wunderschönes Individuum noch dazu, er konnte definitiv sehen, woher all dieser Neid herkam, der die Leute dazu verleiten würde, den schmutzigsten Kram über sie zu erzählen. War höchstwahrscheinlich nicht einfach für sie, damit umzugehen, auch wenn sie es besser managte, denn viele andere in ihrer Position je können würden. Von anderen verurteilt zu werden war ein Gefühl, das Sasuke selbst ebenfalls sehr gut kannte, obschon er getrost darauf pfiff. Er konnte sehen, dass Sakura sich sehr bemühte, das Gleiche zu tun, doch wenn ihre gestrige Aussage irgendein Anhaltspunkt war, hatte sie immer noch Schwierigkeiten damit und es ging ihr trotz aller Anstrengung, es zu ignorieren, an die Nieren. Ich bin nicht das, was sie sagen... In der Tat, sie war es nicht. Nicht im Geringsten. Zurück in den Raum, wo sein liebreizender Gast sich momentan befand, nahm Sasuke neben ihr auf der Couch Platz und ließ sich mit einem entspannten Seufzen gegen die Rücklehne fallen. Nach der gestrigen Schicht und den heutigen Sportaktivitäten fühlte es sich gut an, einfach nur in den eigenen vier Wänden auszuspannen, besonders in solch charmanter Gesellschaft. Er nahm einen großen Schluck aus seiner Dose und stellte sie auf den Glastisch ab, bevor er den Kopf zu Sakura wandte und die Zeitschrift in den zierlichen Händen bemerkte. "Was Spannendes gefunden?" Sie lächelte leicht und schüttelte den Kopf. "Nein. Um ehrlich gesagt, habe ich von neunzig Prozent der Sachen, die hier drin stehen, keinen blassen Schimmer." Ihm gefiel ihre natürliche Art. Manche Mädchen fingen an, sich in vielerlei Arten absolut grässlich zu verstellen, sobald sie sich alleine mit einem Jungen fanden, sie im Gegenteil, schien mehr aus sich raus zu kommen und ihre eigentliche Persönlichkeit durchscheinen zu lassen, wenn sie ein genauso unverstelltes und eigentliches Interesse an sich verspürte. Und Sasuke war an der wahren Sakura interessiert, aus Gründen, die ihm selbst soweit nicht allzu klar waren. Sie hatte etwas an sich, das anzog. Von dem Offensichtlichen mal abgesehen. Sakura klappte die Zeitschrift wieder zu und lehnte sich etwas vor, um sie vorsichtig auf dem Tisch abzulegen. "Aber du, oder? Technik ist dein Ding?" Richtete sie die Frage an ihn, bemüht, ihn direkt anzuschauen und nicht verlegen irgendwo zu Seite. "Mehr oder weniger." Sasuke war bei weitem kein Technikfreak, aber er verstand das ein oder andere Ding von den Mechanismen, mit denen er tagtäglich zu tun hatte. Motorräder mit eingeschlossen. "Find ich toll. Mein Papa war Ingenieur gewesen." Er drehte sich ihr zu und stützte seinen Arm oben auf der Lehne ab, die dazugehörige Hand etwas angewinkelt, um die Schläfe bequem dagegen zu lehnen. "War?" Sie lachte sanft auf, doch ihr Gesichtsausdruck hatte etwas... umsichtig Nostalgisches. "Ist eine traurige Geschichte. Die meisten Menschen mögen sowas nicht." Sie wollte die behagliche Atmosphäre zwischen ihnen nicht verdunkeln, weder wollte sie den Mitleid, mit dem die meisten Menschen sie anschauen würden, sollten sie besagte Geschichte hören. Auch wenn sie sich ziemlich sicher war, dass Sasuke nicht in der ihr so verhassten Weise reagieren würde. Er war nicht der Typ dafür. Insofern... Der Neunzehnjährige zuckte leicht mit der Schulter. "Ich bin nicht die meisten Menschen." Eine zweifellos treffende Aussage. "Fühl dich aber zu nichts gezwungen." Ein Themawechsel stand ihr frei, Sasuke war der Letzte, der irgendjemandem auf den Zahn fühlen wollen würde. Er hatte nur keinen Sinn für Smalltalk, und deswegen kam meistens genau das hier dabei raus. Seriöse Fragen, die seinem Gegenüber zu schaffen machten. Sakura schüttelte den Kopf. "Nein, so ist das nicht." Sie hatte ihren Frieden damit gemacht, so weit es möglich war. Es jemandem zu erzählen fiel ihr nicht allzu schwer, es fiel schwerer, jemanden zu finden, dem sie es überhaupt erzählen wollte. So wie ihm, sie war sich nur nicht sicher gewesen, ob es ihn groß interessieren würde. Es war überhaupt verwunderlich, dass ihm so ein subtiles Detail wie die Vergangenheitsform im Satz aufgefallen war und er seine Aufmerksamkeit gerade darauf fokussiert hatte. Die meisten Menschen würden das Thema wenn nicht umgehen, dann vorsichtig drum herum oder darauf zu manövrieren, er hingegen... Eine Frage aus einem Wort, direkt ins Schwarze. Sie schwieg für einen Moment. Ihr Vater war ein Ingenieur gewesen, nicht etwa weil er gefeuert wurde oder seine Familie für eine andere Frau verlassen hatte. "Es war ein Autounfall, vor knapp vier Jahren." Jene unwiderruflich vergangenen Tage, in denen sie eine echte, glückliche Familie gewesen waren... Es fühlte sich wie ein komplett anderes Leben an, das nicht mehr ihres war. "Er hatte meine kleine Schwester von einer Geburtstagsparty abgeholt. Die Polizei sagte: Unfall mit Fahrerflucht. Sie haben den Schuldigen nie gefasst." Den einen Menschen, der alles ruiniert hatte für Sakura und ihre Mutter. Der so viel kaputt gemacht hatte, und ungeschoren davongekommen war. Vier Jahre waren vergangen, doch sie hatten sich in eine Ewigkeit hinausgezogen. Das Gewicht der Erinnerungen und der Wahrheit war immer noch wie ein Strick um ihre Kehle, und auch jetzt schnürte er ihr fast die Luft ab. Die Stimme gesenkt, starrte sie angestrengt auf ihre Hände, die sie in ihrem Schoß zusammengefaltet hatte. "Mein Vater war auf der Stelle gestorben... meine Schwester lag drei Wochen lang im Koma. Dann ist sie auch-" Sie seufzte und unterbrach sich damit selbst. "Sie war sieben." Die schwärzeste Zeit ihres Lebens und die Schatten der Vergangenheit schwebten immer noch über ihrem Kopf, jede Stunde eines jeden Tages. Manchmal waren sie nur ein Flackern im Hintergrund und das ließ sie frei atmen, und manchmal rückten sie so nah, dass es sie fast erstickte. In diesem Moment passierten sie ihr hübsches Gesicht und verdunkelten es in vernarbendem, tief verwurzelten Seelenschmerz. Etwas, was bei Sasukes verschlossenem Herzen starken Widerhall fand, sodass es einen heftigen Schlag in ehrlicher Empathie aussetzte. "Das tut mir Leid." Die geschmeidig tiefe Stimme war abgesenkt in ihrem warmen, dunklen Klang und irgendwie ließ es jene Worte aufrichtiger erklingen als Sakura sie je von jemand anderem ob diesen einen Grundes an sich gerichtet gehört hatte. "Mir auch..." Flüsterte sie und versuchte sich an einem Lächeln, als sie wieder zu ihm aufschaute. Es wirkte fragil und verletzlich und doch bemühten sich die tiefgrünen Augen so sehr, stark und selbstsicher zu schauen. Es war bewundernswert und zugleich herzbewegend, und für einen Moment wollte er sie einfach nur in den Arm nehmen. "Mutter hat nicht allzu lange danach wieder geheiratet... Sie sprach vom Riesenglück für uns." Riesenglück, dass Ryuutarou sie beide aufgenommen hatte, sie 'vor einem Leben auf der Straße' gerettet hatte. Doch manchmal kam diese Vorstellung Sakura gar nicht mal so schrecklich vor... "Und jetzt sind wir hier." Neigte sie ihre kleine Story langsam dem Schluss zu. "Ich habe mich dennoch geweigert, meinen Nachnamen zu ändern. Ich bin eine Haruno geblieben. So konnte ich wenigstens ein kleines Stück von Papa und Nanako behalten. Für mich war es ein Weg, sie beide weiterleben zu lassen und sie im Gedächtnis zu tragen. Jeden Tag." Ihre Mutter war überhaupt nicht begeistert davon gewesen, dass ihre Tochter Ryuutarous Nachnamen abgelehnt hatte. Vielleicht waren die Silben Ha-ru-no für sie weniger ein kostbares Memento und mehr eine schmerzhafte Erinnerung, doch Sakura hatte sich in der Hinsicht unbeugsam gezeigt. Ihre Mutter hasste es, über ihren verstorbenen Mann und Tochter zu reden, auch wenn Sakura es gewiss versucht hatte, doch ihr Elternteil würde stets sofort dichtmachen und jegliches Gespräch darüber im Keim ersticken. Also hatte sie es nach einer Weile aufgegeben und die Unfähigkeit, mit ihrer Mutter darüber zu reden hatte sie nach und nach unfähig gemacht, überhaupt über irgendetwas Bewegendes mit der Frau zu reden. Es hatte einen Abgrund zwischen Mutter und Kind gerissen, der im Laufe der vier Jahre so groß geworden war, keiner von beiden wusste nunmehr, wie sie ihn überqueren sollten. Sie drifteten nur immer weiter auseinander, womit es Sakura letzten Endes überhaupt ohne irgendwelche Stütze gelassen hatte. Ihr Stiefvater scherte sich einen feuchten Dreck um ihr seelisches Wohlbefinden und echte Freunde, denen sie sich wirklich anvertrauen konnte, hatte sie nicht. Umgeben von Bewunderern und Verehrern, vereinsamte sie still vor sich hin. Jetzt, wo sie es Sasuke erzählt hatte, begriff sie erst wirklich, wie sehr sie es gebraucht hatte. Es einfach nur jemandem mitzuteilen und kein Mitleid, oder Mitgefühl, nicht mal Trost zu ernten sondern einfach nur... Verständnis. Nur in den Ansätzen ihrer Gefühle und Gedanken verstanden zu werden, das war alles, doch was sie nicht erwartet hätte, war, dass sie hier, mit ihm, weitaus mehr finden würde. "Das kann ich nachvollziehen." Der von Schwermut untermalter Blick ihrer hellen, grünen Augen kreuzte sich mit dem jener nachtschwarzen Tiefen und in diesem einen Moment begriff sie. Noch bevor er es aussprach, nur von diesem einen Ausdruck, den keine Geruhsamkeit der Welt je wirklich maskieren konnte. Sasuke verstand nicht nur einfach. "Ich habe auch jemanden verloren. Vor langer Zeit." Obschon 'lange Zeit' in Anbetracht seines jugendlichen Alters eher relativ war. Doch er war ungefähr in ihrem Alter gewesen... um die Vierzehn. Er kannte den Schmerz, und das Trauma. Das unvergängliche Brandmal, das es für immer auf dem Herz und der Seele hinterließ. Seine freie Hand streckte sich nach ihr aus und er strich ihr sachte mit der Rückseite der starken Finger über die samtweiche Wange. "Ich weiß, wie das ist. Man kann nach und nach lernen, sie gehen zu lassen, aber man kann sie nie vergessen." Ganz egal, wie sehr jemand anders oder man selbst sich dazu zu zwingen versuchte. Das machte es nur schlimmer, niemals besser. Sakura schluckte schwer gegen den Kloß in ihrem Hals. Nein, er verstand nicht nur. Er konnte es nachempfinden. Wirklich nachempfinden und sich mit den Gefühlen identifizieren, in denen sie nie gedacht hatte, von jemandem aus ihrer unmittelbaren Umgebung je begriffen zu werden. Ihr Herz zog sich abrupt zusammen in einem Mix aus Schmerz, Erleichterung und... beflügelter Zuneigung. In diesem Augenblick, wo sie eine Verbindung zwischen ihnen klicken spürte, war Sasuke schlagartig und unbestreitbar ihre absolute Lieblingsperson auf der ganzen weiten Welt. Wenn sie sich in jemanden verlieben konnte... war es jemand wie er. Sie waren einmal mehr so nah beieinander und einmal mehr schaute ihn jenes prachtvolle, lebhafte Peridot mit dem selben aufgeregten - und aufregenden - Ausdruck an, wie schon vorhin auf dem Basketballfeld. Dieser ehrlich angetane Blick machte ihre Augen unwiderstehlich, als wäre ihre Besitzerin nicht ohnehin schon unwiderstehlich genug. Immer noch nebst der Wärme ihrer Wange glitt seine Hand ein wenig tiefer und Sasuke fing das fein modellierte Kinn mit Daumen und Zeigefinger ein, um ihr hübsches Gesicht sachte ein Stück anzuheben. Leicht den Kopf geneigt, lehnte er sich vor und zog sie gleichzeitig etwas zu sich, womit sich seine Lippen sanft gegen ihr weiches Paar gepresst fanden. Er konnte ihr nicht die Sorte Heilung spenden, die jener Blick von ihm zu erfragen schien, aber vielleicht konnte er dennoch versuchen, auf seine eigene Art den Schmerz zu lindern. Sasuke war noch nie gut darin gewesen, Menschen mit Worten zu trösten, er kannte keine subtilen Wege, um Rücksicht oder Besorgnis auszudrücken, er mochte nicht mal das Sprechen an sich. Wortreiche Emotionalität war nicht sein Ding, in Wirklichkeit hasste er Sentimentalitäten. Er was schon immer viel besser mit seinen Taten gewesen, er hatte früh gelernt, dass Menschen diese viel schneller und besser verstanden als das oft tückische, trickreiche Spiel aus Sätzen und Phrasen. Er war direkt und er mochte es nicht, mit den Gefühlen anderer zu pokern. Noch eine Sache, die er gut wusste: wenn der Körper beschäftigt war, schaltete der Verstand ab und genau das konnte er ihr anbieten, wenn sie gewillt war, es anzunehmen. Wie viel sie haben wollen würde, wie weit sie gehen wollen würde, das lag ganz bei ihr und wenn es soweit war, würde sie selber spüren, wo ihre persönlichen Grenzen lagen und wie viel sie ihm wirklich vertrauen wollte. Der samtige, ergreifende Kuss raubte Sakura erfolgreich den Atem, die intensive Wärme, die sich langsam und honigsüß durch ihren gesamten Körper zog brachte alle Muskeln zum wohligen Anspannen. Die Berührung, so leicht und bedacht wie sie zunächst war, verzauberte sie ungesäumt. Jene vollen Lippen, welche die ihrigen in geschickt betörenden Bewegungen streiften, verleiteten sie schnell dazu, den anregenden Kontakt zu erwidern und hinaus zum Fenster flogen ihr Sinn und Sinne. Das rege Kribbeln setzte in ihrer Brust ein und verbreitete sich alsbald gleich einem Lauffeuer im gesamten Inneren, sobald sich ein starker Arm um ihre Taille schlang und sie sanft aber bestimmt näher an den stattlichen Körper brachte, dessen stramme Schulter eine ihrer zarten Hände umgehend in Beschlag nahm. Das andere Zwillingskörperglied nestete sich auf seiner Brust ein, sie spürte zum Teil die festgewebte, warme Haut, die zwischen den Hemdhälften entblößt war, gegen ihre Handfläche und es brachte ihre Nerven umso mehr zum aufgebrachten Prickeln. Ihr Herz flatterte wie ein aufgeschrecktes Vöglein im Käfig ihrer Rippen, umso mehr wenn Sasukes Arm die stützende Position auf der Rücklehne aufgab und er sich etwas aufrichtete, nur um selbigen Arm wenig später in die weiche Fütterung der Couch zu stemmen, während sein gut gebauter Torso vorlehnte und sie somit dazu brachte, sich zurück zu legen, bis ihr schlaues Köpfchen das Kissen berührte und ihr biegsamer Körper sich grazil unter ihm auf der schmiegsamen Oberfläche des Sofas ausstreckte, kurz aufzuckend, als ihr Rücken auf die lederbezogene Weichheit unter ihr traf. Der angenehme Duft von Shampoo und Duschgel stieg in ihre schmale Nase, sie atmete tief ein und ihr lieblicher Mund öffnete sich ganz von selbst, um den bereits akut liebgewonnen Geschmack minziger Sänfte willkommen zu heißen. Jene Hand verließ ihr Kinn, stattdessen legte sich der dazugehörige Unterarm auf das Kissen neben ihrem Kopf und die starken Finger glitten in das seidige Pink ihrer Haare. Der rechte Arm, auf den er sich vorher abgestützt hatte, war somit von seiner Aufgabe erlöst und hatte seine Bewegungsfreiheit wieder, welche Sasuke auch prompt ausnutzte. Ein zittriges Ausatmen vibrierte gegen seine prekär beschäftigten Lippen, als seine Hand sich sachte gegen die bekleidete Seite ihres Oberschenkels niederließ und langsam hochfuhr. Endlich Mut gefasst, gab Sakura ihrer eigenen Neugierde willig nach und schlüpfte ihre rechte Hand in den verlockenden Spalt seines geöffneten Hemds, zarte Handfläche und gespreizte Pianistenfinger bewegten sich vorsichtig und wissbegierig die schönen Definierungen durchtrainierter Muskel entlang. Die linkseitige Schwestergliedmaße rutschte gewillt von der robusten Schulter und den stämmigen Oberarm entlang, und es war eine erregende Feststellung, dass sie kaum halb um den ausgeprägten Bizeps greifen konnte. Das alles wisperte unhörbar von der Stärke, die in diesem gestählten Körper schlummerte, Kraft, mit der sicherlich nicht zu spaßen war, und doch war er so behutsam im Umgang mit etwas so zerbrechlichem, wie das zierliche Geschöpf unter ihm. Kraft, die sie beschützen konnte, wie es schon einmal der Fall gewesen war. Wenn diese Stärke sie vor körperlichem Schaden bewahren konnte, so konnte sie vielleicht das Gleiche für ihr Herz und ihre Seele tun. Sie wusste beim besten Willen nicht, wie er das bewerkstelligte, doch mit ihm fühlte sie sich einfach nur... sicher. Wohlbehütet und... gut. Himmel, fühlte sie sich gut. Umso mehr, als seine Hand die schöne Kurve ihrer Hüfte passierte und dann die skulptierte Einsenkung ihrer Taille, bis er federleicht ihre Brust streifte und dieser ein weiches Aufkeuchen entlockte. Sakuras Verstand war mehr denn minder benebelt, der Kuss, die Brührungen... oh, sie brauchte Luft. Etwas, was er entweder antizipierte oder vielleicht konnte er wirklich ihre Gedanken lesen, ihr Mund fand sich von der hitzigen Interaktion mit seinem befreit, auch wenn sich seine Lippen stattdessen auf anregende Wanderschaft begaben. Sie folgten dem porzellanhellen Samt ihrer Haut entlang zu ihrem Hals und die bedächtigen, spürbaren Liebkosungen brachten sie zum wohligen Erschauern, die Augen fest geschlossen versuchte sie vergeblich, mit der geweckten Hitze im Inneren klarzukommen. Es war fast ein Instinkt, den Kopf leicht zu neigen und noch mehr Angriffsfläche für seinen reizenden Ansturm zu bieten. Alles wurde genussvoll schlimmer, wenn seine Handfläche mit umsichtiger Festigkeit ihre Brust umfing und diese sanft knetete. Sie biss sich auf die Unterlippe ob der kleinen elektrischen Schocks, die durch sie hindurch direkt in ihre Lenden schossen, das sinnliche Aufstöhnen jedoch war nicht mehr zu unterdrücken und entfloh dem Gefängnis ihrer Kehle durch die formschöne Nase. Sasukes Reaktion was ein verdecktes Lächeln, versteckt gegen die helle Verführung der zauberhaft parfümierten Haut ihres elegant gestreckten Halses, der junge, unerfahrene Körper unter ihm war mehr als empfänglich für die noch so verhältnismäßig unschuldigen Sinnesreizungen und es war... süß. Sie war süß. Mit einhändiger Geschicklichkeit pflückte er den ersten Knopf ihrer modischen Bluse aus der dazugehörigen Schleife, nur um die Prozedur einen Zentimeter tiefer zu wiederholen, nochmal und ein weiteres Mal und einmal mehr, solange, bis alle Plastikstückchen aus ihren Schlingen befreit waren. Seine Hand war um einiges selbstbewusster denn ihre, als sie zwischen die geteilten Säume glitt und hauchzart über den makellos flachen Bauch strich, der sich unter der neckischen Berührung sofort anspannte. Die Textur unter seinen Fingerspitzen war unglaublich glatt und natürlich weich, es ließ ihn ungewollt innehalten, um das Gefühl zu bewundern. Das bot Sakura eine kleine Pause, um durchzuatmen und ihr rasendes Herz und die sich rapide überschlagenden Gedanken zu beruhigen, auch wenn es nicht viel nützte, sobald er in seinem Tun, sie um den Verstand zu bringen, fortsetzte. Selbiger flüsterte ihr verzweifelt zu, dass sie vorsichtig sein sollte, dass sie es nicht zulassen sollte, dass sie... aufpassen, aufpassen, aufpassen sollte. Aber es war so schwer, diese Warnungen wirklich zu hören, es war so viel einfacher, sie zu ignorieren und sich auf die neuen Erfahrungen und die wundervollen Empfindungen zu konzentrieren, die Sasukes Anwesenheit und die Gesamtheit seines selbstsicheren, erfahren Charmes mit sich brachte. Seine Berührungen wischten alles weg und wenn seine Lippen einmal mehr zu ihren fanden, schlug es den Rest ihrer dämmrigen Bedenken in den Wind. Sie wollte es, sie wollte ihn. Sie wollte, dass ihr Zusammensein in diesem Moment alles andere ausblendete und reinwusch. Die peinigende Vergangenheit, Seiichiro, ihren Stiefvater, Schule, Gerüchte, Angst, Trauer, Schmerz... Alles-alles. Für einen wundervollen Augenblick von all dem frei zu sein; Sasuke konnte ihr das ermöglichen, er tat es bereits. Diese Wärme, Sicherheit, Behaglichkeit... dieses atemberaubende, befreiend gute Gefühl, das mit seiner Präsenz, seinen Berührungen, sich gleich weichen Flügeln wohlwollend über ihr zusammenlegte... Was daran könnte auch nur im Entferntesten schlecht sein? Pass auf... Ein verhallendes Flüstern im Hintergrund ihres Bewusstseins, und Sakura schlang nur die Arme um Sasukes Hals und zog ihn fester an sich. Kapitel 6: Bürde ---------------- Kapitel 6 Bürde [Sonntag, 12 Juli, 19:04 Uhr] Pass auf. Es dauerte nicht lange, bis sie feststellte, sie hätte auf die Warnrufe ihres Verstandes besser hören sollen. Nicht etwa, weil sie Bedenken ob der Richtung hatte, wohin es ging, ganz im Gegenteil, sie wollte es zu sehr, um vernünftig darüber nachzudenken, warum genau sie es nicht hätte zulassen sollen ungeachtet der Lust und Leidenschaft, die Sasuke so gekonnt in ihr entfacht hatte. Seine Hand huschte zwischen ihren biegsamen Rücken und der Weichheit der Couchoberfläche, sein eigentliches Ziel war dabei der Verschluss ihres Büstenhalters doch so weit kam er zu Sakuras Bedauern nicht. Seine Finger spürten die Veränderung sofort, die rauen, teils einkerbenden Abschürfungen auf der glatten Textur ihrer perfekten Haut stachen augenblicklich gegen seinen Tastsinn hervor. Er fuhr eine davon nach und sie zuckte mit einem scharfen Lufteiziehen zusammen. Als Folge löste er umgehend den Kuss, den sie immer noch teilten, und nachtschwarze Augen öffneten sich, um mit einem Zusammenziehen der dunklen Brauen auf sie runter zu blicken. "Was ist das?" Immer noch benommen und ob der hitzigen Intimität etwas neben sich, flatterten auch Sakuras Wimpern auseinander und sie blickte ihn zuerst verständnislos an, bemüht, sich zu fangen und ihren Atem zu normalisieren. "Huh...?" Sie konnte es weder unterdrücken noch kontrollieren, das reflexartige Abrücken von der erforschenden Berührung, als er noch einmal die offensichtlich schmerzhafte Stelle auf ihrem Rücken nachfuhr. Mist... Mist, Mist, Mist. Wieso hatte sie sich so gehen lassen? Sie hätte besser aufpassen müssen und ihr Verstand, sich nun wieder von dem Zauber des Moments erholt und der Begeisterung abgeschüttet, fühlte sich in seiner Ernüchterungsfunktion mehr denn bestätigt, als er ihr diese Erkenntnis fast schon schadenfroh vorhielt. "Nichts...", flüsterte sie weniger als glaubhaft, ein ekelhaft klammes Gefühl der Nervosität und des Ertapptseins packte um ihr Herz und drückte heftig zu. Sasuke war definitiv und absolut nicht überzeugt, was sich prompt bestätigte, denn sein Arm umgriff sie fest oberhalb der Taille und zog sie ruckartig mit ihm, als er sich aufsetzte. Sakura schnappte nach Luft und klammerte sich instinktiv an ihn - nicht für lange. Seine Hände umfassten entschlossen ihre Arme und lösten dessen Ring um seinen Hals, nur um wenig später resolut ihre Bluse von ihren schmalen Schultern zu schieben. Sie war so überrumpelt, sie wehrte sich nicht mal, was ihm erlaubte ungehindert das leichte Stück Stoff bis runter an ihre Ellenbogen zu streifen. Er neigte den Kopf und drückte gleichzeitig ihren Oberkörper etwas weg, ermöglichte sich somit einen ungehinderten Blick auf ihren Rücken. "Verdammte Scheiße." Der ungenierte Fluch, der halbgehaucht von seinen Lippen fiel, zwang sie dazu, ihre Augen zusammen zu kneifen und sich hart auf die Innenseite ihrer Wange zu beißen. Sie hatte zwar nicht die Möglichkeit gehabt, selbst einen guten Blick drauf zu werfen - so biegsam war sie dann doch nicht, aber sie konnte sich vorstellen, wie schlimm es aussah. Und es sah schlimm aus. Sasukes Augen starrten mit einen Mix aus Unglaube und Fassungslosigkeit auf die breiten Striemen in ungesund hässlicher, rot-blau-gelblichen Verfärbung auf der zarten Haut. Die Abdrücke waren fürs geübte Auge nicht schwer zu identifizieren, wahrscheinlich ein breiter Gürtel aus echtem, gepresstem Leder, und an den Stellen, wo die Metallschnalle auf die zerbrechliche Textur aufgetroffen war, sah man blutunterlaufende Quetschungen und die Einkerbungen des Dorns. Von knapp unterhalb der Spitzen ihrer Schulterblätter bis knapp oberhalb des Kreuzes war ihr Rücken ein einziges Horrorbild mit kaum einer heilen Stelle. "Woher hast du die?", fragte er leise und verblieb erst mal ohne Antwort, obschon er sehr wohl spürte, wie sich ihr gesamter Körper verkrampfte und zaghaft zu zittern anfing. Sie hielt ihren Kopf gesenkt und die fülligen, schulterlangen Strähnen verdeckten ihr Gesicht, also neigte er sein eigenes, um in ihres blicken zu können. Gelang mehr schlecht als recht, folglich legte er die Hand auf ihre Wange und brachte sie dazu, sich ihm zuzudrehen und ihn anzusehen. "Seiichiro?" Stellte er eine vage Vermutung in Anbetracht der gestrigen Ereignisse. Doch nicht mal Seiichiro war ein dermaßen verdrehter Bastard und wenn er doch in irgendeiner Weise für dies hier verantwortlich war, wäre es ein guter Grund für Sasuke, ihm noch einmal gewaltig die Fresse einzuschlagen dafür, dass er so skrupellos jemand anderen in diese ganze Feindseligkeitsscheiße zwischen ihnen beiden gezogen hatte. Jedoch schüttelte Sakura den Kopf und wandte den gequälten Blick ihrer Augen ab, ihre Lungen füllten sich mit ein paar tiefen, unebenen Atemzügen. Sie spürte, wie er sie ruhig anschaute und schluckte krampfhaft gegen den metaphorischen, dicken Strick um ihren Hals, bevor sie es wagte, ihre Stimme zu heben, kaum hörbar wie diese von ihren affektierten Stimmbändern glitt. "Mein Stiefvater. Das ist seine Art von... Disziplinarmaßnahmen." Diesmal war es Sasuke, dessen stattliche Statur sich anspannte ob des abrupten Sogs des Zorns, der sich mit jedem erbosten Schlag seines Herzens in seiner Brust ausbreitete. Man wollte ihn doch verarschen. Welcher mittelalterlich veranlagter Schwachmatt züchtigte denn seine Kinder heutzutage noch mit einem verdammten Gürtel?! "Macht er das oft?" Eine mit sanfter Vorsicht gestellte Frage, als er jenes hübsche Antlitz genau aber nicht eindringlich musterte. Noch ein schwaches Kopfschütteln. "Nein..." Das war die Wahrheit. Das letzte Mal, wo ihr Stiefvater sie in dieser Weise bestraft hatte, lag gut über ein Jahr zurück. Es ist schon eine Weile her gewesen, nicht wahr... Sie hatte gedacht... nein, sie hatte gehofft, dass es nie wieder passieren würde. "Nur wenn er wirklich wütend auf mich ist." Wirklich wütend. Gift- und Gallespuckend wütend. So wie gestern Abend. "Verflucht noch mal." Seufzte der Neunzehnjährige erbittert auf und warf noch einen Blick auf den malträtierten Rücken des jungen Mädchens neben ihm. Sein Kiefer zuckte mit der Last zusammengepresster Zähne, hinter denen eine Reihe unausgesprochener, zensurreifer Schimpfwörter eingeschlossen blieb. Er bereute es fast, sie zum Ballspielen aufgefordert zu haben, auch wenn er dabei schonend mit ihr umgegangen war, es musste dennoch höllisch wehgetan haben. Tat es höchstwahrscheinlich immer noch. "Du bist so ein kleiner Idiot." Rügte er letzten Endes nachsichtig. "Wieso hast du mir nichts gesagt?" Er hätte sie gestern viel früher nach Hause gebracht, hätte er gewusst... Diese Sache war gefährlich. Was, wenn das Arschloch zu etwas Härterem gegriffen hätte, als dem Gürtel? So zierlich wie sie war, könnte sogar das riskante Prellungen hinterlassen haben, es brauchte nicht viel, um dünne Rippen anzuknacksen und wer wusste schon genau, ob der Kerl nicht zwischendurch doch noch nachgetreten hatte und sie es einfach nur verschwieg? Das erste Mal seit einer langen Zeit fand sich Sasuke ernsthaft besorgt um jemand anderen, außer sich selbst. Sakura ließ ein verlorenes, trostlosen Auflachen verlauten. "Wie sagt man so etwas überhaupt irgendjemandem?" Besonders in ihrer Position? "Zudem... würde es nichts bringen. Beim letzten Mal vor einem Jahr hat's meine Gymnastiklehrerin gemerkt. Eine Woche später hatten wir eine andere Lehrerin und die ganze Schule tuschelte grinsend darüber, dass ich wohl einen kranken Fetisch bei Bettspielchen haben muss." Das war... wuchtig. Eine Antwort darauf fiel ihm nicht wirklich ein, stattdessen kam ihm erneut der Gedanke, wie schrecklich verkannt das grazile Geschöpf vor ihm war. Atemberaubend schön, reich, privilegiert... und so gebrochen hinter der glorreich anziehenden Maske cooler Indifferenz, umwickelt von hartem Stacheldraht der dunklen Realität, von der niemand wirklich wusste. Und wenn es einer vermutete, wen konnte man heutzutage nicht mit der richtigen Summe Geld oder einer gut platzierten Drohung zum Schweigen bringen, und ihr Stiefvater hatte die Macht und Mittel für beides. Sakura war stärker, als ihr es wahrscheinlich je jemand wirklich zugebillig hatte und es war einmal mehr etwas, was Sasuke sehr gut nachempfinden konnte. Seine Maske war von einer anderen Sorte aber sein Innerstes war genauso zerrüttet und vernarbt. Nur auf eine andere Art. Er unterdrückte ein erneutes Seufzen. "Zieh's aus." Die Instruktion ließ Sakura ihn verwirrt anblinzeln. "Was...?" "Deine Bluse." Verdeutlichte der Neunzehnjährige als er aufstand und sich umdrehte, um Richtung Wohnzimmerausgang zu verschwinden. Sich aufsetzend entledigte Sakura sich zögerlich ihrer Oberbekleidung, ihr Torso nunmehr nur mit ihrem sanftrosa BH bedeckt. Eigentlich war es dar erste Mal, dass sie sich so vor einem Jungen präsentierte aber in Anbetracht dessen, was sich gerade auf dieser Couch abgespielt hatte und wie weit sie gewillt worden war, es gehen zu lassen, war es sicherlich keine große Sache mehr. Wohlwissen was sich auf ihrem Rücken befand, war es eher Scham denn Befangenheit, die sie verspürte. Natürlich tat es höllisch weh, aber in der Hinsicht war Sakura ziemlich zäh. Sie war gut darin, die Zähne zusammenzubeißen und körperlichen Schmerz zu ignorieren, obschon man es von jemandem wie ihr vielleicht nicht erwarten würde. Ja, sie konnte ihn ignorieren, so wie sie es bereits mit so vielen anderen Sachen in ihrem Leben tat. Sie versuchte, nicht in der Vergangenheit zu leben, nicht an die sorglosen, glücklichen Tage zu denken, als ihre Familie und ihre Welt noch heil und unverdorben waren. Sie wusste, ihr Vater würde es sich wünschen, dass seine Tochter stark war. Stark blieb. Sie musste stark sein, für ihn und für ihre Schwester, wer sonst würde die Erinnerungen an sie weiterleben lassen? Ihre Mutter schien mehr als entschlossen, beide zu vergessen aber Sakura konnte es nicht. Sie weigerte sich. Sasuke kehrte mit einer kleinen Dose, die nach Salbe aussah, zurück und nahm wieder neben ihr Platz. Für einen Moment schaute er das schutzlose kleine Reh vor sich einfach nur an, ihre zierlichen Finger verkrallt in ihre Bluse, die in ihrem Schoß lag und weiße Zähne vergraben in der vollen Unterlippe, während tiefgrüne Augen rigoros auf ihre eigenen Hände starrten. Er kannte den Ausdruck auf den feinen Gesichtszügen. Vor einigen Jahren hatte er ihn oft genug auf den eigenen gesehen, wenn er in den Spiegel blicken würde. Er streckte die Hand aus und drückte mit dem Daumen sachte gegen weiche Haut knapp unter ihrer Lippe, um diese aus dem gewaltsamen Fang ihrer Zähne zu befreien, bevor sie die hauchzarte Oberfläche noch zerbeißen konnten. Das brachte Sakura zurück in die Gegenwart und sie stahl einen kurzen Seitenblick auf die ruhige Präsenz neben ihr, zusehend, wie er die Dose aufschraubte und eine klare, cremeähnliche Substanz enthüllte. Sasuke war in seinem Leben in mehr als genug Raufereien verwickelt worden, um das ein oder andere über Verletzungen und deren Behandlung zu wissen. "War es, weil du gestern so spät nach Hause gekommen bist?", erkundigte er sich umsichtig, indes seine Finger etwas Gel aus der Dose aufgriffen. Mit einem halb-neugierigen, halb-nervösem Gefühl in der Magengrube beobachtete Sakura sein Tun, während sie nickte. "Ja. Er hasst es, wenn ich mich seinen bescheuerten Befehlen wiedersetze oder seine nicht minder bescheuerten Regeln nicht beachte. Meistens mache ich es trotzdem, auch wenn's gestern keine Absicht gewesen war." Sie zuckte leicht zusammen ob der kühlen Empfindung, die seine Finger zusammen mit der Salbe bei der Berührung mit ihrer malträtierten Haut ihren Sinnen entgegenbrachten. Er strich eine dünne Schicht des Balsams der Länge der Strieme entlang und zu ihrer Überraschung stumpfte der Schmerz sofort ein kleines bisschen ab. Sasuke blickte kurz auf, seine Stimme flach: "Du bist dumm." Woraufhin Sakuras lieblicher Mund sich zu einem nicht minder lieblichem Schmollen verzog. Sasuke konnte das rebellische Verhalten des jungen Mädchens gegenüber der eisernen Faust ihres Stiefvaters zwar nachvollziehen, aber in diesem Falle und in Betracht der Konsequenzen war es dennoch ziemlich idiotisch. "Ist mir egal." Murmelte sie störrisch und stoisch zugleich, bald darauf zog sie scharf die Luft ein, als jene gelbedeckten Finger über eine besonders schmerzhafte Stelle fuhren, dort, wo sich der Dorn des Gürtels in die Haut geschlagen und eine Ministichwunde hinterlassen hatte. Wenn sie es hinnahm und sich fügte, hätte Ryuutarou gewonnen und das gönnte sie ihm nicht. Er würde sie nicht wie ein trainiertes Schoßhündchen an der Leine ziehen, wohin es ihm beliebte. Die Striemen auf ihrem Rücken waren nichts. Sie konnten nie so schlimm sein oder schmerzen, als wenn sie es zuließe, dass er ihren Widerstand brach und ihr die letzten Bröckchen Würde nahm, die ihre zierlichen Hände noch schützend und behutsam an ihr gemartertes Herz pressten. "Sobald ich mit der Schule fertig bin, bin ich endlich raus aus dem verfluchten Haus." Zumindest war das der Plan. Je schneller sie ihrem verhassten Umfeld entfliehen könnte, desto besser. Egal, wohin, und wenn es die bescheidenen Wände eines Studentenheims sein sollten. "Dieser High Society Kram macht mich krank. Genauso wie mein Stiefvater." Sie sprach mit klarer Bitterkeit. Nachtragend, gar rachsüchtig, geprägt von sich immer weiter verfestigendem Hass und die Fingerknöchel stachen weiß gegen ihre dünne Haut heraus, so stark hatten sich die täuschend harmlosen Hände zusammengeballt. Nachtschwarze Augen verengten sich leicht bei dem Anblick, denn dieser hallte mit eigenen scharfbeißenden Erinnerungen in Sasukes gesamtem Wesen wieder. Es war ein gefährlicher Pfad, auf dem sie sich befand, all die unterdrückte Wut, all der versteckte Groll. Er wusste nur zu gut, was für Folgen es haben konnte, wenn diese Emotionen je überquellen und außer Kontrolle geraten sollten und wie hart es war, sich aus der Dunkelheit, in die sie einen hinein sogen, wieder heraus zu kämpfen. Darauf wollte er seine Gedanken sich jedoch nicht aufhängen lassen. "Was ist mit deiner Mutter?", fragte er stattdessen ruhig, und drückte Mittel- und Zeigefinger gegen die unterste, dünnste und somit zerbrechlichste Rippe an ihrer schmalen Seite, langsam die Knochenringe in selber Manier weiter bis unter den Arm nachfahrend. "Tut das weh?" "Nein...", ein sanftes Wispern zur Antwort. "Was meine Mutter angeht, sie... Ich weiß nicht. Ich habe es schon lange aufgegeben, sie zu verstehen." Irgendwo hatte sie das Gefühl, dass ihre Mutter nicht verstanden werden wollte. Oder vielleicht verstand sie sich nicht einmal mehr selbst. Nichtsdestotrotz würde Sakura nicht sagen, sie sorgte sich überhaupt nicht mehr um ihr verbleibendes, leibliches Elternteil. Sie würde nie vergessen können, wie am Boden zerstört Yukiko Haruno nach dem Tod ihres Ehemannes und jüngsten Tochter gewesen war, wie gebrochen, und sie hatte es anscheinend nie mehr geschafft, die Scherben ihres früheren Wesens wieder richtig zusammenzukleben. Sie hatte zwar immer noch einige Züge der Person, die sie mal gewesen war, aber sie war nicht mehr die Mutter, an die sich Sakura erinnerte. Jene glückliche, lebenslustige, optimistische Frau, dessen Lächeln den ganzen Raum erhellen konnte. Jetzt waren ihre Lächeln plastisch und gekünstelt, die meiste Zeit über schien es, als zöge sie die Maske der vorbildlichen Vorzeigeehefrau gar nicht mehr aus und mittlerweile hatte sie diese so perfektioniert, dass Sakura sich bei ihrem Anblick sowohl tieftraurig als auch unbeholfen angewidert fand. "Hm." Ließ Sasuke indes in Verständnis verlauten, seine vorsichtigen Untersuchungen nunmehr auf der anderen Rückenhälfte fortgesetzt, gleichzeitig mit dem behutsamen Eincremen weiterer ungesund verfärbter Striemen. "Vielleicht solltest du mit ihr reden." Wieder die geschickten Finger, die ihre Kuppen sachte den Rippenringen nach gegen die Knochen drückten. "Hier auch keine Schmerzen?" Sakura schüttelte den Kopf und versuchte, ihre Atmung und ihren Herzschlag unter Kontrolle zu behalten. Es geschah nicht jeden Tag, dass sie so... abgetastet wurde, obschon Sasukes Berührungen den Eindruck eines gewissen Grads an Sachverstand erweckten, so als ob er sicherstellen wollte, dass sie keine ernsthaften Verletzungen davongetragen hatte. Aber wenn er solch eine Fachkenntnis wirklich besaß... dann woher, und warum? Waren seine Eltern vielleicht Ärzte? Er hatte gesagt, er habe auch jemanden verloren... sie hoffte inständig, dass er nicht sie damit gemeint hatte. "Ich habe zu Anfang sehr oft versucht, mit ihr zu reden." Bot sie ihm vorerst eine Antwort auf die andere Frage, die er gestellt hatte. "Aber mittlerweile habe ich eingesehen, dass es sinnlos ist." Ihre Mutter hörte eh nicht zu. Sie hörte nie zu, oder vielleicht hatte sie einfach nur damit aufgehört. Sakura hatte geklopft und sich die Hände blutig gehämmert an dieser unsichtbaren Tür, aber seit jenem Schicksalsschlag hatte ihre Mutter sie vor dieser ausgeschlossen und nie wieder rein gelassen. Also hatte sie, Stück für Stück, die Tür zu ihrem eigenen Herzen für ihre Mutter ebenfalls zugemacht. Es wäre so viel einfacher, sie zu hassen, aber Sakura konnte es nicht, weil sie verstand. Sie verstand und sie liebte ihre Mutter irgendwo immer noch. Schließlich... war sie die letzte, lebende Familie, die Sakura noch hatte. Sasuke verschloss die Dose wieder und stellte sie beiseite auf den Glastisch, das geschundene, liebliche Geschöpf vor ihm im primären Fokus seiner nachtschwarzen Augen. "Bist du sicher, dass es nicht schmerzhaft ist, zu atmen?" Soweit er sagen konnte, waren keine Rippen angeknackst, Blut spuckte sie auch nicht, also könnte man innere Verletzungen hoffentlich ebenfalls ausschließen. Allerdings war er kein Arzt, doch er vermutete stark, sie würde sich nicht von ihm sicherheitshalber zu einem fahren lassen. "Druck in den Schläfen, Kopfschmerzen, Übelkeit. Spürst du irgendwas davon?" Sakura schüttelte ihren gesenkten Kopf und schluckte schwer gegen den Kloß in ihrem Hals, die Sicht auf ihre in dem beigen Material der Bluse verkrallten Hände auf ihrem Schoß begann, zu verschwimmen. Die Konturen verzerrten sich in der Horizontalen und Vertikalen, es war, als ob sich durch ein wassergefülltes Glas hindurchschaute. Sasukes simple, sorgsame Worte und Gesten brachten etwas tief in ihr zum Beben unter dem Druck des Wunsches, auseinanderzufallen. Sie wusste nicht, was es war, doch es wurde mit einem Male so schwer, weiterhin stark und standhaft zu sein und die Tränen zu unterdrücken. Härter, als es die letzten zwei Tage gewesen war trotz allem, was sich ereignet hatte. Härter sogar, als es die letzten Jahre über gewesen war. Nicht die verdrehte Situation in der Schule, nicht Seiichiros Missbrauchsversuch, nicht mal die gestrige Strafe hatte sie dermaßen heftig aufgerüttelt, wie diese einfache, ehrliche Fürsorge. Warum? Unbegreiflich. Es machte sie der schweren Last auf ihrer Seele plötzlich so akut bewusst und das Gewicht war... erdrückend. "Hey." Die sanfte, tröstende Berührung seiner Hand an ihrem Oberarm schreckte sie auf und mit einem Male... fiel sie wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Einen Herzschlag später fand Sasuke ein bestürztes Wesen dicht an ihn gepresst, das bezaubernde Gesicht an seiner Brust vergraben und die feingliedrigen Finger in das Shirt verkrallt, das selbe Brust bedeckte. Leicht nach hinten kippend der vorwärtsdrängenden Kraft wegen, schloss er reflexartig die Arme um ihre modeleske Gestalt, während sie leise aber heftig in Tränen ausbrach. Er schloss die Augen in stiller Empathie und atmete prolongiert aus, drückte sie dann aber sachte und bestimmt näher an sich. Sakura hatte schon sehr, sehr lange nicht mehr richtig geweint. Eine Ewigkeit, und sie hatte fast vergessen, wie gut es eigentlich tat, einfach... loszulassen. Die Pein, die Trauer, die Bitterkeit, den Hass, die Verzagtheit... sich einfach nur in der Sicherheit und Wärme von jemandem zu verbergen, um den schweren Käfig im verstecktesten Inneren aufzumachen und dem verängstigten, verletzlichen, verlassenen Mädchen, das dort in dornenbesetzten Ketten lag, einen heilenden Moment der Freiheit und Geborgenheit zu schenken in der schützenden Umarmung von jemanden, der verstand. Der sie nicht verurteilen oder verspotten, sondern einfach nur ganz fest drücken und halten würde... Sasuke ließ sich gegen die Rücklehne des Sofas zurücksinken und zog Sakura in seinen Schoß, wo er sie in die Wiege seiner Arme einsammelte, um ihr ihren stummen, sehnlichsten Wunsch zu gewähren: er drückte sie an sich und hielt sie fest. Ihr graziler Oberkörper zuckte im behutsamen Ring selbiger Arme ob der gepeinigten Schluchzer, die an der geschmeidigen Kurve zwischen seinem Hals und seiner Schulter gedämpft wurden, als sie sich verzweifelt haltsuchend an ihn klammerte. Er sagte nichts, sondern lehnte nur seine Wange leicht gegen ihren Haarschopf und ließ sie ausweinen. Was für verrückte zwei Tage. Vorgestern noch hatte er ein den Worten anderer nach billiges, williges Luder, das eisprinzessinnenhaft auf dem Schulhof stand, dank völlig zufälligem Augenkontakt erblickt. Heute hielt er ein bewundernswertes, sensibles, vom Schicksal gebeutetes Geschöpf in seinen Armen und hörte dem Klagelied ihrer Tränen zu. Und beides war das ein und selbe Mädchen, Wahrheit und Lüge so dicht verworren unter der hübschen Verpackung, nicht mal sie selbst konnte die beiden Seiten zuweilen auseinander halten. Worauf ließ er sich hier eigentlich ein? War es wirklich gut für ihn, oder für sie? Sasuke war es nicht gewohnt, dass Leute ihm so viel Vertrauen entgegenbrachten und noch weniger war er dran gewohnt, jemandem sein eigenes zu schenken. Überhaupt war er es nicht gewohnt, sein Leben mit dem anderer zu verbinden, er hatte es bisher auch nicht wirklich für nötig gehalten. Doch Sakura war ihm gegenüber von Anfang an so... zutraulich gewesen, als ob sie etwas in ihm sah, was er nicht mal selber erkennen konnte, und an etwas in ihm glaubte, von dem er nicht gewusst hatte, dass er es überhaupt besaß, bis er ihr begegnet war. So oder so, sie einfach nur aus seinem Kopf werfen oder aus seinem Leben streichen würde er jetzt nicht mehr wirklich können. Mit allem, was er nun über sie wusste, würde er ihr nie mehr gleichgültig gesinnt sein können. Er erkannte zu viel von sich selbst in ihr, und zu viel von etwas komplett anderem, was einen bis dato unbekannten, schlummernden Beschützerinstinkt triggerte. Aber es war gefährlich, das wusste er. Wenn man anfing, sich um andere zu sorgen, sich um sie zu kümmern, sich mit ihnen zu beschäftigen... wenn man anderen Menschen näher kam und sie irgendwann in das eigene Leben rein ließ, wenn man irgendwann an ihnen hing... Irgendwann wurden ihre Schmerzen zu deinen Schmerzen, ihr Leid zu deiner Qual, ihre Unversehrtheit dein Wunsch und das fortwährende Zusammensein dein Ziel. Das war eine Einbahnstraße ins Ruin... Soviel hatte er vom Leben mitgenommen, denn wenn es einem einen solchen Menschen in bestialischer Genugtuung mit den Wurzeln aus der Seele ausriss, dann... Er schloss die Augen, bemüht, den Gedanken nicht zu Ende zu führen und das schlafende Biest der Erinnerungen hinter den sieben Siegeln in seinem Herzen nicht zu wecken. Musste sie wirklich in sein Leben rein schneien? Sie brachte alles durcheinander. Und doch... lockte sie etwas in ihm aus der Reserve, was ihn gleichermaßen irritierte und verwirrte. Neugierde, Interesse, Hingezogenheit... was auch immer es war, es war da und es hinderte ihn beharrlich dran, Sakura einfach abzutun, wie er es mit so einigen anderen schon zu genüge getan hatte. Eine kurze Affäre oder ein One-Night-Stand war immer drin, er war ein Mann und hatte seine Bedürfnisse, aber eine emotionelle Bindung, geschweige denn eine echte Beziehung, das hatte er sich noch nie erlaubt. Das ein oder andere gebrochene Herz ging sicherlich auf seine Rechnung, niemals mit Absicht, aber Frauen konnten in der Hinsicht manchmal ziemlich unvernünftig sein. Doch das hier, mit Sakura? Es fühlte sich... seltsamer an. Anders. Ernster. Und Sasuke war sich nicht sicher, ob ihm das gefiel oder nicht. Die kleine Schönheit in seinen Armen hatte sich bis dato wieder gefangen, und verweilte nunmehr still an ihn gekuschelt, abgesehen von dem gelegentlichen, willkürlichen Schniefen oder einem mild zittrigen Atemzug. Er neigte den Kopf leicht runter und zur Seite, um in ihr hübsches Gesicht zu blicken, die seidigen Wangen etwas rosig und genauso feucht-schimmernd wie die smaragdfarbenen Augen, die ihren Blick scheu mit seinem kreuzten. Sein Tonfall war leise und geruhsam, zugunsten der angenehm vertrauliche Atmosphäre zwischen ihnen. "Besser?" Sakura nickte leicht und löste den versteiften, krallenartigen Griff ihrer feingliedrigen Finger, spürend wie ein entspannendes Kribbeln durch die Sehnen und Gliedknochen sickerte. "Ja... um einiges..." Sie lehnte sich fast unmerklich zurück und strich verloren über den tränendurchnässten, weißen Hemdstoff an seiner Schulter, als ob ihre Berührung es hätte magisch trocknen können. "Entschuldige...", murmelte sie kaum hörbar, ihre Stimme war nach den mentalen Anstrengungen nicht gewillt, auch nur einen Dezibel höher, als absolut nötig, anzuschlagen. Sein Mundwinkel zuckte leicht nach oben, der samtige Bariton nachsichtig. "Mach dir nichts draus." Ihre Hand erhoben, legte Sakura diese sachte auf seine Wange, ihr Daumen fuhr federleicht die stattliche Kontur des Wangenknochens nach, bevor sie die minimale Distanz zwischen ihren Gesichtern überbrückte und ihre Lippen auf die seinigen legte, zärtlich und selbstlos. Dankbar. Sie konnte diese Gefühle nicht in Worte fassen, aber es hieß nicht, dass sie diese nicht dennoch ausdrücken konnte. Der milde, salzige Geschmack ihrer Tränen verweilte immer noch auf dem plüschigen Paar, Sasuke konnte es wahrnehmen, als er ihren lieblichen Kuss mit simpler Natürlichkeit erwiderte. Nachdem sie sich wieder gelöst hatten, presste er seine Lippen kurz umsichtig gegen ihre Stirn, was ihr Herz zum hilflosen Flattern brachte. Wenig später löste er auch seine Umarmung und fischte stattdessen nach ihrer Bluse, die sich bei dem ganzen Durcheinander irgendwie zwischen sie beide geschmuggelt hatte. Sakura setzte sich etwas mehr auf in seinem Schoß und schlüpfte brav ihre Arme durch die Ärmel, als er das Kleidungsstück um ihren grazilen, obschon geschundenen Oberkörper führte. Mit einem vagen Rotschimmer um die formschöne Nase beobachtete sie aus tiefgrünen Augen die starken, agilen Finger, wie sie geschickt die Knöpfe durch die Miniaturschlingen fädelten, vom Dekolleté über die wohlgeformte Wölbung der Brust und die flache Ebene des Bauchs herunter. Es waren all diese kleinen Dinge, die er scheinbar so lässig und beiläufig machte, die sie immer wieder aufs Neue verzauberten. "Wann ist Ausgangssperre?" Seine Frage holte sie aus ihrer stillen Reverenz. "22 Uhr." Sasuke warf einen Blick zur Digitaluhr auf einem der Wandschrankregale, die grünen Ziffern leuchteten ihm 19:36 entgegen. Von hier aus bis zu ihrem Haus waren es gut 20 Minuten. Sakura ihrerseits schaute kurz auf ihre elegante Armbanduhr und unterdrückte das flaue Gefühl, das in ihr aufstieg. Dann schlang sie ihre Arme um seinen Hals und schmiegte sich an seinen sportiven Körper. "Wir haben noch ein bisschen Zeit..." Ein überzeugt-hoffnungsvolles Flüstern, das im warmen Hauch ihres Atems über seine Halsbeuge, an der sie ihr anmutiges Antlitz versteckte, strich. Sasuke entlockte das nur ein seichtes Schmunzeln. Na ja. Sie hatte Recht. Sakura ließ sich in ihrer gemütlichen Zufluchtsstelle nicht davon stören, dass er sich kurz vorlehnte und die Fernbedienung griff, um die Flimmerkiste ihnen gegenüber anzumachen. Es kümmerte sie herzlich wenig, was sie schauten und sie hörte auch nur mit einem halben Ohr zu, es war einfach nur ein genehmes Hintergrundgeräusch, das die Stimmung noch weiter auflockerte. Sie wünschte, sie hätte noch stundenlang hier bleiben können, sicher versteckt in seiner wohligen Wärme. Doch wie die meisten schönen Dinge im Leben war es viel zu schnell vorbei. Die Sonne hatte den Horizont in einer Palette aus Dunkelgelb, Orange und Rot geziert als Sakura ihren süßen Hintern vom Sitz des Motorrads schwang, welches am Bürgersteig vor den Eingangstoren ihres verhassten Zuhauses angehalten hatte. Sie drehte sich zu Sasuke um, der den gerade abgenommen Helm zwischen Arm und Seite klemmte, die Füße standfest auf dem Boden. Der Motor schnurrte behaglich weiter, während sie die eigene geliehene Kopfbedeckung unter dem Sitz verstaute und nun dank der kleinen Anhöhe des Bürgersteigs und seiner halbsitzenden Position fast auf gleicher Höhe mit ihm war. "Ich seh' dich dann morgen in der Schule." Hob sie als Erste ihre helle Stimme und erhielt ein bestätigendes Nicken als Replik, dabei verdrängte sie gekonnt all die Unruhe, die bei dem Gedanken an den kommenden Montagmorgen aufkeimte. Wie würde sich all das nun auf ihrer beider schulisches und in Konsequenz auch das damit eng verbundene private Leben auswirken...? Sie hatte keinen blassen Schimmer und im Moment... im Moment kümmerte es sie auch nicht wirklich. Im Moment war das Einzige, wofür sie Augen hatte, genau hier direkt vor diesen. "Tu mir einen Gefallen und provozier' deinen Stiefvater nicht mehr," wies Sasuke sie indes an. Noch so eine Abscheulichkeit wollte er nicht mitbekommen, ansonsten müsste er sich einmischen und das würde ziemlich unangenehm werden. Einem echten egozentrischen Abschaum die Nase zu brechen hielt sicherlich stärkere Konsequenzen parat, als wenn man es bei der verzogenen Bratze von einem machte. Am besten für alle Beteiligten wäre es, wenn Sakura einfach nur ein braves Mädchen blieb, bis sie von unter seinen Fittichen raus kommen würde. Die pinkhaarige Grazie schnaubte leicht, ein sanftes Lächeln auf den Lippen. "Ich werd's versuchen." Sie konnte nichts versprechen aber sie schätzte, sie könnte sich darum bemühen, für eine Weile nicht mehr mit Ryuutarou aneinander zu geraten. War ja nicht so, dass sie ihn gestern absichtlich herausgefordert hatte, es war eher eine unglückliche Verkettung vieler noch unglücklicherer Umstände. "Bis morgen, dann," wiederholte sie in angetanem Abschiedston, zugeneigte Wertschätzung und unschuldige Adoration breit im niedlichen Leuchten der tiefgrünen Augen. Seine freie Hand ausgestreckt, umfing er mit dieser ihren schmalen Nacken und zog sie sachte einem betörenden Kuss entgegen, den sie für die kurze Weile, in der er anhielt, vollends genoss. "Bis morgen." Damit setzte Sasuke den Helm wieder auf und ein kraftvolles Aufknurren des Motors später riss sich sein metallisches Ross von der Stelle, um dessen stattlichen Reiter geschwind nach Hause zu tragen. Und genauso wie das letzte Mal verließ das ergriffene, beschwingte Lächeln ihr hübsches Antlitz nicht, während sie ihm nachschaute und dann den kurzen Weg zu ihrer Eingangstür antrat. In den letzten paar Jahren hatte Sakura dieses Gefühl, das gerade ungeachtet allem schwungvoll und energisch in ihr pulsierte, schon fast vergessen. Einfache, unbeschwerte Glückseligkeit. Ja, genau so fühlte sie sich gerade. Glücklich. Kapitel 7: Ein neues Bild ------------------------- Kapitel 7 Ein neues Bild [Montag, 13 Juli, 07:57 Uhr] Am nächsten Morgen, wie gewohnt auf seinem Platz im Klassenraum, fühlte Sasuke sich im Allgemeinen sehr zufrieden. Der Grund dafür war ziemlich simpel, denn ein ganz bestimmter Sitz war leer. Er konnte nur stillvergnügt in sich hinein grinsen ob des mutmaßlichen Widerwillen des Schülerratvorsitzenden, heute mit einer sicherlich professionell gerichteten und dennoch geschwollenen Nase aufzukreuzen. Zwei seiner Kumpane waren ebenfalls absent, der Rest seiner Clique hielt sich fromm im Hintergrund und durchbohrte ihren schweigsamen, schwarzhaarigen Klassenkameraden nur mit stechend düsteren Blicken. Das störte Sasuke herzlich wenig, nicht ungleich vielen anderen Dingen um ihn herum, auch wenn er davon absah, seine Deckung herunterzunehmen. Man konnte schwer abschätzen, in welche Richtung das Ganze hier noch verlaufen würde, doch er nahm stark an, dass Seiichiros Lakaien ohne die Präsenz ihres Anführer nicht radikal agieren würden. Bis zu den Abschlussprüfungen und der Abschlussfeier blieben kaum ein paar Wochen und ein kleiner Teil von ihm wunderte sich, ob es vielleicht noch zu schaffen war, das alles ohne großartige Exzesse hinter sich zu bringen. Wie unerwartet doch seine ganzen gewaltlosen Pläne über Bord geworfen wurden mit dem unvorhergesehen Eintritt eines spezifischen, lieblichen Geschöpfs in sein einsiedlerisches Leben. Gleich beim Thema bleibend, genau dieses eine liebliche Geschöpf war nunmehr im Vordergrund seiner Bedenken. Seiichiro hegte bereits einen ernstzunehmenden Groll gegen ihn und wenn er erfahren würde, dass Sasuke und Sakura sich näher gekommen waren, als es jemand, sie selbst mit eingeschlossen, je erwartet hätten, würde er es als eine direkte, wenn nicht gar dreiste, Herausforderung ansehen. Sein Nemesis, mit dem Mädchen, das er selbst haben wollte und nicht gekriegt hatte? Einen tieferen Kratzer an seinem Ego könnte man gar nicht setzen, insbesondere wo er es schon mehr oder minder vor der ganzen Schule attestiert hatte, dass Sakura 'seins' war. Sasuke hoffte einfach nur, der Großteil der Verstimmung und Ärgers würde sich auf ihn selbst konzentrieren - er konnte sich mehr als gut und effektiv gegen Seiichiro zu Wehr setzten, Sakura hingegen würde dem Bastard nicht viel entgegenzusetzen haben. Nun... abgesehen von Sasukes schützender Hand über ihr, natürlich. Die Frage, die sich stellte... was war nun besser? Zwischen die Fronten geraten würde sie so oder so, doch welche Herangehensweise würde sie am wenigsten in Gefahr bringen? Dem allgemeinen Verständnis nach gingen sie nun mehr oder weniger miteinander aus, und es gab genau zwei Möglichkeiten, wie man das handhaben könnte. Die erste war, sich offenkundig dazu zu bekennen und allen klar zu machen, dass da jetzt irgendwie irgendwas zwischen ihnen beiden lief und Sakura nunmehr in Ruhe gelassen werden sollte, es sei denn, sie wollten sich Probleme mit ihm einhandeln. Danach würden sie beide sicherlich keine ruhige Minute mehr haben und insbesondere Seiichiro wäre dann mehr als nur eine große Gefahr, es wäre immerhin das krasseste 'fick dich' fett in sein Gesicht geschmissen, das er wahrscheinlich je in seinem ganzen Leben erfahren hatte. Die zweite Option war, das Ganze mehr oder minder verdeckt zu halten und drauf bauen, dass Seiichiro Sakura auch so in Ruhe lassen und die Wucht seiner Aggressionen auf Sasuke konzentrieren würde. Das würde bedeuten, die Kleine wäre weitestgehend auf sich allein gestellt, zumindest in der Schule, und sie beide würden so tun, als ob sie sich kaum kannten und der spontane Rettungsversuch von Samstagnacht das Einzige war, das sie irgendwie verband. Wenn Sasuke die Karten richtig spielte und ein paar Andeutungen fallen ließe, dass es ihm an besagtem Abend weniger um Sakura gegangen war als darum, Seiichiro eins auszuwischen, könnte das durchaus sehr glatt von der Bühne gehen. Der eine große Haken daran war... Sasuke hasste es, sich zu verstellen und fast schon seifenopernreife Szenarien auszuspielen. Er war der direkte Typ und er stand zu allem, was er sagte, tat oder war. Das Problem war nur, hier ging es nicht mehr einzig und allein um ihn, sondern auch um einen anderen Menschen, der viel zerbrechlicher und schutzloser war, als er selbst. Er konnte mit einem Haufen grenzdebiler Wichtigtuer mit viel Muskel und keinen Hirn, diese einzusetzen, in einer dunklen Gasse fertig werden, weder steckte er in einem komplexen sozialen Netz, wo ein falscher Schritt die Verachtung und moralische Schläge unter die Gürtellinie von der Hälfte der Umgebung einhandeln würde. Er hatte keine Schwachpunkte gehabt, auf die er besonders achten musste und jetzt könnte Sakura sehr wohl zu einem werden, denn er würde gewiss nicht mehr untätig daneben stehen können, sollte jemand ernsthaft ihre Integrität bedrohen. Er fühlte sich im gewissen Sinne für sie verantwortlich und abstellen ließ es sich nicht mehr, ganz egal, ob's ihm gefiel oder nicht. Die Stirn in Falten gelegt schaute der zurückgezogene Junge nachdenklich aus dem Fenster. Die ganze Sache fing an, sich als unglaublich kompliziert zu gestalten und Sasuke hasste Komplikationen. Er hatte immer gewollt und war stets darum bemüht gewesen, sich aus den verworrenen Angelegenheiten in der Schule raus zu halten und jetzt würde er sich womöglich bis zum Halse darin versunken finden. Nun, er war aber auch niemand, der über verschüttete Milch jammerte, eher holte er den Lappen und wischte sie auf. Es blieb einfach nur abzuwarten und abzusehen, wie sich alles Weitere entwickeln würde. Sakuras Start in den Schulalltag war in der Hinsicht ein komplett anderer denn Sasukes. Sie hatte keine Gelegenheit, auf ihrem Platz still vor sich hin zu brodeln und ihre Klassenkameraden umringten sie im Gegensatz zu seinigen unmittelbar nach dem Ertönen der ersten Pausenklingel. "Erzähl schon, Sakura! Wie war dein Date mit Seiichiro-sama?" "Wie war es in dem Club?" "Habt ihr getanzt?" "Seid ihr jetzt zusammen?" "Habt ihr euch geküsst?" Sie starrte angestrengt in ihr Schulbuch, während ihr Gehirn fieberhaft daran arbeitete, mit irgendeinem halbwegs plausiblen... Etwas aufzukommen. Lüge, Erklärung, Flunkergeschichte. Sie konnte ja wohl kaum die Wahrheit sagen, oder? Es schien, als hielt Seiichiro zu allem die Klappe und er hatte sich übers Wochenende wohl auch zu niemandem explizit darüber geäußert, wenn noch keiner mit irgendwelchen saftigen Details um sich warf und alle so neugierig drauf waren, irgendetwas zu erfahren. Er musste absolut angepisst sein... Ihr wurde unglaublich mulmig zumute. "Ne, ich hab gehört, der Abend wurde euch versaut!" Sie spitzte die Ohren ob der Aussage und schaute endlich auf zu dem Mädchen, das gesprochen hatte. Begeistert wegen der Tatsache, das alle Aufmerksamkeit nun auf ihr ruhte und völlig aufgeregt darüber, der nach Informationen hungrigen Meute bereitwillig einen Dienst zu erweisen, sprudelten die Worte hastig aus besagter Person heraus, insbesondere da die pinkhaarige Schönheit, um die es ging, nicht sonderlich gewillt schien, mit ihnen zu teilen. "Minamis Bruder war dort gewesen, und sie sagte er hat dich und Senpai nacheinander aus dem Club verschwinden sehen, und dass Sasuke euch gefolgt war. Danach sind weder du noch Senpai wieder reingekommen, obwohl alle seine Freunde noch da waren und irgendwann hat seine ganze Clique ziemlich hastig den Club verlassen! Man hat gemunkelt, der Uchiha und Seiichiro-sama haben sich irgendwie in die Haare gekriegt." Sakuras fein geschwungene Augenbrauen zogen sich zusammen. Minami war eine schreckliche Tratschtante, aber ausnahmsweise war ihre Tratscherei diesmal ziemlich nah an der Wahrheit. Natürlich wusste Sakura selbst, dass es ein reiner und für sie unheimlich glücklicher Zufall gewesen war, dass Sasuke ihnen beiden raus gefolgt war, aber solch eine simple Erklärung würde die gerüchts- und sensationsgeile Herde in der Schule nie und nimmer zufrieden stellen. "Ich hörte, dieser Uchiha-Typ arbeitet doch in dem Club. Hat er euch etwa die Stimmung verdorben, so wie bei Najimura letzte Woche?" "Wieso? Ist er dort die Anstandsdame, oder was?" Gelächter und Gekicher. Es war nur eine Frage der Zeit, bis irgendjemand- "Was, hat er dich und Senpai beim Rummachen erwischt und versucht, euch rauszuschmeißen?" -irgendetwas Dummes sagen würde. Was alle anderen dennoch unglaublich unterhaltsam finden würden und das- "Vielleicht war er ja einfach nur neidisch." -aus den Proportionen geblasen und ins Lächerliche gezogen werden würde. Mehr höhnisches Gegrunze und dämliches Gegluckse, und es würde sich stets irgendein ausgesprochen forscher Hampelmann finden, der sich das Maul zerreißen und die Sache- "Drauf wett' ich! So wie der drauf ist, kriegt er doch nie eine ab!" -ins Extrem treiben musste. Es donnerte eine weitere Lachsalve, uns Sakuras Hand zuckte spastisch in eine Faust um ihren Bleistift. Wieso taten die Leute das... Wieso nur... wieso mussten sie immer... Wut stieg in ihr auf, Sasuke hatte es nicht verdient, dass man so über ihn redete. Besonders nicht, nachdem er sie vor einem der schlimmsten Dinge, die einem Menschen widerfahren konnten, bewahrt hatte. Spott und Verachtung, war das wirklich der Dank, den er dafür bekam? Wie viele von diesen verwöhnten Mistkröten hatten je etwas Gutes für irgendjemanden getan, geschweige denn, die eigene körperliche Unversehrtheit dafür riskiert, um jemand anderem zu helfen? Das war nicht gerecht... Das war nicht gerecht. Das war nicht gerecht! Doch wenn sie ein Thema zu ihrer Belustigung ausrollten- "Und ich kann mir auch vorstellen, warum! Der hat wahrscheinlich 'nen richtig Kleinen in der Hose!" -ließen sie nicht mehr davon ab. Wie Hyänen, die an einem blutigen Kadaver nagten. Sakura wurde schlagartig übel vor Abscheu und Empörung, die in ihr schon fast überkochten ob der Widerwärtigkeiten und dem ekelhaftem Spottgelächter, die ihre Gehörgänge bestürmten. Sie wusste, dass überall in der Schule wahrscheinlich nicht minder heftig in der gleichen Art und Weise Scheiße auch über sie geschüttet wurde, aber bis jetzt hatte sie nicht gewusst wie unglaublich schmerzhaft es war, zuzuhören, wenn jemand, der dir etwas bedeutete, verbal dermaßen durch den Dreck gezogen wurde. Es tat so weh, sie fühlte sich den Tränen des Jähzorns und der Demütigung nahe. Haltet die Klappe. Haltet die Klappe. Haltet die Klappe. "Den er bestimmt nicht mal hochkriegt, wenn er ein nacktes Mädel sieht! Und irgendwie muss er ja kompensieren!" Unerwartet für alle Beteiligten schoss Sakura im nächsten Augenblick auf die Füße, die abrupte Bewegung schreckte alle um sie herum auf, weil sie dabei ihren Stuhl umgekippte und fast ihren Tisch umgestoßen hatte. Ihr zierlicher Körper wirbelte herum, ein gefährliches Feuer lichterloh brennend in tiefgrünen Augen, die sich in das Gesicht des Jungen bohrten, aus dessen Mund all jene Abscheulichkeiten gekommen waren. Die Faust um ihren Bleistift war so fest, ihre Fingernägel schnitten unangenehm in die Haut der Handfläche, nicht, dass es sie im geringsten kümmerte als sie ausholte. "Schnauze!" Ihre helle, erbitterte Stimme rang durch den Raum und keine Sekunde später schlug sie ihm ins Gesicht mit all der zornverstärkten Kraft, die sie nur aufbringen konnte. Es haute den Jungen von den Füßen und begleitet von den aufgeschreckten Schreien und erschüttertem Gekreische ihrer Mitschüler krachte er zu Boden, wo er sich prompt die Hände über seinem schändliches Maul zusammenschlug. Aus der geplatzten Lippe quoll Blut und der metallische Geschmack füllte auch seinen Mund, in dem wohl der ein oder andere Zahl ernsthaft in Mitleidenschaft gezogen worden war. Sakuras wohlgeformte Brust hievte sich schnell und unregelmäßig, die Atmung beschleunigt in überschäumender Wut als sie den Liegenden mit hasserfüllten Blicken erdolchte, während alle anderen sie geschockt anstarrten. "Sakura! Was um Himmels Willen machst du da?!" Der entsetzte Aufschrei der Lehrerin holte sie in die Realität zurück, zusehend, wie die junge Frau zu ihnen hastete und sich durch den Kreis der Schaulustigen zum angeblichen Opfer vordrängte, um sich neben ihm zu knien. "Mein Gott, Azumasa-kun, bist du in Ordnung?!" Sie inspizierte das blutende Gesicht des Jungen, der bis dahin die Schockstarre überwunden hatte und in Tränen ausbrach, scharlachrote Flüssigkeit tropfte ihm dabei auf das weiße Hemd der Schuluniform. Sakura hingegen verspürte bei dem Anblick nichts außer Zufriedenheit und Genugtuung. Hirnloser Schlappschwanz, geschieht dir Recht. Denk das nächste mal nach, bevor du dein dreckiges Maul aufreißt. Wenn sie könnte, würde sie nachtreten wollen. "Hideki, Minoru! Bringt ihn zum Krankenzimmer, schnell!" Forderte die Lehrkraft zwei Jungs auf, und diese beeilten sich, ihren blutenden Klassenkameraden unter die Arme zu greifen und ihn auf die Füße zu helfen, um ihn aus dem Raum zu führen. Die Pädagogin indes stand auf und griff Sakura unsanft am Oberarm, um das Mädchen hinter sich her zu ziehen. "Haruno, du kommst mit mir! Zum Direktor!" Es gab keinen Widerstand von Sakuras Seite, sie ließ sich den Flur Richtung des Schulleiterbüros runter zerren, dabei hörte sie mit zusammengebissenen Zähnen und finsterer Miene den mit Fassungslosigkeit geführten Monolog ihrer Klassenlehrerin zu. "Was hast du dir dabei gedacht?!" Dass er die Fresse halten sollte. "Jemanden einfach so zu schlagen!" Nicht einfach so. Er hat's verdient, das und noch viel mehr. Und nicht nur er. Sie alle. Sie alle. "Was ist in dich gefahren?!" Wut? Abscheu? Rachsucht? Hass. "Ich glaube es einfach nicht! Ich habe so etwas nie von jemandem wie dir erwartet!" Du kennst mich doch überhaupt nicht, woher willst du wissen, wozu ich fähig bin? Was ich durchgemacht habe? Wer ich wirklich bin? Keiner weiß es, nicht mal einen Bruchteil davon. Nur er. Nur Sasuke. Wenige Schritte vom Büro des Direktors entfernt hielt die entgeisterte Frau an und ging vor Sakura in die Hocke, um das Mädchen sanft bei den Schultern zu greifen und in das vor Distanziertheit wie versteinerte Gesicht zu blicken. "Sakura-chan, vielleicht willst du's zuerst mir sagen? Warum hast du das getan? Was ist passiert?" Was, kriegst du jetzt Muffensausen wegen meines ehrenwerten 'Papis'? Sie konnte das nachvollziehen. An ihrer Stelle hätte sie auch Angst vor Sakuras Stiefvater. Sie scherte sich nur einen feuchten Dreck darum, insofern schwieg sie eisern und schaute die Lehrerin nur düster an. Es ging diese nichts an. Es ging niemanden etwas an. Sie alle konnten zur Hölle gehen, Sakura stand es alles bis zum Hals. Die Lehrkraft atmete schwer und verloren aus und erhob sich wieder, um an der Tür anzuklopfen. Der Schulleiter war ein erfahrener älterer Gentleman, wahrscheinlich schon über 50, geruhsam aber streng und rechtschaffend. Super. Sakura unterdrückte ein Seufzen. Das würde ein Spaß werden. "Herein," erklang eine väterliche Stimme aus dem Inneren und die Pädagogin öffnete die Tür, bevor sie Sakura einen sanften Schubser gab, damit das Mädchen als erstes eintrat. Es war eine gute Stunde, die sie in dem Büro verbrachten, jedoch war es weder der Lehrerin noch dem Direktor gelungen, allzu viel aus ihrer jungen Schülerin, die mit abwehrend verkreuzten Armen und einem unbeteiligten Ausdruck auf den schönen Gesichtszügen vor ihnen saß, raus zu bekommen. Ihre Antworten beliefen sich selten auf mehr als ein paar Silben und letztendlich gaben die zwei Erwachsenen auf, durch die solide Wand, die sie vor sich aufgebaut hatte, durchzubrechen. Sakura war sich sicher, das 'Opfer' und auch ihre Mitschüler würden mehr als willig sein, ihre Version des Geschehenen darzulegen aber sie fand sich dem Gedanken gegenüber völlig gleichgültig. Ein dreckiges Gerücht mehr oder weniger, das über sie kursierte und seine Runden durch die Schule machte, war nicht mehr von Bedeutung. "Ich bin überaus enttäuscht von Ihnen, Haruno-san. Sie waren bisher so eine vorbildliche Schülerin gewesen." Angesprochene unterdrückte ein verächtliches Schnauben. Natürlich war sie das gewesen. Stets so ein gutes, braves Mädchen, das all ihre Hausaufgaben und Extraübungen erledigte, hübsch ihre Einsen schrieb und immerzu nett und freundlich allen Lehrern und Mitschülern gegenüber war. Das mit dem Strom schwamm, die Leute reden ließ und Dinge zum eigenen Nachteil und auf eigene Kosten ignorierte. Sie konnten ruhig damit fortfahren, hinter ihrem Rücken zu tuscheln. Sie würde es jedoch nicht mehr länger dulden, dass sie es auch direkt vor ihr taten. Sie würde niemanden mehr vor ihren Augen Dreck ausschütten lassen - nicht über sich selbst, und insbesondere nicht über Sasuke. "Gibt es vielleicht etwas, was Sie uns sagen wollen würden?" Der Schulleiter drehte sich von dem Fenster, an dem er gestanden und herausgeschaut hatte, zu dem kleinen, pinkhaarigen Wölkchen finsterer Verstimmung im Stuhl vor seinem Schreibtisch um. "Nein." "Wir werden Ihre Eltern informieren müssen. Und ich würde Sie heute nachsitzen lassen." Der umsichtige Blick des Veteranpädagogen ruhte auf dem Teenager, die nur kurz mit ihren schmalen Schultern zuckte. "Fein." Seine Brust wölbte sich mit einem tiefen Seufzen. "Sakura, gibt es da vielleicht irgendwelche Probleme? In der Schule? Oder möglicherweise zu Hause?" Startete er einen letzten, informellen Versuch durch ihre Abwehrhaltung zu kommen. Vergeblich. "Nein." "Warum hast du dann deinen Klassenkameraden geschlagen? Was hat er dir getan?" Sie enthielt sich stur einer Antwort. Sakuras Klassenlehrerin neben ihr sah ehrlich verzweifelt aus, sie meinte ihre Musterschülern gut zu kennen und diese war überhaupt kein handgreiflicher Typ. Etwas müsste doch gewaltig nicht mehr stimmen, wenn sie dermaßen austickte. Man schickte das Mädchen raus auf den Flur, nur wozu wusste sie nicht wirklich, sie konnte die Unterhaltung der beiden Pädagogen so oder so hören. "Wirklich, Sakamura-san, ich weiß nicht, was in sie gefahren ist. Sie war schon immer eine exzellente Schülerin, kontaktfreudig, fleißig, verantwortungsbewusst." Das konsternierte Gemurmel ihrer Klassenlehrerin. "Keine Sorge, Tanaka-san, ich verstehe. Ich werde davon absehen, sie zu suspendieren, ich glaube, wir können die Angelegenheit mit einer Verwarnung und zwei Wochen Nachsitzen auf sich beruhen lassen. Aber Sie sollten auf jeden Fall ein Auge auf sie behalten. Nicht, dass so etwas noch einmal passiert." "Natürlich, Sakamura-san. Wirklich, ich bin zutiefst geschockt. Ich hätte nie erwartet..." Sakura schloss die Augen und versuchte, die Stimmen auszublenden. Sie verstand den ganzen Aufstand nicht wirklich, oder vielleicht wollte sie es nicht verstehen. Irgendwie wollte sie gerade einfach nur wirklich, wirklich gerne Sasuke sehen. Dazu hatte sie aber nicht die Gelegenheit, denn man setzte sie in ein kleines Hinterzimmerchen im Sekretariat, wo sie dann irgendwelche Papiere und Akten sortierte, bis die Schule aus war. Und wenn alle die Klassenräume verlassen hatten, schritt sie in eins rein, wo sie sich an ihren bevorzugten Platz am Fenster setzte und auf ihren Aufsichtslehrer wartete. Frau Tanaka hatte ihr aufgetragen, einen mindestens zehnseitigen Aufsatz über irgendein beliebiges Thema zu schreiben und obwohl Sakura kreatives Schreiben eigentlich genoss, war ihr im Augenblick überhaupt nicht danach. Trübselig starrte sie aus dem Fenster der abendlichen Sonne entgegen, dann und wann einen deprimierten Seufzer verlauten lassend, und spielte lustlos mit dem Kugelschreiber in ihrer Hand. Sie wunderte sich, was Sasuke wohl gerade machte. War er vielleicht schon Zuhause? Verschwendete er einen Gedanken an Sakura, wo sie ihre gar nicht mehr von ihm losreißen konnte? Sie seufzte noch einmal schwer. Wie erbärmlich war es denn, den Jungen bereits so sehr zu vermissen? Sie kannten sich nur ein paar Tage und sie fühlte sich bereits so, als ob könne sie keinen einzigen mehr ohne ihn verbringen. War sie dabei, sich zu verlieben? Oder hatte sie es bereits getan? Sakura senkte ihre Stirn mit einem wehleidigen Aufstöhnen in ihre Handfläche. Sie schlug anderen für ihn die Fresse ein, war da nicht schon alles mehr als offensichtlich? Sie starrte auf das leere Blatt Papier vor ihr. Genauso leer fühlte es sich in ihrem Kopf an, großer Gott, sie würde doch nie im Leben zehn Seiten hinkriegen, es wäre denn, sie schrieb diese mit seinen Namen voll. Just dann hörte sie einen scharfen, hohen Laut. Ein Pfeifen? Sie horchte auf und es ertönte erneut - kein Zweifel, da hat einer gepfiffen. Sie stand auf und ging zum Fenster, um dieses aufzumachen und nach draußen zu lugen. Das Klassenzimmer war über dem Erdgeschoss und somit im ersten Stock, insofern schaute sie runter und die Person, die sie dort erblickte, brachte ihr zutrauliches Herzchen zu einem Hechtsprung aus purer, grenzenloser Freude. "Sasuke-kun!", hauchte sie überglücklich aus und lehnte sich so weit aus dem Rahmen, dass sie beinahe mit dem Gesicht voran aus diesem heraus purzelte. Was tat er hier? Woher wusste er von ihrer Nachsitzmisere? Wen kümmerte es? Die Gründe waren Schnuppe, er war hier! "Ist der Lehrer schon da?", fragte er und Sakura warf einen Blick über die formschöne Rundung ihrer Schulter zu der Tür. "Nein," informierte sie artig und freudig zugleich, Augen zurück auf ihn gerichtet. Wenn's nach ihr ging, könnte der Lehrer überhaupt nicht aufkreuzen oder wahlweise beim Treppensteigen stolpern und sich den Fuß verstauchen. Hauptsache, niemand holte sie jetzt von diesem Fenster weg, auch wenn diese Pläne sich bald zum Positiveren hin durchgekreuzt finden würden. Sasuke trat näher unter das Fenster und streckte mit einmaligem Neigen seines Kopfs zu jeder Seite seine Halsmuskulatur. Arme erhoben, deuteten seine Hände ihr mit einer zuwinkenden Geste das Gleiche, was er kurz darauf auch verbalisierte: "Spring runter." Ein fröhliches Lächeln paradierte über ihr anmutiges Antlitz und Sakura beeilte sich, auf die Fensterbank zu klettern, nachdem sie ihre Schultasche zuerst runter befördert hatte. Ein Sprung aus dem ersten Stock war nicht allzu hoch aber ohne Unterstützung dennoch gefährlich und auch wenn sie solche Unterstützung hatten, würden es sich die meisten wahrscheinlich zweimal überlegen. Sie hingegen überlegte nicht einmal für eine Sekunde, als sie sich aus einer leichten Hocke heraus seiner zuverlässigen Gestalt entgegen fallen ließ, im blinden Vertrauen und ohne einen Fünkchen Angst. Der kurze Augenblick des freien Falls brachte ihren Atem und Herzschlag zum Stocken, nichtsdestotrotz entfloh kein Laut ihren Lippen außer dem abrupten, schweren Ausatmen, wenn jene Arme ihr Fliegengewicht sicher in ihrem festen Griff auffingen. Sasuke taumelte einen Schritt zurück ob des aufgehaltenen Kraftimpulses, blieb aber sicher auf den Füßen und senke Sakura bald darauf behutsam auf ihre eigenen ab, wobei einer seiner Arme um ihre sündig schmale Taille gewunden blieb. "Ich hab gehört, wir haben einen neuen Raufbold an der Schule," sprach er durch ein Grinsen auf den vollen Lippen, während er sie sachte aber bestimmt gegen die Gebäudewand drückte. Sakuras Lächeln mauserte sich in ein keckes Feixen und ihre eigenen Arme blieben nicht tatenlos, geschmeidig erhoben umflocht sie mit diesen bereitwillig seinen Hals. "Mir ist nur klar geworden, dass deine Art, mit großmäuligen Arschlöchern umzugehen, besser ist." Er hob eine dunkle Augenbraue, seine freie Hand lässig an derselben Wand neben ihrem viel zu hübschen Gesicht abstützend und lehnte sich ein wenig mehr vor, was ihre Körper nur noch näher aneinander presste. "Ist das so?" Sein warmer Atem strich aufreizend über ihre süßen Lippen, was einen angenehmen Schauer ihren Rücken runter jagte. "Ich bin in der Hinsicht ein eher schlechtes Vorbild." Stellte er mit Belustigung fest, die samtig tiefe Stimme abgesenkt, um ihre vertrauliche Nähe weiter zu fördern. Seine Aussage jedoch war ziemlich ernst gemeint. Er war nicht die beste Gesellschaft für unschuldige, folgsame Unterklässler, ein dubioser Einfluss. Er kannte den ganzen Hintergrund der Geschichte zwar nicht, aber er war sich weitestgehend sicher, dass Sakura noch nie jemandem aufs Maul geschlagen oder auch nur daran gedacht hatte, bevor sie Sasuke traf. Sie schnaubte mild, indes die feingliedrigen Finger einer Hand sich in die weichen, rabenschwarzen Haare an seinem Hinterkopf vergruben und zärtlich durch die seidigen Strähnen strichen. "Das ist mir Schnuppe..." Sie zog ihn subtil näher zu sich, ein Anreiz, dem er folgte und schon bald vaporisierte sich alle Distanz zwischen ihnen als jene geschickten Lippen ihre eigenen einfingen. Und so wie immer stahl der Kontakt ihr allen Atem aus den Lungen. Sie wusste nicht genau, warum es sich so blendend gut anfühlte, Sasuke zu küssen, oder eher von ihm geküsst zu werden, aber es war immer wieder ein berauschend wundervolles Erlebnis, das akut süchtig machte. Sie konnte sich nicht helfen, die Augen geschlossen zerfloss sie wie delikate Schokolade genüsslich in seinen Fängen, ihr Herz komponierte dabei einen Soundtrack aus hastigem, dumpfen Trommeln zu den sinnlichen, elektrisierenden Bewegungen ihrer beider Lippenpaare. Wenn der starke Körper sich fester an sie drückte und ihren eigenen somit weiter gegen die Wand in ihrem Rücken, keuchte sie vor Nervenkitzel auf, was seiner Zunge die Gelegenheit gab, in den entstandenen Spalt und somit in ihre Mundhöhle zu schlüpfen. Das Resultat war ein weiches, losgelöstes Aufstöhnen ihrerseits und alles flog augenblicklich aus ihrem Kopf: die Wut, und Kränkung, und Sorgen diesen Tages, ersetzt durch wohlige Wärme und aufregendes Prickeln, die sich wie Lauffeuer durch ihr gesamtes Sein verbreiteten. Ihre Atmung ging flach und uneben, wenn sie sich voneinander lösten, das Blut ein heißes Rauschen in Ohren und Gefäßen, während jene geheimnisvollen, nachtschwarzen Augen sie in einer undefinierbaren Weise musterten. Letztendlich schmunzelte Sasuke amüsiert und seine Lippen streiften ihre Stirn in einer sanften Berührung, bevor er sie losließ. "Du bist süß." Sprach er nonchalant aus, was Sakura dazu brachte, verwundert auf ihn zu starrten, auch wenn sie nichts Weiteres außer einem milden Grinsen und einer Aufforderung zum Folgen erhielt, als er sich mit der Absicht, zu gehen, umdrehte: "Komm." Immer noch ein wenig perplex, tat sie bereitwillig genau das, ihm folgend, ganz egal, wohin er beabsichtigte, zu gehen. Sasuke hatte es nicht für nötig gehalten, sein Komplement näher auszuführen, es war eine Notiz, die er mehr für sich selbst gemacht hatte. Sakuras Körpersprache verriet mehr, als die Kleine sich wahrscheinlich bewusst war, aber er hatte es alles sehr wohl mitgekriegt: das aufgeregte Zittern der zierlichen Figur, die reizende Art, wie sie jede seiner Berührungen begrüßte, die beschleunigte Atmung, die sanfte Röte auf den seidig weichen Wangen, die gesamte Verhaltensweise, die verriet, wie sehr sie die körperliche Nähe zu ihm genoss. Es war süß. Unschuldig, und eine Versuchung, das Widerstehen derer mittlerweile einiges an Willenskraft seinerseits erforderte. Er hatte bis dato die gestrigen Geschehnisse zwischen ihnen nicht wirklich mitberücksichtigt und hatte es eher als Nachwirkung ihres bedrückten Zustands und des folgenden Zusammenbruchs abgetan, doch heute bewies, dass sie es wirklich wollte. Ein Zusammensein mit ihm, auf jeder möglichen Ebene. Es war verlockend, aber gleichzeitig auch... bedenklich. Sasuke hätte nicht gedacht, dass jemand die Nähe zu ihm dermaßen genießen und davon dermaßen begeistert sein konnte. Es war... angenehm. Seine dominante Wesensart und verschlossener Habitus waren nicht jedermanns Sache, der Grund, warum die meisten Frauen mit ihm nicht wirklich klar kamen, oder vielleicht kam er nicht mit ihnen klar. Bis er Sakura getroffen hatte. Sie war etwas vollkommen anderes, er konnte keinen Vergleich zu irgendeinem anderen Mädchen ziehen, das ihm bisher begegnet war. Sie war einfach nur... irgendwie unbeschreiblich. Statt Sasukes Verhalten zu verurteilen, schien sie fast verzaubert davon. Nun, der Grund dafür war eher simpel, zumindest wenn man Sakura gefragt hätte. Sicherlich war Sasuke in Wort und Handlung ziemlich dominant, ja, aber was daran so anziehend war, war die tieferliegende Sanftheit und Fürsorge, die mit diesen fast dogmatischen Eigenwillen und Durchsetzungskraft einhergingen. Sie fühlte sich unter seiner Führung weder unterdrückt noch submiss, ganz im Gegenteil - es war behaglich. Es ließ sie sich geschützt und wohlbehütet fühlen. Es ließ sie wissen, dass sie mit ihm sicher war. Es brachte sie dazu, ihm zu vertrauen und Vertrauen war etwas, von dem sie nie gedacht hätte, sie würde es in diesem Ausmaße jemandem entgegenbringen können. Diese Gefühle der Zuneigung wurden umso stärker dank all dieser nonkomformen Dinge, die er für sie tat. Ob Seiichiros gebrochene Nase, eine Schulter zum wortlosen Ausweinen, ein simpler Kuss auf die Stirn oder die Anregung zum und Beihilfe beim Ausbüxen aus dem Nachsitzunterricht, irgendwie fand sie all das viel romantischer, als Abendessen bei Kerzenschein, teure Geschenke und Parkspaziergänge im Mondlicht. Er tat, was er für richtig hielt und wie er es für richtig hielt, ohne sich um die Meinungen anderer zu kümmern. Daran wollte sie sich ein Beispiel nehmen. Sie wollte wenigstens ein bisschen so frei sein, wie er es war, aus den Normen, in die man sie zwängte, raus brechen. Endlich so sein, wie sie sich wirklich fühlte. Mit ihm zusammen zu sein machte sie nicht nur einfach glücklich, es lehrte sie auch eine ganze Menge darüber, wie man sein Leben auf eine bessere Weise leben konnte. Er öffnete Stück für Stück ihre Augen und das Bild, das sie erblickte, gefiel ihr viel mehr, als das triste Gemälde, in dem sie bisher festgesteckt hatte. Eine Weile nachdem Sasukes stylisches Motorrad die Parkplätze samt einem zusätzlichen Passagier verlassen hatte, überschritt die Aufsichtslehrkraft die Schwelle des Klassenraums, der mittlerweile leer und verlassen war. Er zog die Tür hinter sich zu und drehte sich zu den Reihen unbesetzter Tische: "Entschuldige bitte meine Verspätung, Sakura, ich musste noch-" Doch alles, was seine Sicht begrüßte, war ein offenes Heft mit unbeschriebenen Seiten und ein einsam daneben liegender Kugelschreiber. "Hmpf!" War alles an empörter Reaktion, was er zu Stande brachte. Kapitel 8: Gewitterwolken ------------------------- [Montag, 13 Juli, 16:37 Uhr] Ihre Reise trug sie an den Rand der Stadt, zu einem Ort, an dem Sakura bisher noch nie gewesen war. Es war nah am Meer, sie konnte das Rauschen der Wellen hören, als sie beide von dem Motorrad abstiegen, das an der Seite der Straße gelassen wurde, ganz kurz vor der Stadtgrenze, die mit dem Ortsschild verzeichnet war. Etwas weiter vorne ragte ein verlassenes Hochhaus hervor, frei von Fensterglas und umgeben von Bruchstein, ein Monument der Vergänglichkeit, das mit großer Wahrscheinlichkeit in den Sommerferien abgerissen werden würde. Sie folgte Sasuke bis zum Stacheldrahtzaun, der den baldigen Trümmerhaufen umringte und schaute mit aufgeregt klopfendem Herzen, wie er seine Lederjacke auszog, die gefütterte Innenseite, die bereits Dornenspuren trug, nach außen kehrte und das Kleidungsstück locker hochwarf. Er winkte sie herbei und sie trat näher, ihr Atem stockte kurz ob der angenehmen, noch frischen Erinnerung an die Berührung seiner Hände, die genauso wie gestern nach dem Basketballspiel um ihre Taille griffen und sie emporhoben. Erst noch ein wenig ängstlich schwang sie sich bald mit der gebührenden, eleganten Grazie einer Gymnastin über den Zaun und sprang auf der anderen Seite ab, sich umdrehend, um jenen athletischen Körper dabei zu beobachten, wie er das Gleiche ohne jegliche Unterstützung in einer nicht weniger ansehnlichen Manier bewerkstelligte. Sasuke landete mit einer fast katzenhaften Leichtigkeit neben ihr und brachte seine Jacke wieder in seinen Besitz, bevor ihr voran Richtung des Gebäudes zu schreiten. Sie tapste fröhlich hinterher, wohl wissend, dass sie etwas Verbotenes taten und eigentlich gar nicht hier sein durften. Diese Erkenntnis war gleichzeitig aufreibend und einschüchternd, also holte sie ihn geschwind ein und umschlang einen seiner Arme mit ihren eigenen. Er blickte zu ihr, sein Mundwinkel zuckte in milder Belustigung und Sakura drückte sich nur zutraulich näher an ihn, nicht zuletzt, weil sie das Gefühl davon einfach nur genoss. Einen funktionierenden Aufzug gab es natürlich nicht, also stiegen sie alle 14 Stockwerke in gemütlichem Tempo hinauf bis nach ganz oben, wo Sasuke locker die Tür, die raus aufs Dach führte, aufstieß. Die Aussicht, die sich dort ihren Augen bot, war... atemberaubend. Da das Gebäude außerhalb und sehr nah am Meer war, konnte man weder Straßen, noch Häuser, noch Menschen sehen, die das bestrickende Bild stören würden. Nur ein kleiner Streifen der sandigen Küste und dann... die endlose, in rötlichen Tönen getauchte Wasseroberfläche, von mächtigen Wellen gekräuselt und glorreich schimmernd in gemächlichen Strahlen der untergehenden Sonne. "Es ist wunderschön hier," entfloh es ihren Lippen in einem enchantierten Flüstern, nicht fähig, die Augen von der prachtvollen Szenerie abzuwenden. Sasuke schmunzelte und schlüpfte seinen Arm aus dem Griff ihrer eigenen, um seine Jacke diesmal auf dem kalten, von kleinen Kieselsteinen bedeckten Boden auszubreiten. Nicht für sich, die schwarze Anzughose seiner Schuluniform bot genug Schutz, Sakura in ihrem knielangen Faltenrock brauchte die Bequemlichkeit viel eher. Er setzte sich, ein gelassener Kommentar auf den Lippen: "Es ist ruhig." Was der wesentliche Grund war, warum er diesen Ort so sehr mochte. Keine Bewohner, keine Autos, kein reges Stadtleben, nur Abgeschiedenheit und Beschaulichkeit. Menschenmengen ermüdeten ihn schnell, das hier war wie eine Zufluchtsstätte, um etwas Gemütsruhe und Seelenfrieden zu finden. Ein Verlangen, das Sakura nachvollziehen konnte. Sie lächelte leicht und ließ sich auf der rücksichtvoll vorbereiteten Stelle auf seine Jacke neben ihm nieder. Einige Minuten zogen behaglich an ihnen vorbei, sie sagten nichts und schauten nur dem Panorama des Meeres entgegen, bis Sasuke letztendlich wieder seine Stimme erhob, sanft aber ernst. "Du solltest das nicht mehr tun." Sie blinzelte und wandte ihren Kopf zu ihm, verwundert. "Was tun?" "Dich mit anderen schlagen." Nachtschwarze Augen waren immer noch vorwärts auf die für immer unerreichbare Linie des Horizonts gerichtet, schienen aber nicht mehr wirklich auf die Aussicht konzentriert zu sein. Sie schnaubte leicht, nicht wirklich wissend, was sie darauf entgegnen sollte. Was stattdessen entstand, war eine Frage. "Warum?" Immerhin, er sollte grade reden, nach seiner Aktion mit Seiichiro. Er drehte sich schließlich zu ihr, auch wenn seine nächsten Worte keine wirkliche Offenbarung waren. "Damit handelst du dir viele Feinde ein. Das ist gefährlich." Nun. Das wusste Sakura auch so. Und dennoch... "Du machst es doch auch." Hielt sie sanftmütig dagegen, sie wollte ihm damit keinen Vorwurf machen, aber er schlug sich ständig mit anderen, ob im wörtlichen oder übertragenen Sinne. Er machte sich ständig Feinde. Sasuke schmunzelte vage, obschon die Belustigung nicht wirklich echt war. "Du kannst uns beide nicht vergleichen, Spätzchen." Ein gutmütig gesprochener Neckname, in Reaktion zu welchem Sakura gespielt ihr feines Näschen kräuselte. Sie unterbrach ihn aber nicht. Wenn sie ein Spatz war, war er wohl der Adler und sie wusste, sein Rat war einer, den sie zu Herzen nehmen sollte. Immerhin wusste er aus erster Hand, wovon er redete, was sich mit seinem nächsten Sätzen bestätigte. "Ich habe mich mit Leuten geschlagen, seit ich 14 war. Ich habe damit eine ganze Menge mehr Erfahrungen, als du. Erfahrungen, die ich dich wirklich ungerne machen sehen würde." Schlägereien waren selten schmerzlos, ob für einen selbst, die Feinde von einem, oder alle um die zwei Parteien herum. Kämpfe waren nicht immer fair, und Kämpfe konnten nicht immer gewonnen werden. Diese Kunst in dem Ausmaße zu meistern, wie es Sasuke mittlerweile getan hatte, war überhaupt nicht einfach, weder war er soweit gekommen, ohne sehr oft sehr hart auf die Fresse gefallen zu sein und gehörig verzagt zu haben. Es hatte Zeiten gegeben, in denen er aus purem, böswilligen Wunsch, jemanden zu verletzen, sich mit anderen angelegt hatte. Zeiten, in denen Schlägereien die einzige Möglichkeit gewesen waren, den Tag zu überstehen, ohne dabei verrückt zu werden. Er hatte Kampf und Handgemenge zum Abreagieren und Luft ablassen genutzt, als Mittel zum Überleben, und zum Stillen der Rachsucht. Blut, gebrochene Knochen, Schmerzen und Krankenhausaufenthalte: er hatte es alles anderen beschert, aber auch oft genug sich selbst. Es hatte Narben hinterlassen, auf der Seele und auf dem Körper, und es hatte viel Zeit, Mühe und höchstwahrscheinlich eine gute Portion Glück erfordert, um diese Coolness, diese Gemütsruhe und innere Ausgeglichenheit zu entwickeln, die er jetzt hatte und die ihn das Kämpfen primär zum Selbstschutz und dem Schutz der Integrität von anderen verwenden ließ. Die ihm erlaubte, die Kraft und Stärke, die er über Jahre hinweg aufgebaut und erworben hatte, zum Beschützen und nicht zum Zerstören anzuwenden. Es war ein langer Weg gewesen, ein Weg, das Beschreiten von welchem er niemand anderem zumuten wollen würde, nicht mal um des gleichen Selbstbewusstsein- und Souveränitätswillen, die er nun selbst besaß. Es gab andere Wege. Bessere Wege. Besonders für Sakura. Worte, das war etwas anders. Echte Gewalt... wenn alles gesagt und getan war, war die Wahrheit im Endeffekt simpel... Ein gebrochenes Herz hatte immer noch die Chance auf Heilung. Ein gebrochenes Genick tat es nie. Besagtes Mädchen starrte gerade angestrengt auf ihre Hände, besonders die, deren Knöchel leicht geschwollen waren, der Ausdruck auf dem hübschen Gesichts kontemplativ und widerspenstig zugleich, als sie störrisch wisperte: "Er hatte es verdient." Sie verstand, was Sasuke sagte und sie konnte erspüren, warum er es sagte. Und dennoch... Dennoch... Der Neunzehnjährige lachte leise auf und schlang einen Arm um der kleinen Schönheit schmale Schultern, um sie sanft an sich zu ziehen. "Ich behaupte auch gar nicht das Gegenteil." Sie lehnte ihr schlaues Köpfchen gegen seine Brust und er stützte sachte sein Kinn auf dem weichen Haarschopf seidiger, pinker Strähnen ab. "Trotzdem. Keine verrückten Ausbrüche mehr. Wenn du jemandes Gesicht umgestaltet haben willst, sag einfach Bescheid und ich kümmer' mich darum." Es war besser so. Besser und ungefährlicher - für sie. Den Kopf etwas gedreht, um ihr anmutiges Antlitz teilweise an seiner Halsbeuge zu verstecken, dämmte Sakura ein klangvolles Kichern gegen die warme Haut dort. Seine Worte machten sie irgendwie verlegen und zugleich brachten sie eine Art Aufregung mit sich, die sie so noch nicht kannte. Er wollte sie beschützen...? Das brachte ihr zutrauliches, kleines Herz fast zum Zerbersten. Und die Idee, solche Angelegenheiten lieber ihm zu überlassen, war an sich vielleicht gar nicht verkehrt, immerhin wusste er sicherlich viel besser, wenn das Wort oder die Handlung von jemand anderem einen Schlag ins Gesicht, und wichtiger noch die damit verbundenen Konsequenzen, rechtfertigte. "Sind deine Eltern dir denn nie böse, wenn du dich ständig mit anderen anlegst?", fragte sie bedächtig und schaute auf, als sie seine plötzliche Anspannung spürte. "Nein." Seine Gesichtszüge versteiften sich in einem obskuren, verschatteten Ausdruck, Augenbrauen kaum merklich zusammengezogen. Sie konnte es fast fühlen, dass er dem Thema eher abgeneigt war, dennoch fasste sie den Mut und hakte nach. "Wo sind sie...?" Stille. Keine Regung, wenn er nicht atmen würde, wäre sie sich nicht mal sicher, ob es ein lebendiger Körper war, an den sie sich schmiegte. "Du hast gesagt, du hattest auch jemanden verloren-" Auch sie verstummte alsbald, denn seine Zeige- und Mittelfinger hatten sich sachte aber bestimmt gegen ihre Lippen gepresst. Er schaute zu ihr, aber sie konnte in seinem Blick nichts ablesen. Das kurze Schütteln des Kopfs, das darauf folgte, konnte sie ebenfalls nicht einordnen. Hieß es, er hatte damit nicht seine Eltern gemeint? Oder einfach nur, dass sie jetzt bitte von der Materie ablassen sollte? So oder so würde sie keine verbale Antwort bekommen, also nickte sie nur und seine Augen fokussierten sich wieder auf das Bild vom Meer und Himmel direkt vor ihnen. Sie folgte seinem Beispiel und lauschte für eine lange Weile dem Rauschen des sich wiegenden Wassers. Einige Minuten der Stille vergingen einmal mehr und sie fühlte sich... schuldig. Als hätte sie irgendetwas falsch gemacht, umso mehr, wenn sie wieder zu Sasuke aufblickte und jene stattlichen Gesichtszüge in einem Ausdruck sanfter, ruhiger Melancholie fand. Er schien weit weg mit den Gedanken zu sein und woran auch immer er gerade dachte... es machte ihn elegisch. Ihre zierlichen Finger berührten zärtlich seine Wange und brachten ihn dazu, wieder zu ihr zu schauen. "Es tut mir Leid...", wisperte sie in aufrichtiger Reue. "Ich wollte nicht-" Wieder ein kurzes Kopfschütteln. "Es ist alles gut." Sprach er zu ihr, oder zu sich selbst? In dem einen Augenblick konnte sie es schlecht sagen, doch lange darüber nachdenken konnte sie nicht, denn sein Blick wurde plötzlich von einer unbegreiflichen Intensität untermalt. Noch nie hatte sie jemand so angeschaut, so... durchdringend, sodass es den Eindruck erweckte, er wolle direkte Einsicht in ihr Herz erlangen. "Wieso hast du keine Angst vor mir?" Mit allem, was sie von ihm wusste. Allem, was sie von ihm schon gesehen hatte. Allem, was er ihr antun könnte, hier und jetzt, allein an einem abgelegenen Ort, wie diesem. Doch es war kein Fünkchen Unsicherheit oder Furcht in jenen fesselnden, tiefgrünen Augen. Nur Interesse. Vertrauen. Zuneigung sogar. Die Frage warf Sakuras Gedanken erst einmal gepflegt aus der Bahn, dann blinzelte sie und lachte leise und verdutzt auf. "Wieso sollte ich Angst vor dir haben?" Nun... zugegebenermaßen fielen ihr selbst prompt ein paar sehr legitime Gründe dafür ein. Doch sie fürchtete sich einfach nicht. Nicht vor ihm. "Ich denke, du bist... faszinierend." Gab sie leise zu und dieses Mal war es an Sasuke, leise und verdutzt aufzulachen. Faszinierend? Man hatte ihn ja schon als einiges bezeichnet, aber so auch noch nie. Es war doch tatsächlich das erste Mal seit Jahren, dass ihn jemand mal sprachlos gemacht hatte. Sie war einfach immer für eine Überraschung gut. "Ich wünschte, ich wäre so frei, wie du," fügte sie dann leise hinzu. Mit Wort, Tat, und Verhalten. Ohne die Pflicht, Fassaden aufrecht zu erhalten, um der gesellschaftlichen Position und Status Willen, ohne ständig darauf bedacht zu sein, Erwartungen zu erfüllen und Erfordernissen zu genügen, die darauf ausgerichtet waren, sie zu etwas zu formen, was sie gar nicht war. Ohne jemanden, außer sich selbst, der ihr sagte, was zu tun und zu lassen war. Sasuke legte seine Hand auf ihre Wange und strich mit den Daumen behutsam über die porzellanhelle, samtweiche Haut. "So stur, wie du bist, wirst du es eines Tages bestimmt sein." Er konnte sich ohne Probleme vorstellen, dass Sakura ihren Weg im Leben schon machen würde. Für ihr junges Alter war sie bereits ziemlich stark und erwachsen, sie hatte den Ehrgeiz und den Willen, das zu tun, was sie wollte. Vielleicht war es noch ein Punkt, in dem sie sich ähnelten. Er neigte den Kopf und küsste sie, und Sakura hatte das Gefühl, dass dieser Kuss anders war, als all die bisherigen, die sie miteinander geteilt hatten. Nur eine feste, einfache Berührung ihrer Lippen, zärtlich jedoch stark gegeneinander gepresst, die für einige bedeutsame Momente andauerte, Momente, in denen die gesamte Welt um sie herum sich abrupt auflöste und ihr Brustkorb immer erfüllter wurde von irgendeinem unbekannten Druck, bis sie das Gefühl hatte, gar keine Luft mehr zu bekommen. Es verdrehte ihr den Kopf in einer undefinierbar bittersüßen Art und Weise, sie wünschte sich, der Augenblick würde nie zum Ende finden. Das muss es sein, flüsterte ihr Verstand ihr zu. So musste es sich anfühlen... Der berauschende, freie Fall eines Herzens in die Fänge eines anderen. Sie konnte nicht mehr von diesem Jungen loskommen. Sie wollte nicht. Nicht in diesem Moment... und nie wieder. Ihre zierliche Hand verkrallte sich hilflos in seinem Hemd, doch zog ihn augenblicklich zurück und näher an sich, sobald sie sich kurz gelöst hatten und sie eine Lunge voll Luft schnappte. Ihre Lippen verschmolzen sofort wieder miteinander, brachten nur einen Millimeter Distanz zwischen ihnen und fanden keine Sekunde später wieder zueinander. Und einmal mehr und nochmal und immer wieder, kurz und feurig und unglaublich wundervoll, es brachte ihren grazilen Körper zum wohligen, aufgeregten Erzittern. Was machte er nur mit ihr... Sie wusste es nicht, aber es war wunderschön. Ihr ranker Körper presste sich instinktiv und fügsam dem seinigen entgegen, hungrig nach seiner Wärme und gewillt, ihn in ihre eigene einzuhüllen, bis er genauso wie sie alles andere um sich herum vergaß. Etwas, an dem Sasuke sich in der Tat gefährlich nah dran fand, insofern lehnte er sich aus ihrem Kuss heraus und hauchte einen unebenen Atemzug gegen jene vollen, feucht-schimmernden Lippen aus. "Ich sollte dich Heim bringen." Wenn das hier so weiter ginge, könnte er für nichts mehr garantieren. "Heim zu dir?", grinste Sakura ihm kokett und atemlos entgegen, woraufhin er eine dunkle Augenbraue anhob. Da wurde wohl einer mutig, oder vielleicht war sie es schon immer gewesen und es war nur ein weiteres der vielen Dinge, die er noch nicht von ihr kannte. Er schnaubte belustigt und stahl sich noch einen Kuss von jenem frechen Mundwerk. "Führ' mich nicht in Versuchung." Dann stand er in einer fließenden Bewegung auf und zog sie mühelos mit sich hoch, bevor sich runter zu beugen und seine Jacke vom Boden aufzuheben. Es wurde langsam kühler, und er reichte das Kleidungsstück an Sakura weiter, damit sie sich freudig in dieses einkuscheln konnte. Sie ihrerseits langte beiläufig nach seiner locker sitzenden Krawatte und richtete es um den Kragen des weißen Hemdes, bevor sie das reine Material kurz seine Schultern entlang glatt strich. Die Uniform stand ihm wirklich ausgezeichnet, umso mehr in seinem lockeren Still und individuellem Touch, der die Anzugsjacke durch das Leder, das er für den Moment an sie verliehen hatte, ersetzte, den habituell aufgerollten Hemdärmel und den paar geöffneten, obersten Knöpfen. Die schwarz-weiße Kombination harmonierte auch fehlerfrei mit seinen Haaren und seinen Augen, aus denen er sie bei ihrer kleinen Aktion mit leichter Interesse beobachtet hatte. So klein sie war, fand er ihre liebliche, flüchtige Geste dennoch... angenehm. Sakura drehte sich dann nochmal um, der fast untergegangenen Sonne entgegen. "Ne... Sasuke." Starke Arme umfingen ihre Taille von hinten, sie spürte seine Wärme hinter ihr und lehnte sich entspannt zurück gegen den gut gebauten Körper, während dessen Besitzer ein ruhiges "Hm?" an ihrem Ohr verlauten ließ. "Gehen wir jetzt miteinander aus...?" Eine kurze Pause, in der sie die federleichte Brise seines Atems gegen ihre Haarsträhnen genoss. "Ich schätze, schon." Sie lächelte selig für einen Moment, legte dann ihren Kopf in den Nacken und somit auf seine breite Schulter, blickte nachdenklich zu ihm auf. "Was sollen wir machen? Wegen Seiichiro, wegen der Schule..." Sasuke blickte zu ihr runter. "Was immer du willst." Aus dem Augenwinkel unergründlich schwarzer Tiefen sah er ihre Hand, die sie erhoben hatte, um ihre feingliedrigen Finger sanft in seinem dunklen Haar zu verwickeln und durch die weiche Strähnen gleiten zu lassen. "Hast du gar keine Angst?" Es gab hunderte Pärchen an der Schule, klar, doch sie beide... Sie brachen alle möglichen, ungeschriebenen Regeln und Erwartungen und die Aufruhr würde riesig sein. Die ungekrönte Eisprinzessin und der vermeidliche Gangster... Was für eine Konstellation. Seine Antwort kam wie erwartet, simpel und selbstbewusst. "Nein." Es brachte sie nur dazu, etwas breiter zu lächeln. Sie konnte nicht anders, als seine unerschütterliche Ruhe und Sicherheit zu bewundern. Wie konnte sie selbst diese erwerben? Vielleicht könnte er es ihr irgendwann beibringen... diese Furchtlosigkeit, diese Gelassenheit. "Ich schon..." Flüsterte sie, als sie in dem geheimnisvollen Enigma seiner Augen versank. Was versteckte sich dahinter? Wer war Uchiha Sasuke wirklich? "Holst du mich morgen von Zuhause ab?" Er schmunzelte amüsiert. "Bist du dir sicher?" Wenn sie morgen zusammen auf seinem Motorrad in der Schule eintrudelten, würde das definitiv eine glasklare Aussage präsentieren, besonders nach den heutigen Ereignissen. Sakura nickte, fest und selbstbewusst, genauso wie ihre melodische Stimme, die bestimmt verkündete: "Absolut." Klar schüchterte sie die Vorstellung von den Reaktionen der gesamten Schule irgendwo ein, aber... das war egal. Sie wollte sich nicht verstecken, nicht mehr. Besonders nicht nach allem, was schon passiert war... Besonders nicht, wenn es um sie und Sasuke ging. Sollen die anderen doch denken und sagen, was sie wollten... Sie würde zu ihm stehen. Und er... was würde er tun...? Die Antwort auf diese Frage erhielt sie umgehend. Sasuke neigte seinen Kopf etwas und sie spiegelte seine Bewegung, nur in die entgegengesetzte Richtung. Das brachte ihre Lippen in perfekte Position, als sich ihre Nasenspitzen etwas seitlich berühren. "Halb acht, dann." Ihre langen, fein geschwungenen Wimpern flatterten einander entgegen und raubten ihr die Hälfte ihrer Sicht, die Hitze seiner Lippen so nah, es war fast unerträglich. "Halb acht, dann..." Wiederholte sie im zugetanen Wispern und schloss die Augen mit einem tiefen, erlösten Seufzen komplett, als ihr hübscher kleiner Mund sich endlich von seinem verschlossen fand. Glücklicherweise verblieb das noch nicht der letzte Kuss, den sie heute teilen würden, einen mehr durfte sie ihm vor dem Ende dieses ereignisvollen Tages noch rauben und zwar vor der Schwelle ihres verhassten Zuhauses. Sie kostete die vorerst letzte Berührung dieser Art vollends aus, was einige wunderschöne Minuten in Anspruch nahm, bevor sie sich verabschiedeten und sie sehnsüchtig den vertrauten, roten Rücklichtern nachschaute, die sich rasch entfernten. Sie wünschte sich, er hätte sie wirklich mit Heim genommen. Zu ihm. Sasuke hingegen, fand sich ungemein erleichtert, dass er dies heute nicht getan hatte. Nicht etwa, weil er der Idee abgeneigt war, ganz und gar nicht. Der Grund war ein anderer und stellte sich erst dann heraus, als er die Tür zu seiner Wohnung aufsperrte und in die abendliche Halbdunkelheit dahinter eintrat. Seine exzellent geschärften Sinne alarmierten ihn sofort: jemand war hier. Jemand, der hier nichts zu suchen hatte, denn außer ihm selbst besaß niemand einen Eingangsschlüssel. Selbigen legte er vorsichtig zusammen mit seinem Helm auf die Kommode und während eine Hand sachte die Tür hinter ihm schloss, griff die andere hinter den Spiegel, der an besagter Kommode dran montiert war. An der rauen Oberfläche aus gepressten Spännen erspürten seine geschickten Finger das dünne, lange Jagdmesser, das sich dort, an kleinen metallischen Haken befestigt, versteckte. Er holte es hervor und richtete es in einer fließenden, geschwinden Bewegung in seiner Hand, die Spitze rechtwinklig davon weg und die Klinge nach oben und vorne ausgerichtet, bevor sein Handgelenk es etwa eine Unterarmlänge professionell vor sich fixierte. Die eigene Anwesenheit hatte er zweifelsohne beim Eintreten verraten, aber es könnte durchaus sein, dass der unwillkommene Eindringling erwartete, dass es unbewaffnet war. Er schlüpfte aus seinen Schuhen, seine Schritte nunmehr leicht und kaum hörbar auf sockenbedeckten Sohlen, die ihn vorsichtig und langsam voran trugen. Die tiefroten Abschiedsstrahlen der untergehenden Sonne tauchten das Wohnzimmer in ein dunkles, von Schatten durchgezogenes Scharlach und der Blick nachtschwarzer Augen schoss wie ein Dartpfeil Richtung der langsam aufgehenden Küchentür. Alle Muskel spannten sich an, die Finger um den Griff des Messers drückten fester zu, der Herzschlag ruhig und stabil. Eine Sekunde... zwei, drei... Er huschte vorwärts gleich geöltem Blitz und die Gestalt, die herausgetreten war, machte einen Satz zu Seite, um der kalt aufblitzenden Messerschneide, die mit einem bedrohlichen Rauschen knapp an der Kehle vorbei zischte, auszuweichen. Das gedämpfte Klatschen einer handschuhbedeckten Handfläche gegen die nackte Haut seines führenden Handgelenks, ein geübter Griff und Sasukes Rücken prallte gegen den Boden, auch wenn es ihn kaum in seinen Handlungen beirrte. Aus der liegenden Position heraus schlug er nach den Beinen seines Gegners, verfehlte diese dank der Rückwärtssprungs des Anderen nur knapp und rollte sich gekonnt vom Kreuz aus seitlich wieder auf die Beine. "Sasuke." Das Klicken des Lichtschalters begleitete die beschwichtigende, geruhsame Stimme, die erklang und er kniff ob der abrupt geänderten Helligkeitsverhältnisse für einen Moment die Augen zusammen. Als er sie wieder aufmachte, hatte sich seine Hand mit dem todbringenden Werkzeug in dieser bereits gesenkt. "Sensei." Eine Note Unglaube schwang in seinem Ton mit, die Person vor ihm hatte sich schon seit fast zwei Jahren nicht vor ihm gezeigt. Sie telefonierten zwar regelmäßig jede paar Wochen miteinander, um sicher zu stellen, das an beiden Enden alles in Lot war, aber wirklich gesehen hatten sie sich schon fast zwei Dutzend Monate nicht mehr. Der Mann ihm gegenüber lachte leise auf und schüttelte leicht den Kopf. "Oi, oi. Du hast mich fast erwischt." Er hob die Hand und berührte die Seite seines Halses, die mit dunkelblauem Stoff bedeckt war und einen kleinen Schnitt im Material aufwies, dort, wo Sasukes Messer es gestreift hatte. "Selber Schuld. Was schleichst du auch in meiner Wohnung umher?" Schnaubte der Junge und drehte selbiges Messer flink einmal um seine Finger, bevor es auf dem Glastisch abzulegen. "Ich wollte nur sehen, wie gut du bist." Ein Lächeln, obschon man den Ausdruck nur dank der winzigen Falten am Augenrand erahnen konnte, denn fast das komplette Gesicht seines Gesprächspartners war verdeckt. "Ich kann nicht sagen, dass es mich nicht freut, zu sehen, dass du dich gar verbessert hast." Die dünne, dunkelblaue, eng anliegende Stoffmaske, die geschmeidig in den Kragen eines Unterhemds überzugehen schien, verhüllte alles ab der Nasenbrücke herab und ein Band quer über eine Gesichtshälfte verbarg das linke Auge und einen Teil der Stirn. Silbernes Haar stand in einem spitzen Styling ab und die schwarze Pupille, die ihn aufmerksam musterte, verblendete sich fast mit dem natürlich dunklem Braun der Iris. "Nun, du warst schon immer ein kleiner Perfektionist." Sasuke runzelte die Stirn. "Warum bist du hier, Kakashi-sensei?" Es war besorgniserregend, denn sein Lehrmeister würde sich nicht die Umstände machen, vom anderen Ende des Landes anzureisen, wenn es nicht irgendetwas Ernstes war. Angesprochener schmunzelte nachsichtig. "Und immer noch genauso grantig, wie ich sehe." Er war gewachsen... Nicht mehr der 17-jährige Jugendliche, den Kakashi vor zwei Jahren in diese Stadt brachte, Sasuke war nunmehr fast ein Mann. "Du hast in der letzten Zeit nicht zufällig irgendwelchen Bonzen in die Suppe gespuckt?" Dem schweren Ausatmen des Jungen vor ihm zu urteilen, hatte er ins Schwarze getroffen. "Mehr oder weniger. Wieso?" Der Silberhaarige lehnte sich locker gegen die Wand hinter ihm und verkreuzte die Arme vor der Brust. "Das war nicht sonderlich schlau. Du weißt, wie gefährlich solche Leute sind. Besonders für dich." Seine Intonation war versöhnlich und doch unterlegt mit milder Zurechtweisung. Sasuke hob eine Hand und kniff mit Daumen- und Zeigefinger seine Nasenbrücke. Wunderbar, er hatte sich bei der Sache mit Seiichiro also doch Kopfschmerzen eingehandelt. "Es war keine Absicht." Gab er nonchalant zu Antwort. Keine Rechtfertigung, eher eine Feststellung. Kakashi seufzte leise auf. "Nun, Absicht oder nicht, du hast ihr Augenmerk auf dich gelenkt. Sie graben." Und das war nicht gut. Das brachte alles, was Sasuke mit seiner Hilfe hier aufgebaut hatte, in Gefahr. "Gestern hat jemand versucht, auf die Datenbank der Schule zuzugreifen. Spezifisch auf deine Daten." Diese waren natürlich verschlüsselt und wurden mit strenger Vertraulichkeit behandelt, aber- "Nachdem sie dort nicht erfolgreich waren, haben sie im allgemeinen Datennetzwerk herumgestochert. Landesweites Schnupperstündchen bei der Polizei, den Geheimdiensten, Gemeindebehörden, Geburtshäusern. Sie wollen unbedingt wissen, wer du bist." Er beobachtete, wie die stoische Maske der Gelassenheit auf jenen stattlichen, jugendhaften Konturen einen Riss der inneren Befangenheit bekam. "Ich habe den Schaden in Grenzen halten können, doch... Sasuke, dieser Jemand, den du angepisst hast. Wenn er die Macht und das Geld hat, solche Recherchen zu veranlassen, wärst du gut dran, ihn umgehend in Ruhe zu lassen." Falls es dafür nicht schon zu spät war. Sich in den Sessel fallen lassend, stützte Sasuke die Ellenbogen auf seinen Knien ab und verflocht die langen Finger zu einem Netz vor seinem Kinn. Er hätte nicht gedacht, dass Seiichiro dermaßen am Rad drehen würde. Vielleicht hatte er es bei der Sache im Club übertrieben, oder vielleicht hatte er seinen Klassenkameraden einfach nur unterschätzt. Nur weil er Sasuke nicht im echten Kampf ebenbürtig war, hieß nicht, dass er ihm nicht trotzdem gehörig eine verpassen konnte. Wenn es drauf ankam, war Sasuke immer noch mehr oder minder ein Normalo und Seiichiro der Sohn eines Magnats. Physische Stärke außen vor... der Kräfteunterschied war gewaltig. "Und wenn er mich nicht in Ruhe lässt?" Stellte er die bedächtige Frage, auf die er die Antwort fast schon absehen konnte. Starke Finger in fingerlosem Handschuh fuhren sorgenschwer durch kobaltgraues Haar. "Dann... Sobald du dein Abschlusszeugnis hast..." Kakashi beendete den Satz nicht, zusehend, wie sich jene schwarzen Augen langsam schlossen und dann genauso langsam wieder öffneten. "Ich verstehe." Sasuke sprach besinnlich und ruhig. Zu ruhig, und genau das gab dem Mann, der ihn von Kindesbeinen an kannte, umso mehr Hinweise auf seinen eigentlichen Gemütszustand. Dabei gab es eigentlich noch mehr Dinge, die er ihm sagen wollte - sagen sollte - doch vielleicht war gerade jetzt nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Falls er überhaupt je richtig sein würde... "Sensei." Sasuke blickte auf, konzentriert und aufmerksam. "All dies war unheimlich schnell. Sogar für dich. Hast du neue Freunde gemacht, von denen ich nichts weiß?" Ungeachtet des gefährlichen und teils riskanten Arbeitsfeldes seines Lehrmeister... diese Effizienz und Handlungsbreite war beachtlich. Kakashi schnalzte mit der Zunge, ein Funken Amüsement im tiefbraunen Auge. "Nun, du bist nicht der Einzige, der besser geworden ist. Oder neue Freunde gemacht hat." Bei dieser Ergänzung wurde er wieder ernst und genauso verließ die nächste, geruhsame Frage seine Lippen: "Du weißt schon, wessen Tochter sie ist?" "Stieftochter." Korrigierte Sasuke beiläufig. Also wusste er sogar schon von Sakura? Beachtlich. Wer auch immer diese neuen Freunde, die der Mann gemacht hatte, waren, zu spaßen war mit ihnen nicht, auch wenn es in diesem Falle glücklicherweise Sasukes Vorteil war. Ein Schulterzucken seitens Kakashi. "Tut nichts zu Sache. Wenn du zusätzlich auch noch ihrem Vater irgendwie in die Quere kommst-" "Ich weiß." Unterbrach der junge Uchiha resolut. Er wollte es nicht hören. Sah so aus, als hatte er sich einmal mehr ein instabiles Kartenhäuschen aufgebaut und ein einziger Schnipser konnte es zum Zusammenbrechen bringen. Wieso tat er sich das an? Wieso gerade sie? Wieso gerade jetzt? Fast drei Jahre... Würde jetzt alles kollabieren, nur ihretwegen? Verdammt. Verdammt, verdammt, verdammt. Er atmete gezwungen aus. "Ich brauch' eine Mütze Schlaf." Den Jungen vor sich anschauend, wurde Kakashis Herz ungewollt schwerer. All diese Jahre über hat Sasuke sich so sehr drauf gestählt, keine Bindung mit anderen einzugehen, einfach nur, weil es so besser und ungefährlicher war. Dennoch... tief drin sehnte er sich wie jeder normale Mensch danach, tief drin glimmerte auch in ihm die kleine Hoffnung auf Glück und unbeschwertes Zusammensein mit jemandem, der ihm etwas bedeutete, und wenn es nur eine Person sein sollte. Eine Person war bereits genug... nur eine. Er schien sich hier gut eingelebt zu haben, er schien sogar so etwas wie ein ernstes Band zu diesem Sakura-Mädchen geknüpft zu haben. Oder wenigstens damit angefangen und obschon es noch ganz in den Anfängen war, verspürte er bereits jetzt schon den unkontrollierbaren Unwillen, es einfach so aufzugeben. Nach allem, was er in seinen jungen Jahren durchgemacht hatte, verdiente er zweifelsohne diese Chance auf Ruhe und Glücklichsein. Kakashi wünschte sich nur, er könnte mehr tun, um ihm das auch zu ermöglichen. Nun... wenn er die richtigen Quellen dazuschaltete, konnte er das sogar vielleicht. Die Frage war nur, wie Sasuke darauf reagieren würde, sobald er jene Quellen offen legte. Was für eine Zwickmühle... die momentan so oder so irrelevant war. Das Wichtigste hier und jetzt war, dass er seinem Schützling den Beistand zukommen lassen wollte, für den er die lange Reise für ein persönliches Treffen überhaupt auf sich genommen hatte. Sakura hatte mit ihren Gedanken natürlich Recht gehabt, Sasukes Lebensstil war für einen Schüler nicht zu unterhalten, egal, wie gut er seinen Teilzeitjob machte, aber materielle und finanzielle Absicherung war nicht die einzige Art Unterstützung, die Sasuke von der einzigen Person, die man gut und gerne noch Familie nennen konnte, bekam. Kakashi stieß sich von der Wand ab und trat zum Sessel, um dem Jungen darin sachte seine Hand auf die stramme Schulter zu legen. "Sasuke... Ich kann dir nicht vorschreiben, was du tun sollst." Dafür war er zu erwachsen. Zu eigensinnig und zu engstirnig, war er schon immer gewesen. "Nur, pass auf dich auf." Er drückte jene Schulter, sanft aber bestimmt. "Und wenn's doch hart auf hart kommt..." ich stehe hinter dir. Er hoffte, Sasuke wusste das auch. Er war in all dem hier nicht allein. Erwähnter nickte erschöpft. "Ja. Danke, Sensei." Er wollte nicht mehr nachdenken. Er wollte einfach nur ins Bett fallen und schlafen. Er wollte einfach nur morgen aufstehen, auf sein Motorrad aufsteigen und Sakura Zuhause abholen. Wie versprochen, um halb acht... Kapitel 9: Donnerschlag ----------------------- [Montag, 13 Juli, 18:42 Uhr] Was Sakura bei ihrer Rückkehr nach Hause erwartete, waren keine alten Bekannten, sondern der angesäuerte Ruf ihrer Mutter, sobald das Mädchen die Tür ins Schloss hatte fallen lassen: "Sakura? Bist du das?" Sie seufzte bedrückt auf und meldete sich widerwillig mit einem "Ja," wohl wissend, dass sie in Schwierigkeiten steckte. "Würdest du bitte herkommen? Ich muss mit dir reden." Ach, was ein Wunder. Sie wollte endlich mal mit ihr reden. Sakura konnte die Bitterkeit dieses Gedanken fast auf der eigenen Zunge schmecken und es brachte ihre Stimmung abrupt dazu, in Gereiztheit umschlagen, sodass sie sich nicht mal die Mühe machte, ihre Schuhe auszuziehen, als sie in Richtung der edel eingerichteten Küche stampfte. Ihre Mutter erblickte sie dort, Nagasawa Yukiko stand in aller Strenge an dem reich gedeckten Tisch. Harter Blick, zierliche, in schmale Hüften gestemmten Hände, angespannte Gesichtsmuskeln... Sakuras Konturen und Haltung versteiften sich im Echo daran ebenfalls sofort. Ein Sturm war im Anmarsch. "Dein Schulleiter hatte angerufen, er sagte, du hattest jemanden geschlagen? Und dann bist du aus dem Nachsitzunterricht ausgerissen?" Es fiel Yukiko sichtlich schwer, ihre melodische Stimme nicht über Zimmerlautstärke anzuheben, insbesondere da ihre Tochter stur und teilnahmslos an ihr vorbei auf die sauber glänzende Tischplatte starrte. "Ich habe alle deine Freunde angerufen und die halbe Stadt in der Suche nach dir abgefahren." Ein Kampf gegen die innere Verstimmung, den Yukiko verlor, als sie schließlich doch zunehmend lauter wurde. "Niemand wusste, wo du bist! Sakura, kannst du dir überhaupt vorstellen, wie besorgt ich war?!" Sie atmete gezwungen aus in einem vagen Versuch, sich wieder zu beruhigen, während ihr Kind einfach nur dastand, still und unbeweglich. Nur zuhörend. "Was ist in der Schule passiert? Wo warst du die ganze Zeit gewesen?" Wieder nichts, nur störrische Wortlosigkeit. Kein Augenkontakt, nur eine düstere Miene auf dem filigranen Gesicht, dessen Schönheit sicherlich ein Erbe. Die selbe Schönheit, die auch der Mutter gebührte, auch wenn ihr hübsches Gesicht momentan durch Verzweiflung und Sorge verzerrt war. Sie begriff sehr gut, dass sie ihr Kind einfach nicht mehr erreichte. Seit einer langen Zeit nicht mehr. Es schien als driftete es immer weiter von ihr weg und die meisten Gründe dafür... wusste sie. Die ehemalige Frau Haruno schüttelte den Kopf und presste eine Hand gegen ihren Mund, dämpfte somit ein Flüstern und ein schweres Seufzen gegen die Handfläche. "Du hast solch ein Glück, dass dein Vater heute morgen auf Geschäftsreise ging. Dass er nichts hiervon erfahren hatte." In diesem Moment hob Sakura abrupt den Kopf, ein jähzorniges Aufblitzen erleuchtete ihre hellgrünen Augen. "Er ist nicht mein Vater," zischte sie erbost, was ihre Mutter zum hilflosen Anstarren bewegte. "Hör auf, das zu sagen!" Sie war nunmehr fast am Schreien und einmal mehr, wie all die Male zuvor, begriff Sakura mit schmerzvoller Verzagtheit, wie sinnlos das alles hier war. "Hör auf, ihn ständig zu verärgern! Warum musst du ihn immer wieder provozieren?!" So viel Verzweiflung in jener Stimme, so viel Unverständnis und das machte Sakura im Gegenzug umso wütender. Warum? Warum?! Sie fragte wirklich nach dem gottverdammten warum?! "Weil ich ihn hasse!" Das scharfe Lufteinziehen ihrer Mutter ignorierend, gab es für sie letztendlich kein Halten mehr. Sie hatte schon zu oft geschwiegen und alles, was sie mühevoll in sich verschloss, immer und immer wieder, brach mit einem Schlag aus ihr heraus. "Ich hasse dieses Haus, ich hasse diese Umgebung, ich hasse diese Schule! Ich hasse dieses Leben, das wir führen, Mutter!" Besagte Frau war in zwei schnellen Schritten bei ihr und der scharfe Hall der Ohrfeige vibrierte durch den Raum sowie durch Sakuras Wange, die augenblicklich rot und von einem brennenden Schmerz eingehüllt wurde. "Hör auf!" Jetzt schrie ihre Mutter wirklich, und jede Silbe schlug durch Sakuras Brust hindurch, wie sadistische Gewehrkugel, die sie nicht umbringen, sondern ihr nur weh tun würden, ganz egal, wie oft sie ihr Herz trafen. "Hör auf, so egoistisch zu sein! Du, du, du! Mein ganzes Leben dreht sich seit Jahren immer nur um dich! Dein Glück, deine Zukunft! Ich habe mein Bestes gegeben, nachdem dein Vater gestorben war, ich habe alles für dich getan! Ich wollte dir alles geben! Und jetzt hast du es! Du hast alles, Sakura, du kannst alles haben, was du willst!" Ein sorgenloses Leben in Fülle und Hülle, Geld, Ansehen, Ruhm, Macht, alle Wege standen ihr offen... Warum nur, warum nur war sie so versessen darauf, es alles weg zu werfen? Sich so rigoros dagegen zu stemmen, gegen Ryuutarou zu rebellieren, es alles kaputt zu machen... Alles, was sie für ihre Tochter aufgegeben und getan hatte, und trotzdem, dies hier... Warum? "Ich brauche dein Alles nicht! Ich brauche deine Aufopferung nicht!" Sakuras Stimme überschlug sich nunmehr ebenfalls. "Ich will eine Mutter, die sich genauso um ihr eigenes Glück bemüht, wie um meins!" Diese Pein. Dieses Leiden. Sie beide waren nicht diejenigen, die diese Hölle verdienten, nein... Aber nichtsdestotrotz waren sie beide es, die qualvoll in ihr schmorten. "Und das hier..." Sie griff zum Kragen ihrer Bluse und riss gewaltsam dran, kleine Plastikknöpfe fielen mit seichtem Klimpern auf den gefliesten Boden. Sie zog eine Seite runter und drehte sich halb zu ihrer Mutter, beobachtend, wie diese zurückschreckte ob des Anblicks der argen, blau-rot-gelblichen Flecken auf der hellen Haut. "Und das hier..." Sakuras Finger deutete anklagend auf die geplatzte Unterlippe ihres Elternteils, ein Memento, das die Rage ihres Stiefvaters auch bei ihr hinterlassen hatte und ein Bild, das Sakura selbst zehntausend mal mehr weh tat, denn ihre eigenen schamvollen Verletzungen. "Das kann's nicht sein! Das ist nicht okay, Mama!" Konnte sie es nicht sehen? Wollte sie es nicht? Oder war es sie, Sakura, die in all dem Unrecht hatte? Die blind war? Die nicht verstand? "Das ist das Leben, Sakura..." Mit einem Male klang ihre Mutter so, so müde. Fast schon resigniert. Fast so, als habe sie etwas essenziell Überlebenswichtiges schon vor langer Zeit aufgegeben, doch ihre erschöpfte Ausrede konnte ihr aufgebrachtes Kind absolut nicht beruhigen. Sakuras Hände ballten sich zu Fäusten, die ordentlich gemachten Fingernägel schnitten tief in die zarte Haut der Handflächen. "Erspar' mir den hirnlosen Scheiß! Es ist nicht so, als hätten wir keine verdammte Wahl!" Diese lächerliche Belehrung, dass das Leben unveränderbar war und man sich seinem Schicksal zu fügen hatte, die ihre Mutter ihr hier gab; das konnte und wollte sie nicht akzeptieren. "Halt sofort den Mund! Was ist das für eine Ausdrucksweise?!" Yukiko war sichtlich und zutiefst geschockt, und vollends verzweifelt, da ihre Tochter dem, das so sehr schmerzte, einfach keine Ruhe gab. "Um Himmels Willen, was passiert nur mit dir?! Du schlägst dich mit anderen, reißt aus der Schule aus, treibst dich weiß Gott wo herum und machst da weiß Gott was! Wieso tust du mir das an?!" Sie sank auf den nächstbesten Stuhl und ließ ihren Kopf auf ihre Arme fallen. Wenig später brach sie in Tränen aus, in bitteres, lautes, herzzerreißendes Weinen. Mit der Situation letztendlich überfordert, weinte sie nicht nur wegen ihrer Tochter, die sie so sehr liebte und die sie trotzdem, Stück für Stück, verlor. Sie weinte wegen allem. Weil sie die Wahrheit wusste, weil es weh tat. Trotz aller Verleugnung und trotz allen Mühen, sich selbst zu belügen... es tat weh. Sakuras Zähne vergruben sich hart in ihre Unterlippe, ihre Augen gerötet ob der Anstrengung, die eigenen Tränen verbissen zurück zu halten, ihre Starrsicht aus dem Küchenfenster heraus unscharf und verschwommen. Sie konnte es nicht ertragen; die verzweifelten Tränen ihrer Mutter, diesen Streit, die Hoffnungslosigkeit von all dem hier. Konnte es nicht ertragen, ihre Mutter zu verletzten, konnte es nicht ertragen, von ihr verletzt zu werden. Immer und immer und immer wieder, ohne, dass sich je etwas daran änderte. Sie wollte einfach nur weglaufen... Weg von allem hier, einfach nur weg, weg, weg, weit weg... "Sakura! Komm zurück!" Die weinerliche Stimme ihre Mutter, die ihr nachklang, als sie aus der Küche rauschte, hastig ihre Jacke vom Haken griff und aus der Eingangstür stürmte. Sie drehte sich nicht um. "Liebling, bitte!" Doch sie hörte nicht zu. Die Treppen runter, aus dem großen Tor raus und wahllos die Straßen entlang. Hinaus ins nirgendwo... auf dem Weg irgendwohin... Einfach nur weg. Wie viel Zeit seitdem verging, wusste keiner zu messen. Es war tiefe Nacht und Sasuke träumte ein Wirrwarr aus Surrealismus und Erinnerungen, als sein Unterbewusstsein Ereignisse, Gefühle und Gedanken der letzten Tage verarbeitete und es alles zu etwas Unbegreiflichem vermischte. Ein harter Aufprall, mit dem er zu Boden geschickt wurde, der Griff des Messers glitschig in seiner feuchten Handfläche. "Steh auf." Ein streng gesprochener Befehl und er zwang seinen ausgepowerten, mitgenommen Körper dazu, dem Folge zu leisten. Alles schmerzte, seine Fokus verschwamm dann und wann, doch seine Beine hielten ihn mit leichtem Zittern aufrecht, schwer atmend und schweißgebadet. Er stürmte voran, schlug nach seinem Gegner und dieser wich aus, schnappte sein Handgelenk und verdrehte es mit geübter Leichtigkeit, sodass seine Hand das Messer ungewollt loslassen musste. Noch ein gekonnter Griff, und er traf einmal mehr hart auf dem Boden auf. "Noch mal." Sich aufrappelnd, konzentrierte er den stechenden, jähzornigen Blick seiner Augen auf dem halbmaskierten Gesicht, das dunkelbraune Auge, das ihn mit ruhiger Wachsamkeit eingehend musterte. Eine Serie aus Tritten und Schlägen, die allesamt dank präziser Evasion seines Gegenübers daneben gingen, und die Bretter des Dojos krächzten einmal mehr unter seinem Gewicht, als er auf diese geschickt wurde. "Noch mal." Alles drehte sich und plötzlich war es Nacht, ein zierlicher Körper gepresst an die kalte Wand des Clubs, verschreckte grüne Augen und Seiichiros hämische Miene. Diesmal traf seine Faust, und Seiichiros Gestalt krümmte sich auf dem Boden. "Steh auf." Diesmal war es seine eigene Stimme, doch Gehorsam wurde ihm nicht geleistet. Er griff den Kragen des Jungen und zerrte ihn auf die Füße. Holte aus, und schlug zu. "Noch mal." Eine vertraute Anweisung, doch sie kam aus dem nirgendwo, trotzdem befolgte er sie gehorsam. Harte Schläge, ohne Zurückhaltung, ohne Gnade, ohne Reue. "Noch mal." "Noch mal." "Noch mal." Es spielte sich wie eine Schleife in seinem Kopf, geflüstert von irgendetwas, das tief drin pulsierte. Er hörte das eklige Knacken brechender Knochen, fühlte die zähe Hitze des Bluts, das von seiner mechanisch arbeitender Faust tropfte. Er begriff so klar, dass dieser Mensch, auf den er einschlug, sterben würde, wenn er nicht aufhörte. Aber er konnte nicht stoppen. "Noch mal." "Iyaaaah!" Der hohe Schrei ließ ihn abrupt inne halten, die blutige, menschliche Form vor ihm auf dem Boden regte sich kaum in der roten Lache, die sich rasch kreisförmig unter dem röchelnden, spastisch zuckenden Gestalt ausbreitete. Er sah auf und starrte in vor Angst und Schock weit geöffnete, tiefgrüne Augen, die zierlichen Hände krampfhaft über dem lieblichen Mund gepresst. Er blickte runter auf seine in Scharlach verschmierten Hände, sah zu, wie eine davon sich hob und kleine, rote Tröpfchen von ihr fielen, als er sie nach dem geschockten, hübschen Wesen vor ihm ausstreckte. Sie schüttelte den Kopf und taumelte zurück. Sein Herz schlug schnell und wild, er machte einen Schritt auf sie zu und spürte ein eisiges Hauchen in seinem Rücken, das ein beklemmendes, kaltes Gefühl der Angst hochsteigen ließ. Undurchdringbare Dunkelheit hinter ihm, und direkt aus ihr schossen bizarre, schwarze Klauen, welche lange Krallen in ihn schlugen. Sie gingen wie Fleischhaken durch Haut, Muskel, und Knochen, das Blut, das spritzte, war nunmehr sein eigenes. Sie zogen ihn hinein in die Schwärze, und alles, was er vor sich sah, war jenes schöne Antlitz und die blanke Furcht in hellen, schreckgeweiteten Augen. Seine blutverschmierte, ausgestreckte Hand zitterte, doch jene zierlichen Füße machten nur einen weiteren Schritt zurück, sie weichte weg von ihm mit einem schockierten, entgeisterten Kopfschütteln. Schwärze war in seinem peripheren Sichtfeld, nunmehr war es, als wäre er in einem langen Tunnel und das Licht in der Öffnung wurde immer schmaler genauso wie ihr hübsches Abbild, je weiter die unbarmherzigen Krallen ihn hinein in die Dunkelheit zogen. Ein hoher Laut in seinen Ohren. Das Fleckchen Licht wurde immer kleiner und kleiner. Der hohe Laut wiederholte sich. Zuerst dachte er, das Geräusch war nur in seinen Träumen. Wie ein mildes Surren, das langsam in ein höher klingendes Geklirre überging und letztendlich zu einem schrillen Klingeln wurde. Was zum... Die Augen einen Spalt breit öffnend drehte Sasuke sich von der Seite auf den Rücken und starrte erst mal benommen die Decke an, auf der Mondschein und Schatten ein seltsames Muster kreiert hatten. Den Arm ausgeworfen griff er nach seinem Handy auf dem Nachttisch und drückte den winzigen Knopf auf der Plastikumrandung, damit der Display ihn mit seiner plötzlichen Helligkeit zunächst blendete und dann die Uhrzeit verriet. Es waren unglaubliche 1:52. Was zum Teufel...? "Verflucht...", knurrte er und grimassierte verstimmt, als das penetrante Geräusch der Türklingel einmal mehr unangenehm in seine Ohren schnitt. Da klingelte tatsächlich irgendein Lebensmüder um gottverdammte zwei Uhr nachts an seiner Tür, wo er es doch endlich nach großer mentaler Anstrengung geschafft hatte, sich zum Einschlafen zu bewegen, auch wenn er auf den dazugehörigen Traum getrost verzichtet hätte, was seine allgemeine Stimmung und Gemütszustand noch düsterer machte. Wenn es hier nicht um Leben und Tod ging, würden hier verfickt nochmal Köpfe rollen. Leise vor sich her grummelnd schwang Sasuke seine Füße aus dem Bett, fuhr sich einmal frustriert mit der Hand übers Gesicht und ging so wie er war, in simpler schwarzer Boxershorts bekleidet, zu Tür. Die Mühe, irgendwo einen Lichtschalter zu betätigen, machte er sich nicht und das, was er beim Aufmachen der Eingangstür erblickte, traf ihn ganz und gar unvorbereitet. "Sakura?" Im Licht des Treppenflurs gebadet stand tatsächlich diese eine Gestalt vor ihm, tiefgrüne Augen starrten ihn an, als ob auch sie Schwierigkeiten damit hatte, zu glauben, wen sie da vor sich sah. Sasukes Augenbrauen zogen sich in einem unmutigen Ausdruck zusammen. "Was zur Hölle machst du hier?" Fragte er mit ziemlicher Schärfe in der Stimme, was Sakura zum schuldigen Absenken ihrer Augen verleitete, während sie eine leise Antwort gab: "Ich... wusste nicht, wo ich sonst hingehen sollte..." Alles, was diese Replik bewirkte, war, dass Sasukes Brauen noch tiefer Richtung Nasenbrücke rutschten. "Wie wär's mit - nach Hause?" Die verärgert-angesäuerten Noten in seiner Stimme zwangen sie dazu, den eigenen Körper hilflos mit den Armen zu umschlingen. "Ich kann nicht... es ist kein... kein Zuhause..." Wisperte sie verloren, womit sie einen langen, durchdringend stechenden Blick kassierte. Vielleicht war es die falsche Entscheidung gewesen, hierher zu kommen, aber sie hatte wirklich niemanden mehr, an den sie sich wenden konnte und nachdem sie stundenlang in der Stadt umhergestreut war, hatte sie die Dunkelheit der Nacht doch genug verschreckt, dass sie sich schutzsuchend vor seiner Tür wiederfand. Sasukes Brust wölbte sich mit einem tiefen Atemzug und er kniff seine Nasenbrücke, bevor sich auf dem Absatz umzudrehen und zurück in Richtung Schlafzimmer zu marschieren. Da er ihr die Tür nicht von der Nase zugeschlagen hatte, vernahm sie das als eine Art Einladung und huschte ihm hinterher, besagtes Stück Holz sachte hinter sich wieder ins Schloss fallen lassend. In der Dunkelheit sah sie nur seine Umrisse und tapste ihm hastig nach, in das vom Mondlicht erhellte Schlafzimmer. Er verlor kein Wort und warf sich bald darauf einfach nur wieder ins Bett, wo er sich auf die Seite drehte, die Decke über sich zog und seinen bestürzten nächtlichen Besuch anscheinend komplett vergessen hatte. Sakura stand eine Weile lang unbeholfen im Türrahmen und wagte sich dann vorsichtig ins Innere des Zimmers, einen kleinen Schritt nach dem anderen. War er sauer? Doch er hatte sie nicht rausgeschmissen, hieß das, sie durfte bleiben? Er hatte nichts gesagt und jetzt schien er einfach nur wieder zu der Aktivität zurückgekehrt zu sein, bei der sie ihn offensichtlich gehörig gestört hatte: schlafen. Sollte sie wieder gehen? Sie wollte nicht. Sie konnte nicht, wohin auch? Sie war von Zuhause abgehauen, sie hatte in dieser Stadt niemand anderen mehr, zu dem sie gehen konnte. Sie fühlte sich verletzt, miserabel und verwirrt. Und wurde gerade allem Anschein nach eklatant ignoriert. Was sie irgendwo verstehen konnte... Wer war sie schon für ihn? Sie hatten nur ein paar Küsse geteilt. Sie hatten gerade mal damit angefangen, sich näher kennen zu lernen und sie entlud bereits all das Drama ihres ganzen Lebens auf ihn. Störte ihn mitten in der Nacht in seinem Zuhause wegen Problemen, von denen er wahrscheinlich nicht mal hören wollte. Doch... was sollte sie sonst tun? Sie wollte nicht gehen... Sie wollte einfach nur hier bleiben. Sie fühlte sich sicher, hier, bei ihm. Mit ihm. Das junge Mädchen näherte sich vorsichtig der freien Seite des Betts und stand einige Minuten lang unentschlossen davor, bevor sie sich zögerlich auf die Kante setzte. Dann schlüpfte sie aus ihren Ballerinas und ihrer Sommerjacke, erstes ließ sie auf dem Fußboden stehen und letzteres faltete sie zusammen und platzierte es oben drauf. Wenig später legte sie sich hin und drehte sich Sasukes deckenverhülltem Rücken, der ihr zugewandt war, zu. Das Möbelstück, ein komfortables, mittelgroßes Doppelbett, war nicht allzu breit, doch Sakura nahm sowieso nicht viel Platz ein und ihre zierliche Gestalt machte sich noch ein wenig kleiner, als sie sich da ganz nah an der Kante einnistete. Minuten der absoluten Stille krochen vorbei, und entgegen möglichen Annahmen schlief Sasuke überhaupt nicht. Sie konnte es nicht sehen, aber seine Gesichtsmuskeln zuckten immer wieder leicht und es schien fast so, als ob sie sich zwischen einem Ausdruck der Verärgerung und Besorgnis nicht entscheiden konnten. Er atmete gezwungen ruhig, ein, aus, ein, aus. Und dann ließ er ein vergrämtes Knurren vernehmen, während seine Hand vorschoss und unsanft auf den großen Knopf der Nachttischlampe schlug, um das Zimmer mit mildem, gelblichen Licht etwas mehr zu erleuchten. Er drehte sich so abrupt um, dass Sakura ob ihres plötzlichen Aufschreckens fast von der Bettkante stürzte, daran gehindert durch seinen Arm, den er ausgeworfen und mit dem er sie umfangen hatte, um sie vorm Herunterfallen zu bewahren und sie stattdessen in die Bettmitte zu ziehen, wo sie nun halbbenommen lag und mit weit geöffneten, smaragdgrünen Augen zu ihm hinauf starrte, da er sich auf den anderen Arm aufgestützt und nun halbwegs über ihr gebeugt war. Der Blickkontakt und Bewegungsruhe hielt nicht lange, sie zog scharf die Luft ein, als er sie abrupt runter drückte, sodass ihr Oberkörper halb auf seinem stützenden Arm lag und ihr Gesicht sich halbwegs im Kissen vergraben fand, was ihm größtenteils ihre Kehrseite präsentierte. Seine freie Hand griff den Kragen ihrer Bluse nahe ihrem Nacken und da die meisten Knöpfe sowieso schon ausgerissen waren und die Kleidungshälften kaum zusammengehalten wurden, bedurfte es keiner großen Anstrengung, den Stoff mit einer ruckartigen Bewegung von ihrer Schulter und halb von ihrem Rücken runter zu ziehen, um diese freizulegen. Die alten Striemen waren da, ihre Verfärbungen nun um einiges verblasster und es war ungemeine Erleichterung, die sich in nachtschwarzen Tiefen wiederspiegelte, keine frischen, neuen Verletzungen auf der zarten Haut entdeckt zu haben. Erleichtert war auch das Ausatmen, das seine Lippen verließ und als sie es hörte, lösten Sakuras Muskeln langsam die Anspannung ihrer gegenwärtigen Schockstarre wieder, nachdem die Erkenntnis ob des Grundes für seine Handlung in ihren Verstand sickerte. Diese Einsicht erwärmte ihr Herz bis zu dem Punkt, wo es ihr fast die Luft abschnitt. Und er sorgte sich doch... "Er hat mich nicht angefasst...", flüsterte sie leise, und da ein Auge wegen des Kissens davor geschlossen blieb, starrte das andere gedankenverloren in den kleinen Spalt zwischen dem weißen Stoff des Kissenbezugs und seiner entblößten Brust so nah, dass sie die warme Haut fast mit ihrer Stirn berührte. Nein, ihr Stiefvater hatte sie nicht angefasst. Er war nicht der Grund dieses nächtlichen Vorbeischneiens. Sasuke lehnte sich etwas zurück, um ihr Gesicht besser sehen zu können und blitzte sie aus verengten Augen an, seine Stimme durchzogen von einer Note Härte. "Wieso zur Hölle bist du dann hier?" Wiederholte er seine Frage von vorhin, woraufhin Sakura schwer schluckte und ihren Kopf ein wenig drehte, womit sich ihre Wange nun ins Kissen presste und sie ihn vernünftig mit beiden Augen anschauen konnte. "Meine Mutter und ich... wir haben uns gestritten. Sie hat geweint... Und ich... Ich konnte es nicht mehr eintragen. Alles... Ich konnte einfach nicht..." Sie wusste nicht, ob ihre Worte für ihn allzu viel Sinn machten. Ihre Zähne vergriffen sich in der ihm langsam wohlbekannter Manier an ihrer Unterlippe, während sie seine eher düstere Miene beobachtete. "Ich wusste nicht, wo ich hingehen sollte..." "Und da ist dir nichts Brillanteres eingefallen, als zu mir zu kommen?" Irgendwie hörte er sich überaus verärgert an. Wahrscheinlich war er es auch, sie würde es ihm nicht mal verübeln können. Und dennoch... dennoch tat es weh. Sie hatte gedacht... sie hatte gehofft... Doch vielleicht erwartete sie zu viel, zu schnell. Sie hätte nicht herkommen sollen. Nein, sie hätte wirklich nicht herkommen sollen... "Ich- Ich sollte gehen..." Wisperte sie letztendlich, darum bemüht, die Tränen der Enttäuschung und Zurückweisung zu unterdrücken. "Ich hab dich gestört... Es tut mir Leid..." Ihre Stimme riss beinahe ab und sie setzte sich ruckartig auf, verzweifelt darum bemüht, einmal mehr die Flucht zu ergreifen, bevor die Last negativer Emotionen sie einmal mehr entzweibrach. Allerdings kam sie diesmal nicht sehr weit, wenige Sekunden und ein paar blitzschnelle Bewegungen später traf ihr Rücken auf die Matratze und ihr Kopf auf das Kissen auf, und mit einem Male war Sasuke über ihr. Ein Bein über ihre beiden geworfen, presste sein athletischer Körper ihr Fliegengewicht nunmehr ins Bett, während ihre Hände nebst ihrem Kopf in die Weichheit des Kissens einsanken dank der Fesseln seiner Finger um ihre Handgelenke. Sasuke war nicht wütend, nicht auf sie. Er war wütend auf sich selbst wegen ihr, weil er begriff, zu welchem verflixt gewaltigen Ausmaß er eigentlich um sie besorgt war. Zu sehr besorgt. Viel zu sehr. Er entwickelte eine gottverdammte Bindung zu diesem zierlichen, stoischen kleinen Wesen und tief drin war er nicht dazu bereit. Er wollte keine Bindungen, nicht von dieser Art, und doch konnte er sich selbst nicht davon abbringen, dieses wunderschöne, zerbrechliche Geschöpf in sein Leben einzulassen, mehr noch, sie dort zu begrüßen und sie genau dort zu wollen. Er wollte sie in seinem Leben haben, er wollte sie, und die Tatsache, dass er sich selbst diesen verfluchten Wunsch, dieses Verlangen nicht mal angesichts der Gefahr, die Kakashi ihm vor kurzem erst so unmissverständlich klar gemacht hatte, nicht austreiben konnte, machte ihn rasend. "Was willst du von mir?" Sein geschmeidiger Bariton war zu einem rauen Flüsterton abgesunken, ein lauernder Funken in seinem nahezu räuberischen Blick. "Erst mitten in der Nacht wie ein verlorenes Kätzchen an meiner Tür kratzen, und jetzt liegst du mit diesem verdammten, zutraulichen Rehblick unter mir in meinem Bett." Ehrlich mal. War sie blind? Sie war eine Versuchung auf zwei Beinen, umso mehr wenn sie sich so verloren und unschuldig präsentierte; er besaß zwar eine Menge an Willenskraft und Selbstkontrolle, aber er war auch nur ein Mann. "Hast du überhaupt eine Ahnung, was ich gerade mit dir anstellen wollen würde?" War es wirklich die Art Trost, die sie akzeptieren würde? Die Art Trost, die sie wollte? Sasuke hatte keinen blassen Schimmer davon, wie man Menschen tröstete. Er mochte es nicht, über Dinge zu reden, besonders über Gefühle. Wenn er wollte, konnte er körperliche Befriedigung geben, aber er wusste nicht, wie man bedrückte Stimmungen hob und gebrochene Herzen flickte. Es war eine Kunst, die er nie hatte erlernen wollen, dennoch war er auch niemand, der jemanden ausnutzen würde, nur um auf eigene Kosten zu kommen. Nichtsdestotrotz, er hasste Sentimentalitäten, all die Rührseligkeiten und Gefühlsduselei. Sie konnte sich an seiner Brust ausweinen und er konnte jemandem, der sie verletzt hatte, die Fresse einschlagen, aber das war auch schon das bevorzugte Limit seiner beziehungstechnischen Fähigkeiten. Was wollte sie noch; jetzt, hier, von ihm? Es gab nur noch eins, was er noch für sie tun konnte, etwas, das sie einmal schon fast angenommen hatte, aber... Sie starrte einfach nur zu ihm hoch und sagte dann etwas, was er so nie erwartet hätte. "Dann tu es." Seine Stirn legte sich in Falten. "Was...?" Das dunkle Peridot ihrer Augen blickte ihn so intensiv an, es bescherte ihm beinahe eine Gänsehaut. "Was, wenn ich es will...? Was, wenn ich gar darüber fantasiere, dass du Dinge mit mir anstellst...?" Der Tag ihres kleinen, jäh unterbrochenen Intermezzos auf seiner Wohnzimmercouch, hatte sie danach, in jener Nacht, nicht in ihrem Bett gelegen und sich ausgemalt, wie es wohl weitergegangen wäre? Wie es sich angefühlt hätte, was passiert und wie es passiert wäre... Jedes Mal, wenn er sie küsste, wenn sie sich berührten... Wenn die Hitze zwischen ihnen stieg und jede Nervenfaser sich nach ihm zu verzehren schien... Hatte mit dem Wunsch nach Schutz und Geborgenheit nicht auch mit die Hoffnung auf mehr sie auch heute hierher geführt, in seine Arme? Sie wollte mehr. Sie wollte alles. Sie wollte ihn. Sasuke schüttelte kurz den Kopf in einem Mix aus Unglaube und Widerstand gegenüber dem, was sich unaufhaltsam durch sein Inneres zog. "Was ich dir geben kann, ist nur ein Placebo. Keine Wunderheilung." Sex war einfach, körperliche Bindung war direkt und auf den Punkt, mit einem klaren Anfang und einem klaren Ende. Beziehungen hingegen waren kompliziert und für Frauen schien das eine mit dem anderen einherzugehen. Das war der Grund, warum Beziehungen für ihn nie wirklich funktionierten, obschon er es ein paar Mal versucht hatte. Doch seine Persönlichkeit und emotionelle Distanziertheit stieß andere letztendlich immer von ihm weg. Er ließ sie nie nah genug an sich heran und irgendwann wurden sie dessen müde, gaben es auf und gingen fort. Und er würde sie ziehen lassen, weil er es sich nicht erlaubte, für jemanden Gefühle zu entwickeln. Echte Gefühle. Er konnte Sakura hier nichts versprechen. Wenn sie miteinander ausgingen, miteinander schliefen, hieß es bei Weitem nicht, dass es Liebe war. Zumindest nicht für ihn, zumindest nicht sofort und sicherlich nicht hier und jetzt. Vielleicht gar nie... Wer wusste es schon, wenn er es nicht mal selbst tat. Ihre Hände waren zwar eingefangen, aber er war nah genug, dass auch ein einfaches Vorschießen ihres Kopfes reichte, um seine Lippen mit ihrem sinnlichen Paar entschlossen und hitzig einzufangen. Ein Kuss, den er nicht unterbrach, stattdessen verließ nur ein unebenes Ausatmen der rasch um einiges geschmolzener Selbstkontrolle seine Nase. Sakura lehnte sich minimal zurück. "Gib mir alles, was du kannst. Was du geben willst." Ganz egal, wie viel es war. Ganz egal, was es war. Sie erwartete keine Liebeserklärungen, erwartete nicht, dass er alsbald in sie vernarrt war und ihr glorreich die ewige Liebe schwor, ihr sein Herz ausschüttete und ihres zusammenklebte. Das war nicht seine Art und es war nicht die Art, die sie zu ihm hingezogen hat. Sie küsste ihn erneut, die Berührung diesmal zärtlich und weich, genauso wie ihre Stimme, die in einem federleichten Hauchen gegen seine Lippen vibrierte. "Ich will es alles haben. Ich will dich." Genauso, wie er war. Ob hier und jetzt oder in hundert Tagen, daran würde sich nichts mehr ändern. Er war ein großes Puzzle, und sie würde es Stück für Stück einsammeln, bis sie es zusammensetzen und ganz für sich allein behalten konnte. Er hatte ihr Herz bereits erobert und sie hatte nicht vor, seins ihren eigenen Fängen einfach so entfliehen zu lassen. Irgendwann würde es ihr gehören und diese Nacht war nur ein weiterer Schritt diesem Ziel entgegen. Den eigenen Schmerz vergessen, spürte sie gerade hier und jetzt etwas vollkommen anderes, in seinen Worten, seinem Blick, seiner Tonlage, seiner Körpersprache... es war die selbe Zwickmühle, die auch ihr schon so viele Knochen gebrochen hatte, der Kampf zwischen irgendetwas, das er brauchte und irgendetwas, das er fürchtete. Was auch immer es war, das er brauchte, sie wollte es ihm geben. Was auch immer es war, das er fürchtete, sie wollte ihn davor beschützen. Sie wusste nicht, ob sie weder das eine noch das andere wirklich für ihn tun konnte, doch sie würde verdammt sein, wenn sie es nicht mit aller Kraft und in allem Ernst versuchen würde. Denn wenn es eines gab, woran Sakura keinen einzigen Zweifel mehr hatte... dann, dass Sasuke es absolut Wert war. Kapitel 10: Die Kunst der Liebe: Obhut -------------------------------------- [Dienstag, 14 Juli, 02:21 Uhr] Ich will dich. Der Effekt dieser so aufrichtig und ungewollt verführerisch gesprochener Worte war größer, als Sasuke es sich hätte vorstellen können. So frank hat es auch noch niemand zuvor formuliert... Sakura war wirklich genauso faszinierend, wie sie es von ihm behauptete. Was machte sie mit ihm, und vor allem wie machte sie das? Unbegreiflich. Unwichtig, denn in dem Moment, wo ihr lieblicher Mund jene Worte formte, war es nicht nur ihr Verstand, der ergeben das Feld für Gefühle räumte. Diesmal war er es, der sich zu ihr beugte, um ihre süßen Lippen mit den eigenen in einem glutvollen Kuss einzufangen, und seine weiteren Handlungen entfalteten sich in geschmeidig fließender Selbstsicherheit, wie ein rapider und doch mühelos sanftmütiger Strom, der sie in der Wiege sanften Wellen aufgriff und unabdingbar dahintrug. Seine Finger lösten ihren Griff um ihre Handgelenke, ein Arm glitt alsbald unter ihren Rücken und er setzte sich kurz auf, sie mit sich ziehend. Die freie Hand schlüpfte zielgerichtet zwischen die geteilten Säume ihrer Bluse und strich das dünne Material von den hübschen Rundungen ihrer Schultern, woraufhin es bereitwillig weiter ihr Arme runter glitt und mit einer leichten Bewegung ebendieser schlüpfte Sakura ganz aus dem Stück Oberbekleidung raus, bis es nur noch um eines ihrer Handgelenke hing und sie es kurz darauf gedankenlos abschüttete und zur Seite runter vom Bett segeln ließ. Bevor sein stützender Arm um ihren Rücken sie wieder zurück in die Kissen absenken würde, flimmerten seine Finger kurz zu dem Verschluss des pastellfarbenen BHs und kniffen den Verschluss gekonnt zusammen, die winzigen Häkchen aus den nicht minder winzigen Ösen lösend und als das elastische Band auseinandersprang, hatte sie mit einem Male das Gefühl, um einiges freier Atmen zu können, was gewiss von Vorteil war Anbetracht der Tatsache, dass die innere Aufregung und der hitzige Kuss, in den er sie immer noch verwickelt hielt, ihren Bedarf nach lebenswichtigem Oxygen beachtlich gesteigert hatten. Starke Finger strichen die dünnen Träger runter und das feine Wäschestück gesellte sich umgehend zu der verbannten Bluse auf den Zimmerboden. Sie ließ sich mit seiner bedachten Führung zurück auf die Matratze sinken, aufkeuchend, als eins seiner Beine sich sachte zwischen ihre beiden drückte und einsank, was seinen Oberschenkel prekär gegen die empfindliche, nur mit kurzem Rock und darunterliegendem Unterhöschen bedeckte Region direkt dazwischen presste. Die leichteste, mutwillige Bewegung von ihm erzeugte eine erregende Reibung und das löste eine Welle prickelnder Hitze in ihrem Unterleib aus, entlockte ihr somit ein sinnliches Wimmern während eins ihrer Hände sich abrupt ins Laken verkrallte. Sein Mund enthob sich dem ihrigen und sie schnappte begierig nach Luft, spürte akut die flüchtigen und doch merklichen Küsse, die er ihren Hals runter zu ihrer Brust die zarte Haut entlang verteilte, bis die Wärme seiner Lippen eine harte Knospe zwischen ihnen einfing. "Oh-!" Sakura warf den Kopf in die Kissen zurück und ihre freie Hand schoss vor, um den Handrücken gegen ihre eigenen, geöffneten Lippen zu pressen, wo ihre Zähne sich an eigener Haut vergriffen, darum bemüht, das hingerissene Aufstöhnen zu dämpfen, als seine vorwitzige, feuchte Zunge ihren Nippel umspielte. Alles wurde nur genüsslich schlimmer, wenn die vernachlässigte Hälfte ihres wohlgeformten Dekolletés von seiner Hand umfasst wurde und das langsame Führen seines Daumens über die freilegende, empfindsame Spitze sie zum Aufzucken brachte. Es war, als hätte er sie entfacht und sie nun simmern ließ, sie fühlte sich glühen von innen und außen und je länger er ihre überaus empfindsame Brust verwöhnte, desto unerträglicher wurde das süße Kribbeln, das gleich Pingpongbällen durch ihren in wohlige Unruhe gestürzten Leib blitzte. Sie räkelte sich instinktiv seinen Liebkosungen entgegen, schwer atmend und in einem sehnsüchtigen, fast verzweifeltem Verlangen nach ihm. Sasukes Aufmerksamkeit löste sich von ihrem Oberkörper, obschon nicht für lange, er hörte ihr zittriges Ausatmen und fühlte ihr sachtes Erbeben, wenn seine Küsse baldig auf ihren flachen Bauch auftrafen. Die luftigen, mühevoll zurückgehaltenen Laute, die ihr entkamen und das impulsive, hilflose Reagieren ihres grazilen Wesens auf die noch so neuen, ungewohnten Sinnesreize war eine brillante Stimulation, die er auszukosten wusste. Für sie war es das immerzu mit verträumtem Bangen erwartete erste Mal, doch auch für ihn war ihr jungfräulicher Körper in der Obhut seiner erfahrenen Händen ein einmaliges Geschehnis, das in beider Hinsicht gewürdigt werden wollte. Seine Zunge zog einen bedächtigen Kreis um ihren Bauchnabel ehe er diese hineinschlüpfen ließ, und das hingerissen erklingende "Mhm...!", das sich daraufhin ihrer Brust entriss, bescherte auch ihm einen angenehmen Schauer den strammen Rücken runter. Eine Hand immer noch fest in eine faustvoll des Lakens vergraben, langte die Schwestergliedmaße nach seinem pechschwarzen Haar und fuhr durch die weichen Strähnen in einem Mix Zuneigung und Zuspruch. Ihr Herz raste, umso mehr, wenn das sanfte metallische Geräusch des aufgemachten Reißverschlusses erklang und seine Finger sich sowohl in den Saum des Röckchens um ihre schmalen Hüften als auch in den des drunter liegenden Schlüpfers hakten, um beide Bekleidungsteile runter zu ziehen. Sie hob ihr Becken ein wenig an, um ihm sein Tun zu erleichtern. Bei dieser Handlung entfernte er sich von ihr und ihre Finger glitten wieder aus der seidigen Schwärze seiner Haare, während seine Hände zwei Stoffstücke ihre schlanken Beine entlang führten, bis sie komplett ausgezogen waren und bald darauf zum Fuße des Bettes fallen gelassen wurden, wo auch er selbst kurz zum Aufstehen kam. Eine kleine Pause für Sakura, in der sie etwas durchatmen konnte. Sie war nicht in der Lage, die eigenen Lider zum Öffnen zu bewegen, aber sie spürte seinen Blick auf ihrer schlanken, erhitzten Figur, die so einladend und schwer atmend auf weißem Hintergrunde präsentiert war, gebadet im sanften Licht der Nachttischlampe, das ihre rosige Haut in einem schattigen Mix umschmeichelte. Ein prachtvolles Bild für die Inspirationen der antiken Künstler, doch seins war der einzige Blick, dem diese sinnliche Aussicht erlaubt wurde. Er war der Erste und wenn Sakura es in irgendeiner Weise überhaupt beeinflussen könnte, würde sie sich wünschen, er bliebe von hier an auch der Einzige. Seine anregende, sicherheitsspendende Präsens war in dem nächsten Moment wieder bei ihr, diesmal ebenfalls komplett bar jeglicher störenden Kleidungstücke, die Wärme seines stattlichen Körpers, gestützt auf einen Unterarm, nunmehr ausgestreckt an der Seite ihres eigenen. Die Finger seiner freien Hand legten sich sachte entlang des dünnen Kieferknochens und gaben ihr den sanften Anstoß, ihren Kopf zu ihm zu drehen und der darauffolgende Kuss, geruhsam und bedacht, brachte sie beim Auflösen des Kontakts dazu, ihre Augen aufzumachen. Ihre halbmondförmigen Wimpern flatterten unbeholfen, wenn selbige Hand von ihrem Gesicht ihren Hals runter wanderte, über ihre Brust und die kurvige Seite ihrer Taille entlang, für einen Augenblick auf ihrer Hüfte innehaltend. Sasuke küsste sie erneut, entlockte ihr ein weiches Keuchen und der gesenkte, rauchige Samtklang seiner Stimme strich über ihre affektierten Lippen. "Sind wir sicher?" Sie nickte leicht aber bestimmt, das waren sie. Die Pille nahm Sakura schon seit einigen Jahren, nicht, dass es ein großes Problem dargestellt hätte, wenn sie's nicht täte, sein eigener Vorrat Verhüterlis war nur eine Nachttischschublade entfernt. Eine kleine aber ungemein wichtige Frage, die nun auch geklärt war, gefolgt von einer weiteren, die er gekonnt in der Wortwahl daran anschloss, obschon es von einem ganz anderen Thema handelte. "Bist du?" Sein enigmatischer Blick musterte nicht eindringlich ihr erhitztes, viel zu hübsches Gesicht, auf dem sich sogleich ein kleines Lächeln abzeichnete. Sakura führte einen Arm um seinen Hals und zog ihn wortlos zu sich runter, einer weiteren Vereinigung ihrer Lippenpaare entgegen - eine stumme und entschlossene Antwort. Ja, sie war sich sicher. Sicherer, als sie es mit den meisten Dingen in ihrem Leben gewesen war. So hieß sie seine Lippen nur einmal mehr eifrig auf den eigenen Willkommen, scharf die Luft einziehend, wenn seine Hand zeitgleich von ihrer Hüfte über ihren Schenkel zwischen ihre Beine schlüpfte, direkt zum Zentrum der feuchten Hitze, die dort pulsierte. Sie wusste nicht, wohin mit sich selbst, umso mehr dank dem langen Mittelfinger, der einige Male aufreizend den warmen Spalt entlang strich und schlussendlich in die anschließende kleine Öffnung und somit direkt in sie hinein schlüpfte. Der losgelöste, erotische Ton, der in ihren Kuss hineinfloss, war um einiges lauter und sie erbebte ob der Empfindung der tappenden Bewegung gegen ihre inneren Körperwände, die zugleich nicht wirklich neu und dennoch unvergleichbar mit der eigenen, selbstbefriedigenen Berührung war. Keine der heimlichen, sündigen Fantasien in ihrem Kopf könnten je mit dieser Realität mithalten, es lag so weit auseinander, wie Himmel und Erde. Ihr zierlicher Körper zitterte sachte, genauso wie jeder schwere Atemzug und jeder schnelle Schlag ihres Herzens, die allesamt nach und nach nur intensiver wurden, mit dem zweiten und dritten Finger, die dem Spielchen, sie um den Verstand zu bringen, beitraten und nebenbei die gewissenhafte Aufgabe erfüllten, den engen Muskelring zu dehnen und aufzulockern. Die rücksichtsvolle Vorbereitung ging einher mit behutsamer Voraussicht, Sasukes Körper hielt was er versprach und war entgegen jeglichen Gerüchten überaus gut bestückt, je angenehmer und flüssiger er das erste intime Eindringen machen konnte, desto besser für sie. Seine kurzen doch berauschenden Küsse unterbrachen zwischendurch ihr angeregtes Wimmern und ihre gehauchten Seufzer, sie gleichzeitig davon abhaltend, zu sehr darüber nachzudenken, was gerade passierte und wie, ihr Verstand taumelte dabei irgendwo zwischen Wonne, Nervosität, Verlegenheit und überwältigender Begierde. Doch keine Furcht, und keine Unsicherheiten. Sie wollte es. Sie wollte mehr. Sie wollte Sasuke und woher auch immer diese unerschütterliche Überzeugung kam, sie wusste, er würde ihr nie wehtun. Ihr Arm schlang sich fester um seinen Hals, hielt ihn nah und fest, während sie sich im Sog des Augenblicks auflöste: der nahezu schwindelerregenden Atemnot, dem Druck warmer Lippenpaare auf ihren, dem gewitzten Zungenspiel und dem sinnlichen Stöhnen, das immer wieder in ihrer Brust stockte mit jeder Drehung und Windung geschickter Finger in ihr. Wenn besagte Finger sich wieder zurückzogen, hinterließ es ein Gefühl der Leere und eine süßlich-quälende Ungeduld, welche aber prompt in eine flatternde Aufregung umschlugen, als er über sie stieg und sich ihre Beine fast intuitiv einladend spreizten, um ihm gefällig zwischen ihnen Platz zu bieten. Sein Gewicht kurz auf den anderen Arm verlagernd, langte Sasukes bis hierhin stützende Hand zu Sakuras eigener herunter, um die feingliedrigen Finger sachte aber bestimmt aus ihrem krampfhaft verkrallten Griff im weißen Laken zu lösen. Erst als sich die dünnen Knochen und strapazierte Sehnen wieder ausstreckten, merkte sie die Taubheit und milde Schmerzstiche in diesen, etwas, auf das sie sich nicht lange konzentrierte, denn seine starken Finger glitten geschmeidig zwischen ihre eigenen damit er ihrer beider verflochtenen Hände hochziehen konnte, wo er sie in die Weichheit des Kissens neben ihrem Kopf ablegte, worin sie etwas tiefer versanken, als er sich wieder auf dem dazugehörigen Unterarm abstützte. Alle Nervenbahnen schienen auf Hochspannung geschaltet, jede seiner Berührungen hinterließ eine brennende Feuerspur entlang ihrer Haut, wie hungrige Flammen, die einer Benzinspur nachjagten - auch, wenn seine freie Hand die Seite ihres Schenkels entlang unter ihr Knie rutschte und sich unter dieses hakte, um eins ihrer langen Beine anzuheben, was sie umgehend dazu anregte, dem Bewegungsanreiz zu folgen und ebendieses Bein um seine Hüfte zu legen. Das öffnete sie nur umso mehr und ließ sie in wohlig-nervenaufreibender Erwartung nunmehr deutlich die erregte Härte seiner beachtlichen Länge spüren. Sasuke nippte sanft an ihren halbgeöffneten, weichen Lippen. "Verkrampf' dich nicht." Die geschmeidig abgesenkte, samtig tiefe Stimmen brachte sie zum Erschauern, genauso wie die Essenz der geruhsamen Hinweise an sich. "Atme." Sie nickte kaum merklich und schluckte gegen den Kloß der Aufwühlung und aufgeregter, inneren Anspannung. Atme... Oh, wenn das nur so einfach wäre, doch sie versuchte es dennoch, zittrig und uneben und vollkommen unregelmäßig. Sein Arm schlüpfte weiter unter ihrem gehobenen Bein drunter her, wo seine Hand bald die Spitze seiner Erregung der feucht-warmen Glut ihrer Scheide entgegenführte und leicht gegen presste. Ihre Finger zuckten im Griff der seinigen, wenn eine minimale Absenkung seiner Hüften sichergestellte, dass die weitere Vorwärtsbewegung nicht mehr der Führung erwähnter Hand bedürfen würde, denn diese griff nun sachte um ihr angewinkeltes Bein, um dieses in seiner aufreizenden Position zu fixieren. Ein leichtes Vordringen gegen den Widerstand ihrer engen Öffnung ließ sie wimmernd aufkeuchen, er war so nah, es machte sie schier wahnsinnig. Warmer Atem geisterte in zärtlichen beinahe-Küssen über ihre Wange, und seine Lippen streiften die ihrigen beim Formen sanft auffordernder Worte, die ihr Herz fast zum Zerbersten brachten. "Schau mich an." Schwarze, fein geschwungene Wimpern flatterten zaghaft auseinander, schwer darum bemüht, ihr einen Spalt ihrer Sicht zu eröffnen und niedlich scheu auf das endlose Onyx seiner Augen zu treffen, diese mitternachtsschwarzen Tiefen, die im schummrigen Lampenschein mit atemberaubender Intensität zu flackern schienen und scheinbar jede winzige emotionelle Regung in ihrem Gesicht einfangen wollten. Es verstärkte den Nervenkitzeln dieses Moments um das Tausendfache und sich dazu zu zwingen, ihren Blick nicht abzuwenden und ihre Lider nicht zufallen zu lassen, war auf irgendeine Weise eine absolut honigsüße Tortur. Atme... ah, sie versuchte es so sehr, als er begann, langsam in sie hinein zu sinken. Es zwickte, war aber geflissentlich ignorierbar, denn das Bewusstsein dessen, was gerade passierte, war um einiges überwältigender. Plötzlich waren sogar solch einfache Dinge, wie atmen, sich nicht verkrampfen, ihn anschauen, um so einiges schwerer, zu bewerkstelligen, und dann auch noch gleichzeitig. Ihre Stimme entfloh ihr in sanften, sinnlichen Noten, mit jedem Zentimeter, den er tiefer in sie rutschte und ihre Fingerkuppen drückten sich immer fester in den Handrücken seiner locker mit ihrer verflochtenen Hand. Himmel, er wusste definitiv, was er tat, sie war jetzt schon so nahe einer Sinnesüberreizung, wie sollte es bloß weitergehen? Seine Selbstkontrolle bekam ebenfalls erste Risse, die feuchte Hitze und die warme, unglaubliche Enge, welche ihn Stück für Stück umschlossen, störten auch seinen Atmungsrhythmus und die stattlichen Gesichtskonturen zuckten ob der in wohliger Empfindung halbzufallenden Lider. Ein hitziges Wimmern ihrerseits, wenn seine Erregung letztendlich vollkommen in ihr verborgen war, es brachte sie zum Zittern, wie jede winzige Regung, der kleinste, unbedachte Atemzug und fast schon jeder rasante Herzschlag sie dieses Gefühls, ihn in sich zu spüren, unmittelbar bewusst machte. Sie vergaß alles um sie herum, sie schaute ihn an und war komplett eingefangen in diesem ätherischen Moment, von seinem Anblick, seinen Augen, ihrer Verbindung. Was auch immer sich im selbigen Moment auf ihrem engelgleichen Antlitz abzeichnete, es brachte seinen Mundwinkel dazu, sich minimal nach oben zu heben, bevor er sich zu ihr beugte und ihre Lippen in einem innigen, bedachten und überaus sinnlichen Kuss beanspruchte. Bedacht und gemächlich war auch das Tempo, das er zuerst ansetzte, unendlich quälend-kandiere Tortur, als er sich langsam zurückzog und genauso langsam wieder in sie eintauchte. Er hatte sie schon so nah an den Abgrund getrieben und jetzt spürte sie die intime Reibung jeden Zentimeter entlang und es war... unerträglich, verrück machend schön. Einmal, zweimal und nochmal und einmal noch und einmal mehr, und sie verkrampfte sich abrupt, als die Welle der Ekstase durch sie rauschte und mit einem überrascht-erlösten "Ah...!" herausbrach, während sie sich aufbäumte und ihre Zehen sich einrollten, der elektrische Schock ließ ihren Verstand kurz in ein Nichts erloschen, ihr Atem stockte und ein heißer Schauer rollte über ihren gesamtes Sein. Sasuke hielt inne, als sie in und um ihn herum erbebte und krampfte, kurz die Augen zukneifend und die eigenen Muskeln verhärtet in ertragender Anspannung, bevor er dann gezwungen langsam und ruhig ausatmete. Er erlaubte ihr die Momente des unkontrollierten, vom Wimmern unterlegten Keuchens, als sie von ihrem Höhenflug herunterkam und streifte mit den Lippen ihre glühende Wange, seine Worte ein aspiriert-amüsiertes Flüstern. "Das ging schnell." Was er mal als Kompliment an seine bisherige Performance annahm. Immer noch benommen und etwas neben sich, rang sich Sakura ein atemloses, betretenes Murmeln ab: "Entschuldige..." Das verleitete ihn zum milden Schmunzeln. "Dummerchen. Es soll nicht dein Nachteil sein." Ganz und gar nicht, etwas, um was Mann Frau vielleicht fast schon beneiden konnte, sie brauchte kaum eine Abkühlzeit für Runde zwei, ganz im Gegenteil, es machte sie umso empfindlicher und empfänglicher auf dem Weg zu einer Wiederholung des Erlebten. Und er sollte Recht behalten, auch wenn sie nichts hätte darauf vorbereiten können, was in den nächsten Sekunde den wunderschön zerstörerischen Anfang fand, als er sich fast komplett zurückzog und dann prompt mit dynamischer Härte wieder in sie eintauchte. Die Luft stockte hilflos in ihrem Brustkorb und ihr Mund klappte auf in einem stummen Aufschrei, der sich ihrer Kehle mit einem klangvollen "H-hah!", entriss, wenn der nächste, schnelle, feste Vorstoß sie dazu brachte, ihren Rücken abrupt und unwillkürlich durchzudrücken. Das prompt und resolut angekurbelte Tempo und die ausgebrochenen Empfindungen, die es einbrachte, fegten wie ein Tornado über sie hinweg und brachen alle möglichen Hemmungen und Gedanken auseinander. Sie sog scharf die Luft ein mit jeder seiner genauso scharfen Vorwärtsbewegungen, doch die nächste kam so rasch, sie hatte kaum Gelegenheit zum Ausatmen, ein und ein und ein und ihre Brust war so voll, es schmerzte, bis sie den Überfluss an Luft freisetzte in losgelöstem Stöhnen, das ein Gefühl der kopfverdrehenden Erleichterung in die explodierende, kribbelnde Hitze, die in ihr pulsierte, einfließen ließ. Jeder Muskel wollte sich irgendwie zusammenziehen und sie wand sich in aller katzenhaften Grazie sowohl genießerisch als auch gequält unter seiner kräftigen Gestalt, der sie sich willig entgegen presste, mit jeder seiner rapiden Bewegungen. Es schien auch nicht länger spurlos an ihm vorbeizugehen, in ihrer Wonne erfreute sie sich auch jeden seiner harten, unebenen Atemzüge, ab und zu unterlegt von einer dunklen, rauen Note Genuss. Seine eiserne Beherrschung entglitt zunehmend zugunsten der Lust und Leidenschaft, die Hitze und die Enge, in der er sich gar nicht schnell genug wiederfinden konnte und die ihn immer tiefer lockten, zu Sakuras überglücklichem Leidwesen. Ihre Welt drehte sich Kopf und brandete in tausenden zusammenhangsloser Kleckse, als seine Hand unter ihrem Schenkel fester faste und sie ruckartig seinem nächsten Stoß entgegen zog. Oh, Gott-! Oh Gott, oh Gott, oh Gott, hallte es mit jedem kraftvollen Rollen seines Beckens in ihrem leergefegten Kopf wieder, ihre Stimme stieg und vermischte abgehackte Silben willkürlichem Nonsens mit ihrem lustvollen Klang. Ihr Arm um seinen Hals rutschte davon ab und schoss stattdessen unbändig über ihren eigenen Kopf, langte nach dem Bettgestell, erfasste die Kante des Holzbretts und vergriff sich hart in diesem dank dem heftigen Drang, irgendwie den rasenden Sturm in ihr zu bändigen. Vergebens. Er wiederholte die sündhaft verstandbrechende Tat in einem minimal geänderten Winkel, und was durch ihr verblendetes Gehirn durchgejagt hatte, riss sich dieses Mal lautstark von ihren Lippen "Oh- Gott!" Und er tat es wieder, und noch mal, und sie konnte nicht... Konnte nicht... Es brannte, bog jeden Nerv dreifach durch, war kaum auszuhalten und dennoch, dennoch wollte sie noch nicht, dass es zu Ende war. Noch nicht, noch nicht... Ihre Stimme stieg, jede scharfe, dynamische Bewegung seiner Hüften, die sie mit Druck gegen die Matratze wiegte, trieb sie näher dem Delirium entgegen, sie mochte sehr wohl den eigenen Namen vergessen haben, doch seiner... seiner flatterte in aspiriertem Hauchen gleich verscheuchten Schmetterlingen von ihren Lippen, hingebungsvoll und entzückt, entzweigerissen von unbeholfenen, vollkommen durcheinander geratenen Atemzügen. "Sas- ...ke!" Dass es ihn dazu brachte, die Augen fester zuzukneifen, sah sie nicht, doch sie spürte es umso mehr in seiner physischen Reaktion, als er einen weiteren Schub frenetischen Eifers in sein Tun eingoss. Gleichwohl war seine Empfindung eine komplett andere, während Sakuras Gefühle sie wie eine wilde Sturmflut umherwirbelten und immer höher dem Himmel empor wogten, waren seine eher ein fließender, immer schneller werdender Strom, der ihn unaufhaltsam auf den Abgrund eines Wasserfalls zutrug. Hieß überhaupt nicht, dass er es irgendwie weniger genoss, es drückte sich lediglich um eigenes verhaltener aus, weniger stimmlich und mehr körperlich. Ihre Achterbahn fuhr von selbst, solange er am Steuer war aber sein Rafting bedurfte immer leichter Lenkung, vielleicht ein Tribut an sein Kontrolldogma. Sasuke spürte das Zittern, das in ihrem sich vorzüglich räkelnden Körper ansetzte und mit jedem seiner mittlerweile nahezu haltlosen Stöße stärker wurde, ein dünner Faden, welcher auch bei ihm nah am Zerreißen war. Seine Hand entkam dem krampfhaften Griff ihrer eigenen und legte sich stattdessen um ihre Wange, um ihren im Sinnestaumel zurückgeworfenen Kopf mit bestimmten aber sanftem Druck wieder zu neigen und ihre geöffneten Lippen in einer saloppen Kollision weicher Oberflächen einzufangen, ihr nächstes, sinnliches Aufstöhnen vermischt mit seinem rauchig-geknurrtem eigenen. Nun mit nichts zum verzweifelten Umklammern, fand Sakuras Hand prompt zu Sasukes robusten Schulter, ihre weichen Fingerkuppen drückten sich tief in die festgewebte, von einem dünnen Schweißfilm umso glattere Haut, hinterließ weiße Eindruckspuren, die nur langsam wieder auf der milden Bräune verblassten. Es war wunderschön, er war wunderschön; es alles war wunderschön, wunderschön und unerträglich, und oh, heilige Maria, sie konnte nicht... konnte nicht... Ein heftiger, wilder Stoß und noch einer und einer mehr und sie zerbarst wie ein Spiegel mit unzähligen Rissen, sein Name auf ihren Lippen. Gestorben und wieder zum Leben gebracht, der Rausch war unbeschreiblich. Ein kleines Universum, das explodierte und in unzählige Sterne auseinanderbrach, Atmung, Gedanken, Sinn, Verstand, alles kam für ein paar Sekunden komplett abhanden, als sie mit jenem befreiten Aufschrei unter ihm erbebte. Die Schockwellen schwappen über sie immer und immer wieder, die damit einhergehenden Kontraktion ihrer gesamten Körpermuskulatur, besonders um seine Erregung herum, ein Reiz, der auch ihn durch die paar letzte, eintauchende Bewegungen in die krampfende, süße Enge hindurch über die Klippe drängte. So erlag auch er nur wenige Sekunden später mit einem tiefen, erlösten Laut der Ekstase, während er sich heiß in sie ergoss und sie zum hilflosen Aufwimmern brachte. Sakura schüttelte es von Kopf bis Fuß, ihre Schnappatmung dann und wann begleitet von gehauchtem "Ahh..."s, der Nachklang des heftigen Orgasmus nicht minder stürmisch, denn dieser selbst. Die Luft war fast wie Schleifpapier ob der rasanten, keuchenden Geschwindigkeit, mit der sie aus ihr ein- und ausströmte, war sie noch auf der Erde oder schon im Himmel? Alles drehte sich immer noch wie ein Karussell um sie herum. Er fing sich viel schneller wieder, seine Hand senkte vorsichtig ihr angespanntes Bein auf das Bett herab und fuhr nunmehr sachte ihren zitternden Oberschenkel rauf und runter, indes seine Lippen ihre glühendheiße Wange streiften und bald nah an ihr gepierctes Ohr kamen. "Shhh..." Was genau an diesem sanften, beruhigenden Laut so anmutig schön war, konnte sie nicht sagen, aber ihr Herz war jäh unbeholfen dazu bereit, aus ihrer Brust in seine Hände zu springen. Sie wollte keinen anderen, nie wieder. Sie hätte nie vorher gedacht, man könnte sich von Emotionen für einen einzigen Menschen dermaßen erfüllt fühlen... Wenn sie die Kraft gehabt hätte, hätte sie ihn umarmt, aber sie konnte immer noch nur zitternd daliegen und genauso zittrig atmen, einfach nur überwältigt von dem eben Durchlebten. Nicht auszumalen, dass sie so lange darauf verzichtet hatte... von ihr aus könnte nunmehr jede Nacht genauso von Statten gehen. Ihre Hand auf seiner Schulter entspannte sich langsam wieder, sie öffnete die Augen und ließ ihre Finger die stramme Kontur seines Halses zu seinem Nacken gleiten, wo ihre Finger höher schlüpften und liebevoll durchs glänzende Noir seiner Haare fuhren. Sasuke blickte sie an, aufmerksam und unaufdringlich. Der oh nein, was hab ich nur getan Moment blieb aus, kein Funken Dilemma oder späte Einsicht zeigten sich in jenen reinen, smaragdfarbenen Iriden, stattdessen schaute sie ihn auf eine so ehrliche, niedlich verliebte Art an, dass ihm ungewollt wärmer wurde. So hatte ihn vorher auch noch nie jemand angeschaut... als wäre er das Einzige, was sie je im Leben wollen würden. Dieser eine Blick jener Augen... schien es fast Wert zu sein, dass er vielleicht- Er lehnte sich zu ihr runter und küsste sie, sachte und sinnlich, simple, natürliche Bewegungen weicher Lippenpaare, die einander liebkosten. Ihr sanftes Wimmern verlor sich in ihrem geteilten Atem, als er sich vorsichtig aus ihr zurückzog, bevor ihren Kuss für einige Momente länger genüsslich hinauszuziehen. Wenig später schlüpfte sein Arm zwischen ihr und die Matratze unter ihre Taille, diese behutsam umgreifend, damit er sich von ihr runter und auf seinen Rücken rollen konnte, ihr Fliegengewicht mit sich nehmend. So kam sie halb auf seiner gut gebauten Brust zum Ruhen, spürte, wie sich diese einmal langsam hob und senkte mit einem tiefen, entspannten Atemzug. Sein kraftvoller Körper begrüßte die Entlastung nach den Anstrengungen von eben, ein seichtes Kribbeln in dem wohlgeformten Bizeps des Arms, der bis dato ergeben als Stütze gedient hatte. Sakuras verbleibende Energiereserven reichten noch dafür, den eigenen, zierlichen Arm gemütlich über die muskulöse Ebene seiner Brust zu strecken und sich enger an ihren wundervollen Freund zu schmiegen, während seine Hände kurz mit der Decke fummelten, um diese wenig später über sie Beide zu ziehen und die kleine Schönheit auf ihm darin einzuhüllen. Dann blickte er auf sie runter und schmunzelte leicht ob der Feststellung, dass sie bereits selig am Schlafen war, ein gelindes Lächeln auf ihren kirschroten Lippen. Er führte einen Arm um ihre deckenumhüllten Schultern und presste sie näher an sich, gefolgt von einem sanften Kuss, den er gegen ihren Haarschopf drückte. Er schoss die Augen und lauschte für einige Momente dem friedlichen, gemäßigten Rhythmus ihrer Atmung, fühlte, wie sich der zerbrechliche Oberkörper in seiner Umarmung mit jedem Atemzug vage hievte. Es war schon eine Weile her gewesen... seit Sasuke das letzte Mal mit jemandem dicht an ihn gekuschelt eingeschlafen war. Es war angenehm und... beruhigend. Auch sein Bewusstsein glitt langsam zunehmend tiefer in Morpheus' Reich, bis es sich letztendlich gänzlich darin auflöste, und dieses Mal waren die Träume, die er sah, von der gleichen, angenehmen Wärme umhüllt, wie sein verschlossenes, ruhig schlagendes Herz. Kapitel 11: Aufruhr der Elemente -------------------------------- [Dienstag, 14 Juli, 06:15 Uhr] Ihr Aufwachen war noch nie dermaßen angenehm gewesen, trotz des etwas steifen Nackens, den die langgehaltene Liegeposition mit sich gebracht hatte und auch trotz dem lauten Geklingel, das sie abrupt aus dem Schlaf zog. Ihr menschengroßes, warmes Kissen regte sich, sie fühlte das Spiel seiner Brustmuskeln, als sich eins seiner Arme ausstreckte und nach dem Handy griff, um das eindringliche Dudeln des Weckalarms abzustellen. Sakura wäre völlig damit zufrieden gewesen, wieder einzudösen, doch Sasuke hatte anscheinend andere Pläne. "Wir müssen aufstehen." Nicht sollten, nicht könnten, sie mussten. Sie kräuselte ihr formschönes Näschen und klammerte sich widerwillig an ihm fest. "Wieso denn..." Konnten sie heute nicht einfach nur im Bett bleiben? Verdient hätten sie es... "Es ist Dienstag." Dienstagmorgen wohlgemerkt, ein Schultag. Es war viertel nach sechs, Sasukes bevorzugte Aufstehzeit. Er hasste es nämlich, sich beim Aufstehen und Fertigmachen abzuhetzen, deswegen plante er immer mindestens eine gute Extrastunde ein, um sich gemächlich und in Ruhe auf den kommenden Schulalltag vorzubereiten. Das liebliche Wesen auf ihm öffnete träge ein Auge und kniff es sofort ob der Helligkeit des Morgens, die durch die dünnen Vorhänge des Schlafzimmers schlug, wieder zu. "Können wir heute nicht einfach blaumachen?" Sie als vorbildliche Einserschülerin konnte es sich wohl erlauben, oder? Die Welt würde davon schon nicht untergehen... Sasuke quittierte die Aussage mit einem amüsierten Schnauben, seine Antwort war jedoch kategorisch und nicht Gegenstand einer Debatte: "Nein." Dafür sah er überhaupt keinen Grund. Ein wenig Schlafmangel und gemütliche Zweisamkeit waren kein Freifahrtschein zum Schwänzen, besonders wenige Wochen vom Schuljahresende. Sie seufzte ergeben und regte sich, genoss dabei das prickelnde Gefühl ihrer nackten Haut an seiner. Den Kopf gehoben, drehte sie sich auf den Bauch, legte ihre Arme quer über seine Brust und stützte das Kinn auf dem Gebilde ab. Nunmehr wach und aufmerksam, fokussierte ihr lebhaftes Peridot sich auf den undefinierbaren Ausdruck des nachtschwarzen Gegenpaars. "All meine Schulsachen sind Daheim," merkte sie leise an. Sie müsste sich ohnehin in ein neues Outfit schmeißen, denn die Bluse des gegenwärtigen war dahin. Einen Arm unter seinem Kopf, legte Sasuke den anderen über ihren entblößten Rücken, da die Decke durch ihre Bewegung runter zu ihrer Taille gerutscht war. Sein Daumen strich gemütlich die unglaublich weiche Haut an der kurvigen Seite ihrer Taille entlang und bescherte ihr einen warmen Schauer. "Dann fahren wir eben hin." Simpel wie eh und je. Sakura kräuselte missmutig ihre makellose Stirn. "Ich will aber nicht..." Konnten sie echt nicht einfach nur hier bleiben? Oder er ging zur Schule, und sie blieb hier? Für den Rest ihres Lebens. "Deine Mutter wird sich Sorgen machen," und seine nüchterne Intonation verriet, dass er dies nicht wirklich gutheißen konnte. Familie war Familie... egal, was vorgefallen war, sie einfach im Dunkeln tappen und sich grauenhafte Szenarien ausmalen zu lassen war unfair. "Soll sie doch...", brummte die pinkhaarige Schönheit eingeschnappt und starrte angestrengt auf die schöne, maskulin geformte Rundung seiner strammen Schulter. Stark und verlässlich, das verriet der kräftige Bau davon. Er zog die Brauen zusammen. "Sei nicht kindisch. Das steht dir nicht." Das stand keinem, zumindest in seiner Sicht. Sasuke mochte es ungern, wenn Menschen sich wie bockige Fünfjährige benahmen. Diesmal war sie es, die schnaubte, aus unerfindlichem Grunde erzürnt und wegen seiner verurteilenden Bemerkung in irgendeiner Ecke ihres Egos gekränkt. "Was weißt du schon davon?" Ehrlich mal! Er kannte doch nicht mal die Hälfte der ganzen Geschichte, sie hatte allen Recht, auf ihre Mutter sauer zu sein, auf welche Weise es ihr auch immer beliebt war! Kaum eine Sekunde später zog Sakura scharf die Luft ein, als Sasuke sich abrupt zur Seite rollte und sie von ihm runter rücklings in die Matratze glitt. Er war prompt halb über ihr gebeugt, ein harter Ausdruck auf seinem Gesicht und sein Ton vernichtend ernst. "Ich weiß, dass sie deine Mutter ist, und Besseres verdient, als sich mit Angstvorstellungen zu quälen, ihre Tochter läge womöglich tot oder geschändet in irgendeinem Graben. Und bevor sie dir noch die Polizei hinterher hetzt, sollst du ihr ein verdammtes Lebenszeichen geben." Sie senkte schuldig ihren Blick und biss sich auf die Unterlippe. Seiner Reaktion nach zu urteilen verstand er in diesem einen Punkt wirklich keinen Spaß, und er hatte ja auch vollkommen Recht... Ihre Mutter müsste wahnsinnig vor Sorge sein. Sie hatte wahrscheinlich kein Auge zugetan und sich die Seele aus dem Leib geheult, was sie sicherlich nahe einem kompletten Nervenzusammenbruch gebracht haben musste. Wenn sie nicht bereits jetzt das gesamte Polizeirevier auf die Ohren gestellt hatte, würden sie noch Glück haben. Den Ärger brauchte nun wirklich niemand. Sie benahm sich hier wohl in der Tat wie eine trotzige Göre... es war Sakura rückblickend fast schon peinlich - wenn sie sich so vor Sasuke benahm, würde er sie auch nie als irgendetwas anderes sehen. "Lass uns aufstehen," sagte sie letztendlich leise und sah dann mit einem festen Lächeln zu ihm auf. Seine stattliche Gesichtszüge glätteten sich wieder, er lehnte sich vor und fing ihre Lippen in einem wohltuenden Kuss ein, der sie augenblicklich fast die ganze Welt um sich herum vergessen ließ. Ihre Augen fielen beinahe genüsslich zu, doch ihre periphere Sicht erhaschte just dann etwas auf seinem Torso. Sie löste den Kuss und hob ihre Hand, um sachte die Stelle etwas oberhalb des wohlgeformten Rechtecks seines rechten Brustmuskels zu streifen. Die Haut dort war heller, geformt in einem kleinen, kantigen Kreis. Eine Narbe. Gestern, gefangen im Feuer der Lust und Leidenschaft, hatte es sie den kleinen Dingen gegenüber blind gemacht, aber jetzt erblickte sie diese mit einem klaren, mulmigen Gefühl, das sich in ihr breit machte. Ihre Finger tappten tiefer und stießen gegen eine milde aber distinkte Furchung: eine weitere, viel längere Narbe, die sich von knapp der Mitte des zweitletzten Rippenrings diagonal über sein ansehnliches Sixpack zog und irgendwo an dem Hüftknochen zu enden schien, ganz einsehbar war es nicht, denn er lag auf der Seite. "Woher hast du die...?", flüsterte sie mit einer Note Ehrfurcht. Das konnte doch nur von einer Art tiefem Einschnitt gekommen sein. Wann? Warum? Womit? Unfall? OP? Oder gar... gewaltsam zugefügt? "Lange Geschichte." Damit schwang Sasuke einen Augenblick später die Füße von der Matratze und setzte sich mit dem Rücken zu ihr auf der Bettkante auf. Die Decke in Falten vor ihrer entblößten Brust haltend, richtete sich auch Sakura im Bett auf, ihr wachsamer Blick nun um einiges sorgfältiger, als sie sich seine unverhüllte Rückseite besah. Sie musste ungewollt schlucken, die gleiche rundliche Narbe war dort knapp mittig auf dem Schulterblatt, auf fast der gleichen Höhe, wie die auf seiner Brust. Sakura liebte Kriminalfilme, Actionflicks und Detektivromane. War das... eine Durchschusswunde gewesen? Es sei denn, etwas anderes Spitzes und Rundes hatte sich mal durch seinen Oberkörper geschlagen, was keine wirklich bessere Vorstellung war. Ihr Blick wanderte etwas weiter den durchtrainierten Rücken runter und blieb an einer Verformung der sanft gebräunten, festgewebten Haut hängen, genau in der leichten Einsenkung der Taille auf der rechten Hälfte. Gezackt und uneben war die Textur viel heller, vage rechteckig und recht flächendeckend, sie hatte diese Art Wundmal ebenfalls schon mal gesehen, zumindest im Fernsehen: die sehnige, blassere Gewebenachbildung, die über einer stark verbrannten Körperstelle nachwuchs. Narben verschönerten ja bekanntlich einen Mann, aber seine wisperten von Ereignissen, die in irgendeinem Ausmaße grauenvoll wenn nicht gar traumatisierend gewesen sein mussten. Die Fragen brannte auf der Spitze ihrer Zunge, doch sie hielt diese zurück. Sie hatte das Gefühl, er würde nicht darüber reden wollen und so richtig traute sie sich nach seiner Antwort von vorhin auch nicht mehr. Nichtsdestotrotz machte es ihn auf eine Art nur noch anziehender und seine Stärke und Gemütsruhe umso respektwürdiger. Sasuke stand auf und ihre Gedanken fanden sich für einen Moment von der hinreißenden Ansicht seiner knackigen Kehrseite abgelenkt, bevor diese von dem schwarzen Material der Boxershorts wieder verhüllt wurde. "Ist dein Oberschenkel auch eine lange Geschichte?", kam sie letztendlich nicht umher, leise nachzufragen, als sie eine weitere zackige Einkerbung, die vage an ein Kreuz erinnerte, an der Seite des besagten Oberschenkels bemerkte. Er blickte kurz zu der Stelle runter und zuckte kurz die Schultern. "Offener Bruch." Der Knochen, der bei besagtem Bruch blutig und kantig aus seiner Haut herausgestochen hatte, war gut und ohne üble Nachwirkungen verwachsen worden, eins musste man seinem Körper lassen, dieser war unglaublich durabel und heilungsaktiv. "Wie kam es dazu...?" Sasuke blickte über eine jener Schultern zu ihr. "Motorradsturz." Er klopfte fast schon andächtig gegen die betreffende Narbe. "Ich war 14." Na ja, fast 14. Daraufhin starrte Sakura ihn entgeistert an. "Mit 14 darf man doch noch gar kein Motorrad fahren!" Das gab ein Schmunzeln und ein einvernehmliches Schnalzen mit der Zunge. "Und jetzt weiß du auch, warum." Nicht, dass es ihn damals gekratzt hatte. Es war ja nicht mal sein Motorrad gewesen, das eigene Gefährt hatte er sich legal erst vor einem Jahr anschaffen dürfen. Sie beobachtete ihn dabei, wie er zum Kleiderschrank trat und diesen aufmachte, um in einer lockeren Bewegung einen Hänger mit seiner Schuluniform zu greifen. Die Knie angezogen, legte sie den Kopf darauf und schaute aus dieser geneigten Perspektive, wie er in seine Hose schlüpfte. "Du hattest ein hartes Leben... oder?", wunderte sie sich leise. Er zuckte die Achseln. "Hätte schlimmer sein können." Geschickte Finger zogen den Reißverschluss zu und schubsten den Hosenknopf durch die Ose. Gut gebaute Arme schlüpften durch schneeweiße Ärmel, eine lässige Bewegung mit den Schultern beförderte sein Hemd gänzlich auf den athletischen Oberkörper. Er war fast wie ein lebendes Kunstwerk und sie schaute ihn bei diesen prosaischen Aktivitäten zu, als wäre es ein überaus spannender Actionfilm. "Ich wünschte, ich wäre da gewesen..." Sasuke knöpfte das Kleidungstück zu, versteckte somit all jene Narben, über die sie jetzt sicherlich immerzu nachdenken würde, und rollte in einer habituellen Geste die Ärmel bis über die Ellenbogen auf. "Du musst mich nicht bemitleiden." Das mochte er überhaupt nicht, mit ein Grund, warum er seine Vergangenheit für sich behielt. Abgesehen davon, dass es die meisten Menschen sowieso nichts anging. Sakura fixierte gedankenverloren das schwarze Band der Krawatte, das er sich geschwind um den Kragen legte. "Das meinte ich nicht. Ich will dich nur besser verstehen." Und der Schlüssel dazu lag in all diesen Sachen, die er ihr nicht erzählen wollte. Oder nicht erzählen konnte. Er vertraute ihr nicht genug dafür. Etwas, voran sie entschlossen war, zu arbeiten. Sasuke drehte sich ihr zu und schaute sie für eine Weile einfach nur an. Dann trat er zum Bett, stützte kurz ein Knie darauf ab und beugte sich herunter, um einen sanften Kuss gegen ihre Schläfe zu drücken. "Zieh dich an." Sie tat, wie ihr geheißen und nach einem nahrhaften Frühstück schwang sie sich hinter ihm auf sein glänzend schwarzes Bike, damit dieses sie beide zu Sakuras verhasstem Zuhause tragen konnte. Der Motor verstummte nicht und der Besitzer des Gefährtes stieg nicht ab, was Sakura sich beeilen ließ. Sie hatte die Hausschlüssel gestern nicht mitgenommen und klingelte nun an der Eingangstür, baldig begrüßt von ihrer Mutter, die genauso aussah, wie ihre Tochter es vermutet hatte - verweint, mit dunklen Augenringen und einem bekümmerten Glitzern in den sorgentrüben Augen. Sie brach auch umgehend in Tränen aus, als sie ihr Kind erblickte, auch wenn Sakura sich geschickt an ihrer Mutter vorbeimogelte, bevor jene Arme sie in einer Umarmung einfangen konnten. "Um Himmels Willen, Sakura... Wo warst du?! Ich-" Sie drückte ihrer Mutter einen flüchtigen Kuss auf die feuchte, salzige Wange. "Es tut mir Leid, dass ich einfach so abgehauen bin, Mama. Es geht mir gut, ich habe bei meinem Freund übernachtet. Wir reden, wenn ich zurück bin, okay? Ich muss jetzt los, sonst kommen wir zu spät zur Schule." Das alles war schnell in einem Atemzug runter gerattert worden und bevor Fragen kamen, huschte das Mädchen nach oben in ihr Zimmer. Sie schnappe sich ihre Schultasche, tauschte ihre Uniform gegen eine Kombination aus kurzen Jeanshorts und einem schwarzen Top mit Spaghettiträgern aus, schnappte sich eine geblümte Sommerjacke und war genauso geschwind wieder aus der Tür. Das ließ Yukiko verdattert und unbeholfen schluchzend zurück, ihre Gedanken ein einziges Durcheinander. Sakura hatte einen Freund? Etwa Seiichiro? Sie konnte sich nicht daran entsinnen, dass der Junge ein Motorrad fuhr... Und was hieß hier, übernachtet? Zusammen, mit ihm allein? Sie war zu ausgelaugt, sie konnte nicht mal wütend sein. Sie war einfach nur unglaublich froh und erleichtert, dass ihrer Tochter nichts passiert und diese wieder nach Hause gekommen war... Gott, sie selbst brauchte eine Mütze Schlaf. Bis Sakura wieder aus der Schule zurückkam, würde sie eher keine Antworten auf ihre Unmengen an Fragen erhalten, da konnte sie die Zeit auch nutzen, sich ein wenig zu erholen und zu beruhigen. Knapp eine Viertelstunde später kamen Sasuke und Sakura an ihrer Schule an und es wäre eine freche Lüge, zu behaupten, das Mädchen spürte nicht das flatternden, absolut flaue Gefühl im Magen, als sein Motorrad, von ruhigen Händen gelenkt, in die Parklücke rollte und zum Stehen kam. Alles in ihr schien zu zitternd und sich willkürlich zu verkrampfen, doch sie versuchte ihr Bestes, so selbstsicher wie möglich zu wirken, nachdem sie abgestiegen und sich den Helm vom Haupt genommen hatte. Ihr Begleiter, allzeit unerschütterlich, tat es ihr gleich und beäugte sie dann mit leichter Skepsis. "Alles klar?" Ihre perfekte, helle Haut sah etwas blasser aus und das Glimmern der inneren Unruhe verlieh ihren Augen einen leicht verschüchterten Ausdruck. Sie nahm einen tiefen Atemzug und lächelte dann fest, ihre Stimme voller aufgewühltem Elan. "Yep!" Es war immerhin ihre Entscheidung gewesen, jetzt einen Rückzieher zu machen wäre ja lächerlich und ihm gegenüber nicht fair. Sie musste nur versuchen, genauso ruhig und locker zu bleiben... Himmelherrgott, wie machte er das und konnte es vielleicht ganz schnell auf sie abfärben? Sie bemerkte bereits die neugierig-evaluierend-verurteilende Blicke einiger, die an den Parkplätzen vorbei Richtung Schulgebäude schlenderten. Egal. Die konnten doch alle denken, was sie wollten. "Lass uns los!", zwitscherte sie stattdessen fröhlich. Sasuke schnaubte daraufhin amüsiert und nickte ihr zu. Gemeinsam schritten sie in die Menge an jungen Leuten und schlossen sich so dem Menschenstrom Richtung der Schule an. "Ich kriege wahrscheinlich wegen gestern tierisch Ärger," sinnierte Sakura laut heraus, daran versucht, das gelegentliche Getuschel in Tandem mit verstohlen Blicken in ihrer beider Richtung von hier und da bestmöglich zu ignorieren. "Sag, es war ein Notfall." Schlug Sasuke prosaisch vor und sie lachte auf. "Sicher. Was denn für einer?" Er zuckte nonchalant die Schultern. "Du bist gewitzt, dir fällt schon was ein." Seine nachtschwarzen Augen waren viel aufmerksamer, denn im Gegensatz zu Sakura, die versuchte, ihrer Umgebung so wenig Beachtung wie möglich zu schenken, tat Sasuke das genaue Gegenteil, auch wenn seine natürliche Gelassenheit nicht viel davon verriet. Hier und da bemerkte er Mitglieder von Seiichiros breitgefächerter Clique, ihre Blicke waren unverhohlen dreist und herausfordernd. Der blasierte Anführer war heute also wieder da. Sakura indes, nickte beschwingt. "Danke fürs Vertrauen, irgendeine Ausrede spinn' ich mir wohl zusammen. Aber nachsitzen werde ich heute trotzdem müssen." Und morgen, und übermorgen und höchstwahrscheinlich bis zum Ende dieses Schuljahres und einige Wochen ins nächste hinein. Was ein Mist. Sie kamen an den Stufen an und begannen, diese in genormtem Schritttempo hoch zu steigen. "Keine Sorge, ich leiste dir Gesellschaft." Eine fein gezupfte Braue gehoben, schielte sie sowohl ungläubig als auch erfreut zu ihm. "Wirklich?" Meinte er das Ernst? Er würde freiwillig beim Nachsitzen dabei sein, ihretwegen? "Ich kann dich jetzt nicht mehr alleine lassen." Seine Antwort war prägnant und sachlich, und doch mit das Süßeste, was je jemand zu ihr gesagt hatte, ungeachtet all den Komplimenten, die ihr sooft wie Rosenblätter zu Füßen gestreut wurden. Sasuke blickte zu ihr und schien für einen Moment ob ihres verliebt-verzaubertem Ausdruck fast verlegen zu werden, begreifend wie sich der vermeidlich nüchterne Satz wohl für sie angehört haben muss. "Das ist zu gefährlich," ergänzte er die vorhergegangene Aussage grummelnd, fast wie eine Art Rechtfertigung. Sakura unterdrückte daraufhin mit mäßigem Erfolg ein mädchenhaften Kichern. Ohne es zu wollen konnte er manchmal ja so- Ihr Gedankengang riss abrupt ab, als sein Gesichtsausdruck sich schlagartig mit kühler Ernsthaftigkeit verfinsterte. Erst jetzt bemerkte sie, dass der Schülerfluss um sie herum Abstand genommen hatte, sodass man meinen könnte sie und Sasuke waren ein herausragender Stein, der von der Strömung vorsichtig umflossen wurde. Sie verstand auch umgehend, warum: auf der letzten Treppenstufe stand Seiichiro, Arme lässig vor der Brust verschränkt und eine Traube Lakaien um sich herum. Sie schluckte schwer und hielt an, als Sasukes Hand leicht ihr Handgelenk berührte, wie eine stumme, wenn nicht schützende, Aufforderung dazu. Der Schülerratvorsitzende und seine Gefolgschaft blockierten dem Paar erfolgreich die Passage und blickten allesamt von der strategisch gewählten, ein paar Treppenstufen höheren Position spöttisch-provokant auf die zwei herunter. "Aus dem Weg." Ob der eisigen Schärfe in Sasukes dunkler, angespannter Stimme lief es sogar Sakura kalt den Rücken runter. Sie hatte seine samtig-tiefe Tonlage noch nie dermaßen bedrohlich klingend erlebt. Seiichiros Mundwinkel zuckte hoch in einem minimalen, machthaberischen Grinsen. "Entspann dich, Uchiha, zu dir komm' ich noch. Bin eigentlich nur hier, um mein Mädel abzuholen. Sie weiß immerhin, was gut für sie ist. Nicht wahr, Sakura?" Seine Sicht fixierte lauernd-gebieterisch ihre zierliche Gestalt. "Um den Loser hier ist's schon geschehen, aber du kriegst noch eine letzte Chance von mir." Ihr Herz pochte fast schmerzhaft wild in ihrer Brust, emotionsgeladene smaragdgrüne Augen kreuzten sich resolut mit Seiichiros dunklen Iriden. In der nächsten Sekunde schlang sie beide Arme um Sasukes eigenen, bestimmt und haltsuchend zugleich, während ihr hübsches Antlitz sich mit Abscheu verdunkelte. "Steck dir deine Chance sonst wohin. Du widerst mich an, du arrogantes Arschloch." Der hasserfüllte, jähzornige Funken verletzten Stolzes passierte Seis Augen blitzartig aber bemerkbar, bevor diese sich hämisch-dominant verengten und er belustigt grunzte. "Wie du willst. Geht ihr halt zusammen unter, wie bei der Titanic." Seine Kumpels akkreditierten das mit ähnlichen höhnischen Lauten. Jetzt war es nämlich persönlich und er würde dafür sorgen, dass Schule für Winslet und DiCaprio dort zur Hölle wurde. Wenn Sasuke ihn unbedingt dermaßen dreist herausfordern wollte... Seiichiro war niemand, der den Schwanz einzog und jetzt würde er erst recht wirklich Ernst machen. Was vorher nur lässige Keilereien zwischen zwei verschiedenen Welten waren, würde er zum Krieg erklären und er war mal sehr gespannt, was genau Sasuke ihm da entgegen zu setzten hätte. Wenn Seiichiro es wollte, könnte er in dieser Schule eine Armee für seine Sache aufstellen. Wer würde es riskieren, für zwei von ihm erklärten Außenseiter einzustehen? Wenn er die richtigen Stränge zog, würden nicht mal die Lehrer einen Finger für sie rühren und das öffnete die Pforten für eine ganz neue Art von Mobbing. Der Fakt, dass sein Nemesis alles hier mit solcher überheblichen Ruhe hinnahm, war ein sehr schlechtes Zeichen an sich, das war auch Sasuke bewusst. Die Atmosphäre hatte sich grundlegend geändert, eine andere Wahl, als sich dem entgegen zu stellen, hatte er jedoch nicht mehr. "Ich wiederhole es nur noch einmal. Aus dem Weg, falls du keine zweite Nasenkorrektur bezahlen willst." Besagtes Organ war nämlich wieder säuberlich gerichtet und wies nicht den Hauch einer Spur Beschädigung mehr auf, doch Sasuke war gerne bereit, es zu ändern. Dieses blöde Herumgestehe hier und Seiichiros hochmütiges Posen gingen ihm langsam gehörig auf die Nerven. "Locker bleiben, Uchiha. Keine Sorge, du wirst es alles schon sehr bald sehr stark bereuen." Damit trat Seiichiro überzogen höflich zur Seite, und die Gruppe um ihn teilte sich in der Mitte, um den Durchgang zu gewähren, obwohl es Sakura ganz und gar nicht geheuer war, zwischen den zwei Hälften seiner Gefolgschaft hindurch zu müssen. Sie klammerte sich unbewusst fester an Sasuke, während dieser sicheren Schrittes voranging. Sie selbst hatte gerade den eigenen Fuß auf die letzte Treppenstufe gesetzt, als einer der Jungs nach ihrem Haar langte, offensichtlich um gehässig ein Kaugummi rein zu drücken. Sie konnte nur erschrocken die Luft einziehen, spürend wie der Arm in ihrer Umklammerung um ihren Rücken griff, damit Sasuke sie mit gezwungener Schroffheit an sich ziehen konnte, sodass sie abrupt gegen seine Brust stolperte. Seine freie Hand war rapide vorgeschossen, um das Handgelenk des Übeltäters in einem eisernen Ring starker Finger einzufangen. Das Kaugummi fiel zu Boden, ohne je eine ihrer seidenen, pinken Strähnen zu berühren und ein geschicktes Verdrehen der Gliedmaße brachte besagten Übeltäter zum kurzen Aufschreien, das Gewicht notgedrungen dermaßen verlagert, dass er mehr oder minder auf der Stufenkante balancierte und die Treppe nur dank Sasukes Griff an ihm nicht kopfüber runter purzelte. Sei und seine Entourage hielten sich zurück, immerhin, sollte Sasuke ihretwegen loslassen, würde ihr Kumpel einen sehr unsanften Sturz erleben. "Zieht Leine." Die Stimme des Neunzehnjährigen war mit einer bedrohlichen Note unterlegt, genauso wie der gefährliche Funken in den Tiefen nachtschwarzer Augen. "Ist ja gut, Rambo." Seiichiro hob gespielt abwehrend die Hände und trat einen Schritt zurück, gemimt durch seine Gefolgschaft, von denen manche den Funken respektvoller Ehrfurcht schlechter maskieren konnten als andere. Gut. Sie fürchteten ihn also noch. Hoffentlich würde das so lange wie möglich auch dabei bleiben. Sasuke setzte seinen Weg fort, Sakura durch seinen Arm um sie sanft dazu angespornt, ihm zu folgen. Im Bewegungsverlauf gab er dem Pechvogel von vorhin noch einen scharfen Ruck, um ihn wieder vernünftig auf die Füße zu ziehen und ließ dessen Handgelenk wieder frei. Seine geruhsame Stimme holte Sakura nach ein paar weiteren Schritten, die sie beide aus der Hör- und Sichtweite von Sei und seiner Clique gebracht hatten, aus ihrem Stupor: "Ist schon gut. Kannst dich wieder entspannen." Erst jetzt bemerkte sie, wie krampfhaft fest ihre Arme um den seinigen geschlungen waren, sie drückte sich so nah an seine Seite, dass sie ihm dabei fast auf die Füße trat. Sie atmete tief durch und zwang ihre Muskeln zum Auflockern. "Danke...", flüsterte sie, bemüht, ihre Fassung wiederzuerlangen. Ihr Innerstes zitterte immer noch im Nachklang der nahezu stattgefundenen Eskalation, an der sie so knapp vorbeigeschrammt waren. Langsam wurde ihr der Ernst ihrer Situation wirklich bewusst, so gravierend hatte sie es sich nicht vorgestellt. Aber nun... Augen zu und durch, zurückrudern konnte man jetzt auch nicht mehr. Nicht, dass sie es überhaupt wollte. "Dein Klassenraum?" Erkundigte er sich und sie nannte mechanisch die Raumnummer. Er begleitete sie bis dahin und dort angekommen musste sie sich von ihm und seiner sicherheitsspendenden Präsens leider trennen. Unwillig löste sie ihre Umklammerung um seinen Arm und schaute auf mit einem tapferen, festen Lächeln. "Bis nachher." Wenn sein gekräuselter Zeigefinger sich sachte unter ihr Kinn legte, langten ihre feingliedrigen Finger kurz nach seinem Hemd nahe seiner Hüfte, um dort eine faustvoll Stoff in diesen zu zerknautschen, während sie sich seinem neigenden Kopf entgegenstreckte, damit ihrer beider Lippen sich in einem sanften, wohltuenden Kuss trafen. Wer es sah und was er dabei dachte oder welche Miene er dabei schnitt war ihr in der Sekunde vollkommen egal, ihre smaragdgrünen Augen leuchteten rein und glückselig als sie sich wieder lösten. Sasukes Finger glitt von unter ihrem Kinn weg und streifte flüchtig ihre Nasenspitze, was die gehobene Linie ihres lieblichen Munds noch kurviger machte. "Bis naher. Du schaffst das schon," sprach er mit milder Belustigung und einer Note Ermutigung und dieser eine kleine, fast spaßige Satz erfüllte sie mit einem ungeahnten Maß an Courage. Recht hatte er. Sie würde das schaffen. Sie beide würden es tun, zusammen. Die erste Stunde des Blockunterrichts verlief normal, und nach knapp der Hälfte der zweiten entschuldigte Sasuke sich aus dem Unterricht. Ein kleiner Sprint durch die leeren Gänge und raus aus dem Gebäude, doch die Jungentoilette war dabei nicht sein Ziel. Kaum eine Minute später schnappe er eine mit einem Taschenmesser bewaffnete Hand ums Gelenk, bevor sich die Spitze des Tatwerkzeugs in das Gummi seines Motorradreifens verbeißen konnte. Er parkte sein kostbares Fahrzeug immer wohlberechnet an dem Platz, den er von seinem Fenster im Klassenraum aus gut sehen konnte und diese kleine Ratte hatte er genau rechtzeitig verstohlen darauf zukriechen sehen. Diese letzten zwei Wochen würden nicht einfach werden. Er verpasste dem Unterstufler eine gehörige Kopfnuss und konfiszierte auch das Messer, was den Jungen sich fast vor Angst einnässen ließ in der Befürchtung, die Kopfnuss möge nicht die einzige Strafe bleiben, die er erhalten würde. Immerhin verhieß Sasukes Reputation in der Schule, dass er für weitaus kleinere Sachen weitaus schlimmer austeilte. "Der Nächste, der es versucht, verliert ein paar Finger. Sag's gerne so weiter." Mit dieser Warnung scheuchte Sasuke den kleinen Idioten davon. Ob die Drohung gegen Seiichiros Hardcore-Speichellecker funktionieren würde, wusste er nicht, insofern beschloss er, sein treues metallisches Ross für alle Fälle umzuparken. Das führe dazu, dass er erst kurz vor dem Ende des Unterrichts wieder in der Klasse eintraf, woraufhin der Lehrer ihn gehörig angeschnauzt und für die letzten Minuten umgehend wieder rausgeschickt hatte. Ein kleiner Preis für die Unversehrtheit seines Fahrzeugs, wie Sasuke fand und es passte ihm auch recht gut, er hätte sowieso vorgehabt, vor der Pausenklingel aus der Klasse raus zu sein, damit er mit dem Ertönen dieser bei Sakuras Klassenraum sein konnte, denn jetzt durfte man von Seiichiro wirklich alles erwarten und je weniger er sie alleine ließ, desto sicherer war es für sie. Die kleine Grazie blühte förmlich auf, als sie ihn beim Heraustreten aus der Tür dieser gegenüber locker an die Fensterbank gelehnt erblickte und flatterte gleich einem hübschen Schmetterling geschwind auf ihn zu. Somit verbrachten sie die erste Pause zusammen außerhalb des Schulhofs und er lieferte sie gewissenhaft wieder an ihrer Klassenzimmertür ab. Sakura verabschiedete sich für weitere zwei Stunden von ihm und trat in den Raum ein, doch diesmal wartete eine unangenehme Überraschung auf sie. Alle saßen auf ihren Plätzen doch ihrer war leer - komplett leer. Auf der Stelle nebst dem Fenster begrüßte sie nur der nackte Boden, sowohl ihr Tisch als auch ihr Stuhl waren verschwunden. Verhaltenes Gegrunze und Gekicher untermalte die paar Momente, wo sie erst einmal ratlos und verloren vor diesem Nichts dastand. Dann glätteten sich ihre perfekten Gesichtszüge zu einer Maske der Gleichgültigkeit. Fein. So lief der Hase also nun. Sie schnaubte verächtlich, hüpfte dann auf die Fensterbank drauf, ihre Schultasche neben sich abgestellt, und holte ihre Sachen raus. Das würde jetzt zwar etwas umständlich sein, aber die Genugtuung, hier dran zu verzweifeln, würde sie niemandem von ihnen gönnen. Mehr allgemeine Belustigung auf ihre Kosten, welche sie versuchte, geflissentlich zu ignorieren, stattdessen starrte sie angestrengt in ihr auf dem Schoß abgelegtes Mathematikbuch. Der Lehrer traf wenig später ein und bedachte sie sofort mit einem fragenden Blick. "Was soll das werden, Sakura?" Sie blickte auf und zuckte lässig mit den Schultern, eine Geste, die sie sich von ihrem Freund abgeguckt hatte. "Ist mein neuer Platz. Gefällt's Ihnen?" Gefallen tat's dem Lehrer natürlich nicht, aber die Unterrichtszeit mit dem Suchen ihres alten oder dem Beschaffen eines neuen Tisches zu verbringen wollte er auch wieder nicht. Also ging die Doppelstunde normal weiter, und sie ertrug stoisch die spöttischen Blicke, welche ihrer auf der Fensterbank nistenden Gestalt über die 90 Minuten hin zuteil wurden. Sasuke fand sich beim Betreten des eigenen Klassenraums mit dem gleichen Problem konfrontiert, obschon seine Lösung viel simpler und gradliniger ausfiel. Er drehte sich einfach nur zu dem Sitznachbarn hinter ihm und zog dessen Tisch auf den Platz von seinem eigenen. Dann packte er den vorherigen Besitzer am Kragen, um ihn locker von seinem Stuhl zu ziehen. Der Junge machte erst Anstalten, sich zu wehren, aber nach einem stechend-finsterer Blick aus gefährlich verengten schwarzen Augen ergab er sich seinem Schicksal und verabschiedete auch seinen Stuhl, auf den Sasuke sich wenig später fallen ließ und eine großzügig wischende Bewegung seiner Hand beförderte den Kram seines Klassenkameraden von der Tischfläche auf den Boden. Gehindert hatte ihn bei der ganzen Aktion keiner, da fehlte ihnen entweder der Mumm oder die Lust, Seiichiro aber feixte durchgehend. Es würde ein langer Schultag werden und alle weiteren versprachen, unter Umständen schlimmer und schlimmer zu werden. Diese Sachen fingen meistens relativ harmlos an, aber sie tendierten dazu, schnell auszuarten, besonders wenn jemand wie Seiichiro der Kriegshetzer war. Auch diesmal verließ er die Stunde etwas frühzeitig, wogegen der Lehrer nicht mal protestiert hatte. Sakura sah ein wenig geknickt aus, als sie herauskam, doch ihn dort an der Fensterbank warten zu sehen hellte ihre Gemütslage augenblicklich auf und zauberte prompt ein erfreutes Lächeln auf die sinnlich roten Lippen. "Meinst du, in der Cafeteria ist es ungefährlich?", fragte sie mit Belustigung in der Stimme und er grinste leicht. "Würd' ich nicht drauf wetten." Er stieß sich von der Fensterbank ab und sie presste sich bereitwillig an seine Seite, wenn sein Arm sich locker um ihre Schultern legte. Bevor sie gemeinsam losliefen, drückte er einen flüchtigen Kuss auf ihren Haarschopf. "Komm, ich weiß einen besseren Ort." Sakura nickte beschwingt. Sie schienen beide beschlossen zu haben, es mit einer Prise Humor zu nehmen und solange sie zusammen durch diesen Mist wateten, war es irgendwie auch halb so schlimm. Solange Sasuke in ihrer Nähe war, fühlte sie sich stark, sicher und wohlbehütet, er hatte beweisen, dass er von jetzt an ein Adlerauge auf sie hatte. Ihr würde nichts passieren, dafür würde er sorgen und sie vertraute ihm blind. Die große 30-Minuten Pause verbrachten sie also nicht in der Mensa, sondern in einem kleinen Cafe nicht weit vom Schulgelände, obwohl sie es eigentlich nicht verlassen durften. Sasuke gönnte sich dort auch eine Zigarette und es hinterließ einen sanften Beigeschmack an Menthol auf ihrer Zunge, nachdem sie vorm Zurückkehren in die Schule einen langen Kuss geteilt hatten. Sakura verbrachte die nächsten vier Stunden auf ihrer Fensterbank, Sasukes 'ausgeliehenen' Tisch fasste niemand mehr an. Die kleine Pause dazwischen überbrückten sie wieder ereignislos zusammen, wahrscheinlich dank der Tatsache, dass sie sich wieder nicht im Schulhof blicken gelassen und stattdessen eine Spazierrunde um das Gelände gedreht hatten. Soweit so gut und nach dem Ende der achten Stunde blieb Sakura allein im Klassenzimmer zurück in Erwartung ihrer Aufsicht, denn Nachsitzen stand für sie immer noch nach wie vor an. Lange blieb sie nicht allein. "Was ist'n das?" Sasuke hob eine Augenbraue, als er den Klassenraum betrat und sie auf besagter Fensterbank erblickte, ihre Schulsachen und Federmäppchen neben ihr und ihr Heft auf dem Schoß. Sie grinste unbekümmert, die langen Beine leicht baumelnd. "Mein neuer Sitzplatz. Schick, oder?" Er hielt neben ihr an und schmunzelte, bevor ihr mit dem angewinkelten Zeigefinger über die samtweiche Wange zu streifen. "Absolut." Dieses Problem hier war nichts, womit er ihr wirklich aushelfen konnte, aber sie schien auch so eine eigene Lösung gefunden zu haben. Vielleicht nicht ganz so optimal wie die seinige, doch immerhin kreativ und effektiv genug. Sie ließ sich nicht unterkriegen und das war das Wichtigste. Die meisten an ihrer Stelle würden sich mittlerweile überlegen, ob sie Seiichiros Angebot nicht doch noch annahmen, denn er hätte ihr die Bitte bestimmt nicht abgeschlagen, wenn sie reuevoll an seine Seite zurückkehrte. Doch Sakura würde lieber komplett die Schule wechseln, als sich so weit sinken zu lassen. Sie stand zu ihrem Wort und zu ihrem Mann, sie wollte Sasuke und niemand anderen. Welche Hürden sie dabei auf sich nehmen müssen würde, war ihr vollkommen Schnuppe. "Sasuke-kun? Was machst du denn hier?" Sie drehten sich dem durch den Türrahmen geschrittenen Pädagogen zu, sie kannte ihn als ihren Geographielehrer, Sasuke kannte ihn vom Geschichtsunterricht. "Nachsitzen." War die lässige Antwort des Jungen, die Lehrkraft ihnen gegenüber für einen Augenblick ratlos doch nach Diskussionen war ihm offensichtlich nicht zu Mute. "Nun ja... Hm. Wie du meinst," sagte er und fügte nachdenklich hinzu: "Trifft sich vielleicht sogar ganz gut. Ein bisschen Muskelkraft kommt hier ganz gelegen." Was er damit meinte, erfuhren die beiden Schüler wenig später, als sie bei den Sporthallen ankamen. In einer davon hatte allem Anschein nach irgendeine Art Wettkampf stattgefunden und sie durften nun die Aufräumarbeiten verrichten. Der Lehrer reichte Sasuke den Schlüssel. "Schließt bitte ab, wenn ihr fertig seid," wies er sie an und war verschwunden. War den beiden recht und Sakura hatte noch nie so viel Spaß in der Schule gehabt, wie beim Nachsitzen mit Sasuke. Ans Aufräumen dachte der Neunzehnjährige nicht im Geringsten, stattdessen machten sie sich einen Spaß draus, die vielen Gerätschaften mal selbst zu benutzen. Sie stellte ihre Eleganz und Biegsamkeit auf der Gymnastikmatte und dem Balken unter Beweis, er seine Kraft auf dem Reck und bei den Gewichten, bevor ihnen der Basketball in die Finger kam und sie sich für gut eine Stunde beim Spiel austobten. Irgendwie sah die Halle mittlerweile noch chaotischer aus, als vorher, kümmerte aber weder ihn noch sie. Ihr Gesicht glühte warm und in einem gesunden Pink von den energischen Aktivitäten, als Sakura sich rücklings auf eine der dicken Matten auf dem Boden fallen ließ, schwer atmend und unkontrolliert lachend. "Das war unfair!", beschwerte sie sich durch die unregelmäßige Luftzufuhr hindurch und blitzte Sasuke an, als er vor selbiger Matte mit einem selbstgefälligen Grinsen zum Stehen kam und amüsiert auf sie heruntersah. "War es nicht. Damit steht's wie viel? Fünfzehn zu Null?" Sie kräuselte ihre Nase und schürzte die Lippen in einem niedlichen Schmollen. "Du hättest ja mal ein Gentleman sein und mir wenigstens den einen Punkt gönnen können!", warf sie ihm gespielt beleidigt vor. Sie war so nah dran gewesen! "Sagt die Richtige. Du hast mich dabei auch nicht gerade ladylike angerempelt." Schnaubte er belustigt und sah zu, wie Sakura sich bei der Erinnerung daran die wohl schmerzende Hüfte rieb. Besagter Rempler war eigentlich gar nicht Absicht gewesen, nur in der Hitze des Moments hatte sie alle Vorsicht vergessen gehabt. "Aha. Ich glaube, ich habe mir selbst dabei sowieso mehr weh getan als dir," klagte sie und griff dann nach seiner Hand, die er ihr entgegenstreckte. Ihr Herz hastete ihr davon, als er sie mit Leichtigkeit auf die Füße zog und sie ihm mit mildem Schwung entgegenfiel. "Ich glaube, ich weiß, wie ich's wiedergutmachen kann." Ihre Hände legten sich auf seine strammen Schultern und ihre Knie wurden weich wie Pudding, sobald jene Arme mit resoluter Sanftheit um sie gingen, eine um ihre zierlichen Schultern und eine um ihre schlanke Taille und dessen hinziehender Druck bog sie regelrecht weiter in ihn hinein. Der heißersehnte Kuss passierte aber nicht, denn von einer Sekunde auf die andere erbleichte sie, der schlanke Körper eingefangen von leichtem Zittern, welches sich auch auf ihre erstickte Stimme übertrug: "Sasuke..." Er warf ob ihres angsterfüllten Flüsterns einen Blick über die eigene Schulter und folgte der vor Furcht starren, geweiteten Sicht ihrer Augen. Seine eigenen verengten sich augenblicklich, die wohlbekannte, unangenehme Anspannung machte sich auf den Weg in jeden Muskel. Eins... drei... fünf... sieben. Sieben. Sasuke löste seine Umarmung um die kleine Schönheit dich an ihn gepresst, und drehte sich um. Einen Schritt vortretend, schob er Sakura sachte weiter hinter sich. Sie griff verzweifelt seinen Arm und zog unbeholfen dran, ihre Tonlage ein kaum hörbares Wispern. "Lass uns einfach nur schnell gehen... Bitte..." Das würde keinen Sinn machen, dafür war es bereits zu spät. Die Gruppe, die durch den einzigen Eingang gekommen war, blockierte diesen nun auch erfolgreich, während sie sich in einem Halbkreis ausstreuten, eine kleine Umzinglung aus der es so schnell kein Entkommen geben würde. Besonders nicht zu zweit. "Bleib hinter mir," seine Stimme war abgesenkt, ruhig und kühl, nachtschwarze Tiefen aufmerksam auf die Gestalten fixiert, die nun auf noch akzeptabler Distanz um sie herum zum Stehen kamen. Die Ausdrücke auf den Gesichtern variierten, von hämischem Feixen über neugieriges Mustern bis zu wachsamer, scharfer Beobachtung. Die meisten davon waren Lakaien, die er schon gesehen hatte, die Baseballschläger in ihren Händen entgingen ihm ebenfalls nicht, auch wenn ihm etwas anderes viel eher Sorgen bereitete - einige in der Gruppe waren erwachsene, durchtrainierte Männer, die den Eindruck professioneller Schläger erweckten. Seiichiro hatte diesmal also Absicherung mitgebracht... Na wunderbar. "Hab ich's dir nicht gesagt, Uchiha? Dass du's bereuen wirst?" Erwähnter, die Arme vor der Brust verkreuzt, blitzte seinen schwarzhaarigen Schulkameraden düster an. "Ich hoffe, du bist bereit, mit deinem Blut zu gurgeln, während wir deine kleine Schlampe mal richtig durchnehmen." Sein Blick streifte die pinkhaarige Grazie hinter seinem Nemesis und Sakura krallte sich mit einem Aufwimmern fester in Sasukes Arm, als jene Welle puren Odiums und Rachgier ihr entgegen schwappte. Ihr wurde in dem Moment so klar bewusst... Seiichiro hasste sie abgrundtief, er hasste sie beide, und er wollte sie leiden sehen und dieser echte, leidenschaftliche Hass aus so für sie belanglos erscheinenden Gründen war das Fürchterlichste, was sie bisher erlebt hatte. Sie hatte ihm doch nur eine Abfuhr erteilt... aber er hatte sich so rein gesteigert, man könnte meinen, sie hätte ihm etwas unaussprechlich Scheußliches zugefügt und verdiente dafür das härteste Urteil. In ihrem ganzen Leben war sie noch nie so verängstigt gewesen, sie spürte kaum ihre Beine und die aufkommenden Tränen des Terrors drückten ihr die Kehle zu. Alles, was zwischen ihr und den versprochenen Grausamkeiten stand, war Sasuke und wenn er- "Keine Angst. Es ist alles gut." Seine Worte, leise und geruhsam, hatten eine unerschütterliche Selbstsicherheit in ihnen, der sie so sehr glauben wollte. Aber wie... wie sollte das hier je gut ausgehen, zumindest für sie beide? Die anderen waren zu siebt... er war allein und sie war keine große Unterstützung, eher eine unheimliche Behinderung. Weglaufen? Eine Möglichkeit dazu sah sie nicht. Nach Hilfe schreien? Die Schule war längst aus, wer würde sie hier hören? Dass sich die Situation weniger als rosig präsentierte, war auch Sasuke akut bewusst. Wäre er alleine, sähe es nochmal anders aus, aber mit Profis im Mix und mit jemanden zum Beschützen würde es ganz und gar nicht einfach werden. Eine Wahl hatte er kaum, die Ruhe und Coolness musste er aber bewahren, um Sakuras Willen und auch, weil der kleineste gezeigte Funken Selbstzweifel oder Unsicherheit gegenüber einem Pack, wie diesem, fatal sein könnte. Es war schon einige Jahre her, dass er dieses klammkalte Gefühl verspürte, welches sich gerade durch sein Innerstes zog und irgendwo zwischen Brustkorb und Bauch nistete, dieses mulmige Unwohlsein, wenn sich Anspannung und Nervosität vermischten. Seiichiro indes, lachte vergnügt auf. "Na dann, Jungs. Sollen wir?" Kapitel 12: Tempestas Infernalis -------------------------------- [Dienstag, 14 Juli, 17:26 Uhr] Seiichiros lässige Aussage und der mitschwingende Befehl in ihr markierten den Ausbruch des Höllensturms, der alle - und nicht nur schulische - Normalität heute und darüber hinaus niederreißen würde. Er hatte sich so lange am Horizont zusammengebraut, angekündigt mit Gewitterwolken und Donnerschlag, einem Aufruhr der Elemente, die sich mit Blitzladungen und anspornenden Windböen in Feuer und Flammen auf das Gestrüpp, das die zerbrechliche Balance zwischen diesen zwei Welten immer gewesen war, ergossen, um sie in ein Inferno aus Hitze und Asche zu verwandeln. Ganz egal welchen Ausgang dieser Zusammenstoß hier hervorbrachte, danach würde nichts mehr so sein, wie es früher gewesen war. Der Erwartung gerecht stürmten die Amateure den Profis voran los, erpicht auf das scheinbar für sie vorteilhafte Kräftemessen. Dem ersten saloppen Faustschlag auszuweichen stellte insofern kein Problem da und mit einem geschwinden, geschickten Griff beförderte Sasuke den Angreifer mit einem saftigen Krachen zu Boden. Sakura schrie auf und tat das einzig Richtige: sie nahm eilends einige Schritte rückwärts von dem Geschehen weg, auch wenn sie dabei beinahe über die Kante der Sportmatte, von der sie vor kurzem noch hochgezogen wurde, stolperte. Seiichiros zweiter Handlanger holte mit dem Baseballschläger aus und Sasuke duckte sich weg, indem er in die Hocke ging. Seine Fingerspitzen berührten kurz den Boden, ein Bein schlug nach den Füßen des Anderen und brachte auch diesen erfolgreich zu Fall. Kaum aufgerichtet, fand der Schwarzhaarige sich von hinten um die Ellbogen gegriffen, die ausgewachsene, größere Gestalt in seinem Rücken war definitiv kein Anfänger. Er hatte eine günstige Gelegenheit abgewartet, zudem war sein Griff professionell und beraubte Sasuke gekonnt der Möglichkeit, seine Arme zu beugen und wenn diese dann noch schroff nach hinten gezogen wurden, knackten die dazugehörigen Schultergelenke unangenehm. Im Gegenzug dazu machte Sasuke sich die Tatsache zu Nutze, dass sein allererster Widersacher sich gerade wieder aufgerappelt hatte und auf ihn zugestürmt kam. Die Füße vom Boden gelöst verwendete er den Griff um seine Arme wie eine Stütze, um seine Beine mit angezogenen Knien hoch zu schwingen, sie keine Sekunde später auswerfend, um seine Sohlen gegen die Brust des auf ihn zurasenden Jungen auftreffen zu lassen. Dank dessen agierte sein Körper wie eine zwischen zwei Gegenständen eingefangene, gespannte Feder und die Kraft seines sich abrupt gerade streckenden Körpers war gewaltig genug, um nicht nur den vorderen Angreifer einmal mehr auf seinen Hintern zu schicken, sondern auch um sich und seinen Fänger rücklings umzukippen. Sasuke selbst landete dabei eher weich, nämlich auf der Brust des Mannes, der ihn von hinten gehalten hatte. Dieser gab ein wehleidiges Grunzen von sich und der Neunzehnjährige half dem Schmerzpegel nach, indem beide seiner wieder freigelassenen Arme ihre spitzen Ellenbogen in die Seiten des Anderen rammten. Sakuras spitzer Schrei ließ seine nachtschwarzen Augen ihren Blick rasch nach vorne wenden, er rollte sich von der röchelnden Gestalt unter seinem Rücken runter und kickte aus einer Halbdrehung mit aller Kraft die Seite der Sportmatratze. Diese schoss eine kurze Distanz über den Boden und traf eine der drei Gestalten, die Sakura im Visier hatten, in die Waden. Das brachte besagte Gestalt aus dem Gleichgewicht, demensprechend zum Stolpern und plumpem Hinfallen. Sakuras Fluchtweg war sehr kurz, die Wand baute sich recht bald als unüberwindliches Hindernis vor ihr auf und sie wirbelte herum, sich gegen diese drückend, grüne Augen starr und geweitet vor Angst. Einer der zwei war Seiichiros Lakai, bewaffnet mit einem Baseballschläger und er hielt sich zurück, während die andere Präsens, ein weiterer ausgewachsener, stämmiger Mann, nach dem verschreckten Mädchen langte. Seine Hand schaffte es aber nicht, die zierlichen Gestalt auch nur zu berühren, denn in diesem Moment krachte er lautstark zu Boden, als Sasuke sich von hinten in seine Beine grätschte. Es war der einzige Weg gewesen, es noch rechtzeitig zu schaffen und der Schwarzhaarige sprang auch sofort wieder auf die Füße, denn er bemerkte sehr wohl die ausholende Bewegung von Seis Handlanger. Das vertraute Gesicht so plötzlich direkt vor sich zu sehen ließ Sakuras Herz wild ausschlagen und es sank auch genauso abrupt herab dank der Art, wie sich jene stattlichen Gesichtszüge sich für eine Sekunde schmerzvoll verzogen ob dem unnachgiebigen Metall, der ihn quer über seinen starken Rücken traf. Sich selbst als Schutzschild zu benutzen war das Einzige, was Sasuke unter den Umständen hatte tun können, um sie vor Schaden zu bewahren. Sie schrie unter Tränen auf, doch er hatte keine Zeit, denn der Andere schwang erneut den Baseballschläger und der gerade Gestützte war auch dabei, sich wieder aufzurappeln. Sasukes rechter Arm griff Sakuras Schulter und gab ihr einen heftigen Stoß zu Seite, während er seinen Körper herumwirbelte und mangels irgendetwas anderem den linken Arm abwehrend hob. Sie fiel zu Boden und krabbelte instinktiv rücklings diesen entlang vom dem Gerangel weg, ein weiteres erschrockenes Aufkreischen entfloh aus ihrer Brust, zusehend, wie der Baseballschläger gegen Sasukes erhobenen Unterarm auftraf. Es tat natürlich höllisch weh und er knirschte unter einem dunklen Grollen mit den Zähnen, diesen Arm würde er nicht mehr einwandfrei benutzen können, zudem besagter Arm auch noch an der selbigen Schulter hing, die vorher die Brunst des ersten Schlags abbekommen hatte, doch es war immer noch um einiges besser, als ein direkter Treffer am Kopf. Die drei, die er kurzfristig hinter sich gelassen hatte, hatten sich auch wieder aufgerappelt und kamen nunmehr ihren Kameraden zu Hilfe. Sakura war in ihrem Zurückweichen mittlerweile ganz hinten in einer Ecke angekommen, in welche sie sich verängstigt presste und dieser eins-gegen-fünf Auseinandersetzung nur hilflos zusehen konnte. Zwei davon schwangen ihre Baseballschläger und drei ihre Fäuste, und einige von ihnen waren auch keine Amateure, etwas, was Sasuke sehr bald zu spüren bekam, umso mehr mit dem Handikap nur eines richtig funktionierenden Arms. Zwei Gegner beförderte er rasch wieder zu Boden, beim dritten ließ ihn der verletzte Arm im Stich, sein Griff nicht fest genug und der Konter darauf kam direkt und gekonnt, der Schlag in die Nieren zwang den Neunzehnjährigen, kurz einzuknicken. Viel schlimmer war aber das unmittelbar darauffolgende Auftreffen des Baseballschlägers gegen die untere Hälfte seiner Brust, seine Rippen vibrierten förmlich mit dem Aufprall von hartem Metall gegen ihren schützenden Knochenkäfig um Lungen und Herz. Ein leidvolles Keuchen seinerseits und wenn der zweite Baseballschläger hinten gegen seinen Oberschenkel aufkam, fiel er hart auf ein Knie, zwang sich aber dennoch, trotz dem stechenden Schmerz aufrecht zu bleiben. Jetzt gänzlich zu Boden zu gehen wäre ein Todesurteil. Mit Müh und Not rollte er sich letztendlich reflexartig über die gesunde Schulter hinweg, um für einen kurzen Moment etwas Distanz zwischen sich und seinen Gegnern zu bringen und sich für ein paar Sekunden zu erholen. Sie folgten ihm rasch, ein langes Entkommen würde es nicht geben. "Nein! Sei, stopp' es, bitte! Hört auf, hört auf!" Doch Sakuras verzweifelten Schreie gingen unter, geflissentlich ignoriert von vier der Meuterer, während der fünfte sich umdrehte und gemächlich Kurs auf sie nahm. Sie hatte eine animalische Angst, um sich und noch viel mehr um Sasuke, dies war nicht länger eine einfache Schlägerei. Wenn es so weiter ging... wenn es so weiter ging... Sie würden ihn umbringen, oder einen Krüppel aus ihm machen. Ihretwegen. Sie war Schuld, sie musste ja die Rebellin spielen, sie wollte unbedingt der ganzen Welt beweisen, dass sie sich etwas darauf einbildete, aus den Normen auszubrechen. Und jetzt würde er dafür bezahlen müssen. Doch Sasuke hatte kein Interesse daran, den Märtyrer zu spielen. Er tat es zu Gleichermaßen für sich selbst wie für Sakura, sie war seine Wahl gewesen und er stand zu allem, was er wählte und wen er wählte. Ein paar baseballschlägerschwingende Idioten würden nichts daran ändern und er war noch lange nicht dran, sich geschlagen zu geben. De facto reichte es ihm jetzt endgültig. Zeit, Ernst zu machen und das heraufzubeschwören, was er seit so langer Zeit immerzu unter strenger Kontrolle hielt. Jähzorn, Kaltblütigkeit, Rücksichtslosigkeit; das Biest im Inneren wütete bereits mit blutrünstig gebleckten Zähnen in seinem Käfig, versessen darauf, endlich auf irgendetwas losgelassen zu werden, das es zerfleischen könnte. Den Schmerz seinen Verursachern wiedergeben, zehnfach, hundertfach, tausendfach... Wie in den guten alten Zeiten... Dass die Härte seiner Gegenwehr abrupt umschlug, spürte der nächstbeste Handlanger sofort. Einem gradlinigen Schlag ausgewichen, war Sasukes Konter diesmal gezeichnet von simpler aber effektiver Brutalität, seine scharfen Handkante erwischte den Mann am Nacken, präzise in den Zwischenraum zweier Wirbel, gerade noch nicht hart genug, um diese zu durchtrennen aber hart genug, damit die jäh unterbrochenen, elektrischen Nervenimpulse diesen bewusstlos zu Boden schickten. Sich rasch umdrehend schnappte er das Handgelenk des nächsten Gegners und stoppte damit den Schwung des Schlägers, der Ziel auf Sasuke selbst genommen hatte, bevor er mit einem geschickten Verdrehen jenes Armes ein widerliches Knacken auslöste. Der Metallstock fiel klirrend zu Boden, der Angreifer umklammerte schreiend seine gebrochenen Gliedmaße und ging in die Knie. Sasuke fischte in einer fließenden Bewegung mit der Fußspitze nach eben jenem gefallenen Baseballschläger und beförderte ihn mit Hilfe selbiger hoch, direkt in den auffangenden Griff eigener Finger. Ein seitlicher Schwung damit aus dem Handgelenk heraus traf den Knienden gegen die Schläfe, er kippte um und war nunmehr still und reglos, die Augen ohnmächtig in den Kopf gerollt. Lange behielt der Neunzehnjährige den Baseballschläger nicht, da er ihn keine Sekunde später als Wurfgeschoss zweckentfremdete. Der lange Stab traf einen weiteren Unruhestifter mit Wucht am Hinterkopf kurz bevor er Sakura erreichen und packen konnte, die kleine Grazie schrie lediglich spitz auf und presste sich weiter in ihre Ecke als der Aggressor, frei vom Bewusstsein, vor ihre Füße krachte. Drei von sieben. Die Bauchmuskeln abrupt angespannt, zuckte Sasuke diesmal nicht einmal, als eine Faust gegen diese auftraf. Stattdessen packte er die dazugehörige Hand und zog heftig dran, benutzte den Jungen wie ein Schild, damit dieser den ausgeschwenkten Baseballschläger mit dem eigenen Kopf abfing. So schaltete der letzte Gegner seinen Mitstreiter eigentlich selber aus, und Sasuke verschwendete keine Zeit, aus dem besiegten Quartett ein besiegtes Quintett zu machen. Er schoss voran gleich einem schwarzen Blitz, ein schneller Schlagabtausch und der nächste gut platzierte Tritt in die Kniekehlen des Anderen brachte diesen auf ebenjene Knie. Sasukes Finger vergruben sich im kurzen Haar am Hinterkopf seines Wiedersachers und mit Zuhilfenahme seines gesamten Gewichts beförderte er die Stirn des Mannes gnadenlos und mit Wucht gegen den glatten Sporthallenboden. Fünf von sieben. Schäumende Wut und der rasant durch den Kreislauf gepumpte Adrenalin machten den eigenen Schmerz ertragbar, er wirbelte herum, denn in einigen Metern entfernt standen Seiichiro und der korpulenteste dessen mitgebrachten Entourage. Sasuke stürmte voran, seiner geschärften Wachsamkeit entging dabei nicht, wie besagtes korpulentes Mannsbild sich ihm geschwind entgegen bewegte, während Seiichiro rasch ein Messer hervorbrachte. Aus tausend und keinem Grund machte diese Tatsache den jungen Uchiha absolut rasend, die Gestalt, die sich in seinen Weg stellte, nahm er kaum mehr war. Er wollte Seiichiro in die Finger kriegen, koste es was es wolle. Und dann... Dann- Er fegte über den menschlichen Schrank hinweg, wie ein Tornado. Masse und Kraft gegen Geschwindigkeit und Gewandtheit, ein Kampf, der in diesem Falle schnell entschieden war. In einem Täuschungsmanöver hielt Sasuke für einen Moment an und sprang dann flink zurück, die Faust, die nach ihm ausgeworfen war, schlug ins Leere. Ein fachmännischer Tritt nach seinen Beinen, doch er löste die Sohlen gänzlich vom Boden und ließ sich rücklings in einen Handstand fallen. Seine bei diesem geschmeidigen Bewegungsverlauf hochgeworfenen Füße trafen mit den Spitzen wuchtig unters Kinn seines Gegners, womit dieser keine Sekunde danach schwerfällig auf den Boden aufschlug. Bevor er sich wieder aufrappeln konnte, war der Neunzehnjährige schon wieder auf den Beinen und rauschte an ihm vorbei, nicht ohne den Kopf des Mannes wie einen Fußball mit einer Härte und Präzision zu treten, die diesen unmittelbar ins KO verfrachteten. Sechs von sieben. Seiichiro schaffte kaum einen Mucks, seine mit dem Messer in Griff ausgeworfene Hand traf nichts, als Luft. Sasukes Finger schlossen sich eisern um jenes Handgelenk und drückten es in einer bereits bekannten Geste zu, um die dranhängende Gliedmaße dazu zu zwingen, die Waffe fallen zu lassen. Das gefährliche Werkzeug berührte nie den Boden, stattdessen fing Sasuke es mit der freien Hand auf und eine nicht minder bekannte Bewegung, bei der sich seine Ferse hinter Seiichiros hakte und diesen in die Horizontale beförderte, folgte auf die Sekunde. Der Schülerratvorsitzende klatschte geräuschvoll mit dem Rücken auf den Boden. Sasuke ließ sich auf sein rechtes Knie fallen, das dazugehörige Unterbein pinnte dabei erfolgreich den nahesten Arm des Liegenden am Boden fest. Die linke Hand langte über das Torso seines Gegners hinweg nach dessen freien Arm, um diesen ebenfalls festzunageln. Sasuke selbst blieb die rechte Hand mit dem Messer in ihr frei, und sobald er es bedrohlich über dem Gesicht seines Klassenkameraden hob, schrie dieser laut und schrill. Das kam ihm gelegen, denn er senkte die Schneide mit der Spitze voran blitzartig ab, direkt in den vor Schreck offenen Mund. Seiichiros Schrei riss abrupt ab, seine Augen abnorm geweitet und seine Atmung ein rasselndes Keuchen, das die Messerschneide zwischen seinen Zähnen periodisch beschlagen ließ. Er konnte die Spitze davon fast gegen seinen Gaumen fühlen und der verengte Blick der nachtschwarzen Tiefen, die ihn intensiv und unentwegt anstarrten, verriet, dass die kleinste, unbedachte Bewegung sein Ende sein könnte. Das schimmernde Onyx spiegelte keine Emotionen, keine Bedenken, keine Unsicherheit wieder, nur eine kalte Gelassenheit und eine finstere Distanziertheit. Der unbeugsame, pragmatische Blick eines Menschen, der schon einmal echtem Tod begegnet war... der wusste, wie es war, das Licht in den Augen eines anderen Menschen erloschen zu sehen. Sasukes Hand zitternde nicht im Geringsten, als er das Messer in seiner prekären Position hielt. Eine kleine Bewegung und- Plötzlich packte ihn jemand an der versteiften Schulter. "Sasuke, tu's nicht! Hör auf! Hör auf, bitte!" Neben ihm auf die Fersen gefallen, schluchzte Sakura sich die Seele aus dem Leib, als ihre zierlichen Hände sich krampfhaft um den angespannten Oberarm ihres Freundes schlossen, die Anspannung in jener Gliedmaße ließ seine Muskeln fast steinhart erscheinen. Für einen Moment hatte er wirklich so ausgesehen, als wollte er Seiichiro allen Ernstes umbringen und Sakura hatte weniger Angst um den Schülerratvorsitzenden als um Sasuke selbst, Notwehr würde die Konsequenzen von Totschlag sicherlich nicht decken können. Seiichiro schien ebenfalls begriffen zu haben, wie nah er eigentlich dran war, seine letzten Atemzüge zu machen, stumme Tränen in den Augen, während er kaum zu atmen wagte, besonders mit dem bedrohlich positionierten Messer in seinem weit geöffneten Schandmaul. Die Todesangst in Seiichiros Augen und Sakuras verzweifeltes Flehen in seinen Ohren brachte Sasuke abrupt wieder in die Realität zurück, eisige Wut und jähzornige Mordlust wichen gesundem Menschenverstand. Er atmete abrupt aus, das aufgeweckte Biest im Inneren gab ein unzufriedenes Knurren von sich doch er sperrte es mit einem Schlage wieder weg. Das hier waren nicht die alten Zeiten... Die Gewalt musste ein Ende haben, jetzt. Seine ruhige Stimme, abgesenkt und düster, war fast genauso scharf wie die Klinge, die er hielt. "Wenn du sie noch einmal anfasst. Wenn du sie auch nur schief anguckst." Er starrte in Seiichiros angsterfüllte Augen und wollte, dass sich jedes Wort in den Verstand dahinter einbrannte. Kaum eine Drohung hatte er in seinem Leben so ernst gemeint. "Werde ich dir die Eingeweide durch den Arsch rausziehen und die Kehle runterstopfen. Haben wir uns verstanden?" Absolut benommen, gab Seiichiro keinen Laut von sich und Sasuke senkte seine Tonlage und die Klinge minimal ab. "Haben wir uns verstanden?", wiederholte er mit Nachdruck und sein Klassenkamerad schaffte wimmernd ein winziges Nicken, wobei seine perfekt weißen Zähne sachte gegen die Metallschneide schlugen. "Gut." Damit zog Sasuke seine Hand samt Waffe wieder zurück und stand ruckartig wieder auf, Sakuras Gewicht an seinem Arm störte ihn dabei momentan anscheinend kaum. "Schleich dich weg." Nun klang er einfach nur müde und Seiichiro musste nicht zweimal gebeten werden. Sich aufrappelnd stürmte er Sekunden später dem Ausgang entgegen, seine sechs bewusstlosen Kumpane vollkommen vergessen. Sasukes Gesichtszüge verzogen sich einen Augenblick danach zu einer schmerzerfüllten Grimasse und er sank abrupt einmal mehr auf sein bereits geschundenes Knie ab. Sakura, die mehr oder minder immer noch an ihm hing, plumpste mit einem erschrockenen Schluchzer ungeschickt daneben. Sein freier Arm schlang sich lindernd um die eigene Körpermitte als er gepeinigt zwischen zusammengepressten Zähnen hindurch knurrte, die angeschlagenen Rippen meldeten sich, es tat höllisch weh und für einen Moment versuchte er krampfhaft, nicht allzu tief zu atmen. "Oh Gott... Sasuke, bist du in Ordnung? Himmel... ich-" Sakuras Gedanken und Worte überschlugen sich und sie weinte umso heftiger, weil der Schmerz ihm nunmehr so klar im Gesicht geschrieben stand. "Es tut mir Leid... Es tut mir so Leid...!" Sie wollte ihn umarmen und zuckte fast wieder zurück in der Angst, ihm dabei womöglich irgendwie noch mehr weh zu tun. Sasuke blickte zu ihr, in das sündig hübsche, tränenüberströmte Gesicht und vom blanken Schock geweitete, schimmernde, tiefgrüne Augen. Sein Mundwinkel zuckte nach oben in einem kleinen aber festen Lächeln. "Ich bin okay." Sein Arm löste den Griff um seine mitgenommenen Rippen und schlang sich stattdessen um das verstörte Mädchen neben ihm, sie sachte zu sich ziehen. "Shhh. Es ist alles gut." Sie vergrub das Gesicht an seiner Schulter, zitternd und schluchzend, ihre feingliedrigen Finger krallten sich spasmisch in sein weißes Hemd. Er schloss für einen Moment die Augen und drückte einen Kuss gegen ihre Schläfe. "Alles gut. Es ist alles gut," flüsterte er ihr beruhigend zu und rieb sachte ihren bebenden Rücken. Dann blickte er sich um; was noch gut wäre, war, wenn sie sich umgehend verziehen würden, was er wenig später verbalisierte: "Wir sollten hier weg." Sakura nickte durch ihre unkontrollierte, von Schluchzern unterlegte Bestürzung hindurch und bemühte sich um Fassung. "Kannst du aufstehen...?", fragte sie in einem zittrigen Flüstern und versuchte, ihn zu stützen, als er sich zu erheben begann. "Geht schon," versicherte Sasuke ihr, sich subtil aus ihrem Griff befreiend. "Schnapp dir unsere Sachen und lass uns verschwinden." Sie nickte und hing sich schon bald ihre Tasche über die Schulter, seine in der Hand. Kurz darauf waren sie aus der Sporthalle raus in der abendlichen, von späten Sonnerstrahlen untermahlten Dämmerung der Stadt. Per seiner Bitte fischte sie sein Handy aus dem Seitenfach seiner Schultasche und er hob das Gerät nach dem Betätigen der Schnelleinwahl an sein Ohr. °Sasuke,° hallte eine bekannte Stimme ihm entgegen. °Ich ahne Schlimmes.° Ein Anruf um diese Zeit, und so kurz nach ihrem letzten Treffen. Entweder vermisste der Junge ihn oder er steckte in Schwierigkeiten, und Kakashi tendierte eher zu der Annahme des letzteren. "Bist du noch in der Stadt, Sensei?" Alleine aus dem Schlamassel rauskommen würde er wohl kaum mehr können, Notwehr hin oder her, wenn die Sache hier rauskam, blühten ihm eine ganze Menge Unannehmlichkeiten. °Ja. Warum?° Sasuke atmete erleichtert aus. Gott sei Dank. "Ich muss dich sehen. Persönlich. Sofort, wenn es geht." Bis nach Hause sollte er es schaffen, auch wenn es unter Umständen eine kleine Herausforderung sein würde. °In einer halben Stunde könnte ich bei dir sein. Bist du daheim?° "Nicht momentan, aber ich bin's bald." Eine halbe Stunde war mehr als genug Zeit, die knapp zehnminütige Fahrt von der Schule bis nach Hause zu bewerkstelligen. °Alles klar. Dann bis gleich.° "Danke. Bis gleich." Motorradfahren in seinem Zustand war in der Tat eine Herausforderung, überwiegend der Schmerzen wegen. Sein linker Arm gehorchte ihm mehr schlecht als recht, doch sie schafften es unfallfrei bis zu seinem Wohnort. Dort warf er sich unmittelbar ein paar Schmerztabletten von der Sorte, die man nicht gerade rezeptfrei bekam, ein, aber sein Medizinvorrat war stets und immer gut gefüllt - er hatte seine Quellen, um an bestimmte Sachen ranzukommen. Sakura holte seiner Anweisung nach einen Arm voll Kühlpacks aus dem Kühlschrank und während sie das Tat, schälte er sich etwas mühselig aus seiner Oberbekleidung. Ihr kamen fast wieder die Tränen, nachdem sie sein Torso erblickte, das dunkle Rot der Schwellung auf dem Unterarm und die noch schrecklicher aussehende Prellung den unteren Rippenbereich entlang. Sie setzte sich neben ihm auf das Bett und blickte auf seinen Rücken, wo sich ebenfalls ein grauenhaftes Hämatom quer über die Hälfte des Schulterblatts gebildet hatte. Sie biss sich auf die Unterlippe und presste mit aller Vorsicht und Zärtlichkeit das Kühlpack dagegen, seine Finger indes verteilten eine Salbe auf dem geschwollenen Gewebe seiner Brust. Atmung echote immer noch mit Schmerz, er hoffte inständig, dass keine Rippe angebrochen war. Einen Krankenhausbesuch wollte er jetzt sehr ungern auf sich nehmen müssen. "Wir sollten vielleicht zur Polizei gehen...", sprach Sakura nach einigen Minuten Stille leise aus und erhielt daraufhin ein resolutes Kopfschütteln. "Nein." Das würde den Berg seiner Probleme nicht kleiner machen, sondern höchstwahrscheinlich das genaue Gegenteil bewirken. Kakashi und die Kontakte des Mannes waren seine einzige Hoffnung, den Schaden irgendwie in vernünftigen Grenzen zu halten. "Aber-" Sie wurde jäh durch das Geräusch der sich öffnenden Haustür unterbrochen. Sasuke hatte extra nicht abgeschlossen, doch das hatte Sakura in ihrer Aufruhr und immer noch andauernder, unterschwelliger Benommenheit gar nicht mitgekriegt, somit zuckte sie nun erschrocken zusammen. Sie rückte automatisch näher an seine sicherheitsspendende Präsens, wenn ein semi-maskierter Unbekannter die Türschwelle ins Schlafzimmer übertrat. Kakashi indes, verengte das Auge ob des Bilds, das sich ihm bot. "Oh je, oh je. Was hast du denn schon wieder angestellt?", schüttelte er beim Anblick von Sasuke den Kopf. Erwähnter enthielt sich einer Antwort darauf und schaffte stattdessen die obligatorische Vorstellung aus dem Weg: "Sakura, das ist Kakashi-sensei. Sensei - Sakura." Ein Lächeln zeichnete sich vage auf den stoffbedeckten Lippen ab. "Schön, dich kennenzulernen, Sakura." Das war also die zarte Kirschblüte, die so unerwartet in das Leben seines Schützlings dank Herrin Schicksal hereingeweht wurde. "Hallo...", war das Maximum an einer gewisperten Begrüßung, die Sakura ihrerseits dem Mann entgegenbringen konnte. Sie war verwirrt, aber Sasukes Umgangsart nach stand vor ihnen ein Freund, kein Feind. "Na dann erzählt mal." Damit setzte Kakashi sich zu Sasukes anderer Seite auf das Bett und nahm ihm die Dose mit dem Balsam ab. Aus dem kleinen Medizinkoffer neben dem Fuß des Möbelstücks griff er sich eine Packung breiter Wattepads heraus und dünkte einen davon in das trübe, grünliche Gel. "Viel zu erzählen gibt's nicht. Es waren Seiichiro und ein paar seiner Kriecher." Sasukes ausgeprägte Bauchmuskeln spannten sich ungewollt an ob des feuchten Pads, der gegen seine Schwellung an den Rippen gepappt wurde. "Ein paar?! Es waren insgesamt sieben!", hauchte Sakura bestürzt aus, während Kakashi geruhsam in seinem Tun fortsetzte, und die fast beiläufige Frage, die er stellte, erschütterte sie beinahe erneut. "Sie leben alle noch?" Sasuke hingegen quittierte das mit einem einfachen Nicken. "Ja. Ein paar Knochenbrüche und Gehirnerschütterungen waren aber drin." Körperverletzung, und dass er in Notwehr gehandelt hatte, musste man noch beweisen können, besonders gegen jemanden, wie Seiichiro. Der zweite balsamgetränkte Pad zierte seine Körpermitte, und ein dritter war bereits in Vorbereitung. "Seiichiro selbst?" "Unversehrt." Sakura erschauerte es ob der Erinnerung an den Moment, wo es um Seiichiros Unversehrtheit für einige Augenblicke noch ganz böse gestanden hatte. Der Ausdruck auf Sasukes Gesicht, der Blick seiner Augen... Sie schaute zu ihm, doch jetzt befand sich nur die bereits so vertraute Gemütsruhe und Selbstsicherheit auf den ansehnlichen Konturen. "Und es war auf dem Schulgelände passiert?" Sobald der dritte Pad klebte, schnappte Kakashi sich eine Packung Bandagen und riss sie auf. Sasuke indessen, nickte erneut knapp. "Ich hätte nicht gedacht, Seiichiro würde so weit gehen... Es ist alles meine Schuld...", flüsterte Sakura bestürzt und Kakashi sah zu ihr rüber, seine Intonation mild und nachsichtig: "Das bezweifle ich. Sasuke hat die Angewohnheit, manchmal etwas zu übertreiben." Er fing an, in lockeren, geschwinden Bewegungen den schneeweißen, luftigen Mull um die betroffene Stelle und die Wattepads daran zu wickeln. Die pinkhaarige Schönheit schüttelte heftig den Kopf, ihre Sicht fixiert auf den eigenen Händen in ihrem Schoß, eine davon krampfhaft in das Kühlpack gekrallt. "Nein. Er hat mich beschützt. Ich habe Seiichiro provoziert, ich-" "Sakura." Sasukes brüske Tonlage brachte sie erfolgreich wieder zum Schweigen. "Red' keinen Unsinn. Es war genauso meine Entscheidung, wie es deine war." Schuldzuweisungen brachten hier nichts mehr, was passiert war, war passiert. Sie alle hatten ihre Rolle in dem Drama gespielt, aus eigener Entscheidung und freien Stücken heraus. Es war nur etwas mehr ausgeartet, als sogar er es sich hatte vorstellen können. Verdammt sei Seiichiro, sein überdimensionales Ego und sein machtvoller Erzeuger. "Das Wichtigste ist, dass ihr beide wohlauf seid. Mehr oder weniger," sprach Kakashi mit einer Note Positivität aus und wandte sich Sasukes in Mitleidenschaft gezogenem Unterarm zu. Das entlockte Sakura ein schwaches Lächeln und anstatt sich weiter auf trübe Gedanken zu konzentrieren, entschied sie sich dazu, sich nützlich zu machen und mimte die von dem Silberhaarigen gerade vorgezeigte Prozedur mit Gel und Wattepads in Hinsicht auf Sasukes geschundenen Rücken nach. "Meinst du, man kann hier noch was reißen, Sensei?" Die Schmerztabletten zeigten langsam ebenfalls ihre Wirkung, der Neunzehnjährige war nunmehr um einiges entspannter und freier in seinen Bewegungen, und fühlte sich nach und nach auch um Meilen besser. Auf die gestellte Frage hin seufzte Kakashi hörbar auf. "Die sechs Handlanger... wenn ich die Namen rauskriege, könnte man noch gucken, ob man sie zum Schweigen bewegen könnte." Die meisten von ihnen würden sich sicherlich heute noch im Krankenhaus melden, mit den richtigen Druckmitteln und Beziehungsspiel könnte man da vielleicht das ein oder andere drehen, und das vielleicht war dabei sehr groß. "Seiichiro jedoch..." Drohung hin oder her, wenn der Knabe sich bei seinem Papa ausheulen würde... Die Gesamtheit des Problems überstieg bei weitem Kakashis Kompetenzen, und gehandelt werden musste schnell und sofort. Sasukes Miene verfinsterte sich leicht und Sakura kaute beunruhigt auf ihrer Unterlippe. Seiichiro... natürlich. Wenn sie zu ihrem Stiefvater ging... ihm die Sache darlegte, würde er unter Umständen etwas tun können? Würde er es wollen? Sie konnte ihm schlecht von Sasukes und ihrer Beziehung erzählen, er würde an die Decke gehen... Jedoch, sollte all das hier hochkommen und es war fast schon vorhersehbar, dass es dies tun würde, würde er es sowieso erfahren. Was tun, was tun, was tun... Oh Gott, was sollte sie nur tun? Die nächsten Minuten waren in Schweigen gehüllt und Kakashi hatte es mir ihrer Hilfe am Ende bewerkstelligt, dem Jungen zwischen ihnen beiden drei saubere Verbände anzulegen, die weißen Bandagen hielten nunmehr in heilendem, kühlendem Balsam getränkte Wattepads gegen die geschwollenen und geprellten Körperstellen befestigt. Er hoffte inständig, Blutergüsse und Prellungen waren alles, was Sasuke sich zugezogen hatte, der strapazierfähige, standhafte Körper des jungen Uchiha besaß zwar von Natur aus eine hervorragende Heilungsrate aber man konnte ja nie wissen. Am besten wäre immer noch ein Arztbesuch gewesen, einer, der wohl für den potenziellen Patienten selbst außer Frage stand. "Ich muss einen Anruf machen." Stand Kakashi letztendlich entschlossen auf und trat heraus. Er sah nur noch eine Option, die er hier ziehen konnte und lange zögern wollte er nicht mehr, die Zeit drängte. Sasuke runzelte die Stirn, was war es für ein Anruf, den er nicht in seiner Anwesenheit tätigen konnte? Etwa diese neuen Freunde, von denen er gesprochen hatte? Der Schwarzhaarige hatte ein mulmiges Gefühl bei der ganzen Sache. Kakashi verheimlichte ihm sonst nie irgendetwas, sie beide hatten seit Jahren keine Geheimnisse voreinander gehabt. Jedenfalls bis jetzt. Irgendwie störte und vergrämte ihn das viel mehr, denn alle Ereignisse des heutigen Tages zusammen. Sein Lehrmeister war die einzige Person, der Sasuke auf dieser Welt noch gänzlich und uneingeschränkt vertraute, wenn er jetzt anfing, Dinge vor ihm zu verheimlichen... der Gedanke war einfach nur unerträglich und absolut inakzeptabel. "Kakashi-san ist sehr nett... Woher kennt ihr euch?" Sakuras weiche Stimme brachte ihn aus seinen Gedanken, seine Replik fiel aber eher abgelenkt und geistesabwesend aus: "Lange Geschichte." "Deine Standartantwort auf die meisten Fragen, was?", lachte sie leise auf und fuhr mit ihren Fingern sanft durch sein pechschwarzes Haar. Er neigte ein wenig den Kopf, um der zärtlichen Geste wieder zu entweichen. "Ich bin gleich wieder da." Sie blieb verwirrt zurück, während Sasuke seinem Sensei hinterher nach draußen in den Flur trat. Besagter hatte das Handy am Ohr und anscheinend hatte jemand an anderem Ende der Leitung gerade abgehoben. "Ja, ich bin's. - Wir haben hier eine heikle Situation, es ist mehr, als ich selbst regeln kann. Ich bräuchte deine Hilfe. Er bräuchte deine Hilfe. - Alles klar, ich lass dir alle Details zukommen. - Ich glaube immer noch, er sollte es wissen. - Ja. - Ja, das verstehe ich, aber... - Wie du willst." Somit wurde aufgehängt. "Was sollte ich wissen?" Kakashi drehte sich auf dem Absatz um, ein Funken Überraschung in dem dunkelbraunen Auge, das ertappt den Blick mit aufmerksamen, nachtschwarzen Tiefen kreuzte. "Nicht wirklich wichtig. Es-" Viel weiter kam er nicht, denn Sasuke war mit einem raschen Schritt bei ihm und entwendete ihm fingerfertig das Handy aus der Hand. "Oi! Sasuke!" Der Junge schlüpfte prompt unter dem Arm, der nach ihm lange, durch und in das angrenzende Badezimmer. Die Tür knallte vor der Nase des Silberhaarigen zu, keine Sekunde später erklang das Klicken des Schlosses. "Das ist wirklich kindisch! Gib's wieder her!" Kakashis angesäuerte Aufforderung blieb vollkommen unbeachtet, genauso wie sein verärgertes Klopfen an dem Stück Holz, das sie nunmehr trennte. Sasuke drückte auf Wahlwiederholung, hob das Handy zum Ohr und lauschte mit leichter Anspannung dem digitalen Tuten im Hörer. Kapitel 13: Erschütterung ------------------------- [Dienstag, 14 Juli, 19:53 Uhr] Es dauerte nicht lange, bis abgehoben wurde. °Kakashi-san. Gibt es sonst noch etwas?° Sasukes Augen weiteten sich schlagartig und er presste sich die Hand vor den Mund. Unmöglich. °Hallo? Kakashi, bist du dran?° "Unmöglich...", flüsterte er erstickt gegen seine Handfläche, mehr zu sich selbst und nicht mal beabsichtigt laut heraus. Ein Moment Stille, unterbrochen nur durch seinen rasselnden Atem. Dann... °Sasuke...?° Sein Name, gesprochen von jener Stimme, die er aus tausenden und abertausenden anderen erkennen würde. Seine Kehle war mit einem Male so trocken, er konnte kaum schlucken. Unmöglich. Atmen... Er konnte nicht atmen. Mit einem Herzschlag wie Donner in seinen Ohren legte er abrupt auf und ließ das Handy fallen. Die Luft fand in einem scharfen, verzweifelten Zug in seine Lungen, der Druck der chaotisch vermischten Emotionen in seiner Brust fast schmerzhaft und es lag nicht an den angeschlagenen Rippen. Unmöglich. Unmöglich. Unmöglich... Kaum einige Sekunden nach dem getätigten Anruf riss Sasuke die Badezimmertür auf und funkelte Kakashi mit loderndem Jähzorn an. "Wie lange schon...?" Die Worte klangen erstickt, doch ob das der Schock oder die Wut war, konnte er nicht sagen. "Sasuke-" "Wie lange schon?!" Seine Stimme brach mit einem Schlag so laut aus ihm heraus, Sakura fuhr auf dem Bett im Schlafzimmer zusammen. Sie krabbelte von dem Möbelstück runter und stürmte in den Flur. Was war denn auf einmal los?! "Knapp ein Jahr." Kakashi sprach ruhig, gleichzeitig hatte die geschmeidige, dunkle Klangfarbe aber auch etwas Resigniertes an sich. Es hätte ja so kommen müssen... Er wappnete sich mental gegen einen Temperamentausbruch, welcher nicht auf sich warten ließ. "Ein gottverdammtes Jahr?!" Unmöglich. Unmöglich. Sasukes Hände zitterten, weil alles in ihm drin gefährlich zu beben anfing, wie Vesuvius kurz vor dem Ausbruch und Kakashi war das Pompei, das er mit Lava und Asche eindecken wollte. "Wo genau?!" "Du solltest-" Die Faust seitlich ausgeworfen, traf diese mit Wucht in die Wand: "Sag mir, wo!", donnerte der junge Uchiha, das Feuer in dem stechend-drohenden Blick wuchs prompt zu einem gefährlichen Inferno an. Sakura war mit einem milden Aufschrei erneut zusammengezuckt, Kakashi seinerseits fuhr sich gestresst durch das kobaltgraue Haar. "Konoha." Stoppen würde er den Jungen eh nicht können, und irgendwo wollte er es auch nicht. Konnte es nicht, hatte nicht das Recht dazu. "Konoha?! Die verdammte Hauptstadt?!" Sasuke starrte seinen Sensei einen Moment lang entgeistert an. So verarscht hatte er sich schon lange nicht mehr gefühlt. "Adresse." Verlangte er dann schneidend, mit Mühe einen Fetzen Fassung haltend. Sakura indes, verstand gar nichts mehr. Sie hatte Sasuke nie derart außer sich gesehen... hätte nicht gedacht, dass irgendetwas auf der Welt je dermaßen seine fast unmenschlich eiserne Ruhe erschüttern könnte. Was ging hier vor sich? Von wem sprachen die beiden? Die genannte Adresse sagte ihr nichts, sie selbst war auch noch nie in der Hauptstadt gewesen, doch Sasuke riss sich eilends von der Stelle, nachdem er erwähnte Anschrift vernommen hatte. Er schien sie gar nicht mehr zu bemerken, als er an ihr vorbei in sein Zimmer rauschte und ein schwarzes Hemd aus dem Schrank griff, welches er sich hastig überzog und salopp auf jeden zweiten Knopf zuknöpfte, hier und dort schien die weiße Bandage durch. Genauso rasant war er wieder im Eingangsbereich, griff seine Lederjacke von Haken und schob die Arme durch die Ärmel. Das war der Moment, in dem Sakura aus ihrer momentanen Starre erwachte. "Sasuke! Wo willst du hin?! In deinem Zustand?!" Er schien sie nicht zu hören, steckte sein Portemonnaie in die Tasche der besagten Jacke und fegte die Motorradschlüssel von der Kommode in seine Hand. Sie sprintete zu ihm und packte seinen Ellenbogen, bevor er sich zu Wohnungstür umdrehen konnte. "So warte doch! Was ist denn los?!" Wo wollte er dermaßen Hals über Kopf hinstürzen? Er zuckte schroff den Arm aus ihrem Griff. "Aus dem Weg." Ein schneller Schritt zur Tür doch sie kam ihm zuvor und stellte sich mit Einhalt gebietend ausgebreiteten Armen genau zwischen ihm und dem Ausgang. "Nein! Ich kann dich nicht einfach so gehen lassen!" Seine Augen verengten sich verstimmt und gefährlich zugleich. "Nenn mir einen guten Grund, warum dem so ist." Sie stockte. War es denn nicht offensichtlich? Sie- "Ich... Wir sind zusammen! Du bist mein Freund, natürlich will ich wissen, was auf einmal los ist! Ich- Du bedeutest mir was! Sehr viel sogar! Ich mach mir Sorgen, ich will dir helfen! Was auch immer es ist... wenn du schon unbedingt gehen musst und das auch noch sofort, lass mich wenigstens mitkommen!" Sie verstand nichts von dem, was gerade passierte, aber sie wusste eins mit absoluter Sicherheit. Sie konnte ihn nicht einfach so ziehen lassen. Wenn sie das jetzt tat... etwas sagte ihr, sie würde ihn nicht mehr wiedersehen. Wenn sie ihn jetzt nicht festhielt... würde er aus ihrem Leben fliegen, wie ein Vogel einem unbekannten Süden entgegen. "Nein," negierte er den bloßen Gedanken daran, sie mitkommen zu lassen. Es war zu gefährlich... und sie hatte nichts damit zu tun. Was hatte er nur getan? Wieso hatte er es überhaupt erlaubt, dass sie- Er war ein Idiot gewesen. Er hätte sie nie- Doch er konnte es noch retten. "Und jetzt aus dem Weg." "Sasuke-" Sakura zog scharf die Luft ein, ihr schmaler Rücken traf gegen die Wand neben der Tür, die sie blockierte, auf. Sein Unterarm drückte fast schmerzhaft gegen ihr Schlüsselbein, sie konnte sich nicht rühren ob des eisigen Blicks, der gnadenlos in sie schnitt, nicht ungleich seiner harten, mit dunkler Ruhe gesprochenen Worte. "Ich bin nicht dein Freund, weder sind wir zusammen, verstanden? Ich hab gesagt wir gehen miteinander aus, aber das war's schon. Ich habe dir nichts versprochen, und letzte Nacht hatte in der Hinsicht auch überhaupt nichts zu bedeuten, nicht für mich. Du bedeutest mir nichts, und mich solltest du jetzt ebenfalls aus dem Kopf schmeißen. Kapiert?" Es war besser so... wenn sie ihn aus dem Sinn und den Gedanken warf. Kakashi würde zusehen, dass die Sachen von heute geregelt werden würden, und nach ebenjenen Sachen sollte sie auch in der Schule niemand mehr zu belästigen wagen. Und wenn doch... konnte sie wechseln. Oder ihren Stolz ablegen und ihren Stiefvater um Hilfe bitten, er und Seiichiros Erzeuger würden bestimmt eine Übereinkunft finden. Sasuke konnte nicht mehr hier bleiben - hier, mit ihr, bei ihr - nicht, nachdem er nun erfahren hatte, was er eben erfahren hatte. Mit einem Schlag hatte sich alles radikal verändert und genau deswegen hätte er sie überhaupt nie so weit in sein Leben lassen sollen. Er hätte es nie erlauben sollen, dass sie Gefühle für ihn entwickelte. Besonders von der Intensität, mit der sie diese gerade ausgesprochen hatte, mit der diese gerade so unmissverständlich in ihrem Gesicht geschrieben standen. Er wollte ihr nicht weh tun... aber dieser einmalige Trennungsschmerz würde um einiges besser sein als der, der ihr blühte, wenn sie wirklich mit ihm zusammenblieb, besonders jetzt. Wenn sie sich an ihm aufhing... Er war nicht gut für sie. Ihr Leben und sein Leben... sie durften sich nicht vermischen, insbesondere jetzt. Die Tränen, die ihre Augen füllten und über die Ränder sickerten, übertrugen den Schmerz in ihre erstickte Stimme. "Lüge... Lüge. Du lügst... Du lügst mich an..." Sie sah es doch... Die kleinen Fünkchen Reue und Unwille, die er unter dem Zornessturm seiner verletzenden Worte zu verstecken versuchte. "Warum?" Warum wollte er eher ihr Herz brechen und sie von sich stoßen, als es zu akzeptieren und an seins heranlassen... Warum sagte er all das... Warum wollte er dabei unbedingt so überzeugend klingen? Warum plötzlich eine 180 Grad Wendung? Es war unvereinbar mit allem, was er bisher für sie getan und ihr vermittelt hatte... oder nicht...? War sie wirklich allein in dieser Vorstellung, diesem Empfinden, dass es zwischen ihnen Etwas gab, das unerklärlich und dennoch so, so richtig war...? Wollte er es wirklich einfach so kaputt machen, ohne ihnen auch nur eine Chance zu geben? Aber warum? "Warum... Sasuke, warum?!" Sie verstand es nicht. Sie verstand ihn nicht. Doch sie wollte ihn nicht verlieren. Nicht hier, nicht jetzt, nicht so. Dafür... dafür war es bereits zu spät. Dafür... dafür liebte sie ihn bereits zu aufrichtig und je heftiger er sie von sich stieß, umso schmerzhaft bewusster wurde es ihr. "Denk', was du willst. Ich hatte meinen Spaß, ich bin fertig mit dir." Er trat zurück und sobald sein Arm sie nicht mehr gegen die Wand gedrückt hielt, sackte sie haltlos zu Boden. Ihre Schultern zuckten mit stummen Schluchzern, die verschwommene Sicht vor ihren Augen zeigte ihr das verwischte Bild des Fußbodens vor ihnen, auf dem sich glitzernde Fleckchen aus ihren Tränen bildeten. Dieser Tag, der so schön angefangen hatte... er mutierte immer mehr zu einem einzigen Alptraum. "Ich muss jetzt gehen, und wenn du weißt, was gut für dich ist, solltest du zu deinem eigenen Leben zurückkehren und mich vergessen." Sakura schüttelte störrisch und hilflos den Kopf, unfähig, etwas zu erwidern oder selbigen zu heben, um ihn anzuschauen. Es waren die längsten Sekunden ihres ganzen Lebens, die nach seinem letzten Satz von dem Uhrzeiger abgezählt wurden und sie fuhr heftig zusammen, als die Tür hinter ihm letztendlich mit einem lauten Knall ins Schloss fiel. Seine rapiden Schritte dröhnten im Treppenhaus und wenig später knurrte das Motorradgetriebe draußen strebsam auf, bis es zu einem Echo verhallte und dann gänzlich verstummte. Weg... er war weg. Jemand hockte sich neben sie und berührte sie sachte an der zuckenden Schulter. "Komm... Ich bringe dich nach Hause." Kakashi half dem Mädchen auf die Füße und nahm sie beim zitternden Unterarm, um sie zu stützen, als er sie aus der Wohnung und die Treppen runter führte, zu seinem vor dem Haus geparkten Auto, in welches er sie vorsichtig reinsetzte. Die Kleine tat ihm Leid... genauso wie Sasuke. Er wollte sich nicht ausmalen, was in beiden gerade vorgehen musste... Doch, ein Problem nach dem anderen. Während der Autofahrt verblieb die junge Schönheit stumm und reglos, starrte nur unbeteiligt aus dem Fenster auf die Szenerie, die dahinter vorbeiflog und die sie kaum bewusst registrierte. Ihr Kopf schmerzte höllisch nach den ganzen Tränen und Torturen des heutigen Tages, jedoch waren ihre Gedanken ein einziger, reger Ameisenhaufen, die alle durcheinander krabbelten und nichtsdestotrotz folgte jeder irgendeinem bestimmten Pfad. Wer auch immer diese Person war, welche Sasuke angerufen hatte... Diese war der Dreh- und Angelpunkt hier. Alles hatte sich so wunderbar entwickelt zwischen ihnen, seit jener Nacht in der Roten Rose. Je mehr sie darüber nachdachte, ganz egal, wie sehr es weh tat, sich an jene Worte zu erinnern, glaubte sie Sasuke immer weniger. Fein, vielleicht hatte sie es von ihrer Seite her überstürzt und sich zu schnell herein gesteigert, er hatte ihr wirklich nichts versprochen, er hatte nur bejaht, dass sie mehr oder minder miteinander ausgingen. Sie sah es als Zusammensein an, sie sah ihn als ihren festen Freund an, ob er das Gleiche auf sie bezogen tat, vermochte sie nicht zu beeinflussen. Aber auch wenn er diese Beziehung noch nicht als solche wahrnahm, all seine Worte und Taten wiesen unmissverständlich drauf hin, dass er es in die Richtung einer Beziehung hatte führen wollen. Und ihre Nacht zusammen... dass es ihm nichts bedeutet hatte, war ebenfalls eine Lüge. Dass Sakura ihm nichts bedeutete, war eine Lüge. Er wollte, dass dem so war, er wollte verzweifelt die Zeit zurückdrehen und all das, was sich unwiderruflich zwischen ihnen aufgebaut hatte, ausradieren, aber er konnte es nicht mehr, weil es da war. Ob er wollte oder nicht, es war da und eigentlich, tief drin, hegte er den Wunsch danach, es zuzulassen. Er hatte es auch beinahe getan, Stück für Stück... Bis Etwas all seine vorsichtigen Fortschritte zunichte gemacht hatte. Dieser verdammte Anruf... diese Person, die anscheinend in Konoha war, der er jetzt ohne Rücksicht auf Verluste entgegen raste... Wer war es? Jemand aus der Familie, aus der Verwandtschaft? Oder... eine alte Liebe? Bei dem Gedanken wurde Sakura schlagartig schlecht. Wäre nicht so abwegig... Vielleicht hatte er sie gar einfach nur als Ersatz benutzt, um über jemand anderen hinweg zu kommen... Doch nein, nein... Seine Absichten waren rein und ehrlich gewesen, das flüsterte ihr Herz ihr zu. Warum also, hatte er jetzt alles über Bord geworfen? Was war jetzt mit der Schule? Mit seinem Leben hier? Mit Sakura? War das, was ihn in Konoha erwartete, wirklich all diese Opfer wert? Dass er sein gesamtes Leben in Nullkommanichts einfach so wegschmiss und hinter sich ließ? Wieso war sie sich überhaupt so sicher, dass er nicht zurückkommen würde? Er hatte nichts gepackt... Vielleicht war es weniger eine Vorahnung als eine Angst. Denn wenn er nicht zurückkommen würde... war diese zerstörerisch tragische Szene in seinem Apartment das Letzte, was sie von ihm behalten würde. Sie konnte das nicht akzeptieren. So einfach... so einfach würde er nicht von ihr loskommen. Der Schmerz und die Trauer wichen langsam einer forschen Entschlossenheit, sie konnte ihn nicht einfach so gehen lassen. Sie wollte ihn noch einmal zu Rede stellen... sie wollte noch einmal mit ihm reden. Sie wollte wissen, sie musste wissen, ob er es wirklich Ernst meinte... Ob er wirklich das zarte und doch bereits so spürbare Band zwischen ihnen einfach durchtrennen wollte. Ein Band, welches Sakura selbst nicht einfach kampflos aufgeben wollte. Sie konnte, wollte Sasuke nicht einfach so verlieren. Das war nicht fair... Wieso tat er ihr das an? Wieso tat er sich selbst das an? Weil sie jetzt noch an einem Punkt waren, wo eine Trennung schmerzloser wäre, als sie es sein würde, wenn er Sakura ernsthaft an sich heranließ? Wollte er sich selbst beschützen? Hatte er Angst? Wovor...? Vor Sakura? Vor einer emotionalen Bindung? Warum...? Seine Persönlichkeit... seine Narben... seine Fähigkeiten im Kampf eins gegen eine Meute... der Ausdruck in jenen nachtschwarzen Augen, als er Seiichiro unter sich gepinnt gehalten hatte... Mit einem Male verflog alle Wut, die sie je hätte auf Sasuke verspüren können ob der peinigenden Worte, die er ihr entgegen geschmissen hatte. Sie konnte nicht böse auf ihn sein, sie konnte ihm nicht mal einen Vorwurf machen... Mit einem Male war das einzige, was sie empfand, Empathie und Mitgefühl. Du musst mich nicht bemitleiden... Das tat sie nicht, aber es änderte nichts daran, dass es ihr Leid tat... Welche Hölle es auch immer gewesen war, durch die er gegangen haben musste, um sich dermaßen von allem und jedem abschotten zu wollen... Es tat ihr Leid. Und es machte sie umso entschlossener, ihn nicht einfach alleine zu lassen. Auch wenn er sie wegstieß, auch wenn er sie verbissen verjagen und alle Bände zu ihr kappen wollte... Sie würde ihn nicht alleine lassen. Sie würde ihm folgen, egal wohin, sie würde ihn wissen lassen, dass sie für ihn da war. Ganz egal, ob er sie wollte oder nicht, ob er es brauchte oder nicht... sie war da. Sie war da und sie wollte ihn, ungeachtet allem, was er getan oder was ihm wiederfahren haben könnte. Sie würde ihn immer wollen, genauso wie er war. Als den Menschen, der er war. Sie musste es ihm beweisen, dass er ihr wirklich so viel bedeutete. Mehr, als ihr je etwas anderes im Leben bedeutet hatte, seit dem Tod ihres Vaters und ihrer Schwester. Und ihm es beweisen, das wollte sie. Das würde sie. Sie würde ihn nicht aufgeben. Die digitale Anzeige im Auto zeigte 21:43 an, als Kakashis Auto vor der Einfahrt des Nagasawa Anwesens hielt. Es brannten keine Lichter, ihre Mutter schlief wahrscheinlich schon - oder noch. Sakura drehte sich im Beifahrersitz, zum silberhaarigen Mann neben ihr. "Kakashi-san... Sie werden Sasuke folgen, oder? Nach Konoha?" Er nickte. "Ja. Keine Sorge, die Leute, mit denen ich gesprochen habe, werden sich um alles kümmern, was mit dem Vorfall von heute-" "Ich möchte mit," unterbrach sie ihn leise aber bestimmt. Er verstummte und schaute sie für einen langen Moment aus einem wachsamen Auge heraus an. "Du möchtest mit...?" Das lebhafte Peridot entflammte mit einer Art Unbeugsamkeit, die verriet, dass ihre Entscheidung eine endgültige war. "Ja. Ich kann ihn jetzt nicht alleine lassen. Was auch immer ihn dort erwartet, ich will ihn unterstützen." Eine zierliche Hand erhoben, presste sie sich diese gegen die füllige Brust, dort, wo es so sehr weh tat. Doch nicht ob der Sasukes Worten von eben... sondern ob der Zwickmühle, in der sowohl er als auch sie steckte. Sie kannte den Ausmaß seiniger überhaupt nicht, aber es änderte nichts daran, dass sie die Qualen nachempfinden konnte. "Alles, was er zu mir gesagt hat... ich glaube einfach nicht, dass es stimmt. Er will sich selbst und mich so sehr davon überzeugen... ich verstehe nicht wirklich warum, aber das ist auch egal. Ich will dennoch für ihn da sein. Ich will ihm helfen... Ich will ihn beschützen... Ich will ihn. Alles andere tut's für mich nicht mehr." Ihre Gefühle waren echt und sie waren stark. Das dünne Bändchen, das sie zu ihm gesponnen hatte, die Feinheit davon spielte keine Rolle, denn es war aus Titanium. Es würde nicht abreißen, ganz egal, wie viele Tonnen an Gewicht es aushalten musste. Eine glasklare Tatsache, die Kakashi für einen Moment sowohl sprachlos als auch glücklich machte. Dieses Mädchen... wenn jemand Sasukes eingemauertes Herz erreichen und berühren konnte... dann sie. Wenn es jemand heilen konnte... dann sie. Wenn er in der Hinsicht je auf jemanden setzten wollen würde... konnte es nur dieses zerbrechliche und dennoch so willensstarke und unbeirrbare, zierliche Wesen vor ihm sein. "Ich verstehe, was du sagst, Sakura. Doch es ist nicht ganz so einfach." Sie war siebzehn. Sie hatte Familie und Pflichten hier. "Nach Konoha sind es über acht Stunden Fahrt und du weißt nicht, was dich dort erwartet. Wenn du mir nichts dir nichts für ein paar Tage einfach nur verschwindest, wird es eine Aufruhr geben." Sie lächelte fest und resolut. "So ein großes Problem wird es nicht werden... Es gibt hier kaum Menschen, die sich an meinem Verschwinden stören würden, glauben Sie mir." Das war eine unverhohlene wenn nicht etwas traurige Wahrheit. "Mein Stiefvater ist für die ganze Woche weg, und ich bin mir sicher weder Seiichiro noch irgendjemand sonst in der Schule werden mich wirklich missen." Sie löste ihren Gurt und das schwarze Band schlüpfte mit einem Zischen ins Innerste des Wagens. "Ich werde meiner Mutter eine Notiz hinterlassen, damit sie sich keine Sorgen macht. Warten Sie einen Augenblick hier?" Sie bangte seiner Antwort entgegen, und anscheinend war Sasukes Sensei genauso unkompliziert, wie dessen Lehrling. Sie konnte sehen, woher der schweigsame Junge seine Lockerheit hatte. "Wie du meinst. Beeil dich." Sie nickte eifrig und stieg aus dem Wagen, flatterte durch die großen Eingangstore und öffnete schon bald auch die Eingangstür. Im Haus war es still und dunkel, ihre Mutter schien in der Tat noch zu schlafen und aus ihren Schuhen geschlüpft schlich Sakura auf Zehnspitzen nach oben und in ihr eigenes Zimmer. Sie schnappte sich ihre kleine Sporttasche und packte ein paar Klamotten zum Wechseln herein, zusammen mit einer Menge Kleinkram und Krimskrams, die Frau immer zu brauchen meinte. Handy, Geldbörse und ein paar andere Kleinigkeiten fanden in ihre Handtasche und sie riss ein Blatt aus dem Notizblock aus, um in ordentlicher, kalligrafisch perfekter Schrift die versprochene Nachricht zu hinterlassen. "Mama, ich brauche noch ein wenig Zeit, um meine Gedanken und Gefühle zu sortieren. Ich rufe dich morgen Abend unbedingt an und erkläre dir alles, aber für heute übernachte ich nochmal außerhalb von Zuhause. Keine Sorge, es geht mir gut und ich bin in sehr netter, sicherer Gesellschaft, du kannst mir vertrauen. Mache dir also bitte keine Sorgen, und wir sprechen uns schon sehr bald, okay? Ich hab dich lieb. Sakura." Dann ging sie mucksmäuschenstill den Flur entlang zum Schlafzimmer ihrer Mutter und Stiefvaters, stieß ganz vorsichtig die Tür auf und lugte hinein. Die Nachttischlampe brannte, ihre Mutter lag auf der Seite im Bett und schlief fest, eine kleine, offene Dose Beruhigungstabletten neben der Lichtquelle. Einige lautlose Schritte brachten Sakura ans Bett, sie legte die Notiz auf dem Nachttisch ab und streckte dann die Hand aus, um liebevoll eine lose Haarsträhne aus dem bildhübschen Gesicht ihrer Mutter zu streichen. Das junge Mädchen beugte sich herunter und streifte sanft die Stirn ihres Elternteils mit ihren Lippen. "Verzeih mir für all den Kummer, Kaa-chan... Und ich verzeihe dir auch," ein weiches Wispern, und damit verließ sie wenig später ihr Nicht-Zuhause. Wenn alles gut ging, würde sie in ein paar Tagen zurück sein... oder sollte sie sagen, wenn alles gut ging, würde sie nie wieder hierher zurückkehren...? Spielte keine Rolle, das Einzige, was für Sakura gerade zählte, war Sasuke. Ihre beiden Taschen bald auf der Rückbank verstaut, nahm sie wieder Platz im Beifahrersitz und das schwarze Honda Civic fuhr von der Stelle, um sie aus ihrer alten Umgebung einer neuen entgegen davonzutragen. "Waren Sie schon mal in Konoha, Kakashi-san?", fragte sie neugierig, während seine handschuhbedeckte Hand fließend die Gänge hochschaltete. "Das war ich in der Tat. Ich habe viele Jahre dort gelebt und gearbeitet." Ab und zu lebte und arbeitete er immer noch dort, wann auch immer seine Missionen ihn dahin verschlugen, was mittlerweile ziemlich oft vorkam, doch sie musste das nicht unbedingt erfahren. "Was ist mit dir, Sakura-chan?" Sie lehnte sich in den Sitz zurück und schaute durch die Frontscheibe nachdenklich auf die abendliche, endlos erscheinende Autobahn vor sich. "Nein, ich war noch nie da. Bevor meine Mutter wieder geheiratet hatte, lebten wir in Gatou, einer Kleinstadt nahe der Grenze. Nach Ikibukoro sind wir erst vor einigen Jahren gezogen. Aber ich war schon mal in Suna - als Papa noch am Leben war, hatten wir dort mal Urlaub gemacht." Suna war die Hauptstadt von Kazenokuni, einer der fünf Großmächte auf der Landkarte des riesigen Nordkontinent, der durch das Arashimeer vom Südkontinent getrennt war. Zusammen mit weiteren vier Großmächten, Mizunokuni, Kaminarinokuni, Tsuchinokuni und Hinokuni hielten die Fünf sich stets die Waage, während die zahlreichen kleineren Länder, von dem Frieden zwischen dem Quintett abhängig, harmonisch vor sich hin lebten. Glücklicherweise gedieh jener Frieden mittlerweile schon über ein Jahrhundert, der letzte große Weltkrieg war nur noch eine Nacherzählung in den Geschichtsbüchern der jüngeren Generation. Ikibukoro, die Stadt, die sie gerade hinter sich ließen, befand sich in Hinokuni und knapp 900 Kilometer von der Hauptstadt Konoha, ihrem gegenwärtigen Ziel, entfernt. Dort war auch der Sitz des momentanen Regierungspräsidenten Sarutobi Hiruzen, auch Hokage - Feuerschatten - genannt, denn Hinokunis Staatsflagge trug einen stolzes Feuersymbol als Wappen. Sakura verfolgte die Nachrichten um die Länderpolitik immer gewissenhaft, und momentan genoss der Nordkontinent eine sehr harmonische Koexistenz der fünf Großmächte und all der kleineren Länder um diese herum. In den einzelnen Großmächten an sich sahen die innenpolitischen Zustände zumal sehr anders aus, das gravierendste Beispiel war Kaminarinokuni, das sich ob ihrer unterschiedlichen Gesellschaftssysteme schon seit knapp drei Jahrzehnten in Süd und Nord geteilt fand. Die beiden Landeshälften befanden sich seit knapp 15 Jahren in einem anhaltenden Bürgerkrieg und die News darüber sahen stets sehr unerfreulich und brutal aus. Südkaminari und ihre Hauptstadt Kumo waren Verfechter des demokratischen Staatsregimes, in Nordkaminari mit der Hauptstadt Ame herrschte eine eiserne Diktatur. Die Menschenopfer stiegen, der Militäreinsatz auf beiden Seiten war gewaltig, doch solange der Krieg nicht zu ihren Staatgrenzen schwappte, enthielten sich die restlichen vier Großmächte einer Einmischung, um die Gefahr eines weiteren, möglichen Weltkriegs zu vermeiden. Insofern war Sakura ganz glücklich, dass Hinokuni ein sehr friedvoller, liberaler Staat war, sie konnte es sich nicht vorstellen, wie es sein musste, im Krieg aufzuwachsen oder das Leben als stetig davon beeinflusst zu erfahren. "Wissen Sie auch, wo Sasuke herkommt?" Sie hoffte inständig, dass Mizunokuni nicht die Antwort sein würde. "Nun, er war tatsächlich sogar in einem Vorort von Konoha geboren. Er und seine Familie haben den Großteils ihres Lebens dort verbracht." Ihre Brust wölbte sich mit einem tiefen, erleichterten Atemzug. Sasuke war also ihr Landsmann, und was auch immer in seiner Vergangenheit passiert war, es hatte höchstwahrscheinlich wenig mit Bürgerkriegstrauma zu tun. "Sie kennen Sasuke schon lange, oder?" So wie die beiden miteinander umgingen und Anbetracht der Tatsache, dass Kakashi Sasukes erste Anlaufstelle für Hilfe und Unterstützung war, lag die Vermutung nahe. Erwähnter lachte leise auf. "Seit er ein Knirps von kaum drei Jahren war, ja." Sakura drehte sich zu dem Mann und schaute ihn aus großen Augen aus an. Wirklich, schon so lange? Sie war seltsam erfreut darüber, dass Sasuke so jemanden in seinem Leben hatte. "Seid ihr verwandt?" Ein Kopfschütteln, eine starke Hand drehte das Lenkrad, um eine Ausfahrt zu nehmen. Er fuhr ohne eine Navigationshilfe, fiel ihr nebenbei auf. Hatte er den Weg schon öfters zurückgelegt, oder war Sasukes exzellenter Orientierungssinn ebenfalls etwas, was von seinem Sensei abgefärbt hatte? "Nicht genetisch, nein, aber ich kannte seinen Vater. Fugaku und ich haben seit meinem 20ten Lebensjahr als Partner zusammengearbeitet, er war ein sehr guter, enger Freund. Ich habe Sasuke praktisch aufwachsen sehen. Ihn und seinen Bruder." Die pinkhaarige Schönheit sog die Informationen wie ein trockener Schwamm das Wasser auf, endlich konnte sie ein wenig mehr über Sasuke erfahren. Sie war sowohl nervös als auch aufgeregt, ihr Herz trommelte einen aufgewühlt-erfreuten Rhythmus in ihrer Brust. "Er hat einen Bruder?" Die Pause, die entstand, führte sie dazu, sich Sorgen darum zu machen, ob sie vielleicht die falsche Frage gestellt hatte. "Hatte," korrigierte Kakashi letztendlich geruhsam. "Itachi war fünf Jahre älter gewesen." Ihre Augen verengten sich leicht und ihre Kehle fühlte sich schlagartig etwas trockener an. "War...?", wiederholte sie leise. "Sasuke sagte mal, er hatte jemanden verloren... Sprach er von Itachi?" Ein aufmerksames Auge auf die im Scheinwerferlicht erhellte Straße gerichtet, waren die halbmaskierten Konturen in einem Ausdruck beschaulicher Melancholie. "Nicht nur von Itachi. Sasuke... er hatte in seinen jungen Jahren so einige Menschen verloren." Der Verlust einiger davon war auch Kakashi selbst sehr nah gegangen, ein Schatten jener schwermütigen, vergangenen doch nie wirklich verblassenden Emotionen reflektierte auch in seiner ruhevollen Tonlage. Sakura schluckte merklich, doch sie wagte es dennoch, ein Gesuch zu verbalisieren. "Können Sie... können Sie mir vielleicht davon erzählen? Bitte. Ich... ich will ihn einfach nur besser verstehen. Und ich habe das Gefühl, er selbst wird nie darüber reden wollen, oder können. Mit niemanden." Eine lange Geschichte... dieser Standartfloskel war wie ein unverwüstliches Schloss vor jedem wichtigen Ereignis, das in Sasukes Leben passiert sein mag. Doch lange Geschichten waren, woraus das Leben jedes Einzelnen bestand und ohne jene Puzzleteile ergab das ganze Bild nur wenig Sinn. Kakashi schmunzelte vage, auch wenn es hinter seiner Maske fast vollkommen verschollen blieb. "Da hast du nicht Unrecht. Er hatte nicht mal mit mir je wirklich darüber geredet, ich hatte das Meiste einfach nur miterlebt." Sasuke war mal anders gewesen. Fröhlich und aufgeschlossen, mit einem gesunden Vertrauen in und Glauben an das Gute und Schöne in dieser Welt. Etwas, zu dem er wahrscheinlich nie mehr zurückkehren können würde, aber vielleicht... vielleicht konnte Sakura ihm ein kleines Stück jener verlorenen Werte einmal mehr näher bringen. "Insofern schätze ich, wird er mir nicht böse sein können, wenn ich dir einfach meinen Teil von seiner Geschichte erzähle." Das, was Kakashi selbst miterlebt hatte, mit Sasuke zusammen und für sich allein in Verbindung zu ihm. Schließlich gab es nichts dagegen einzuwenden, wenn er ihr etwas von seinen Lebenspfaden erzählte, welche sich einfach nur mit denen seines Schützlings gekreuzt hatten. "Vielen Dank...", flüsterte Sakura ergriffen aufrichtig, und spitzte ihre Ohren. Kapitel 14: Sasukes Wahrheit ---------------------------- [Dienstag, 14 Juli, 22:39 Uhr] Die Autobahn schlängelte sich in einer dunklen Linie hinter den Fenstern, das Radio war aus und so hörte man im Autosalon nur das Rauschen der Reifen über den Asphalt, ein gelindes Hintergrundgeräusch zu dem Klang der weichen, tiefen Stimme, die einen geruhsamen Ton anschlug, als Kakashi seine Erzählung begann. "Sasukes Vater, Fugaku, war der Leiter eines Sonderkommandos von Hinokunis Militär, das sich auf außerordentliche Art Verbrechen spezialisierte. Es unterlag direkt der Befehlsordnung des Hokage, und niemand anderem." Somit fing die Geschichte an, und Sakura verspürte sofort die aufkommende innere Aufwühlung. "Außerordentliche Verbrechen...?" Sie wusste sich nicht wirklich was darunter vorzustellen und allem Anschein nach sollte sie es auch nicht. "Glaube mir, das willst du gar nicht wissen." Zudem es sowieso Gegenstand striktester Geheimhaltung und nicht dieser Konversation war. "Sasuke war Zwölf, als sein Vater anfing, an einem der härtesten Fälle zu arbeiten, mit dem unser Gesetzessystem sich bis dato je konfrontiert fand." Ein Fall, die Wahrheit von welchem viel zu spät ans Licht gekommen, die Bedrohung zu spät erkannt worden war. "Niemand hat den wirklichen Ausmaß der Gefahr damals gewusst. Je weiter die Ermittlungen gingen, desto verworrener und grimmiger - und verrückter - wurde das Gesamtbild." Das Schlangennest, auf das sie gestoßen waren, hatte jede mögliche Horrorvorstellung überstiegen. "Ein Jahr später passierte es dann." Das Mädchen schluckte ungewollt hart, ihre Stimme ein ehrfürchtiges Flüstern. "Passierte was?" Sie hatte eine Vorahnung und sie wünschte sich, diese Geschichte würde einen Happy End haben. Doch sie wusste, dass diese Hoffnung hier ultimativ vergebens war. Kakashi seufzte mild. "Das Übel, das er jagte... hatte Fugaku aufgespürt. Und den Spieß umgedreht. Es fand ihn in seinem Zuhause." Trotz schärfster Sicherheitsvorkehrungen, trotz allergrößter Vorsicht... Die böswillige Macht, die ihnen gegenübergestanden hatte, war zu gewaltig gewesen. "Was...?", hauchte Sakura indes mitgenommen aus. Es fand ihn in seinem Zuhause...? "Es hat alle Agenten des Sonderkommandos erwischt. Ihre Familien, ihre Verwandten... Zweiundzwanzig Sippen, fast komplett ausradiert, soweit die Blutsverwandtschaft reichen konnte." Die Todeszahl ging in die Hunderte, auch wenn die Staatsmächte alles mögliche unternommen hatten, um es so gut es ging vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Sakura faltete die Hände vor der Brust und drückte verzweifelt die Finger gegeneinander. "Wie grauenvoll..." Zweiundzwanzig Familienbäume... fast komplett ausgelöscht? Also auch... "Sasukes Familie... sie sind tot? Alle?" Ein knappes Nicken. "Onkeln, Tanten, Großeltern, Neffen und Nichten, Cousinen und Cousins... alle Familienzweige allen möglichen Grades." Systematisch niedergebrannt, soweit die Wurzel verfolgbar war. Es hatte nicht nur die Uchihas erwischt, es war ein mittelkleines Massaker an fast zwei Dutzend Klans gewesen. "All jene Tode haben ihn zwar mitgenommen... aber davon erfuhr er erst im Nachhinein. Am Schlimmsten war das, was er selbst miterlebt hatte. Miterleben musste." "Seine Familie...", wisperte sie erstickt. Mit zwölf Jahren konnte er unmöglich irgendwo anders gewesen sein, mit irgendjemand anderem gelebt haben, als mit denen, die dem Großteil der Menschen immer am meisten bedeuteten. "Ja. Seine Eltern und sein Bruder." Verloren. Entrissen. Ermordet. "Fugaku war ein sehr vorsichtiger Mann, die Sicherheit seiner Familie war stets seine höchste Priorität gewesen. Als der älteste Sohn war Itachi dafür bestimmt, später in die Fußstapfen seines Vaters zu treten, Sasuke und die Mutter der Jungs, Mikoto, wussten überhaupt nichts über seine Tätigkeiten, es war fehlerlos als ein anspruchsvoller Bürojob getarnt. Wie es also überhaupt zu jenen grauenvollen Ereignissen kommen konnte... das ist bis heute noch sehr unklar." Kakashi selbst hatte sich daran dumm und dämlich recherchiert, eine eindeutige Erklärung war immer noch nicht zu ersehen. "Niemand hatte es erwartet. Und dann... war es einfach nur passiert." In einer Nacht, von einen Schlag auf anderen. "Ich habe mit Sasukes Vater jahrelang zusammengearbeitet, wir waren nicht nur Partner... sondern beste Freunde. Ich kannte ihn und Mikoto seit über einer Dekade. Ich habe ihrer beider Jungs aufwachsen sehen..." Er schüttelte reuevoll den Kopf. "Retten konnte ich aber nur einen. Nur Sasuke." Auch das war schon ein Segen an sich gewesen, machte die Last der Schuld jedoch nicht um allzu viel leichter, egal, wie irrational das Gefühl gewesen sein mag. Er hatte nichts davon beeinflussen oder vorausahnen können und dennoch... Dennoch. "Und Ihre Familie...?", erkundigte Sakura sich leise, die klare Klangfarbe ihres femininen Soprans vibrierend mit gefasster Erschütterung. "Ich schätze... in der Hinsicht hatte ich Glück. Ich bin Waise. Ich habe meine Wurzeln nie gekannt." Er hatte keinen Klan, den man ausrotten konnte und wenn es einen gab, wusste er selbst nie davon und hatte es auch nie darauf angelegt, es zu erfahren. In seinem Arbeitsfeld war es besser so. "In jener Nacht bin ich selbst nur um eine Haaresbreite davongekommen." Er hatte eine fremde Präsens in den eigenen vier Wänden nicht einmal bemerkt, und das hieß einiges, wenn jemand so professionell war, dass seine Anwesenheit einem Profi nicht auffiel, denn normalerweise funktionierte Kakashis sechster Sinn in solchen Sachen einwandfrei. Er war gerade im Bad, vor dem Waschbecken und dabei, nach seiner Zahnbürste zu greifen, als er einen Schatten ins Zimmer huschen sah. Seine ausgezeichneten Reflexe reichten gerade noch dafür, sich minimal zu Seite zu werfen, der Schuss aus dem mit Schalldämpfer ausgestattetem Lauf jagte die Kugel von hinten glatt durch seine Schulter anstatt seiner Lunge hindurch. Das erste, was ihm in die Hände kam, war der Duschvorhang und er riss ihn mit einem Ruck runter, das Material segelte auf den Angreifer und ein paar weitere, leise 'plopp's der abgefeuerten Waffe hallten in dem kleinen Zimmer. Die Metallkugeln fraßen sich in die Fliesen und er schaffte es, den Eindringling mit einem gezielten Schlag gegen die Beine von ebenjenen zu befördern. Eine kleine Rangelei auf dem Boden später gelang es ihm, die Waffe in den eigenen Besitz zu bringen und er drückte ab, sobald der Lauf sich nah genug am Kopf des Anderen fand. Dessen Körper lag nun reglos auf dem kleinen Badezimmerteppich, das grob gewebte Material saugte sich mit dem Blut aus der Schusswunde voll. Sich auf die Beine aufrappelnd, griff er sich an die eigene Schulter, sein dunkelblauer Tanktop an der Stelle durchnässt vom gleichen Scharlach, wie sich dieses zu seinen Füßen ausbreitete. Er schreckte zusammen, wenn der Totgeglaubte vor ihm urplötzlich wieder hochsprang. Eine Kugel im Gehirn vergraben, war er immer noch am Leben, für kaum einige Sekunden, aber diese nutzte er dazu, um ein Messer zu zücken und die Klinge in das Auge des silberhaarigen Mannes zu rammen. Der Schmerzensschrei hallte dumpf durch die Wohnung, Blut und zerstörtes Augapfelgewebe vermischten sich beim Heraustreten aus der Augenhöhle. Er feuerte das ganze restliche Magazin in den bereits leblosen Körper ab, der für einen Atemzug noch auf den Beinen stand und dann durchlöchert zu Boden krachte. Draußen im Wohnzimmer trällerte sein Handy auf dem Kaffeetisch. Mit einem leidvollen Grunzen zwang er sich zum Vorwärtsbewegen, eine Hand auf die heiße, pochende Stelle in seinem Gesicht gepresst, das ruinierte Sehorgan fühlte sich eklig klamm gegen seine Handfläche an. Er erreichte das Couchset und ließ sich schwerfällig in den Sessel fallen, die freie Hand griff das klingelnde Gerät und nahm den Anruf an. "Kakashi-san." Die gezwungen ruhige, feste Stimme drang in einem angespannten Flüstern zu ihm durch. Er setzte sich sofort kerzengerade im Sessel auf. "Itachi." Bitte sag ihm keiner, dass er in dieser Nacht nicht das einzige Anschlagopfer war... Doch genau das bestätigte ihm der Siebzehnjährige am anderen Ende der Leitung. "Es sind Leute in unserem Haus. Mutter und Tou-sama..." Der Teenager brach abrupt ab, aber Kakashi konnte sich den Rest des Satzes gut selbst erdenken. Er sprang auf die Füße und humpelte etwas auf seinem Weg zurück ins Bad, wo sich ein kleiner Medizinkoffer versteckte. Sobald er sich notdürftig verarztet hatte, würde er umgehend zu dem Haus seines Freunds und Partners aufbrechen. "Ich komme, so schnell ich kann." Lass ihn nicht zu spät sein... Himmel und Hölle, lass ihn nicht zu spät sein... "Es bleibt keine Zeit mehr," Itachi klang nun gehetzt, seine Fassung war vorbildlich, doch sie schien ihm langsam zu entgleiten. "Das Dojo, die dritte Planke von Links. Kümmern Sie sich um Sasuke." Kakashi wusste, was sich unter der dritten Planke von Links in dem Familiendojo auf dem Gelände des Uchiha-Anwesens befand. Ein kleiner Schutzraum, den Fugaku in seiner Vorsicht und Voraussicht dort eingerichtet hatte. Wenn Itachi seinen kleinen Bruder dorthin gebracht hatte, war die Chance groß, dass der Kleine überlebte. Warum war der Älteste der Geschwister aber nicht selbst mit drin...? Was hatte er vor...? Kakashis Herz zog sich in einer üblen Vorahnung zusammen. Es war gut möglich, dass die Eltern der Jungs noch irgendwie mehr oder minder am Leben waren, oder es zumindest eine kleine Hoffnung dazu bestand. Nichtsdestotrotz... "Itachi, mach' bitte keine Dummheiten," sprach er gleichwohl mit Nachdruck und Ersuchen in den Hörer. Alles, was er darauf zu Antwort erhielt, war ein leises, fest gesprochenes: "Ich verlass' mich auf Sie." "Als ich an ihrem Haus ankam... Brannte es lichterloh. Auch das Dojo, aber das Feuer hatte viel später auf es übergegriffen. Itachi hatte Sasuke in der Tat dort verstaut, jedoch war alles eingestürzt, auch das Versteck. Ein brennender Balken hatte ihn eingeklemmt und er war bewusstlos, aber am Leben... Eine Verbrennung dritten Grades und eine Rauchvergiftung, doch er hatte überlebt. Ich habe ihn retten können. Nur ihn." Sakura schluckte gegen die Tränen, die ihr langsam aber sicher die Kehle zuschnürten. Jene Brandnarbe auf der Rückseite seiner Taille... Nicht mal ihre schlimmsten Fantasien hatten die Ursache dafür erraten können. "Nach der absolut nötigsten Behandlung im Krankenhaus für uns beide, habe ich meine sieben Sachen gepackt und bin zusammen mit ihm abgetaucht." Die ersten Tage waren die Hölle gewesen... Sie beide waren eigentlich stetig auf Schmerzmittel und das hatte es etwas erträglicher gemacht, dennoch... der Zwölfjährige in seiner Obhut war ein Schatten seines früheren selbst geworden. Wochenlange Apathie, in denen er nicht gesprochen und kaum etwas zu sich genommen hatte, manchmal hatte Kakashi ihm das Essen regelrecht runter stopfen müssen. Und mit der Zeit wurde es nicht wirklich besser. "Sasuke... Nachdem ich uns an einem sicheren Ort so etwas wie ein bisschen Normalität verschaffen konnte und er wieder einigermaßen auf den Beinen war..." Wie beschrieb man einen solchen Zustand am besten? Gab es überhaupt die richtigen Worte dafür? "Er geriet total außer Kontrolle. Er rutschte ab... verkehrte mit der absolut falschen Sorte Leute. Straßengangs, Alkoholexzesse... Gewalt, Kriminalität." Eine schwarze Spirale, die ihn eisern umfing und sich tief in die Dunkelheit schraubte. Er begrüßte den Jungen an der Haustür, sobald er diese aufgehen gehört hatte. Sasuke schälte sich aus seiner leichten Herbstjacke, die mit Schlamm bedeckten Schuhe locker absteifend, womit sie als eine kleine Sauerei auf dem Flur liegen blieben. "Du warst heute wieder nicht in der Schule." Die strenge Stimme ließ den Dreizehnjährigen unbeeindruckt, er zuckte lediglich die Schultern und schob sich an Kakashi vorbei in die Küche. "Scheiß' auf die Schule. Wenn ich hingehe, werd ich eh nur wieder suspendiert." Was stimmte, seit er an ihrem neuen Wohnort auf die neue Schule ging, hatte er es geschafft, jeden Monat mindestens einmal wegen Prügeleien und aggressivem Verhalten rauszufliegen oder suspendiert zu werden. "Dann solltest du vielleicht nicht immer deine Klassenkameraden zusammenschlagen, " seufzte Kakashi auf und drehte sich um. In der Küche angekommen nahm er einen Teller aus dem Hängeschrank, während Sasuke sich auf den Stuhl am Tisch fallen ließ. "Dann sollen sie mich nicht immerzu nerven." Das war jedoch kein Kunststück, den Sasuke nervte wirklich alles. Es genügte manchmal nur ein schiefer Blick, um ihn wie ein Pulverfass explodieren zu lassen. Kakashi füllte den Teller mit Ramen, seine Kochkünste waren dürftig, aber das schaffte er noch. "Wo warst du?" Er stellte den Teller vor dem Jungen ab und dieser machte sich freudig ans Werk. "Raus mit Ryosuke." Die halbwegs unter der Maske verborgene Stirn legte sich in Falten. Ryosuke hatte keinen guten Ruf in dieser Stadt, drei Jahre älter als Sasuke selbst war er und seine Geschwister eng mit den Machenschaften der örtlichen Straßengangs verflochten und man munkelte, Drogenverkehr war sein Spezialgebiet. Er warf einen flüchtigen Blick auf die in dem einfachen Shirt entblößten Ellenbogenkehlen und Unterarme des Jungen, erleichtert ob ihrer Unversehrtheit. "Und was habt ihr gemacht?" Sasuke schaute auf und grinste düster. "Gekifft, gesauft und Nutten abgeschleppt." Kakashi entfloh fast die Suppenkehle aus der Hand. "Wie bitte?!" Der Dreizehnjährige ihm gegenüber schnaubte belustigt. "Ganz ruhig, alter Mann. War nur ein Witz. Haben nur ein paar Sachen gedreht." Von der Antwort wurde Kakashi auch nicht unbedingt leichter ums Herz. "Was für Sachen?" Der junge Uchiha zuckte nur nonchalant die Schultern. "Musst du nicht wissen." "Mit der Zeit wurde es nur immer schlimmer, und ich fühlte mich immer hilfloser. Es gab Tage, da habe ich ihn kaum wiedererkannt." Und seine abgesenkte, ruhige Stimme verriet trotzdem, dass ihm die Erinnerungen daran und die damit verbundenen Gefühle immer noch nicht allzu leicht fielen. Es war spät am Abend, als er nach einem anstrengenden Arbeitstag Zuhause ankam. Sasukes Jacke lag auf dem Boden im Foyer, direkt neben seinen nassen, dreckigen Schuhen, alles wie gewohnt. Es war mittlerweile Mitte des Winters, der in diesen Breitengraden immer verhältnismäßig mild ausfiel, was einfach nur zu ganz viel Matsch auf den Straßen führte. Kakashi seufzte und hob die Jacke auf, um diese auf den Haken zu hängen, dabei glitt etwas aus der Jackentasche auf den Boden. Zigarettenschachtel? Er fuhr sich erschöpft durch das silberne Haar, das hatte ihm noch gefehlt. Dieses Gift sollte er umgehend in den Müll kloppen, auch wenn er wusste, dass es wahrscheinlich nicht viel bringen würde. Er sammelte die Schuhe auf und stellte sie zur Seite, eine Minute später wischte er auch den Boden sauber, nur um umgehend im Badezimmer von noch einer unangenehmen Überraschung begrüßt zu werden. Ein sauer Geruch stach in seine Nase und der Grund dafür war schnell herausgefunden - die Toilettenschüssel war gefüllt mit Erbrochenem, zur Betätigung der Spülung hatte es anscheinend entweder mangels an Lust oder an Kraft nicht gereicht. Er drehte sich auf dem Absatz um und kam wenig später an Sasukes Zimmertür an. Die Rollladen waren bis zum Anschlag runtergelassen, drinnen war es stockdunkel und totenstill, er hörte das mühevolle Atmen erst, als er näher am Bett war. Blind ertastete er den Knopf der Nachttischlampe und weiches, gelbliches Licht erleuchtete die unter der Decke zusammengerollte Gestalt auf dem Bett. Er setzte sich auf die Bettkante und berührte sachte die Schulter des Jungen, seine Brauen rückten sorgenvoll zusammen. "Sasuke. Hey, was ist los? Geht's dir nicht gut?" Etwas Schlechtes gegessen? Einen Virus aufgeschnappt? Er schüttelte jene Schulter etwas fester und erhielt endlich eine Antwort auf mehr als nur eine Frage. "Lass'mi'n Ruh..." Die Sorgenfalte auf seiner Stirn vertiefte sich, diesmal mit klarer Verstimmung. "Bist du betrunken?!" Wo zur Hölle hatte er das Zeug überhaupt hergekriegt? Obschon, wenn er mit Leuten wie Ryosuke abhing... war's wirklich ein Wunder? "Verschwinde..." Verzweiflung und Jähzorn vermischten sich in Kakashis Stimme, als er jene Schulter fester griff. "Hast du sie noch alle?! Sasuke, du bist 13! Weißt du überhaupt, was du dir mit dem ganzen Mist antust?!" Er wusste nicht mal, wie man darüber eine Standpauke hielt. Sollte er ihn zusammenschreien? Ihn bestrafen? Wie, ohne ihn noch tiefer in dieses Loch zu stürzen, in dem er auch so schon hoffnungslos am Versinken war? "Geh doch einfach... Bitte...", murmelte der Junge nur gequält und zuckte die Schulter, um die Hand darauf abzuschütteln. "Das würde dir so passen. Steh auf, Freundchen. Eine kalte Dusche kriegt dich schon wieder nüchtern." Damit zog er schroff die Decke von dem schmalen Körper runter und packte seinen Schützling am Oberarm. "Komm, auf mit dir!" Sasuke setzte sich mit einem Ruck auf und Kakashi erhaschte nur einen flüchtigen Blick auf das tränenüberströmte Gesicht, bevor der Junge mit der freien Hand nach der Nachttischlampe griff: "Fick dich!" Der Mann sprang notgedrungen auf, der Stecker flog aus der Dose und die nach ihm geworfene Lampe zerschellte irgendwo an der Wand hinter ihm. "Ich will einfach nur vergessen, kapiert?! Und jetzt verschwinde schon! Lass mich allein!" Die Abruptheit der Bewegung vereinbarte sich schlecht mit dem allgemeinen, bedauernswerten Zustand des Dreizehnjährigen und was Kakashi unmittelbar danach hörte, war verzweifeltes Würgen vermischt mit Schluchzern. Sasuke hatte es wohl noch wenigstens geschafft, sich über die Bettkante zu beugen, dem Platschgeräusch gegen den Fußboden nach zu urteilen. Den einen Schritt zurück zum Bett getan, ließ Kakashi sich müde wieder auf den Platz fallen, von dem er eben aufgesprungen war, und langte in der Dunkelheit nach dem leidenden Geschöpf irgendwo neben ihm. Er ertastete Rücken, Schultern und griff mit der Hand letztendlich um den Nacken, den Jungen abrupt und mit sanfter Schroffheit zu sich ziehend. Jene Stirn traf gegen seine Brust auf, gegen welche auch das herzzerreißende Weinen und die trostlosen Tränen gedämpft wurden. Alles, was er tun konnte, war die Augen zu schließen und Sasuke mit behutsamer Stärke näher zu drücken. Strafe...? Rügen...? Wie sollte er das je tun können...? Dieses kleine, entwurzelte, zerstörte Leben fiel in seinen Händen auseinander, und er konnte es nicht aufhalten. "Er war immer schon ein kleines Genie gewesen, ganz sein Bruder, doch nach den ganzen Geschehnissen... verwendete er sein Intellekt für all die falschen Sachen. Er trug so viel Wut, so viel Hass auf die ganze Welt in sich, und ich war einfach nur ratlos. Ich wusste nicht, wie ich ihm helfen konnte. Ich konnte nur zusehen, wie er sich selbst ruinierte." Seine Gestalt stürzte durch die Türen des Krankenhauses wie vom Teufel gejagt. "Wo ist er?!" Die in reinem, ordentlichen Weiß gekleidete Krankenschwester brachte seine aufgebrachte Präsens die Flure entlang zu dem Zimmer, wo Sasuke in Gips und Bandagen auf dem Bett lag. "Ein paar Prellungen, verstauchtes Handgelenk und ein offener Bruch am Oberschenkel. Ansonsten geht es ihm relativ gut, er hat unheimlich viel Glück gehabt," erklärte die junge Frau, während Kakashi benommen auf den Plastikstuhl neben dem Krankenbett plumpste. Er hatte fast einen Herzkasper gekriegt, nachdem er den Anruf erhalten hatte, der verhieß, Sasuke hätte einen Unfall gehabt und war nunmehr im Krankenhaus - ganze vier verdammte Städte von ihrem momentanen Zuhause entfernt. Er war wie ein Verrückter fast drei Stunden hierher gehetzt und beinahe selber ein paar Unfälle gebaut. Danach musste er sich auch noch mit der örtlichen Polizei rumschlagen, bevor man ihn endlich freie Passage zum Krankenhaus gewährte. "Du hast ein Motorrad gestohlen...?", war die fassungslose Frage, die er dem Jungen stellte. Dieser war allem Anschein ziemlich erquickt dank den Schmerzmitteln, die durch sein System kursierten, insofern gluckste er für ein paar Momente vergnügt vor sich hin, bevor es eine beschwingte, fröhliche Antwort gab: "Yep! Bin ich weit damit gekommen? Ryosuke meinte, ich würde es nicht mal aus der Stadt heraus schaffen! Aber so schwer ist Motorradfahren gar nicht... Nach ein paar Runden durch den Hof konnte ich's ganz gut!" Der kindliche Stolz in jener Stimme und die glücklich leuchtenden, tiefschwarzen Augen raubten Kakashi für einen Moment das Sprachvermögen. "Du hättest dich umbringen können...", schüttelte er letztendlich bestürzt den Kopf, und von der Erkenntnis und Vorstellung wurde ihm selbst augenblicklich übel. Ein paar Prellungen und ein offener Bruch... Es hätte auch ein gebrochenes Genick werden können. Oder lebenslanges Anketten an einen Rollstuhl. Begriff er das denn nicht? Oder war es ihm- "Ist mir egal," zuckte Sasuke mit den Schultern, als könne er die Gedanken seines Vormunds lesen. Der vergipste Fuß in der Schlaufe schaukelte leicht ob des ausgelassenen Lachens, das den jugendlichen Körper erschütterte. "Wenigstens hatte ich mal wieder etwas Spaß." Es riss genauso schnell ab, wie es angefangen hatte und für einen Moment waren jene ansehnlichen Gesichtszüge absolut ernst. "Ne, Kakashi... beim Fahren, da hab ich mich richtig lebendig gefühlt. So, wie schon lange nicht mehr." Dann zuckten die Mundwinkel wieder nach oben und er grinste mit der Sonne um die Wette. "Kann ich ein Motorrad haben?" Kakashi fuhr sich gestresst und verzweifelt durchs Haar, auch wenn er sich von einem unbeholfenen Auflachen ebenfalls nicht abhalten konnte. "Nur über meine Leiche." Der Traum vom mechanischen Ross hatte dort seine Anfänge genommen. Doch es würde noch so einiges an Horror passieren, bevor dieser erfüllt werden konnte. "Nachdem er aus dem Krankenhaus entlassen wurde, ging es mit ihm nur noch steiler bergab. Er sank einfach nur immer weiter in diese Teufelsspirale hinein. Kam ständig mit irgendwelchen Verletzungen heim, schmiss die Schule fast komplett... Drehte zwielichtige Sachen mit seiner Bande, schlug ständig irgendjemanden zusammen und wurde dabei von Mal zu Mal brutaler." Das, was sich langsam auf dem Horizont für Sasuke abgezeichnet hatte... waren entweder durch irgendeine Dummheit herbeigeführter eigener Tod oder die Zelle einer Jugendstrafanstalt. "Ich versuchte mein Bestes, aber es war einfach nicht gut genug. Ich konnte ihn nicht kontrollieren, und er hörte überhaupt nicht auf mich." Kakashi hatte sich noch nie für die Vaterrolle geschaffen gefühlt, noch weniger war er gut darin, mit einem Problemkind klar zu kommen. Vielleicht war es auch die Tatsache, dass er Sasuke einfach nur viel zu gut verstand in den Gefühlen, die den Jungen zu all jenen Sachen verleiteten. "Kaum ein halbes Jahr später gab es dann den einen Vorfall..." Den einen, der alles änderte. Er hatte diese Nacht wieder nicht geschlafen. Es war eigentlich Gang und Gebe, dass Sasuke entweder spät nachts Zuhause ankam oder einen oder gar mehrere Tage wegblieb, und jedes Mal war es eine Tortur für Kakashi, auch wenn er dank dem ein oder anderem Trick immer ungefähr von dem Aufenthaltsort des Jungen wusste. Jedoch wusste er nie, was dieser dort trieb und meistens jagte eine Horrorvorstellung die nächste in seinem Kopf, besonders nach der Sache mit dem Motorradunfall. Dieses Mal... wurde eine solche Vorstellung wahr. Er hörte den Schlüssel im Schlüsselloch, die Tür, die salopp aufgestoßen wurde, die scharrenden Schritte über die Schwelle und das sachte Zuschlagen des Holzes im Türrahmen. In den Flur herausgetreten, betätigte seine Hand den Lichtschalter und er erblicke Sasuke, der schwerfällig mit der Schulter gegen die Wand lehnte, halb übergebeugt und einen Arm um seine Körpermitte geschlungen. "Kakashi... Ich glaube... ich glaube, mich hat's diesmal echt erwischt...", keuchte er in rauer, kratziger Stimme und Angesprochener war in zwei Sekunden bei ihm. Vom Kopf bis Fuß von Schlammwasser bedeckt, klebte die feuchte Erde überall an Sasukes Kleidung, Haut und Haaren, er hob das Gesicht und trotz dem Dreck daran konnte man erkennen, wie aschfahl es war. "Was ist passie-" Weiter kam Kakashi nicht, denn schon erhaschte sein Expertenauge den Blick auf die Brust des Jungen, das blutige Loch in diesem, der Anblick von welchem mit einem Phantomschmerz in der eigenen Durchschussnarbe echote. Schlimmer jedoch war der Anblick weiter unten... der tiefe Schnitt, der knapp unter dem zweiten Rippenring anfing und sich quer bis zum Hüftknochen zu ziehen schien, der dran gepresste Arm ein dürftiger Druckverband und der gesamte Ärmel und die Oberbekleidung waren bereits verschmiert in zähem, dunklen Rot. "Verdammte Scheiße...", entfloh es ihm geschockt. "Kleiner Idiot... was hast du getan?!" Er fing den kaum Vierzehnjährigen auf, als dieser ihm endgültig entkräftet entgegen kippte. "Der Kerl, von dem wir das Motorrad gestohlen haben... der war nicht glücklich drüber," war die mit Mühe halbgeröchelte Antwort. "Meine Jungs und ich, gegen seine Jungs und ihn... Auch wenn der Schlappschwanz anscheinend eine Knarre zu einen Messerkampf brachte... Und wir haben trotzdem gewonnen... Hah." Er schaffte es noch tatsächlich, mit einem blutfeuchten Gurgeln triumphierend aufzulachen. Kakashi seinerseits, konnte nur um etwas Fassung ringen. Wenn Sasuke jetzt in seinen Armen starb... wie sollte er je wieder Fugaku in die Augen sehen, dort im Jenseits? Und Mikoto, und Itachi... Wenn er ihren Sohn und Bruder einfach so sterben ließ, den letzten ihrer Linie, ein halbes Kind, das so viel mehr vom Leben verdiente, als ihn zuteil geworden war? Die nächsten zwei Wochen im Krankenhaus, an Sasukes Bett umringt mit piependen Maschinen, die den letzten lebenden Uchiha durch sein Koma trugen, waren mit die Schlimmsten in Kakashis Leben. Der Junge hatte sich letztendlich durchgekämpft, er war wieder aufgewacht... Die Ärzte waren optimistisch, doch Kakashi... Kakashi war mit seinem Latein am Ende. Noch eine Woche später setzte er sich auf die Kante des Krankenbett, nahm Sasukes schlaffe Hand mit der IV-Nadel im Handrücken in die seinige und drückte behutsam zu. Seine Stimme war schwer unterlegt mit dem Druck der Emotionen, die allesamt sein Herz zu zerquetschen schienen, er war genauso ausgelaugt wie das arme, junge Geschöpf vor ihm es wahrscheinlich schon lange sein musste. "Sasuke... so kann es nicht weitergehen. Ich kann nicht..." Er atmete gezwungen aus und schluckte hörbar. "Ich werde nicht weiter mit ansehen, wie du dich selbst zu Grunde richtest. Ich weiß nicht mehr weiter..." Und das war die unverhohlene Wahrheit, ein schamvolles und dennoch ehrliches Geständnis. Der Kopf des Vierzehnjährigen war von seinem Vormund weggedreht, er starrte teilnahmslos aus dem Fester, aber Kakashi wusste, dass er ihn sehr gut hörte und wahrscheinlich alles auch klipp und klar verstand. Immerhin war er ein sehr intelligenter, geistvoller Bursche. "Wenn sich nichts ändert... wenn du dich nicht änderst..." Er schloss das Auge für einen Moment absoluter Stille, bevor langsam auszuatmen. "Werde ich die Vormundschaft abtreten. An jemanden, der professionell mit so etwas umzugehen weiß... an einem Ort, wo man dir helfen kann. Ich kann es nicht mehr, und ich werde nicht zulassen, dass du dich mit diesem ganzen Mist umbringst." Was bei dieser Auslage der Dinge sehr bald passieren würde. Es war einmal, zweimal gut gegangen... Irgendwann würde Fortuna sich von ihm abwenden, sie war ihm bereits schon viel treuer gewesen, als sie es den meisten Menschen gegenüber je war. Die Augen des Jungen verengten sich minimal, er presste die Lippen so stark zusammen, sie waren nichts mehr, denn eine dünne Linie, die nachtschwarzen Augen starrten jedoch stur und unbeugsam geradeaus. Er musste wissen, was gemeint war. Ein Traumazentrum, eine Anstalt für Schwererziehbare... vielleicht gar weiße Kitteln und lustige, bunte Pillen. Doch was blieb noch anderes übrig? "Hörst du mich...? Sasuke?" Keine Antwort und Kakashi selbst konnte die bedrückende Atmosphäre und den apathischen Ausdruck auf jenen vertrauten Konturen nicht ertragen. Er stand abrupt auf und verließ schnellen Schrittes das Krankenzimmer. Er konnte selbst kaum glauben, dass er die Option in Erwägung zog, doch welche Lösung gab es noch? Wenn Sasuke sich nicht selbst in den Griff kriegen konnte, und wenn er nicht auf Kakashi hörte... gab es nur noch eine Möglichkeit, ihn zu retten, und zwar mit professioneller Hilfe. Er wusste einfach nicht mehr weiter, das Einzige, was er wusste, war... er würde nichts unversucht lassen, um dieses wertvolle Leben zu retten. Er kam nicht weit, denn einige Meter den sterilen Flur runter hörte er ein lautes Krachen aus dem Zimmer, welches er eben verlassen hatte. Mit vor Schreck geweitetem Auge stürmte er umgehend in dieses zurück, das Herz jedes Mal erfrierend in seiner Brust mit jedem weiteren Karacho und Geklirre, das aus der Richtung hallte. Als er die Tür aufriss und rein gestürmt war, erblickte er Sasuke auf dem Boden, der Junge saß in einem Chaos aus umgeworfenem Bett, umgekippten Maschinen, aufgeplatztem IV-Beutel und zerschellter Blumenvase. Er hatte es alles umgeschmissen und ausgerissen und zerdeppert, sein simples, weißen Krankenhemd färbte sich rot an Schulter und Brust, die zu frischen Wunden zu sehr gestört unter ihren Bandagen und jetzt weinten sie rote Tränen, während selbige, kristallklar und salzig, auch über Sasukes Wangen rollten. Die Scherben der Vase waren zu nah an seiner in sich zusammengesackten Gestalt und trotz der wahnsinnigen Besorgnis trat Kakashi sachte und mit aller Ruhe, die er aufbringen konnte, an seinen leidenden Schützling heran. "Sasuke..." Jener Kopf schellte hoch und der Junge rappelte sich mit größter Anstrengung wieder auf die Füße. "Ich weiß nicht, was ich tun soll...", flüsterte er und stolperte ein paar Schritte zurück, sein Rücken schlug gegen die Wand auf und er sank schwerfällig gegen den weißgestrichenen Zement. "Ich weiß nicht, was ich tun soll!" Die Hand hochgeworfen, griff er sich in das schwarze Haar, die Finger krallten sich verzweifelt in die seidig weichen Strähnen. Die freie Hand packte an die Brust, hakte sich in das weiße Material, das es bedeckte, dort wo das zerstörte Herz wild und gepeinigt pulsierte. "Es schmerzt... Es schmerzt. Es tut weh, und es hört nicht auf! Es hört einfach nicht auf..." Das er dabei nicht den körperlichen Schmerz meinte, war allzu offensichtlich, doch genau dieser zwang ihn einen Moment später in die Knie. Kakashi war in Windeseile bei ihm und fing das geschwächte, gemarterte Wesen in seinen Armen auf. Sie sanken zusammen zu Boden und Sasukes Arme schnappten um das Torso des Mannes mit aller Stärke, die er aufbringen konnte. "Du kannst mich nicht aufgeben," schluchzte er unbeholfen gegen Kakashis Brust und dieser kniff fest sein Auge zu, weil er selbst das verräterische Brennen dahinter spürte. "Du bist alles, was ich noch habe... du kannst mich nicht auch noch verlassen. Bitte... bitte, gib mich nicht auf... Ich weiß nicht, wie... Wie kann ich besser werden? Wie kann ich es besser machen? Wie bringe ich mich dazu, es zu überwinden? Wie bringe ich es dazu, aufzuhören? Wie heile ich mich davon...?!" All die kindliche Hilflosigkeit, Verzagtheit, Unverständnis und Verzweiflung in jener Stimme schlug wie ein Hammerkopf gegen sein Herz, hinterließ Delle über Delle, bis es sich anfühlte, es wäre der pochende Muskel nur noch ein winziger, blutiger Klumpen in dem Käfig der Rippen. "Alles, was du sagst... Ich werde alles tun, was du sagst... Nur gib mich nicht weg. Gib mich nicht auf, Kakashi, bitte..." Und wie konnte er nun? Er drückte Sasuke mit aller Vorsicht und Zärtlichkeit an sich, als dieser sich an seiner Brust ausweinte, und sein eigener Kopf war leer. Leer, bis auf den Gedanken, dass er ihn nicht alleine lassen konnte. Sie waren wirklich alles, was einander geblieben war... Er durfte ihn nicht aufgeben. Er konnte es nicht. Und das hatte er auch nicht, wie die Gegenwart bewies. Ihn und Sasuke verband ein Strang, der nie wieder gekappt werden konnte. Es war für beide Männer, weil sie eben Männer waren, bequemer und auch sicherer, die Verbindung Lehrmeister und Schüler zur Schau zu tragen, doch unter der kleinen Mogelverpackung versteckte sich eine viel tiefere Beziehung von Pflegevater und Ziehsohn. Blutverwandt oder nicht, ganz egal, wie erwachsen und ernst Sasuke werden würde, Kakashis schützende Hand über ihm würde immer da sein. Das war er sich selbst, Sasuke, und der Familie des Jungen schuldig, jedoch war es bei weitem Nichts, das er als Pflicht oder Obligation ansah. Ihm lag sehr viel an Sasuke, und in diesem Sentiment war er offensichtlich nicht mehr allein, denn das Mädchen neben ihm schien langsam mehr und mehr genauso zu fühlen. Die Hände über den Mund gepresst, um ihre leisen Schluchzer zu dämpfen, weinte Sakura, spürend, wie die Tränen heiß über die Rückseite ihrer Finger liefen. Sasukes Wahrheit... sie tat ihr weh... und wenn es so weh tat, es nur zu hören... wie sehr muss es weh getan haben, es auf eigener Haut zu erleben? Ihr Herz zerbrach, wieder und wieder, für Kakashi und umso mehr für Sasuke. Niemand verdiente so etwas... Es war nicht fair, es war nicht fair, es war nicht fair... Sie dachte an ihn, und sie wollte ihn sehen, so, so sehr. Sie wollte ihn umarmen... fest, ganz, ganz fest, und ihn nie wieder loslassen. "Als er wieder aus dem Krankenhaus entlassen und einigermaßen auf den Beinen war..." Kakashi hatte bis dahin ein neues Haus gekauft. Klein, aber in einer ruhigen, gemütlichen Gegend und noch viel wichtiger... es hatte einen voll ausgestatteten Fitnessraum im Keller und ein kleines Dojo statt einem Geräteschuppen. Dort brachte er Sasuke als erstes hin. "Wenn du wirklich ein Ventil für deine Wut suchst... Wenn du deine Emotionen in etwas investieren willst... auf etwas konzentrieren willst... kann ich dir vielleicht eine bessere Option dafür anbieten, als Schlägereien und Messerstecherei. Falls du es wirklich willst... kann ich dir helfen, stark zu werden." Ohne dabei sich selbst und andere in Lebensgefahr zu bringen. "So habe ich angefangen, ihn zu trainieren. Ich habe ihm alles beigebracht, was ich wusste. Über Kampf, über Waffen, über innere und äußere Stärke. Er trainiere, wie besessen. Tag und Nacht, wenn er nicht gerade aß oder schlief, steckte er all seine Zeit und Energie darin, stärker zu werden." Erst mit einer fast selbstzerstörerischen Verbissenheit, doch nach und nach mit einer ruhigeren Art Strebsamkeit und Hingabe. Kampfsport, Körperkultur und Waffentraining schienen auf einmal eine Auslastung zu schaffen; im Sparring mit Kakashi oder beim Schwitzen an Gewichten und Geräten schien Sasuke für einen Moment alles zu vergessen, während er sich an körperliche Grenzen trieb und diese immer wieder überschritt und erweiterte. Seine Reflexe und Kampfinstinkte waren bald genauso scharf wie sein Intellekt, welcher ihm nur umso mehr zu Gunsten kam, ob bei Angriff oder Verteidigung. Etwas, was Sakura mit eigenen Augen gesehen hatte und jetzt wurde es ihr um einiges klarer, warum der junge Uchiha solch beachtlichen Fähigkeiten besaß und wie er sie erworben hatte. "Mit 17 war er fast schon besser, als ich selbst und er hörte nicht auf. Schulisch holte er problemlos alles nach, und vor knapp zwei Jahren brachte ich ihn nach Ikibukoro. Er wollte selbstständig sein und ich hatte keine Bedenken, ihn alleine zu lassen, nicht mehr. Seine Persönlichkeit hatte sich um 180 Grad gedreht... er hatte sich absolut verändert." Schritt für Schritt, Millimeter um Millimeter, hatte Sasuke sich nach ein paar Schubsern in die richtige Richtung langsam selbst aus der Dunkelheit herausgezogen, in die er versunken gewesen war. Mit Ausdauer, eisernem Willen und Entschlossenheit riss er sich von seinen Dämonen los, oder sperrte sie zumindest so weit weg, dass sie keine Kontrolle mehr über ihn hatten. Er war durch die Hölle gegangen, und dadurch über sich hinaus gewachsen. "Er wurde zu dem Sasuke, den du kennen gelernt hast." Dem verschlossenen, distanzierten, introvertierten jungen Erwachsenen, der scheinbar nie die Ruhe verlor und im eleganten, stillen Selbstbewusstsein würdevoll und eminent sein Leben bestritt. "Aber was ist jetzt passiert? Wo will er hin?", fragte Sakura in leiser und nach wie vor von Betroffenheit angeschlagener Tonlage. Sie hatte sich wieder etwas gefangen, die letzten salzigen Spuren ihrer Erschütterung weggewischt von ihrer eigenen Hand, die nun flüchtig einige lose, seidige Strähnen ihres Haars hinter ihr Ohr strich. Kakashi sagte für einen Moment lang nichts. Dann... "Es gibt etwas, was ich ihm das letzte Jahr über verschwiegen hatte. Heute ist er darauf gestoßen und er will es nun mit eigenen Augen sehen, denn allem anderen würde er einfach nicht glauben." Gerade als sich Sasukes Leben wieder einigermaßen in ruhigen Ufern eingefunden zu haben schien, war ihm diese Ruhe wohl nicht für sehr lange gegönnt sein sollen. Doch wenn Kakashi zu Sakura blickte... hatte das Schicksal Sasuke vielleicht dennoch ein wenig entlohnt. Sie war der kleine Lichtstrahl, der den einen Funken in jene tiefschwarzen Augen bringen konnte, von dem Kakashi geglaubt hatte, ihn nie wieder erblicken zu dürfen. Er schien für immer erloschen gewesen zu sein, doch sie... sie hauchte Leben auf die fast verglommene Kohlen. Er wusste, wie sehr sich Sasuke davor fürchtete, sich wieder zu verbrennen, sollte jene Flamme einmal mehr entfacht werden... doch er hoffte inständig, dass Sakura nicht aufgeben würde, bis sie diese eine Wärme wieder in das Leben des Jungen gebracht hatte. Er wusste, dass Sasuke es wollte. Dass er es brauchte. Er musste es nur zulassen... Und solange sie nur nicht aufgab, würde er es irgendwann tun. Wenn Kakashi sah, wie Sakuras einfühlsame, zutrauliche Seele für Sasuke litt und ihre hübschen, klaren Augen für ihn kristallklare Tränen vergossen... gab es ihm die Hoffnung, dass sie es tun konnte. Jenes unter sieben Siegeln verschlossene Herz erreichen, um es in ihren zierlichen Händen aufzuwärmen und verheilen zu lassen. Kapitel 15: Wiedersehen ----------------------- [Mittwoch, 14 Juli, 02:16 Uhr] Das quecksilberfarbene, verschmutzte Glas vor ihm reflektierte das trübe Licht der nackten Glühbirne über seinem Kopf, die Hände in die Kante des Waschbeckens gestützt starrte er in die tiefschwarzen Augen seines perfekten Zwillings auf der anderen Seite des Spiegels. Es stank, die kleine Kabine der Toilette an der Tankstelle, an der er kurz gehalten hatte, war verpestet mit dem unangenehmen, sauren Geruch von Unsauberkeit und abgestandenem Urin. Etwas, was der junge Mann vor dem Spiegel kaum wahrnahm, denn als er in die endlosen Abgründe der eigenen Augen starrte, spielten sich ganz andere Bilder in seinem Kopf ab und was er roch, imaginär wie es gewesen sein mag, waren Flammen. Feuer und brennendes Holz. Brennendes Fleisch... der Gestank von brennendem Fleisch, von dahin schmelzender Haut, war um so viel abscheulicher denn jeder andere Geruch es je hätte sein können. Er starrte in das eigene endlose Onyx und er sah... sah... Die Dunkelheit seines Schlafzimmers wurde von einem kleinen Lichtstrahl durchbrochen, der durch den Spalt der aufgemachten Zimmertür vom Flur einfiel. Das war das erste, was er erblickte, während jemand ihn sanft aber bestimmt an der Schulter rüttelte. "Sasuke." Er erkannte die Stimme sofort und blinzelte ein paar Mal, um seine von Schlaftrunkenheit verschwommene Sicht zu klären. "Steh auf. Schnell." Er verstand nichts, spürte nur die starke Arme, die ihn mit behutsamer Entschlossenheit aus dem Bett zogen. "Aber wieso denn? Nii-san, was soll das...?" Bekleidet in einen hellblauen Schlafanzug griff eine seiner Hände instinktiv den Saum des schwarzen Shirts, welches sein Bruder trug. Lange Finger packte das Handgelenk seiner anderen Hand, die immer noch verschlafen an einem tiefschwarzen Auge rieb, die Handfläche des älteren Jungen rau und warm gegen seine Haut. "Sei leise." Langsam wieder wacher, blickte Sasuke auf und der angespannte Ausdruck auf jenem vertrauen Gesicht brachte sein Herz abrupt zum schnelleren, aufgewühltem Pochen. "Nii-san... Was ist los?" So schaute sein Bruder nur, wenn etwas gewaltig nicht in Ordnung war und er konnte die wenigen Male, in denen der Andere so geschaut hatte, an den Fingern einer Hand abzählen. Itachi antwortete nicht, sondern lugte hinaus in den Flur und trat dann rasch heraus, ihn hinter sich her ziehend. Jetzt hörte Sasuke auch Stimmen und eine davon erkannte er als die seiner Mutter. Sein Atem stockte, es hörte sich so an, als weinte sie, leidvoll und bitterlich. "Kaa-chan...", wisperte er und riss sich mit einem Male aus dem Griffe seines älteren Geschwisterteils, die kleine Hand schlüpfte schnell und einfach aus den Fingern des Siebzehnjährigen, weil diese ihn nicht annähernd fest genug gehalten hatten. "Sasuke!", der halbgewisperte Ausruf hielt ihn nicht davon ab, zum Geländer zu rennen, das den gerundeten Flur des ersten Stocks ihres Familienanwesens umschloss, seine weit geöffneten Augen blickten zwischen den ornamentiert geformten, dicken Holzstäben runter auf die große Eingangshalle eine Etage tiefer. Das Bild, das er nie wieder vergessen können würde, brannte sich just dann jäh mit traumatisierender Intensität von Schreck und Schock in sein Gehirn ein. Ihr Vater saß in einer kleinen Blutlache auf dem Boden, sein linkes Bein war unnatürlich verbogen und dickflüssiges Scharlach breitete sich rasant über den hellen Stoff seines Hemds aus der Stichwunde in seiner Seite. Ihre Mutter saß auf den Knien neben ihm und weinte in seine Schulter hinein, er hielt sie schützend an sich gepresst fest und blickte rauf in die Gesichter der drei Männer, die um sie standen, einer davon hielt das blutverschmierte Katana noch in der Hand, die anderen beiden hatten die Läufe ihrer Pistolen auf das Paar gerichtet. Ein weiches 'plopp' des durch den Schalldämpfer ausgespuckten Schusses und der Oberkörper ihres Vaters zuckte abrupt, ihre Mutter schrie auf, bevor sie brutal getreten wurde und notgedrungen von ihrem Mann ablassen musste. Auch Sasukes Lippen fuhren auseinander und auch er wollte schreien, doch eine Hand legte sich prompt gegen seinen Mund und Nase, während er mit einem heftigen Ruck nach hinten gezogen wurde. Beide seiner eigenen Hände schossen hoch, krallten sich in den lebendigen Knebel und versuchten mit aller Kraft, diesen wieder runter zu zerren, während verzweifelte Laute ins Wimmern und Jaulen gedämpft wurden und heiße Tränen augenblicklich zu fließen begannen. Er strampelte und winselte wie ein verschreckter kleiner Welpe, nicht gewillt, zu glauben, was er gerade gesehen hatte. Es konnte nicht wahr sein... konnte nicht, durfte nicht... Mutter! Vater! Er wollte schreien, schreien und weinen und zu ihnen rennen, aber alles, was er tun konnte, war, entgeisterte Töne von sich zu geben und sich mehr oder minder den Flur entlang schleifen zu lassen. Die Schritte, die die Treppenstufen hochstiegen, kriegte er nicht mit, sein Bruder aber umso mehr. Itachi zerrte ihn ins nächstbeste Zimmer, eins der vielen Gästeschlafgemächer im ersten Stock. Er ging kurz auf ein Knie. "Sasuke. Sieh mich." Ein schroffes Schütteln an seinen Schultern zwang den jüngeren Uchiha, aus großen, tränenerfüllten Augen zu seinem Bruder zu sehen. "Es wird alles wieder gut. Hörst du mich?" "Aber Tou-san... Kaa-san...", seine Stimme brach und er wurde brüsk in eine feste Umarmung gezogen. "Es wird alles wieder gut. Warte einen Augenblick, rühr dich nicht vom Fleck." Damit ließ Itachi ihn wieder los und stand rasch auf, Sasuke blieb wie anordnet und angewurzelt dort stehen, wo er war und beobachtete das Tun des Älteren, ohne irgendetwas zu verstehen. Es musste alles ein Alptraum sein... Es musste... es musste... Die großen Balkontüren aufgestoßen, drehte Itachi sich zu dem Doppelbett und zog kurzerhand die Matratze runter, um diese zu besagtem Balkon zu zerren und sie von diesem runter zu schubsen. Sie landete mit einem dumpfen Geräusch auf dem von sauber gemähtem Gras bedeckten Boden im großen Garten. Als sein großer Bruder ihn auf die Arme hob und ebenfalls zum Balkon trug, klammerte Sasuke sich ängstlich an ihn, doch er schaffte es nicht, irgendetwas zu sagen, denn die Zimmertür hinter ihnen flog in diesem Moment auf. "Hey! Stehen bleiben!" Er konnte nicht mal schreien, Atem und Herzschlag erfroren in seiner Brust, als er sich fallen spürte, indes das unheilverkündende 'plopp' der abgefeuerten Pistole erklang. Über die Balustrade geworfen schaffte er nicht mal ein Piep, die paar Sekunden des Freiflugs brachten alle Sinne zum Aussetzen, bis er auf der dicken, weichen Matratze aufkam. Er rappelte sich auf und krabbelte vor, fiel ungeschickt von der Kante in das üppige Gras und wirbelte blitzartig umher, womit er hoch zu dem Balkon starren konnte. Nein, nein, nein... Itachi... Itachi! Er wollte schreien, einmal mehr, und einmal mehr kam nur ein geschocktes Wimmern heraus. Wenig später erschien eine Gestalt auf dem Balkon, schwang sich über das Geländer und landete bald geschmeidig auf der Matratze. Der Zwölfjährige plumpste auf seinen Hintern sowohl vor Erleichterung als auch weil seine Beine so sehr zitterten, dass sie ihn einfach nur nicht länger halten konnten. Itachi hob ihm beim Laufen wieder vom Boden auf und seine Arme schlossen sich krampfhaft um den Hals seines Bruders, als er das Gesicht in der Beuge davon vergrub und sich ganz fest an die sichere Präsenz des Älteren presste. Der Horror des Geschehenen brachte seinen Körper zum hilflosen Beben, und die Tränen hörten nicht auf. Er hatte Angst... Angst um sich, Angst um Itachi, Angst um ihre Eltern, die sie zurückgelassen hatten. 'Es wird alles wieder gut.' Er hing sich verzweifelt an diese Worte, in blindem Vertrauen, dass sein großer Bruder Recht haben würde. Itachi hatte immer Recht... Er war stark und schlau und selbstsicher und überhaupt all das, was Sasuke auch irgendwann mal werden wollen würde. Itachi wusste immer, was er tat. Sicherlich auch jetzt. Nicht wahr... nicht wahr...? Die Schiebetüren des Dojo gingen mit einem leichten Rattern auseinander und der Siezehnjährige schlüpfte gleich einem Schatten geschwinde hinein. Er setzte Sasuke wieder ab und suchte in der mondlichtuntermalten nächtlichen Dunkelheit irgendetwas auf dem Boden. Sein kleiner Bruder konnte nur große Augen machen, wenn sich eins der Planken im ebenjenem Boden löste und einen geräumigen Hohlraum offenbarte. Itachi winkte ihn mit der Hand herbei. "Komm her." Er tapste schnell auf den Älteren zu, stolperte die letzten Schritte ungeschickt und fiel fast auf die Nase, aufgefangen durch jene verlässlichen Arme, die ihn bald unter den Achseln griffen und behutsam in das Versteck absenkten. Der Boden unter seinen nackten Fußsohlen war mit etwas Weichem ausgelegt, doch in der Finsternis um sich sah er absolut nichts, er starrte sowieso hinauf zu Itachis Silhouette am Rande des Lochs, in dem er nun war. "Bleib dort und sei ganz still. Okay?" Die sonst so ruhige, geschmeidig tiefe Stimme war angespannt und klang gehetzt, was Sasuke auf keinen Fall beruhigte. "Nein!", rief er verzweifelt durch ein Schluchzen aus. "Nein, lass mich nicht alleine, Nii-san!" Nichts auf der ganzen Welt schien in dem Moment fürchterlicher, als jene schützende Präsenz nicht mehr in seiner Nähe zu wissen. Hier war es dunkel und unheimlich, aber draußen war es noch schlimmer und gefährlicher. Itachi sollte mit rein! Er wollte hier nicht alleine bleiben, er wollte nicht! "Bleib hier, bitte!" "Ich komme sofort wieder, Sasuke. Hörst du? Mit Mutter und Vater. Ich verspreche es dir. Du musst jetzt ganz tapfer und ganz leise sein, bis ich wieder da bin. Okay? Kannst du das für mich tun?" Er war zwölf, er war nicht blöd. Es waren bewaffnete Männer in ihrem Haus, mehrere davon, ihr Vater war verletzt und vielleicht auch gar nicht mehr- Doch er war auch absolut verängstigt und hatte ein blindes Vertrauen zu seinem Bruder. Itachi musste irgendeinen Plan haben. Wenn er sagte, dass er zurückkommen würde, wenn er es gar versprach... dann würde er es auch tun. Mit Mutter und Vater, er würde gleich zurück sein. Er hatte es versprochen. "Okay...", wisperte Sasuke also erstickt und bemühte sich um einen winzigen Fetzchen Fassung. Anstatt Tränen und Hysterie sollte er sich seinen Bruder zum Beispiel nehmen, so wie immer, so wie er es schon seit Kindheitsbeinen tat. Ruhe und Gefasstheit... Er konnte es tun. Tapfer sein, und still hier warten. Itachi zog die Planke wieder an ihre rechtmäßige Stelle und bevor der kleine Spalt Licht über seinem Kopf komplett verschwand, flüsterte Sasuke instinktiv einen jener Sätze, die man den geliebten Menschen in seinem Leben so, so viel öfter sagen sollte. "Nii-san... Ich hab dich lieb," seine verzweifelte Tonlage erbebte unter der Last der Emotionen, von denen er nur einen Bruchteil wirklich definieren konnte. Sein Herz raste, könnte es das letzte Mal sein, dass er- Nein, nein. Itachi hat versprochen, er würde zurückkommen. Er hatte es versprochen. Der ältere Uchiha stockte kurz in seinem Tun, und Sasuke hatte fast das Gefühl, als ob ein weiches Zittern in die sanft zurückgegebenen Antwort mit einfloss: "Ich dich auch, kleiner Bruder." Und dann war er verschwunden. Seine Schritte hallten noch dumpf über den Dojo-Boden, die Schiebetüren ratterten hinter ihm zu und dann... Dann fand sich Sasuke allein mit der Dunkelheit und seinen aufgewühlten, stummen und doch so lauten Gedanken, die alle durcheinander in seinem Kopf dröhnten, wie Rasselkugeln, die im Rikochettschüssen von den Schädeldecken prallten und seinen Verstand mit den schrecklisten und unmöglichsten Szenarien durchlöcherten. Er setzte sich auf den Boden und umschlang die Knie mit den Armen, versucht, genau das zu sein, was er Itachi geschworen hatte: tapfer und leise. Es was schwer... Die Finsternis um ihn herum war erdrückend, und die Nervosität und durchlebter Schock erschütterten jeden Nerv, was seinen jungenhaft schlanken Körper zum unkontrollierten Beben brachte. Er wollte nur, dass es vorbei war... Dass Itachi wiederkam, mit ihren Eltern, so, wie er es versprochen hatte. Doch Zeit verging, und er war immer noch alleine. Bis ein seltsames Geknister ihn alarmierte, gefolgt von dem nicht minder alarmierenden Geruch von Rauch und Feuer. Er sprang auf die Füße und riss den Kopf hoch, durch die kleinen Rillen, die die lose Planke über ihn abzeichneten, meinte er, rötlich-gelbes Licht durchsickern zu sehen. Keine Minute später wurde es klar. Flammen... das Dojo stand in Flammen. Die Panik, die sich wie Säure über sein ganzes vegetatives System ergoss, war unbeschreiblich. Raus konnte er nicht, das Loch war zu tief und ganz egal, wie hoch er sprang, er konnte die Planke nur mit Fingerspitzen berühren. Er würde sie nie zur Seite bewegen können, um hier raus zu kommen und das Feuer wurde immer wilder, das bedrohliche Knistern, die Hitze, der Qualm... Vergessen waren die Versprechen, er war auf einmal weder tapfer noch leise, als er um Hilfe schrie. Er schrie nach seinem Bruder, nach seinen Eltern, nach irgendjemanden, der ihn hätte retten können, doch alles, was er an Replik erhielt, war die schadenfrohe, bedrohliche Kakofonie der Flammen, die sich gierig zu ihm durch Holz und Stoff hindurch fraßen. Letztendlich stürzte eins der großen Balken unter der Decke ein, ein brennendes Ende davon brach durch die Planke hindurch und erschlug fast den Jungen in dem Freiraum darunter. Er schaffte es gerade noch, zurück zu springen, Hitze und Rauchschwaden strömten ihm umgehend entgegen. Er hustete, der ätzende Rauch brannte in den Lungen genauso wie die Glut des Feuers gegen die Haut, eine Hand schützend vor sich haltend schaute er sich gehetzt um. Den hinein gefallenen Balken als eine Art Brücke zu benutzen, um aus dem Loch im Boden raus zu kommen, erwies sich als keine gute Idee. Er verbrannte sich die Hände, doch das war das kleinste allen Übels, denn halbwegs über das Holzstück drüber, brach es an einer zu sehr vom Feuer untermauerten Stelle unter seinem Gewicht entzwei und er stürzte zurück in die Lücke, aus der er heraus zu kommen versuchte. Schlimmer noch, die entflammten Hälften fielen auf ihn drauf, klemmten ihn erfolgreich zwischen sich und dem Boden ein. Er konnte sich nicht bewegen... Er konnte nur schreien. Nii-san. Nii-san, hilf mir. Mutter! Vater! Irgendjemand... Itachi! Itachi! ITACHI! Er spürte und roch das eigene Fleisch an seinem Rücken brennen, die dünne Hautschicht und die zahlreichen Nervenendungen schmolzen qualvoll von Sehnen und Muskeln in dermaßen beißend-grausamen Schmerzstichen, es zwang ihn fast zum Brechen. Und er konnte sich nicht bewegen. Es tat so weh, bis es irgendwann unerträglich wurde und der Rauch, er war überall, in seiner Nase, Kehle, Augen... 'Hilf mir... Hilf mir, Nii-chan...', hallte es in seinem Kopf, bevor es alles mit einem male von erlösender, süßer Schwärze der Ohnmacht verschlungen wurde. So und nicht anders hatte seine Hölle damals angefangen, mit einem fast authentischen Fegefeuer und der dazugehörigen Tortur an Körper und Seele. Die Erinnerungen waren unerwünscht und verhasst, etwas, was er nicht mal mit Kakashi geteilt hatte, doch sie spielten sich immer wieder vor seinem inneren Auge ab, während des gesamten Fahrtwegs seinem Ziel entgegen, wie ein Fluch, den er nicht loswerden konnte. Er schaffte die knapp achtstündige Fahrt in unter sechs, weil er zum Teil das Doppelte des Geschwindigkeitsbegrenzung aus seinem metallischen Ross raus presste. Es dauerte jedoch eine kleine Weile, bis er die Adresse fand, die Mittagssonne stand hoch im Himmel und das wärmende, fröhliche Licht, das es ausstrahlte, empfanden Sasukes müde Augen als etwas unangenehm Grelles. Er hatte letzte Nacht schon nicht viel Schlaf gehabt und mittlerweile war er seit über 24 Stunden auf den Beinen, dabei in der nicht gerade besten physischen Verfassung und sein Körper verheizte die letzten Tropfen Sprit, auch wenn sein Besitzer davon unglücklicherweise keine Notiz nahm. Gefühlschaos trieb ihn voran, ungeachtet der schwerwiegenden Notlage seines leidenden Organismus, was sich nicht gerade positiv auf den stetig steigenden Pegel seiner Gereiztheit auswirkte. Er war ein wandelndes Pulverfass, und die Lunte brannte bereits lichterloh. Sein Ziel, das sich als ein ziemlich ansehnliches, zweistöckiges Haus herausstellte, lag in einer ruhigen Wohngegend, der er keine Beachtung schenkte, weil er nur die Eingangstür im rigorosem Visier hatte. Bei dieser angekommen betätigte er die Türklingel, nur um keine Sekunde später zusätzlich gegen das Stück Holz zu hämmern, energisch und fordernd. Eine junge Frau öffnete die Tür, um sich unverzüglich mit einem stechend-zornigen Blick nachtschwarzer Tiefen konfrontiert zu finden. "Wo ist er?" Gekleidet in eine simple und doch geschmackvoll elegante Combo aus schwarzer Hüftjeans und hellblauer Bluse mit luftigem Volant, die sich gebührend eng an ihre formschöne Figur schmiegten, besaß die junge Frau schulterlanges, in einem A-Bob geschnittenes, azurblaues Haar verziert von einem mit einer Rose besetzten Haarreif und goldschimmernde Augen, die ihn einen Moment lang geruhsam musterten. Dann trat sie beiseite und deutete mit der Hand in das innere des Hauses. Ihre weibliche Stimme erklang weich und wohltönend: "Die erste Tür direkt links von der Treppe." Er wunderte sich nicht einmal, wieso sie so ruhig war und irgendwie zu wissen schien, wer er war und wieso er hier einmarschierte. Das war ihm egal, er durchschritt rasch den Eingangsbereich mit je einem Couchset zu jeder Wand und befand sich bald darauf in der Eingangshalle, in einiger Entfernung war eine kleine Grünfläche von der sich zu jeder Seite eine Treppe hochschlängelte und er nahm die linke davon ins Visier. Die Tür fast direkt links davon erspähte er keine Sekunde später und keine Sekunde später riss er diese auch auf. Die Innenausstattung präsentierte sich als ein stillvoll eingerichtetes Büro, gehalten in warmem Nussbraun und Bordeaux. Um einen Teppich platzierte Sofa und Sessel vor dem bodenlangen Fenstern an der entferntesten Wand, in den Zimmerecken zu den Seiten davon großwüchsige, saftgrüne Zimmerpflanzen. Ein riesiger Wandschrank mit Büchern und Aktenmappen unmittelbar an der rechten Zimmerseite hinter der Tür, links ein massiver Tisch aus dunklem Mahagoniholz, vor dem Tisch ein bequemer Sessel und dahinter ebenfalls einer, aus dem sich gerade eine Gestalt erhob. "Sasuke." Er erkannte die Stimme sofort, genauso wie die Gestalt an sich. Das vertraute Gesicht, die Augen, die den seinigen so ähnlich sahen. Das Haar, das ebenfalls genauso schwarz und seidig wie sein eigenes war. "Du verdammtes Arschloch...", flüsterte er entgeistert und riss sich von der Stelle. Er griff das erste, was ihm in die Finger kam: den Stuhl, und hob ihn hoch, mit der vollen Absicht, das Möbelstück dem Anderen entgegen zu schmeißen. Dass noch eine weitere Person im Zimmer gewesen war, hatte er nicht einmal bemerkt. Doch genau diese Person schoss rasend schnell hervor und sprang leichtfüßig vom Boden direkt auf den Stuhl auf, den Sasuke über den Kopf gestemmt hielt. Ein Sprung, der eigentlich unmöglich sein müsste, immerhin war der junge Uchiha gesunde 174cm groß, mit dem Stuhl dazu waren es gut über zwei Meter. Das plötzliche Gewicht, das sich auf eben jenen Stuhl niederließ, kippte den in der Luft balancierten Gegenstand und Sasuke konnte ihn nicht länger halten. Er ließ los und der Stuhl krachte hinter ihm zu Boden, während die Person genauso locker mit einem kleinen Salto abgesprungen war und in geringer Distanz genau gegenüber dem Schwarzhaarigen landete. Turmalinfarbene Augen schnitten mit kühler Emotionslosigkeit in wütend lodernde Seen aus angriffslustig schimmerndem Onyx. Die Hand von Sasukes Gegenüber langte hinter den eigenen Rücken nach etwas, hielt aber augenblicklich inne, als jene Stimme umsichtig erklang. "Gaara." Die rothaarige Präsenz mit der ungewöhnlichen Tätowierung eines Kanji auf der Stirn, senkte die Hand langsam wieder an der eigenen Seite ab. Schwarze Hose, weinroter, vorne und hinten eingeschnittener Mantel mit hoch zugeknüpftem Kragen und drüber eine einschultrige, silbergraue Weste bildeten sein seriöses und zugleich elegantes Outfit. "Aus dem Weg," knurrte Sasuke bedrohlich, der Rotschopf stand zwischen ihm und der Person, die mittlerweile um den Tisch herum gekommen und sich hinter besagtem Rotschopf befand. Nichts würde ihn daran hindern, jenen Mistkerl zu Rede zu stellen und wenn dieser Gaara oder wie auch immer er hieß es wirklich drauf anlegen wollte- "Es ist okay. Lass' uns bitte allein." Gaara drehte sich zu ihm um, als wäre Sasukes Existenz für ihn selbst nunmehr mit einem Schlage vollkommen irrelevant, und verbeugte sich leicht. Mit einem sachten Flattern der Mantelhälften um seine Beine schritt er wenig später an Sasuke vorbei, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen. Die Tür fiel leise hinter Gaara zu und ließ zwei unterschiedlich geladene Pole allein, den schäumenden Zorn des einen und die gesammelte Fassung des anderen. "All diese Zeit... du warst am Leben, all diese Zeit?!" Das Zittern, das die Kontrolle über seinen gesamten Körper erlangte, brachte auch Sasukes Tonfall zum Beben, eingeklemmt zwischen absoluter Verständnislosigkeit, entgeistertem Unglaube und unterschwelliger, resolut unterdrückter Freude waren seine Gedanken und Gefühle ein einziges Chaos, der pulsierend in einem Wunsch mündete - er wollte jene Präsenz gleichzeitig umarmen und ihr so richtig eins in die Fresse geben. Letzteres überwog derzeit um Längen. "Wie ist das überhaupt möglich... Du..." Er fand keine Worte und schüttelte fassungslos den Kopf. Trotz aller Kampfeslust war es fast ein Reflex, zurück zu weichen, wenn sein Gegenüber einen Schritt auf ihn zumachte. "Sasuke-" "Komm mir nicht zu nah!" Er konnte nicht... Seine Gestikulation war scharf und irgendwie ziellos, die Hände ballten sich zu Fäusten und entrollten sich wieder, er hob sie und sank sie wieder ab. "Es kann überhaupt nicht... Es ist unmöglich- Ich habe dich begraben, Itachi!" Letztendlich schoss eine ebenjener Hände hoch und kratzte über den eigenen Skalp unter den seidigen Strähnen, die es bedeckten, voller Erschütterung und vergangenem doch nie vergessenem Schmerz. "Neben unseren Eltern, ich habe dich begraben!" Wie... Er hatte diese eine Stimme über die Telefonleitung gehört und ausgeflippt, jetzt wo er vor dem lebendigen Besitzer davon stand, fühlte er sich gänzlich überrumpelt, er starrte in dieses so vertraute Gesicht und sah die Empathie, die in jenen genauso nachtschwarzen Augen reflektiere, auch wenn der Gesichtsausdruck seines Bruders unverändert blieb: ruhig und gesammelt. "Du hast nichts, als einen leeren Sarg begraben, Sasuke. Ich hatte überlebt," seine Tonlage war sanft und fest, beinahe... schonend. "Man wollte dich und Kakashi glauben lassen, ich wäre tot. Irgendwo war ich es auch gewesen." Der jüngere Uchiha verstand immer weniger. Er hatte überlebt...? Man hat seinen Tod gestellt? Wieso? Wer? Warum? "Was...? Wie meinst du- Das macht überhaupt keinen Sinn!" Wenn er doch die ganze Zeit lang am Leben war, wo zum Teufel war er gewesen? Als Sasukes Welt auseinander fiel und in Finsternis versank, wo war er gewesen?! "Es ist komplizierter, als du denkst. Ich konnte mich nicht frei bewegen." Itachi machte wieder einen Schritt auf ihn zu und Sasuke wich wieder zurück, stolperte fast über den umgekippten Stuhl hinter ihm. "Ich bin erst seit knapp einem Jahr wieder zurück-" "Ein gottverdammtes Jahr?!" Jetzt hatte er einmal mehr das Verlangen, selbigen Stuhl auf sein Geschwisterteil zu schleudern. "Und du hast nicht daran gedacht, zum verfickten Hörer zu greifen oder wenigstens zu Stift und Papier?!" Irgendeine Nachricht, ein Lebenszeichen... Wieso die Funkstille? Wieso das Verheimlichen? "Das war das Letzte, was du gebraucht hast-" Oh, das schlug dem Fass den Boden aus. Sasukes Augen blitzten wuterfüllt auf und er stürmte voran, die Faust auf die unbewegte Miene seines Bruders gerichtet. "Halt die Schnauze!" Der Ältere wich aus mit einer Leichtigkeit und Eleganz, die seinen ungewollten Gegner nur weiter zum Kochen brachte. "Was weißt du schon davon?! Weißt du, was ich nach all dem Scheiß hätte gebrauchen können? Meinen verdammten, tot geglaubten Bruder!" Er schlug nach ihm, immer und immer wieder, traf aber nur Luft. "Sieben Jahre, Itachi... Sieben verfickte Jahre!" Letztendlich fing Itachi die abermals nach ihm ausgeworfene Faust ab, die Berührung jener Handfläche gegen sein Handgelenk ein größerer Schock gegen seine Sinne, als Sasuke es erwartet hatte. Wie ein realer Beweis, dass der Mensch vor ihm wirklich echt war. "Ich sagte doch, ich bin erst vor knapp einem Jahr wieder zurückgekehrt." Sein Arm wurde geschickt verdreht und sein Körper genauso geschickt geschubst, was ihn fast mit der Nase auf den teppichbezogenen Boden klatschen ließ. Er behielt mit Mühe das Gleichgewicht und wirbelte sofort wieder herum, um seinen älteren Bruder weiterhin mörderisch überreizt anzufunkeln. Zurückgekehrt? Von wo? Und überhaupt- "Sasuke... Nachdem ich ihn aufgefunden hatte, hat Kakashi mir erzählt, was du nach jener Nacht durchgemacht hast." Die plötzliche Reue, die Itachis stattlichen Konturen und die samtige Klangfarbe seiner Stimme berührte, nahm dem jüngeren der Brüder genauso plötzlich allen Wind aus den Segeln. Sasuke senkte die Hände ab und starrte sein Gegenüber einfach nur unbeholfen an. "Du hattest dir endlich nochmal ein normales Leben aufgebaut. Ich wollte es nicht wieder ruinieren, sondern das genaue Gegenteil. Ich wollte dich beschützen und das ging am besten, wenn ich mich von dir fernhielt." Es tat weh. Die Worte, die er sprach, die warme, einsichtige Intonation mit der er sie überbrachte. Es schnürte Sasuke die Kehle zu und er fühlte seine Brust sich so heftig von irgendwelchem unbekannten Gewicht zusammengedrückt, das Atmen war unglaublich schwer. Itachi... Immer noch... Er war immer noch... Mein großer Bruder. "Das Letzte, was du gebraucht hattest, waren all die Gefahren, denen unser Wiedersehen dich aussetzen würde. Es war zu spät, du hattest es endlich überwunden und bist mit deinem Leben vorangeschritten, mein Auftauchen hätte es nur kaputt gemacht. Es war besser so." Diesmal blieb er wie eingefroren auf der Stelle, während Itachi einen Schritt auf ihn zumachte. Und noch einen, und einen mehr, mit bedachter, behutsamer Vorsicht. "Es hat sich nichts geändert, Sasuke. Damals wie heute, glaube mir, ich habe bei allen meinen Entscheidungen in allererster Linie immer an dich gedacht." Er war so nah, ein Ausstrecken der Hand hätte gereicht, um ihn zu berühren. Diese Nähe brachte so viel hoch... so viele Erinnerungen... so viele Gefühle, Gedanken... Der Kloß in seinem Hals erschwerte das Sprechen, insofern entfloh Sasukes Antwort ihm in einem erschüttert-ungläubigen Hauchen. "Damals wie heute... bist du immer noch ein unglaublicher Idiot... Nii-san." Sieben Jahre, die jenes Wort nicht mehr über seine Lippen gekommen war, er dachte, sie hätten gänzlich vergessen, wie diese Silben überhaupt geformt wurden. Doch sie erinnerten sich... und er tat es auch. Sie beide taten es, und beim Klang jenes Rufs schmolz auch Itachis Geruhsamkeit dahin, machte somit Platz für aufrichtige Erleichterung und Emotionen, die verrieten, wie sehr sein kleiner Bruder ihm ebenfalls gefehlt hatte. Wie schwer es gewesen war, all jene Zeit ohne ihn leben zu müssen... und wie gewichtig das Wunder dieses Moments, wo sie sich endlich wieder gegenüber standen, sich auf beider ihrer Schultern legte. Sasuke zuckte zusammen, als Itachis Arme sachte um ihn griffen. Er erstarrte, doch sie hielten ihn fest und zogen ihn näher, bis sie ihn mit behutsamer Kraft an die so vertraute, so sehr vermisste Wärme drückten. Er war am Leben. Itachi war am Leben... er lebte. Lebte... Er lebte... Die Gründe waren in diesem Augenblick mit einem Schlage vollkommen egal, es zählte nur dieser eine unbeschreiblich wundervolle Fakt. Die Erkenntnis sank mit einer abrupten Wucht in sein Bewusstsein und seine Hände schossen hoch, um sich verzweifelt in den Stoff an jenem starken Rücken zu verkrallen. Seine Stirn fiel gegen jene Schulter, seine Augen schlossen sich und alle Muskeln spannten sich abrupt an, als er Itachis Umarmung mit aller Macht erwiderte, sodass sein Körper von der Anspannung, der Kraft, mit der er den Anderen festhalten wollte, zu zittern anfing. Er konnte nicht länger- Und da waren sie. Die Tränen, die mit einem Male und einem gedämpften Schluchzer überflossen, aufgesogen von dem dunklen Material an jener strammen Schulter. Eine Hand um Sasukes Nacken gelegt, presste Itachi ihn nur weiter gegen seine Halsbeuge und streifte seine Lippen wohlwollend sanft gegen die schwarzen Strähnen nahe jener Schläfe. "Es ist alles gut. Alles gut." Seine Stimme war ein geruhsames Flüstern, auch wenn er selbst die Augen schließend sich um die Fassung bemühte, den Ansturm an Gefühlen standzuhalten. Anstatt in Tränen drückten diese sich aus in der Festigkeit seines Griff, den er jäh um seinen kleinen Bruder verstärkte, schützend und nahezu verzweifelt zugleich. "Es wird alles wieder gut, Sasuke." Das verspreche ich dir. Kapitel 16: Itachis Wahrheit ---------------------------- Yosh~ Hat diesmal länger gedauert, dafür ist's auch um einiges länger geworden. Ich wollte das Kapitel aber nicht in zwei aufsplittern, weil es dafür weder einen Grund noch die passende Stelle gegeben hat, insofern sind es diesmal statt den üblichen 4000+ Wörtern halt ein 8000+ Monster geworden *lach* Zudem haben ich und meine Musen etwas Extrazeit gebraucht, um den Plot vernünftig auszuarbeiten; ich muss zugeben, ich habe dieses Kapitel zwei-drei Mal an verschiedenen Stellen umgeschrieben. Ich habe einige Szenen geschrieben, dann einige Tage darüber gegrübelt und diese wieder umgeändert, bis ich das Gefühl hatte, das alles passt und Sinn ergibt, besonders in Hinsicht auf weitere Handlungsentwicklung. Das war um einiges schwerer, als ich's mir anfänglich vorgestellt hatte, jedoch hoffe ich, dass euch allen die Richtung, in die ich diese Geschichte nun führe, gefallen wird. Ich habe auch die Altersangaben korrigiert, das lag daran, das ich am Anfang der Geschichte die Zeit nicht präzise genug spezifiziert hatte, außer, dass es nahe den Sommerferien liegt. Den Anfang habe ich jetzt in der Geschichte auf den 10 Juli gelegt, was bedeutet, dass Sakura schon lange 18 ist (ihr Geburtstag ist in März), während Sasuke kurz vor 20 steht. Demnach war Itachi schon 25 geworden (weil sein Geburtstag in Juni ist), insofern habe ich Sakuras und Itachis Alter in den Steckbriefen ein Jahr höher gesetzt. Das kommt davon, wenn man sich in der Story kein festes Anfangsdatum setzt... Verzeihung! Deswegen werde ich für einen besseren Überblick (für mich und für euch gleichermaßen) ab jetzt Datum und (ungefähre) Uhrzeit in die Kapitel integrieren, damit nicht nur der Zeitstrahl vernünftig definiert ist, sondern auch der Zeitrahmen für die Kapitelhandlungen. Die Angaben habe ich jetzt auch rückwirkend bei allen vorherigen Kapiteln eingefügt, wer also Interesse am genauen Zeitstrahl hat, kann sich ja kurz durchblättern. Zu guter Letzt: Wir haben jetzt auch endlich unseren Hauptantagonisten gefunden! Ihr dürft jetzt einmal raten, wer es sein könnte, und gleich schauen, ob ihr mit eurer Vermutung richtig gelegen habt *lach* Ich hoffe, auch seine Einführung in diese Story wird bei euch allen Zuspruch finden. Und keine Sorge! Sakura (und Kakashi) sehen wir auf jeden Fall im nächsten Kapitel wieder =) Ah. Ich bin aufgeregt! Lasst mich also am Ende gerne wissen, was ihr von den Enthüllungen in diesem Kapitel gehalten habt und was für Reaktionen, Gedanken, Gefühle und Vermutungen diese bei euch hervorgerufen haben, ich bin unheimlich neugierig! So, hiermit hat mein Vorwörtchen auch ein Ende, und ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen von: Kapitel 16 Itachis Wahrheit [Mittwoch, 15 Juli, 08:28 Uhr] Wie viel Zeit vergangen war, bis das emotionelle Chaos in seinem Kopf und Herz sich wieder legte, vermochte niemand zu messen, und es war auch absolut egal. Seine Tränen versiebten und alles, was blieb, war der angenehme innere Friede, der sich immer kurz nach einem solchen Sturm der Gefühle und Ereignisse wie Balsam auf die Seele legte. Er blieb noch einige stille Momente in den Armen seines Bruders versteckt, erlaubte sich für einen Augenblick, die Wachsamkeit und Stärke, die er immerzu gleich einem Schutzwall um sich trug, abzulegen und sich in der Sicherheit und Wärme, die er von Kindesbeinen an gekannt und seit über sieben Jahren vermisst hatte, zu wiegen. Er hatte es nie vergessen... dieses eine unnachahmliche Gefühl der Geborgenheit. Itachi sagte nichts, er hielt ihn einfach nur fest, der schützende Ring seiner Arme wieder etwas lockerer aber nicht minder spürbar in seiner wohltuenden Präsenz. Letztendlich lehnte Sasuke sich etwas zurück und Itachis Hand um seinen Nacken löste sich, nur um kurz darauf mit dem Daumen über seine salzig-feuchte Wange zu streifen, die Tränenspuren wegwischend. Der Neunzehnjährige rümpfte irritiert die Nase und schob besagte Hand weg, die eigene erhoben, rieb er sich schroff über die Augen. Sein Bruder quittierte die störrische Geste mit einem milden Lächeln und nutzte die gerade zurückgewiesen Hand zum Deuten auf die weinrote Couch. "Setzen wir uns." Ein Vorschlag, den Sasuke bereitwillig nachkam, denn er fühlte sich mit einem Male unglaublich geschafft. Nicht nur der emotionalen Strapazen wegen, seine körperliche Verfassung ließ mittlerweile arg zu wünsche übrig, nach der langen Fahrt, der waghalsigen Aktion mit dem Stuhl und dem Schlagabtausch mit seinem Bruder stieß seine Physis langsam aber definitiv an ihre Grenzen. Zudem ebbten die Wirkungen der zweiten Ladung Schmerzmittel, die er sich an der Tankstelle eingeworfen hatte, ebenfalls langsam aber sicher ab, auch wenn der Schmerz soweit relativ erträglich war, doch der Schlafmangel machte sich ebenfalls langsam bemerkbar, umso mehr in Kombination mit dem Fakt, dass er schon seit einer geraumen Zeit nichts gegessen hatte. Doch alles in allem war es noch relativ erträglich und ignorierbar, zudem hatte er im Moment wirklich andere Dinge, die all seine Aufmerksamkeit beanspruchten. Sie setzten sich also nebeneinander auf die plüschige Polsterung des Sofas und er schälte sich erst einmal aus seiner Lederjacke. "Was ist passiert?", stellte Itachi als erster eine Frage, nachdem er das Weiß der Bandagen durch das nachlässig zugeknöpfte Hemd erblickte. "Nicht von Bedeutung," winkte Sasuke ab und beförderte die paar losen Knöpfe durch ihre Ösen. "Viel wichtiger: wie bist du am Leben?" Nicht, dass er sich je darüber beschweren wollen würde, doch wie das Wunder passiert sein mochte, wollte er ungemein gerne aufschlüsseln. "Ich weiß, Kakashi hat dir nicht viel über die Hintergründe der Geschehnisse von jener Nacht erzählt." Sasuke schnaubte mild. "Ich habe ihn oft genug danach gefragt." Er klang sowohl leicht angesäuert als auch vorwurfsvoll, nicht seinem Bruder sondern seinem Lehrmeister gegenüber. "Er wollte dich nur beschützen," meinte Itachi nachsichtig dazu, was Sasuke sofort wieder zum Sträuben verleitete. "Ich hab's satt, das zu hören," knurrte der jüngere Uchiha verstimmt. "Er wollte mich beschützen, du wolltest mich beschützen... Das ist kein Grund, mir Wahrheiten zu verheimlichen. Wie wäre es, wenn ihr beide mich verdammt noch mal wie einen Gleichgestellten behandeln würdet?!" Nach all dem Scheiß, den er schon durchgemacht hatte und mit fast zwanzig Jahren auf dem Buckel - sein Geburtstag war kaum mehr eine Woche entfernt - verdiente er es gewiss nicht mehr, wie ein hilfloses Kind behandelt zu werden. Wenn sein Sensei und sein Aniki das endlich in ihre Dickschädel kriegen würden, wäre er ungemein dankbar. Itachis Mundwinkel zuckte kaum merklich nach oben. "Vielleicht hast du Recht." Nun... er hatte ganz sicher Recht. Sein kleiner Bruder war unbestreitbar kein kleiner Junge mehr. "Sasuke... sagt dir der Begriff ANBU etwas?", warf es eine Frage für die Einleitung auf. "ANBU?" Der Neuzehnjährige runzelte die Stirn. "Nein." Es war sicherlich ein Akronym, doch er war ratlos ob dessen Dechiffrierung. "Es ist ein Sonderkommando von Konohas Militär, spezialisiert auf Geheimmissionen und das Behandeln von besonderen Kriminalfällen, unter der direkten Anordnung des Hokage. Unser Vater... war der Leiter jener Einheit." Zwei Sätze, und Sasukes gesamte Welt stand bereits Kopf. Ihr Vater... kein erfolgreicher Geschäftsmann, sondern der Anführer eines Spezialeinsatztrupps unter dem Regierungspräsidenten selbst? Unglaublich... Er hatte es nie gewusst... woher wusste Itachi es? "Knapp ein Jahr bevor es alles passierte... fing er an, an einem besonderen Fall zu arbeiten. Einen besonderen Kriminellen zu jagen. Orochimaru." Der fließend geschmeidige, ruhige Tonfall des älteren Uchiha schwenkte mit einer Note ehrlicher Abscheu, als jene fünf Silben von seinen Lippen glitten. "Orochimaru...?" Der Name sagte Sasuke überhaupt nichts, aber allein der finstere Schatten, der die stattlichen Gesichtszüge seines Geschwisterteils kurz verdunkelte, machte unmissverständlich klar, dass jene Persönlichkeit allen Hass verdiente, den man aufbringen konnte. Blieb also nur herauszufinden, warum. "Damals hatte man ein Untergrundlaboratorium entdeckt, das mehr als besorgniserregend war. Soweit man sagen konnte... hatte man in dieser Einrichtung brutale biologische Experimente an lebenden Menschen vorführt, nur mit welchem Ziel, konnte keiner sagen." Ein Geheimnis, zum Schützen dessen ein wahres Massaker im Hintergrund der nichts wissenden Welt veranstaltet worden war. "In Hinsicht auf die Monstrosität und Gefahr dieser Entdeckung, war es ein Fall höchster Geheimhaltung und wurde an die ANBU gereicht - an unseren Vater und sein Team. Sie fingen an, landesweite Nachforschungen und Untersuchungen anzustellen." Itachi selbst war damals noch so jung gewesen. Zu jung... Er hatte gerade mal an den Pforten von dem Vermächtnis seines Vaters gestanden, gerade mal in den Anfängen seiner Ausbildung zum Erben dessen, was für ihn bestimmt gewesen war. Wäre er älter gewesen... stärker gewesen, schlauer gewesen... hätte er es verhindern können? Eine Antwort, die er nie erfahren würde. "Nur... wurde das gesamte Sonderkommando, unsere Sippe mit eingeschlossen, komplett ausradiert, bevor sie irgendwelche konkreten Antworten gefunden hatten. Orochimaru schlug zu, ehe sie ihm je wirklich auf die Schliche gekommen sind." Sasuke verengte die Augen. "Woher weißt du also, dass dieser Orochimaru derjenige war, der dahinter steckte?" Eine fehlerlos scharfe Beobachtung und irgendwie erfreute sich Itachi dieser ganz banal. Sein kleiner Bruder hatte sicherlich das feine Gespür ihrer Familie geerbt. Die Uchihas waren wahrlich wie geschaffen für den Job, den mindestens einer von ihnen seit Generationen praktizieren würde. "Ich erfuhr es viel später." Eine Pause, bevor er mit bedeutsamer Besonnenheit ergänzte: "Auf meiner eigenen Haut." Der Jüngere des Geschwisterpaars hauchte ein fassungsloses: "Was...?", aus. Auf der eigenen Haut... was meinte er damit? "Die Nacht, in der Orochimarus Leute in unser Zuhause eindrangen... Nachdem ich dich verstaut hatte, kehrte ich wieder ins Haus zurück, um zu versuchen, Mutter und Vater zu helfen." Sasuke nickte stumpf, er erinnerte sich zu gut an diesen Teil der Geschichte, hatten die Erinnerungen daran ihn wie sadistische Quälgeister den ganzen Weg bis nach Konoha verfolgt. Itachi war damals entgegen seinem Versprechen nie zurückgekommen... Warum, würde er wohl jetzt endlich erfahren, nach sieben Jahren des Unwissens und Hinterfragens. "Leider... war ich zu spät gewesen." Es versteckte sich eine größere, gravierendere Geschichte dahinter, das war offensichtlich, aber Itachi schien nicht gewillt, zu elaborieren. Stattdessen fuhr er mit dem Geschehnisablauf danach fort. "Jemand hatte mich von hinten überrascht. Er schlug mich bewusstlos und als ich wieder zu mir kam, war ich an einem mir vollkommen fremden Ort." Er wachte auf fixiert auf einem kalten, metallischen Tisch, der in einem steril weißen Raum stand. Gepolsterte Hand- und Fußmanschetten und ein simples aber effektives Gurtsystem hielten ihn eisern in seiner Liegeposition gefangen, fast zu sehr gleich all jenen Filmen über psychiatrische Anstalten, in den Patienten an ihre Betten gekettet und allem und jedem hilflos ausgeliefert waren. Diese konnten aber noch wenigstens ihren Kopf frei drehen, seiner jedoch war in einer unbeugsamen Halterung, die nur eine starre Sicht geradeaus oder in diesem Falle hoch zu Decke erlaubte. Jene Patienten waren auch meistens in irgendeiner Art Bekleidung, er war komplett nackt und das ließ ihn sich gleichzeitig gedemütigt und so viel schutzloser fühlen. Die Sinne kehrten schnell zu ihm zurück und brachten eine Empfindung von Kälte und unangenehmem Zwicken an drei bestimmten Stellen. Er konnte es zwar nicht sehen, aber der Grund dafür war keine Sekunde später klar: IV-Nadeln steckten in den Venen an beiden Ellenbogenbeugen, genauso wie ein Katheter und Magensonde in seinem Unterleib. Mehr noch, überall an ihm klebten Elektroden, Schläfe, Stirn, Hals, Brust, weiße Punkte den Torso, Arme und Beine entlang. Itachi konnte es sich anmaßen, zu sagen, dass er für seine jungen Jahre sehr viel Stärke, Selbstsicherheit und Courage besaß, doch jetzt gerade, in diesem Moment... hatte er unsagbare Angst. Er fürchtete sich davor, wo er war und was man mit ihm vorhatte. Er fürchtete sich vor denen, die hinter all dem steckten. Und seine Ängste sollten nicht lange unbestätigt bleiben. "Ich weiß, was in den Laboren vor sich gegangen war und wer dafür verantwortlich ist... weil ich selbst drin gesteckt habe. Sechs Jahre lang." Sasuke schaute seinen Bruder an und ihm wurde augenblicklich sowohl mulmig als auch übel zu Mute, wenn er nur daran dachte, was diese Aussagen bedeuteten. Hinter der geruhsamen Fassade jener tiefschwarzen Augen, die so sehr den seinen glichen, sah er alle Anzeichen einer durchgemachten Hölle, die vielleicht sogar die Grausamkeiten der eigenen Erfahrungen gebührend übertraf. Alleine dafür verspürte er bereits jetzt den aufsteigenden Hass auf den Menschen, von dem er nichts kannte, außer dem Namen. Der Name, den Itachi wenig später nochmal aussprach. "Orochimaru... gab mir das." Er schaute Sasuke direkt in die Augen und dann spielte sich etwas ab, was den jüngeren Uchiha absolut schockierte. Itachi blickte ihn an und seine Augen... ihre Kolorierung begann, sich zu verändern. Sie verloren zunehmend ihre onyxfarbene Existenz, die Schwärze zog sich zurück, bis sie nur noch drei gleich große Kreise um die Pupille herum bildete, in mitten blutroter Iriden. Es war ein intensives Scharlach, das ihn jäh zu durchdringen schien und ihn absolut sprachlos machte. "Was... was ist das...?", flüsterte er benommen und entgeistert zugleich. Das klare, stechende, lebhafte Rot sah komplett unnatürlich aus und es jagte ihm einen kalten Schauer über den Rücken, was ihm prompt eine unangenehme Gänsehaut bescherte. "Er nannte es... Sharingan." Und der Anfang dafür war bereits am allerersten Tag Itachis Gefangenschaft gelegt worden... Er hörte eine Tür im Raum aufgehen, da er den Kopf aber keinen Millimeter bewegen konnte, war er nur in der Lage, darauf zu warten, dass die Person näher trat und sich eventuell über ihn beugte. Aschfahles Gesicht, lange braune Haare, und maliziös goldene Augen, deren penetranter, schlangenartiger Blick direkt in seine Seele zu kriechen schien. Blasse Lippen formten ein kleines, kaltes Lächeln und die dunkle, leicht kratzige Stimme, die erklang, war unterlegt mit einer Note täuschend-freundlicher Amüsiertheit. "Du hast sehr, sehr schöne Augen. Sei ihnen dafür dankbar, sie haben dich vor dem Tod bewahrt." Der Mann langte nach etwas an der Seite, dem leichten Geklimper und dem Rattern von Rädern über dem Boden nach einem kleinen Tischchen mit irgendwelchen Instrumenten drauf. "Wer bist du...? Und was hast du mit mir vor?" Itachi konnte sich nicht helfen, seine Stimme war leiser als gewollt, untermalt mit einer mild zitternden Note. "Mein Name ist Orochimaru. Und ich werde etwas an dir testen, was mich meinen Zielen hoffentlich ein wenig näher bringt." Seine Augen wanderten so weit sie konnten zu ihren Ecken und was er saß, brachte das Blut in seinen Adern zum Gefrieren. Eine erhobene Spritze, und Orochimaru schnippte sanft gegen das Plastikröhrchen gefüllt mit trüber, rötlicher Substanz, was einige winzige Tröpfchen von der Nadelspitze fliegen ließ. Sein Herz schlug schneller, wilder, sein gesamtes Innerstes verkrampfte sich von der üblen Unrast, die über ihn hereinbrach. Zeigefinger und Daumen griffen an seine Augenlider und zogen sie weit auseinander, legten damit seinen panisch zuckenden Augapfel frei. Die Nadel wurde abgesenkt und plötzlich war ihre Spitze so unerträglich nah. "Nein.... Hör auf." Seine Stimme kam zuerst in einem angstvollem, erstickten Wispern raus und sein gesamter Körper zuckte heftig gegen die Fesseln, erfolglos. "Nein... Nein. Nein!" Es gab kein Entkommen, sein Kopf bewegte sich keinen Millimeter, ganz egal, wie stark sein Leib sich in seinen Fesseln wand. "Keine Sorge. Ich bin mir sicher-" Und jene Intonation schwang just dann mit unverkennbarer, fast sadistisch trostreicher... Schadenfreude. "-es wird viel mehr weh tun, als du es dir vorstellst." Worte, die sich tausendfach bestätigen würden... Denn als die Nadelspitze mit langsamer Bedächtigkeit in das Weiß seines Auges gestochen wurde, erfuhr er den grausamsten Schmerz, den er sich je hätte ausmalen können. Er schrie und die Graphen der Maschinen sprangen mit einem hohen Piepen rauf und runter, während sich sein Körper gegen die Ledergürte bäumte, indes das hauchdünne Metall tiefer und tiefer einsank. Der Schmerz fegte seinen Kopf blank, nur das eigene, gequälte Schreien hallte in der Leere seiner Gedanken wieder und die Sicht des betroffenen Auges färbte sich mit einem Male blutrot, als die Spritze ihren Inhalt in die Tiefen seines Augapfels spuckte. Er hatte das Gefühl, jemand hatte in dem Sehorgan eine Flamme entzündet und sie verbrannte dieses von Innen heraus, wäre er ungebunden, hätte er es sich mit den eigenen Händen ausgekratzt. Doch alles, was er tun konnte, war sich in Schmerzkonvulsionen zu krümmen und schreien, schreien, schreien... Umso mehr, als die höllische Injektion auch am anderen Auge vorführt wurde. Der Schweiß lief ihm in Strömen über die Haut und die Adern zeichneten sich in fetten Furchen überall an seinem Körper unter selbiger ab, das Brennen und der Schmerz hörten nicht auf, während mit Blut vermischte Tränen frei aus seinen Augenwinkeln flossen. Es tat weh... es tat weh... es tat so weh... Für Stunden, tat es weh. Nachdem Orochimaru längst gegangen war und alles, was er wie durch einen rötlichen Schleier sah, die Decke war... tat es weh. Und das Schrecklichste daran... Der Schmerz verstummte eventuell, nur um 24 Stunden später mit der gleichen Intensität und unter der gleichen Prozedur zurückzukehren. "Drei Jahre lang... jeden Tag, die gleiche Tortur. Die in regelmäßigen Abständen durch den Körper gejagte Elektrizität hielt meine Muskeln von der Rückbildung ab, genauso wie der Stoffwechsel von den Maschinen und Schläuchen im Gange gehalten wurde. Ich war ein lebendes Stück Fleisch, angekettet an einen Metalltisch, in dem er nach Herzenslust herumstochern konnte." Itachi sprach ruhig und bedächtig, während er langsam die Augen zumachte, sie eine prolongierte Weile geschlossen hielt und dann wieder aufschlug. Das Rot war wieder dem normalen, vertrauten Schwarz gewichen, welches nun in Sasukes erbleichtes Gesicht blickte. Seine Hand langte fast instinktiv nach dem Unterarm seines älteren Bruders und er drückte unbeholfen zu, auch wenn er nicht wusste, was genau er mit der Geste bezwecken wollte. "Es tut mir Leid..." Er hatte nicht gewusst... hätte sich nie ausmalen können... Itachi schüttelte leicht den Kopf. Sasuke musste nichts Leid tun. Die sieben Jahre, in denen sie sich nicht gesehen hatten, hatten sie beide ein schweres Kreuz zu tragen gehabt. "Was auch immer er mir spritzte... Es veränderte allmählich meine Augen. Sie entwickelten praktisch vier Pupillen, was meine Sicht um das vierfache verbessert, wenn ich das Sharingan aktiviere. Die Dinge bewegen sich dann für mich wie in Zeitlupe, zudem kann ich bei Wunsch bis zu viermal weiter denn normale Menschen sehen, wie durch ein Fernglas." Obschon es alles natürlich nicht so einfach war, wie es sich anhörte. "Es fällt mir immer noch nicht einfach, das Sharingan zu benutzen und zu kontrollieren. Zwei Pupillen zu steuern ist einfach, acht davon... ein ungeheurer Aufwand." Deswegen konnte er das Sharingan nicht allzu lange an einem Stück anwenden. Kopfschmerzen, Übelkeit und geplatzte Augenäderchen waren die harmloseren Konsequenzen, und welche Auswirkungen es alles auf den Gesamtzustand seiner Gesundheit hatte, konnte man nur raten. "Sobald der biologische Umbau meiner Augen erfolgreich abgeschlossen wurde, begann er eine Reihe anderer Experimente mit meinem frisch entwickelten Sharingan. Ich kam endlich von dem Operationstisch runter, dafür aber in eine Zelle." Doch immerhin... hatte er da wenigstens ein klein wenig mehr Freiheit gehabt. Er hatte sich endlich wieder bewegen können, und Kleidung am Körper tragen, und auch wenn es nur eine Zwangsjacke gewesen war. Seine Arme mussten schließlich angebunden gehalten werden, so war er keine Gefahr für seine Peiniger oder für sich selbst. Immer noch eine mehr als bemitleidenswerte Existenz für einen einundzwanzigjährigen jungen Mann, eine, die er für weitere drei Jahre hatte erdulden müssen. Er saß in der Ecke des sterilen, weißen Zimmers, mit der Stirn gegen die Wand gelehnt und fühlte... Elend. Elend, innen und außen. Die Tage schienen unendlich lang, hier drinnen gab es nichts, außer dem weichen Licht der Lampen über seinem Kopf, die nie ausgingen, genauso wie sie es die letzten Jahre in dem sterilen Raum von vorhin nicht getan hatten. Insofern hatte er jegliches Zeitgefühl schon längst verloren, er wusste nicht, welcher Monat es war, welches Jahr, welche Jahreszeit... Ob Tag oder Nacht... Er hatte vergessen, wie Nächte überhaupt aussahen. Er machte bei den Tests und Versuchen mit, die von ihm verlangt wurden, weil er nicht das durchleben wollte, was ihm angedroht wurde, sollte er nicht gehorchen. Das stetige Verwenden seines Sharingans ließ ihn dabei immer wieder an psychische und physische Grenzen stoßen, er fühlte sich seelisch, mental und körperlich am Ende, und es war kein Ausweg in Sicht. Wenn er doch nur einschlafen und nie wieder aufwachen könnte... Er kniff die Augen fest zusammen, stieß ein gequältes Wimmern aus und lehnte sich etwas zurück, nur um seine Schläfe mit einem dumpfen Aufschlag gegen die gepolsterte Wand auftreffen zu lassen. Der Zusammenstoß machte ein dumpfes, weiches Geräusch: tock. Tock. Tock. Tock. Er wollte hier raus. Er wollte, dass es aufhört. Die Demütigung, der Schmerz... die Gefangenschaft. Die Experimente. Seine Augen... er wollte sich so gerne diese verfluchten Augen ausstechen. Tock. Tock. Tock. Und dann kam der Tag, an dem er etwas hörte... ein Klopfen an der anderen Seite der Wand. Er schlug seine verhassten Augen auf und klopfte mit dem Kopf nochmal dagegen: tock, tock, tock. Und plötzlich kam es von der anderen Seite wieder: tock, tock, tock. "Hallo...?", rief er leise aus. "Ist da irgendjemand...?" "Ja." Jemand anderen Stimme zu hören... war so ein simpler und plötzlicher Segen, sein Herz erfror für einen Augenblick freudig in seiner Brust. "Wer bist du...?" Ein Leidesgenosse? "Wer... bin ich?", hallte es verloren zurück. Definitiv ein Leidesgenosse... er klang genauso, wenn nicht noch mehr, entkräftet, wie Itachi sich schon lange fühlte. "Dein Name. Wie ist dein Name?" Er setzte sich aufrecht, und rutschte so nah an die Wand, wie es ging. Es war unglaublich seltsam, wie beflügelt man sich auf einmal fühlen konnte, wenn man wieder in der Lage war, etwas sozialen Kontakt mit jemandem zu pflegen, den man nicht mit bloßen Händen in blutige Stückchen reißen wollte. "Mein Name... Mein Name ist..." Eine längere Pause. "Ist... Ga...Raa... Gaara. Mein Name ist... Gaara." Schien, als ging es seinem Zellnachbarn wirklich um so einiges dreckiger. Er sprach mit einer seltsamen Verstörtheit in einer mühevollen, langsamen Art und seine Stimme war so leblos und hohl, als hätte sie alle Menschlichkeit verlernt. "Hallo, Gaara." Seine eigene Intonation war warm und fast schon trostreich, die Person auf der anderen Seite der Wand klang jung, es erinnerte ihn fast an Sasuke. Irgendwo wollte er diesem leidenden Geschöpf wenigstens etwas Beistand anbieten, nicht zuletzt, weil es ihn selbst wieder etwas menschlicher fühlen ließ. "Ich bin Itachi." Sie waren nicht nur Tiere in einem Käfig... sie waren immer noch Menschen. Menschen, die Besseres verdienten. Menschen, die sogar in dieser Situation, unter diesen Umständen, ein kleines Band knüpfen konnten, um sich gegenseitig durch diese Hölle zu helfen. "Ita... chi." Wiederholte der Andere, beinahe als wolle er die Silben erschmecken. "Ita...chi... Itachi." Setzte er sie letztendlich erfolgreich in ein fließendes Wort zusammen. "Wie lange bist du schon hier drin, Gaara?" Nun, in die benachbarten Zelle war er offensichtlich gerade erst gekommen. Aber im allgemeinen... Die Antwort, die er erhielt, überraschte den jungen Uchiha nicht wirklich, seine eigene auf die gleiche Frage würde wahrscheinlich nicht viel anders ausfallen. "Ich weiß es nicht... Lange..." Die weiteren Worte nahmen ihn jedoch mit. "Immer... Schon immer..." Schon immer...? Meinte er das Ernst? Wenn ja... die Vorstellung allein war unendlich grausam. "Es gibt keine Zeit... Hier drin... keine Zeit..." Damit hatte Gaara aber wieder Recht. Es gab keine Zeit hier drin. Nur ein endloses, höllisches Dasein. "So haben wir uns kennengelernt. Gaara und ich." Sasuke neigte leicht den Kopf. "Gaara... Dieser Rotschopf von vorhin?" Daraufhin erhielt er ein bestätigendes Nicken. "Er war ebenfalls eins von Orochimarus... Experimenten. Ihn hatte es gar noch schlimmer erwischt, als mich. Ich weiß nicht, was genau für Prozeduren Orochimaru an ihm vorführte... er redet nie darüber. Aber..." Er hörte ihn schreien. Jeden Tag. Mal qualvoll, verzweifelt, erfüllt von Schmerz und Marter und Seelenpein. Dann wieder vor Wut und Zorn und Hass, dunkles, leidvolles Knurren und Grollen. Mal hörte er ihn in seiner Zelle umher wüten, das dumpfe, wilde Aufschlagen des Körpers gegen die Wände, dann wieder hörte er ihn weinen - bitter, verzagt und untröstlich. Manchmal ließ es ihn glauben, dass sein Schicksal wohl noch ein gnädiges gewesen sein musste. Einmal hatte er ihn danach gefragt. "Was hat man mit dir gemacht, Gaara?" "Nicht mit mir... Aus mir," der Andere klang müde, als er ihn korrigierte, kein Wunder, denn er hatte gerade noch wieder stundenlang gewütet. Also paraphrasierte Itachi. "Was hat man aus dir gemacht...?" Eine simple, doch gewichtige Replik: "Ein Monster." Nach allem, was er gesehen und erlebt hatte... hörte sich der Begriff weder übertrieben noch metaphorisch an. Er hatte Gaara noch nie zu Gesicht bekommen... doch wenn man seine eigenen Augen mit vier Pupillen ausgestatten hatte, wer wusste schon, was man alles mit seinem Leidesgenossen angestellt haben mochte? "Es tut mir Leid...", sprach er leise und aufrichtig. "Es wird immer schlimmer... Ich kann nicht... manchmal kann ich es nicht mehr kontrollieren..." So verzweifelt... so verängstigt. Jene Worte versetzten ihm einen Stich ins Herz. Der Andere klang, als stieße er langsam an die Grenzen seiner geistigen Gesundheit, so nah an der Schwelle zum Wahnsinn. "Wenn es zu sehr weh tut... wenn ich zu sehr hasse... wenn ich zu wütend werde... oder zu traurig..." Itachi schloss die Augen und lehnte die Stirn gegen die Wand, die sie trennte. Seine Worte kamen mit einem schweren Seufzen, hilflos und wehmütig zugleich: "Ich wünschte, ich könnte dir helfen. Ich wünschte, ich könnte uns beiden helfen." Irgendwie... irgendwie diese Qualen beenden. Es besser machen... irgendwie. Eine längere Pause, bevor aufrichtige Unverständnis ihm in einer leisen Frage entgegen kam: "Wieso würdest du mir helfen wollen...?" Er lächelte mitfühlend, in der Hoffnung diese Anteilnahme würde sich auch in seiner Stimme wiederspiegeln. "Möchtest du nicht frei sei? Willst du nicht, dass es endlich aufhört?" Das warum war egal. Verdienen taten sie es beide; die Freiheit. "Ich möchte... Ich will... Aber ich weiß nicht, ob ich dort draußen überleben kann. Ich habe vergessen, wie... Ich habe vergessen... alles... alles..." Gaara klang geplagt und verzweifelt zugleich. Itachi lachte leise auf, seine Worte optimistisch und aufmunternd. "Keine Sorge. Ich erinnere mich an genug. Ich würde dir ganz sicher helfen." Es ging nicht, dass sie beide den Mut verloren. Sie mussten daran glauben, an eine Existenz jenseits dieses Dreckslochs. Wieder Stille, als ob müsste sein Gesprächspartner jede seiner Aussagen irgendwie für sich verarbeiten. Nicht, weil er schwer von Begriff war, trotz seines Zustands und umso mehr wegen diesem, machte Gaara auf ihn einen ziemlich denkfähigen Eindruck. Es schien einfach nur, als wäre er es gar nicht gewohnt, dass irgendjemand anderes sich seiner annehmen wollen würde. Ihm helfen, mit ihm sympathisieren. Ihn verstehen. "Das würdest du...? Das könntest du...?" Er öffnete die Augen und starrte gegen die Wand, die sie trennte, er konnte den Anderen nicht durch diese Barriere hindurch sehen, aber er konnte ihn spüren und er wollte, dass dieser seinen Worten glaubte. "Ganz bestimmt." Irgendwie... Irgendwie würde er ihm helfen. Sich selbst helfen. Ihnen beiden helfen. Dieser Entschluss, dieser Wille, diese Hoffnung wurde zum Anker, der das Schiff ihrer Vernunft nicht an all diesem Irrsinn zerbrechen lassen würde. "Orochimaru führte es unter dem Projekt Jinchuuriki, aber was genau es ist, wissen wir nicht. Was auch immer er mit ihm dabei angestellt hat, Gaara ist... anders. Seine Fähigkeiten gehen weit über die eines normalen Menschen hinaus. Sein gesamter Organismus ist modifiziert, seine Muskeln sind zäher und leistungsfähiger, seine Knochen härter, seine Reflexe schneller. Wenn sein Körper anfängt, Adrenalin auszuschütten, vervielfachen sich seine Stärke, Schnelligkeit, Ausdauer proportional dazu. Je mehr von dem Hormon in seinem Blut ist, desto kraftvoller und gefährlicher wird er. Und wenn es kritische Level erreicht, dann..." "Verliert er die Kontrolle und dreht durch?", stellte Sasuke eine naheliegende Vermutung an. Nun, zumindest erklärte das alles jetzt das beeindruckende Kunststück, welches Gaara vorführt hatte, um seinen Kraftakt mit dem Stuhl zu unterbinden. Seine damalige Aggression dem Rotschopf gegenüber war verflogen, und schlug stattdessen zunehmend in Interesse und Verständnis um, wenn nicht gar ein klein bisschen Dankbarkeit dafür, dass Itachi dank Gaara nicht vollkommen alleine durch seine Hölle gemusst hatte. "So ungefähr," stimmte Erwähnter ihm indes zu. "Ich habe das Extrem davon nur einmal selber miterlebt. Vor einem Jahr." Der jüngere Uchiha runzelte die Stirn. "Vor einem Jahr?" Hieß das etwa...? Itachi nickte. "Ja. Es war mehr denn minder dank Gaara, dass ich Orochimarus Klauen entfliehen konnte. Das wir beide es tun konnten." Auch wenn er bis heute nicht alle mulmigen Zweifel daran abschütteln konnte, ob ihrer beider Glück zufällig oder vorsätzlich gewesen sein mochte... Oder vielleicht hatten ihn Orochimarus jahrelange Manipulationen und Psychospielchen einfach nur paranoid gemacht. Es überraschte ihn nicht, wenn er die Augen aufschlug und sich nicht in seiner gewohnten Zelle vorfand. Hoch oben an der Decke von dieser waren die Schlitze des Lüftungssystems, aber ab und zu strömte auch etwas anderes, als frischer Oxygen aus ihnen - meistens Schlafgas, wenn man Bedarf daran hatte, ihn aus besagter Zelle in irgendeinen Laborraum zu transportieren. Er setzte sich auf und begriff keinen Augenblick später, dass sein momentaner Aufenthaltsort jedoch kein Laborraum war, den er kannte. Er saß in einem riesigen Glaskasten, der fast die selbe Größe hatte, wie seine übliche Zelle, nur befand sich ebenjener Kasten inmitten eines noch riesigeren Raums, der voll mit Computern zu sein schien. Größere und kleinere Bildschirme mit Graphen, Graphiken und Diagrammen, blinkende Lämpchen und eine Handvoll Menschen. Es waren fünf weiße Kittel da, auch wenn weder Orochimaru noch sein vertrautester Handlanger - ein von Itachi nicht minder gehasster, bebrillter Bastard - unter ihnen waren. Sicherheitspersonal war ebenfalls anwesend und bildete zwei grimmige, bewaffnete Paare an jeder der zwei Türen im Raum. "Ah. Du bist wach." Er drehte den Kopf nach der Stimme, auf der anderen Seite der Glaswand stand ein kleinwüchsiger, älterer Mann mit einem Klemmbrett in den Händen. Er schaute nicht auf, während er sich auf Selbigem Notizen machte, das grelle Licht der Lampen reflektierte trübe von seiner Halbglatze. Die Lampen brannten nur über dem Glaskasten, der Rest des Raums war eine Halbdunkelheit vermischt mit dem weichen Schein von Bildschirmen und Armaturleuchten. "Es ist an der Zeit, das wahre Potenzial deines Sharingans auszutesten. Streng dich an." Itachi antwortete nicht. Er antwortete nie, falls es nicht absolut nötig war. Keiner der Menschen, der hier arbeitete, sah ihre Versuchskaninchen als mehr, denn was sie waren: Experimente, die es zu vertiefen galt und von denen Resultate erwartet wurden. Nur welche Resultate genau und zu welchem Zwecke, das wusste er immer noch nicht. Orochimaru verfolgte hier ganz klar irgendwelche Ziele, doch welche genau? Viel Zeit zum Grübeln blieb ihm nicht. Der Mann vor ihm schnippte die Finger und schaute aus irgendeinem Grunde auf. Fast automatisch tat Itachi es ihm gleich und runzelte kaum später die Stirn. Oben auf dem Dach des Glaskastens standen zwei weitere Männer, und einer von ihnen schien eine schlaffe Gestalt zu stützen, während der andere sich hinhockte und eine kleine Lückentür in ebenjener Decke aufmachte. Wenig später schubste sein Partner besagte Gestalt in die Öffnung, was Itachi ungewollt scharf die Luft einziehen ließ. Es waren gut drei, vier Meter an Höhe, so ein Sturz würde mindestens ein paar Knochenbrüche mit sich ziehen, wenn nicht gar ein gebrochenes Genick. Der Körper kam mit einem dumpfen, Grauen erregenden Aufprall auf dem Boden des Kasten auf und blieb erst einmal reglos. Immer noch ob des Bilds benommen, registrierte Itachi nur am Rande, wie einer der Männer oben an der Lücke eine Pistole zog und drei mal den Abzug betätigte. Die Schussgeräusche waren dumpf, denn es waren keine Kugel, die der Lauf ausspuckte, damit sich stattdessen drei Dartkapseln in den Rücken des Liegenden bohrten. Die Lücke oben wurde wieder verschlossen, während er die Stimme von einem der Wissenschaftlers vernahm. "Das ist fast das Doppelte der üblichen Dosis an Adrenalin." Die Falte an Itachis Stirn vertiefte sich. Adrenalin...? "Ich hoffe, dein Sharingan hält, was es verspricht." Der weiße Kittel an der Glaswand klopfte mit dem gekrümmten Zeigefinger dagegen und Itachi drehte den Kopf einmal mehr fast mechanisch zu ihm. "Benutze es, um ihn unter Kontrolle zu kriegen, sonst reißt er dich in Stücke. Viel Glück." Das Sharingan benutzen...? Alles, wofür er es bisher benutzt hatte, waren reihenweise komischer Tests, aber wie konnte ihm seine exponentiell gesteigerte Sehstärke dabei helfen, mit einer anderen Person fertig zu werden? Ohne die Hilfe von seinen in der Zwangsjacke gefangenen Armen war er doch sowieso kein großer Gegner für irgendjemanden... Was meinte man überhaupt damit, sein Glaskastennachbar würde ihn in Stücke reißen...? Er stand vorsichtshalber auf und drehte sich zu der Gestalt um, die mittlerweile nicht länger reglos war. Sie war rothaarig und allem Anschein nach ebenfalls männlich, gekleidet in einen roten Sportanzug. Der Junge konnte nicht älter als 18, vielleicht 19 sein und für einen Moment erinnerte es Itachi schmerzhaft an seinen jüngeren Bruder. Fast sechs Jahre waren vergangen, in denen er keine Gewissheit gehabt hatte, ob Sasuke am Leben war. Ob Kakashi rechtzeitig da gewesen war, ob er Sasuke hatte retten können... Irgendwann würde er hier raus kommen... irgendwann würde er es endlich erfahren... Die Person ihm gegenüber begann, sich mühsam aufzurichten, er konnte das Zittern sehen, dass jenen jugendhaften Körper erschütterte, als der Rotschopf sich auf die Fersen aufsetzte. Den Kopf gesenkt starrte er dann für eine Weile auf seine ebenfalls bebenden Hände. "Es brennt..." Der Augenblick, in dem Itachi jene erstickte Stimme hörte, war ein blanker Schockmoment. Denn er kannte sie... Er kannte diese Stimme gut, sehr gut... "Gaara...?" Seine eigene Tonlage war ebenfalls belegt: mit Überraschung und Entsetzen. Überraschung darüber, seinen Freund und Leidesgenossen zum ersten Mal in Natura zu erblicken und Entsetzen darüber, was er jäh in dem Moment begriff. Adrenalin? Deswegen wütete er jedes Mal in seinem Zimmer... Tagtägliche Injektionen von höchstwahrscheinlich unmenschlichen Dosen an menschlichem Stresshormon, kein Wunder, dass er immer wieder durch die Decke ging und stets dem Wahnsinn nahe war. Aber wozu...? Wozu diese Tortur, was bezweckte man damit...? Itachi hatte das ungute Gefühl, dass er es gleich herausfinden würde. "Bist du okay...?", fragte er mit einer Note Besorgnis; immerhin war Gaara gerade von einer relativ beachtlichen Höhe gefallen, aber verletzt schien er nicht zu sein. Nicht mal ein Kratzer, geschweige denn ein Knochenbruch. Angesprochener wandte den Kopf zu ihm und der Ausdruck auf seinem blassen Gesicht konnte nur als absolut gequält beschrieben werden. Sein Zittern wurde immer schlimmer, die Augen weit aufgerissen hatte das helle Turmalin seiner Augen ein absolut konfuses Glimmern an sich. Schweiß rannte seine Schläfen herunter, das rote Kanji an seiner Stirn war umringt von pulsierenden Venen und es schien fast, als waren die roten Striche, aus denen es bestand, leicht am Bluten. "Es brennt...", hauchte er wieder aus und Itachi machte einen Schritt vorwärts, erfror aber in der Absicht, sich dem Anderen zu nähern, als dieser begann, schwerfällig aufzustehen. Gaaras Atmung beschleunigte auf was schien wie das Dreifache, indes sein gesamter Körper mit spastisch kontrahierenden Muskeln zu vibrieren anfing, als ob irgendeine brodelnde Kraft in ihm ihn von Innen zu zerbersten drohte. Itachi hielt inne und tat diesmal einen Schritt rückwärts ob des dunklen Knurrens, das er von dem Jungen vernahm, zusehend, wie jene Finger sich ruckartig in Richtung der Handflächen aufrollten. Die kalte Wand in seinem Rücken beendete seinen Rückzug, was ihn kurz über die eigene Schulter schauen ließ. Hinter dem dicken Panzerglas standen sie alle versammelt, die weißen Kitteln mit ihren Klemmbrettern in den Händen und den kuriosen Ausdrücken auf ihren elend-neugierigen Mienen. Das dunkle Knurren ertönte plötzlich direkt vor ihm und ließ seinen Blick wieder nach oben schellen. Gaara stand ihm nunmehr keine zehn Zentimeter entfernt gegenüber, doch sein Gesicht... verzerrt in einer Grimasse wildem, purem Zorn, gebleckte Zähne und tropfender Speichel, er hatte mehr Ähnlichkeit zu einem tollwütigen Tier, und seine Augen... Das Turmalin auf Weiß war komplett einem schimmernden Gold gewichen und inmitten davon waren die schwarzen Pupillen nicht länger rund, sondern in Form spitzer Vierzacke. Ebenjene fixierten sich auf Itachi und mit einem Male begriff er, dass ihn dieses Biest in halbmenschlicher Gestalt mit jenen bloßen, krallenartig gekräuselten Händen gleich tatsächlich in Stücke reißen würde. Es kannte keine Freunde und keine Feine mehr, nur blinde, allumfassende Zerstörungswut. Nein, nein, er konnte hier nicht sterben... besonders nicht so... nicht durch die Hand von jemandem, der in der selben Misere steckte, die Hand, die er greifen wollte, damit er ihn retten konnte. Damit er sie beide retten konnte... Sein Sharingan aktivierte sich fast automatisch und seine blutroten Iriden bohrten sich in die von seinem Gegenüber, acht schwarze Pupillen gegen ein vierzackiges, onyxfarbenes Paar. Panik und Angst kursierten in ihm, aber auch Entschlossenheit und Trotz. Es konnte hier nicht enden... nicht hier, nicht so... "Nicht... Hör auf, Gaara, stopp." Im selben Moment zog etwas marternd in seinem Hinterkopf, ein abrupter, höllisch schmerzvoller Stich, als ob man seine Sehnerven grausam gezwickt hatte. Doch Gaara... Gaara hielt abrupt inne. Er starrte ihn einfach nur an, knurrend und schwer atmend aber bewegungslos. "Beeindruckend. Es funktioniert also wirklich, das Sharingan. Sogar bei einem Jinchuuriki," hörte er die zufriedene, erquickte Tonlage der Halbglatze hinter sich. Jinchuuriki...? Funktionieren... Was meinten sie damit? Und dann, mit einem Schlage, begriff er es. Warum man ihn in einer Zelle hielt. Warum niemand ihm bei den gelegentlichen Begegnungen während aller Tests und Experimente nie direkt in die Augen sah. Verstärkte Sehfähigkeiten waren nicht alles, was dieser verfluchte biologische Umbau ihm gebracht hatte. Und Gaara? Sie hatten wirklich ein Monster aus ihm gemacht. Aus ihnen beiden. Itachi hasste sie. Er hasste sie alle. Wenn er nur hier raus kommen könnte... Er würde sie alle zerfetzen wollen, allen voran Orochimaru. Dieses kranke, verdrehte Arschloch... Wenn er doch nur... Wenn er doch nur hier raus kommen könnte... Der Wunsch war so stark, so brennend unerträglich, er spürte, wie die aufkommenden Tränen ihn erstickten. Tränen der Wut, der Hilflosigkeit, der Sehnsucht nach Freiheit und nach Rache. Irgendjemand... bitte... "Hilf mir..." Irgendjemand... "Befreie mich..." Doch es war niemand da, außer Gaara. Er schaute den Jungen immer noch in die vierzackigen schwarzen Pupillen, als er jene verzweifelten Worte wisperte, nicht wissend, wen er bat. Die Götter? Das Schicksal? Diese antworteten ihm nicht, Gaara dafür aber schon, denn dessen Hände griffen nach seiner Zwangsjacke und mit einem scharfen Ruck riss er dieses verhasste Hemd an Itachis Oberkörper wortwörtlich entzwei gleich einem Stück durchnässten Papiers. Für einen Moment schienen seine Arme fast nutzlos, er hatte fast vergessen, wie es war, sie zu benutzen, doch die Grobmotorik kam schnell zu ihm zurück. Er hob seine Hände und erblickte zum ersten Mal seit Jahren die eigenen Finger, wie sie sich nach innen gegen seine Handflächen kräuselten und sich wieder entrollten. Unglaublich... Der Andere hatte... ohne eine einzige Anstrengung... Absolut benommen brauchte Itachi erst mal eine Weile, um die sich gerade abspielenden Tatsachen überhaupt als solche zu begreifen. Ohne die Kontrolle des Sharingans über ihn fing Gaara indes an, in ihrem Glaskasten zu wüten, so, wie er es wahrscheinlich auch in seiner Zelle getan hatte, all jene Tage, an denen Itachi seine Rasereien mitbekommen hatte. Er selbst presste sich umgehend in die Ecke des Kastens und beobachtete den Anderen mit seinem Sharingan genau, um zu verhindern, dass dieser auch ihn in seiner blinden Rage auseinandernehmen würde. Sogar für seine einzigartige Sicht waren Gaaras Bewegungen relativ schnell, was bedeutete, dass sie in Realität noch um einiges rasanter waren. Besagter warf sich gegen die Wände, die sie einkerkerten, immer und immer wieder, doch sein Leib, ganz egal wie sportlich schlank er eigentlich auszusehen vermochte, schien Diamantenhärte zu besitzen, denn es ergaben sich keine sichtbaren Verletzungen aus jenen gewaltsamen Kollisionen von Körper und Panzerglas. Diese Stärke... diese Zähigkeit... die Schnelligkeit, die pure Kraft, die das rothaarige Wesen in dem Moment war... Itachi ereilte ein Geistesblitz. Er schoss auf die Füße. Augenkontakt. Er brauchte Augenkontakt. "Hey!" Heiser knurrend wirbelte Gaara umher und seine in Blau schwimmenden, goldenen Vierzackpupillen bohrten sich in konzentriertes Scharlach. Die Wissenschaftler um ihren Glaskäfig herum waren alle schon längst an ihren Computern, tippten fleißig und eifrig herum, die beiden Versuchskaninchen vollkommen ignorierend. Sie hätten nicht gedacht, dass sie diesmal ein zu gefährliches Paar im Zwinger zusammengebracht hatten. Itachi hob den Zeigefinger und deutete damit auf eine bestimmte Stelle in der Decke über ihnen. Würde Gaara es erreichen können? In seiner beachtlichen, unmenschlichen Kraft, konnte er so hoch springen? Es war seine - ihre - einzige Chance. "Schlag drauf ein." Keine Regung und er strengte seine Augen noch mehr an, konzentrierte sie vollkommen auf das Paar vor sich und fühlte feuchte Wärme seine Wangen runter sickern, als die ersten Äderchen zerplatzen und Bluttränen aus seinen Lidwinkeln sandten. Der Schmerz war heftig, pochend, scharf, aber er gab nicht auf. Er konnte nicht.... Das war ihre einzige Chance... Komm schon... Es hatte einmal funktioniert, er musste es noch mal schaffen... "Schlag drauf ein, Gaara," wiederholte er. "Mit aller Kraft, bis du durchbrichst." Und endlich... klappte es - und nicht nur das. Er schaute mit erstaunter Fassungslosigkeit, wie der Rothaarige tatsächlich sprang - all jene drei, vier Meter hoch und seine Faust mit Wucht gegen das Glas knallte. Einmal, zweimal, die Männer auf dem Dach vor der Lückentür schauten herunter. Nochmal und einmal mehr... Das kleine, eingeschnittene Quadrat zitterte in seinen Fugen. Vielleicht war das Glas selbst sogar für Gaaras unmenschliche Kraft zu hart, um es zu durchbrechen, aber die Lückentür in diesem war eine andere Geschichte. Noch ein Schlag und einer mehr, und bevor die Männer richtig reagieren konnten, wurde besagte Tür herausgeschlagen und flog ihnen um die Ohren. Itachi überlegte nicht lange, jetzt war seine einzige Chance. Er machte einen Sprung und klammerte sich an sein rothaariges Ticket in die Freiheit, denn mit seinem nächsten, gewaltigen Sprung war Gaara aus dem Glaskasten raus und auf dem Dach von diesem. Itachi ließ los und plumpste auf seine vier Buchstaben, während der Andere voranstürmte. Seine blinde Wut hatte endlich reelle, lebendige Ziele, die erste Sicherheitskraft konnte kaum zu Waffe greifen, bevor dünne Finger durch die Haut an seinem Hals griffen und ihm Kehle rausrissen. Vielleicht hatte sich Gaara für Itachis Sharingan relativ normal bewegt, aber in Echt war seine Geschwindigkeit wortwörtlich mörderisch. Der zweite Mann auf dem Dach schaffte es zwar, seine Pistole heraus zu ziehen, doch das war's auch schon. In der nächsten Sekunde war der Rotschopf bei ihm, er griff die größere Gestalt bei den Schultern und riss an diesen - riss sie wortwörtlich samt dazugehörigen Armen ab. Blut spritzte wild aus durchtrennten Venen und Arterien, der animalische Schmerzensschrei schnitt in Itachis Ohren und er spürte ein paar warme Tropfen, die auf seinem entblößten Oberkörper landeten. "Idioten! Was macht ihr, schießt, schießt!" Die bekannte Stimme des fast glatzköpfigen Wissenschaftlers drang nur gedämpft durch das Rauschen in seinen Ohren, er krabbelte so weit wie möglich vom Rand des Glaskastendachs weg, indes Gaara sein verblutendes Opfer losließ und vom besagten Dach absprang, das wütende Biest angelockt von der schrillen, panischen Tonlage des Doktors. Kurz darauf ertönten die ersten Schüsse und Itachi warf sich einfach nur flach hin und schloss fest die Augen. Gaara war seine einzige Hoffnung, und eine große Hilfe konnte er ihm nicht sein. Er konnte nur beten, dass der Andere es schaffte... Dass jene Stärke, jene Schnelligkeit, jener Blutrausch, jene schäumende Wut und Zerstörungsdrang... Sie beide befreien können würde. Wie lange es dauerte, wusste er in keiner bestimmter Zeiteinheit zu definieren. Die Kakophonie aus Schreien und Schüssen, Geklirre und Geklimper... es schien ewig anzuhalten. Bis die letzten menschlichen Stimmen erstarben, was eine fast erdrückende Stille hinterließ, in der er nur vages Knurren und gedämpfte Schläge hörte. Er setzte sich langsam auf und erspähte eine Leiter, die runter von dem Glaskastendach führte. Wenig später kletterte er diese hinab und erblickte etwas, das man nur als ein brutales Schlachtfeld bezeichnen konnte. Der Raum... war das Epitom eines Massakers. Gliedmaßen, Blut und Gedärme, zerstörte Apparaturen und Computer verschmiert in Scharlach und vermischt mit Leichen und Leichenteilen. Inmitten des Blutbads... eine grollende Gestalt, die immer noch wild auf irgendeins der Gerätschaften einschlug. Die Maschine piepte immer noch kläglich und anscheinend war das Grund genug, sie noch weiter zu demolieren. Itachi näherte sich dem Anderen vorsichtig und brachte mit letzter Kraft sein Sharingan noch einmal zum Aufflackern. Seine Intonation weich und die Stimme leicht zitternd ob der Anstrengung und des Horrors, der überall um ihn herum war, rief er ihn... "Gaara..." Einmal mehr wirbelte jener umher und stürmte auch wenig später mordlustig auf ihn zu, bevor er jäh stehen blieb, als sich ihre Blicke kreuzten und Itachi seinen leisen Befehl sprach. "Du musst dich... beruhigen..." Sein Atem ging schwer und uneben, die Kopfschmerzen waren fast unerträglich. Doch seine Sicht war immer noch fokussiert, trotz dem Blutschleier in ihr. "Gaara... Beruhige dich..." Das von tiefem Gold umrundete Schwarz jener vierzackigen Iriden begann, zu schwinden, ab und zu flimmerte ein sanftes Turmalin auf. Gaara war nunmehr absolut still, er schaute nur wie hypnotisiert in Itachis scharlachrote Gegenstücke. "Beruhige dich..." Ein tiefer Atemzug, und Rationalität und Verstand kehrten auf Gaaras Gesichtszüge zusammen mit dem angeborenen Türkis um das wiedergekommene Schwarz seiner Pupillen. Keine Sekunde zu früh, denn Itachis Sharingan erlosch einen Augenblick später und der junge Uchiha ging in die Knie, die Hände lindernd über seine blutenden Augen gepresst. Er spürte das zähe Rot zwischen seinen Fingern sickern, bevor er sich abrupt zu Seite drehte und seinen ohnehin spärlichen Mageninhalt auf den Boden leerte. Hustend und trocken würgend schnappte er verzweifelt nach Luft, während er das Gefühl hatte, jemand schlug mit einem Beil wiederholt in seinen Kopf hinein. Gaara indes blinzelte ein paar Mal verwirrt, und schaute sich dann benommen um. Sein Mund öffnete sich leicht in stummem Entsetzen, dann hob er seine Hände vor seine Augen. Das Blut daran war zäh und frisch und bereits erkältet, aber es bedeckte sie wie ein Paar roter Handschuhe, vermischt mit kleinen Hautfetzchen und nicht weiter erkennbaren Stückchen Menschenleibs. Nicht nur seine Hände, der grausame Mix klebte überall an ihm, in den Haaren, auf der Kleidung... Itachi schaute auf, wenn der Andere ihm gleich auf die Knie fiel, den Starblick seiner weit geöffneten Augen immer noch auf die eigenen, schaurig verschmutzten Hände fixiert. "Nicht ich...," flüsterte er erstickt. "Ich wollte nicht... Das war nicht... nicht ich... Das habe... nicht ich... Nicht ich getan..." Gewispert wie ein Mantra, während er am ganzen Körper zu zittern anfing. "Nicht ich... nicht ich... nicht ich..." Itachis Gesichtszüge zogen sich in einem Ausdruck von Empathie und Anteilnahme zusammen, genauso wie sein Herz. Gaara tat ihm unheimlich Leid. Was hat man nur mit ihm gemacht? Mit ihnen beiden... Und er war Mitschuld an dieser traumatisierenden Metzelei, er hatte den Anderen mehr oder minder auf ihre Peiniger losgelassen. Ein notwendiges Übel... gerechtfertigte es das alles hier? Das Leben all dieser Männer als Ausgleich für all den Schmerz und die Qual, die man ihnen beiden über so viele Jahre hinweg zugefügt hatte...? Jedoch hatten Moral und Ethik momentan keinen Platz in seinen Gedanken oder Gefühlen. Es war ihrer beider einzige Chance gewesen, die Freiheit wieder zu erlangen... Der Preis dabei war in dem Moment, in dem sich diese Chance präsentiert hatte, irrelevant gewesen und eigentlich... war er es auch jetzt noch. Er stand mit Mühe auf und stolperte die paar Schritte zu Gaaras auf dem Boden kauernden Gestalt, vor welcher er einmal mehr auf seine bereits geschundenen Knie ging. Seine Arme schlangen sich sachte um jene strammen, schmalen Schultern und er zog den gepeinigten Jungen behutsam aber bestimmt an sich. "Nicht ich... nicht ich... nicht ich..." Wurde nunmehr atemlos und aufgelöst gegen seine Halsbeuge gemurmelt, und er kniff kurz seine immer noch höllisch schmerzenden Augen zusammen. "Shhh... Alles gut. Es ist alles gut." Der großer-Bruder-Instinkt funktionierte immer noch fehlerfrei, und er drückte das verstörte Geschöpf fester an die eigene trostspendende Präsenz. "Es wird alles wieder gut, Gaara... Alles gut." Dafür würde er sorgen. Sie beide hatten genug gelitten... Gaara umso mehr. Itachi würde das alles irgendwie in Ordnung bringen... Er hatte es ihm versprochen. Doch zu aller erst... "Komm... wir müssen hier verschwinden." "Wir entkamen, und seitdem ist Gaara nicht mehr von meiner Seite gewichen. Er wurde zu meinem... Schatten, wenn man so will." Denn Bodyguard traf es nicht wirklich. Gaaras stille, verlässliche Präsenz an seiner Seite war kein Job, keine Pflicht, es bedurfte keiner Entlohnung oder Anerkennung. Er war einfach nur da, ein lautloser aber tödlicher Wächter im Schatten seiner auserwählten, einzigen Vertrauensperson. Gaara sagte wenig und zeigte noch weniger emotionelle Regungen, doch seine Loyalität zu Itachi was absolut. Vorbehaltslos und unerschütterlich, Gaara war nunmehr die Wand zwischen Itachi und alles und jedem, der ihm mit möglicherweise dubiösen Absichten nahe treten wollte. In Anbetracht der Gesamtheit aller Dinge konnte Itachi auch ehrlich sagen, dass er darum mehr als froh war. Sasuke indes, fühlte sich mehr denn minder erschüttert. Gaaras Geschichte, Itachis Wahrheit... es fiel nicht gerade einfach, diese bis zu dem Punkt zu verarbeiten, wo sein Gehirn es als Realität annehmen und anerkennen konnte. Orochimaru, biologische Experimente, die aus Menschen Monster machten... Unglaublich. Unglaublich, und doch waren die Beweise nicht von der Hand zu weisen, eins davon saß lebend und atmend direkt vor ihm. "Aber wie genau hast du das geschafft?", fragte er letztendlich nach. "Gaara unter die Kontrolle gekriegt, meine ich?" So wie es sich angehört hatte, war Erwähnter in einem Zustand gewesen, in dem ein normaler Mensch keine Chance gehabt hätte, seine Tobsucht zu zügeln, geschweige denn zu kontrollieren. "Mein Sharingan hat starken Einfluss auf mehr als nur meine Sehfähigkeiten. Wenn ich Menschen damit direkt in die Augen schaue..." Itachis Hand griff sanft unter Sasukes Kinn und fixierte dessen Kopf, als er kurz die Augen schloss und wieder aufmachte, womit sein Sharingan sich in die schwarzen Tiefen ihm gegenüber bohrte. Nach kaum einigen Sekunden verspürte Sasuke ein seltsames Vertigo, das über ihn hereinbrach. Er konnte nicht wegschauen, aber je länger er in jene roten Seen starrte, desto merkwürdiger fühlte er sich. Fast wie... in einen eigenartigen Bann gezogen. Sein Körper war erschlafft, eine angenehme Trägheit brach über jeden Muskel herein, sogar wenn er sich irgendwie hatte bewegen wollen würden, wäre es ihm zweifelsohne kaum gelungen. Der eigene Wille wich einer einhüllend dämmrigen Passivität, doch im selben Augenblick war ihm sonnenklar, dass er im Moment so ziemlich alles tun würde, was der Besitzer jener Augen ihm befehlen würde. Itachi blinzelte und sein Sharingan verschwand somit einmal mehr, Sasuke seinerseits schüttelte energisch den Kopf, um die auf ihn heraufbeschworene, sanfte Apathie wieder abzuwerfen. Er fühlte sich etwas betäubt und schlapp, begriff aber sehr gut, was man ihm gerade demonstriert hatte. Eine Art Hypnose, und das machte seine Fassungslosigkeit nur noch fundierter. Das alles war... Den Schock und Unglaube sah auch Itachi seinem kleinen Bruder an. "Jinchuuriki... Sharingan... Ich weiß, das alles ist sehr schwer, zu glauben." Sprach er deswegen leise aus und schüttelte dann mit einem schweren Seufzen den Kopf. "Aber Gaara ist der reelle Beweis, dass die Bedrohung echt ist. Unter dem falschen Einfluss würde er eine der gefährlichsten Waffen sein, die wir bisher gekannt haben." Itachi selbst und sein Sharingan waren ebenfalls Waffen, die in Kombination mit jemandem, wie Gaara, verheerend sein konnten. Wurde sein Sharingan für diesen Zweck erschaffen? Hatte Orochimaru damit an ihm experimentiert, weil er unter Umständen die selbe Fähigkeit begehrte? Denn eins war sicher - wenn jemand wie Orochimaru am Drücker von der Raserei von jemandem wie Gaara saß, würde diese Welt nicht mehr viel zu Lachen haben. "Ich weiß nicht, ob Gaara der einzige Jinchuuriki ist, oder ob Orochimaru in den Tiefen seiner Labore noch Schlimmeres ausheckt." Aber das war eine Geschichte für ein anderes Mal, wenn überhaupt, denn Itachi wusste beim besten Willen nicht, ob er Sasuke in diese ganze Sache überhaupt mit reinziehen wollte. "Jedenfalls... Nachdem Gaara und ich entkommen waren, brachte ich uns zu ein paar alten Bekannten von unserem Vater. Sie nahmen uns auf und halfen uns wieder auf die Beine. Mein Wissensstand war immer noch das eines Siebzehnjährigen, insofern hatte ich das vergangene Jahr über sehr viel zu tun, um so einiges aufzuholen." Auch wenn Itachi mit Siebzehn schon viel belesener und intelligenter gewesen war, als so mancher Erwachsener vom doppelten Alter. Dennoch, die Welt hatte sich um einiges verändert seit der Zeit, in der er noch ein Teenager gewesen war. Sasuke schüttelte den Kopf und boxte seinem Bruder mit sanfter Kraft anklagend in die Schulter. Ungeachtet allem, was er gerade gelernt hatte... "Du hättest mich verdammt noch mal anrufen sollen, du Schwachkopf," meinte er angesäuert. "Ich würde-" ihm doch geholfen haben. "Ich hätte-" alles hingeschmissen, um wieder bei ihm zu sein. Ihn zu unterstützen... Sie waren eine Familie, schon immer, noch immer, für immer. Gefahr hin oder her, Itachi hätte- Ein geruhsames Schmunzeln, und das Lächeln des älteren Uchiha war beschwichtigend und entwaffnend zugleich: "Ich weiß, 'totou. Ich weiß. Es tut mir Leid." "Mir auch...", sprach Sasuke bedächtig darauf aus. Es tat ihm Leid, dass Itachi durch all das hatte gehen müssen... allein. Sasuke hatte wenigstens immer Kakashi an seiner Seiten gehabt, sein Bruder litt jahrelang ohne Unterstützung, bis das Schicksal ihn mit Gaara in gemeinsamer Marter zusammengeführt hatte. Aber es alles spielte jetzt keine Rolle mehr. Jetzt waren sie wieder zusammen, das brüderliche Band so stark wie eh und je, und eins schwor sich Sasuke nunmehr eisern: er würde es nie wieder zulassen, dass irgendetwas sie noch einmal auseinanderbrachte. Kapitel 17: Kollisionskurs -------------------------- [Mittwoch, 15 Juni, 11:35 Uhr] Trotz der vielen Antworten, die er nun gekriegt hatte, hatte Sasuke immer noch eine ganze Menge Fragen, doch er kam nicht dazu, seinem Bruder noch welche davon zu stellen, denn ein sachtes Klopfen an der Tür des Arbeitszimmers lenkte ihrer beider Aufmerksamkeit auf sich. Itachi erhob sich mit geschmeidiger Eleganz, die geruhsame Stimme in einer Einladung erhoben: "Herein." Besagter Einladung folgend, betrat die Frau, die Sasuke heute bei seiner Ankunft schon an der Eingangstür begrüßt hatte, den Raum. Er fragte sich, wer sie war und was sie hier tat, auch wenn ihre nächste Aussage die Auflösung dieser Rätsel jäh nach hinten stellte. "Itachi, mehr Besuch. Kakashi-san und ein junges Mädchen, sie warten im Foyer." Die Augen des jüngeren Uchiha verengten sich gefährlich ob der Aussage. Kakashi und ein Mädchen? Sein Sensei würde doch nicht wirklich... oder? Er hatte eine ungute Vorahnung und wenn sich diese bestätigen sollte... Nun. Vielleicht sollte er den liebgewonnen Bürostuhl mitnehmen, damit er ihn in diesem Falle an Kakashis Kopf schmeißen konnte. Verdient hätte es der Andere sowieso schon wegen der bloßen Tatsache, dass er Sasuke die Wahrheit über Itachis Rückkehr in die Welt der Lebenden fast ein ganzes Jahr lang verschwiegen hatte. "Danke, Konan," richtete Itachi ein Wort an die junge Frau, während Sasuke sich seinem Bruder voran und an erwähnter Frau vorbei aufmachte. Als er über die Schwelle schritt, bemerkte er aus dem Augenwinkel heraus Gaaras schweigsame Präsenz, diese verweilte locker an der Wand gelehnt seitlich der Tür. Die Arme vor der Brust verkreuzt blieb er absolut reglos, nur seine turmalinfarbene Augen folgten aufmerksam Sasukes Gestalt, während dieser an ihm vorbeischritt, gefolgt von Konan und Itachi, der dem Rotschopf kurz anerkennend zunickte. Was ihn in dem Eingangsbereich des Hauses erwartete, ließ Sasuke abrupt inne halten, seine Gesichtszüge verfinsterten sich keine Sekunde später und das tiefe Onyx seiner Augen blitzte Kakashi jähzornig an. "Das ist ein Witz, oder? Wieso hast du sie hergebracht?!" Sakura, die bis dato nervös auf der Unterlippe kauend auf einem der Sofas gesessen hatte, stand geschwind auf. "Ich habe ihn darum gebeten," antwortete sie statt dem silberhaarigen Angeklagten, womit sie den stechenden Blick jener nachtschwarzen Augen auf sich lenkte. "Sasuke-" Doch genauso schnell wandten sich diese wieder von ihr ab. "Du fährst sie jetzt sofort wieder Heim. Haben wir uns verstanden?" Überging Angesprochener sie fließend, auch wenn sein Sensei auch dieses Mal keine Chance für irgendeine Erwiderung haben würde. "Das wird er nicht! Und ignorier mich nicht!", explodierte die pinkhaarige Grazie ihrerseits und schritt auf Sasuke zu, um sich direkt vor ihm aufzubauen, ungeachtet dessen, dass sie ihm in Größe und Statur nicht wirklich das Wasser reichen konnte. "Wenn du was zu sagen hast, ich bin genau hier!" Er schnaubte irritiert, darum bemüht, das stetig wachsende Pochen in seinen Schläfen zu verkennen. "Ich habe dir bereits alles gesagt! Hast du dummes Gör mir überhaupt zugehört?!" Ihre filigranen Konturen verzogen sich in einem Mix aus Wut und Verzweiflung, was ihre Worte umso gewichtiger erklingen ließ. "Ich habe nichts von dir gehört, außer Lügen! Dass ich dir nichts bedeute, dass wir dir nichts bedeuten... Du hast nichts davon Ernst gemeint! Und ich... Ich werde mich nicht so einfach abservieren lassen, hast du verstanden? Ich liebe dich nämlich, du verdammter, starrköpfiger Idiot!" Itachi hob erstaunt eine Augenbraue, indes es seinem kleinen Bruder für einen Moment die Sprache verschlagen zu haben schien. Er hatte es zwar aus seinen Gesprächen mit Kakashi mitbekommen, dass es in Sasukes Leben seit kurzem eine interessante junge Dame gab, aber er hatte sie sich sicherlich nicht so... feurig vorgestellt. Ihre Worte rangen mit solch überzeugender Entschlossenheit und Leidenschaft, es fiel schwer, zu glauben, sie kannte ihren Auserwählten nicht schon lange Jahre statt einer handvoll Tage. Etwas, was besagter Auserwählter keine Minute später verbalisierte. "Du hast sie doch nicht mehr alle...", schüttelte Sasuke ungläubig den Kopf. "Wir kennen uns seit kaum einer Woche, von welcher Art Liebe kann hier bitteschön die Rede sein?!" Das- Sie- Wer erzählte hier jetzt bitteschön die Lügen, huh?! Anstatt sie verlegen zu machen, hatte diese Anschuldigung auf Sakura jedoch eine vollkommen andere Wirkung. Sie wurde plötzlich ruhiger, und damit auch... aufrichtiger. Von welcher Art der Liebe konnte hier die Rede sein, fragte er... Von... "Der Art, die mich hergebracht hat," sprach sie in leiser Festigkeit. "Sasuke... ich habe alles stehen und liegen lassen, für dich. Ich bin dir nachgejagt, weil ich mit dir zusammen sein will... Weil du mir etwas bedeutest. Und ich weiß, ich bin dir auch nicht egal... Deswegen werde ich nicht aufgeben. Ich will dir helfen... oder es wenigstens versuchen." Ganz egal, wobei es war. Sie wollte an seiner Seite sein, jetzt mehr denn je. Ihre zierlichen Hände rollten sich in Fäusten zu ihren Seiten zusammen, die hübschen Gesichtszüge verzogen sich in einer Mischung von Beharrlichkeit und Widerwille. "Und wenn du... Wenn du mich jetzt wegschickst, werde ich einfach wiederkommen! Alleine, wenn es sein muss! Solange, bis du mir einen vernünftigen Grund gibst, warum du mich plötzlich nicht in deinem Leben haben willst!" Sie war sich sicher, es gab ihn nicht. Und wenn doch... sollte er es ihr sagen. Jetzt, sofort und sie würde Ruhe geben. Aber mit Lügen von ihm fernhalten würde sie sich nicht lassen. "Kapiert?!" Sasuke wusste kaum, was er darauf entgegnen sollte und auch wenn ihm etwas eingefallen wäre, das urplötzlich über ihn hereinbrechende Vertigo überschattete alle Gedanken mit dem ekelhaften Gefühl sich drehender Umgebung. Der stechende Schmerz in seiner Brust setzte einen drauf, er griff sich an die Stirn und kniff mit einem leidvollen Knurren die Augen zusammen. "Du bist doch verrückt...", warf er noch eine halbgezischte Feststellung Richtung Sakura und sie zog bald drauf nur scharf die Luft an, zusehend, wie sein Körper gefährlich kippte. Es passierte zu schnell und zu unerwartet für sie zum reagieren, aber glücklicherweise war Itachi nicht weit entfernt. Er fing seinen Bruder auf und ging mit ihm zusammen behutsam in die Knie, ihn an Schulter und Rücken stützend. Den Kopf geneigt, um in das blasse Gesicht seines Geschwisterteils zu blicken, notierte er die schwere Atmung und Sasukes Arm, der sich lindernd um die eigene Körpermitte schlang. Er erinnerte sich an die Bandagen unter dem Hemd. "Die Prügelei ist doch nicht allzu spurlos an dir vorbeigegangen. Für deinen Zustand hast du dich auch viel zu sehr verausgabt." Er schaute auf zu Kakashi, der sich vor ihnen hingehockt und gerade gesprochen hatte, womit er sich prompt einen stechenden Blick von Sasuke einfing. "Von dir will ich überhaupt nichts hören... Klar...?" knurrte der jüngere Uchiha durch zusammengebissene Zähne hindurch, und ließ sich von seinem Bruder wieder vorsichtig auf die Füße helfen. "Konan, ruf bitte Tsunade-san an. Wir bräuchten ihre Hilfe," wies dieser beiläufig an, während er seinen Bruder mit behutsamer Kraft stützte und darauf das Wort auch an ihn richtete: "Komm. Du solltest dich hinlegen." Protest erhielt er nicht, nichtsdestotrotz war es spürbarer Widerwillen, mit dem sich jener Arm um seinen Hals legte, während einer seiner eigenen um Sasukes Hüften griff, um dessen Gewicht größtenteils auf sich zu verlagern, damit er ihn zu einem naheliegenden Schlafzimmer helfen konnte. Sakura, aufgewühlt und besorgt, tapste still hinterher, all ihre Wut und Empörung wie vom Winde verweht. Sie wusste nicht, wer dieser Mann war und was hier überhaupt vor sich ging, aber Sasuke schien ihn zu kennen und alle Fragen waren momentan sowieso zweitrangig, seine Gesundheit und Wohlbefinden waren in diesem Augenblick das Wichtigste. Die weiche Matratze gab sachte unter Sasukes Gewicht nach, als er sich mehr oder minder selbstständig auf diese sinken ließ, einen langen Atemzug ausstoßend, sobald sein schmerzender Kopf in die Weichheit des Kissens versank. Itachi schritt wieder hinaus, die Tür fiel leise hinter ihm ins Schloss und Sakura blieb mit ihrem angeschlagenen Freund alleine in dem stilvoll eingerichtetem Schlafzimmer. Sie stand unentschlossen am Rande des Möbelstücks, die Hände vor der fülligen Brust zusammengepresst. Sasuke sah blass aus... Sie wollte ihn berühren, wenn es irgendetwas gab, dass sie tun konnte, um ihn sich besser fühlen zu lassen, wollte sie es tun... Doch alles, was sie im Moment machen konnte, war unschlüssig herumzustehen, weil sie nicht wusste, ob er sie überhaupt hier haben wollte. Ihre Gefühle für ihn waren nunmehr ein offenes Geheimnis, doch seine Gefühle für sie... sie hatte immer noch keinen blassen Schimmer, was er wirklich dachte. Hatte sie es doch alles missverstanden? Hatte er seine Worte von gestern doch vollkommen Ernst gemeint? Wollte er sie nicht hier haben? Wollte er sie einfach nur vergessen... war sie einfach nur eine Last, die ihn unheimlich störte? Der Kloß in ihrem Hals wurde immer dicker, es erstickte sie. Sie starrte ihn an, doch ihre Stimme konnte sie kaum mehr heben. All die Tapferkeit von vorhin löste sich langsam auf in aufwallender Angst und rasch aufkommenden Zweifel. Ihren Blick auf sich spürend, öffnete Sasuke kurz darauf müde die Augen und schaute Sakura für einen Moment undefinierbar an. Die Gefühle standen ihr in ihrem bezaubernden Antlitz geschrieben, smaragdgrüne Augen schimmernd mit ehrlicher, aufgewühlter Besorgnis und immer stärker durchscheinender Furcht vor seiner ultimativen Zurückweisung. Er... was tat er hier? Was wollte er, wirklich? Der Neunzehnjährige junge Mann hob die Hand und winkte seinen pinkhaarigen, unerwarteten Fluch und Segen zu sich. "Komm her zu mir." Ein kleines, niedlich erleichtert-erfreutes Lächeln ihrerseits und sie huschte zu ihm, krabbelte kurz darauf aufs Bett, um sich hinzulegen und sich an seine Seite zu schmiegen, die Hand ihres rechten, zwischen ihnen eingefangenen Arms und ihr schlaues Köpfchen vorsichtig auf seine stramme Schulter abgelegt. Die linke, freie Schwestergliedmaße schlang sich mit Bedacht knapp unter seiner Körpermitte, um seine angeschlagene Brust nicht zu belasten. Ebenjene wölbte sich mit einem tiefen Atemzug und auch Sasuke legte im Gegenzug einen seiner Arme um ihre zierliche Gestalt neben ihm, sie sachte näher an sich drückend. Dann schloss er wieder die Augen, den Kopf ein wenig geneigt, um seine Wange leicht gegen ihren wohlduftenden, rosigen Haarschopf zu lehnen. Er wollte über nichts nachdenken, nichts sagen und nichts hören, hatte momentan weder Lust noch Kraft dazu. Er wollte nur ihre filigrane Wärme spüren, alldieweil vehement vor sich hin abstreitend, dass er irgendwo froh darüber war... dass sie hier war. Dass sie ihm gefolgt hatte... Zu viele seiner Gedanken und Gefühle in Bezug auf Sakura standen gerade im penetranten, ärgerlichen, verrücktmachenden Widerspruch zueinander. Wieso fiel es so leicht, einfach nur zu entspannen, wenn sie in seiner Nähe war? War es etwa die Sicherheit, dass ganz egal, was er tat oder sagte... egal, wer er unter seiner Maske wirklich war... sie immer noch da sein würde? Sie ihn immer noch akzeptieren, gar lieben würde... ungeachtet aller schrecklichen Wahrheiten und dunklen Geheimnisse, ungeachtet seiner verkorksten Persönlichkeit und unverträglichem Charakter? Hatte sie es nicht bewiesen, indem sie hier auftauchte? Oder war es zu gefährlich, so zu denken? Sich darauf zu verlassen...? Er wusste es nicht. Er war noch nie in seinem Leben so verwirrt und zweigespalten gewesen, er wollte sie gleichzeitig haben und verjagen, er wollte mit ihr bleiben und vor ihr weglaufen, er wollte sie in seinem Leben und gleichzeitig fürchtete er sich vor dieser Bindung. Dennoch... gerade jetzt, in diesem Moment... war er einfach nur dankbar für ihre Anwesenheit. Er wollte einfach nur ein wenig inneren Frieden... ein wenig ruhigen Schlaf. Ja... das schien... wie eine wunderbare Aussicht... Die Stille, die über sie hereinbrach, wurden nach einigen Minuten durch Sakuras leise, helle Intonation gestört: "Ne, Sasuke... Ich-" Sie schaute auf und erblickte seine ansehnlichen Konturen in einem entspannten Ausdruck, seine Atmung ruhig und gleichmäßig. Ihr eigenes Gesicht erhellte sich sogleich durch ein angetanes, besinnliches Lächeln und sie stemmte sich minimal hoch, um ihre weichen Lippen sanft und liebevoll gegen seine Stirn zu drücken. Der Kontakt hielt für ein paar bedeutsame, devote Herzschläge an, bevor sie sich wieder hinlegte und sich eng an seine friedvoll schlummernde Gestalt kuschelte. Im Endeffekt war es egal... Was passiert war, wie es passiert war... sie wollte für eine Weile einfach nur so bleiben. In seinen Armen und mit dem ebenen, kostbaren Schlag seines verschlossenen Herzens unter ihrem Ohr. Irgendwann... würde sie den richtigen Schlüssel dafür finden. Wie viel Zeit dann verging, wusste sie nicht zu sagen und schlummerte auch selbst beinahe an, aufgescheucht aus einem dämmrigen Halbschlaf durch die aufgehende Zimmertür und eine feste, weibliche Stimme, die forsch verkündete: "Oi, oi. Liebe soll ja bekanntlich alle Wunden heilen, aber ab und zu muss auch echte Medizin ran. Junge Dame, ich nehme an, der, den du da gerade als Kissen zweckentfremdest, ist mein Patient?" Sakura setzte sich hastig auf und blinzelte einige Male geschwind, um bald darauf eine blonde Frau vor sich zu erblicken, deren goldene Mähne in zwei langen Zöpfen ihre ansehnlich gewölbte Brust herunter ausgelegt war. Auch Sasuke öffnete etwas benommen die Augen ob des gestiegenen Lärmpegels, schwarze Augen wanderten zu Seite, um sich auf die energische Blondine zu fokussieren. "Mein Name ist Tsunade," stellte sich diese beiläufig vor und blickte dann über die eigene Schulter, während sie einen weißen Koffer auf dem Nachttisch abstellte. "Wenn ich hier fertig bin, würde ich mir noch gerne dich und Gaara für ein paar Routineuntersuchungen und Tests schnappen," richtete sie sich an Itachi, der ebenfalls mit reingekommen war und nun vage mit den Schultern zuckte. "Mir soll es Recht sein," antwortete er geruhsam. Damals, als sie beide hier ankamen, waren sie in einem grauenhaften Zustand gewesen und es war dank Tsunade, dass sie nach und nach ziemlich schnell wieder auf die Beine fanden. Sie war ein Genie in ihrem Feld, eine der besten Ärzte landes- und wahrscheinlich gar weltweit, auch wenn ihre ausgezeichneten Dienstleistungen nur einem bestimmten Personenkreis zu Verfügung standen. "Gaara jedoch... Du weißt, wie er dazu steht." Alles, was mit Ärzten und Medizin zu tun hatte, rief verständlicherweise nur tiefgehende Abneigungen in dem Rotschopf hervor, ungeachtet dessen, ob man ihm damit eigentlich helfen wollte oder nicht. "Ja. Aber ich weiß auch, er wird's über sich ergehen lassen, wenn die Aufforderung von dir kommt," meinte Tsunade ruhig dazu, was ihren Gesprächspartner zum milden Stirnrunzeln verleitete. "Ich mag es nicht, ihn zu irgendetwas aufzufordern." Weil Itachi genau wusste, dass Gaara ihm nie irgendetwas abschlagen oder sich irgendeinem seiner Wünsche widersetzen würde. Es fühlte sich dann so an, als zwinge er den Anderen dazu und nutzte dessen Loyalität und Hingabe aus, auch wenn er gut verstand, dass es zu ihrer beider Bestem war. Niemand konnte im Geringsten abschätzen, was für Auswirkungen Orochimarus Experimente auf sie gehabt haben könnten, ihre Gesundheit unter strikter, professioneller Beobachtung zu halten war eine logische und notwendige Erfordernis. Tsunade seufzte leicht, ihr schwungvoller Ton wurde weicher und beinahe... fürsorglich. "Ich weiß. Ich mach's ja nicht zum Spaß, um euch zu quälen. Ich will nur sicher gehen, dass es meinen Patienten gut geht." Ihre Pflicht als Ärztin nahm sie sehr ernst, umso mehr in solch besonderen Fällen, wie Gaaras und Itachis. Diese zwei jungen Männer waren durch die Hölle gegangen, und diese wurde ihnen durch etwas angetan, was eigentlich da war, um Menschen zu heilen und zu helfen, anstatt sie zu quälen und zu verunstalten. Die Medizin in solch grausamen Wegen zu missbrauchen und zu deformieren... alleine das konnte sie Orochimaru nicht verzeihen. Sie hatte diesen Beruf auserkoren, um Leben zu retten und zu verbessern... und er schändete diese tugendhaften Vorsätze der Arzneikunde in der absolut scheußlichsten Art und Weise. Itachi nickte. "Ich rede mit ihm. Bis dahin, kümmere dich bitte gut um meinen Bruder." Die Heilkünstlerin grinste beschwingt und klappte ihren Koffer auf. "Keine Sorge. Du kannst dich auf mich verlassen." In der nächsten halben Stunde widmete sie sich den Verletzungen an Sasukes Schulter, Arm und Rippen und neuer, schneeweißer Mull bedeckte den Oberkörper des Jungen eine weitere Viertelstunde später. Ihre goldbraunen Augen begutachteten ihr Werk und ihren Patienten mit Zufriedenheit und ausgeprägter Strenge, die sich auch auf ihre Tonlage übertrug: "Blaue Flecken und ein paar heftige Prellungen außen vor - gebrochen ist nichts, aber dein Kreislauf hat ziemlich gelitten, also solltest du dich in den nächsten Tagen gut schonen. Viel Schlaf und vernünftige Ernährung, und keine unnötigen körperlichen Anstrengungen. Haben wir uns verstanden, junger Mann?" Sasukes Antwort war ein mürrisches, bestätigendes Grummeln, als er sich das Hemd über den frisch angelegten, strammen Bandagen zuknöpfte. Tsunade schnaubte belustigt und schnappte sich den Henkel ihres Koffers. Sie stand auf und klopfte dann aufmunternd auf Sakuras Schulter, das Mädchen war die ganze Zeit nicht von der Seite ihres schweigsamen Freunds gewichen und bis dato das Tun der Ärztin genau und mit Interesse beobachtet. "Gib gut Acht auf deinen Ausreißer. Männer wie er erkennen ihre eigenen Limits nämlich erst dann, wenn sie diese längst überschritten haben." Das quittierte Sasuke mit einem finsteren Blick Richtung besagter Ärztin, indes Sakura emphatisch nickte. "Das werde ich, Tsunade-sama. Vielen Dank!" Die vollbusige Blondine drehte sich um mit dem Vorhaben, wieder hinaus zu schreiten, stoppte jedoch kurz neben Itachi, um ihn mit sanfter Beharrlichkeit anzuschauen. "Dich und Gaara sehe ich dann später." Er neigte leicht und bestätigend den Kopf, woraufhin Tsunade das Zimmer verließ. Ein kleines Déjà-vu besuchte Sakuras Wahrnehmung kurz danach, als Sasuke zu seinem Bruder aufschaute und den enigmatischen Mann letztendlich seiner... na ja... Freundin, schätzte er, vorstellte: "Itachi - Sakura. Sakura - Itachi." Der jungen Schönheit klappte beinahe der Mund auf. "Itachi...? Dein Bruder Itachi?!", hauchte sie fassungslos aus, große, grüne Augen auf betreffende Person gerichtet. "Kakashi-san sagte, Sie wären..." Itachi nickte bedächtig. "Mehr oder weniger. Es ist eine lange Geschichte." Eine, die er nicht unbedingt rezitieren wollte. Insofern lenkte er den Themenfluss in ein komplett anderes Ufer. "Planst du, hier zu bleiben, Sakura?" Seine Antwort erhielt er prompt von seinem jüngeren Geschwisterteil: "Sie kann nicht," schnitt Sasuke resolut ab. "Sie hat Schule und Familie in Ikibukoro." Das wiederrum ließ Sakura leicht auffahren. "Schule hast du auch! Und ich habe Mutter Bescheid gegeben. Ich werde sie heute noch anrufen, damit sie sich auch weiterhin keine Sorgen macht." Denn heute würde sie garantiert nicht mehr nach Hause kommen. Was morgen anging... "Aber-!", setzte Sasuke an, eklatant ignoriert und prompt unterbrochen, als Sakura sich ihrerseits an Itachi wandte. "Ich will hier bleiben, Itachi-san. Zumindest für die nächsten paar Tage. Wenn das geht?" Irgendwas würde sie sich für ihre Mutter zusammenspinnen können, und ihr Stiefvater war diese Woche sowieso nicht daheim. Es war sonnenklar, dass Sasuke nunmehr beabsichtigte hier zu bleiben und sie wollte partout nicht von seiner Seite weichen. Nicht, bis sie wenigstens wusste, wie es jetzt mit ihnen beiden weitergehen sollte. Itachi schritt weiter ins Zimmer rein und setzte sich auf den weichen Stuhl am Schreibtisch schräg gegenüber dem Paar auf dem Bett. "Gehen würde es schon. Aber wir sollten vielleicht jetzt klären, wie es mit euch beiden im Allgemeinen weitergehen soll," drückte er genau das aus, was Sakura gerade durch den Kopf gegangen war und schwer auf der Seele und dem Herzen lag. Sasuke zog die Brauen zusammen. "Wie meinst du das?" Schwarz traf auf Schwarz, als sich die Blicke der beiden Brüder kreuzten. "Genauso, wie ich es sage. Sasuke, um ehrlich zu sein, wäre es mir lieber, wenn du zusammen mit Sakura wieder zurück nach Ikibukoro und zu euren normalen Leben kehrst." Was Itachi anging, würde diese Auslage der Dinge das absolut wunderbarste Szenario sein. Er wollte Sasuke weit weg von all dem wissen, worin er selbst so eng verstrickt war. Doch wie erwartet gefiel diese Idee dem jüngeren Uchiha so ziemlich überhaupt nicht. "Nein. Ausgeschlossen," schüttelte er bestimmt den Kopf. "Ich werde hier bleiben, bei dir," der Ausdruck in seinen Augen wurde kühl und ruhig, seine Stimme einen Tacken abgesenkt: "Du jagst ihm nach, nicht wahr? Orochimaru? Ich will helfen." Sakura blinzelte verwirrt. Orochimaru...? "Wer ist Orochimaru? Wieso müsst ihr ihm nachjagen?", fragte sie dazwischen und sah erwartungsvoll zu Itachi, der resigniert seufzte und abwehrend die Hände hob. "Halt, halt, ihr beiden." Das ging ihm hier viel zu schnell. Sie waren doch noch Kinder, zumindest fiel es ihm schwer, sie als Gleichgestellte in dieser Hinsicht zu behandeln. Sie in seine Welt hineinzubringen, war die allerletzte Option, die er ziehen wollte. "Diese ganze Sache ist gefährlich. Dass du bei mir bleibst, ist gefährlich. Ich will dich nicht in all das reinziehen," wandte er sich einmal mehr an das rationale Ohr seines Bruders, welches sich jedoch eisern weigerte, ihm Gehör zu schenken. "Ich bin fast 20 Jahre alt, Itachi. Du kannst mich nicht davon abhalten und wenn ich dieser Schlange mit dir zusammen nachjage, wird es um einiges ungefährlicher, als wenn ich es alleine tue." Zwei gewichtige Argumente, und beim letzteren setzte Sasuke durchgreifend nach: "Denn wenn du mich wegschickst, werde ich halt auf eigene Faust agieren müssen, aber er wird für das, was er dir und unserer Familie angetan hat, büßen." Itachi schwieg, doch er wusste zweifelsohne ganz genau in welche Zwickmühle er gerade gesteckt wurde, das hier war die reinste Erpressung! Sasuke war stur genug, um sich alleine auf die Suche nach Orochimaru zu begeben und das würde Itachi nie im Leben zulassen können. Bei dieser Lage der Dinge hatte er nunmehr gar keine andere Wahl, als seinen Bruder mit an Bord zu holen, wenn er ihn wirklich hüten und ein Auge auf ihn haben wollte. Sasukes Gesichtszüge glätteten sich mit einer milden Note Reue. "Hör zu, ich weiß, ich bringe dich in eine blöde Situation. Ich weiß, du willst mich beschützen. Aber versteh mich doch bitte auch, ich werde jetzt nicht einfach ruhig weiterleben können, als wäre nichts gewesen." Wie denn auch? Sein Blut kochte bei dem einzigen Gedanken an Orochimaru und sein sehnlichster Wunsch war es nunmehr, dem Mistkerl den Hals umzudrehen. "Alles, was du mir erzählt hast... Wenn du hinter Orochimaru her bist, will ich dabei sein." Da gab es keine Verhandlungsbasis. Es wäre denn... Sasuke schwieg für einen Moment und studierte das unergründliche Onyx jener Augen, die ihn ihrerseits ebenfalls eingehend musterten, denn Itachi spürte, dass die nächsten Worte seines Bruders von schwerwiegender Bedeutung sein würden. "Doch wenn du sagst, dass du die Idee aufgeben wirst... werde ich es auch." Die Augen des älteren Uchiha verengten sich leicht. "Was...?" Sein kleiner Bruder wandte den Blick ebenfalls nicht ab, aufrichtig und seriös, wie er war. "Wenn du mir jetzt sagst, dass du Orochimaru vergessen und einfach ein normales Leben führen wirst, werde ich es auch." Und das meinte er vollkommen ernst. Wenn Itachi ihm sagen würde, er gäbe die Idee daran, Orochimaru zu finden und zu stoppen, endgültig auf, würde er selbst es auch tun. Itachi schaute sein letztes lebendes Familienmitglied für einen langen Moment einfach nur an. Er wusste, was Sasuke ihm damit klar machen wollte... Sie waren in der Tat eine Familie, die einzige, die sie noch hatten und Sasuke würde ihn bei seiner Entscheidung nicht alleine lassen, egal, wie sie auszufallen vermochte. Entweder sie jagten Orochimaru nach - zu zweit, oder sie gaben es auf - sie beide. Zwei getrennte Wege existierten für sie nicht mehr, nur ein gemeinsam gewählter Pfad. "Das kann ich nicht," erwiderte er letztendlich leise und mit unvermeidlich schwerem Herzen, aber die Worte waren fest und unbeugsam. Solange Orochimaru auf freiem Fuße war... solange er weiterhin seine dunklen Machenschaften fortsetzte... würde Itachi keine Ruhe kennen. Wissend, dass dieser Dreckskerl dort draußen sein Unwesen trieb und seine Untaten weiterhin grausame Opfer forderten... würde er nie Frieden finden können. Genauso leise, aber fest und unbeugsam war auch Sasukes entschlossener Tonfall in Antwort darauf: "Dann kann ich es ebenfalls nicht." Sie schlossen fast gleichzeitig die Augen für eine prolongierte Sekunde, die Blicke voneinander abwendend, in jedem dieser zwei eng miteinander verbundeneren Herzen eine stille Bitte um Verzeihung an den Anderen gerichtet, dafür, dass sie tun mussten, was sie tun mussten. Itachi in seiner Pflicht, Orochimaru zu Strecke zu bringen; Sasuke in seiner Entschlossenheit, seinen Bruder trotz dessen Widerstrebens dabei zu unterstützen. "Kakashi-san sagte...," durchbrach Sakuras rücksichtsvoll gesenkte, weiche Stimme die über sie hereingebrochene, gewichtige Stille. "Euer Vater hatte an einem überaus gefährlichen, geheimen Fall gearbeitet. Hatte dieser mit Orochimaru zu tun?" Sie erhoffte sich nicht wirklich eine klare Antwort, begreifend, dass sie hier mehr oder minder das dritte Rad am Wagen war, aber auch ihr Entschluss stand schon lange fest. Wenn Sasuke blieb, blieb sie ebenfalls. Komme, was wolle. "Kakashi redet zu viel," murrte Sasuke verstimmt. Was fiel dem Dummkopf überhaupt ein, aus dem Nähkästchen zu plaudern? Wie viel hatte er Sakura erzählt? Und vor allem, warum? "Du redest zu wenig," hielt sie indes sanft dagegen. "Wenn es wirklich so gefährlich ist... solltest du es nicht vielleicht doch besser Itachi-san überlassen?" Anstatt sich hier einzumischen... wäre es nicht vielleicht sinnvoller, wenn sie beide zurücktraten und Itachi machen ließen? Der ältere der Uchiha-Geschwister schien zu wissen, was er tat, würden sie ihn nicht nur stören und behindern, wenn sie jetzt intervenierten? Sasukes Stellung in Anbetracht dieser einen Sache war jedoch unerschütterlich: "Nein." Das konnte er nicht. Er wollte und würde seinen Bruder nicht alleine lassen, nicht mehr. Nie mehr. Sieben Jahre waren mehr als genug. Das junge Mädchen seufzte mild, nickte leicht und wandte den Blick smaragdgrüner Augen zu Itachi. "Ich versehe zwar nicht ganz, was hier wirklich vor sich geht... aber wenn Sasuke-kun bleibt, will ich ebenfalls bleiben." "Sakura-", setzte Sasuke wieder an, doch ihre Sicht wechselte von einem Bruder zum anderen und sie schüttelte den Kopf, ihn unterbrechend: "All die Argumente, die du gerade verwendet hast... Verwende sie nochmal. Nur aus meiner Perspektive." Denn sie konnte und würde ihm genau das Gleiche sagen, was er gerade Itachi gesagt hatte, um diesen zu überzeugen. Wenn Sasuke sie wegschickte und in seiner Jagd nach Orochimaru von der Bildfläche verschwand, würde sie ihn suchen. Sie würde sich auf eigene Faust hinter ihm her aufmachen, und wer wusste schon, was ihr dabei alles zustoßen könnte? Wenn sie ihm etwas bedeutete... wenn er sich ebenfalls beschützen wollte.. hatte er genauso wie Itachi in Bezug auf Sasuke selbst keine andere Wahl, als sie in diesem Unterfangen an seiner Seite zu akzeptieren und auf diese Reise mitzunehmen. Itachis Mundwinkel indes zuckte kaum merklich nach oben und er blickte seinen Bruder mit geruhsamer Amüsiertheit an. "Es scheint, als sitzen wir im selben Boot, 'totou." "Halt die Klappe," warf dieser bissig zurück. Seine an seinen Bruder gerichteten Worte von vorhin waren in Anbetracht des eigenen pinkhaarigen Problems fast schon ein Eigentor und das irritierte ihn natürlich ungemein. Sein Aniki musste es ihm nicht so offenkundig unter die Nase reiben! Der Ältere des Geschwisterpaars stand geschmeidig auf. "Dann machen wir Folgendes. Bis zu den Sommerferien ist's für euch beide nicht mehr lang. Du kurierst dich den Rest der Woche und übers Wochenende hier aus, und dann fahrt ihr zusammen zurück." Bevor ein Protest erhoben werden konnte, erhob Itachi die eigene Hand, um das hitzige Temperament seines Bruders etwas hinzuhalten. "Ab Montag fangen die Prüfungen an, und eure Zeugnisse gefährden werde ich euch nicht lassen." Für Sasuke war es umso wichtiger, denn sein diesjähriges Zeugnis würde auch sein Abschlusszeugnis sein. Aber auch Sakura sollte ihre Versetzung ins nächste und letzte Schuljahr unter keinen Umständen gefährden. "Sobald ihr diese habt, kannst du hierher zu mir ziehen." Platz genug gab es ja. Und irgendwo freute Itachi sich auch, seinen Bruder wieder in seiner Nähe zu wissen, mit ihm zusammen unter einem Dach zu leben. So wie damals... Wieder eine Familie sein. Was dessen bildhübsche Freundin anging... "Sakura, hast du irgendwelche schulischen Aktivitäten, bei denen du herausragende Leistungen bringst?" Auf diese Frage hin legte Sakura ihr schlaues Köpfchen leicht schief. "Leichtathletik." Sie meinte, zu ahnen, worauf Itachi hinauswollte. Konnte er wirklich...? "Meine Trainerin liegt mir schon lange damit in den Ohren, dass ich mich professionell damit beschäftigen sollte. Nur hatte ich bisher kein Interesse." Der junge Mann nickte zufrieden. "Schön. Ich werde zusehen, dass man dich für ein renommiertes Ferientrainingsprogramm in einem Sommercamp hier in Konoha empfiehlt. Wohnen kannst du über die Zeit hier, und was sich danach ergibt, sehen wir dann." Sakuras Gesicht hellte sich auf mit einem breiten Lächeln. "Das wäre super! Danke, Itachi-san!" Sie fragte nicht nach, wieso ein metaphorisches Fingerschnippen von ihm so etwas in Gang setzten konnte, es kümmerte sie auch nicht wirklich. Sie hatte es schon lange begriffen, dass sie es hier mit keinen gewöhnlichen Leuten zu tun hatte, die Sachen, die sie drehen konnten, gingen weit über die Vorstellungen und Möglichkeiten der Ottonormalverbraucher hinaus. "Und, Sasuke." Angesprochener horchte auf, als sein Bruder Wort und Blick wieder an ihn richtete. "Orochimaru hin oder her, ich will dich fürs nächste Jahr an einer Uni eingeschrieben wissen. In Ordnung?" Der jüngere Uchiha hob eine dunkle Augenbraue und schnaubte dann spöttisch-mokant. "Ja, Papa." Sakura gluckste und brach gleich darauf hinter vorgehaltener Hand in gelindes Kichern aus, während Itachi mit einem leichten Schmunzeln den Kopf schüttelte. Sasuke selbst unterdrückte wenig später eher erfolglos ein fideles Grinsen. Sich von seinem Platz erhoben, warf Itachi einen kurzen Blick auf seine stilvolle Armbanduhr. Die Zeiger näherten sich 19 Uhr an, der Tag war lang gewesen, besonders für seine beiden Gäste, alles weitere konnte getrost auch morgen geklärt werden. "Na dann ruht euch gut aus, ihr zwei. Ich wünsche euch eine gute Nacht." Mühevoll ein Gähnen unterdrückend, lächelte Sakura sanft und erheitert, als sie ihre Replik gab: "Gute Nacht, Itachi-san." Sie spürte die Müdigkeit langsam im gesamten Körper und sobald sie sich bei ihrer Mutter gemeldet hatte, würde sie sich unheimlich darauf freuen, ins Bett zu fallen und an Sasukes Seite einzuschlafen. Erwähnter verabschiedete sich gerade ebenfalls für die kommende Nacht von seinem Bruder: "Nacht, Nii-san." Nii-san... huh? Ihr Lächeln wurde umso breiter, die warme Note war subtil und doch schwang sie klar definierbar in jener samtig-dunklen Stimme mit, als Sasuke diese bedeutsamen Silben aussprach. Sie war unheimlich glücklich darüber, dass er seinen Bruder wiederhatte. Dass die beide Geschwister sich wiederhatten. Und dass sie selbst Sasuke wiederhatte. Ungeachtet allem, was war und noch sein würde... sie wollte überhaupt nichts an ihrer jetzigen Situation ändern. Es war perfekt, genauso wie es war. Mit diesem Gedanken war sie im Moment vielleicht allein. Aus dem Zimmer getreten und die Tür hinter sich geschlossen, lehnte Itachi sich einen Moment lang schwerfällig dagegen und fing seine Stirn in seiner Hand auf, als er den Kopf fallen ließ und mit mäßigem Erfolg ein schweres Seufzen unterdrückte. Er hatte Sasuke nicht in all das hier reinziehen wollen... schlimmer noch, das Mädchen jetzt auch? Er fühlte sich mehr als unwohl bei dem Gedanken, ihm war regelrecht übel bei der Vorstellung, was alles schief gehen könnte. Doch sein Unwille hin oder her, die Situation hatte sich jetzt so und nicht anders ergeben... und er würde sie irgendwie zu meistern wissen. Er sollte mit Kakashi reden... und mit Konan. Irgendeine Lösung würde sich schon finden lassen und wenn Sasuke bald wirklich mit von der Partie sein sollte... müssten sie sich ganz genau überlegen, wie er und seine kleine Kirschblüte in all ihre zukünftigen Pläne passten. Kapitel 18: Entschlüsse und Entscheidungen ------------------------------------------ [Mittwoch, 15 Juni, 20:09 Uhr] "Eine weitere Verschlechterung um 1,7 innerhalb von einem Monat. Langsam wird es kritisch." Damit packte Tsunade die Messbrille wieder in ihren scheinbar bodenlosen Ärztekoffer ein und notierte sich ein paar Zeilen auf ihrem kleinen Block. Ihr gegenüber stand Itachi vom Stuhl auf und machte somit Platz für ihren zweiten Patienten, der sich aber nicht sonderlich beeilte, besagten Platz einzunehmen. "Wie lange habe ich also noch?" Er trat zu Gaaras stiller Präsenz nahe der Zimmertür und klopfte dem jüngeren Mann zusprechend auf den Oberarm. Das bewog den Rotschopf dazu, sich Richtung Stuhl aufzumachen, während Tsunade eine Spritze aus deren steriler Verpackung befreite. "Wir liegen jetzt bei rund -10. Deine Netzhaut ist ohnehin sehr überstrapaziert, wenn ich großzügig sein wollte, würde ich noch zwei, drei Jahre sagen. Wenn du aber weiterhin das Sharingan benutzt... je nachdem wie oft und wie lange, kann es schon in einigen Monaten Licht aus bedeuten." Ohne etwas zu erwidern begab sich Itachi ins angrenzende Badezimmer, um sich mit ein paar geübten Handgriffen geschwind die Kontaktlinsen, die mittlerweile fast zu einem Bestandteil seines Körpers geworden waren, einzusetzen. Ohne war er so gut wie blind und umgeben von nichts außer einer Verschwommenheit aus Linien und Farben, es sei denn er aktivierte sein Sharingan. Doch genau dieses verfluchte Blutrot war es, das ihn langsam einer absoluten Erblindung entgegenführte; seit seiner Flucht aus Orochimarus Labor hatte sich seine Sehkraft stetig um anormal enorme Mengen verschlechtert. Kurzsichtigkeit, herbeigeführt durch einen zu langen Augapfel, führte nur in seltensten Fällen zu vollständigem Sichtverlust: normalerweise war der Abfall der Sehkraft sehr gering und stoppte bei vielen komplett, sobald das Auge aufhörte, zu wachsen und sich dementsprechend nicht mehr in die Länge zog. Eine durch einen zu langen Augapfel gespannte Netzhaut konnte eventuell reißen und sich ablösen, was zur Erblindung führen wurde, doch dafür waren beachtliche negative Dioptrien nötig. Für ihn war die Gefahr echt und imminent, denn seine Messung von -10 war bereits risikoreich an sich, und es schien kein Ende für die rapide Verschlechterung zu geben. Er wusste nicht, warum es damit keine Probleme gab, als er noch in Orochimarus Laboren festsaß, die einzige Erklärung war, dass der medizinversessene Psychopath dem rapiden Sehkraftrückgang irgendwie Abhilfe geschafften hatte. Nur wie, das war ein Rätsel, von dem Itachi nicht sicher war, dass er die Lösung wissen wollte. Tsunade hatte ihm die Möglichkeit von einer OP oder vielleicht gar einer Transplantation zu Gemüte geführt, doch das war für den jungen Uchiha ebenfalls keine wirkliche Option. Zu einem war da Gaara, für den Itachis Sharingan das einzige zuverlässige Sicherheitsnetz war, denn trotz all ihrer Forschungen und Untersuchungen waren Tsunade und ihr Team immer noch nicht der Entschlüsselung der ihm von Orochimaru zugefügten biologischen Veränderungen näher gekommen, geschweige denn ein Remedium dafür gefunden. Zum anderen war da die Gefahr, dass Orochimaru mehr lebendige Zerstörungsmaschinen kreiert hatte, gegen die wiederrum und einmal mehr Itachis Sharingan die effektivste Waffe zu sein schien. Sicherlich konnte man ein solch übermenschlich starkes Geschöpf mit den richtigen Mitteln zu Strecke bringen, denn trotz seiner Stärken war Gaara gewiss nicht unverwundbar oder kugelfest. Doch er war immer noch ein menschliches Wesen, eins, das keine Schuld daran trug, dass er zu dem gemacht wurde, was er nun war. Er war ebenfalls nur ein Opfer, genau wie Itachi selbst. Er verdiente es nicht gleich irgendeinem Monster gejagt und gelyncht zu werden, wenn, dann gebührte diese Bezeichnung und diese Art Handhabung Orochimaru und keinem anderen. Itachi war fest entschlossen, den Mistkerl zu finden und ihm das Handwerk zu legen und dafür würde er diese Augen brauchen, ganz gleich, welchen Preis er dafür zahlen musste. Noch hatte er Zeit, nicht allzu viel, aber noch hatte er sie und er würde sie nutzen. Wenn er selbst nicht mehr zu retten war, konnte er trotzdem noch zahlreiche andere retten, indem er Orochimaru und dessen Wahnsinn ein Ende bereitete. Als er wieder aus dem Bad schritt, presste Tsunade gerade einen kleinen Wattebausch gegen Gaaras Armbeuge, bevor die letzte der insgesamt drei blutgefüllten Spritzen in ihrem treuen Koffer zu verstauen. Der emotionslose Gesichtsausdruck des Rothaarigen verriet absolut gar nichts, nichtsdestotrotz verweilte Itachi im Raum, bis die Routineuntersuchung seines schweigsamen Leibwächters ebenfalls abgeschlossen war. "Ist deine Insomnie irgendwie besser geworden, Gaara-kun?", erkundigte Tsunade sich beiläufig, nachdem sie fertig war und ihr Stethoskop wegpackte, um ihren Koffer letztendlich zu schließen. Daraufhin erhielt sie ein Kopfschütteln, was sie mit einem Seufzen quittierte, indes sich ihr Patient wieder in seine Oberbekleidung einhüllte. "Nun, zumindest scheint sie in der Tat keinerlei negative Auswirkungen auf deine physische Gesundheit zu haben." Was an sich ein Wunder war, denn für jemanden, der nur ein paar Stunden im Monat schlief, war der junge Mann vor ihr in ausgezeichneter körperlicher Verfassung. Ob er wirklich keinen Schlaf brauchte oder einfach nur aus irgendwelchen anderen Gründen wachblieb, da sein Organismus es ihm erlaubte, war ein Rätsel und Gaara selbst äußerte sich nicht dazu. Er äußerte sich überhaupt sehr selten zu irgendetwas, was eine medizinische Arbeit an seinem Fall ungemein erschwerte. Nichtsdestotrotz respektierte Tsunade seinen Widerwillen, sich ausgiebigen Tests und Beobachtungen zu unterziehen und dazu zwingen würde ihn hier sicherlich keiner. Itachi war in der Hinsicht zwar ein wenig kooperativer, dennoch stieß ein medizinisches Vorgehen auch bei ihm ziemlich schnell auf unerklimmbare Barrieren. Ein Grund, warum sich nur Tsunade einen von ihnen mit Arzneikoffer in Hand nähern durfte, war, dass sie ein feines Gespür für solche Barrieren hatte und genau wusste, wann sie eine professionelle Distanz halten sollte. Sie würde einfach mit dem arbeiten müssen, was sie hatte - unermüdlich und verbissen, weil sie ihnen helfen wollte. Das war ihre Pflicht als Ärztin, wichtiger noch, das war ihre Pflicht als Mensch. Diese zwei hatten so viel gelitten... irgendwas musste sie für sie tun können. Doch für heute war ihre Arbeit hier getan, also verabschiedete sie sich und verließ das Haus, wenn der Minutenzeiger der Uhr an ihrem Handgelenk den halben Weg hinter die Neun auf dem Ziffernblatt rutschte. Ihr kleiner aber feiner Zweisitzer wartete geduldig in der Einfahrt des Hauses und zwinkerte ihr heiter mit den Blinklichtern zu, nachdem sie den kleinen Knopf an ihrem Autoschlüssel betätigt hatte. Die hintere Beifahrertür aufgemacht verstaute sie vorsichtig ihren Koffer auf dem Rücksitz und ließ besagte Tür gerade mit einem leisen Geräusch wieder zufallen, als eine wohlbekannte Stimme hinter ihr erklang: "Tsunade." Sie drehte sich um und ihre Mundwinkel zuckten vage nach oben. "Kakashi. Lange Zeit nicht mehr gesehen." Kein wirkliches Wunder, der Mann war ständig irgendwo unterwegs und manchmal fragte sie sich, ob er überhaupt je wirklich zu Ruhe kam. Nicht, dass sie seine Motivationen nicht verstand, aber dennoch... "In der Tat. Und, sind alle Kids wohlauf?" Sie schnaubte belustigt und lehnte sich leicht gegen ihr Auto, die Arme vor der Brust verkreuzt. "Definiere wohlauf." Witze hin oder her, sie wusste, seine Sorge war echt. "Es geht allen den Umständen entsprechend gut. Was ist mit dir?" Die Augenbraue erhoben, zeichnete sich ein vages Lächeln unter seiner Maske ab. "Was soll mit mir sein?" Tsunades eigene Augenbrauen rutschten augenblicklich tiefer der Nasenbrücke entgegen. "Lass den Unsinn. Du weißt genau, was ich meine." Dabei nickte sie leicht in Richtung seiner verdeckten Gesichtshälfte. Kakashi schmunzelte, die Stimme geruhsam. "Ah, das. Keine Sorge, es bereitet mir keine wirklichen Probleme mehr. Du und dein Team haben wirklich ganze Arbeit geleistet." Die vollbusige Blondine entspannte sich etwas, auch wenn ihr Ton eine leichte Note Verdruss enthielt. "Ich bin immer noch der Meinung, dass es zu gefährlich ist. Ganz egal, wie viel Nutzen es dir auf deinen Missionen bringen kann, die gesundheitlichen Auswirkungen könnten-" Er hob beschwichtigend die Hand und sie verstummte. Kakashi trat näher und legte ihr die Hand auf die Schulter, um sanft zuzudrücken. "Ich weiß. Ich weiß." Tsunade schüttelte daraufhin mit einem resignierten Seufzen den Kopf. Männer... Nie hörten sie auf einen, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatten. "Ich meine es Ernst, Kakashi. Fugaku ist tot, Jiraiya wie vom Erdboden verschluckt. Und Minato-" Sie brach ab und biss sich auf die Unterlippe. "Die gesamte Organisation liegt nun auf Itachis Schultern. Er und sein Team, sie sind alle noch so jung. Du und ich, wir sind die Einzigen, die noch geblieben sind, um sie zu unterstützen. Deswegen..." Sie suchte den Blick seines Auges, verzweifelt und resolut zugleich. "Setz dein Leben nicht unnötig auf Spiel, okay? Sie brauchen dich. Und ich-" Sie brach abrupt ab, die Hand auf ihrer Schulter drückte diese ein wenig fester. "Ich weiß," wiederholte er leise, was ihr ein schiefes, irgendwie bitteres Lächeln entlockte. "Tust du das...?" "Tsunade-" "Jedenfalls," schnitt sie ihn abrupt ab und drehte sich energisch zur Fahrertür und demensprechend aus seinem Griff. "Du solltest beim Labor vorbeischauen, solange du in der Gegend bist. Ganz egal, ob es dir Probleme bereitet oder nicht, eine Routineuntersuchung würde trotzdem nicht schaden." Sie schlüpfte geschwind ins Innere des Autos, ohne seine Antwort abzuwarten. Wenig später schaute Kakashi den roten Rücklichtern nach, und atmete schwer aus. Die Hand erhoben berührte er sein unter dem Stoff verdecktes Auge, oder das, was nunmehr als solches zählte. "Aye-aye, Ma'am," flüsterte er in den Wind hinein, kurz danach auf dem Weg zu seinem eigenen Auto. Was für ein Tag... Etwas, was auch Sakura von den heutigen Ereignissen sicherlich sagen würde. Gerade dabei, aus dem Bad zu steigen, spürte sie jetzt allzu deutlich die enorme Müdigkeit in allen Knochen, dem Prospekt des baldigen Zubettgehens freudig entgegen blickend. Sie hatte wie versprochen ihre Mutter angerufen und diese nach vielen zusammengesponnen Erklärungen und einer Menge Notlügen dazu gebracht, ihr einen mehrtägigen Aufenthalt außerhalb des Zuhauses zu erlauben. Im Endeffekt hatte die ehemalige Frau Haruno keine wirkliche Wahl, sie wusste weder wo ihre Tochter war noch hatte sie die Möglichkeit, zu kommen und sie gewaltsam mit nach Hause zu nehmen, sie musste sich also darauf verlassen, dass ihr ausreißerisches Kind wusste, was es tat. Sie hatte Sakura nur das Versprechen abgenommen, Montag unbedingt nach Hause zu kommen, denn das war der Tag, an dem Ryuutarou von seiner Geschäftsreise zurückkehrte und niemand brauchte den Ärger, wenn der Mann anfing, sich zu wundern, wo seine Stieftochter steckte. Im Moment machte sich Sakura aber überhaupt keine Gedanken um ihren heißgehassten Adoptivvater, sondern schlüpfte in ihren mitgenommen Schlafanzug, föhnte ihre Haare trocken und trat aus dem Bad in die vergleichsweise Kühle des Schlafgemachs, den sie sich für die nächsten Tage mit Sasuke teilen würde. Irgendwo brachte der Gedanke ihr kleines Herzchen zum schnelleren, fast verlegenem Flattern, mit etwas eifriger Fantasie im Spiel war es ja beinahe so, als wären sie ein richtiges Paar, das zusammenlebte. Für die nächsten paar Tage zumindest. Sie verstaute das bisschen ihrer Kleidung in den großen Schrank und sobald sie die Tür wieder zumachte, fand sie sich mit dem eigenen Ebenbild im an selbiger Tür montiertem Spiegel konfrontiert. Sie zupfte hier und da an ihren sanftrosa Haaren und strich mit den Händen über die seidige Oberfläche ihrer Flanellpyjamas, gehalten in reinem Weiß mit einem passenden, pinken Rosenmuster drauf. Sie war ein wenig nervös, alles in allem würde das hier gerade mal ihre zweite Nacht zusammen sein, aber es fühlte sich so an, als ob sie und Sasuke in den wenigen Tagen, in denen sie sich kannten, mehr erlebt und durchgemacht hätten, denn andere Pärchen es durch Jahren der Beziehung hindurch taten. In den meisten Fällen zumindest. Sie hatte Sasuke ihre Liebe gestanden, vielleicht nicht gerade auf die romantischste Art und Weise und dann auch noch vor einer relativ großen Gruppe Menschen, doch die Gefühle waren echt, auch wenn er es seinerseits als verrückt abgestempelt hatte. Irgendwo steckte da wohl auch ein Körnchen Wahrheit drin, sie kannten sich nicht mal zwei Wochen und sie erschlug ihn bereits mit solch gewichtigen Sachen wie ihrer traurigen Lebensgeschichte, ihrer verdrehten Situation in und außerhalb der Schule und einem völlig ernstgemeintem Liebesgeständnis. Sie konnte sich nicht helfen, alles an ihm faszinierte sie einfach, umso mehr nach den ihr von Kakashi anvertrauten Enthüllungen über seine Vergangenheit. Sasuke hatte eine Stärke an sich, die weit über die rein körperliche hinaus ging und das machte ihn noch attraktiver, als er ohnehin schon war. In ihren Augen zumindest. Jedoch hatte sie selbst immer noch keine wirkliche Vorstellung davon, was Sasuke von ihr hielt oder wie er zu dieser ganzen, verworrenen Sache zwischen ihnen stand. Er hatte sie nicht davongejagt, sogar zugestimmt, dass sie hier blieb, widerwillig wie es gewesen sein mochte. Er schien ihre Nähe zu wollen und dann irgendwie auch wieder nicht, er beschützte sie oder war das einfach nur aus einem Gefühl der Verantwortung heraus? Seine Worte und seine Taten konterkarierten sich mehr als das sie Sinn ergaben und sie wunderte sich, was seine Antwort sein würde, wenn sie ihn einfach nur direkt fragte. Handkehrum fürchtete sie sich aber auch vor besagter Antwort und vielleicht brauchte er einfach nur etwas Zeit. Immerhin ging gerade so einiges in seinem Leben vor, er hatte seinen Bruder wieder und hatte offenbar irgendwelche Wahrheiten erfahren, die mit irgendwelchem Orochimaru zu tun hatte und irgendwie total gefährlich waren. Sie machte sich Sorgen, wollte aber nicht zu viel bohren. Zumindest für den Augenblick. Tief in Gedanken versunken, bemerkte sie kaum, wie Sasuke das Zimmer betrat. Er hatte draußen noch kurz Kakashi gesprochen, bevor der Mann wieder einen ninjaähnlichen Abgang hatte machen können, wie er es sonst sooft tat. Insofern fuhr Sakura leicht zusammen, wenn ein starker Arm vorne um ihre Schultern griff und blickte erschrocken in den Spiegel, nur um neben ihrem auch Sasukes Gestalt dort zu entdecken. "Du hast mich erschreckt," lachte sie leise auf und hob eine Hand, um diese sanft auf seinen Unterarm zu legen, der entlang ihres Schlüsselbeins ruhte. "Bist du dir sicher, dass du hier bleiben willst?" Sie nickte und lehnte sich bereitwillig gegen den athletischen Körper hinter ihr, ohne den Blick von der Reflektion seiner tiefschwarzen Augen im Spiegel vor ihnen abzuwenden. Sie fühlte sich behaglich warm und geschützt in seinem lockeren Griff, was nur die Empfindung verstärkte, dass sie diesen eigentlich nie wieder verlassen wollen würde. "Kakashi kann dich morgen wieder mitnehmen und Zuhause absetzten." Sie schüttelte den Kopf und drehte selbigen wenig später, um über die eigene Schulter zu ihm aufzuschauen. "Ich bin mir sicher. Ich will hier bleiben. Bei dir." Eine Hand hatte sie noch frei und diese berührte sogleich mit ihren Fingerspitzen seine Wange, eine hauchzarte Anregung, welcher er folgte. Den Kopf leicht geneigt, fanden seine Lippen zu ihrem samtweichen Paar, ein sachter und geruhsamer Kuss, der Sakura genüsslich die Augen schließen ließ. Nein. Nein, sie wollte ganz sicherlich nichts mehr hiervon missen. Wie lange sie so dort standen, kümmerte sie nicht zu wissen, lediglich ein luftiges, wohliges Seufzen verließ ihr formschönes Näschen, wenn sie sich wieder lösten. Was genau daran ihn zum leichten Schmunzeln verleitete, konnte sie nicht sagen, sie fühlte sich nur ein wenig enttäuscht, als er sie wieder losließ, um sich wenige Schritte später beim Bett einzufinden. Bekleidet in schwarzer Unterhose und einer eigenartigen Art Tanktop aus fest anliegenden, schneeweißen Bandagen fand er sich wenig später im Bett aufsitzend und mit der Decke im Schoß ein, während Sakura den Lichtschalter betätigte, sodass die einzige Lichtquelle der weiche, sanft-gelbe Schein der beiden Nachttischlampen zu jeder Seite des Möbelstücks blieb. Sie stieg dann ebenfalls auf die Matratze drauf und rutschte näher zu ihm, nun neben ihm auf ihren Fersen sitzend. "Ne... Magst du mir vielleicht wenigstens ein bisschen davon verraten, was hier eigentlich vor sich geht?", stellte sie eine genügsame Frage mit der Hoffnung darauf, dass er ihrer Bitte nachgehen würde. Sasuke sagte einen Moment lang gar nichts und lehnte sich dann gegen das Kissen zurück, um das Mädchen vor sich kurz schweigend zu mustern. "Wie viel hat dir Kakashi eigentlich von mir und Itachi erzählt?", erwiderte er dann letztendlich mit einer Gegenfrage, woraufhin Sakura brav all das wiedergab, was sie von dem silberhaarigen Mentor ihres Freunds erfahren hatte. Am Ende ihrer Erzählung schaute Besagter eher mürrisch, doch nun, es gab nichts, was er an ihrem Wissenstand die Ereignisse seiner Vergangenheit betreffend nunmehr ändern konnte. "Dieser Orochimaru, den du und dein Nii-san erwähnt hatten... Er ist verantwortlich, oder? Dafür, was mit deiner Familie passiert ist?" Sakura wählte ihre Worte so vorsichtig wie möglich, einerseits wollte sie unbedingt wissen, wie genau es alles miteinander verlinkt war, andererseits wollte sie vermeiden, zu sehr in alten Wunden zu stochern. "Dafür, und für so einiges mehr." Die klare Bitterkeit in der geschmeidig tiefen Tonlage seiner Stimme bekräftigte die Aussage ungemein. Noch eine kurze Pause, noch ein langer Blick auf die pinkhaarige Schönheit vor ihm und dann bot er ihr endlich einen Großteil der vielen überwiegend grausamen Wahrheiten an, die er heute gelernt hatte. Sakura lief es kalt den Rücken runter, als sie erfuhr, wo Itachi die letzten Jahre über war, warum er sich nie bei seinem jüngeren Bruder gemeldet hatte und was ihm und Gaara in Orochimarus Fängen alles zugestoßen war. Sie fand sich in blankes Entsetzen gehüllt ob der Tatsache, das es dort draußen wirklich Individuen gab, die anderen Menschen so etwas antaten... die dermaßen mit dem Leben anderer spielten und die so skrupellos an fremden Körpern und Gesundheit rumhantierten. Ein Monster... Orochimaru war eine regelrechte Bestie und das klammkalte Gefühl der Furcht vor dieser unbekannten Bosheit, die er war, nistete sich umgehend in ihrem Herzen ein. Sie würde jenem Mann nie in ihrem Leben begegnen wollen. Eine Gesinnung, die Sasuke allzu klar in ihrem Gesicht ablesen konnte, sobald er mit seiner kurzen Erzählung fertig war. "Verstehst du jetzt, warum es so gefährlich ist?" Er hoffte sehr, sie war sich jetzt besser dessen bewusst, worauf sie sich eigentlich einließ, wenn sie wirklich bei ihm blieb. Vielleicht würde es genug sein, um sie dazu zu bewegen, ihre Entscheidung nochmals zu überdenken, obschon ein kleiner Teil von ihm irgendwo darauf hoffte, dass ihr Entschluss nicht wanken würde. Was lächerlich war. Es wäre besser für alle, wenn sie zwei ihre getrennten Wege gingen... Vor allem wäre es besser für sie. Sakura blickte runter auf ihre Knie, ein leises "Ja..." flatterte von ihren Lippen. Sie verstand jetzt um so einiges besser. "Dann fährst du morgen heim?" Doch bei diesem geruhsamen Fragesatz von ihm schaute sie wieder auf, ein feines aber festes Lächeln auf den Lippen. "Nein. Ich sagte doch, ich bleibe bei dir. " In seine Augen blickend wusste sie nicht, warum diese sich auf einmal mit fast schon so etwas wie Verdruss verengten. "Dummes Gör. Warum?" Trotz der Barschheit klang er irgendwie fast verdutzt, was Sakura überrascht die Brauen heben ließ. "Ich habe es dir vorhin schon gesagt. Ich liebe dich, du starrköpfiger Idiot." Das bewegte Sasuke dazu, sie verstimmt anzublitzen. "Du kannst das nicht einfach so dahersagen. Das ist keine magische Antwort auf alles," knurrte er frustriert auf. Was lief bei diesem Mädel eigentlich falsch? Wie konnte sie-! Mir nichts, dir nichts-! Er lehnte sich reflexartig noch weiter gegen das Kopfende des Betts zurück, als sie sich plötzlich nach vorne kippte und, die Hände vor sich in die Matratze gestützt, sich zu ihm vorbeugte, sodass ihre smaragdgrünen Augen auf einmal nur einige Zentimeter von den seinigen entfernt waren. "Ich sage es nicht einfach so daher. Ich meine es ernst, aber wenn du mir noch nicht glauben kannst, verstehe ich das auch." Immerhin kam es in der Tat schnell und unerwartet. Aber sie würde es ihm beweisen - dass sie es ernst meinte. Taten sprachen lauter als Worte, sie konnte ihm so oft die Liebe gestehen, wie sie wollte, was wirklich zählte, war, dass sie es ihm auch zeigte. Deswegen würde sie hier bleiben. An seiner Seite. Ganz egal, wie gefährlich es war. Ganz egal, was passieren mochte oder was er tun oder sagen würde. Wenn sie es in irgendeiner Weise konnte, würde sie ihn trotzdem unterstützen. Bei allem, was er zu tun vermöge. Ihr störrischer Blick, voller Entschlossenheit und ehrlicher Zuneigung, brachte seine stattlichen Gesichtszüge dazu, sich ungewollt wieder etwas zu glätten. Vielleicht war sie einfach wirklich nur verrückt. Vielleicht meinte sie es auch wirklich einfach nur ernst. Die zweite Option fand er schlimmer. Schlimmer, weil er dann... "Du verstehst gar nichts," schüttelte er letztendlich resigniert den Kopf. "Überhaupt nichts." Sie war so naiv, es war fast schon wieder süß. Bittersüß, eher... Sie wusste doch überhaupt nicht, worauf sie sich mit ihm einließ. Mehr noch, er hatte keinen blassen Schimmer, worauf er sich mit ihr einließ. Wollte er das wirklich wissen...? Sakura rutschte näher zu ihm und nistete sich neben ihm unter der Decke ein, erfreut darüber, dass er trotz seiner Worte einmal mehr fügsam kooperierte, als eins seiner Arme sich sicherheitsspendend um sie schlang, sobald sie sich an seine Seite gekuschelt hatte. Das Gesicht erhoben, blickte sie für einen Moment in sein ansehnliches Profil. "Dann erklär es mir. Bitte erkläre es mir, Sasuke... Warum bist du so versessen darauf, mich loszuwerden?" Ihre Stimme sank zu einem beinahe-Flüstern ab, vermischte Noten von Verletzlichkeit und Unverständnis mit denen der Hoffnung und Nervosität. Sie wollte die Antwort, sie fürchtete sie. Sie wusste, sie sollte achtsam ob seiner Wunden sein, doch die Angst, weggestoßen zu werden, war stärker. Es brachte sie dazu, sich nur noch fester an ihn zu klammern. Der lebensspendende Muskel in ihrer Brust flatterte wild und hilflos wie ein Schmetterling im Spinnennetz, umso mehr wenn er den Kopf zu ihr drehte und seine Lippen dann kurz gegen ihre Stirn presste. Etwas an dieser unverfälschten, simplen Geste... war beinahe schmerzvoll herzergreifend. Sie liebte ihn... Kein Funken Zweifel, sie liebte ihn. Sein warmer Atem strich weich gegen die Haut ihrer Stirn, seine Worte leise und beherrscht. "Ich will dich nur in Sicherheit wissen, das ist alles." Das entlockte Sakura ein unbeholfenes Auflachen. "Und du meinst alleine in Ikibukoro wäre ich sicher? Bei meinem Stiefvater? Bei Seiichiro?" Wenn sie könnte, würde sie dort nie wieder zurückkehren wollen, und wenn sie es tun musste, dann nur mit Sasuke. Nur mit ihm, egal wohin, solange es mit ihm war... "Ich bin am sichersten, wenn ich bei dir bin." Das hatte sie in den wenigen Tagen, in denen sie sich näher gekommen waren, sehr schnell und sehr klar verstanden. Er hatte sie gerettet, sie beschützt, vor Seiichiro, vor ihrem eigenen falschen Selbst, vor all den Dämonen, ob den echten oder den unsichtbaren, die räuberisch um sie herum schlichen. Er atmete langsam aus und stützte sein Kinn leicht an ihrem Haarschopf auf. "Unsinn. Ich kann nicht-" Wie konnte er es ihr verständlich machen...? Er hasste es, in den eigenen Emotionen zu wühlen und noch mehr hasste er es, zu versuchen, sie anderen zu vermitteln. Wieso musste sie in sein Leben treten? Wieso war er nunmehr so versessen darauf, sie in diesem zu behalten? Hübsches Antlitz an seiner strammen Schulter versteckt, brachte Sakura nicht mehr als ein Wispern heraus. "Du kannst nicht...?" Was konnte er nicht? Wieso waren ihre Worte Unsinn, ihre Gefühle Verrücktheit in seinen Augen? "Ich kann dir nichts garantieren. Und wenn dir etwas passiert, wird es meine Schuld sein. Ich bin mir nicht sicher-" Ugh. Seine Worte machten keinen Sinn, oder? Wieso war es so schwer, etwas zu erklären, obwohl man selbst genau wusste, was man meinte? "Ich weiß nicht, ob ich dich wirklich beschützen kann. Deswegen ist es dumm. Du bist dumm, darauf dermaßen zu vertrauen. Mir dermaßen zu vertrauen." Die Last von solch einer Verantwortung... sie war erheblich und einschüchternd. Wenn ein anderer Mensch darauf baute, dass man ihn beschützen würde, wenn er sein eigenes Leben zutraulich in deine Hände legte... wie sollten sie nicht zittern ob solcher gewichtigen Zerbrechlichkeit in ihrem Griff? Ja, er war stark. Er konnte auf sich selbst aufpassen, er fürchtete sich vor kaum etwas, er gab nie nach, er gab nie auf. Doch bisher gab es niemanden, außer ihn selbst, allein sein war einfach, allein sein war sicher. Unkompliziert, vertraut. Eine andere Person an sich gebunden zu haben, das war... beängstigend. Konnte er sie wirklich beschützen? Würde seine Stärke reichen, seine Geduld, seine Gefühle, sein ganzes Sein... war es genug für zwei? "Es tut mir Leid...", wisperte Sakura nach einer kleinen Pause, die Stimme gedämpft und leicht zittrig ob des emotionellen Mahlstroms tief drin. "Ich wollte dir nicht zu Last fallen..." Es war zwar schön und gut, dass sie sich bei ihm sicher fühlte, aber sie hatte es bisher nicht wirklich realisiert... Jemanden sich sicher fühlen zu lassen, jemanden zu beschützen... das war eine enorme, beachtliche Aufgabe. Eine, von der sie einfach erwartete, dass Sasuke sie übernahm. Das war nicht fair... und dennoch... Dennoch... Sie sprach schneller, sodass sich die Worte in ihrem luftigen Flüstern beinahe überschlugen. "Aber... Ich werde gut aufpassen... Ich werde stärker werden..." Sie würde hart an sich arbeiten... an sich, und daran, seiner würdig sein zu können. "Ich verspreche, ich werde dir keine Bürde sein... Ich-" "Shhh. Schon gut." Seine nachsichtige, sanfte Aufforderung brachte sie erfolgreich wieder zum Verstummen. "Wir kriegen das schon irgendwie hin." Eine bestimmte, nahezu ermunternde Aussage, die ihr fast die Luft abschnitt und ihr beinahe die Tränen in die Augen trieb. Sie wusste nicht, ob sie ihn wirklich verdiente. Er konnte so viel für sie tun, hatte es bereits getan und tat es immer noch, aber sie... was konnte sie für ihn tun? Konnte sie ihm Sicherheit geben? Helfen, seine Wunden zu heilen, ob sichtbar oder die, die tief in Inneren versteckt waren? Konnte sie ihn glücklich machen? Fragen, auf die sie keine Antworten hatte, aber sie würde nicht aufgeben, bis dem so war. Bis sein Herz genauso schnell für sie schlug, wie ihres es bereits für ihn so eifrig tat. Bis sie ihn zum Lachen und Lächeln bringen konnte, bis er in ihren Armen alles finden konnte, was er zu brauchten vermochte. Bis sie beide die letzten Schichten ihrer Mogelpackung ablegen konnten und sich frei von Verhüllungen fanden, und sei es einzig vor den Augen voneinander. Bedeutsame Gedanken, die in ihrem Kopf rumschwirrten, bis die Nachtmusen sie in die Schläfrigkeit und die Lände ihrer Träume entführten, als sie in den Armes des Menschen einschlief, der jene Träume vollends besaß. Wo das Licht noch brannte und niemand an Schlaf dachte, war Itachis Arbeitszimmer. Der Mann selbst stand am bodenlangen Fenster hinter dem Schreibtisch und schaute hinaus auf den sternenübersäten Himmel, die kleine Figurine des Neumonds ein heller Fleck auf dem endlosen Schwarz. Konan stand am besagten Schreibtisch, locker mit der Hüfte gegen den Rand des Möbelstücks gelehnt und Gaaras stille Präsenz verweilte wie so oft nebst der geschlossenen Zimmertür. "Und es findet morgen statt?" Konan nickte, ihr geruhsamer weiblicher Sopran untermalt mit einer leichten Note Besorgnis: "Ja. Und ich bin immer noch der Meinung, das wir es Kakashi-san überlassen sollten. Es ist viel zu riskant, wenn-" "Orochimaru wird dort sein, oder?", unterbrach der junge Uchiha sie bedacht aber resolut, was an sich weniger eine Frage, sondern eine klare Untermalung seines Entschlusses war. "Ja," gab die junge Frau ergeben ihre Zustimmung. "Er ist was man wohl einen Stammkunden nennen kann. Dort erwirbt er die meisten seiner... Versuchsexemplare." Sie sah es zwar nicht, aber sie konnte sich den abrupt versteiften Gesichtsausdruck auf jenen fein geschliffenen Gesichtskonturen gut vorstellen, wenn nicht im Glas des Fensters reflektierte die Verstimmung in der Schärfe seiner Stimme. "Umso mehr Grund für mich, dort zu sein." Die Monstrosität, von der hier die Rede war, trug einen genauso monströsen Namen: Menschenhandel. Sie waren dem Händlerring seit über einem halben Jahr auf den Fersen gewesen, einer der Agenten arbeitete als verdeckter Ermittler inmitten jenen Abschaums und vor kurzem hatten sie endlich konkrete Informationen darüber erhalten, wo der nächste Verkauf von Menschenleben stattfinden würde: morgen Abend in einem von Konohas Außenbezirken. Das Orochimaru seinen Vorrat an menschlichen Versuchskaninchen dort auffrischen würde, war ebenfalls bestätigt und allein der Gedanke daran brachte Itachis Blut unter seiner gleichmütigen Fassade zum jähzornigen Kochen. "Kakashi ist ohnehin viel besser dafür geeignet, der Sache in Keisha auf die Spur zu gehen." Keisha war eine von Hinokunis größten Städten, knapp vier Stunden Fahrt von Konoha entfernt. Auch aus der Richtung hatten sie eine unmutige Mitteilung erhalten, mit der einen beunruhigenden Anmerkung, die Konan ihm sogleich nochmal vor die Augen führte: "Aber wenn tatsächlich ein weiterer Jinchuuriki dort aufgetaucht sein sollte, wärst du dort viel eher gebraucht." Obschon ihr die Vorstellung davon, dass er unter Umständen sein Sharingan anwenden müsste, nicht behagte. Andererseits würde er das bei einem Zusammentreffen auf Orochimaru höchstwahrscheinlich ebenfalls tun... Konan war besorgt. Sehr besorgt, aber viel mehr, denn ihre Rolle als seine Beraterin zu erfüllen, stand nicht in ihrer Macht. Sie wünschte, es gäbe mehr, was sie tun könnte. Sie wünschte es so sehr. "Die Berichte waren nicht genau genug, um das anzunehmen. Kakashi soll einfach nur Nachforschungen anstellen und bestätigen, ob dem wirklich so ist." Niemand hatte ein besseres Gespür, als Kakashi und niemand war besser dafür geeignet, Fährten zu verfolgen, der Mann hatte eine absolute Begabung auf dem Gebiet der Spionage. "Sollte er wirklich auf einen Jinchuuriki stoßen, soll er unter keinen Umständen etwas aktiv unternehmen, sondern sich einfach auf die Lauer legen und warten, bis ich weitere Schritte einleite." Eine sehr logische Lösung, wie nicht anders von Itachi zu erwarten. Konan unterdrückte ein Seufzen und gab sich geschlagen, es schien ohnehin nicht so, als könne sie etwas an seiner Entscheidung ändern. "Dann lass mich wenigstens mitkommen. Es ist Orochimaru, von dem wir hier reden. Wer weiß, was für Tricks er auf Lager hat." Daraufhin erhielt sie einmal mehr ein resolutes: "Nein", gefolgt von einer sanftmütigen und wahrheitsgetreuen Begründung: "Ich will dich nicht unnötig in Gefahr bringen. Außerdem bräuchte ich jemanden, der hier bleibt und ein Auge auf Sasuke behält." Er wusste, das war ihrem Kummer keine allzu große Abhilfe, deswegen fügte er beruhigend hinzu: "Keine Sorge, mir wird nichts passieren, besonders mit Gaara an meiner Seite." Das war ebenfalls ein weiterer Grund, warum Itachi niemanden sonst mit auf diese Mission nehmen wollte, er und Gaara waren mehr als genug. Sollte es wirklich hart auf hart kommen, würden andere ihnen beiden ohnehin eher im Weg denn eine Unterstützung sein. "Okay. Aber eine Sache noch... ich denke, wir sollten Sasuke mit Kakashi-san schicken." Diese Aussage bewegte Itachi letztendlich dazu, sich vom Fenster abzuwenden und zu Konan zu drehen. "Bitte?" Meinte sie das Ernst? Das tat sie, und erklärte alsbald auch ihr Motiv dafür: "Sollte er irgendwie davon erfahren, was du und Gaara-kun vorhabt, wird er mit von der Partie sein wollen. Es wäre ungefährlicher, ihn mit Kakashi-san nach Keisha gehen zu lassen. Das wird ihm das Gefühl geben, dass du ihn ernsthaft in die Suche nach Orochimaru einbeziehst und ihn gleichzeitig von der eigentlichen Gefahr weghalten. Wenn Kakashi-san sowieso nur Informationen sammeln und Recherchen anstellen soll, wird es sicherer sein, Sasuke mit ihm zu schicken als ihn hier zu behalten." Der junge Kommandant runzelte nachdenklich die Stirn. "Damit bist du definitiv an etwas dran." Sie kannte Sasuke nicht sehr lange, aber ihre ausgezeichneten analytischen Fähigkeiten schienen bereits ein sehr exaktes Bild seiner Persönlichkeit erfasst zu haben; Itachis jüngerer Bruder war in der Tat niemand, der lange untätig herumsitzen konnte. Er würde wissen wollen, wohin Itachi und Gaara sich morgen aufmachen würden, und anstatt ihn anzulügen und sich dabei womöglich zu verraten, wäre es sicherlich besser und ungefährlicher, ihn mit Kakashi zu entsenden. Ein Haken war da aber noch. "Was ist mit seiner Freundin?" Sakura würde er sicherlich nicht mitnehmen wollen, und Nachforschungsmission hin oder her, das Mädchen mit ihnen beiden zu schicken könnte auch Itachi selbst nie verantworten. Konan lächelte ihn zuversichtlich an. "Überlass das Mädchen ruhig mir." Sie hatte just die perfekte Beschäftigung für die Kleine im Sinn. Nun, damit, es seiner treuen Strategin zu überlassen, hatte Itachi seinerseits kein Problem. "Alles klar. Danke, Konan. Ich verlass mich auf dich." So wie er es immer tat. Die junge Frau neigte leicht und respektvoll den Kopf. "Gewiss." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)