Prelude of Shadows von yazumi-chan (Die Team Shadow Chroniken) ================================================================================ Amy – Akt 1, Szene 1 -------------------- 7 Jahre vor Team Shadows Gründung   Amy hatte früh gelernt, dass es Konsequenzen hatte, ihrer Mutter nicht zu gehorchen. Catherine Heartoline erhob selten die Stimme, und ihr rutschte niemals die Hand aus. Aber es bestand nie Zweifel, ob sie gerade zufrieden mit einer gebrachten Leistung war, oder nicht. Ihre stumme Enttäuschung und die herabwürdigen Kommentare begleiteten Amy, seit sie alt genug war, einen eigenen Kopf zu haben. Deshalb wusste Amy, ohne ein direktes Zeichen ihrer Mutter, dass diese stinksauer auf sie war. Die Reise zurück nach Septerna City war ereignislos verlaufen. Catherine hatte Tim über das von den Tutoren der Pokémonschule Gelernte gequizzt und seine Kleiderwahl gelobt. Sie ließ sich von ihm über seine Trainingspläne für Lin-Fu berichten und gab ihm Verbesserungsvorschläge. Amy bedachte sie mit keinem Wort und keinem Blick. Ihr Haus in Septerna City stand etwas abseits vom Rest der Stadt, so als könnte ihre Mutter es nicht ertragen, zu nah zu normalen Familien zu leben. Der Tannenwald grenzte direkt an ihr Grundstück an, mit einem Garten, der einmal um das Herrenhaus herumging. Catherine hatte das Gebäude von ihren Eltern geerbt und war selbst hier aufgewachsen. Die Flügel der Eingangstür erhoben sich bedrohlich über Amys Kopf. Ihre Mutter und Tim gingen ohne Zögern hinein, aber sie selbst konnte das Gefühl nicht abschütteln, aus der Freiheit zurück in eine Gefängniszelle zu treten. Es war Tag drei, seit Catherine sie das letzte Mal angesprochen hatte. „Tim, wasch dir das Gesicht, bevor du deinen Koffer auspackst!“, schalt Catherine ihren kleinen Bruder, als der die Treppen hochging. Amy unterdrückte ein Ächzen, als sie ihr Gepäck im Flur abstellte und den Blick über das unberührte Mobiliar schweifen ließ. Die dekorativen Kissen waren frisch aufgeschüttelt und so auf dem Sofa drapiert, dass man sich nicht traute, sich hinzusetzen. Die Bilderrahmen waren poliert, der Teppich gesaugt und die Gardinen waren frisch gewaschen. Alles sah aus, wie immer. Fehlten nur noch die Preisschilder. Morbitesse stand an der Treppe, den Staubwedel noch in den Händen, und verneigte sich tief vor seiner Trainerin. Catherine gab ihm einen gutheißenden Blick. „Ausgezeichnete Arbeit, meine Liebe.“ Morbitesse verneigte sich erneut und glitt ohne einen Laut in das Wohnzimmer, wahrscheinlich, um dort weiter zu putzen. Amy atmete tief durch. Ihre Mutter drehte sich zu ihr um. „Ich hatte mehr von dir erwartet, Amy“, sagte sie. „Du bist die ältere. Tim sollte sich ein Beispiel an dir nehmen, nicht von deinem Verhalten abgeschreckt werden. So habe ich dich nicht erzogen. Was ist aus meinem guten, gehorsamen Mädchen geworden?“ Amys Bauch spannte sich an. „Aber Mama, ich war doch immer bei den Lektionen da! Und ich habe ständig trainiert, auch wenn ich unterwegs war.“ „Du hast am See rumgeturnt und deine Pokémon gänzlich vernachlässigt. Und was deine Leistung vor den Tutoren angeht … ich musste stark an mich halten, um vor Scham nicht im Boden zu versinken. Mit vierzehn Jahren war ich bereits mit sechs Orden in der Tasche unterwegs.“ „Aber ich—“ „Es reicht mir jetzt mit deinen Ausreden!“ Die Stimmer ihrer Mutter wurde lauter, aber sie fasste sich sofort wieder und rieb sich die Schläfen. „Wegen dir bekomme ich noch eine Migräne. Los, geh nach oben und pack deine Sachen aus. Morbitesse wird gleich die dreckige Wäsche einsammeln, sortiere sie also bitte. Morgen früh um fünf erwarte ich dich im Garten. Vielleicht erinnert dich eine zusätzliche Trainingseinheit daran, wer du bist und was dein Ziel ist.“ Sie verschwand in der rechts abgehenden Küche, wahrscheinlich, um sich eine Tablette gegen ihre Kopfschmerzen zu holen. Amy ging wortlos die Treppen hinauf, den schweren Koffer hinter sich herschleppend. Wer bin ich denn, dachte sie zornig, und was soll bitte mein Ziel sein?     Amys Leben spielte sich in Blöcken ab. Am Anfang jedes Monats teilte Amys Mutter ihr und Tim den Stundenplan mit, der ihren Tagesablauf bestimmte. Normalerweise begann ihr Tag mit Fitness und Pokémontraining um sechs Uhr vor dem Frühstück, woraufhin diverse andere Blöcke wie Schulunterricht, Kampfstrategie und Trainingsmethoden folgten, bis Tim und sie abends um acht Uhr in den Feierabend entlassen wurden. Nach Reisen durften sie normaler Weise ausschlafen und direkt zum Frühstück gehen, aber am nächsten Morgen war Amy wie befohlen pünktlich im Garten. Es war noch stockdunkel, und eine schwarze, ominöse Mauer aus Tannenbäumen ragte vor ihr auf. Der schmale Mond reflektierte auf den Baumwipfeln und brachte das taunasse Gras zum Glitzern. Der Sommer war vorbei, und auch wenn es tagsüber noch warm war, kühlte es nachts stark ab. Amy trug dicke Socken und eine Fleecejacke über ihrem Jogginganzug, aber sie schlotterte trotzdem vor Kälte. Ihre Mutter war nicht da, stattdessen wartete Morbitesse auf sie. Lady Morb war Augen und Ohren ihrer Mutter, und in den letzten Jahren zu Amys persönlicher Gouvernante mutiert. Sie machte eine auffordernde Bewegung mit ihrem Kopf. Amy seufzte, machte ein paar kurze Dehnübungen, um sich nicht zu verletzen, und lief dann los. Ihr Grundstück war groß genug, dass sie bereits aus der Puste war, nachdem sie zweimal um das gesamte Haus gelaufen war, aber mit Lady Morb als Aufseherin wagte sie es nicht, ihr Tempo zu drosseln. Nach der ersten Stunde erlaubte Amy sich eine kurze Pause und trank eine ganze Flasche Wasser, aber danach ging es sofort weiter. Sie wollte gerade loslaufen, da hob Morbitesse eine Hand. Darin hielt sie Amys Pokégürtel. Amy wurde es sofort flau im Magen, aber sie ging gehorsam zu ihr und nahm ihn entgegen. Sie wusste nicht, ob es Ronya aufgefallen war, aber sie hatte ihre Pokémon während der gesamten zwei Wochen mit ihr kein einziges Mal gerufen. Natürlich hätte sie sich leicht erklären können. Sie wollte mal eine Pause von ihrem Training, und ihre Pokémon freuten sich auch darüber. Aber das war nur die halbe Wahrheit. Als sie den Mechanismus betätigte, materialisierte sich Mebrana, ihr Starterpokémon. Es sah sie aus großen, traurigen Augen an. Amy wandte den Blick ab, nahm es auf den Rücken und begann, zu laufen. Mebranas zusätzliches Gewicht ließ Amy bald nach Luft schnappen. Sie wurde immer langsamer, bis sie nur noch einen langsamen Trott schaffte, aber aufzugeben war keine Option. Um kurz vor sieben entdeckte sie ihre Mutter, die in einem plüschigen Morgenmantel auf der Terrasse stand und ruhig eine Tasse Tee trank. Amy brach vor ihr im Gras zusammen. Mebrana streckte zärtlich seine kleine Hand nach ihr aus, um sich zu versichern, dass es ihr gut ging, aber Amy stieß sie weg und rollte sich hechelnd auf den Rücken. „Stell dich nicht so an, Kind“, sagte ihre Mutter. „Komm, Tim wartet bereits im Lehrzimmer. Heute besprechen wir Typvorteile in verschiedenen Szenarien.“ Der Himmel erstrahlte in Indigo und Pink. Die Sonne ging auf. Amy wünschte, sie würde wieder untergehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)