Prelude of Shadows von yazumi-chan (Die Team Shadow Chroniken) ================================================================================ Amy – Akt 3, Szene 1 -------------------- 7 Jahre vor Team Shadows Gründung   Das Neonschild des Pokécenters war deutlich über den Köpfen der Passanten zu erkennen, aber Amy ignorierte es geflissentlich. Sie wusste sehr wohl, dass ihre Pokémon eine Pause brauchten, aber sie war jetzt in der Stadt. Hier galten andere „Regeln“, wie Brandon sie nennen würde. Trainer forderten einander nicht einfach so heraus, und sie hatte nicht vor, die Arena zu besuchen. Ihre Pokémon konnten sich noch eine Weile in ihren Bällen ausruhen. Sie würde noch früh genug im Pokécenter vorbeikommen, um sich dort ein Zimmer zu mieten. Zuerst wollte sie das Atelier auskundschaften. Die Gemälde ihres Papas waren schwer, und die Riemen ihres Rucksacks schnitten ihr dadurch unangenehm in die Schultern. Nach drei Tagen tat ihr der Rücken weh. Das Stratos-Atelier befand sich auf einer der Hauptstraßen, die wie Sonnenstrahlen ins Zentrum der Großstadt führten. Es war nicht weit vom Pokécenter entfernt, trotzdem dauerte es fast eine Stunde, bis Amy dort ankam. Sie verlief sich einige Male, und die Wegbeschreibungen der Passanten, die sie fragte, reichten von hilflosen Schulterzucken der Touristen zu konfusen Beschreibungen der Einheimischen, die nur für jahrelange Stadtbewohner verständlich waren, und teilweise völlig falschen Informationen, die Amy einmal durch die halbe Stadt lotsten, bevor sie endlich völlig genervt vor dem Atelier zum Stehen kam. Es war ein schmales Gebäude, eingequetscht zwischen seinen Nachbarn, mit modischem, orangefarbenen Eingang und großen Glasfenstern, die den Blick auf diverse abstrakte Gemälde freigaben. An der Eingangstür hing ein Schild mit den Öffnungszeiten. Heute war Ruhetag. „Oh, so ein Mist“, fluchte Amy und drückte die Nase gegen die Glastür. Sie hatte kein Glück. Innen war, bis auf die Beleuchtung der Gemälde, das Licht aus und sie konnte niemanden sehen. Sie nahm die Öffnungszeiten genauer in Augenschein. Das Atelier war scheinbar an allen anderen Tagen von 9:30-12:00 Uhr und von 15:00-17:30 Uhr geöffnet. Über den Zeiten hing ein weiteres Schild, mit den Informationen zum Abgabeschluss für Gemälde, die an der Ausstellung im Dezember teilnehmen wollten. Amy rechnete schnell in ihrem Kopf nach. Noch zwei Tage, dachte sie erleichtert. Dienstag und Mittwoch. Für heute hatte sie aber scheinbar keine Möglichkeit, die Gemälde abzugeben. Mit schmerzenden Schultern drehte Amy sich um und trottete Richtung Pokécenter. Zu ihrer linken und rechten quetschten sich die Geschäfte und Marktstände aneinander, aber hier und da führten schmale Gassen in die Dunkelheit, nicht unähnlich zu denen in Jubelstadt, als sie sich in einer Mülltonne versteckt hatte. Sie kannte sich genug mit großen Städten aus, um zu wissen, dass sie dort nichts zu suchen hatte. Auf halber Strecke kam sie an einem Eiscafè vorbei, in dem riesige Waffeln mit bunten Eissorten verkauft wurden. Die Schlange reichte fast bis zum Atelier zurück. Amy sah hungrig auf die Eiskugeln, und dachte an das Geld, das schwer in ihrer Hosentasche lag. Früher wären die paar tausend Pokédollar ein kleines Taschengeld gewesen, aber seit ihre Mutter sie auf die Straße gesetzt hatte, war das Geld ein halbes Vermögen. Wie gerne sie die Eiscreme probiert hätte … aber sie riss sich zusammen. Sie würde jedes bisschen Geld brauchen, um in Stratos City unterzukommen und den Rest würde sie zu ihrem Papa zurückbringen. Als sie an der nächsten Gasse vorbeikam, hörte sie ein Wimmern. Amy blieb stehen, die einzige in der Woge aus Menschen und Pokémon, die genervt einen Bogen um sie machten, und spähte in die Dunkelheit. Einige Figuren hoben sich gegen die Schatten ab. Zwei, nein, drei. Jemand saß auf dem Boden. Amy kniff die Augen zusammen. War das etwa … Brandon? Bevor sie wusste, was sie tat, lief sie bereits in die Gasse, auf die Figuren zu. Es dauerte einige Sekunden, bevor ihre Augen sich an das schwache Licht gewöhnten, gerade genug Zeit, um zu den drei Gestalten aufzuschließen. Sie hatte sich nicht vertan. Brandon saß auf dem Hosenboden und hielt schützend sein bewusstloses Kiesling in den Armen. Die anderen beiden Personen, ein Junge und ein Mädchen, waren einige Jahre älter als Amy, siebzehn oder achtzehn vielleicht. Sie trugen schwarze Mäntel und schwere Stiefel. Die junge Frau hatte kurzes, blondes Haar und trug einen schwarzen Rucksack, das schwarze Haar des Mannes fiel in zahlreichen Zöpfchen in sein Gesicht. Als die beiden Amy bemerkten, bauten sie sich bedrohlich auf. Brandons erleichterter Blick fiel auf sie. „Amy …“ „Was ist passiert?“, fragte Amy. Angst schloss sich wie eine Faust um ihren Magen. „Ich wollte kämpfen, aber sie haben mich fertig gemacht. Sie haben mein ganzes Geld genommen und Kiesling ist schwer verletzt.“ Amy fuhr zu den beiden Angreifern herum. Ihre Angst verwandelte sich sofort in Wut. „Was soll das?! Er schuldet euch nicht alles. Lasst ihn gehen.“ Die Frau beobachtete sie gleichgültig. Ihr Blick wanderte an Amy vorbei, und sie nickte. Ein Ruck ging durch Amys ganzen Körper als irgendetwas, oder jemand, sie von hinten zu Boden riss. Hände griffen nach ihrem Rucksack, zerrten ihn weg. Amy kreischte und schlug um sich, aber es half nichts. Sie konnte gerade noch sehen, wie eine dritte dunkle Gestalt mitsamt ihrem Rucksack und den Gemälden ihres Papas wegrannte. „STOPP!“ Amy griff nach ihren Pokébällen und rief sofort alle drei. Sengo nahm die Situation mit einem Blick zur Kenntnis und schoss davon, dem Dieb hinterher. Milza und Mebrana bauten sich schützend vor Amy und Brandon auf. Amy sah panisch Sengo hinterher, die von einem Jiutesto gegen eine Hauswand geschleudert wurde und reglos zu Boden sank. Der Dieb verschwand um eine Ecke, Amys Rucksack und Gemälde im Arm. Amy schrie. Sie rannte los, aber rotes Licht explodierte hinter ihr. Brandon krabbelte panisch rückwärts, sein besiegtes Kiesling immer noch im Arm, und bevor Amy sich umdrehen konnte, flog Milza an ihr vorbei und krachte gegen eine überlaufende Mülltonne. Es blieb reglos liegen. Sie starrte ihr Pokémon an. Drehte sich langsam um. Mebrana stand mit ausgebreiteten Armen vor einem zwei Meter großen Deponitox und einem schwebenden Kastadur. Die beiden Trainer sahen sie herausfordernd an. „Eins hast du noch“, stellte die Frau fest. „Ich hatte etwas mehr Widerstand erwartet, aber so ist das manchmal. Gib uns dein Geld und wir lassen euch laufen.“ Kastadurs grüne Stacheln wuchsen bedrohlich und pulsierten mit einem goldenen Licht, das immer heller wurde. Deponitox rülpste. Ein Gestank nach verrottendem Essen wehte Amy entgegen. „Mebrana, Lehmbrühe“, befahl sie, aber bevor ihr Pokémon angreifen konnte, schoss ein Strahl aus purer Sonnenenergie auf Mebrana zu und traf es frontal in den Bauch. Der Solarstrahl schleuderte es in die Gasse, wo es in der Nähe von Milza und Sengo liegen blieb. Brandon zitterte neben ihr. „Amy? Amy?“ Amy starrte ihre besiegten Pokémon an. Es war ihre erste Niederlage, die nicht gegen ihren Bruder war, und selbst die waren extrem selten gewesen. Es fühlte sich nicht gut an. Überhaupt nicht gut. Der Mann trat vor und streckte eine Hand aus. Sein Kastadur schwebte bedrohlich an seiner Seite. „Das Geld, Kleine. Ich werde mich nicht wiederholen.“ „War in dem Rucksack“, flüsterte Amy und deutete in die Richtung, in der die dritte Person weggerannt war. „Ihr habt alles mitgenommen.“ Er musterte sie einige Sekunden, dann zuckte er mit den Achseln. „Habt einen schönen Tag, ihr zwei.“ Kaum, dass sie weg waren, ging Amy neben Brandon auf die Knie. Sie wischte sich wütende Tränen weg. „Was ist mit Kiesling? Muss es ins Pokécenter?“ Brandon nickte. Sie starrten einander an. Ihre Worte von vorhin, die sich im Moment so gerechtfertigt angefühlt hatte, hinterließen nun einen bitteren Nachgeschmack. Amy schniefte. „Es tut mir leid, Brandon“, sagte sie. „Ich wollte dich nicht so anfahren. Du warst nur besorgt um mich. Was ich gesagt habe, war nicht fair. Wenn wir uns nicht getrennt hätten, wenn ich auf dich gehört hätte, wäre das alles nicht passiert.“ Sie starrte auf ihre leeren Hände. Die Gemälde … Sie hatte doch nur bis Mittwoch, um sie einzureichen! Brandon lächelte sie müde an. „Mir tut es auch leid. Du hast mehrmals gesagt, dass du keine Orden sammeln möchtest, aber ich bin trotzdem darauf herumgeritten. Ich weiß selber, dass ich manchmal nervig sein kann.“ Amy stand auf und half ihm auf die Füße. Dann riefen sie ihre Pokémon zurück. „Lass uns erstmal zum Pokécenter gehen.“ „Sie haben unser ganzes Geld geklaut …“ Brandon schüttelte sich. „Wie sollen wir unsere Zimmer bezahlen?“ Amy klimperte mit dem Geld in ihrer Hosentasche. Brandons Augen wurden groß. „Du hast ihn angelogen?!“ Sie grinste. „Ein bisschen.“ Aber während sie zum Pokécenter trotteten, wurde ihr Herz schwerer und schwerer. Zwei Tage. Wenn sie es nicht schaffte, die Gemälde bis dahin zurückzuholen, war alles verloren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)