Prelude of Shadows von yazumi-chan (Die Team Shadow Chroniken) ================================================================================ Jayden – Akt 1, Szene 5 ----------------------- 8 Jahre vor Team Shadows Gründung   Hastig riss Jayden den Kopf zurück. Was machte Nicole hier, in Vertania City? Sollte sie nicht in Alabastia sein? „Er schläft“, antwortete Joy ruhig. Ihre Stimme war so tief, dass Jayden die Vibration in seiner Brust zu spüren glaubte. „Kommen Sie doch später wieder.“ „Es ist dringend!“, entgegnete Nicole. „Wir vermuten, dass er ein Laborpokémon gestohlen hat, ein wichtiges Forschungsobjekt. Ich muss sofort mit ihm reden.“ „Der Junge war zu lange in der Sonne und hat sich einen Sonnenstich zugezogen“, sagte Joy geduldig und doch mit Härte in ihren Worten. „Er hat sich übergeben, ist fiebrig und wird vermutlich mit höllischen Kopf- und Muskelschmerzen aufwachen. Jetzt schläft er und es ist mir egal, ob er ein Pokémon gestohlen oder jemanden mit einem Messer bedroht hat, Sie werden ihn gefälligst in Ruhe lassen, bis er von alleine aufwacht.“ Jayden nickte still mit. Verdammt richtig. Sein Schädel pochte und sein Nacken war steif wie ein Bündel Stahlseile. Wenigstens war ihm nicht mehr schwindelig. Wie lange hatte er überhaupt geschlafen? Einige Stunden vielleicht. Joy musste sich um ihn gekümmert haben. Nicole holte Luft, um zu widersprechen, überlegte es sich jedoch im nächsten Moment anders. „In Ordnung. Darf ich ihn wenigstens sehen? Ich will sichergehen, dass er noch hier ist und schläft.“ „Folgen Sie mir.“ Jayden fluchte, schloss die Tür blitzschnell hinter sich und sprang zurück auf die Liege. Er lag kaum wieder, da öffnete sich sachte die Tür. Er wagte es nicht, die Augen auch nur einen Spalt zu öffnen, aus Angst, Nicole könnte es bemerken. Stattdessen atmete er ruhig und ebenmäßig. „Wenn Sie wollen, können Sie sich ein Zimmer für die Nacht mieten und gleich morgen früh mit ihm reden“, flüsterte Joy. Nicole musste genickt haben, denn im nächsten Moment schloss die Tür sich erneut und Jayden blieb allein und mit wild pochendem Herzen auf der Liege zurück. Er musste weg. Sofort. Als er draußen keine Schritte mehr vernehmen konnte, sprang er auf und schlich zur Tür. Er zog seine Schuhe an, schulterte den Rucksack und ging zum Fenster. Es war ungewöhnlich weit oben angebracht, aber wenn er sich auf die Zehenspitzen stellte, konnte er hinausklettern. Und notfalls gab es schließlich noch den Stuhl. Vorsichtig zog er die Vorhänge zur Seite. Draußen war es noch nicht ganz dunkel. Die Sonne war bereits hinter dem Horizont verschwunden und außer dem einen oder anderen Passanten waren die Straßen leer. Jayden nickte zufrieden. Wenn er den richtigen Moment abpasste, würde ihn niemand beobachten und bis Nicole morgen früh bemerkte, dass er getürmt war, wäre er schon über alle Berge. Er streckte sich, packte den Griff und drehte— —der Griff hing fest. Jayden versuchte es erneut, fester dieses Mal, aber nichts geschah. Erst jetzt bemerkte er das kleine Schlüsselloch im Griff. Sein Fluchtplan verpuffte ins Nichts. Das Fenster war natürlich gegen Einbrecher (und vielleicht unwillige Patienten) gesichert. Erneut sah er sich im Raum um. Es gab nichts, womit er das Fenster gewaltsam öffnen könnte. Er musste entweder das Pokécenter nach etwas schwerem durchsuchen, oder aber einen anderen Ausgang finden, eine Hintertür vielleicht. So oder so hatte er keine Wahl. Er musste sein sicheres Versteck verlassen. Auf Zehenspitzen tapste er zur Tür und schob sie sanft auf. Der Flur lag dunkel und still da. Aus dem Hauptraum drangen das Klackern einer Tastatur und ein geräuschvolles Schlürfen. Das Brummen der Klimaanlage und das Piepen der Heilmaschine füllten seine Ohren. Mit wild pochendem Herzen trat Jayden hinaus auf den Gang und wandte sich nach links, tiefer ins Gebäude hinein. Alles war verlassen. Zum Glück, dachte Jayden. Er hatte keine Ahnung, wie er sein Rumschleichen erklären sollte. Selbst wenn Joy ihn erwischte und er nicht erkennen ließ, dass er von Nicole erfahren hatte, gab es sicher Vorschriften, dass Patienten nicht spätabends alleine durch Pokécenter wandeln durften. Die erste Tür, die er überprüfte, führte in eine Besenkammer mit allerlei Putzutensilien, deren stechender Geruch Jayden in der Nase brannte. Er sah sich kurz um, aber ohne Licht war es schwer, schwere Gegenstände auszumachen und als er über einen Wischmopp stolperte und beinahe das ganze Regal zum Einsturz gebracht hätte, schloss er die Tür und machte sich auf die Suche nach einer besseren Option. Am Ende des Flurs entdeckte er zwei weitere Durchgänge. Der eine war mit einem großen, rotumrandeten Schild markiert, auf dem in fetten Buchstaben ZUTRITT FÜR UNBEFUGTE VERBOTEN stand. Die zweite war mit einem kleineren, weniger intensiven Privat-Aufkleber markiert. Jayden beschloss, es zuerst hier zu versuchen. Er befürchtete schon, die Tür könnte ebenfalls verschlossen sein, aber er hatte Glück. Sie schwang problemlos auf. Drinnen machte er das Licht an, denn es war stockduster und er konnte nichts erkennen. Als die Glühbirne flimmernd zum Leben erwachte, blieb Jayden abrupt stehen. Er war nicht sicher, was er genau erwartet hatte, aber jedenfalls nicht das. Dann wiederum war die Schwester Joy in Vertania City sehr ungewöhnlich. Der Fliesenboden war mit weichen Matten ausgelegt, die unter Jayden Schritten federten. An die Wände reihten sich Gestellte voller verschiedener Gewichte, Hanteln und riesige Kugeln, die aussahen wie aus einem Piratenfilm. Diverse andere Sportgeräte standen in den Zwischenräumen, stationäre Fahrräder, Laufbänder und Maschinen, die so verworren aussahen, dass Jayden nicht mal annähernd wusste, wie sie überhaupt zu bedienen waren. Er war so fasziniert von dem Anblick dieses kleinen Fitnessstudios im lokalen Pokécenter, dass er das Pokémon am an anderen Ende des Raums erst bemerkte, als es neugierig auf ihn zukam. Das Maschock hielt in der einen Hand eine überdimensional große Hantel, die laut Aufschrift 100 kg wog, in der anderen einen grellgrünen Sportdrink. Offenbar überrascht über den unerwarteten Besuch grunzte es Jayden an. Der wich einen Schritt zurück. Sein Fluchtplan war die eine Sache, aber wenn es drauf ankam, nahm er es lieber mit der zierlichen Nicole als mit einem superstarken, durchtrainierten Maschock auf. Doch das Pokémon ging nicht zum Angriff über. Es schlürfte an seinem Drink und beobachtete Jayden eingehend. Plötzlich reckte es ihm die Hantel entgegen. „Was?“, quietschte Jayden und hob abwehrend die Hände. „Nein, eh, danke. Das ist echt nett von dir, aber ich glaube nicht, dass ich die heben kann.“ Maschock zog den Arm zurück und sah sich im Raum um. Mit einem undefinierbaren Geräusch deutete es auf die zahlreichen Hanteln, die an der gegenüberliegenden Wand aufgereiht waren. Jayden schluckte, sah jedoch seine Chance gekommen. Wenn Maschock nicht wusste, dass er auf der Flucht war, sondern lediglich ein Workout mit ihm machen wollte, kam er vielleicht doch noch lebendig hier raus. Keine zehn Minuten später schwitzte Jayden aus jeder Pore. Sein Shirt war durchtränkt und seine Arme und Beine zitterten. Maschock hatte ihm nach reichlich Überlegung und betasten seiner Muskeln zwei fünf-Kilo-Hanteln in die Hände gedrückt und ihn zu Kniebeugen mit ausgestreckten Armen und anderen Bewegungen animiert, die jede seiner Fasern brennen ließen. Jayden wischte sich mit dem Handrücken Schweiß von Stirn und Mund und sog gierig Luft ein. Er musste abhauen, bevor Maschock ihn in den Tod trieb. Der Sonnenstich forderte immer noch seinen Tribut und ihm war schwindelig und schummrig zumute. Als Maschock eine auffordernde Geste machte, hob Jayden abwehrend die Arme. „Es reicht, ich kann nicht mehr. Danke für das Training, aber ich muss jetzt wirklich gehen.“ Das Pokémon kniff misstrauisch die Augen zusammen und stemmte die Hände in die Hüften. „Ich will mich nicht drücken, wirklich!“, versuchte Jayden es erneut. „Schau, ich nehme sogar diese Hanteln mit. Ich werde alleine weitertrainieren, versprochen! Und morgen machen wir weiter. Okay?“ Das Kampfpokémon grunzte unzufrieden, nickte aber. Erleichterung überschwemmte Jayden, so intensiv, dass er weinen wollte. Er hatte schon halb befürchtet, den Rest seines Lebens mit Krafttraining verbringen zu müssen, weil Maschock ihn nicht gehen ließ. Ohne weitere Zeit zu verlieren, schnappte er die Hanteln und verließ das Fitnessstudio. Der Gang war genauso dunkel wie vorher. Es war daher kein Wunder, dass er geradewegs über das Chaneira stolperte, das in diesem Moment vor der Tür auftauchte, um seine eigene Hantel zurückzubringen. Jayden wusste sofort, dass er aufgeflogen war. Maschock mochte ihn nicht erkannt haben, aber Chaneira wusste, wer er war und würde Joy sicher sofort Bericht erstatten, wo ihr Patient sich mitten in der Nacht herumtrieb. Jayden rannte los. Obwohl er so erschöpft war, zwang er sich, nicht langsamer zu werden, bis er sein Zimmer erreicht hatte. Er schleifte den Stuhl vor das Fenster, nun nicht mehr darauf bedacht, leise zu sein. Von draußen hörte er bereits Chaneiras wilde Rufe und schließlich Joys schwere Schritte. Er holte Schwung, und schleuderte die erste Hantel geradewegs gegen die Fensterscheibe. Sie erzitterte. Einige Sprünge bildeten sich im Glas. Die Hantel krachte polternd zu Boden. Die Schritte wurden schneller. „Jayden?“, rief Joys tiefe Stimme. Jayden schwitzte und warf die zweite Hantel. Sie traf etwas zu weit oben. Die Risse im Glas vervielfältigten sich, aber das Fenster hielt stand. Fluchend schnappte sich Jayden die Hanteln vom Boden und machte einen letzten, verzweifelten Versuch. Diesmal zersprang das Fenster und es regnete Glasscherben. Der Radau hatte inzwischen das gesamte Pokécenter aufgeschreckt. Die Tür, die Jayden hinter sich verrammelt hatte, wurde mit einem wuchtigen Schulterstoß aufgerissen, doch da war er bereits auf dem Stuhl und durchs Fenster, von wo er einen guten Meter in die Tiefe fiel und sich zähneknirschend den Rücken rieb. „Jayden?“ Bei der bekannten, neutralen Stimme sah Jayden erschrocken auf, aber er hatte sich nicht geirrt. Chris stand keine zwei Meter entfernt, neben einem älteren Trainer in Jogginghose, den Jayden erst auf den zweiten Blick als Blue aus dem Labor in Alabastia identifizierte. „Was machst du da?“, fuhr Chris fort und sah von Jayden zu dem zerbrochenen Fenster, durch das er gefallen war und in dem nun auch Schwester Joys Gestalt sichtbar wurde. Ohne zu antworten, rappelte Jayden sich auf, packte Chris am Handgelenk und zog sie hinter sich her und die Straße hinunter. Hinter sich konnte er noch Blues empörten Ruf hören, dicht gefolgt von Nicoles Stimme, die in der Ferne hallte, zu weit entfernt, um die Wörter auszumachen. „Wo willst du hin?“, schrie Chris neben ihm. Jayden war erleichtert, als er bemerkte, dass sie auch ohne sein Zutun mit ihm Schritt hielt. Sie blieb bei ihm, obwohl sie ihn heute Nachmittag zurückgelassen hatte. „Wald“, keuchte Jayden und nickte in Richtung Norden. „Suchen nach mir. Müssen uns verstecken.“ Als Chris darauf nicht antwortete, sondern stumm weiterrannte, fragte Jayden sich unvermittelt, ob sein Steckbrief auch noch in anderen Gebäuden gehangen hatte. Sicher wusste Chris bereits Bescheid. Unerwartet überkam ihn Scham. Sie hatte Recht gehabt. Er war ein Dieb und nun war er auf der Flucht, ein Gesetzloser, ein Verbrecher. Aber er konnte und wollte sich nicht von Glumanda trennen. Sie hatten vielleicht noch nicht viel zusammen erlebt, aber es war sein erstes Pokémon und er hatte über die letzten Tage bereits eine Bindung zu dem kleinen Pyromanen aufgebaut. Egal was kommen würde, er durfte Glumanda nicht verlieren. Und wenn er dazu bis ans Ende der Welt fliehen musste. Als sie die ersten Kreuzungen hinter sich gelassen hatten, wurden sie langsamer. Jayden hatte pochende Seitenstiche und konnte kaum noch atmen, und auch Chris keuchte und schnappte nach Luft. Einige Minuten lang gingen sie nur, dann beschleunigten sie wieder ihre Schritte und trabten durch die Nacht, bis die Lichter der umstehenden Häuser allmählich verblassten und sie auf unbefestigter Straße liefen. „Warum haben sie uns noch nicht eingeholt?“, fragte Jayden erschöpft, als sie in einem der am Rand stehenden Büsche Zuflucht gesucht hatten, um sich zu erholen. Er konnte keinen Schritt mehr tun, und wenn ein tollwütiges Onix hinter ihm her wäre. „Blue hatte seine Pokémon nicht dabei“, erklärte Chris, die durch eine Lücke im dichten Laub auf die Straße spähte. „Er musste sie erst holen, deswegen haben sie uns verloren. Aber wenn er ein fliegendes Pokémon hat, holen sie die Distanz schnell auf.“ „Wir sollten hier bleiben“, murmelte Jayden. Obwohl er erst vor kurzem mehrere Stunden geschlafen hatte, konnte er kaum noch die Augen offen halten. „Warten, bis sie an uns vorbei sind.“ Er erwartete, dass sie ihm widersprach, doch sie legte sich nur neben ihn. Schließlich hielt Jayden es nicht mehr aus. „Ich dachte, du wolltest ohne mich weiterreisen“, flüsterte er nach einigen Minuten der Stille, in der nur das Rascheln der Blätter im Wind und das Zirpen von Insektenpokémon in der Ferne zu hören waren. Chris antwortete so lange nicht, dass er glaubte, sie würde bereits schlafen, da erklang ihre Stimme. „Ich habe lange nachgedacht“, sagte sie leise, ohne ihn anzusehen, „und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich lieber mit dir reise, als ohne dich.“ Jayden verkniff sich ein Lächeln und drehte sich auf die Seite, die Anstrengung des vergangenen Tags vergessen. Es war das netteste, was sie je zu ihm gesagt hatte. „Freunde?“, flüsterte er in die Nacht hinein. „... Vielleicht.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)