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Whitebeards Söhne & Töchter

Marco x Ace x Nojiko | Law x Nami
von

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Teil 3: It Starts With Fire... [3]


 

X

Seine Lippen kribbelten. Sie taten es immer noch, dabei hatte er Nojikos Haus vor mindestens fünfzehn Minuten verlassen. Mit Marco war es damals anders gewesen. Selbst heute spürte Ace noch wie seine Ohrenspitzen glühten vor Scham, wenn er daran zurückdachte. Es war definitiv keiner seiner schlausten Momente gewesen, als er sich etwas von den Koks stibitzt hatte, welches sie nach Georgia geschmuggelt hatten. Andererseits war er noch nie gut in solchen Dingen gewesen, solchen romantischen Dingen, die über einen bedeutungslosen Flirt hinausgingen. Es hatte ihm geholfen über seinen eigenen Schatten zu springen. Und Marco... Ace hatte sich schon bei ihrem ersten Treffen auf diesem Diner-Parkplatz zu ihm hingezogen gefühlt. Trotzdem hätte er sich nie träumen lassen, dass Marco ihn mögen könnte.

Doch all das lag bereits in ihrer Vergangenheit, während Nojiko erst vor kurzem zu ihnen gestoßen war. Es war Ace noch immer ein Rätsel, wie sie ihm nicht schon früher aufgefallen war. Key West war nicht groß genug, um sich nicht mindestens einmal in all der Zeit über den Weg gelaufen zu sein. Doch es hatte ihren Barkeeper-Job im Grandline benötigt, damit sie zueinander fanden, damit Nojiko zu Marco und ihm fand.

Ace fuhr sich mit den Fingerkuppen über seine Lippen, während seine Augen einer Motte folgten, die zu der Straßenlaterne hinaufflog, welche seinen Weg kreuzte. Eigentlich hatte er nicht so lange bleiben wollen, aber eine warme Mahlzeit hatte er Nojiko nicht ausschlagen können. Ganz besonders, da Nami zu ihnen gestoßen war und sie zu dritt gegessen und geplaudert hatten.

Doch nun war die Dunkelheit schon längst über die Insel hineingebrochen. Sterne standen am Firmament, nur zwischen den Wolken sichtbar, die noch immer schwer am Himmel hingen und weitere Regenfälle versprachen. Doch der eigentliche Sturm war fortgezogen und hatte lediglich ein paar Pfützen und umgeknickte Palmen hinterlassen. Die abendliche Stille war nur von fernen Sirenen unterbrochen, während Pärchen Hand in Hand über die sandigen Wege wanderten und Betrunkene von einer Bar zur nächsten torkelten. Ace schenkte ihnen ein amüsiertes Grinsen und einen stummen Gruß, in dem er die Hand im Vorbeigehen hob.

Ob Marco schon zu Hause war? Ace hoffte es. Immerhin mussten sie sich über ein größeres Bett unterhalten und auch darüber, dass Nojiko sich – wenn auch recht widerwillig – entschieden hatte, das Geld für die Reparaturen am Haus zu benutzen. Ace hätte sowieso nicht gewusst, was er mit dem Geld hätte anstellen sollen. Er brauchte nichts. Zum ersten Mal seit langer Zeit löste sich dieser Knoten in seiner Brust, der ihm in manchen Nächten das Atmen erschwerte. In solchen Momenten suchten ihn die Zweifel heim, mit denen er schon seit frühster Kindheit bekannt war. Sie waren der Ursprung seiner Wut, das hatte er inzwischen begriffen. Obwohl er die Frage, ob sein Leben einen Sinn hatte, ob es tatsächlich gut gewesen war, dass er geboren wurde, noch immer nicht beantworten konnte, fühlte er sich ausgeglichen. Er wollte es beinahe glücklich nennen, auch wenn er wusste, wie zerbrechlich dieses Wort war. Die Bedeutung dahinter war genauso fragil wie eine Seifenblase im Wind.

Ace hatte kaum bemerkt, dass er den langen Weg zu ihrer Wohnung eingeschlagen hatte. Er führte direkt durch das Stadtzentrum von Key West. Leuchtreklame kündigte die vertrauten Bars und Kneipen an, von denen keine mit dem abgelegenen Grandline mithalten konnten. Musik dröhnte jedes Mal, wenn die Tür geöffnet wurde, aus den stickigen Innenräumen hinaus ins Freie, während Grillen zirpten und Menschen lachten und Sirenen heulten.

Es dauerte eine Weile, bis Ace tatsächlich auf sie aufmerksam wurde. Noch etwas länger, bis er realisierte, dass sie mit jedem Schritt, den er sich vom Stadtzentrum entfernte, anschwollen. Seine Augenbrauen bildeten eine besorgte Linie, als er ihren Ausgangspunkt zu orten versuchte. Eine schlechte Ahnung beschlich ihn und seine Schritte beschleunigten sich. In der Dunkelheit war es schwer auszumachen, aber nach und nach erkannte er den grauschwarzen Rauch, der über Palmen und Bäumen hinweg aufstieg.

Ace joggte die schmale, bewaldete Passage entlang, hinter der sich der Parkplatz ihres Wohngebäudes befand. Noch bevor er ihr Ende erreicht hatte, sah er die Flammen. Die Sirenen erstarben und Feuerwehrmänner brüllten Befehle, als sie sich daran machten das Feuer zu löschen oder wenigstens daran zu hindern, auf die Nebengebäude überzuspringen.

Das Feuer war grell, doch Ace zwang sich die Augen offen zu halten. Die Flammen waren hoch und leckten den äußeren Häuserwänden entlang, knisternd und zischend, während ein Schwall heißer Luft Ace entgegen wehte, als er sich dem Brand näherte. Er setzte einen Fuß vor den anderen, langsam und beherrscht, obwohl alles in ihm brodelte. Seine Hände hatten sich zu Fäusten geballt und seine Zähne waren schmerzhaft aufeinander gebissen. Die Schaulustigen, die sich auf dem Parkplatz versammelt hatten, der mehr Fahrräder als Autos enthielt, bemerkte er nicht.

„Hey, bleib weg“, wehte die Stimme eines Feuerwehrmannes hinüber, doch Ace nahm sie nicht wahr. Er hatte nur Augen für die Gebäude, in dem sich Marcos Wohnung befand, in dem sich ihre Wohnung befand, in dem—

„Ace.“ Sein Name wurde genannt. Der Ton war resignierend und ruhig – und eine Hand packte Ace am Oberarm, ankerte ihn ins Hier und Jetzt.

Er blinzelte und folgte der Hand den Arm hinauf, bis er in Marcos Gesicht sah. Es war schattenbesetzt und ernst und wirkte älter, als Marco eigentlich aussehen sollte. „Ich bin auch erst vor ein paar Minuten eingetroffen, aber da...“ Marco beendete seinen Satz nicht, sondern nickte stattdessen nur zu dem brennen Wohnhaus hinüber. Eine Melancholie erhielt Einzug in sein Gesicht und die Schultern sackten und Aces Wut wurde größer und schwand zur gleichen Zeit. Mit dem Gefühl konnte er nichts anfangen, denn es riss ihn in unterschiedliche Richtungen, ließ seinen Blick zwischen dem Brand und Marco hin- und herwechseln, als gäbe es irgendwo Antworten auf Fragen, die er selbst nicht kannte. Da waren nur Marcos Finger, die seinen Arm umklammerten, stark genug, um Abdrücke zu hinterlassen.

„Was ist—“, begann er.

„Keine Ahnung.“ Marco schüttelte den Kopf. „Wir sollten gehen.“

Ein freudloses Lachen entwich Aces Kehle, halb erstickt und heiser. „Wohin?“ Dass da oben war ihr Zuhause gewesen! Ihre Wohnung brannte gerade ab, zusammen mit ihrem gesamten Hab und Gut und jeder Erinnerung.

Marcos Augen hielten an ihm fest, unergründlich und müde. Für einen Moment sah es so aus, als wollte er Ace umarmen, aber seine Hand rutschte lediglich von seinem Arm hinab zu seiner Hand und er verschränkte ihre Finger ineinander.

Im nächsten Augenblick wurde Ace bereits mitgezogen, weg von den Menschen, die sich um sie herum gesammelt hatten, um zu sehen, was vor sich ging oder um ihr eigenes Zuhause in Flammen aufgehen zu sehen.

„Zu Paps“, murmelte Marco und Ace musste die Ohren spitzen, um die Worte überhaupt zu vernehmen.

Aces Blick ging über seine Schulter hinweg, denn ein Teil von ihm wollte bleiben und dort hineinrennen und das Feuer selbst löschen, um... Wozu? Um irgendetwas zu retten, obwohl er doch wusste, dass alles bereits abgebrannt und zerstört war. Aber er konnte dem auch nicht einfach den Rücken kehren und so tun, als sei nichts passiert! Was dachte sich Marco!?

Wütend studierte er Marcos Hinterkopf und wie der Wind an den wenigen blonden Haaren zog, während die Hand nicht von seiner abließ und ihn weiterzog, ihn festhielt.
 


 

XI

Die Tür öffnete sich, als sie die steile Einfahrt erklommen. Helles Licht suchte sich den Weg aus dem Türspalt hinaus in die Dunkelheit. Im Gegensatz zu dem Neonlicht der Straßenlaternen war es warm und einladend, ebenso wie die Personen, die auf dem Treppenabsatz auf sie warteten und sie mit besorgten Gesichtern musterten, vertraut und ihre Gesellschaft angenehm war.

Thatch war der erste, der ihnen entgegenkam. Trotz der schlechten Lichtverhältnisse konnte Marco den Schweiß auf seiner Stirn sehen, ebenso wie die wirren Haare und den zerknitterten Anzug. Wahrscheinlich war er vor wenigen Minuten erst aus Makinos Bett gesprungen, als er die Nachrichten über den Brand gesehen hatte. „Marco, Ace!“ Er klopfte ihnen nacheinander auf die Schultern und auf die Rücken, beinahe als ob er sichergehen wollte, dass sie tatsächlich hier und in Sicherheit waren.

„Alles okay?“, fragte Izou von der Tür aus, die tiefgeschminkten Augen misstrauisch umherwandernd. Doch die Nacht war still und dunkel und sie die einzigen, die sich der Villa von Whitebeard genähert hatten. Rund um das Anwesen waren Bewegungsmelder angebracht, die Flutlichter einschalteten, sobald sich etwas dort draußen zwischen den Bäumen und Büschen bewegte. Zwar verirrten sich gelegentlich auch Rehe, Waschbären und andere Tiere in den verwucherten Garten, aber die Jungs machten dennoch einen Rundgang über das Gelände, sobald sich das Licht einschaltete. Obendrein behielt immer irgendjemand ungefragt die Einfahrt im Blick, sobald er aufstand und an einem der unzähligen Fenster vorbeiging.

Marco nickte. Die anderen hatten auf sie gewartet, weil sie wussten, dass sie bei der Villa auftauchen würden. Aces Hand war auf halben Weg hierher aus seiner gerutscht, aber wenigstens hatte er sich nicht umgedreht und war zurück zu ihrem Wohngebäude gerannt, das inzwischen nur noch Schutt und Asche sein dürfte.

„Was ist passiert?“, fragte Vista, dem man die Unruhe nur an dem verstärkten Zwirbeln seines Schnauzbarts anmerkte. Er schob die Tür weiter auf, damit sie eintreten konnten. „War es Brandstiftung? War es ein Angriff? Oder nur ein Unfall?“

Die Kühle des Hauses empfing sie und vertrieb die Hitze, die sie vom Feuer mitgebracht hatten. Marco schüttelte den Kopf. „Es ist zu früh, um Vermutungen anzustellen.“

Ace war neben ihm zum Stehen gekommen. Sein Blick war auf seine schwarzen Stiefel gesenkt und seine Hände waren zu Fäusten geballt, obwohl er Thatch dennoch erlaubte, einen Arm locker um seiner Schultern zu legen. „Wie soll das ein Unfall gewesen sein, hm?“, wollte Ace wissen, aber niemand hatte eine Antwort für ihn. Schweigen war das einzige, was er erhielt. Es war ausreichend, damit Ace Thatchs Arm abschüttelte, seine Stiefel absteifte und auf der breiten Treppe im Obergeschoss verschwand. Er war ein Experte darin seine Brüder stehen zu lassen und wegzulaufen.

Marco stieß ein Seufzen aus und Thatch schnaufte. „Die Jugend von heute“, entrann es ihm, obwohl die Belustigung nicht über die Ernsthaftigkeit auf seinem Gesicht hinwegtäuschen konnte. „Mach dir nichts draus. Er wird drüber hinwegkommen.“

„Die Wohnung war sein Zuhause“, erwiderte Marco. „Mehr noch, als es meins gewesen war.“ Er hatte die Wohnung vor einem halben Jahrzehnt bezogen, allein und ohne großartige Zukunftspläne. Es war nur ein Platz zum Schlafen gewesen, an dem er die Ruhe gefunden hatte, die es bei den ganzen Anwesenden in der Villa oftmals nicht gab. Damals hätte er sich nicht träumen lassen, dass irgendwann mal jemand bei ihm einziehen würde und diesen Ort in mehr als nur ein Dach über dem Kopf verwandeln würde. Doch wenn er ganz ehrlich war, so hatte Ace ein Zuhause viel nötiger gehabt als Marco. Sein Zuhause war der Ort, an dem sich seine Familie befand, aber auch das kannte Ace nicht. Er hatte noch nie einen Platz gehabt, an dem er sich fallen lassen konnte – und nun war dieser dem Feuer zum Opfer gefallen und Ace war wütend, ohne dass er wirklich verstand warum.

„Willst du Sake?“, fragte Thatch, der von einem Fuß auf den anderen trat. „Klärt vielleicht ein bisschen die Gedanken.“ Auch die anderen drifteten zur Küche hinüber, doch Marco schüttelte den Kopf.

„Wo ist Paps?“, fragte er stattdessen.

Izou deutete mit dem Finger nach rechts, wo sich ein weiterer Gang befand, der direkt zu Whitebeards Schlafzimmer führte. „Er schläft. Bei all dem Sake, den er getrunken hat, war es unmöglich ihn aufzuwecken.“

„Verstehe.“ Marco blieb in der Eingangshalle stehen und Thatch und Izou sahen vom Türrahmen der Küche zu ihm zurück. „Ich werde nach Ace schauen. Außerdem bin ich auch schon müde. Sagt den Jungs, dass alles in Ordnung ist und wir morgen darüber reden.“ Er wandte sich der Treppe zu, hielt jedoch noch einmal inne. „Und Thatch? Du kannst ruhig wieder zu Makino gehen. Sie macht sich bestimmt Sorgen.“

Ein ertapptes Lächeln schlich sich auf die Züge des anderen und Marco hob einen Mundwinkel, bevor er die Stufen hinaufstieg. Sie hatten erst gestern hier übernachtet, da Marco selbst nach dem offiziellen Auszug aus der Villa sein Zimmer hier behalten hatte. Immerhin musste sich irgendjemand um die Rechnungen und den andere Papierkram kümmern, der anfiel.

Selbst in der Dunkelheit des Flurs fand Marco sich blind zurecht. Er folgte den Zimmern bis zum Ende des Gangs und sparte sich das Anklopfen, bevor er die Tür öffnete.

Im Raum herrschte dieselbe Finsternis, da Ace sich nicht die Mühe gemacht hatte, das Licht der kleinen Nachttischlampe einzuschalten. Nur der Mondschein fiel zwischen den Wolken und den Vorhängen in das Zimmer und machte die Umrisse sichtbar. Ace saß am Bettrand, die Arme auf den Oberschenkeln gebettet. Sein Blick musste irgendwo auf dem Boden zwischen seinen Füßen und der gegenüberliegenden Wand liegen. Er schaute nicht auf und Marco schloss die Tür hinter sich, bevor er sich neben Ace auf das Bett setzte. Ihre Oberschenkel berührten sich, warm und vertraut und dennoch mit einem Hauch von Anspannung, welche die Luft elektrisierte. Doch Marco machte Aces Wut nichts aus, hatte sie noch nie.

„Wir hätten bleiben sollen.“ Aces Stimme war rau und tief. Er drehte den Kopf in Marcos Richtung und Schatten besetzten sein Gesicht. Es war zu dunkel, um die Sonnensprossen auf seinen Wangen und seinem Naserücken zu sehen, obwohl sie sich so nah waren.

„Und was hätte das gebracht?“, erkundigte sich Marco.

Aces Oberschenkel presste sich stärker gegen seinen und Ace wischte sich mit einer Hand die Haare aus der Stirn. „Keine Ahnung. Irgendetwas. Vielleicht hätten wir gesehen, wer für das Feuer verantwortlich ist. Oder—“

„Oder es war tatsächlich ein dummer Unfall“, sagte Marco. „Irgendjemand hat den Ofen angelassen. Oder eine Kerze.“ Seine Intuition sagte ihm zwar etwas anderes, sagte ihm, dass der Zeitpunkt einfach kein Zufall sein konnte, da sie erst seit ein paar Tagen von der Bedrohung aus Texas und von Doflamingo gehört hatten, aber noch hatten sie keine Beweise.

Ace schwieg, was jedoch keine Zustimmung war. Marco kannte ihn zu gut, um sein Schweigen nicht kategorisieren zu können. Seine Hand landete auf Aces Knie, doch dieser schob sie weg, um sich ihm im selben Atemzug zuzuwenden und ihn zu küssen. Es war kein sanfter Kuss, sondern einer mit feuchten Lippen, die nach Salz schmeckten, und Zähnen, die gegeneinander klickten. Ungeduldig suchten sich Aces Hände den Weg unter Marcos offenstehendes Hemd und schoben es ihm von den Schultern. Er zog sich sein eigenes aus und presste sich an ihn, bis Marco sich mit Ace über ihn nach hinten auf das Bett sinken ließ.

Ihr Aufeinandertreffen hatte keine Ähnlichkeit mit dem Erwachen von heute Morgen, an dem die Sonne den Raum erhitzt hatte und Aces Gesicht schlaftrunken und entspannt gewesen war. Sein Gewicht lag schwer wie Blei auf Marco und seine Hände fanden den Platz an seinen Hüften, als Aces Mund sich seinem Nacken widmete und einen Schauer nach dem anderen seine Wirbelsäule hinabtanzen ließ. Er schloss die Augen, kniff die Lider zusammen, als er die Flammen hinter ihnen sah, die dem Gebäude seiner Wohnung entlanggeleckt hatten. Seinem – ihrem! – Zuhause und ihm wurde klar, dass Ace nicht der einzige war, der diese Nähe im Moment brauchte.
 


 

XII

Der Morgen brach mit den ersten Sonnenstrahlen an, die es seit Tagen einmal wieder durch die beständige Wolkendecke schafften. Wenigstens hatte es nicht mehr geregnet, darüber war Law glatt froh. Er hatte sich nie Gedanken um das Wetter auf den Key Inseln gemacht, aber scheinbar hatte er sich einen schlechten Zeitpunkt für seinen Besuch ausgesucht. Nun... von ausgesucht konnte dabei eigentlich nicht die Rede sein. Genauso wenig konnte er sich beklagen, denn bisher lief alles nach Plan, Doflamingos sowie nach seinem.

Die Türklingel war ein freudiges Klingeln. Es war von Schritten gefolgt, die sich nach Hackenschuhen auf einem Holzboden anhörten. Law konnte Nami gedanklich sehen, bevor sie überhaupt die Tür öffnete. Sie trug schwarze Sandaletten mit einem Absatz, die ihre Beine noch länger und eleganter wirken ließen. Doch ihre Schuhe rundeten ihr Outfit mit dem dunklen Minirock und der kurzärmeligen Bluse nur ab. Seine Aufmerksamkeit galt jedoch dem leichten Schweißfilm auf ihrer Stirn, den sichtbaren Augenrändern, die trotz Make-up für ihn erkennbar waren. Sie hatte immer noch erhöhte Temperatur, obwohl der Sturm längst weitergezogen war.

Seine Mundwinkel hoben sich ein Stückchen, als sein Blick von ihren Beinen hinauf zu ihrem Gesicht wanderten. Ihre Augen bohrten sich in ihn hinein und sie lehnte an der Tür, die nur einen Spalt breit geöffnet war, nicht weit genug, um stummen Einlass für ihn darzustellen. Anstatt als erster das Wort zu ergreifen, zog Law das Bundstiftset aus der Tasche seiner schwarzen Jacke und reichte es ihr.

Etwas Weiches schlich sich in ihr Gesicht, welches aber sogleich von Misstrauen überschattet wurde. „Versuchst du dich bei mir einzuschmeicheln?“, erkundigte sie sich, nahm ihm das Geschenk aber ab und beäugt es näher.

„Ich dachte, ich hab mich bei dir schon gestern eingeschmeichelt“, erwiderte er.

Nami schmunzelte. „Ja, aber dann bin ich allein aufgewacht“, konterte sie und ließ das Set mit den Stiften sinken. Doch allein die Tatsache, dass sie es nicht zurückgab, bestätigte ihm, dass es ihr gefiel.

Law lehnte sich vor, weiter zum Türrahmen und ihr hinüber. „Als ob du etwas anderes erwartest hast. Oder dir erhofft hättest.“

Die fehlende Überraschung sagte ihm, dass er richtig gelegen hatte. Sie sagte ihm, dass Nami nicht sauer war, sondern ihn hinhielt, dass sie mit ihm spielte. Wieder einmal. Seinen Blick haltend zog sie die Tür weiter auf und Law schob sich an ihr vorbei ins Innere. Das Haus begrüßte ihn mit Stille.

„Deine Schwester ist nicht da?“

„Nein, sie trifft sich mit... jemanden. Sie dürfte aber bald zurück sein, falls du etwas Bestimmtes im Sinn hattest“, antwortete Nami, nach dem sie die Haustür geschlossen hatte und hinter ihm in Richtung Küche spazierte. „Sie bringt Brötchen mit. Genug für dich, solltest du noch nicht gefrühstückt haben. Kaffee?“

Law verzog das Gesicht, obwohl Nami ihn überholt hatte, um die Kaffeemaschine anzusteuern. „Kaffee, ja, aber keine Brötchen.“

Mit einem leisen Lachen legte Nami das Set mit den Buntstiften beiseite und holte zwei Tassen aus dem Hängeschrank über dem Waschbecken, die sie füllte. Der Arome des Kaffees drang an Laws Nase, ehe sie ihm überhaupt die Tasse gereicht hatte. „Du magst keine Brötchen? Wer mag bitteschön keine Brötchen?“

Law zuckte mit den Schultern. „Es gibt nicht viele Dinge, die ich mag.“ Seine Worte waren nonchalant, aber der Blick, den Nami wissend über ihre Schulter warf, sagte ihm, dass sie den Sinn dahinter verstand. Es war genau dieses Selbstbewusstsein und dieses stumme Verständnis, welches er an ihr zu schätzen wusste und was das hier alles so einfach für ihn machte. Es war leicht mit ihr zusammen zu sein.

Die Tasse auf dem Küchenschrank neben sich abstellend trat er von hinten an sie heran und mimte die Berührungen von vorgestern Nacht nach, als er einen Arm um ihre Hüfte legte. Mit der anderen strich er die langen, orangenen Haarsträhnen beiseite, um ihre nackte Schulter küssen zu können, während seine Finger über die verschnörkelte Tätowierung dort wanderte.

Nami legte summend den Kopf zur Seite, damit seine Lippen problemlos zu ihrem Nacken wandern konnten. Sie ließ sich verwöhnen, weil sie keine Ahnung hatte, dass sie mehr gab, als sie von ihm nahm. Law sollte sich schlecht fühlen, aber er hatte früh gelernt, dass alles und jeder nur ein Mittel zum Zweck war. Sie alle waren nur Spielfiguren hier und niemand spielte jemals komplett ehrlich.

„Law…“, erklang Namis Stimme, fest und kein bisschen kurzatmig.

Er zog sich zurück und musterte ihr Seitenprofil, als sie ihr Gesicht in seine Richtung drehte und ihn aus den Augenwinkeln betrachtete. „Nami-ya?“

„Hörst du mir überhaupt zu?“, fragte sie und Law erlaubte sich ein Zucken der Schultern.

„Ich bin sicher, dass es etwas mit deiner Schwester zu tun hat, die jeden Moment auftaucht.“

Nami drehte sich in seiner Umarmung, eine weitere Geste, die an die andere Nacht erinnerte und die Hitze in Law aufsteigen ließ. Doch anstatt ihn an sich heranzuziehen, schob Nami ihn entschieden mit einer Hand an seinem Oberkörper von sich. „Richtig.“ Mit ihrer Kaffeetasse in der Hand stolzierte sie davon und Law sah ihr nach, bevor er seine eigene wieder aufnahm und einen Schluck von der dunklen Flüssigkeit trank.

Er konnte das Klappern von Tellern vernehmen und durch den offenen Durchgang zum Esszimmer sehen, wie Nami einige Teller aus dem Schrank holte und auf dem Tisch platzierte. „Bring die Messer mit. Fünf Messer. Nein, vier, du isst ja nicht mit.“

Law runzelte die Stirn, als er der Aufforderung schweigend nachkam. Fragte man seinen One-Night-Stand den Tisch zu decken? Die kuriose Frage zog langsame Kreise durch seine Gedanken, während er noch immer von den Sinneseindrücke von ihrer gemeinsamen Nacht heimgesucht wurde. Allerdings war das nicht sonderlich erstaunlich. Law mochte zwar jemand sein, der gern die Fäden zog und ohne großes Aufsehen agierte und manipulierte, aber er war nicht emotionslos. Zudem lag es schon eine lange Zeit zurück, dass er sich in den Armen einer Frau widergefunden hatte.

Gut, da war Monet, eine enge Vertraute von Doflamingo, die ihr Haar lang, wild und giftgrün trug und gelegentlich sein Interesse weckte. Obwohl sie intelligent war und selten ein Blatt vor den Mund nahm, war sie trotzdem nicht mit Nami zu vergleichen. Schon allein deshalb nicht, da man ihr kein Stück über den Weg trauen konnte. Jedes Wort, welches er Monet ins Ohr flüsterte, landete bei Doflamingo, wurde in seinem Bett weitergewispert. Aber er wusste ohnehin, dass die besten Pläne stets unausgesprochen blieben. Bei Nami jedoch musste er sich diese Gedanken nicht machen, denn sie wusste von nichts und ihr musste er sich nicht erklären – und trotzdem deckte er mit ihr den Tisch.

Die Haustür fiel zu. Das Geräusch ließ Law aufsehen und warnte ihn davor das Wesentlichste nicht aus den Augen zu verlieren. Er musste aufpassen, sonst war alles umsonst.

„Nami?“, erklang Nojikos Stimme.

„Wir sind hier“, rief diese zurück und schenkte ihm ein neckendes Lächeln, welches er nicht interpretieren konnte.

Ihre Schwester kam um die Ecke und mit ihr zwei Männer, die Law so vertraut waren, obwohl er ihnen offiziell niemals begegnet war. Marco, der Whitebeards rechte Hand war, erfasste ihn mit müdem Blick, der über seinen scharfen Verstand hinwegtäuschte, während der temperamentvolle Ace, der beim Russisch Roulette beinahe sein Leben verloren hatte, ihn interessiert musterte. Seine Reaktion bestätigte, dass die beiden durch Nojiko bereits von dem Mann wussten, der mit Nami anbändelte. Es stärkte seinen Aufenthalt in diesem Haus, was genau das war, war er erreichen wollte.

„Du hast Besuch“, entrann es Nojiko und sie zwinkerte ihrer Schwester zu. Mit der braunen Tüte und dem Geruch von frischen Brötchen wanderte sie in die Küche, um einen Brotkorb zu holen.

„Du auch...“, erwiderte Nami und setzte sich. „Law, das sind Marco und Ace. Marco, Ace, das ist Law. Er ist... ein Bekannter“, stellte sie ihn vor und Ace klopfte ihm mit einem Halbgrinsen auf den Rücken, bevor er sich ebenfalls setzte.

„Bleibst du zum Essen?“, erkundigte sich Marco und Law hob die Tasse in seiner Hand ein Stückchen.

„Für eine Tasse Kaffee.“

Marco nickte und setzte sich ihm gegenüber, nachdem Law neben Nami Platz genommen hatte. Sein verschlafener Blick ruhte auch weiterhin auf seiner Gestalt, als wollte er in seinen Kopf eintauchen. Aber was hatte Law auch erwartet? Er wusste schließlich, dass Marco im Gegensatz zum Rest seiner zusammengewürfelten Familie nicht jeden dahergelaufenen Fremden gutgesinnt war. Genau diese Eigenschaft machte ihn gefährlicher als all die anderen. Selbst als Whitebeard persönlich, dem man wahrscheinlich erst ein Messer in den Rücken rammen musste, damit er aufwachte. Vorausgesetzt man kam an ihn heran, was Doflamingos größtes Problem darstellte. Whitebeards Netzwerk war zu groß und ausgebreitet dafür.

„So Law... wie lange bist du schon in Key West?“, fragte Ace, der zwischen Marco und Nojiko saß. Brotkrümel klebten an seinen Mundwinkeln und er beschmierte seine zweite Hälfte vom Brötchen mit zu viel Marmelade. Die Ausgelassenheit, die er aus der Ferne an dem anderen Mann beobachtet hatte, fehlte. Sie lag in Trümmern, genauso wie ihr Wohnungsgebäude.

„Eine Woche“, antwortete Law über den Rand seiner Kaffeetasse hinweg.

Die nächste Frage kam wie aus der Pistole geschossen, vollkommen unabhängig von seiner vorigen Antwort. „Wie gefällt es dir hier?“

„Die Luftfeuchtigkeit ist höher als in New York“, antwortete er und nahm ihnen somit die Fragerei ab, woher er denn ursprünglich stammte. Mit Sicherheit konnte er zwar nicht sagen, ob es reine Neugier oder doch eher Misstrauen war, aber das spielte keine Rolle. Law hatte sich alle Fakten schon zurechtgelegt, bevor er auf dem Flughafen in Jacksonville gelandet war. Sie waren nah genug an der Wahrheit angesiedelt, um echt zu wirken, damit er nicht ständig auf seine Antworten aufpassen musste. Gleichzeitig waren sie genug von der Wahrheit entfernt, um nicht aufzufliegen. „Ich mache gerade eine Pause von meinem Medizinstudium. Ich brauchte einen Tapetenwechsel.“

Neben ihm hob Nami die Augenbrauen. „Daher wusstest du sofort, dass ich Fieber habe“, fasste sie zusammen und schaffte es kein Stück erstaunt zu wirken, weil ihr scheinbar so gut wie nichts den Wind aus den Segeln nehmen konnte.

„Du hast immer noch erhöhte Temperatur“, sagte er und abermals wanderte sein Blick zu den Schweißperlen, die sich an ihren Schläfen und ihrer Stirn gebildet hatten. Für ein ungeübtes Auge waren sie nicht sichtbar, ihm sprangen diese Details jedoch förmlich an.

Als konnte Nami seine Gedanken lesen, grinste sie schief und fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn. „Nachwirkungen von dem Sturm.“ Ihre Worte waren so selbstsicher, dass sie fast über das kurze Zögern hinwegtäuschen konnten. Fast.

Besorgnis huschte über Nojikos Gesicht, die beim Essen innehielt und ihr Brötchen beiseite legte. „Wenn es die nächsten Tage noch anhält oder schlimmer wird, suchst du einen Arzt auf, Nami.“

Doch Nami winkte ab. „Keine Sorge. Es ist nichts.“

„Deine Schwester hat recht“, lenkte Law ein. „Mit Fieber ist nicht zu spaßen.“

„Siehst du, Nami. Selbst der angehende Doktor ist meiner Meinung.“

Nami schnaufte. „Auf wessen Seite stehst du eigentlich?“ Ihr Blick galt ihm und Law erlaubte sich ein schmales Schmunzeln.

„Auf der Seite der Gesundheit, nehme ich an“, erwiderte er, war sich gleichzeitig aber auch der Ironie bewusst. Immerhin war er im Untergrund als der Chirurg des Todes bekannt. Er hatte schon viele Leute zusammengeflickt, die nicht ausgesehen hatten, als ob sie den nächsten Morgen erleben würden, aber auch, weil er mit seinem Fachwissen gut die menschlichen Schwächen kannte und wichtige Informationen aus seinen Patienten herauskitzeln konnte.

Marco hob einen Mundwinkel auf seine Antwort hin. Es kam Law beinahe so vor, als verstand er den Sarkasmus in seinen Worten, obwohl das unmöglich war. Law war nicht paranoid, sondern arbeite mit Fakten und Marco hatte keine Ahnung, wer er wirklich war. Stattdessen angelte Marco sich verschlafen ein Brötchen aus dem Korb und sah zu ihm hinüber. „Willst du wirklich nichts essen, Law?“
 


 

XIII

Marcos Finger in ihrer Hand waren kalt, viel kälter als Aces. Aber das überraschte Nojiko nicht. Alles an Ace war warm, seine Finger, ebenso wie sein Lächeln und seine Persönlichkeit. Damit war er das komplette Gegenteil von Marco, dessen Verhalten und dessen Blick stets eine Kühle ausstrahlte. Doch diese war nicht abstoßend, sondern auf eine gewisse Art und Weise beruhigend. Es war furchtbar einfach dem Geschirr im Waschbecken den Rücken zu kehren, Marcos Hand zu nehmen und ihn die Stufen nach oben hinter sich herzuziehen, sobald die anderen nicht hinschauten.

Er blieb wortlos, abwartend und gelassen, als ob er ihr blind vertrauen würde. Dieser Gedanke jagte Nojiko einen Schauer über den Rücken, während das Blut vor Aufregung in ihren Ohren rauschte. Sie festigte ihre Finger um seine, festigte ihren Entschluss und sperrte die Angst in ein Zimmer und warf den Schlüssel weg.

Von unten drang ein leises Lachen von Ace hinauf, welches nicht die gewöhnliche Freude und Lautstärke enthielt, aber Nojiko selbst aus der Ferne versicherte, dass Ace in Ordnung war. Dass er über die abgebrannte Wohnung, die er mit Marco seit so langer Zeit geteilt hatte, hinwegkommen würde. Vor eine Veränderung hatte er keine Angst, denn das war Nojiko. Sie war diejenige, die an den alten Dingen festhielt.

„Ich habe nachgedacht“, kündigte Nojiko an, als sie das obere Stockwerk erreicht hatten und in dem kleinen Flur standen, von dem die drei Schlafzimmer des Hauses abzweigten. Sie ließ von Marcos Hand ab, drehte sich zu ihm um und verschränkte die Arme vor dem Oberkörper. Als sie die eigene Abwehrhaltung erkannte, löste sie die Verschränkung wieder und ließ die Arme ungeduldig an ihren Seiten baumeln.

Marcos Gesicht war ausdruckslos, aber sein Blick trotz der verschlafenen Miene durchdringend. Sagen tat er nichts und Nojiko war ihm dankbar dafür.

„Es tut mir leid, was mit eurer Wohnung passiert ist“, begann sie erneut und ließ die Augen wandern. „Es hat sich gestern schnell herumgesprochen. Ich... habe mir echt Sorgen gemacht, bis Thatch im Grandline aufgetaucht ist und mir versichert hat, dass es euch beiden gut geht. Trotzdem. Euer Job – euer ganzes Leben – ist gefährlich und solche Dinge können immer mal passieren. Dessen bin ich mir durchaus im Klaren und diese Ungewissheit ärgert mich.“ Ihre Stimme war leise, doch sie konnte dennoch das Wackeln in ihr vernehmen. Nojiko atmete durch. „Was ich damit sagen will ist, dass—“

„Eh?“ Marcos Augenbraue hob sich. „Versuchst du gerade mit uns Schluss zu machen?“

Nojiko zögerte, als sie ihn musterte. „Ich versuche euch zu fragen, ob ihr nicht bei Nami und mir einziehen wollt.“ Die Arme ausbreitend deutete sie auf die Zimmer, deren Türen offen standen und einen uneingeschränkten Blick gewährten. Ihr Blick hing an Bellemeres Schlafzimmer, frisch geputzt und gefüllt mit Liebe und Sonnenschein und frischer Luft, welche durch das geöffnete Fenster drang. „Das Haus ist groß genug. Es wird ohnehin Zeit, dass wir Bellemeres Zimmer ausräumen. Bisher hab ich es nur nicht über das Herz gebracht, aber ich denke, ich kann es jetzt. Außerdem habe ich Ace versprochen, das Geld für das Haus zu benutzen und einige Reparaturen machen zu lassen.“ Sie war schon immer ein praktischdenkender Mensch gewesen, der immer etwas zu tun haben musste. Abgesehen davon würden Marco und Ace etwas mehr Leben in das Haus bringen, welches sich nach dem Tod von Bellemere und Namis Auszug für eine lange Zeit einsam angefühlt hatte. „Was denkst du, Marco?“

Seine Mundwinkel hoben sich, genug um ihr zu bestätigen, dass sie sich nicht zu weit aus dem Fenster gelehnt hatte. Ihr Angebot war willkommen. Er trat vor und strich ihr eine violette Haarsträhne aus der Stirn, welche unter ihrem Haarband hervorgerutscht war. „Wenn du sicher bist, dass du das willst, werden wir die Einladung dankend annehmen. Aber wenn du den Raum deiner Mutter erhalten willst, ist dein Schlafzimmer groß genug, wenn wir ein breiteres Bett kaufen, nehme ich an.“

Ein Lachen entflog Nojiko. „Du willst also lieber in meinem Bett schlafen, was?“

Marco zuckte grinsend mit den Schultern. „Es ist deine Entscheidung. Ich bin sicher, Ace wird so oder so begeistert sein.“

„Es ist nicht zu früh?“, sprach Nojiko doch ihre Unsicherheit aus, aber Marco schüttelte den Kopf.

„Zur Not darfst du uns gern wieder rauswerfen. Wir werden versuchen, es nicht persönlich zu nehmen“, erwiderte Marco und Nojiko boxte ihn sanft gegen die Schulter.

Sein Arm legte sich um ihre Hüfte und zog sie heran, bis sich ihre eigenen um seinen Nacken schlangen. Es sollte sich nicht so vertraut anfühlen, so unbefangen, denn Berührungen und Intimitäten waren für gewöhnlich alles andere als einfach für sie. Doch Marco fühlte sich muskulös und vertraut und richtig unter ihren Fingerspitzen an – und Nojiko wollte ihn und Ace mindestens genauso sehr in ihrem Bett, in ihrem Zuhause, wissen. Hier wusste sie, dass sie am Leben und in Ordnung waren, ganz egal, was dort draußen in der Welt vor sich ging und wie viele Feinde es auf sie abgesehen hatten.

Das Haus war versteckt, ruhig und friedlich. Es war sicher, zumindest in Nojikos Kopf und in ihrem Herzen wollte sie daran glauben, obwohl nichts die Realität vollständig aussperren konnte. Irgendwann fand sie immer wieder den Weg durch irgendeine Ritze, das hatte sie schmerzlich lernen müssen, als sie den Anruf bekommen hatte, als man ihr gesagt hatte, dass ihre Mutter bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Mit zunehmenden Alter stiegen die Verluste, doch manchmal gewann man etwas – jemanden – dazu, meist wenn man es am wenigsten erwartete.

Nojiko schloss die Augen und lehnte sich gegen Marco, der sie wortlos hielt, während Namis und Aces Lachen bis zu ihnen nach oben schallte und Nojiko lächeln ließ.
 


 

XIV

„Es ist schwer vorstellbar, dass dich deine Lehrer damals alle gehasst haben sollen.“ Nami schenkte Ace einen amüsierten Blick, was an ihrer Meinung jedoch nichts änderte. Es gab nicht viele Menschen, die so natürlich und charmant waren wie Ace, das hatte sie schon bei dem ersten Abendessen zu viert erkannt. Er musste sich nicht anstrengend, denn Leute fühlten sich von ganz allein zu ihm hingezogen. Der Charme steckte in seinem Lächeln und seinen lockeren Bewegungen. Nami verstand, weshalb Nojiko ihm nicht hatte widerstehen können.

„Es ist mein vollkommener Ernst“, antwortete dieser grinsend und trocknete den Teller ab. „Früher... sagen wir, früher war ich anders.“ Seine Erklärung blieb vage, aber Nami fragte nicht nach, sondern wusch weiter das Geschirr ab. Den nächsten Teller reichte sie Law, der mit einem zweiten Handtuch auf ihrer anderen Seite stand. Anders als Ace war er schweigsam und grimmig, anders als wenn sie allein waren. Allerdings schien er auch kein Menschenfreund zu sein und sie rechnete es ihm bereits hoch an, dass er überhaupt nach dem Frühstück noch geblieben war.

„Was denkst du, Law?“, fragte sie ihn. „Kannst du dir vorstellen, dass Ace verrucht und gehasst gewesen ist?“

Er stieß ein Schnaufen aus. „Ich denke, Menschen sind zu einer Menge fähig. Mehr als man annehmen mag.“

„Wer ist zu was fähig?“, erklang Marcos Stimme hinter ihnen. Er stand im Türrahmen zur Küche, gelangweilt und mit Nojikos Hand in seiner. Sein Blick ruhte auf Law, der keine Miene verzog, sondern lediglich weiter abtrocknete.

Nami schmunzelte. „Ace hat uns von den Eskapaden seiner Highschoolzeit erzählt. Scheinbar ist er damals ein böser Junge gewesen.“

„Ace? Ein böser Junge? Unvorstellbar“, entrann es Nojiko grinsend, doch Marco ließ ein zweifelndes Brummen verlauten.

„Manchmal kann er durchaus ein böser Junge sein. Zum Beispiel im B—“, begann er, doch Nami fuhr ihm über den Mund.

„So genau wollen es einige von uns überhaupt nicht wissen“, lenkte sie ein, während sie Ace die abgewaschene Kaffeetasse reichte, die er ihr mit errötetem Gesicht abnahm.

„Ich dachte, wir sind hier alle erwachsen“, murmelte Marco und Nojiko knuffte ihm mit dem Ellenbogen in die Seite.

„Wir haben Besuch“, mahnte sie halbherzig, doch Law zuckte mit den Schultern.

„Ich wollte sowieso gerade gehen“, ließ er verlauten. Das Handtuch legte er ordentlich beiseite. Sein Timing passte perfekt, denn Nami drehte den Wasserhahn zu und trocknete sich die Hände ab. Es war kein Zufall.

„Ich bring dich zur Tür“, verkündete sie und folgte ihm aus der Küche und durch das Wohnzimmer hindurch. Seine Schritte waren lautlos und er furchtbar unscheinbar, obwohl ihn das in Namis Augen kaum weniger einnehmend machte. Sie mochte zwar wissen, wie sich sein Körper über ihrem anfühlte, aber das änderte nichts daran, dass sie keine Ahnung hatte, was genau in seinem Kopf vorging. Es sollte sie beunruhigen, aber ihre Sinne waren ohnehin schon seit Tagen in Alarmbereitschaft. Sie waren es auch jetzt noch. Die erhöhte Temperatur war nur ein äußerliches Symptom ihrer Intuition, der irgendwas nicht gefiel. Nami hatte jedoch keine Ahnung, was es war. Anfangs war es der Sturm gewesen, den sie mit jeder Faser ihres Seins wahrgenommen hatte. Doch dieser war vorrübergezogen und hatte weitaus weniger Schaden hinterlassen, als sie anfangs angenommen hatte. Was war also das Problem? Was stimmte nicht?

„Über was denkst du nach, Nami-ya?“, erkundigte sich Law. Sie beide standen vor der Eingangstür und anstatt sie zu öffnen, wandte er sich ihr noch einmal zu.

Nami blinzelte, doch vertrieb die unterschwellige Sorge. Stattdessen trat sie an Law heran, der einen halben Kopf größer als sie war und wahrscheinlich mehr Geheimnisse mit sich herumtrug, als Nami auch nur erahnen konnte. Auch das war etwas, was ihr ihre Intuition verriet und Nami hatte sich schon immer von ihr leiten lassen.

Mit einer Hand an seiner Brust drängte sie ihn rückwärts, bis sein Rücken die Tür berührte und er sich ihr nicht mehr entziehen konnte. Nami stellte sich auf Zehnspitzen und zog ihn am Kragen seiner Jacke heran. Ihre Lippen waren Zentimeter voneinander entfernt und ein Lächeln legte sich auf ihre. „Du bist ein merkwürdiger Typ, Law.“ Ihre Worte waren ein Flüstern. „Eigentlich weiß ich rein gar nichts über dich. Aber eigentlich ist es mir auch egal.“

Seine Finger wanderten ihren Ellenbogen hinauf, als er sie küsste. Abermals blieb eine Erwiderung aus, denn Law war ein Meister darin nichts zu sagen, nichts preiszugeben und sie im Dunkel tappen zu lassen – und trotzdem war es einfach sich dem zwischen ihnen hinzugeben. Nami spielte gern mit dem Feuer, obwohl Law viel eher Glut war, Glut im Laub, das ein Waldfeuer entfachen konnte.

„Sehen wir uns heute Abend?“, fragte er, als sie sich voneinander lösten.

„Im Grandline?“

„Irgendwo allein?“, erwiderte er und sein Blick verriet, was er im Sinn hatte. Namis Herz stolperte in ihrer Brust und ihre Hand fuhr Laws Oberkörper hinab, damit sie einen Finger in seinen Hosenbund schieben konnte.

„Hast du nicht ein Hotelzimmer gemietet?“, fragte sie und Law deutete ein Nicken an.

„Ich hol dich ab. Sagen wir um neun Uhr.“

Mit diesem Versprechen verabschiedeten sie sich voneinander und Nami schloss die Tür hinter ihm, bevor sie summend zu Marco, Ace und Nojiko zurückkehrte.

Die Tür zum Garten stand offen. Ein paar knarrende Holzstufen führten zu diesem hinunter und sandige Pfade führten zwischen den Grasflächen entlang, hinüber zu den Büschen mit den Orangen. Nojiko hatte einen Korb herangeschafft und Marco und Ace für die Arbeit rekrutiert. Sie zog ihre Gartenhandschuhe an und Ace stülpte ihr seinen orangenen Cowboyhut über den Kopf, während Marco grinsend vor einem Busch hockte und Orangen pflückte.

Für einen Moment beobachtete Nami sie, die Hände in die Hüften gestemmt und mit der Sonne im Gesicht. Sie konnte Bellemere sehen, wie sie fernab stand, die Arme verschränkt, einen Glimmstängel zwischen den Lippen haltend, schmunzelnd und zufrieden – und Nami konnte zum ersten Mal in langen Monaten frei atmen, obwohl die schlechte Ahnung sich nicht vertreiben ließ und wie eine Gewitterfront am Horizont lauerte.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ende von Teil 3. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Hisoka_Hebi
2021-08-21T04:22:58+00:00 21.08.2021 06:22
Dieses Kapitel gefiel mir auch :) bin gespannt wenn es knallt und die Wahrheit herauskommt. Ob Marco schon irgendwas ahnt? Nicht nur Nami? :)
Von:  Levisto
2016-09-21T18:16:29+00:00 21.09.2016 20:16
Wie alle anderen kann ich nur sagen: super spannend! Die 5 Akteure haben sich scheinbar unscheinbar getroffen und wissen nicht was diese Begegnung anrichten wird. Law hat zufällig interessante Informationen erhalten, Nami ist leicht skeptisch und weiß nicht so recht damit umzugehen, Ace ist wie immer emotional, Nojiko wagt einen Schritt in die Zukunft und Marco bewacht alle wie ein Phönix.

Freue mich auf die nächste Wendung.
Greetz
Levisto
Von:  Kayara
2016-09-13T20:08:06+00:00 13.09.2016 22:08
Unerwartet aber weiterhin super interessant. Ich muss Killua zustimmen, du beschreibst Law wirklich gut. Dir Wendungen in der Geschichte sind wirklich gut, es bleibt spannend :D

Bin gespannt wie es weitergeht!!

Kayara
Von: abgemeldet
2016-09-11T17:24:32+00:00 11.09.2016 19:24
Von Law bin ich ehrlich am meisten beeindruckt. Ich kenne niemanden, der ihn so gut schreiben kann wie du und ich selbst halte mich da auch meilenweit fern davon. Ich finde, er ist wirklich ein sehr schwieriger Charakter. Schon im Manga. Und hier ja sowieso. Ich habe mich noch nicht ganz entschieden, was ich von der Beziehung zwischen Nami und ihm halten soll. Hat er sich wirklich etwas in sie verguckt oder verfolgt er da wirklich einen Plan, in welchem sie Mittel zum Zweck wird. Über sie kommt er an Ace und Marco ran, allerdings scheint er das ja auch so sehr gut zu können...
Der Brand hat mich echt mitgenommen. Ace muss sich so unglaublich verloren fühlen. Marco stellt zwar eine Konstante da, genau wie seine anderen Brüder, Paps und mittlerweile ja auch Nojiko, aber zu sehen, wie das eigene Haus bzw. die eigene Wohnung abbrennt, stelle ich mir mit als das schlimmste vor, was einem passieren kann. Man verliert ja die Grundlage von dem, was man aufgebaut hat. Die Grundfesten des Lebens. Man kann zwar überall jederzeit wieder neu anfangen, aber es ist trotzdem als würde man etwas aus seiner Brust reißen. Waren wirklich schöne Formulierungen, die du da eingebaut hast und jetzt habe ich wieder ganz schlimme Marco/Ace Feels.
Ich bin gespannt, wie der nächste Teil wird. Ob Ace und Marco wirklich bei Nojiko einziehen und was da auch Nami und Law wird. Vor allem auch, wie es dann mit Namis Gesundheit steht. Die kann mir ja erzählen, was sie will. Das kann nicht nur am Sturm liegen. ._.
Ein wunderbarer Teil. Sehr abwechslungsreich, mit viel Erotik, kurzen Schnappatmungsmomenten. Ich bin sicher, dass es so weitergeht und freue mich sehr darauf.

Bis bald. =)


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