Urlaubsreif von flower_in_sunlight (Seto x ?) ================================================================================ Kapitel 8: 14.2. Samstag ------------------------ Er wachte auf und roch Schokolade. Wie konnte es über zwei Stockwerke nach Schokolade riechen? Mit noch geschlossenen Augen schwang er die Beine aus dem Bett und setzte sich auf. Langsam öffnete er sie und griff nach seiner Armbanduhr, die er abends auf den Nachtisch gelegt hatte, wobei er fast eine Tasse voll dampfender heißer Schokolade abräumte. Unter ihr war ein Zettel eingeklemmt, der ihn aufforderte sofort zum Frühstück zu kommen. Noch im Pyjama tapste er mit der Tasse in der Hand die Treppen hinunter, dem Duft der Schokolade folgend. „Morgen, Chef“, schallte es ihm entgegen, sobald er die Küche betrat. „Schon so früh wach?“ Verwirrt blickte er auf die Uhr. Er würde normalerweise noch eine Stunde schlafen! Seufzend antwortete er: „Sieht fast so aus. Die Weckmethode ist aber auch link.“ Shin grinste breit. „Ich hatte erwartet, dass Sie hier später reinkommen und sich beschweren, dass Sie von ganz viel Schokolade geträumt haben. Das ist im Übrigen die, die bereits gestern eintraf – wenn auch nicht komplett. Den Rest habe ich für das Frühstück genutzt. Bin grade beim Dekorieren.“ „Hier riecht es ja toll!“, betrat nun auch Yuki vollständig angezogen den Raum. „Alles Vorbereitungen für heute Abend. Der Rest sitzt bereits drüben und wartet aufs Essen. Ich mach das hier kurz fertig und komm dann.“ Shins Freude über das Lob war kaum zu überhören, außer für Yuki, die mit einem „dann setz ich mich mal rüber“ den Raum durch die andere Tür verließ. Der Chef warf Shin noch einen kurzen, warnenden Blick zu und folgte ihr. Doch Shin war immun gegen diese Art der Warnung. Stolz trug er wenige Minuten später ein Tablett mit sechs Portionen Schokoladenpudding hinüber zu seinen Kollegen. „Damit sich keiner vernachlässigt fühlt“, fing er an zu erklären, während er das Tablett abstellte und anfing die Teller zu verteilen, „gibt es für jeden ein Frühstück von Herzem mit einem Dank, dass ihr mein Essen immer so brav aufesst.“ Selbst Matt musste lachen bei dem Anblick des Puddings. Der musste die ganze Nacht im Kühlschrank gelagert haben, andernfalls wäre ihr Frühstück nie so perfekt aus den Herzformen heraus gegangen. Gespannt, was sich der jüngere Koch noch alles für den Tag hatte einfallen lassen, verspeisten sie ihr Frühstück, tranken den Rest der heißen Schokolade und besprachen kurz den Tagesablauf und die Aufgabenverteilung. Shin wusste, dass ihn der Chef dabei nicht aus den Augen ließ, hatte er doch eine Lücke in seinem Versprechen vom Vortag gefunden. Denn wenn er auch für den Rest Extraschokolade machte, war die für Yuki keine mehr – und sei es nur ein Pudding aus ihrer Lieblingsschokolade. Der Tag war herrlich ereignislos an ihm vorübergezogen. Shin hatte ihm erklärt, wo er alles fand für eine große Portion Cornflakes zum Frühstück und hatte ihm den Tipp gegeben sich mittags einfach etwas Toast mit Butter zu machen, den er dann selbst spontan mit Ahornsirup verfeinerte. Ansonsten sah und hörte Seto nichts von den Mitarbeitern des Hotels. Er hatte es sich wieder auf dem Sofa gemütlich gemacht und das Buch, das er am Abend zuvor angefangen hatte, weiter gelesen. Der Autor hatte Talent und kam trotz der eigentlichen Hauptthematik ohne vulgäre Begriffe aus, was ihm persönlich sehr zusprach, war es doch ein Argument mehr, mit dem er das Buch vielleicht wirklich mit nach Hause nehmen konnte. Um 17 Uhr war er ins Bad gegangen hatte sich gründlich geduscht, die Haare geföhnt und frisiert, bis sie wieder wie gewohnt lagen und sich anschließend für einen schwarzen Anzug mit dunkelblauem Hemd entschieden. Bei der Einladung war kein Dresscode gestanden, doch sah er es als unter seiner Würde an legerer zu erscheinen. Abgerundet wurde das Gesamtbild mit einer dunklen Krawatte. Kurz vor 18 Uhr klopfte er an die erstbeste Tür, die er am Hauptgebäude entdecken konnte. Man hätte wirklich besser die richtige Tür auszeichnen können. Doch offensichtlich hatte er auf Anhieb Glück, denn vor ihm stand augenblicklich Yuki, die ihn freudestrahlend anlächelte. Würde er nicht auf Männer stehen, so wäre es dieser Moment gewesen, in dem er sich in sie verliebte. Aber er war nun einmal schwul und so genoss er einfach nur den Hauch von Wärme, der sich in seiner Brust ausbreitete, und ließ sich sogar dazu hinreißen ihr Lächeln leicht zu erwidern. „Guten Abend“, grüßte er automatisch von sich aus, während sie einen Schritt zurücktrat, um ihm die Gelegenheit zu geben, einzutreten. Der Raum war groß, doch durch die Menge an Möbeln, inklusive eines großen, quadratischen Esstischs mit Eckbank, wirkte er irgendwie kleiner und sehr gemütlich. „Werden wir hier essen?“ Mit Interesse sah er sich genauer um, besonders als er ein Bücherregal entdeckte, das noch umfangreicher war wie das in seiner Unterkunft. Yuki schüttelte den Kopf. „Nein. Wir essen oben im Speisesaal. Das ist nur der Angestelltenraum. Bis auf Hans und Shin, sind bereits alle oben. Folgen Sie mir einfach.“ Zügigen Schrittes durchquerte sie den Raum und den anschließenden Flur zu dem Teil der Treppe, der nach oben führte. Anscheinend besaß das Gebäude auch einen Keller. Sie schien davon auszugehen, dass er ihr folgte, denn sie drehte sich nicht noch einmal um, was ihm die Gelegenheit gab ihre Kleidung genauer zu betrachten. Die schwarze Hose und die ärmellose, weiße Bluse, die den Blick auf ein erstaunlich gut trainierte Armmuskulatur freigaben, wirkten nicht gerade feminin, doch sie hatte sich geschminkt und auch die Haare lagen geordneter. Fast sah sie aus wie herausgeputzt für ein Date. Am Kopf der Treppe trat sie an zwei große, schwere Holztüren und stieß sie auf. Seto hatte Mühe ihr schnell genug zu folgen, bevor sie wieder zu fielen. „Folgen Sie mir. Ich zeige Ihnen ihren Tisch.“ Momentan war er noch zu fixiert auf ihren Rücken, doch als er schließlich an einem der Tische nahe der Tür Platz nahm, konnte er den Raum genauer betrachten. Er schien einen Großteil der Etage einzunehmen und war in angenehmen, dunklen Tönen gehalten. Sein Tisch war klein und mit einem weißen Tischtuch, Silberbesteck, mehreren Gläsern und einer kunstvoll gefalteten Stoffserviette gedeckt. Er konnte fast den gesamten Raum einsehen. Es gab noch mehr Tische wie seinen, die jedoch nicht eingedeckt waren, und nahe der bei Helligkeit wahrscheinlich atemberaubenden Terrassenfront einen großen Tisch, an dem bereits drei Männer saßen, zu denen sich Yuki nun gesellte. Zwei von ihnen hatte er noch nie gesehen, doch sie waren beide sehr groß und muskulös und irgendwie machten sie einen sehr vertrauten Eindruck auf ihn wie sie so nebeneinander saßen. Der Dritte nickte ihm zu, als er seinen Blick bemerkte. Er hatte seinen Stuhl noch nicht an den Tisch herangeschoben und saß entspannt mit übereinander geschlagenen Beinen da. Dennoch strahlte er eine solche Selbstsicherheit in seinem roten Anzug aus, dass Seto unweigerlich an jemand anderen denken musste, dessen Markenzeichen rot war. Wären die Haare nicht nach hinten frisiert, konnte man fast glauben eine jüngere Ausgabe von Pegasus säße dort am Tisch! Er riskierte einen zweiten Blick. Der Hotelmanager wurde gerade von Yuki in ein Gespräch verwickelt und beachtete ihn nicht mehr. Innerlich musste Seto über sich den Kopf schütteln. Auf welche Gedanken er nur kam, seitdem er im Urlaub war! Allerdings musste er gestehen, dass dem anderen der Anzug hervorragend stand und das blonde Haar und die dunklen Augen erst richtig zur Geltung brachte, so wie der rote Schal, mit dem er ihn nun bereits zweimal gesehen hatte. Schnell richtete er seinen Blick wieder nach vorne, bevor man merken konnte, was er so genau betrachtet hatte. Das erneute Aufgehen der Türen ließ ihn aufblicken. Shin hielt eine davon mit seinem Rücken offen, damit ein weiterer Mann in dunkler Hose und – war das ein Kochhemd? - problemlos mit einem großen Tablett in den Raum kam. Kaum war er drin, ging Shin zu ihm und die Tür fiel wieder zu, während der andere auf den großen Tisch zusteuerte. „Der erste Gang. Salat mit gerösteten Kakaobohnensplittern“, erklärte Shin, nachdem er einen großen Salatteller vor Seto abgestellt hatte. Er bewunderte immer noch das Kunstwerk auf seinem Teller aus verschiedensten Sorten Salat und – was genau war das eigentlich? - als ein Flaschenhals in sein Gesichtsfeld kippte und Yuki einen Weißwein in das kleinere der Weingläser goss. „Möchten Sie auch Wasser?“, fragte sie nach, während sie die Flasche abstellte, damit die Wasserflasche von ihrer linken in die rechte Hand wandern konnte. „Ja, bitte.“ Ein weiteres Glas wurde mit Wasser gefüllt. „Sie können im Übrigen anfangen zu essen. Machen die anderen auch schon“, flüsterte sie ihm zwinkernd zu, bevor sie sich wieder zu ihrem Platz begab. Also nahm er das äußerste Besteck und probierte. Hilfe war das lecker! Der Salat konnte sich durchaus mit Sterneküche aus Domino messen. Nein, war sogar besser als das, was er dort vorgesetzt bekam! Die Komponenten waren für sich selbst genommen bereits lecker und von hoher Qualität, aber zusammen schmeckten sie einfach nur fantastisch! Und dazu dieser Wein! Bedächtig aß er den gesamten Teller leer. Wüsste er nicht, dass dies erst der Auftakt zu dem Menü war, hätte er bestimmt gefragt, ob er noch etwas davon haben könnte, obwohl er Salat sonst nicht mochte. Doch nun erregte zunächst eindringliches Getuschel vom anderen Tisch seine Aufmerksamkeit. Leise, aber bestimmt sprach Yuki auf die Männer ein, rollte leicht mit den Augen und sagte noch etwas mit mehr Nachdruck, als sie schließlich aufstand und direkt auf ihn zukam. „Würden Sie mir die Freude bereiten, sich zu uns zu setzen?“, fragte sie mit einem zuckersüßen Lächeln auf den Lippen, wobei sie seinen leeren Teller nahm. „Es würde mir einiges an Laufweg ersparen und Sie hätte etwas Gesellschaft beim Essen.“ Ihr erstes Argument konnte er noch halbwegs nachvollziehen, anscheinend war sie für seine Bedienung zuständig und es würde für sie kein entspannter Abend werden, müsste sie ständig schauen, ob er noch etwas zu trinken wollte. Doch das zweite erwischte ihn eiskalt. Wie konnte sie wissen, dass er eigentlich lieber in Gesellschaft aß? Normalerweise achtete er sehr darauf, mindestens eine Mahlzeit am Tag mit Mokuba zusammen einzunehmen, aber hier war er eigentlich immer allein gewesen. Er brachte den Anflug eines Lächelns zustande und stand auf. „Natürlich.“ Vom den Männern kam ein unzuordbares, leises Seufzen. Er wollte schon nach seinem Besteck greifen, jedoch hielt sie ihn davon ab, mit den Worten: „Das mache ich schon. Setzen Sie sich einfach rüber.“ Wie von Geisterhand stand plötzlich ein siebter Stuhl an dem großen Tisch und ohne, dass die restlichen Gedecke hektisch verschoben aussahen, war noch genug Platz für seines. Zögernd ging er hinüber, stellte sich neben seinen Stuhl und grüßte mit einem „Guten Abend“ die Runde. „Guten Abend“, grüßte der Hotelmanager zurück, während der Rest still blieb und ihn neugierig betrachtete. Unter diesen Blicken fühlte er sich irgendwie unwohl. „Setzen Sie sich erst einmal, dann stelle ich Ihnen den Rest meines Teams vor – soweit Sie es noch nicht kennen.“ Er gehorchte, auch wenn es freundlich und nicht nach einem Befehl geklungen hatte. „Shin kennen Sie ja bereits. Er ist kurz runter in die Küche, um nach dem Hauptgang zu sehen. Das hier ist sein Kollege Hans.“ Ein Nicken auf beiden Seiten. Wirklich deutsch sah er nicht aus, aber vielleicht fehlten ihm einfach nur die Vergleichsmöglichkeiten. Es verwunderte ihn eher, dass er nicht in der Küche stand und seinem Kollegen half. „Das ist Cian.“ Seto richtete seinen Blick auf einen der beiden Männer, die er bereits bei seinem Eintreffen gesehen hatte. Er hatte leuchtendrotes Haar, sah aber ansonsten aus, als wäre er sehr umgänglich. „Und, last but not least, Matthew.“ Er hatte tatsächlich eine ähnliche Statur wie Cian, doch waren seine Haare dunkelbraun und er ließ Seto unwillkürlich an einen Grizzly denken, als sich sein Blick nun verfinsterte. „Matt. Oder soll ich Sie beim vollen Namen nennen, Chef?“ Ihm entging der scharfe Blick nicht, der daraufhin folgte. „Angenehm“, schloss er selbst die Runde, unsicher, ob von ihm verlangt war, ebenfalls seinen Namen zu nennen. Welchen Nachnamen hatte er noch einmal für die Reservierung verwendet? Es wollte ihm nicht einfallen und nur der Vorname erschien ihm etwas zu intim. Genant blickte er auf das Tischtuch vor sich, auf dem Yuki gerade sein Gedeck neu drapierte. Es war ihm unangenehm eine gedrückte Stimmung erzeugt zu haben. Was zum Teufel war nur mit ihm los? Doch zu seiner großen Erleichterung hielt das nicht lange an, denn Hans wandte sich an Cian mit einer Frage zum Thema Whiskey und es entspann sich eine angeregte Unterhaltung, in die nach und nach die anderen einstiegen – außer er selbst, der es vorzog ein stiller Beobachter zu bleiben, auch wenn er sich deutlich wohler fühlte als alleine an seinem kleinen Tisch. Ab und zu warf er einen Blick zum Hotelmanager herüber, dessen rotes Jackett immer wieder seine Aufmerksamkeit einfing, und sah diesen mit jeder Minute mehr aufblühen. Seine erhabene Ausstrahlung verschwand zwar nicht ganz, aber sie wurde entspannter und immer wieder konnte er beobachten wie die Mundwinkel nach oben huschten. Er schien nicht mehr der Chef zu sein, sondern unter Freunden, vielleicht sogar Familie. Und plötzlich schüttelte Seto den Kopf, was für Sorgen hatten sich die Leute im Dorf gemacht und wie glücklich sah er nun aus. „Ist etwas?“, fragte Yuki neben ihm. „Nein. Es ist...“ Doch Shin nahm ihm dankenswerterweise die Antwort ab, indem er laut sagte: „Achtung! Heiß und fettig!“ Wo kam der auf einmal so überraschend her? Auf einer freien Fläche, stellte Hans schnell einen Untersetzer ab und Shin daraufhin einen großen Topf, der etwas Flüssiges zu enthalten schien. Der Chef reckte seinen Hals ein wenig, um als erster sehen zu können, was er enthielt, als Shin vorsichtig den Deckel anhob. Seto selbst war im ersten Moment etwas enttäuscht, da nur Reis zur Beilage gefolgt war, wurde aber entschädigt sobald die ersten Geruchsschwaden zu ihm herüber wehten. „Curry?“, fragte er überrascht und seltsamerweise laut. „Sie haben eine gute Nase. Ja, Curry. Mein Spezialcurry – mit viel Liebe und einer Menge Schokolade gekocht“, antwortete Shin mit stolzgeschwellter Brust. Kurze Zeit später hatte jeder einen tiefen Teller gefüllt mit Reis und Curry vor sich und Seto musste sich stark zurückhalten nicht einfach schon zu beginnen, während der Hotelmanager Shin das Wort erteilte. Glücklicherweise hielt dieser sich kurz. „Ich hoffe, es wird euch schmecken. Es gibt genug für eine zweite Portion. Wenn ihr mich laut genug lobt, besteht vielleicht die Chance, das jedes Jahr zu machen. Danke. Und nun fangt an.“ Es war keine gute Rede, doch enthielt sie das Nötigste und keiner ließ es sich zweimal sagen, dass er nun endlich probieren durfte. Prompt senkte sich Schweigen über den Tisch, da alle mit Essen beschäftigt waren und selbst das beste Tischgespräch nicht gegen diesen Geschmack angekommen wäre. Das musste sehr, sehr gute Schokolade gewesen sein, die Shin dafür verwendet hatte, schoss es Seto bei fast jedem Bissen durch den Kopf. Die anderen Male genoss er einfach nur den Geschmack und war froh, dass er zu diesem Essen eingeladen worden war. Vielleicht war es die Wirkung des Currys, doch kam es ihm so vor, als ob die Gruppe eine innere Harmonie und Wärme ausstrahlte, wie er es eigentlich nur von seinen ruhigeren Momenten mit Mokuba kannte, wenn er nicht gleichzeitig noch vor seinem Laptop hing. Auch war er verblüfft über die guten Tischmanieren, mit der sie langsam und genussvoll... „Sie wollen wirklich einen zweiten Nachschlag, Chef?“, äußerte sich Hans erstaunt. „Ja, wieso nicht?“, wurde ihm prompt erwidert. Hans warf einen Blick hinüber zu Seto. „Naja, weil unser Gast gerade erst seine erste Portion aufgegessen hat.“ Dunkle Augen fixierten ihn. „Dann warte ich selbstverständlich, bis er seinen Nachschlag hat und nehme mir dann.“ Der Blick wurde intensiver. Wurde das etwa der Versuch, ihm klar zu machen, dass er unter keinen Umständen sich den Teller zu voll machen sollte? Wie hatte er es überhaupt geschafft bereits den zweiten Teller verzehrt zu haben? Ab und zu hatte er zu ihm herüber geschielt und da hatte er immer gesittet und langsam gegessen. Und wo bitteschön aß er das alles hin, sollte er immer einen solchen Appetit haben? Zögernd reichte er Hans seinen Teller, der näher am Topf saß, und sich herzlich wenig darum scherte, wie viel sein Chef noch vom Essen haben wollte. Leise Zweifel beschlichen ihn wie er eine so große Menge an Curry noch einmal schaffen sollte, doch er würde definitiv nicht aufgeben – dafür war es einfach zu lecker. Yuki war gerade fertig mit dem Abräumen des Hauptganges und Shin wieder in der Küche verschwunden, als sich Cian mit einer sehr direkten Frage an den Hotelmanager richtete: „Hat sich Miss Valentine heute schon bei Ihnen gemeldet?“ Die Raumtemperatur sank spürbar. Hatte er sich bei den Späßen der anderen über fehlende Valentinsschätze zuvor noch beteiligt, so wurde nun sein Gesicht ernst. „Nein, hat sie nicht“, antwortete er kühl. Doch Cian schien immun gegen derartige Kälte und setzte gleich nach: „Ich hatte Ihnen bereits letztes Jahr erklärt, dass Sie etwas sanfter zu ihr hätten sein sollen und sich mehr Zeit hätten nehmen müssen, um sich mit ihr auszusprechen.“ Augenblicklich erschien Cian Seto lebensmüde zu sein, was auch Yuki so gehen musste, denn sie versuchte es sofort mit einem sanften Themenwechsel: „Aber Martine-sama hat bestimmt schon angerufen, oder?“ Die Gesichtszüge wurden sanfter, auch wenn sich ein Hauch Melancholie auf sie schlich. „Leider noch nicht. Aber sie wird bestimmt mit den Kindern alle Hände voll zu tun haben. Wahrscheinlich ruft sie heute Abend noch an, wenn sie schlafen.“ Martine. War das die Frau, von der die Leute im Dorf gesprochen hatten? Auf jeden Fall klang der Name französisch. Ein Klingeln hielt ihn von weiteren Gedanken ab, besonders als der Hotelmanager ein Handy aus seinem Anzug hervorzauberte und das Gespräch annahm. „Ja, bitte?“ „Hallo, Honey“, erklang eine Frauenstimme im Raum. Darling?! Wer war das am anderen Ende der Leitung? „Hallo Martine. Wie geht es dir? Wo bist du? … Im Übrigen habe ich dich auf Lautsprecher.“ „Hallo, ihr Lieben.“ Ein kollektives „Hallo“ des Teams folgte, deren Gesichter mittlerweile ein breites Grinsen zierte. „Mir und den Kindern geht es gut. Wir sind für ein paar Tage zu meinem Bruder gefahren und die beiden halten ihn jetzt ganz ordentlich auf Trab. Aber man merkt ihm den stolzen Onkel an und ich muss ziemlich hinterher sein, damit er sie nicht zu sehr verwöhnt.“ „Also, so wie immer, wenn ihr bei ihm seid.“ „Ja. Eigentlich ist es so wie immer. Und was macht ihr so? Kam die Schokolade an?“ „Shin hat ein schokoladiges Menü gezaubert, gönnt uns gerade aber eine Verschnaufpause zwischen Hauptgang und Dessert. Dem Geschmack nach ist deine Schokolade allerdings im Curry gelandet, falls es die gleiche war wie letztes Jahr.“ Er klang fast entschuldigend. Ein fast schon mädchenhaftes Kichern war zu hören. „Macht nichts. Sie hat auf jeden Fall ihren Zweck erfüllt – ihr habt sie geteilt und gemeinsam genossen.“ Plötzlich hörte man leise einen vermutlich eigentlich brüllenden Mann: „Martine! Hilf mir! Deine Gören wollen mir Schleifen ins Haar binden!“ Etwas gedämpfter rief Martine zurück: „Das sind keine Gören, sondern dein von dir vergötterter Neffe und deine geliebte Nichte. Aber ich komm und helf dir... Bist du noch dran, Honey?“ „Wo sollte ich sonst sein?“, erwiderte der Hotelmanager sanft. „Gib den beiden Kleinen eine Kuss von mir und grüß deinen Bruder. Und jetzt versuch, zu retten, was zu retten ist. Haarschleifen hat er wirklich nicht verdient.“ Wieder dieses Kichern. „Danke! Ich meld mich. Und noch viel Spaß heute Abend. Hab dich lieb.“ Ohne eine weitere Antwort abzuwarten ertönte das Freizeichen und hinterließ einen verwirrten Seto Kaiba. Die Vertrautheit der beiden Gesprächsteilnehmer war bei jedem einzelnen Wort so greifbar gewesen, dass er nicht anders konnte als Eifersucht zu empfinden. Eifersucht darüber, dass es nur einen einzigen Menschen gab, mit dem er so reden konnte. Doch hier saß dieser bemitleidete Hotelmanager im Kreise seines Teams und versprühte vollkommene Zufriedenheit auf Grund eines einzigen, kurzen Gesprächs mit seiner Familie, die aus mehr als einer Person zu bestehen schien. Offen hätte er das nie zugegeben, doch insgeheim wollte er genau das auch. Shins Rückkehr wurde jubelnd gefeiert. Die anderen konnten doch nicht schon wieder hungrig sein! Doch er verstand, sobald sich ein kleines Stövchen mit einer Schüssel darauf vor ihm befand und daneben ein Teller mit kleingeschnittenem Obst und Marshmallows. Perplex stellte er fest, dass er jedoch der einzige war, dem eine solche Sonderbehandlung zu Teil wurde, denn der Rest blickte freudig auf eine deutlich größere Schüssel, auch wenn beide zu gut zwei Dritteln mit flüssiger Schokolade gefüllt waren. Shin, der seinen Blick bemerkt hatte, beugte sich zu ihm herüber und flüsterte: „Das ist nur, damit Sie definitiv etwas abbekommen. Denn der Chef und Matt sind ziemliche Naschkatzen.“ Er zwinkerte ihm zu und schnappte sich dann seine lange Fondue-Gabel, um auch noch etwas vom Dessert zu haben, da seine Aussage zu stimmen schien. Während die anderen einen harten Kampf – bei Einhaltung sämtlicher Tischmanieren – um die Leckereien führte, konnte Seto in aller Ruhe die Stücke einzeln aufpieksen, und sich mit warmen Schokoladenüberzug schmecken lassen. Dennoch ertappte er sich, wie er sich von der heiteren Atmosphäre immer mehr anstecken ließ und schließlich am Tischgespräch beteiligte, als es um die Vorzüge des jeweiligen prozentualen Kakaoanteils ging. Satt und zufrieden nippte er am Likör, den Yuki zum Dessert ausgeschenkt hatte und bemerkte, wie sein Blick wie selbstverständlich zum Hotelmanager wanderte, der gerade mit sich selbst, den Löffeln in der Hand, zu kämpfen schien, ob er nun die restliche Schokolade einfach so essen sollte oder nicht. Das letzte Stück zum Tunken war bereits vor Minuten verschwunden. Matt schien deutlich weniger Probleme damit zu haben und führte Löffel um Löffel unter Cians strengem Blick zum Mund. Als der Andere schließlich seine Entscheidung gefällt hatte und sich mit kindlicher Freude an den restlichen Schüsselinhalt machen wollte, war kaum noch etwas da, doch schien es ihn nicht weiter zu stören – auch weil Matt schlagartig aufhörte und ihm das Feld überließ. Sonstige Anwesende hatten davor schon bekannt, sie seien so rund gegessen, dass man mit ihnen Bowling spielen könnte, wobei sie als Kugel dienen würden. So saßen sie noch eine Weile beisammen und scherzten, bis sich der Hotelmanager erhob und leicht mit dem Stiel des blank geleckten Löffels an sein Wasserglas schlug. „Nach diesem wirklich vorzüglichen Mahl“, er blickte kurz zu Shin, ließ den Blick dann aber wieder in er Runde schweifen, „ist es nun an mir, euch euer Valentinstagsgeschenk zu überreichen. Ihr leistet jeden Tag hervorragende Arbeit und mir ist sehr wohl bewusst, dass ohne euch, der Laden hier nie so gut laufen würde.“ Verlegen sah Seto auf den Boden. Selten hatte er sich so fehl am Platz gefühlt wie jetzt. „Aber ihr kennt mich lange genug, um zu wissen“, brachte der Redner nach einer kurzen Pause wieder Schwung in das Gesagte, „dass ihr von mir keine Schokolade erwarten könnt. Außerdem glaube ich, dass wir – zumindest für heute Abend - keine mehr herunter bekommen würden. Daher schenke ich jedem von euch ein Lied. Nehmt eure Gläser mit und kommt in den Nebenraum.“ Unbehaglich rutschte Seto leicht auf der Couch hin und her. Obwohl sie bequem war, wollte er einfach keine Sitzposition finden, die für ihn angenehm war, was vielleicht auch daran liegen könnte, dass sich niemand sonst zu ihm getraut hatte. Normalerweise wäre er bestimmt froh über solch ein Verhalten gewesen, doch nun führte es nur wieder dazu, dass er sich als Fremdköper fühlte. Hans und Shin saßen ihm gegenüber, während Cian und Matt Yuki auf der dritten Couch, die das Hufeisen vervollständigte, in ihre Mitte genommen hatten. Ihre Getränke standen auf einem runden Tischchen in der Mitte, auch das des Hotelmanagers, der mit der Inbetriebnahme der Karaoke-Maschine beschäftigt war. Als die Boxen leicht zu summen anfingen stellte er sich auf die offene Seite des Tischchens und wandte sich an Hans: „Und? Womit soll ich beginnen?“ Hans sah ihm direkt in die Augen und erwiderte nur ein einziges Wort: „Nessaja.“ Ein Lächeln stahl sich auf die Lippen des anderen. „Wie du wünschst.“ Nach kurzem, schnellen Tippen auf einem Tablet, das zur Anlage zu gehören schien, erklangen die ersten leisen Töne der Musik. Seto brauchte eine Weile, bis er bemerkte, dass auf Deutsch gesungen wurde, so gefesselt war er von der Stimme, die nun sang. Doch hätte er auch gerne verstanden, was sie so melancholisch vortrug. Mit Beginn der zweiten Strophe entdeckte er, dass auf dem vom Sänger ignorierten Bildschirm auch die Übersetzung angezeigt wurde und las mit. Unten auf dem Meeresgrund wo alles Leben ewig schweigt kann ich noch meine Träume seh'n wie Luft, die aus der Tiefe steigt. Irgendwo tief in mir bin ich ein Kind geblieben Ein Schauer durchfuhr ihn. Gespannt las er den Text weiter und stellte mit wachsender Verwunderung fest, wie gut er auf ihn passte. Viel zu früh hatte er erwachsen werden müssen. Doch gab es dieses innere Kind überhaupt noch in ihm? Düster hing er seinen Gedanken nach, verpasste das Ende des Liedes und auch wie nun Shin seinen Wunsch äußerte. Nur am Rande nahm er wahr, dass es schon wieder etwas Deutsches war, laut Bildschirm irgendetwas über einen Kerl, der von seiner Angebeteten nicht bemerkt wurde, aber er ließ sich wieder von dieser wunderbaren Stimme gefangen nehmen, die ihn sanft zurückholte, bis seine ganze Aufmerksamkeit nur noch dem Hotelmanager galt, der mit halb geschlossenen Augen vor ihm stand. Er hatte erwartet, dass als nächster Cian an die Reihe kam, doch kam zuerst Yuki zu Wort: „Ain't no sunshine. Und wenn Sie möchten, Chef, löse ich sie danach für ein Lied ab.“ Dieser nahm gerade einen großen Schluck Wasser. „Einverstanden. Mit welchem denn?“ Yuki grinste. „Lassen Sie sich einfach überraschen.“ Setos Meinung nach war das nächste Lied viel zu schnell rum. Er wollte lieber weiter dem Hotelmanager lauschen, der sich nun neben ihn auf die Couch fallen ließ, während Yuki aufstand, bis er die ersten Töne aus ihrem Mund hörte: Head under water And you tell me To breathe easy for awhile Das kannte er! Mokuba hatte es so oft rauf und runter gehört und zu seinem Bedauern auch fast genauso oft laut mitgesungen, dass selbst er textsicher war. Nur hatte Yuki eine deutlich bessere Stimme als sein kleiner Bruder und so viel Volumen und Kraft in ihr wie er es ihr nie zugetraut hätte. Unter tobendem Applaus ihrer Kollegen nahm sie wieder Platz, um ihrem Chef die Bühne erneut zu überlassen. Seto war im Folgenden zu sehr abgelenkt von Shins vor Begeisterung glühendem Gesicht, sodass er verpasste, was sich Cian gewünscht hatte. Doch die bald darauf einsetzende Melodie kam ihm bekannt vor. War das U2? Schien fast so. Did I disappoint you? Or leave a bad taste in your mouth? You act like you never had love And you want me to go without Die Worte trafen irgendetwas in seiner Magengegend, weswegen er den Blick schnell auf die Tischplatte senkte und nach seinem Glas griff, das er nun höchst interessiert musterte. Aber eine Bewegung des Mannes in rot ließ ihn aufschauen – direkt in dessen braune Augen. Have you come here for forgiveness? Have you come to raise the dead? Have you come here to play Jesus? To the lepers in your head Sicher, das war der korrekte Text, an dieser Stelle des Liedes, doch wieso fühlte es sich für ihn so an, als ob sie direkt an ihn gerichtet worden waren? Das erste Mal an diesem Abend war er froh darüber, dass der Hotelmanager irgendwann verstummte, etwas trank und sich dann Matt zuwandte. „Chef, seien Sie mir nicht böse, aber ich singe lieber selbst“, verzichtete dieser soeben auf sein Geschenk. Dessen Lächeln, wurde breiter. „Bin ich nicht. Dann zeig mal was du kannst.“ Und schon wieder saß er direkt neben Seto, auch wenn er doch einen gewissen Abstand hielt, um nicht aufdringlich zu wirken. Während Matt eine extrem gute Version von „Wonderwall“ eine Stimmlage tiefer als das Original zum Besten gab, tippte er jedoch auf dem Tablet herum, bis er gefunden hatte, was er suchte. Cian gröhlte am lautesten nach den Schlussakkorden und raunte dem wieder sitzenden Matt irgendetwas Englisches schnell ins Ohr, was diesen breit, beinahe schon etwas dreckig grinsen ließ. Währenddessen bezog der Chef wieder Stellung mit geschlossenen Augen und startete das nächste Lied. Leise summte er die ersten Töne mit, bevor er einsetzte: Everytime I realize there's something wrong when I see you. Sein Blick fiel genau auf Seto. The way you try to prophesize that dreams just can't come true. Sang er ihn etwa an? But now the hand of fate has turned ... Ja, es galt offensichtlich ihm. Cause everytime I opened up, well, you were never 'round And everytime I lost myself, you were nowhere to be found. ... Plötzlich wurden seine Gesichtszüge weicher. Life is a dream to me. ... Dann sollte er gefälligst alleine träumen. I thought that you were powerful, I once believed that you were strong. But now when I look at you, I realize theres something wrong. ... Ausnahmsweise schien Seto Ignorieren die beste Strategie zu sein. Er tat so als würde ihn all das nicht tangieren und blickte nur wieder gelangweilt auf sein Glas. My life is a dream to you, and me. Life is a dream to you, and me. Your life is a dream to you, and me. Endlich war das Lied rum. Doch damit war die Sache leider noch nicht erledigt. Anklagend sah Yuki den Chef an, aber ihr Protest ging in Cians lautem „Vielen Dank, Chef. Wie komme ich zu der Ehre eines zweiten Liedes?“ unter. Hatte er sich vielleicht geirrt und das Lied hatte gar nicht im gegolten? Ein kurzer Blick zu Yuki belehrte ihn jedoch eines Besseren. Sie schien stocksauer zu sein, stand auf und im nächsten Moment neben dem Hotelmanager, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern. Unmerklich schüttelte er den Kopf, flüsterte etwas zurück und erhob dann die Stimme: „Yuki hat mich gerade darum gebeten, noch etwas singen zu dürfen.“ Wer's glaubt! Sie sah ihn so finster an als male sie sich gerade möglichst qualvolle Foltern für ihn aus. „Long way to happy“, kam es nach mehreren Sekunden von ihr. Seto ignorierte ihren Chef, der wie selbstverständlich für den restlichen Abend neben ihm saß, während sein Team fröhlich vor sich hin sang. Stattdessen fixierte er die Wand hinter dem jeweiligen Sänger und fragte sich, wieso sie alle so gut singen konnten. Wenn sie ihn aufforderten ebenfalls ein Lied zu singen, wehrte er sich mit Händen und Füßen dagegen – zu peinlich wäre es für ihn geworden und zu schmerzhaft für ihre Ohren. So kam er irgendwie darum herum, sich die eigentlich wichtigen Fragen zu stellen. Wie kam der Hotelmanager dazu, ihm ein solches Lied zu widmen? Denn ihm war genau wie Yuki klar, dass es nicht eine Extrarunde für Cian gewesen war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)