Prelude of Shadows von yazumi-chan (Die Team Shadow Chroniken) ================================================================================ Ryan – Akt 3, Szene 3 --------------------- 9 Jahre vor Team Shadows Gründung     Ryan war nicht sicher, was er erwartet hatte. Dass Moorabbel auf magische Weise anwachsen und sie trocken durchs Meer transportieren würde, vielleicht. Oder das sich eine trockene Blase um sie bilden würde. Wie immer fand er sich auf grandiose Weise vom Universum verraten. Mit Schwester Joys Geschrei im Hintergrund hatte Ellie sich blitzschnell ihrer Schuhe und Socken entledigt und Ryan beordert, dasselbe zu tun. Nun hingen sie beide mit einem Arm um Moorabbels Rumpf geklammert bis zur Brust im Wasser, die Rücksäcke zwischen sich im trockenen gelagert, und schwammen aufs offene Meer hinaus. „Ich hasse mein Leben“, sagte Ryan, der schon lange nicht mehr zu dieser Erkenntnis gekommen war. „Ich hasse es mit der Macht von tausend Sonnen.“ Trotz Moorabbels geringer Größe und seiner beiden Anhängsel erwies sich der Wasserstarter als hervorragender Schwimmer. Bis Schwester Joy den Strand überquert hatte und zu den Knien im Wasser stand, hatten sie sich bereits gut hundert Meter von den Wellen davontragen lassen. Die Schwester war nur noch ein fuchtelnder Fleck in der Ferne. Ellie lenkte Moorabbel zunächst aufs offene Meer hinaus, bevor es weiter nach Norden ging. Es dauerte nicht lange, bis sich eine gewaltige Meereshöhle vom Horizont abhob. Ryan kniff die Augen zusammen, um die dunklen Punkte in Fokus zu bringen, die das Hauptquartier in einem engen Radius umschwärmten. Er musste dringend seine Sehstärke testen lassen. Je näher sie kamen, desto genauer konnte er die Formen erkennen. Es waren Kameradrohnen, vier Stück, die das Meer im Umkreis des Höhleneingangs filmten. Ryan zischte genervt. Es war ja nicht auch so schon schwer genug gewesen. „Halt an“, befahl er. Ellie sah ihn überrascht an, gab Moorabbel aber einen leichten Klaps. Das Wasserpokémon wurde langsamer und kam schließlich zum Stillstand. „Welches Bibor hat dir denn in den Allerwertesten gepiekst?“, fragte sie. „Wir sind noch nicht mal in der Nähe. Sag nicht, du willst das letzte Stück schwimmen? Dann hätten wir uns diesen Umweg nämlich sparen können.“ „Siehst du die Kameras?“, fragte Ryan und deutete unauffällig in die Richtung der Drohnen. Er wusste nicht, wie weit ihr Blickwinkel reichte, aber bislang gingen er und Ellie noch als normale Wassertrainer durch. „Wenn wir näher kommen, werden sie uns entdecken.“ „Und wo ist das Problem?“, erwiderte Ellie und hustete. „Ich meine, du willst doch beitreten. Vielleicht schmeißen sie eine Willkommensparty oder so.“ „Bezweifle ich“, presste Ryan zwischen den Zähnen hervor. Er hatte völlig verdrängt, dass Ellie dachte, er wolle Aqua beitreten. Wie sagte seine Mutter immer? Lügen haben kurze Beine. Er wünschte, sie hätte nicht ausgerechnet in diesem Punkt Recht. „Ich habe mich das schon eine Weile gefragt“, fuhr Ellie unterdessen fort, „aber wie läuft so ein Beitritt eigentlich ab? Und warum hast du kein eigenes Wasserpokémon?“ „Wir bekommen unseren Wasserstarter vor Ort“, erklärte er ungeduldig. „Und es kann nicht einfach jeder reinspazieren, man muss beweisen, dass man geeignet ist.“ „Und wie?“ „Nun, zum Beispiel, indem man sich an diesen Überwachungskameras vorbeischleicht und sie in ihrem Hauptquartier überrascht.“ Ellie verzog das Gesicht. „Klingt fischig.“ „Fischig? Sagt die Jugend das heutzutage so?“ „Ich sage das so. Und was heißt hier die Jugend, du bist doch selbst erst —“ Ryan warf ihr einen strafenden Blick zu. „Was ist jetzt, hilfst du mir, da reinzukommen, oder nicht?“ Sie kratzte sich am Kopf. „Beweist das nicht eher meine Eignung? Solltest du nicht selbstständig dort reinkommen?“ „Denk … einfach nicht und tu, was ich dir sage.“ Ellie wirkte nicht sehr überzeugt, nickte jedoch. „Was soll ich tun?“ Ryan dachte kurz nach. Vermutlich waren innerhalb der Höhle Überwachungskameras angebracht und er wettete, dass die Türen elektrisch oder zumindest manuell verriegelt waren. Zuerst musste er sich Zugang zur Schaltzentrale verschaffen, ohne gesehen zu werden. Aber dafür musste er an den Drohnen vorbei. „Dein Moorabbel kann nicht zufällig Taucher, oder?“, fragte er hoffnungsvoll. Ellie sah ihn verächtlich an. „Natürlich kann er das“, sagte sie. „Wie sonst soll ich wohl Perlu und Relikanth fangen?“ „Und Atemmasken?“ „Die wollte ich mir in Moosbach City kaufen.“ Ryan seufzte schwer. „Was denn?“, fauchte sie beleidigt. „Dort gibt es ein Spezialgeschäft! Aber ich kann bestimmt zwei Minuten die Luft anhalten“, fügte sie stolz hinzu. „Ich dafür nur dreißig Sekunden“, sagte Ryan, rückte seine herabgerutschte Brille zurecht und versuchte, sich seine Enttäuschung nicht zu sehr anmerken zu lassen. Dreißig Sekunden. Vielleicht auch länger, er hatte seine Lunge schließlich nie wirklich auf die Probe gestellt. Trotzdem war es ein sehr knapp bemessener Zeitrahmen. „Was ist jetzt?“, fragte Ellie. „Tauchen wir oder nicht?“   Ryan hatte wirklich keine Lust, aber was blieb ihm anderes übrig? Er überprüfte ein letztes Mal, dass die Puderbeutel, die Jo ihm mitgegeben hatte, sicher und wasserdicht in ihren Plastiktüten verpackt waren, dann nickte er. „Tauchen wir.“ Moorabbel ließ sich etwas tiefer sinken, bis Ryan das Wasser bis unter die Nase stand. Vorsichtig näherten sie sich der Höhle. Sie hatten nur eine Chance. Wenn sie zwischenzeitlich auftauchten, bevor sie ihr Ziel erreichten, war alles vorbei. Als sie so nah waren, dass die Drohnen eine echte Gefahr darstellten, gab Ellie das Zeichen, Ryan holte tief Luft und sie tauchten ab. Obwohl das Salzwasser in seinen Augen stach, hielt Ryan sie zwanghaft geöffnet. Moorabbel tauchte nicht tief, gerade weit genug nach unten, dass die Drohnen sich durch den Wellengang nicht ausmachen konnten. Kurz schwebten sie im blauen Nichts. Plötzlich ging ein Ruck durch Ryan, der sich verzweifelt an Moorabbels Rumpf krallte, als der Wasserstarter mit den kräftigen Flossenbeinen Schwung holte und sie wie einen Torpedo durch das Meer katapultierte. Sie konnten kaum zehn Sekunden unter Wasser gewesen sein, aber Ryan kam es bereits vor wie eine volle Minute. Moorabbels Spurt hatte ihn so erschrocken, dass ihm einige Luftblasen entwichen waren und nun brannte seine Lunge. In seinem Hinterkopf wusste er, dass die Aufregung und Panik sein Herz schneller schlagen ließen und seinen Sauerstoffverbrauch dadurch erhöhten, aber das ließ ihn nur noch stärker in Panik geraten und Ryan musste aktiv dagegen ankämpfen, Moorabbel loszulassen und zur rettenden Oberfläche zu schwimmen. Noch zehn Sekunden. Oder zwanzig? Ryans Kehle kontrahierte. Er hatte keine Luft mehr, das Meer drückte von allen Seiten auf ihn ein. Vergiss Corinna, er musste hoch, sonst würde er kläglich ertrinken! Er lockerte seinen Griff um Moorabbel, doch eine Hand schoss vor und packte sein Handgelenk. Panisch riss Ryan den Kopf herum, nur um verschwommen Ellie zu erkennen, die ihn eisern festhielt. Ryan öffnete den Mund, atmete sein letztes bisschen Luft aus, spürte, wie sein Körper den Auftrieb verlor und schwerer wurde, wie Moorabbel sie weiter mitzog und dann, als wäre alles nur ein böser Traum gewesen, aus den Tiefen auftauchte. Seine erste Amtshandlung war, zu atmen. Ryan hätte nie gedacht, jemals so dankbar für frische Luft zu sein, aber in diesem Moment war es das köstlichste, was er je geschmeckt hatte. Seine zweite Amtshandlung war, sich panisch umzusehen. Moorabbel hatte den Ort für ihr Auftauchen gut ausgewählt, absichtlich oder nicht. Sie befanden sich direkt neben der Steinwand, die über ihnen einen Tunnel bildete und gut fünfzig Meter tiefer in die Meereshöhle führte. An den Wänden hingen Kameras, aber sie waren weit auseinander und deckten erst ab dem eigentlichen Eingang am Ende des Tunnels den gesamten Bereich ab. Die Luft war nur erfüllt von dem echohaften Schwappen des Wassers und dem Wind, der sich am Eingang brach. Keine Warnsignale oder schrilles Piepen. Bislang waren sie unentdeckt geblieben. Trotzdem machte sich seine Aufregung bemerkbar. Ryans Herz klopfte laut und heftig in seiner Brust und er schnappte noch immer nach Atem, obwohl sie schon eine gute Minute über Wasser waren. Ellie sah sich begeistert um. Ryan hoffte inständig, sie begriff den Ernst der Lage und würde nicht anfangen, rumzuschreien (er traute ihrer Intelligenz nicht ganz über den Weg), aber sie machte keinen Mucks. Als Ryan sicher war, dass sie vorerst nicht entdeckt werden würden, kramte er Shuppets Pokéball aus seiner Jackentasche und rief sein Pokémon. Kaum dass es sich materialisierte, raunte er ihm zu, unsichtbar zu werden. Der dunkle Geist gehorchte aufs Wort, auch wenn Ryan kalte Schauer über den Rücken liefen, da das Pokémon sich eng an ihn schmiegte. Seine Nervosität musste Shuppet ziemlich gefallen. Verdammter Sadist. „Siehst du die Kameras am Ende des Tunnels?“, fragte er leise. Ein kaltes, feuchtes Etwas fuhr seine Wange entlang und Ryan stieß beinahe einen schrillen Schrei aus. Hatte … hatte Shuppet ihn gerade abgeleckt? Blaue Augen erschienen vor ihm, zusammengekniffen in eindeutiger Schadenfreude. Hatte Ryan wirklich auch nur für eine Sekunde geglaubt, er könnte sich mit diesem Freakmonster arrangieren? Hah! Sehr witzig, Ryan. Wirklich zum Totlachen. „Sie machen es unmöglich, in das HQ einzubrechen“, fuhr er im Flüsterton fort. „Es gibt zwei Möglichkeiten, wie wir fortfahren. Wenn die Tür einen manuellen Schließmechanismus hat, musst du die Kameras so drehen, dass wir ungesehen reinkönnen und die Tür von innen öffnen. Wenn die Tür elektrisch verschlossen ist, müssen wir warten, bis jemand die Tür benutzt, dann kannst du ausspionieren, was der Code ist. Die Kameras können erst kurz vor unserem Einbruch verschoben werden, sonst merken die Aquas was. Verstanden?“ Shuppets Augen schlossen sich in einem zustimmenden Zwinkern. Es war so schnell verschwunden, dass Ryan nicht sicher war, wirklich mit ihm geredet zu haben. „Ich will mich da ja nicht einmischen“, sagte Ellie langezogen, „aber bist du sicher, dass du so von Aqua aufgenommen wirst? Solltest du nicht, ich weiß nicht, anklopfen und nett fragen, ob du beitreten kannst?“ „Ich hab dir schon gesagt, dass man sich erst beweisen muss!“, fauchte Ryan, der zwar froh war, sich an Moorabbel klammern zu können, aber auf Ellies Gesellschaft gerne verzichtet hätte. „Wie schwer von Begriff bist du eigentlich?!“ Ellies Blick verfinsterte sich. „Tut mir leid, dass ich helfen wollte“, sagte sie leise, schob Ryans Rucksack von Moorabbels Rücken, sodass Ryan loslassen musste, um seine Tasche zu retten. „Wird nicht wieder vorkommen.“ Und mit diesen Worten holte sie tief Luft und verschwand mit ihrem Wasserstarter in den Tiefen. Ryan fand sich allein und mit einem stetig nasser werdenden Rucksack wieder, eingekesselt zwischen Überwachsungskameras und ohne Hilfe. Warum konnte er nicht einmal in seinem Leben die Klappe halten? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)