Prelude of Shadows von yazumi-chan (Die Team Shadow Chroniken) ================================================================================ Ryan – Akt 3, Szene 2 --------------------- 9 Jahre vor Team Shadows Gründung „Nur um das klarzustellen“, begann Ryan, als sie vor Jos Tür darauf warteten, eingelassen zu werden, „du gehörst nicht zufällig zu Team Aqua, oder?“ Ellie hob die Augenbrauen. „Wie kommst du denn darauf?“ „Ach …“ Ryan dachte an ihre halb ekstatische Beschreibung der Wasserpokémon, die sie bereits gefangen hatte und derer, die noch auf ihrer Liste standen, „Nur so.“ In dem Moment schwang die Tür auf und Jo begrüßte sie mit weit geöffneten Armen. Bei Ellies Anblick allerdings legte sich ihre Stirn in Falten. „Wenn meine alten Augen sich nicht täuschen, hat Corinna sich sehr verändert.“ „Ich bin Ellie“, stellte Ellie sich vor, hustete und schüttelte Jos Hand, bevor die nur einen Pieps sagen konnte. Wie ein Wiesel zwängte sie sich an der ehemaligen Schwester Joy vorbei ins Haus und verschwand in der Küche. Ryan rieb sich die Stirn. „Kann sie heute Nacht hier übernachten?“, fragte er. „Sie hat keine Bleibe und will morgen früh abreisen.“ „Sicher, sicher“, sagte Jo, ohne ihn anzusehen. Ihr Blick war ins Innere des Hauses gerichtet, zur Küche, aus der inzwischen das Klirren von Geschirr und freudiges Schmatzen zu hören waren. „Einen guten Appetit hat sie jedenfalls. Ich hätte euch auch etwas gekocht, wenn ich gewusst hätte, wann ihr zurück seid.“ Nun beäugte sie Ryan doch kritisch. „Zumindest einer von euch beiden. Wo ist Corinna?“ „Sie, äh, sie ist …“ „Ryan!“, unterbrach Ellies entzückter Ruf aus der Küche sein peinliches Gestammel, „hier ist ein himmlischer Pirsifbeerkuchen und ich biete dir nur ein Stück an, weil du mich hier schlafen lässt, aber wenn du nicht in zwei Sekunden da bist, esse ich ihn alleine!“ „Warte, ich komme!“, schrie Ryan und hastete an Jo vorbei, deren viel zu wachsamer Blick ihm den ganzen Weg über folgte.     Nach dem Abendessen verabschiedete Ellie sich unter die Dusche und Ryan ins Bett. Er hatte es irgendwie geschafft, Jo mit anderen Gesprächsthemen bei Laune zu halten und sie hatte sich nicht weiter nach Corinna erkundigt, aber diese Stille gefiel ihm noch weniger, um ehrlich zu sein. Sie gab ihm das Gefühl, nicht Herr der Lage zu sein. Als wüsste Jo mehr, als sie zugab. Die ganze Nacht über machte er kaum ein Auge zu. Er hatte nun zwar einen Weg, um zum Hauptquartier zu kommen, aber er war furchtbar unvorbereitet. Wie sollte er einbrechen, ohne zu wissen, wie das HQ überhaupt gesichert war? Wie sollte er gegen Team Aqua bestehen, wenn es hart auf hart kam und er kämpfen musste? Wie sollte er seinen USB-Stick zurückklauen und Corinna samt Maggy unbemerkt aus der Aqua-Basis schleusen? Am liebsten hätte er Ellie gebeten, noch einige Tage zu warten, aber er wusste, dass sie ablehnen würde. Ihre Leidenschaft für die Meeresbewohner grenzte an ungesunde Obsession und von seinen Unterhaltungen mit Corinna über Team Magma wusste er, dass dagegen nicht anzukommen war. Wenn er nur wüsste, was ihn erwartete. Wenn er nur ein vollständig trainiertes Pokémon-Team hätte, dass es mit jedem Gegner aufnehmen konnte. Es war nervig, schwach zu sein. Die Sonne war noch nicht vollständig aufgegangen, als Ryan es nicht mehr aushielt und förmlich aus dem Bett sprang. Er musste etwas tun. Etwas, dass er nicht unbedingt tun wollte, aber im Angesicht der Umstände sah er keine andere Möglichkeit. Hoffentlich würde Jo ihm verzeihen. Wenn er sie je wiedersah. Ohne Licht anzumachen, schlüpfte er aus dem Gästezimmer, tippelte den Flur entlang und blieb neben Jos Schlafzimmertür stehen. Er legte sein Ohr an das Holz und lauschte. Ihr lautes Schnarchen erfüllte ihn mit etwas Ruhe. Entschlossen schlich er die Treppe hinunter und ins Wohnzimmer. Jos Paras döste wie immer auf der Fensterbank, die mondbeschienen Pilze auf dem Rücken schlaff herabhängend. Zuerst durchsuchte er den Schrank im Flur. Dann die Regale in der Küche. Die kleinen Fächer unter dem Wohnzimmertisch. Sogar im Toilettenschrank sah er nach, ohne Erfolg. „Er muss doch hier irgendwo sein!“, zischte Ryan frustriert, als er wieder im Wohnzimmer stand. Paras, das noch immer schlief, schien ihn mit seiner schieren Existenz zu verhöhnen. „Suchst du den hier?“ Ryan fuhr herum, sein Herz so wild rasend wie zuletzt, als Adrian und Maike ihn fast auf dem Pyroberg beim Lauschen erwischt hatten. Am Fuß der Treppe stand, in ihr pinkes Nachthemd gekleidet und mit ebenfalls pinken Lockenwicklern im Haar, Jo. In der Hand hielt sie einen Pokéball. Sie lächelte traurig. „Du glaubst doch nicht, dass ich etwas so Wichtiges einfach rumliegen lasse. Vor allem, wenn ich Kinder beherberge, die mich anlügen und polizeilich gesucht werden.“ Ryan lief es eiskalt den Rücken runter. „Dachtest du, ich verlasse nie mein Haus?“, fuhr Jo fort. „Ich bin beim Einkaufen an einigen der Plakate vorbeigekommen. Sie haben Corinna wirklich gut getroffen. Und dann tauchst du alleine wieder hier auf, drückst dich um eine Antwort und versuchst anschließend, mein geliebtes Paras zu stehlen. Was soll ich davon halten?“ „Ich …“ Ryan fand sich nicht oft sprachlos zurück. Doch nachdem er zuerst Maike und nun auch Jo völlig falsch eingeschätzt hatte, fragte er sich allmählich, ob seine sozialen Kompetenzen nicht vielleicht doch so schlecht waren, wie Corinna ihm stets versicherte. „Ich möchte nur eines wissen“, sagte Jo, kam die letzte Stufe herunter und setzte sich auf das Sofa, „möchtest du abhauen oder sie retten?“ Ryan schluckte, sah dann jedoch ein, dass zu Lügen nun alles nur noch schlimmer machen würde. Jo hatte ihn entlarvt. Er hatte nichts mehr zu verlieren. „Team Aqua hat sie mitgenommen“, sagte er matt und ließ sich vor Jo im Schneidersitz auf den Boden sinken. „Ich will sie zurückholen.“ Was folgte, war eine ausführliche und für Ryan abwechselnd schmerzhafte und peinliche Nacherzählung der Geschehnisse, seit er Corinna über den Weg gelaufen war. Jo hörte aufmerksam zu und warf nur hin und wieder eine Frage dazwischen. Je länger Ryan berichtete, desto finsterer wurde ihr Ausdruck. „Ich kenne Maike“, sagte sie nach einer Pause, in der sie beide nur stumm ihren Gedanken nachhingen. „Ich war noch im Dienst, als sie auf ihrer Trainerreise hier durchkam. Sie war kein Genie, aber sie hat immer hart gearbeitet und das Verhältnis zu ihren Pokémon war außergewöhnlich. Sie war mitfühlend und herzlich und stets hilfsbereit. Ich kann nicht glauben, dass sie nun mit solchen Menschen zusammenarbeitet und Kinder entführt.“ „Sie war dagegen“, sagte Ryan. „Selbst zum Schluss wollte sie Corinna nur Fragen stellen. Sie schien … mütterlich.“ Jo lächelte, die Falten um ihre Augen traten stärker hervor. „Nett von dir, das zu sagen.“ Ryan stockte. Nett? Was hatte er gesagt? Er hatte Maike erwähnt, positiv, hatte Jo förmlich … aufgemuntert. Er stöhnte, verließ hastig den Raum und versteckte sich hinter einem Schrank. Die Schmach … Wie war es nur so weit gekommen? „Was tust du da?“, rief Jo ihm besorgt hinterher. Ryan schloss die Augen. „Ich durchlebe eine Existenzkrise.“ Ein leises Lachen. „Nun, wenn du damit fertig bist, können wir vielleicht einen Plan aushecken.“ Ryan schielte hinter dem Schrank hervor. Jo lächelte noch immer. Etwas traurig vielleicht, aber sie lächelte. Vorsichtig kam er aus seinem Versteck hervor. „Ich kann dir Paras nicht ausleihen, das wirst du sicher verstehen. Er ist inzwischen alt und zum Kämpfen nicht mehr zu gebrauchen. Aber ich sammle seine Sporen für Tees und Salben.“ Ächzend erhob sie sich und verschwand in der Küche. „Hier irgendwo sollten sie sein … ah, das ist es.“ Als sie zurückkehrte, hielt sie zwei kleine Beutel in den Händen. „Der rote enthält Parasporen, der grüne Schlafpuder. Du solltest die Beutel nur öffnen, wenn du sie auch wirklich benutzen willst, die kleinen Dinger verteilen sich sonst sofort in der Luft. Ich fürchte allerdings, dass die Dosis nur für einen Gebrauch reicht.“ „Danke“, sagte Ryan und nahm die Beutel entgegen. Er wollte es schnippisches, cleveres sagen, etwas, das ihm das Gefühl gab, nicht völlig verweichlicht zu sein. Aber Ironie prallte an Jo ab wie Regen von Wachs und wenn er ehrlich war, konnte er sich nicht daran erinnern, das letzte Mal so freundlich und auf einer Augenebene behandelt worden zu sein. Selbst seine Mutter sprach zu ihm wie zu einem schwierigen Kind. Das musste wohl in der Familie der Joys liegen. Statt also zu keifen, nickte er zu Paras. „Warum haben sie ihn überhaupt?“, fragte er. „Und das Loturzel. Ich dachte, Joys besitzen nur Chaneira.“ „Das sind unsere Starter bei der Ausbildung“, stimmte Jo zu. „Aber es gibt genug Trainer, die Pokémon in der Nähe von Pokécentern aussetzen oder freilassen und manchmal formt sich zwischen Pokémon und Retter eine Beziehung, bevor das Pokémon ausgewildert werden kann.“ „Und ihr Chaneira?“, fragte Ryan, obwohl er, tief im inneren, die Antwort schon kannte. „Chino starb vor einem halben Jahr“, sagte Jo leise, erhob sich und sah mit dem Rücken zu ihm aus dem Fenster. „Ich habe sie unter den Blumenbeeten begraben, das hätte ihr gefallen. Wir haben den Pyroberg noch nie gemocht.“ Ryan leistete ihr Gesellschaft, bis die Sonne aufging und die letzten Schleier der Trauer aus dem Wohnzimmer vertrieb.     Bevor Ellie wach wurde und auf sofortige Abreise drängen konnte, kratzte Ryan sein gesamtes Erspartes zusammen und deckte sich im Einkaufszentrum mit einer Fülle aus Supertränken ein. Als er an einem Regal mit angepriesenen Fluchtseilen vorbeikam, platzte ihm jedoch der Kragen. „Ein langes, festes Seil, das die sofortige Flucht aus Höhlen oder Ähnlichem ermöglicht. Was soll das denn bitte heißen?“, fragte er aufgebracht den nächstbesten Bediensteten, der gerade mit verrutschter Brille und einem Arm voller Kartons um die Ecke kam. „Teleportiert es des Nutzer etwa zum Ausgang? Das Seil ist nicht mal zwei Meter lang, das reicht ja kaum, um einen Abhang runterzuklettern, geschweige denn hoch!“ „Das steht so in der Artikelbeschreibung, wie übernehmen die nur“, erwiderte der Angestellte, sichtlich unangenehm berührt. Gut so. Es war lange her, dass Ryan seinem gerechten Zorn hatte Luft machen können. „Das sofortig ist auch problematisch“, fuhr er fort. „Das sollte aus der Anzeige gestrichen werden.“ Der Angestellte begann unter dem Gewicht seiner Kartons zu schwitzen. „Aber dann stände dort ja nur noch Ein festes Seil, das die Flucht aus Höhlen ermöglicht.“ „Wenn es das überhaupt tut“, stimmte Ryan zu. „Und was die Festigkeit angeht, wie wurde das getestet? Wie viel Zug hält es aus, bevor es reißt?“ „Ich … ich weiß nicht?“ „Ich soll also mein Leben, das Leben meiner Freunde und meiner Pokémon einem Produkt anvertrauen, das weder lang ist, noch sofortige Rettung verspricht, noch im Zweifelsfalls stark genug ist, um unser gemeinsames Gewicht zu tragen?“ „V-vielleicht sollte ich den Geschäftsführer holen, damit Sie mit ihm sprechen können …“ „Das“, sagte Ryan und atmete tief durch, „würde mich sehr befriedigen.“     Eine halbe Stunde später verließ er das Einkaufszentrum mit einem Rucksack voller Tränke und Seile, die nun unter dem Verkaufsslogan Ein Seil verkauft wurden. Zufrieden mit sich und der Welt kehrte Ryan zu Jos Haus zurück, wo Ellie wie vermutet bereits ungeduldig auf ihn wartete. „Wo bist du gewesen?“, fragte sie wütend. Ihre Stimme hatte sich dank Jos Kräutertees etwas erholt, aber sie trug noch immer ihren Mundschutz. „Ich wollte schon vor einer Stunde aufbrechen!“ „Jetzt bin ich soweit“, sagte Ryan, noch immer zu glücklich, um sich wegen ihres Tons zu ereifern. Ellie seufzte, schulterte ihren Rucksack und stapfte davon. Ryan folgte ihr. Bis zum Strand war es nur eine kurze Strecke zu Fuß. Wingulls kreischten in der Ferne und sanfte Wellen schäumten über den Sand, bevor sie sich wieder zurückzogen. Ellie zog einen Pokéball aus ihrer Hosentasche und rief ihr Pokémon, ein stämmiges Moorabbel, das sich seiner Trainerin um den Hals warf und aufgeregt mit dem Hinterteil wackelte. Als die beiden sich endlich voneinander lösten, sah Ellie zu ihm. „Also, wo soll es jetzt hingehen?“, fragte sie. „Zum Team Aqua Hauptquartier“, sagte Ryan. Er wartete auf ihre Reaktion. Zuerst schien sie verwirrt, dann hellten sich ihre Züge auf. „Ach, deshalb wolltest du wissen, ob ich Mitglied bin. Du willst beitreten!“ „Ja, genau“, stimmte Ryan zu. „Du hast die Situation perfekt erkannt.“ „Wusste ich es doch.“ Die Freude über ihre Entdeckung wurde unterbrochen, als aus der Ferne eine schrille Stimme erklang. „Ellie Merick, kommt sofort zurück!“ Ryan riss den Kopf herum, nur um Schwester Joy zu entdecken, die mit hochgerafftem Rock durch den Sand sprintete und auf sie zuhielt. „Du bist noch nicht wieder gesund!“ Ellie blieb ihr Lachen im Halse stecken. „RENN! RENN UM DEIN LEBEN!“ Ryan rannte. Nicht um sein Leben, aber bei dem Zorn, der von Joy zu ihnen herüberbrodelte, fühlte es sich fast so an. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)