Prelude of Shadows von yazumi-chan (Die Team Shadow Chroniken) ================================================================================ Amy – Akt 1, Szene 4 -------------------- 7 Jahre vor Team Shadows Gründung   Zum ersten Mal seit Monaten saßen ihre Eltern gemeinsam am Tisch und frühstückten. Ihre Mutter trank eine Tasse Tee und las in der Zeitung, ihr Vater schlürfte duftenden Kaffee aus einer Tasse, die Amy ihm zum Geburtstag geschenkt hatte. Neben ihr verschlang Tim sein drittes Marmeladenbrot. Es könnte so ein schöner Morgen sein. Ein ganz normaler Morgen. Amy rieb sich die Augen und versuchte, nicht am Tisch einzuschlafen. Sie hatte die letzten drei Nächte kein Auge zugetan. Ihren Papa im Haus zu haben war toll, und sie verbrachte so viel Zeit mit ihm wie nur irgend möglich, aber Catherines brodelnder Zorn ließ ihr keine Ruhe. Sie verbrachte Stunden nach dem Zubettgehen damit, in ihren Büchern zu wälzen und alles nachzuholen, was ihre Mutter ihnen tagsüber beigebracht hätte, und den Rest der Nacht wälzte sie sich geplagt von Alpträumen unter der Decke. Sie wusste, dass sie auf die Dauer nicht so weitermachen konnte. Noch ein Jahr, dachte sie immer wieder. Sobald sie fünfzehn war, würde ihre Mutter sie endlich auf ihre Pokémonreise schicken. Wenn sie Glück hatte, konnte sie irgendwo untertauchen. Aber wie würde sie ihren Papa wiedersehen? Konnte sie ihm heimlich Nachrichten schreiben, ihm sagen, dass es ihr gutging? „Amy, Schatz?“ Sie verschluckte sich an ihrem Orangensaft. „J-Ja, Mama?“ „Was halten du und Tim von einem Trainingskampf, solange das Wetter noch trocken ist?“ „Oh ja, das ist eine tolle Idee!“ Amys gespielter Enthusiasmus schien ihre Eltern zu überzeugen, denn sie widmeten sich wieder ihrem Frühstück. Tim warf ihr einen freudigen Blick zu. Natürlich war er wie immer Feuer und Flamme. Amy wünschte, sie hätte den Mut, ihrem Papa alles zu sagen, aber Catherines Drohung saß wie eine Webarak in ihrem Nacken. „Mama, wann bekomme ich endlich mein nächstes Pokémon?“, drängelte Tim. Catherine lachte herzlich. „Geduld, mein Schatz. Deine Schwester hat in deinem Alter erst ihr zweites Pokémon bekommen, du bist ihr also weit voraus.“ Drittes Pokémon, dachte Amy und spürte Hitze in ihren Wangen aufsteigen. Sengo war ihr drittes Pokémon gewesen, nicht ihr zweites. „Ich verstehe ja, dass es nicht geeignet war, deinem Team beizutreten“, sagte ihr Papa plötzlich, „aber hättest du Quappy nicht behalten können? Ich mochte den kleinen Racker.“ Seine Worte rissen Amy den Boden unter den Füßen weg. Die Gabel in ihrer Hand fiel klappernd auf den frisch gewischten Fußboden. Lady Morb tauchte sofort neben ihr auf und wischte die Milch mit tadelndem Blick weg. „Amy? Amy, was ist los?“ „Du bist zu sentimental, Harold“, warf ihre Mutter ein, als Amy nicht antwortete. Ihr Mund war zu trocken, um zu sprechen. „Schallquapp war nicht für Amy geeignet und das hat sie sofort eingesehen. Wenn sie ihr Ziel, eine berühmte Trainerin zu werden ernsthaft verfolgt, hat sie keine Zeit, sich um Hauspokémon zu kümmern.“ Unter dem Tisch griff Tim nach ihrer Hand und drückte sie fest. Amy lächelte. „Mama hat Recht, Papa. Und Quappy geht es bestimmt gut, wo immer er gerade ist.“ Catherine lächelte sie an. Amy lächelte zurück. Ihr Herz war ein roher Klumpen. Oh, Quappy … ihr bester Freund. Ihr einziger Freund. Und ihre Mutter hatte ihn ohne ein Wort ersetzt.     Amy und Mebrana standen am Waldrand und warteten darauf, dass der Übungskampf gegen Tim beginnen konnte. Catherine war noch kurz im Haus, um ein Telefonat entgegenzunehmen und Tim stand abseits und debattierte seine Strategie mit Lin-Fu, das hin und wieder energisch nickte. Mebrana starrte die beiden an. Hin und wieder schielte es zu Amy empor. Sie ignorierte seine Blicke für eine lange Zeit. Schließlich hielt sie es jedoch nicht mehr aus. Sie ging neben Mebrana in die Hocke und wartete, bis es seinen Schock überwunden hatte und ihr in die Augen sah. „Es tut mir leid.“ Sie seufzte und fuhr sich durch ihr lockiges Haar. „Es ist nicht deine Schuld, dass Quappy weg ist. Aber immer, wenn ich dich ansehe … muss ich an ihn denken. Und dass er weg ist. Für immer.“ Mebrana ließ den Kopf hängen. Amys Kehle schnürte sich zusammen. Aber sie hatte alles gesagt, was sie sagen wollte. Seufzend stand sie auf und rieb sich den Rücken. In dem Moment rauschte ihre Mutter heran. „Na los, fangt an, wir haben schon genug Zeit verplempert. Ausgangsposition!“ Tim stellte sich einige Meter von Amy entfernt ins Gras. Er wog nachdenklich einen Pokéball in der Hand, bevor er ihn aktivierte. Heraus schoss umgeben von roten Lichtfunken sein Waumboll. Das hellgrüne Wattebauschpokémon schwebte einige Handbreit über der Wiese und wog sanft in der Brise. Amy dachte kurz nach. Mebrana hatte einen Typnachteil. Es war besser, ihn für Tims drittes Pokémon aufzubewahren. „Los, Milza!“ Ihr grüngrauer Drache materialisierte sich vor ihr. Amy nickte ihm lächelnd zu, als er sich zu ihr umdrehte. Sie bemerkte mit Freude, dass er sich nicht sofort nach ihrer Mutter umgesehen hatte. „Drachenklaue“, befahl sie, im selben Moment, da Tim seinem Waumboll Charme zurief. Sie hatte bereits damit gerechnet, dass Tim sofort versuchen würde, Milzas hohen Angriff zu senken, daher musste sie davor sie viel Schaden anrichten wie möglich. Während Waumboll sich sanft wiegte und verschiedene Duftnoten abgab, sprintete Milza auf es zu, sprang empor und schlug mit einer glühenden Pranke auf Waumboll ein, das zurücktaumelte, sich durch den dichten Wattebausch jedoch schnell wieder fing. „Jetzt Drachentanz“, befahl Amy. Milza begann sofort, sich aufzupumpen und tänzelte von einem Bein zum anderen. „Egelsamen, Waumboll, und dann Gigasauger!“ „Nochmal Drachenklaue.“ Waumbolls Samen flogen in hohem Bogen durch die Luft, aber Milza schaffte es, ihnen zu entkommen und konterte sofort mit seinem Angriff, kam Waumboll dadurch jedoch so nahe, dass es frontal von seinem Gigasauger getroffen wurde. Amy presste die Lippen zusammen. Milza würde den Kampf gewinnen, aber es würde lange dauern. Ein zweiter Charme traf Milza, das von den Pheromonen so diffus war, dass seine Drachenklaue beim nächsten Angriff fast daneben ging. Und Waumbolls Gigasauger würde den Kampf immer weiter hinauszögern. Sie hasste es, gegen das Pflanzenpokémon zu kämpfen. Sie bevorzugte einen schnellen, kraftvollen Schlagabtausch. „Milza, zurück.“ Tims Wangen glühten. „Gibst du schon auf, Schwesterherz?“ „Werd‘ nicht hochnäsig, kleiner Bruder.“ Amy warf ihren zweiten Pokéball hoch und rief Sengo, das sofort in Angriffsposition ging. Sengo mochte sie als Trainerin nicht besonders schätzen, aber sie war eine Kämpferin durch und durch und ließ sich kein Kräftemessen entgehen. „Zermalmklaue!“ „Konter mit Charme und Egelsamen!“ Aber Sengo war zu schnell. Sie schoss vor, schlug zwei Haken und packte Waumboll mit beiden Pfoten, bevor es sich überhaupt für seinen Charme bereit gemacht hatte. Sengo knurrte und quetschte Waumboll zwischen beiden Pranken zusammen. Waumboll kreischte laut. Sein Charme traf, aber der Schaden war angerichtet. „Nein, Waumboll! Wehr dich!“ „Nochmal Zermalmklaue, Sengo!“ Sengos Krallen bohrten sich tief in seinen Gegner. Amy spürte, wie ihre eigenen Fingernägel sich vor Aufregung in ihre Handflächen drückten. Da war ein ruhiger Ort in ihr, zwischen der Angst vor ihrer Mutter und dem Unwillen, Freude am Pokémonkampf zu empfinden. Wenn sie ausblenden konnte, wo und wer sie war, wenn es nur sie gab und ihr Pokémon und den Gegner vor ihr. Wenn sie zusammen mit Sengo die schiere Wut darüber rauslassen konnte, was ihr angetan wurde. Als Waumboll besiegt aus Sengos Griff rutschte und zu Boden fiel, fühlte sie so etwas wie Glück. Sengo drehte sich um, dasselbe Glück in ihren Augen gespiegelt. Ihre Blicke trafen sich—und das Glühen in ihren Augen erlosch. Amy wusste, dass Sengo bei dem Blick auf sie nur den Verrat ihrer alten Trainerin sehen konnte. Genau wie sie in Mebrana nur Quappys Abwesenheit spürte. Sie waren immer noch Gefangene, jeder auf seine Weise. Sie waren sich so ähnlich, und doch brachte es sie nicht näher zusammen. Tims Stimme riss sie aus ihren Gedanken. „Also gut, dann mache ich weiter mit … Lin-Fu.“ Die einzig logische Option. Lin-Fus Kampftyp würde Sengo Schwierigkeiten machen. Aber davon ließ Amy sich nicht beirren. „Sengo, Schwerttanz.“ Sengo schärfte seine Krallen, während Lin-Fu das Kampffeld betrat. „Meditation“, befahl Tim.  „Schwerttanz.“ „Nochmal Meditation, Lin-Fu.“ Großer Fehler, kleiner Bruder … „Zermalmklaue, Sengo, los!“ „Scanner!“ Sengos Klauen prallten auf eine unsichtbare Barriere, die Lin-Fu mit einer fließenden Bewegung um sich herum aufbaute. „Bleib dran, Sengo, nochmal Zermalmklaue!“ „Ausweichen, Lin-Fu, dann Ableithieb.“ Lin-Fu sprang zur Seite, aber Sengo hatte der Kampfrausch gepackt. Sie landete im Gras, änderte im Sprung die Richtung und erwischte Lin-Fu gerade so mit seiner Pranke. Das Kampfkunst-Pokémon wurde zu Boden gerissen und schlitterte mit Sengos Klauen im Nacken durch die Erde. Gras und Erdbrocken spritzten zu beiden Seiten auf Tim und Amys Beine. Lin-Fu ächzte unter Sengos Gewicht und versuchte, das größere Pokémon abzuschütteln, aber vergebens. „Beende es, Sengo.“ „Wehr dich!“ Tims panische Stimme rüttelte Lin-Fu wach und es erneuerte seine Anstrengungen. Mit einem Ruck warf es Sengo von seinem Rücken, fuhr herum und schleuderte Amys Pokémon eine rotglühende Faust entgegen, die Sengo frontal im Gesicht traf. Sengos Körper zitterte von der Wucht des Schlags. Lin-Fu hatte zwei Meditationen geschafft, sein ohnehin hoher Angriff war gestärkt, und Kampf war effektiv gegen Sengos Normaltyp. „Gib nicht auf, Sengo!“, rief Amy ihr zu. Sengo sah kurz zu ihr hinüber. Das Leuchten in seinen Augen blitzte für einen kurzen Moment auf. Es nickte ihr schwach zu, dann machte es sich zum Angriff bereit. Lin-Fu hatte sich nach dem Ableithieb wieder etwas erholt, aber es sah trotzdem sehr angeschlagen aus. Amy war unschlüssig. Sollte sie Sengo auswechseln? Aber Milza war vom ersten Kampf angeschlagen. Vielleicht würde Lin-Fu es sofort besiegen. So sehr sie nicht darüber nachdenken wollte, es war am sinnvollsten, Sengo im Kampf zu und bis zum K.O. angreifen zu lassen. Genau wie ihre Mutter ihr beigebracht hatte. „Sengo, zurück.“ Sie hob ihren Pokéball, aber Sengo fuhr herum und knurrte sie an. „Du … willst weiterkämpfen?“ Sengo nickte vehement mit dem Kopf. Amy stand in Schockstarre da. Sengo wusste, dass sie besiegt werden würde, wahrscheinlich schon in der nächsten Attacke. Es gab keinen Grund für sie, sich für Amy so reinzuhängen. Lass mich das zu Ende bringen. Das waren die Worte, die Amy bei Sengos Gesichtsausdruck in den Kopf kamen. Sie schüttelte alle Zweifel ab. „Also gut. Zermalmklaue!“ „Ableithieb!“ Die beiden Pokémon rasten aufeinander zu, rechte Pranken erhoben, und schlugen wie Meteoriten ineinander ein. Der Aufprall der beiden hallte zwischen den Bäumen wider, ein Knirschen und Knacken und Fauchen auf beiden Seiten. Lin-Fu ging als erstes zu Boden. Sengo stand lange genug aufrecht, um Amy einen selbstgefälligen Blick zuzuwerfen, dann knickten ihre Beine ein und sie brach in sich zusammen. Amy stieß einen Atem aus, den sie die ganze Zeit angehalten hatte. Tims Schultern sackten herab. „Lin-Fu …“ „Zeit für das Finale“, murmelte Amy und rief Sengo zurück. Der Pokéball fühlte sich anders in ihrer Hand an, so als würde er plötzlich besser hineinpassen. Sie zögerte einen Moment. „Du warst toll, Sengo“, flüsterte sie. Ihr Blick fiel auf Membrana, das bereits mit resigniertem Blick nach vorne trat. Die Zeit stand für sie still. Sie sah Quappy vor ihr, das erste Pokémon, das sie alleine gefangen hatte, genau wie Ronyas Sheinux. Schallquapp hatte mit ihr im Bett geschlafen. Sie hatten zusammen gegessen, zusammen im Garten gespielt, zusammen die Sterne beobachtet. Amy würde tagelang nach seinen Pokéball suchen, weil sie ihn nie benutzte, so unzertrennlich waren sie gewesen. Und dann hatte ihre Mutter beschlossen, dass sie alt genug für ihr Training war. Beschlossen, dass Quappys genetische Anlagen nicht ausreichten, um Amy an die Spitze zu bringen. Sie war mit Quappys Pokéball zu einem Gesundheitscheck im Pokécenter gegangen, und Tage später mit einem anderen Schallquapp zurückgekehrt. Es ist das gleiche Pokémon, nun stell dich nicht so an. Sei nicht so dramatisch, Amy. Könntest du nicht etwas mehr wie dein Bruder sein? Reiß dich gefälligst zusammen, dein Vater wird noch Verdacht schöpfen. Amys schluckte schwer, während sie Mebranas Rücken musterte. Quappy war fort. Daran würde nichts etwas ändern. Aber Mebrana war hier. Mebrana hatte nicht verdient, dass sie es ignorierte. Es würde Quappy niemals ersetzen. Aber vielleicht war es Zeit, ihm zumindest eine Chance zu geben. „Mebrana“, rief sie dem blauen Pokémon zu, dass sich erschrocken zu ihr umdrehte. Sie holte tief Luft. „Du schaffst das.“ Ein Zittern ging durch Mebranas ganzen Körper. Seine Augen füllten sich mit Tränen, aber es wischte sie weg und nickte ihr zu. Amy nickte zurück. Sie hatte das Gefühl, als wäre ein riesiges Gewicht von ihren Schultern abgefallen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)