La Vie de Fayette von Sky- (Beloved Enemies) ================================================================================ Kapitel 8: The Ice-Blue-Eyed Devil ---------------------------------- Nachdem ich mich am Sonntag von der Horrorsamstagnacht erholt hatte, war ich am nächsten Morgen mit gemischten Gefühlen zur Uni gefahren. Ich war dieses Mal sogar pünktlich, woraufhin ich wenigstens nicht wieder zum Lieblingsopfer des Feldwebels auserkoren werden konnte. Zumindest für diesen Tag. Doch nach den Ereignissen konnte ich mich einfach nicht auf die Vorlesung konzentrieren und ich schien irgendwie unter ziemlicher Paranoia zu leiden. Denn jedes Mal, wenn ich sah, wie einige der Kommilitoninnen in meine Richtung schauten und leise kicherten, da packte mich die Angst, dass sie auf irgendeine Weise von meinem One-Night-Stand erfahren hatten und darüber lachten. Natürlich wusste ich, dass das absoluter Quatsch war. Immerhin wussten nur ich, Rion und Seth davon und das waren schon mehr als genug. Trotzdem war ich unruhig und konnte mich einfach nicht konzentrieren. Immer und immer wieder kreisten meine Gedanken um dieses böse Erwachen in Rions Bett und der Tatsache, dass ich tatsächlich mit ihm geschlafen hatte. Irgendwie kam ich mir so vor, als wäre das letzte bisschen meiner Selbstachtung und meiner Männlichkeit verloren gegangen und am liebten wäre ich an diesem Morgen einfach im Bett geblieben. Mir war so verdammt flau im Magen, aber sonderlich Appetit hatte ich weder auf Frühstück, noch später auf Mittagessen. Ich zwang mich eher dazu, etwas zu essen, da ich wusste, dass es mir sonst nur noch schlechter gehen würde. Das heutige Mittagessen war eine Lasagne, was mich aber nicht sonderlich aufmunterte, denn genauso wie Couscous mochte ich auch keine Gerichte, die mit Käse überbacken waren. Außer vielleicht Pizza. Eher lustlos stocherte ich in meinem Essen herum und ich war wirklich dankbar, dass heute nicht ganz so viel los war und wir früher Feierabend hatten. Ich ärgerte mich, dass ich nicht mal die Konzentration aufgebracht hatte, mein Aquarellbild, an welchem ich schon seit Tagen arbeitete, fertig zu stellen. Stattdessen hätte ich es fast komplett ruiniert, wenn mich der Feldwebel nicht rechtzeitig aufgehalten hätte. Ach Mann, heute war auch wirklich nicht mein Tag und ich wollte einfach nur nach Hause und mich in mein Bett verkriechen. Ich wollte auch am liebsten mit niemandem mehr reden. Nicht mal mit Seth. Ich brauchte einfach Ruhe, um das alles irgendwie verarbeitet zu bekommen. Um also noch ein wenig für mich allein zu sein, machte ich einen Spaziergang und machte dabei auch einen Umweg über den Park, um den Kopf frei zu bekommen. Wenigstens war das Wetter schön warm und sonnig und ich fühlte mich gleich viel besser, als ich die warmen Strahlen auf meiner Haut spürte. Außerdem ging ich auch gerne in den Park. Es mochte kitschig klingen, aber der Park hatte etwas Romantisches an sich. Es gab Springbrunnen, einen Teich mit Enten und sehr schön angelegte Blumengärten. Hier herrschte eine angenehme friedliche Ruhe und ich war schon als Kind oft hergekommen, wenn ich einfach mal meine ganzen Sorgen und Gedanken ablegen wollte. Man konnte schon fast sagen, dass der Park mein persönlicher Rückzugsort war, wo ich wieder neue Kraft tanken konnte. Meist hatte ich mich dann als Kind in den Büschen versteckt, wo mich keiner sehen konnte und dann hatte ich manchmal etwas gelesen, oder Musik gehört. An warmen Sommertagen im Gras zu liegen und von niemandem gestört zu werden, war für mich wahrer Balsam für die Seele. Als ich den Springbrunnen erreichte, sah ich eine leere Bank und setzte mich, wobei ich mit einem etwas verträumten Lächeln den Springbrunnen betrachtete, der dem Stil der Renaissance nachempfunden war. Das Plätschern des Wassers hatte etwas sehr angenehmes und beruhigendes und ich fühlte mich sogleich viel besser. Es war wirklich so, als bräuchte es allein diese Dinge, damit ich mich besser fühlte. Meine Mutter pflegte auch manchmal zu sagen, dass eine Lichttherapie sogar sehr gut gegen Winterdepressionen half. Ich liebte die warmen Sonnenstrahlen und das herrliche Sommerwetter. Schon seit ich klein war, liebte ich diese Jahreszeit und das verlieh mir auch das Gefühl, mit meinem Familiennamen verbunden zu sein. Meine Mutter hatte trotz der Scheidung den Familiennamen meines Vaters beibehalten. Sie meinte, das wäre zu viel bürokratischer Aufwand, den sie sich nicht antun wollte. Zugegeben, der Nachname Roze wäre auch nicht so schlecht gewesen, aber ich bevorzugte doch lieber Brightside. Ich lächelte zufrieden und beschloss für mich, noch eine Weile hier zu bleiben, bevor ich nach Hause ging. Nicht weit entfernt sah ich eine alte Frau auf einer Bank sitzen, die die Tauben fütterte. Eigentlich ein fast schon alltäglicher Anblick, wäre da nicht jemand, der nicht weit entfernt mit einer Kamera und einem Dreibeinstativ stand und die Frau fotografierte. Es war Rion und ich wunderte mich zuerst, was er hier machte. Aber da er mit seiner Kameraausrüstung unterwegs war, schien er wohl gerade beruflich hier zu sein. Er sah sehr konzentriert aus und seine eisblauen Augen ruhten auf der alten Frau, die ein wenig verträumt wirkte, als sie die Tauben fütterte. Zuerst beobachtete ich ihn noch ein wenig, beschloss dann aber, doch lieber weiterzugehen. Ich wollte ihm nicht über den Weg laufen und Stress mit ihm bekommen. Also erhob ich mich von der Bank, schnappte mir meine Tasche und ging schnell weiter, wobei ich hoffte, er würde mich nicht ansprechen. Aber zum Glück schien er wohl zu sehr mit seiner Arbeit beschäftigt zu sein, als dass er die Zeit hatte, nach mir zu rufen und wieder auf Konfrontation zu gehen. Also ging ich doch nach Hause und war ein wenig enttäuscht, dass der Parkbesuch ein so jähes Ende haben musste. Aber zur Not konnte ich ja am Abend noch mal hingehen. Oder vielleicht morgen. Denn da hatten wir früher frei, weil danach die Semesterferien begannen. Danach hatte ich dann Zeit genug, um mich wieder voll und ganz der Malerei zu widmen. Zwar malten wir schon an der Uni genug und ich war schon gespannt darauf, wenn wir mit der Aktmalerei begannen, aber ich wollte auch mal etwas anderes malen. Ich hatte zuhause zum Glück eine Staffelei und ich hatte sowieso gerade ein Bild, an dem ich arbeitete. Ich wollte nämlich den Springbrunnen malen und hatte schon die Hintergründe teilweise ausgearbeitet. Der Brunnen selbst und ein paar andere Akzente fehlten mir noch, aber ich hatte in der letzten Zeit wegen der Sache mit Katherine nicht wirklich die Motivation zum Malen gehabt. Aber jetzt sollte ich mich langsam mal wieder aufraffen und weiter nach vorne sehen. Hauptsache war nur, dass ich Rion nicht schon wieder im Park begegnete. Ich hatte ja schon verdammt viel Glück gehabt, dass er mich nicht bemerkt hatte und ich dieser unangenehmen Konfrontation noch mal aus dem Weg gehen konnte. Immer noch schämte ich mich dafür, dass ich tatsächlich mit ihm geschlafen hatte und ich wusste auch nicht, wie ich das mit mir selbst vereinbaren sollte. Jedes Mal, wenn ich daran zurückdachte, kam ich mir so vor, als müsste ich einen Selbstkonflikt mit mir selbst austragen. Hoffentlich ging das bald wieder vorbei und ich konnte mich auch wieder anderen Dingen widmen, ohne ständig daran denken zu müssen, dass ich Sex mit Rion gehabt hatte. Ich brauchte einfach eine Ablenkung. So hatte ich die nächsten zwei Tage Ruhe und konnte mich dann auch endlich auf die Semesterferien freuen. Drei Monate Zeit, um mich anderen Dingen zu widmen. Ich konnte Malen, Radfahren, bei Seths Tante im Blumenladen aushelfen und noch genügend andere Dinge tun. Vor allem aber brauchte ich weder Katherine, noch dem Feldwebel über den Weg zu laufen. Und dieser Gedanke heiterte mich gleich deutlich auf. Meine Stimmung besserte sich sogar so sehr, dass ich ein fröhliches Lächeln auf den Lippen hatte und ein Liedchen vor mich hinsummte. Doch meine Stimmung erhielt einen jähen Dämpfer, als ich am ersten Ferientag nach Hause kam, nachdem ich im Blumenladen ausgeholfen hatte. Ich rief wie immer ein „Bin wieder da!“ und wollte direkt in mein Zimmer gehen, da kam meine Mutter aus der Küche zu mir und von ihr erfuhr ich, dass ich Besuch hatte. Und ich ahnte schon, dass es nichts Gutes bedeuten konnte. Denn wenn sie von „Besuch“ sprach, dann konnte es sich jedenfalls nicht um Seth handeln. Den hatte ich ja sowieso schon den ganzen Tag lang gesehen. Mit tausend Gedanken im Kopf ging ich in die Küche und sah Rion am Küchentisch sitzen. Mein Herz setzte fast einen Schlag aus und ich konnte nicht fassen, dass er tatsächlich hier war. Dieser Mistkerl saß wie selbstverständlich da und trank Kaffee und hatte offenbar schon mit meiner Mutter geredet. „Was willst du denn hier?“ fragte ich ihn etwas schroff und bereitete mich innerlich darauf vor, mir wieder einen verbalen Schlagabtausch mit ihm liefern zu müssen. Doch er selbst blieb ganz entspannt und schien sich nicht sonderlich an meinem feindseligen Verhalten zu stören. „Ich möchte nur ein wenig mit dir unter vier Augen reden, Fayette.“ Ich warf meiner Mutter einen Blick zu. Sie hatte schon verstanden und nickte, dann ließ sie uns beide allein. Ich schloss die Tür hinter mir, blieb aber stehen. Und als Rion auch noch meinte „Setz dich doch, ich beiß schon nicht“, da blieb ich erst recht stehen, woraufhin er nur amüsiert schmunzelte und fragte „Warum denn so zickig, Fayette? Hast du etwa deine Tage?“ „Sehr witzig“, fauchte ich zurück und setzte mich letztendlich dann doch. Einfach nur, damit er endlich Ruhe gab. Ich wollte diesen Kerl schnellstmöglich wieder loswerden, aber erst mal wollte ich wissen, was er wollte. Mich beschlich da nämlich das ungute Gefühl, dass es eventuell um unseren One-Night-Stand gehen könnte. Nachdem ich tief durchgeatmet und meine Unruhe bekämpft hatte, schaffte ich es doch, ruhig und ernst zu reden. „Was willst du?“ fragte ich direkt und sofort kam Rion ohne große Umschweife direkt auf den Grund seiner Anwesenheit zu sprechen. Ein Punkt, der schon mal für ihn sprach, denn ich hasste es, wenn Leute große Reden schwangen, ohne dass man wusste, was sie eigentlich sagen wollten. „Ich wollte noch mal mit dir über das Fotoshooting sprechen.“ Fotoshooting? Das war das Einzige, was ihn interessierte? Und ich dachte schon, es ginge um etwas anderes. Ich seufzte und war auf der einen Seite erleichtert, aber auf der anderen Seite auch genervt. „Ich hab doch gesagt ich mach das nicht. Such dir einen anderen Deppen.“ „Glaubst du, ich hätte das nicht?“ kam es von Rion, der nun die Arme verschränkte und mir einen hochmütigen Blick zuwarf. „Aber Fakt ist, dass du das ideale Gesicht dafür hast, dasselbe gilt für den Rest deines Körpers.“ Und als er mir das sagte und dabei noch so hinterhältig grinste, wurde mir heiß im Gesicht und ich wusste, dass ich errötete. Kurz wich ich seinem Blick aus, weil mir das Ganze zu peinlich war, aber sah ich ihn wieder fest an, nur um nicht verunsichert zu wirken. Doch Rion ging nicht darauf ein, sondern fuhr unbeirrt fort. „Ich habe ganz konkrete Vorstellungen, die ich auch zu realisieren gedenke und dazu brauche ich dich. Ich habe lange und breit überlegt und werde mein Angebot auf 750$ erhöhen.“ Ich schluckte bei der Summe. Das war verdammt viel Geld und ich war misstrauisch. „Warum so viel?“ Ich beobachtete wirklich jede Regung meines Feindes, doch er gab sich keine Sekunde lang auch nur die geringste Blöße. Er wirkte vollkommen unantastbar. „Weil es eine gute Investition ist“, erklärte er sachlich. „Ich gedenke an einer Ausstellung in Chicago und anschließend an einer weiteren Ausstellung in Berlin teilzunehmen.“ „Berlin?“ platzte es aus mir raus. „Du… du willst echt nach Deutschland fliegen?“ „Ganz genau“, bestätigte er und ignorierte dabei meine überraschte Reaktion. So wie er darüber sprach, hätte man wirklich meinen können, es wäre eine unbedeutende Nebensache. „Für diese Ausstellungen brauche ich ein geeignetes Motiv und ich gedenke, dass mir eine mehrtägige Fotosession mit dir gute Chancen einbringt, genug Interessenten zu finden, die ich für meine Arbeit gewinnen kann. Und darum ist mir diese Investition auch alle Male wert. Immerhin ist dies nicht nur ein einfacher Kleinstadtwettbewerb. Künstler aus aller Welt werden dabei sein.“ Allein bei dem Gedanken daran wurde mir schwindelig und ich wusste nicht mehr, was ich dazu noch sagen sollte. Doch dann rief ich mir wieder meinen jahrelangen Disput mit Rion zurück ins Gedächtnis und fragte deshalb „Und was ist, wenn ich trotzdem ablehne?“ Hier aber spielte sich ein Lächeln auf seine Lippen, welches man nur als teuflisch bezeichnen konnte und seine eisblauen Augen funkelten gefährlich. Ich ahnte nichts Gutes und bereute insgeheim meine Frage. Und das sollte sich auch schnell bewahrheiten. „Wissen eigentlich deine Mutter und deine Schwester von unserem kleinen Ausrutscher?“ Mein Magen verkrampfte sich augenblicklich und alles Blut wich mir aus dem Kopf. Mir wurde schlecht und ich stand kurz davor, die Fassung zu verlieren. „Wie bitte?“ fragte ich ihn erschrocken. „Du… du willst mich erpressen?“ „Erpressen würde ich das nicht nennen“, korrigierte er mich direkt. „Nennen wir es einfach so, dass wir geschäftlich übereinkommen und ich dafür sorge, dass wir alle zufrieden sind. Ich bekomme was ich will und du kannst dein Geheimnis für dich bewahren. Und nebenbei kannst du dir genug Geld verdienen, um in deinen Semesterferien einen drauf zu machen.“ Ich schwieg und wusste nicht, was ich tun sollte. Irgendwie kam es mir so vor, als würde ein dicker Kloß in meinem Hals feststecken und mir fiel das Schlucken schwer. Wie ich Rion doch hasste. Dieser elende Bastard spielte mit mir und stellte mich vor die Wahl, entweder abzulehnen und riskieren, dass Mum und Emily von meinem One-Night-Stand mit ihm erfuhr, oder aber ich gab nach und er bekam seinen Willen. Wie immer. Was für ein verdammter Teufel er doch war. Innerlich zerknirscht von der Entwicklung sagte ich erst mal nichts und ich warf ihm hasserfüllte Blicke zu. „Du bist echt das Allerletzte“, knurrte ich, aber schließlich zwang ich mich dazu, mich wieder zu beruhigen. „Also schön, dann mach ich dieses bescheuerte Shooting eben. Wenn du mich dann endlich in Ruhe lässt und niemandem davon erzählst, was zwischen uns gelaufen ist…“ „Das ist kein Problem. Ich habe auch schon einen Vertrag vorgefertigt, der alles genauestens festhält.“ Damit holte Rion aus seiner Tasche tatsächlich einen Vertrag hervor, den ich genau studierte, um auch bloß keine versteckten Fallen zu entdecken. Was das betraf, da konnte man nie vorsichtig genug sein. Doch wie sich herausstellte, war der Vertrag sehr sachlich und dennoch leicht verständlich geschrieben. Es wurde festgehalten, dass ich Mitrechte an den Fotos und somit auch Mitbestimmrecht hatte, wer meine Bilder zu sehen bekommen sollte. Rion erklärte mir zu dem Punkt, dass das eine Absicherung seiner Kunden wäre, damit bestimmte Fotos nicht auf einschlägigen Seiten hochgeladen wurden und man auch verfolgen konnte, wer die Fotos zu sehen bekam. Nun, mir war das ganz recht. Des Weiteren wurde mir als Fotomodel eine Aufwandsentschädigung von 750$ zugesprochen, wenn ich mich dafür bereit erklärte, für eine Zeitspanne von zwei Wochen (nach Bedarf auch sogar bis zu vier Wochen) an den Fotosessions teilzunehmen und mich an die weiteren Rahmenbedingungen zu halten. Das waren beispielsweise die üblichen Vorschriften bei Krankheitsfällen, Verletzungen und dass Drogen und Alkohol während der Fotosession nicht konsumiert werden durften und einen Vertragsbruch darstellten. Als nächstes folgte noch eine Verschwiegenheitserklärung, was Geschäftsgeheimnisse betraf und im Gegenzug versicherte Rion laut Vertrag, ebenfalls Verschwiegenheit über die Privatsphäre seines Kunden zu wahren. Zudem musste ich eine Einverständniserklärung unterschreiben, dass ich mich an die Anweisungen des Fotografen halten würde und auch mit den Vertragsbedingungen einverstanden wäre. Nachdem ich den Vertrag in aller Ruhe noch ein zweites Mal durchgelesen hatte und an einzelnen Punkten noch mal nachfragte, setzte ich schließlich meine Unterschrift. Dann reichte Rion mir noch ein Exemplar, was dann für mich war. „Machst du für all deine Kunden solche Verträge?“ erkundigte ich mich, nachdem ich meinen Vertrag eingesteckt hatte. Ich sah Rion an, dass er sehr zufrieden damit war, dass er seinen Willen bekommen hatte. Und das regte mich fast schon wieder auf. „Nicht immer. Hauptsächlich, wenn ich Models engagiere oder wenn ich prominente Kundschaft habe.“ „Prominent?“ Ich war, ohne es zu wollen, neugierig geworden bei diesem Wort. Ich konnte es mir irgendwie nicht so wirklich vorstellen, dass Rion tatsächlich prominente Kunden hatte. „Ja, ich habe für einige Modelagenturen als Fotograf gearbeitet und auch für wohlhabende Kunden Portraitfotos erstellt. Die Namen kann ich natürlich aus Datenschutzgründen nicht nennen.“ Bei dem Wort Model klingelte wieder etwas bei mir. Mir fiel wieder ein, dass Emily ja selber eines Tages Model werden wollte. Und sogleich wagte ich auch eine Frage. „Meine Schwester würde eines Tages gerne Model werden und sie würde sich wahnsinnig freuen, wenn du mal ein paar Tipps geben könntest. Wäre das möglich?“ „Ist sie hier?“ Unsicher zuckte ich mit den Schultern und stand auf. Ich verließ die Küche und klopfte an Emilys Zimmertür. Ein genervtes „Verschwinde!“ kam von der anderen Seite, doch ich ignorierte das pubertäre Gezicke meiner Schwester und öffnete die Tür trotzdem. Emily lag auf ihrem Bett und schrieb mit ihren Freundinnen über Whatsapp. Genervt sah sie zu mir rüber und schien immer noch ziemlich sauer zu sein, weil ich sie nicht in den Club mitgenommen hatte und weil Rion ausgerechnet mir einen Modeljob angeboten hatte. In der Hinsicht konnte sie wirklich nachtragend sein. „Was willst du? Verpiss dich.“ „Okay“, meinte ich nur in einem betont gleichgültigen Ton und blieb kurz an der Tür. Ich wusste schon, wie ich sie hervorlocken konnte. „Dann sag ich Rion, er soll ein anderes Mal kommen.“ Und bei dem Namen wurde sie natürlich sofort hellhörig und rief völlig aufgeregt „Rion McAlister ist hier?“ Noch nie hatte ich sie so schnell vom Bett aufspringen sehen. Sie war völlig aus dem Häuschen und hatte offenbar die ganze Zeit nicht mitgekriegt, dass er hier war. Vermutlich war sie direkt nach der Schule in ihr Zimmer gegangen und schmollte seitdem. Hastig eilte sie zu ihrem Spiegel am Schminktisch und richtete noch ein wenig ihre Haare, kontrollierte ihr Make-up und zupfte noch ein wenig an ihren Klamotten, bevor sie fragte „Wo ist er denn?“ Und als ich ihr antwortete, dass er in der Küche war, eilte sie wie der Blitz davon. Ich hingegen ging erst in mein Zimmer und legte den Vertrag auf meinen Schreibtisch, damit ich ihn später in meinen Ordner mit allen wichtigen Papieren einheften konnte. Dann stieß ich in die Küche dazu. Emily hatte sich auf meinen Platz gesetzt und wirkte vollkommen aufgeregt, als sie doch tatsächlich eines ihrer großen Idole vor sich sah. Auf mich hingegen wirkte es wie eine blanke Ironie. Meine kleine Schwester vergötterte ausgerechnet den Kerl, der mich erst jahrelang schikaniert und mich dann abgefüllt und nach Strich und Faden rangenommen hatte. Wenn sie das erfahren würde… Aber ich freute mich auch ein wenig für sie, denn sie strahlte richtig über beide Ohren und sie erhoffte sich, dass er sie groß rausbringen könnte. Ich setzte mich dazu, um zu hören, was da so gesprochen wurde. „So, du willst also Model werden?“ fragte Rion und musterte meine Schwester gründlich. Irgendwie kam es mir so vor, als würden seine Augen heute ein wenig trüb wirken, je mehr ich sie betrachtete. Hatten sie vorher immer so hell gestrahlt wie Kristalle, so wirkten sie nun irgendwie matt. Ob es ihm wohl nicht gut ging? Nun, wenn das der Fall war, dann bewies er absolutes Talent darin, es perfekt zu verschleiern. Emily hingegen begann lebhaft zu erzählen, was sie für Ziele und Träume hätte und irgendwie kam ich mir gerade wie in einem Bewerbungsgespräch vor. Schließlich forderte Rion sie auf, aufzustehen und sich ein wenig herumzudrehen. Meine Schwester folgte all seinen Anweisungen und ging dabei etwas hektisch vor, was wohl an ihrer Aufregung lag. „Treibst du Sport?“ erkundigte er sich, woraufhin Emily antwortete „Ja, ich spiele im Verein Volleyball und gehe am Wochenende joggen.“ Ein bedächtiges Nicken, aber so wirklich ließ sich nicht erkennen, was ihm gerade durch den Kopf ging. Dann aber stellte er eine Frage, die nicht nur mich, sondern auch Emily überraschte. „Und wie sieht es mit deiner Ernährung aus?“ „Ich… äh…“, stammelte meine Schwester und war sichtlich irritiert. Aber dann fing sie sich wieder und erklärte, dass sie sich ganz normal ernähre. Weder sie noch ich wussten, inwieweit das jetzt relevant für Rion war, aber nachdem er eine Weile nachgedacht hatte, erklärte er es uns. „Ich will nicht um den heißen Brei herumreden. Emily, von der Größe her bist du etwas klein für ein Model und du bist zwar ein sehr hübsches junges Mädchen. Aber es gibt da ein Problem und das ist ein Thema, welches ich jedem Mädchen erläutere, das Model werden will. Allein hübsch auszusehen reicht nicht dazu, um reich und berühmt zu werden. Für deinen Körper musst du bereit sein, deine komplette Ernährung umzustellen, deine Sportart zu ändern und mit körperlicher und auch seelischer Belastung zu leben, die nicht sehr viele Mädchen schaffen. Model zu sein, klingt erst nach einem Traum, aber es ist sehr harte Arbeit und was mir besonders zu denken gibt, ist die Tatsache, dass du gerade erst 16 Jahre alt bist. Du bist noch zu jung, um Model zu werden.“ Dieser jähe Dämpfer saß tief bei Emily. Man sah ihr die Enttäuschung deutlich an und sie fand erst keine Worte. Rion wies sie an, sich zu setzen. Nur zögernd tat sie dies und sogleich holte er eine Mappe aus seiner Tasche, in der er offenbar Fotos aufbewahrte. „Was würdest du tun, wenn du von einer Modelagentur gesagt bekommst, du bist viel zu dick, selbst mit dieser Figur?“ „Na ich würde abnehmen“, meinte sie und ich begann irgendwie zu ahnen, worauf das alles hinauslaufen würde. Und so blieb ich natürlich, weil ich gespannt war, wie sich die Sache noch entwickelte. „Wie würdest du abnehmen?“ Wieder dachte Emily kurz nach. „Ich würde mehr Sport treiben und weniger essen.“ „Und genau darin liegt die Gefahr.“ Nun öffnete er die Mappe und zeigte ein paar Fotos. Und was ich sah, verschlug mir vor Schreck fast den Atem. Was ich da sah waren alles Frauen, die vollkommen abgemagert waren. Einige waren fast nur noch Haut und Knochen und sahen so verbraucht und kraftlos aus, dass man nicht glauben konnte, dass diese Frauen nicht älter als 30 Jahre waren. Und auch Emily war schockiert, als sie das sah. „Was… was sind das für Fotos?“ fragte sie und schlug sich die Hand vor dem Mund, als sie ein junges Mädchen sah, das vielleicht so alt war wie sie und so ungesund mager aussah, dass man es schon als lebensbedrohlich bezeichnen konnte. Rions Blick wurde sehr ernst. „Das sind alles Models“, erklärte er. „Sheila ernährt sich von einer Zitrone und drei Tassen ungesüßtem Tee pro Tag und Monica hier hatte sich nur von einem Stückchen Schokolade ernährt, mehr nicht. Models rutschen sehr schnell in diese so genannte Size Zero Zwangmaße hinein und um diese Maße zu erfüllen, hören sie einfach auf zu essen, um möglichst dünn zu sein. Natürlich gibt es auch Ausnahmen und es gibt Frauen, die seit Jahren gesund als Models leben. Aber es sind und bleiben Ausnahmen. Unglaublich viele junge Mädchen, die Models werden wollen, geraten sehr schnell in eine Essstörung rein und leiden an Anorexie, also Magersucht. Schlimmstenfalls führt so etwas auch zum Tod.“ Wir beide waren still geworden bei der Geschichte. Ich hatte zwar gehört, dass das Modelbusiness kein Zuckerschlecken war, wie viele Mädchen immer dachten. Aber dass teilweise so schlimme Zustände herrschten, hätte selbst ich nicht gedacht. „Fakt ist, dass sehr viele berühmte Modedesigner Frauen bevorzugen, die möglichst wenig wiegen und möglichst dünn sind. Und das führt auf lange Zeit gesehen in einen Teufelskreis hinein, weil die Gesundheit leidet und man dafür noch Zuspruch bekommt und gut bezahlt wird. Ich hatte mal mit einem Model zusammengearbeitet. Ihr Name war Isabelle Templer. Sie war auch mit 16 Jahren Model geworden und hatte sehr viele Aufträge bekommen. Eine Modelagentur hatte sie entdeckt und sie wurde schnell erfolgreich. Aber sie war einfach zu dick.“ Damit legte Rion uns ein weiteres Foto hin, welches ein lebensfrohes hübsches Mädchen mit lockigen schwarzen Haaren zeigte. Doch das Bild daneben zeigte eine abgemagerte Gestalt, die einen erschreckenden Anblick bot. Als ich Isabelles Foto sah, konnte ich mir nicht vorstellen, dass sie zu dick war. Sie war ja noch dünner als Emily. „Sie aß gar nichts mehr, sondern ernährte sich nur noch von Säften und Ballaststoffpräparaten. Das Ergebnis war, dass sie innerhalb von zwei Jahren rapide abnahm und dann schließlich während einer Session einen Kreislaufzusammenbruch erlitt. Sie fiel ins Koma und starb zwei Tage später an den Folgen der Unterernährung. Direkt danach habe ich aufgehört, weiterhin für Modelagenturen zu arbeiten und habe mich daraufhin selbstständig gemacht.“ Sowohl Emily als auch ich waren still geworden und mussten das erst mal schlucken. Ich sah die Fassungslosigkeit und das Entsetzen bei meiner Schwester. In dem Moment schien etwas in ihr zu zerbrechen. Ihr naiver Traum von einer Modelkarriere war zerstört worden und sie schien sich wohl erst jetzt wirklich darüber im Klaren zu sein, welche Schattenseiten dieses Leben so mit sich brachte. Schließlich aber begann sie nun selbst die Mappe durchzublättern und sah noch mehr dieser schockierenden Bilder. „Sind alle diese Models tot?“ „Nein, nur Isabelle und Monica“, antwortete Rion und ich sah für einen kurzen Moment so etwas wie Bedauern und Reue in seinem Blick. Wenn die Fotos alle von ihm stammten, dann musste er Isabelle gekannt haben. Zumindest verriet dies sein Blick, wenn er ihr Foto ansah. Das von Monica hatte er nur kurz erwähnt. Sicher war das nicht ganz spurlos an ihn vorbeigegangen, dass sie an den Folgen ihrer Magersucht gestorben war. Ansonsten hätte er wohl nicht seinen Job gekündigt. „Ich will dir deinen Traum nicht schlecht machen, Emily“, sagte er schließlich, als er die tiefe Enttäuschung bei ihr sah. „Es gibt auch Agenturen, die nicht in diese Richtung arbeiten und auch junge Frauen und Mädchen unter Vertrag nehmen, die nicht unbedingt Size Zero Größe haben. Lass dir das einfach mal durch den Kopf gehen und überleg dir das alles mal in Ruhe. Wenn du immer noch Model werden willst, kannst du mich ja anrufen und ich gebe dir ein paar Adressen. Vom Aussehen und von der Ausstrahlung her hast du jedenfalls einige Chancen.“ Da er wohl alles Wichtige gesagt zu haben schien, stand er nun auf, packte seine Tasche und verabschiedete sich von uns, da er noch ein paar wichtige Termine hatte. Er gab Emily noch seine Karte und versprach mir, dass er sich noch telefonisch bei mir für den ersten Sessiontermin melden würde. Damit ging er zur Haustür und war dann auch schon verschwunden. Ich war völlig sprachlos und wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich hätte nie und nimmer gedacht, dass Rion so etwas erzählen würde und Emily sogar noch ernsthaft davor warnte, Model zu werden. Stattdessen hätte ich wirklich geglaubt, er würde sie um den Finger wickeln, ihr irgendetwas versprechen und sie sofort an jemanden vermitteln… oder sich abschätzig über ihr Aussehen äußern. Stattdessen hatte er sie über die Risiken und Gefahren des Modelbusiness aufgeklärt und ihr nahe gelegt, ernsthaft darüber nachzudenken. Ich konnte mir nicht helfen, aber in diesem Moment erschien mir Rion nicht mehr allzu sehr als arrogantes Ekelpaket. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)