Prelude of Shadows von yazumi-chan (Die Team Shadow Chroniken) ================================================================================ Ronya – Akt 2, Szene 5 ---------------------- 7 Jahre vor Team Shadows Gründung   „Meinst du, dass wir uns wiedersehen?“, fragte Ronya. Sie saß an einen Baum gelehnt, ihr Trasla Abbott im Arm, und sah zu Amy hinauf, die über ihr auf einem breiten Ast thronte und die Beine baumeln ließ. Sie befanden sich abseits des Pfades von Route 203, an der Grenze zum dichten Wald, was ihnen eine ordentliche Portion Privatsphäre bot. Etwas, das mit Amys Mutter im Nacken unabdingbar war. „Natürlich“, sagte Amy von oben. „Meine Mama reist dauernd mit uns herum, das nächste Mal, wenn wir in Sinnoh sind, schreibe ich dir vorher, und wer weiß, vielleicht verschlägt es dich in der Zukunft ja nach Einall. Dann zeige ich dir Septerna City, und du kannst meinen Papa kennenlernen! Er würde dich mögen.“ Ronya versuchte, sich von Amys Redeschwall aufmuntern zu lassen, aber es fiel ihr schwer. Die zwei Wochen seit ihrer Ankunft in Jubelstadt waren wie im Flug vergangen, und es waren die schönsten ihres Lebens gewesen. Jede freie Minute, die Amy sich von ihrer Mutter loseisen konnte, verbrachten sie zusammen. Gigantische Eisbecher zum Frühstück, Schwimmen im kalten See, Verstecken spielen im Einkaufszentrum ... und plötzlich stand Amys Abreise unmittelbar bevor und Ronya sah sich mit dem Verlust ihrer ersten echten Freundin konfrontiert. Sie war alleine losgezogen und hatte nicht damit gerechnet, dass sich das ändern würde. Aber jetzt, wo sie wusste, wie schön so eine Zweisamkeit sein konnte, musste sie sehr mit sich kämpfen, ihre Trauer nicht Überhand nehmen zu lassen. Solange Amy hier war, wollte sie die Zeit mit ihr genießen. Aber nun war es Nachmittag, und in weniger als einer Stunde musste Amy zurück in der Stadt sein, um sich mit ihrer Familie zu treffen. Abbott, der wie die meisten Psychopokémon ein Gespür für ihre Gefühle entwickelt hatte, tätschelte leicht ihre Hand. „Das wäre schön“, sagte Ronya schließlich. „Und wir schreiben regelmäßig, oder?“ Gleich am zweiten Tag hatten sie die Emailadressen ihrer Pokémon IDs ausgetauscht. „Darauf kannst du wetten!“ Amy sprang vom Baum hinunter und setzte sich vor ihr hin. Heute trug sie ein hellblaues, bauchfreies T-Shirt und einen knielangen Rock. Amy nahm ihre Hand und drückte sie fest. „Ich werde dich auch vermissen“, sagte sie. „Aber lass uns nicht traurig sein. Ich bin einfach froh, dich getroffen zu haben, du etwa nicht?“ Ronya musste grinsen. „Doch. Auch wenn du mir damals den Eistee ins Gesicht gespuckt hast.“ „Das war ein Unfall, und außerdem hast du mich zum Lachen gebracht, also ist es eigentlich deine Schuld!“ „Ach so, verstehe. Und das eine Mal, als du über die Schlammpfütze gesprungen bist und—“ „Da bin ich nur ausgerutscht, das hätte jedem passieren können—“ „Und als du mich nachts wecken wolltest und mit dem Stein das Fenster eingeschlagen hast—“ „Also jetzt muss ich wirklich langsam los, Ronny!“ Ronya lachte und ließ sich von Amy hochziehen. Sie wuschelte ihr durchs blonde Haar. „Ich mach doch nur Spaß. Komm, ich bring dich noch zum Treffpunkt. Schreib mir auf jeden Fall, sobald ihr wieder zuhause seid, ja?“ Amy nickte und warf sich ihr um den Hals. „Du wirst mir fehlen. Auch wenn du doofe Kommentare machst.“ „Gern geschehen.“     Ronya saß mit Max im Arm auf dem Bürgersteig und winkte Amy aus der Ferne zu, die bereits mit ihrem Bruder auf der Rückbank des Taxis davonfuhr. Sie winkte nicht zurück, aber das musste sie nicht. In den zwei Wochen hatte Ronya viel über sie und ihre Familie erfahren. Es gab zwei Amys. Die eine war so, wie Ronya ihre Freundin später kennengelernt hatte, voller Tatendrang, aufgeschlossen und abenteuerlustig. Die andere war Catherine Heartolines Tochter, ruhig, verwöhnt und gehorsam. Trotzdem war Ronya sicher, dass sie mit dieser Einschätzung gerade einmal an der Oberfläche kratzte. Genauso wie Amy im Groben von Thea wusste, aber nicht annährend alles. Max grummelte sie an und strampelte sich den Weg in ihre Latzhose, sodass nur so kein Kopf oben herausguckte. Seufzend stand Ronya auf und streckte die Arme. Vielleicht würde sie morgen endlich mit dem Training ihrer Pokémon anfangen. Amy hatte aus irgendeinem Grund immer abgeblockt, wenn Ronya Pokémonkämpfe vorgeschlagen hatte. Trotzdem hatte sie mit Abbott bereits eine recht gute Beziehung aufgebaut, nur Sybill gab sich noch etwas distanziert. Aber vielleicht würde sich das ändern, sobald sie zusammen kämpften. „Bist du Ronya Olith?“ Erschrocken drehte Ronya sich um. Ihr gegenüber stand, genauso in sich zusammengesunken wie bei ihrer letzten Begegnung, der Polizist Lukas. Er hielt ein Notizbuch in der Hand und kratzte sich verlegen am Kopf. Ronya kniff die Lippen zusammen. Warum wollte er das wissen? Woher kannte er überhaupt ihren Namen? Aber hatte sie nicht schon viel zu lange gezögert, um ihn anzulügen? „Was wollen Sie von mir?“, fragte sie, um Zeit zu schinden. „Es kam ein Anruf für sie“, sagte Lukas, der unter ihrem Blick immer nervöser zu werden schien. „I-ihre Mutter hat für sie angerufen.“ Darleen! Ronya ohrfeigte sich innerlich. Darauf hätte sie auch selber kommen können, dass ihre Mutter sie irgendwann kontaktieren würde. Sie hatte ihr schließlich keine Nummer oder Adresse zukommen lassen, und ihre Eltern waren sicher krank vor Sorge. Hoffentlich hatten sie Thea aus dem Haus manövriert, damit sie in Ruhe reden konnten. „Dann zeigen Sie mal den Weg“, sagte sie.   Die Polizeiwache befand sich am nordöstlichen Ende der Stadt, ein gutes Stück vom Pokécenter entfernt, aber nicht ganz ab vom Schuss. Das graue Hochhaus sah sehr respekteinflößend aus. Ronya jedenfalls ließ nicht auf sich warten, als sie endlich durch den Eingang traten. Sie war schon auf dem Weg zu der Telefonstation, die in der Nähe des Wartebereichs hinter einer verglasten Front zu erkennen war, als Lukas in die entgegengesetzte Richtung abbog und ihr bedeutete, ihm zu folgen. Ronya wurde langsamer. Max, der immer noch in ihrer Latzhose steckte, strampelte unruhig mit den Beinchen und fiepte. Alle ihre Nackenhaare stellten sich auf. Lukas stand inzwischen vor einer Tür, die in einen Raum führte. Sie sah zurück zu den Telefonen. Sicher hätte ihre Mutter eins der öffentlichen Telefone angerufen, oder zumindest die Rezeption? Statt dem Polizisten zu folgen, stiefelte Ronya zu ebenjener und lehnte sich auf die Theke. Die Polizistin sah durch eine gigantische Brille zu ihr auf. „Ich bin Ronya Olith“, stellte sie sich vor. Lukas drehte um und kam raschen Schrittes auf sie zu. „Darleen Olith hat hier für mich angerufen.“ Die Frau sah sie unbewegt an. „Sieht das hier aus wie ein Hotel? Hier hat niemand für Sie angerufen.“ Ronya lief es kalt den Rücken hinunter. Sie ging einige Schritte zurück. „Ronya, warte bitte!“ Lukas begann plötzlich, zu rennen. Und hinter ihm öffnete sich die Tür, durch die er sie hatte führen wollen. Ein violettes T-Shirt und Glitzerjeans. Dunkelbraunes, schulterlanges Haar. Ein Gesicht, das ihrem bis ins Detail ähnelte. „Ronny!“ Ronya drehte auf dem Absatz um, riss ihren Arm aus Lukas‘ Griff, der sie gepackt hatte, und rannte auf die Straße. Sie traute sich nicht, zurückzugucken. Wagte nicht, stehenzubleiben. Sie rannte Richtung Osten, ohne ihren Rucksack, den sie für den Tag im Pokécenter gelassen hatte. Ohne das Bargeld, das sie darin lagerte, ohne die Wechselkleidung oder Items, die sie gekauft hatte. Nur mit ihre Trainer-ID in ihrer Hosentasche und den Pokémon an ihrem Gürtel, rannte sie, vom Terror getrieben, zurück auf Route 203, Richtung Erzelingen, und blieb nicht stehen, bis ihre Beine unter ihr nachgaben und sie sich übergeben musste. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)