Prelude of Shadows von yazumi-chan (Die Team Shadow Chroniken) ================================================================================ Jayden – Akt 1, Szene 1 ----------------------- 8 Jahre vor Team Shadows Gründung   Sie war größer als er, hatte auch im Winter Sommersprossen und stutzte ihren kurzen Fransenpony jede Woche mit einer gigantischen Küchenschere. Chris war das Nachbarsmädchen von nebenan und Jayden wurde nicht aus ihr schlau. Auch heute saß sie wieder auf ihrem Bett, Spiegel zwischen die schmalen Knie geklemmt und verfolgte mit konzentrierter Miene die Schere in ihren Händen, zwischen deren Stahlklingen Strähne um Strähne in ihren Schoß fiel. Jayden sah fieberhaft durch das offene Fenster in ihr Zimmer. Ihre Häuser waren für Alabastia-Verhältnisse nah beieinander gebaut und so hatte er die Eigenheiten seiner Altersgenossin jederzeit aus der Nähe beobachten können. Die letzte Ponysträhne fiel zu Boden und Chris ließ zufrieden ihre Schere sinken. Sie kletterte vom Bett, verstaute Schere und Spiegel außerhalb von Jaydens Sichtfeld und lief aus ihrem Zimmer. Nur eine Minute später erklang das Knallen einer Haustür. Ohne nachzudenken sprang er auf und verließ fluchtartig sein Zimmer. Außer der ein oder anderen Begegnung im Supermarkt, wenn er mit seiner Mutter einkaufen war und zu einem gemurmelten Hallo gezwungen wurde, hatte er Chris nie richtig kennengelernt, und dass, obwohl sie seit ihrer Geburt nur durch zwanzig Meter Wiese und zwei Hauswände getrennt waren. Chris war anders als die anderen Kinder und irgendwie mochte er sie nicht, aber sie zu beobachten war stets sein liebster Zeitvertreib. Auf der Wendeltreppe im Flur stolperte er fast über seine eigenen Füße, kam aber gerade rechtzeitig zum Stehen, um nicht in den Schuhschrank zu poltern. Während er hastig in seine Turnschuhe schlüpfte, tauchte seine Mutter mit einem Korb Wäsche aus dem Keller auf und strubbelte ihm durch sein orangeblondes Haar. „Sei zum Abendessen wieder da“, ermahnte sie ihn. „Ja, Mama“, murmelte er genervt und lief durch die Haustür hinaus in die brütende Hitze. Der Boden war trocken und staubte unter seinen Sohlen. Jaydens Familie wohnte weitab vom Stadtzentrum und selbst mit dem Fahrrad waren es gute dreißig Minuten, bis die verstreuten Wohnhäuser von den ersten Läden unterbrochen wurden und die Straße mehr war, als nur ein Streifen plattgelaufener Erde. Die Hitze drückte von allen Seiten auf ihn herab, aber davon ließ er sich nicht beirren. Er kratzte sich unbeholfen am Rücken, wo die ersten Schweißtropfen zwischen seinen Schulterblättern herabrannen und umrundete das Haus. Den Wiesen war das Sommerwetter nicht gut bekommen. Das inzwischen braune Gras hing lasch zu Boden und die Luft roch unangenehm süßlich nach den Stellen, an denen es schon faulte. Jayden lief weiter, bis er weit entfernt im Norden die dichten Wälder und den Durchgang zu Route 1 entdeckte. Er verlangsamte seine Schritte und stapfte andächtig durch das vertrocknete Gras. Seine Mutter war nicht kleinlich und ließ ihn mit seinen elf Jahren ohne Wimpernzucken durch ganz Alabastia stromern, aber Route 1 und alles Dahinterliegende waren absolute Tabu-Zone. „Bis du ein eigenes Pokémon hast, mit dem du dich verteidigen kannst, wirst du dich von dort fernhalten“, pflegte sie zu sagen. Jayden fieberte diesem Ereignis entgegen, seit er wusste, dass sein Vater ein Assistent in Professor Eichs Labor war und er deshalb eins der Laborpokémon erhalten würde, sobald er zwölf war. Noch drei Wochen, dachte Jayden und unterdrückte den Impuls, umzukehren, zum Labor zu sprinten und sein Pokémon sofort einzufordern. Er schüttelte den Kopf und sah sich um. Chris stand etwas abseits und schaute in den Himmel,  während eine schwüle Brise das lange Haar um ihren Kopf blies. Kurzentschlossen sprintete Jayden los und kam einige Meter hinter dem Mädchen zum Stehen. „Lass uns kämpfen!“, befahl er und tat so, als würde er einen Pokéball von seinem Gürtel nehmen. „Los, Glurak! Flammenwurf!“ Chris drehte sich zu ihm um. Sie machte keine Anstalten, ihr eigenes Fantasie-Pokémon zu rufen und das irritierte und ärgerte Jayden ungemein. Sie sollte sich freuen, dass er ihr gefolgt war, um zusammen zu spielen, schließlich hatte sie keine Freunde in Alabastia. „Du hast kein Pokémon“, stellte sie ernst fest. „Und wenn doch, dann wäre es kein Glurak.“ „Ja, aber wir können ja so tun“, erwiderte Jayden genervt und wedelte mit seiner leeren Hand durch die Luft. „Ich hab’ ein Glurak und du ein anderes Pokémon und dann kämpfen wir mit ihnen.“ Sie runzelte die Stirn, was unter ihrem kurzen Pony leicht zu sehen war. „Aber wie kämpfen wir, wenn es sie nicht gibt?“ Sie sah ehrlich verwirrt aus. Jayden seufzte. „Glurak, zurück.“ Er stemmte die Hände in die Hüften und sah Chris durchdringend an. „Weißt du, was ein Glurak ist?“ „Natürlich. Red hat ein Glurak.“ „Jetzt stell dir vor, es steht neben uns.“ Sie kniff die Augen zusammen und sah sich um, schüttele jedoch den Kopf. „Ich sehe es nicht.“ „Argh!“ Wütend stampfte Jayden auf. „Man kann überhaupt nicht mit dir spielen, deshalb bist du immer alleine.“ Er machte auf dem Absatz kehrt und stapfte zurück zu seinem Haus. Blöde Chris und ihr blöder Pony. War es so schwer, sich einen gespielten Kampf mit ihm zu liefern? Hinter ihm hörte er ein leises Geräusch. Zuerst ignorierte er es, aber schließlich wurde die Neugier zu groß und er drehte den Kopf. Chris hockte im Gras, Knie umschlungen und sah schniefend auf ihre Füße. Einen kurzen Moment zögerte Jayden, dann lief er weiter. Sollte sie doch weinen. War ihm doch egal. Mädchen waren doof, das war ihm schon immer klar gewesen. Chris war ein tolles Beispiel dafür, wie wenig Spaß man mit Mädchen haben konnte. Eine leise Stimme in seinem Hinterkopf sagte, dass es an Chris lag, nicht daran, dass sie ein Mädchen war, aber Jayden mochte die Stimme nicht. Immer, wenn er auf sie hörte, fühlte er sich gleich schlechter. Sie zu ignorieren, war das Beste. „Schon zurück?“, fragte seine Mutter, als er bockig die Turnschuhe von seinen Füßen trat und die Treppe hinauf stürmte. „Der Lehrkanal fängt gleich an!“, rief sie ihm hinterher. Jayden grummelte etwas Unverständliches, lief in sein Zimmer und setzte sich auf seine Fensterbank, von wo aus er Chris beobachtete, die unverändert auf der Wiese hockte. Jayden beobachtete sie noch einige Minuten, doch schließlich ging er ins Wohnzimmer. Castor wartete schließlich nicht. Die heutige Folge konnte er jedoch nicht genießen. Immer wieder schweiften seine Gedanken zu Chris zurück, die so traurig ausgesehen hatte. Als wüsste sie nicht, was sie falsch gemacht hatte. Trotzdem gestand Jayden sich keine Schuld ein. Chris war langweilig und er hatte keine Lust, sich mit ihr anzufreunden, wenn er nicht einmal mit ihr spielen konnte. Außerdem würde er ohnehin bald Alabastia verlassen. Der Gedanke an sein erstes eigenes Pokémon hob seine Stimmung augenblicklich und als er an diesem Abend schwitzend und bei offenem Fenster im Bett lag und wegen der Hitze nicht schlafen konnte, malte er sich in den wildesten Farben aus, wie sein zukünftiger Partner und er die Welt unsicher machen würden.     Jayden begegnete Chris nur zwei weitere Male während der nächsten drei Wochen, einmal vor ihrem Haus, als sie auf Zehenspitzen den Briefkasten entleerte und ihn allem Anschein nach ignorierte und ein anderes Mal auf dem Spielplatz der Dorfschule, wo sie alleine an den Zaun gelehnt stand und in den Himmel starrte. Beide Male dachte er darüber nach, sie anzusprechen, aber sie schien so fern von allem zu sein, dass er es bleiben ließ, auch wenn Castor aus dem Lehrkanal in einer der neusten Folgen dazu aufrief, mit einsamen Kindern zu reden, damit sie nicht mehr alleine waren. Das soll er mal bei Chris probieren, dachte Jayden bockig. An ihr würde sich selbst sein größtes Idol die Zähne ausbeißen, da war er sicher. Die Zeit bis zu Jayden Geburtstag verging zäh wie Honig, aber als Jayden am 22. Juli trotz drückender Hitze aus dem Bett sprang und seinen am Tag zuvor gepackten Rucksack samt Schlafsack auf den Rücken schnellte, war alles Warten vergessen. Er stolperte die Treppe hinunter, zog seine Schuhe an und lief zur Tür. Es war soweit. Er war offiziell zwölf, und nichts und niemand würde ihn davon abhalten, augenblicklich ins Labor von Professor Eich zu stürmen und sich sein erstes Pokémon abzuholen. Seine Mutter sah um die Ecke. „Jay, ich habe dir einen Kuchen gebacken und—was machst du denn da?“ Jayden hielt mit beiden Händen auf dem Türknauf inne und drehte sich in Zeitlupe zu ihr um. „Zum Labor gehen?“ Sie zog eine Augenbraue hoch. „Dein Vater bringt dich doch gleich hin, wenn er zur Arbeit geht. Sag bloß, du wärst ohne ein Wort abgehauen? Wer weiß, wann wir uns das nächste Mal wiedersehen.“ Jayden zögerte. Er konnte es nicht abwarten, endlich ein Trainer zu sein und sein Abenteuer zu beginnen. Andererseits gab es Kuchen. Er entschied, dass sein Abenteuer noch ein paar Minuten warten konnte. Als er das Esszimmer betrat, musste er schlucken. Er war gestern Abend zuletzt hier gewesen, um seinen Eltern Gute Nacht zu sagen, doch jetzt hingen von den Gardinenstangen Schnüre voller Luftballons und Papierschlangen. Ein großer Schokokuchen mit zwölf Kerzen stand in der Mitte des Tisches und zwei bunt verpackte Geschenke lagen auf dem Teller am Kopfende, dessen Stuhlrückenlehne Jaydens Name schmückte. Seine Mutter stand neben seinem Vater und wischte sich einige Tränen weg. „Alles Gute zum Geburtstag, Jay“, sagte sie und nahm ihn in den Arm. „Alles Gute, mein Sohn“, sagte sein Vater und umarmte sie beide. Jayden drückte fest die Augen zu. Er freute sich auf seine Reise. Er wollte unbedingt los. Warum also tat jetzt sein Herz so komisch weh? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)