Corvus et Vulpes von Bei ================================================================================ Kapitel 3: Reise nach Xi’an --------------------------- Tonks konnte schon nicht mehr ruhig sitzen. Alle paar Minuten sprang sie entweder völlig unerwartet auf, rannte, alle möglichen Dinge an- und umstoßend, im Kreis herum oder ließ sich die verrücktesten Dinge wachsen. Als sie es gerade mit einer ellenlangen Hakennase versuchte, die sogar Snapes Zinken wie ein Stupsnäschen aussehen ließ, erschreckte Xiao Chen, die gerade mit einem Berg sauberer Wäsche über den Hof trabte, so sehr, dass ihr die Hälfte zu Boden fiel und sie die ganze Last wieder zurücktragen musste. Tonks wurde knallrot, als ihr Lupin einen strengen Blick zuwarf, und setzte sich für die nächsten drei Minuten sogar ganz manierlich ruhig auf die Steinstufen vor dem Badehaus. Endlich klappte die Tür der Kampfschule und Jiang Li erschien. Sie trug zwei riesige Koffer mit einer solchen Leichtigkeit, als wären sie mit Sägespänen gefüllt, und hatte sich neben den obligatorischen Schwertern auch noch zwei lange Dolche umgebunden. Es war zwar sehr früh am Morgen, und wenn sie Glück hatten, konnte Xi’an mit Einbruch der Dunkelheit erreicht werden, doch es war besser kein Risiko einzugehen. Auch bei Tag war der Wald äußerst gefährlich und schien nur auf die geringste Unvorsichtigkeit zu lauern. Jiang Li schien äußerst schlechter Laune zu sein. Der Morgengruß an ihre Mitreisenden fiel knapp aus und der kleine schwarze Hengst, auf dem sie nach Xi’an reiten wollte, schnaubte erstaunt und schüttelte unwillig den Kopf, als sie mit festem Griff seine Zügel packte. Ihr Gesicht war blass und hart und sie konnte den scharfen Tadel, mit dem sie den etwas langsamen Hauselfen am liebsten bedacht hätte, nur mit Mühe zurückhalten. Endlich erschien Meisterin Zhen Juan und verabschiedete sich würdig von den Gästen. Jiang Li verneigte sich, um der Etikette Genüge zu tun, tief vor ihr und seufzte unhörbar. „Sie werden sehen, Großmeisterin, ich werde meine Schulden bald beglichen haben“, murmelte sie mit gesenkten Augen, doch bevor sie noch etwas anderes hinzufügen konnte, unterbrach sie die alte Frau abrupt und nahm sie schroff in den Arm. „Du liebe Zeit, sei doch still, du dummes Ding. Damit täuscht du doch keinen Menschen.“ meinte sie ruppig und verpasste ihr einen aufmunternden Klaps auf den Arm. „Sieh’ lieber zu, dass du in England gut zurechtkommst und die Kinder gut behandelst. Herr Dumbledore und die anderen scheinen große Stücke auf dich zu setzen, wenn sie extra diese Reise auf sich genommen haben. Deinen Eltern gibst du das hier –“, sie händigte ihr ein dickes Leinenbündel aus, „und du benimmst dich, wenn du sie wiedersiehst. Keine Streitereien, ich höre garantiert davon und dann kannst du dich auf was gefasst machen. Auf deinen Raben solltest du auch etwas achten, er hört ja auf keinen Menschen außer dir, das sture Biest.“ Dumbledore, Lupin, Snape und Tonks waren inzwischen in die Kutsche gestiegen und machten es sich bequem, so gut es in dem engen Raum ging. Den gestrigen Tag hatten sie in den weitläufigen Badeanlagen verbracht, wohl um sich für die bevorstehende Reise zu wappnen. Jiang Li war ja nur froh, dass sie selber reiten konnte und nicht stundenlang auf den harten Kutschbänken sitzen musste. Yue You und Li Ming hatten beschlossen, sie durch den Wald bis nach Xi’an zu begleiten. Also blieben nur noch Xiao Hong und die Schülerinnen übrig, um in dieser Nacht für Sicherheit zu sorgen. Jiang Li taten die Vier richtig leid, noch dazu hatte sie sich mit Xiao Hong noch immer nicht richtig ausgesöhnt. Als sich die Kleinen von ihr verabschiedet hatten und ihre dritte Schwester an die Reihe kam, packte sie darum mit einer schnellen Bewegung ihre Hand und sah sie mit einem um Verzeihung heischenden Blick an. „Xiao Hong, ich werde mein Bestes tun, um meine Fehler wieder gut zu machen. Dass du wegen mir Ärger bekommen hast, tut mir sehr leid und ich hoffe, dass du mir noch einmal verzeihen kannst.“ Xiao Hong schien sich für einen Moment nicht sicher zu sein, ob sie ihr die Hand entziehen sollte, entschied sich dann aber doch für die harmonischere Variante und legte ihrerseits die andere Hand auf Jiang Lis. „Schon gut“, meinte sie etwas obenhin und lächelte matt. „Wir sehen uns jetzt ja lange nicht mehr und wer weiß, vielleicht kann dir dein Aufenthalt in Anshan wirklich weiterhelfen. Schön wär’s ja. Also dann,“ sie lächelte wieder und nahm ihre Hände langsam fort, „eine gute Reise, hoffentlich passiert euch nichts. Ich werde Guan Di bitten, dass er ein Auge auf euch hält.“   Das war alles, aber immerhin besser als gar nichts, dachte sich Jiang Li, als sie sich auf den Hengst schwang und ihn mit raschen Schnalzlauten in Bewegung brachte. Mit Xiao Hong hatte sie in letzter Zeit so oft gestritten und im Gegenteil zur zwar rasch erhitzten, aber auch schnell wieder zu beruhigenden Yue You war es schwer, sich dauerhaft und ehrlich zu versöhnen. Li Ming hielt sich aus der ganzen Sache eher heraus, sie ging ihrer Arbeit nach und kümmerte sich gut um ihre Schülerin. Während sie so neben der Kutsche hertrabte, musste sie unweigerlich an ihre Zeit in der Kampfschule denken. Schon als ganz kleines Mädchen war sie hierher gekommen und hatte unter der gestrengen Zhen Juan die verschiedenen Facetten des Schwertkampfs gelernt. Bei der Erinnerung daran tastete sie unwillkürlich über ihren rechten Handrücken und fühlte die längliche, wulstförmige Narbe, die sich quer darüber zog, ganz deutlich. Wie oft die Meisterin ihr mit dem Stock auf Arme und Beine geschlagen hatte, wusste sie schon gar nicht mehr. Zhen Juan hatte die Auffassung vertreten, je öfter sie zuschlug, desto besser verankerten sich ihre Ermahnungen in den Köpfen der Schülerinnen. In gewissem Sinne war das ja auch der Fall gewesen, aber Jiang Li war froh darüber, dass ihre Mitschwestern diesen rigiden Unterrichtsstil nicht ganz und gar übernommen hatten. Noch dazu hatte sie im Gegensatz zu den anderen Mädchen das Glück gehabt, in England zur Schule gehen zu können, weit fort und für Monate der elenden Schinderei entzogen. Ihre Eltern hatten laut der Meisterin darauf bestanden, sie nach Hogwarts zu schicken, warum auch immer. Darüber hatte sie bei den seltenen Treffen nicht gesprochen. Dass sie ihre Eltern hatte sehen dürfen, war eigentlich einer unerklärlichen Milde der Meisterin zuzuschreiben. Eigentlich, so verlangte es die Tradition, gehörte man als Schülerin oder Schüler einer Kampfschule nicht mehr der eigenen Familie an, sondern übernahm sowohl einen neuen Vor- wie auch den Familiennamen der Kampfschule. Mit Erreichen der Volljährigkeit und Abschluss der Ausbildung erhielt man dann einen unabhängigen, „neuen“ Namen und war somit bereit, eine eigene Schule zu gründen. Zhen Juan hatte sich allerdings nicht um all die Verbote, die es einem Kind eigentlich unmöglich machten seine „alten“ Eltern zu sehen, gekümmert und sämtliche ihrer Schüler dazu angehalten, in Kontakt mit ihren Familien zu bleiben.   Der Hengst schnaubte und warf mit einem heftigen Ruck seinen Kopf zurück. Sie wurde aufmerksam und legte die rechte Hand auf den Dolch in ihrem Gürtel, während sie sich konzentriert umsah. Die Pferde waren schon so einiges gewöhnt und scheuten nicht bei jedem Eichhörnchen, das ihnen vor die Hufe flitzte, da konnte man sich auf sie verlassen. Mit sanften Lauten versuchte sie das Tier zu beruhigen und tauschte einen raschen Blick mit Li Ming, die beunruhigt die Stirn runzelte. In der Kutsche war es still, schon die ganze Fahrt über. Offensichtlich fühlten auch die vier Ortunkundigen die seltsame Atmosphäre, die über dem Wald rund um das Badehaus zu liegen schien. Selbst das Wetter begann sich zu ändern. Hatte es in den frühen Morgenstunden noch nach einem einigermaßen sonnigen Tag ausgesehen, so fiel nun die Temperatur empfindlich ab und ließ den Atem vor den Gesichtern kondensieren. Da aber gerade erst Mitte August war, verhieß dieser Umstand nichts Gutes. Vermutlich eher eine ganz besonders widerliche Bestie. „Das erinnert mich an den Yaksha-Angriff vor einem Jahr!“, zischte Yue You gedämpft und zog ihr Schwert. „Was haben die unter Tag hier zu suchen?“ „Sie haben uns wohl gespürt“, antwortete Jiang Li gefasst und ließ den Dolch im Gürtel. Gegen Yaksha würde er genauso viel helfen wie eine Feder. Sogar die Schwerter waren gegen diese Dämonen nahezu machtlos.   Es wurde immer kälter. Eiskristalle wirbelten durch die frostige Luft, die bei jedem Atemzug wie mit kalten Klingen in die Kehle schnitt. Yaksha waren geflügelte, dreiäugige Wesen mit mächtigen Zauberkräften. Vorigen Sommer hatten weibliche Yakshini das Badehaus angegriffen und es war ihnen schwergefallen, die Dämonen zurückzuschlagen. Li Ming hob den Bogen von ihrer Schulter und legte bedächtig einen langen Pfeil ein. Sie war die beste Schützin der Kampfschule und würde dafür sorgen, dass dem Untier ein angemessener Empfang bereitet werden würde. In ihren Pfeilen befanden sich kleine Widerhaken, die den Schaden für den Gegner um einiges größer machten, wenn er so dumm war, sie herausziehen zu wollen. Bei Ogern klappte so was immer. Yue You und Jiang Li ließen nervös die Blicke schweifen. Wenn der Feind erst einmal auftauchte, konnte man der Gefahr wenigstens ins Gesicht sehen und sich etwas ausdenken. Das Warten war schlimmer.   In der Kutsche steckten die vier Zauberer bestürzt die Köpfe zusammen und flüsterten leise miteinander. Dumbledore versuchte, seine Begleiter so gut wie möglich zu beruhigen. „Ich habe größtes Vertrauen in die Fähigkeiten der drei Damen“, meinte er ernsthaft und hob warnend den Finger, als Snape ihn unterbrechen wollte. „Wenn wir an die Herreise denken, da wurden wir doch ebenfalls angegriffen. Und –“ „Aber da kam kein solcher Wettersturz vor!“, zischte Tonks fahrig und ließ ihre Haare in Regenbogenfarben schillern. „Es ist eiskalt und Schnee fällt! Im August!“ „Wir können uns jetzt wie wahnsinnig Sorgen machen und streiten, oder ganz einfach daran denken, dass wir ohnehin nichts tun können. Magie hilft hier nichts und die Zauberstäbe können wir genauso gut zum Rückenkratzen verwenden, also sollten wir vielleicht einfach Ruhe bewahren und den Damen vertrauen“, warf Lupin trocken ein und überraschte damit sogar Snape, der ihn mit hochgezogenen Augenbrauen musterte, schon den Mund öffnete, es dann aber doch vorzog, aus dem Fenster zu starren und sich tiefer in seine Robe zu vergraben. Die Temperatur fiel weiter.   Plötzlich knackte etwas in Unterholz, dem Geräusch nach etwas Großes. Die Pferde scheuten und blähten die Nüstern, sie fühlten die drohende Gefahr. Jiang Li ritt nach rechts, in Richtung Geräusch. Beide Schwerter hielt sie locker in den Händen und schwang sie abwechselnd aus dem Handgelenk, um die Kälte daraus zu vertreiben und ihre Hände geschmeidiger zu machen. Yue You und Li Ming sicherten inzwischen die Kutsche und trieben Ho, den Hauselfen, der die wuchtigen Zugpferde lenkte, zur Eile an. Das schwerfällige Fahrzeug war ihre Achillesferse, sie mussten so schnell wie möglich aus dem Wald heraus.  Dichter Nebel kam auf und verhüllte den vor ihnen liegenden Weg. Ho fluchte und ließ die Zügel knallen, während Dumbledore und die anderen aus dem Fenster in eine blinde weiße Wand starrten. Plötzlich zuckte Lupin zusammen und stöhnte leise. „Das ist kein Nebel! Da drin bewegen sich … Dinge …“ Er verstummte und bemühte sich, nicht hinzusehen, doch es gelang keinem von ihnen. Alle sahen sie, wie sich aus den Nebelschwaden Figuren formten, um die Kutsche ballten und nach einem Weg ins Innere zu suchen schienen. Li Ming keuchte und fluchte. „Das sind Shins! Was tun die denn hier? Wir haben doch geopfert, oder etwa nicht?“ „Ruhe bewahren!“ brüllte Yue You zurück und versuchte verzweifelt, den Anschluss an die Kutsche nicht zu verlieren. „Hören Sie mich da drin? Nur die Ruhe! Shins sind eigentlich relativ harmlos, sie erscheinen als Nebelschwaden und erschrecken die Leute, aber sie tun Ihnen kein Leid an!“ Jedenfalls kein Physisches, dachte sie bei sich. Shins waren allerdings in der Lage, die geheimen Ängste ihrer Opfer zu erkennen und sich auch dementsprechend zu formen. Trotzdem galt ihre größere Sorge Jiang Li, die weder zu sehen noch zu hören war. „Jiang Li! Wo bist du, melde dich, verdammt!“, kreischte sie mit vor Angst zorniger Stimme. Eine ferne Stimme antwortete ihr. „Seht zu, dass ihr aus dem Wald herauskommt! Ich kümmere mich um den Rest!“ „Jetzt ist sie glatt verrückt geworden! Was glaubt sie denn, wer sie ist?“, fauchte Li Ming aufgebracht, während Yue You die Hände zu einem Trichter formte und in das weiße Nichts hineinschrie. „Hör auf den Helden zu spielen und komm sofort her! Wer von uns soll denn nach England fahren, ich vielleicht?“ „Ich kümmere mich schon um alles! Wir treffen uns später! Viel Glück!“, erklang von fern noch einmal Jiang Lis Stimme, dann war sie definitiv fort. Yue You schickte ihr eine Reihe saftiger Flüche hinterher, schüttelte ärgerlich den Kopf und winkte der nur schemenhaft erkennbaren Li Ming resigniert zu. „Komm, beeilen wir uns. Jetzt ist auch nichts mehr zu machen.“   Nachdem sie ihre Gefährten verlassen hatte, hielt Jiang Li kurz inne und konzentrierte sich. Die Schwerter legte sie griffbereit über den Sattel und hielt sie mit der linken Hand fest. Hier wurde der Nebel schon schwächer, die Shins sammelten sich natürlich hauptsächlich in der Nähe des Wagens, da es dort mehr Menschen gab. Wieder knackte es, diesmal lauter und auch näher als zuvor. Ein Yaksha hätte doch schon längst angegriffen, dachte sie bei sich und runzelte die Stirn. Was immer im Dickicht verborgen lauerte, sollte sich endlich zeigen. Sie war des Wartens wirklich müde.  Plötzlich drang etwas wie Gesang an ihre Ohren. Jiang Li stoppte den nervösen Hengst und legte den Kopf schief, um zu lauschen. Ja, tatsächlich, Gesang. Eine leise Männerstimme ertönte ganz in ihrer Nähe, zu leise, um einzelne Worte zu verstehen, doch ganz klar ein Lied. Neugierig geworden trieb sie den Hengst leicht an und folgte der Stimme. Nach kurzer Zeit scheute der Rappe allerdings heftig und schien keinen Schritt mehr tun zu wollen. So außer sich hatte sie das Tier selten gesehen; kalter Schweiß bildete sich auf seinem biegsamen Hals. „Ganz ruhig, mein Kleiner! Was ist denn?“, flüsterte sie sanft und tätschelte ihn sanft. Vor ihnen öffnete sich eine lose Baumgruppe und gab den Blick auf einen kleinen See frei, der sich zwischen zwei bewaldete Bergketten schmiegte. Es war immer noch eiskalt und sie musste ständig die Finger bewegen, damit sie ihr nicht einfroren. Die Schwerter klirrten und waren von einer dünnen Schicht Raureif bedeckt. In der Mitte des Sees bewegte sich etwas und der Gesang verstummte so plötzlich, wie er begonnen hatte. Eine pfeilförmige Woge schoss rasch heran und kam knapp vor ihr zur Ruhe. Der Hengst warf den Kopf in den Nacken und stieg leicht, wie zur Warnung. Jiang Li fluchte und packte ihre Waffen, die beinahe hinuntergerutscht wären, wieder mit beiden Händen. Das Pferd musste sie jetzt mit den Knien lenken, sie konnte nur hoffen, dass es ihr gehorchte. In seinen Augen war nur noch das Weiße zu sehen.   „Wer bist du? Zeig dich!“, schrie sie und packte die Griffe fester. „Na los, was ist? Was willst du? Zum Singen allein bist du wohl nicht hier, oder?“ Ein helles Lachen antwortete ihr und das Wasser zu ihren Füßen brodelte, als würde es kochen. Langsam hob sich ein schöner weißer Kopf aus den Fluten und lächelte sie freundlich an. Jiang Li verstand, warum sich ihr sonst so tapferer Hengst so seltsam benahm und stöhnte. Ein Wang-Liang, einer der schrecklichsten Wasserdämonen, die es in ganz China gab. Jetzt bereute sie bitterlich, auf die Unterstützung ihrer Schwestern verzichtet zu haben.   Der Wang-Liang stieg höher und höher, bis er schließlich knapp über dem Wasser schwebte. Langes, schneeweißes Haar umfloss in weichen Wellen ein überirdisch makelloses Gesicht, ob männlich oder weiblich, konnte man nicht sagen. Sein Körper war unter einem leicht schillernden eisblauen Gewand verborgen, das wie geformtes Wasser schien. Diese Eigenschaft traf allerdings auch auf den Wang-Liang zu. Wieder lächelte er sie an und breitete die Arme aus. „Gefällt dir mein Gesang nicht, Liebste?“ Nun war seine Stimme nicht mehr schmeichelnd und männlich, sondern näherte sich einer androgyneren Lage an, in der ein gefährlicher Unterton mitschwang. Niemals einen Dämon beleidigen, wenn es nicht nötig ist, sagte sich Jiang Li und verneigte sich als Geste des Grußes so tief, wie es ihr möglich war, um ihn noch im Auge zu behalten. Ihre Vorsicht entging ihm keineswegs. „Mit Waffen in den Händen kommst du zu diesem heiligen Ort! Hat man dir keinen Anstand beigebracht, kleines Mädchen?“ Die langen Ärmel seines Kleides flatterten leicht, obwohl es windstill war. Der Dämon sammelte bereits seine Energie. Was soll’s, dachte sich Jiang Li wieder und zuckte im Geist ergeben die Achseln. Ob sie nun höflich war oder nicht, dürfte wohl keinen Unterschied mehr machen. Der Wang-Liang würde sie nicht gehen lassen, es sei denn, in Stücken, die in eine Zündholzschachtel passten. „Heiliger Ort? Du träumst wohl!“, lachte sie höhnisch und ließ die Schwerter schwingen, um sie fest in Griff zu bekommen. Dann gab sie dem Pferd die Sporen und floh nach links, das Ufer des Sees entlang. Sie brauchte einen besseren Platz, einen, der den Wang-Liang zwingen würde, an Land zu gehen. Das würde seine Kräfte schwächen, zwar nicht viel, aber vielleicht genügend, um ihm zu entkommen. Jiang Li machte sich keine Illusionen. Einen Wang-Liang konnte sie nicht alleine besiegen. Der Dämon war schneller und schnitt ihr schon nach kurzer Zeit den Weg ab. Sein schönes Gesicht lächelte immer noch, doch verzerrten sich die feinen Züge beinahe unmerklich und ließen den Blick wie durch eine Maske auf ein tiefer liegendes, anderes Gesicht zu, das so grausam und unmenschlich war, dass ihr der Atem stockte. Der Wang-Liang hob einen Arm und wies mit einer nachlässigen Geste in ihre Richtung. Gleich darauf prallten sie und der Hengst wie von einer unsichtbaren Wand ab und schlitterten meterweit nach hinten. Das Pferd brach wimmernd in die Knie. Jiang Li keuchte heftig und mühte sich ab, das Gleichgewicht zu halten. Sinnlos, sich noch länger auf dem Pferd zu halten. Ob es eine Dummheit war oder nicht, sie schwang sich etwas ungelenk aus dem Sattel und wies das Tier mit einem leichten Schlag vor die Brust an zu verschwinden. Der Hengst gehorchte und humpelte davon. „Was ist los, kleines Mädchen?“ Der Dämon lachte und sie wünschte sich, sie wäre nicht von den anderen fortgeritten, sondern einmal in ihrem Leben vernünftig gewesen. Es war immer noch kalt, doch fiel kein Schnee mehr. Ohne den Atem auf eine Erwiderung zu verschwenden, sprang sie auf ihn zu und hieb mehrere Male wuchtig auf ihn ein, dann warf sie sich schwer atmend zur Seite. Sie musste ihn mindestens einmal getroffen haben, doch er lächelte nur weiterhin strahlend und folgte ihr mit seinen erbarmungslosen, wasserhellen Augen. „Armes, kleines Mädchen“, flüsterte er sanft und glitt geräuschlos auf sie zu. Der Erdboden schien seine Kraft nicht im Mindesten zu dämpfen, im Gegenteil, die durchsichtig fließenden Außenkonturen schienen sich verfestigt zu haben und gaben ihm physische Beständigkeit. Seine strahlenden Augen hielten sie gefangen. Sie konnte ihn nur noch in stummer Angst anstarren, hypnotisiert wie eine Maus von der Schlange. Mühelos packte er ihren linken Oberarm und zog sie mit einem einzigen Ruck in die Höhe. „Komm mit mir. Es wird dir gefallen da unten, du wirst mit den Fischen schwimmen, meine Liebe. Dann singen wir zusammen ein Lied …“ Die herrliche, melodische Stimme ließ sie alles andere vergessen. Ihre Schwestern, die Kampfschule, die Aussicht auf ein Leben in Hogwarts, das alles zerrann im Bruchteil einer Sekunde zu einem milden, farblosen Nebel. Sie wollte dem Wang-Liang gerne folgen, er war so wunderschön. Beide Schwerter fielen klirrend zu Boden, während sie sich willenlos von ihm mitschleifen ließ. Schon berührten ihre Fußspitzen den kalten See, und noch ein Schritt weiter und sie wäre verloren, doch es kümmerte sie nicht. Nichts war noch von Wichtigkeit. Da drang ein leiser Laut an ihr Ohr und der Wang-Liang blieb stehen. Jiang Li fühlte, wie er ihren Arm mit einem hässlichen Misston fahren ließ, und schrie im nächsten Moment vor Schmerz laut auf, als ihre Knie unsanft Bekanntschaft mit den Steinen im flachen Uferwasser machten. Der weiche Nebel in ihrem Kopf löste sich auf und sie konnte wieder klar denken. Überrascht sah sie zum Wang-Liang hoch und konnte sich nur mit Mühe von einem entsetzten Schrei zurückhalten. Wo zuvor ein makelloses Antlitz gelächelt hatte, bleckte nun ein scheußlicher Skelettschädel die Zähne; die funkelnden Augen waren tief in die Höhlen gesunken und die schrumplige Haut auf seinem Körper schillerte in einem fauligen, verwesten Grünblau.   Fassungslos presste sie eine Hand vor den Mund und kroch zurück, möglichst weit weg von ihm. Doch der Dämon beachtete sie gar nicht; wie vom Donner gerührt starrte er über sie hinweg in das dumpfe Zwielicht des Waldes. Jiang Li folgte seinem Blick und musste sich ein zweites Mal von einem Aufschrei abhalten. Im Dickicht stand ein Ki-Lín, ein Einhorn. Anders als europäische Einhörner, die eher weißen Pferden glichen, besaßen chinesische die Ohren eines Drachen, ein langes Horn in der Mitte der Stirn, eine Löwenmähne, den Körper eines Hirschen und den Schwanz eines Ochsen. Als Jiang Li das Tier so stehen sah, begriff sie endlich, warum das Ki-Lín als das perfekteste aller Landtiere galt. Es schimmerte leicht im düsteren Licht, das sich erst durch viele Schichten aus Blättern kämpfen musste, und hielt den schmalen Kopf majestätisch erhoben. Seine Schönheit trieb ihr die Tränen in die Augen und sie konnte den Blick nicht von ihm abwenden. Den Wang-Liang hinter sich hatte sie vollkommen vergessen, doch er griff auch nicht an. „Geh fort“, klang es tonlos in ihrem Kopf. „Geh langsam und dreh dich nicht um.“ Sie starrte weiterhin auf das wunderschöne Tier, zuerst, ohne zu begreifen, dann erhob sie sich langsam und tastete nach ihren Schwertern. Eins fand sie gar nicht mehr, doch sie wollte nicht suchen. Sie wollte auch nicht fort, doch der Blick des Ki-Lín drang tief in ihr Herz und ließ sie mit gesenktem Haupt davonziehen, ohne sich umzuwenden, wie sie es versprochen hatte.   Ohne auf den Weg zu achten, stolperte sie ziellos durch den Wald. Die Meisterin hatte ihnen einmal von den Einhörnern erzählt, die zu sehen ein großes Glück bedeutete. Sie symbolisierten Wissen und Gerechtigkeit, die Balance von Yin und Yang. Jiang Li begann, ohne es zu wollen, heftig zu schluchzen und hob den linken Arm, um sich die Tränen aus den Augen zu wischen. Da durchfuhr sie ein so heftiger Schmerz, dass ihr übel wurde. Mit einem keuchenden Aufschrei zerrte sie den Ärmel zurück und starrte mit Grauen auf fünf dunkelrote, pulsierende Male, die die Finger des Wang-Liang zurückgelassen hatten. Offensichtlich war sein Griff vergiftet gewesen; schon fiel es ihr schwer, den Ellenbogen abzukicken, und auch die Finger wurden langsam steif und gefühllos. „Verdammt!“ Die lähmende Wirkung des Giftes breitete sich langsam aus und ließ sie alles nur noch verschwommen wahrnehmen. Fahrig wischte sie sich über die Augen und zwang sich zu schnellerem Ausschreiten. Sie würde es schaffen, der Dämon sollte nicht die Genugtuung haben, sie besiegt zu sehen. Und auch ihre Schwestern sollten nicht recht behalten, das wollte sie nicht. Wenigstens die eisige Kälte hatte sich verzogen, offensichtlich auch das Werk des Ki-Lín. Das Atmen fiel ein wenig leichter, obwohl jetzt Schmerz bei jedem Schritt in ihren Eingeweiden pochte. Das Gift des Wasserdämons musste hochwirksam sein. Mühsam schleppte sie sich weiter und konzentrierte all ihre Kraft auf den jeweils nächsten Schritt. Plötzlich stupste sie etwas Weiches zärtlich an. Mit trüben Augen erkannte sie schemenhaft den treuen, schwarzen Hengst, der offensichtlich nach seiner Herrin gesucht hatte und nun abwartend vor ihr stand. Er stieß sie wieder auffordernd an und drehte sich so, dass sie sich eigentlich nur noch in den Sattel ziehen musste. Eigentlich war gut gesagt. Sie hatte ja nicht einmal mehr die Kraft für einen weiteren Schritt, wie sollte sie da noch reiten? „Daran hast du natürlich nicht gedacht“, murmelte sie spöttisch, mehr zu sich selbst als zu dem Tier und ließ polternd das Schwert fallen. Das Aufsteigen schien Stunden zu dauern, doch der Hengst war geduldig und schien zu wissen, dass es ihr nicht gut ging, denn er trabte, als sie es schlussendlich doch noch geschafft hatte, weicher als sonst los und trug sie sicher durch das widerspenstige Gehölz. Jiang Li kippte nach vorne und krallte sich mit der rechten Hand in der dicken Mähne fest.   „Wo bleibt sie denn nur?“ Li Ming tippte ungeduldig mit den Fingern auf die frisch geschrubbte Oberfläche des runden Tischchens. Sie wollte es nicht zugeben, doch so langsam machte sie sich ziemliche Sorgen um ihre Schwester, gepaart mit ebenso heftigen Selbstvorwürfen. Sie hätte Jiang Li nicht alleine gehen lassen sollen. Wer wusste denn schon, was sich so alles im Unterholz herumtrieb? „Sie wird schon kommen.“ Yue You wollte sich ihre eigene Unruhe nicht anmerken lassen, sondern nippte graziös an ihrer Tasse. „Die Kleine ist ja immerhin erwachsen, so leicht haut sie schon nichts um.“ „Hoffentlich.“ Li Ming seufzte. Nachdem sie es ohne weitere Störungen aus dem Wald geschafft hatten, war ihnen nichts Besseres eingefallen, als sich die Zeit in einem der vielen kleinen Teehäuser zu vertreiben. Die vier ausländischen Zauberer hatten von Xi’an ohnehin noch nicht viel mehr mitbekommen als einen Kamin und die Kutsche bis zum Badehaus. Der Abend war lau; in den engen Gassen waren viele Menschen unterwegs, die einkauften oder sich mit Spielen und Klatsch die Zeit vertrieben. Obwohl es schon ziemlich spät war, hatten zahlreiche der kleinen Läden noch geöffnet, ebenso die Imbiss- und Straßenbuden. Yue You hatte mit dem unscheinbaren Häuschen, das sich zwischen eine Apotheke und ein Geschäft für alle möglichen Stoffe und Nähaccessoires drängte, ein gutes Auge bewiesen. Sie saßen alle Sechs rund um einen niedrigen Tisch vor der Teestube und beobachteten ungestört und bei bester Sicht das bunte Treiben in der Straße. „Ein bisschen wie in der Winkelgasse“, meinte Tonks träge und stützte sich mit den Ellenbogen auf. „Der Stadtteil von Xi’an ist doch sicher auch so in der Art gebaut, oder nicht?“ Dumbledore nickte und lächelte flüchtig. „Ganz recht, meine Liebe. Wie in der Winkelgasse leben hier Zauberer und Muggel parallel nebeneinander.“ „Ich will ja nicht stören, aber sollten wir uns nicht bald auf den Weg machen?“, warf Snape unvermittelt ein und runzelte verärgert die bleiche Stirn. „Wie lange sollen wir noch auf Lian warten?“ „Bis sie eben kommt“, entgegnete Yue You schneidend und fuhr ihre sauber gefeilten Krallen aus, mit denen sie ebenso wie Li Ming zuvor gereizt auf die Tischplatte trommelte. Sie konnte diesen blassen Miesling wirklich nicht sonderlich leiden, obwohl sie eigentlich noch gar kein richtiges Wort mit ihm gewechselt hatte. Plötzlich tat ihr Jiang Li leid; all die Jahre Unterricht bei dem Kerl, und wer wusste schon, ob es in dieser Schule nicht noch mehr Typen wie ihn gab. Sie nahm noch einen Schluck, um sich zu beruhigen und beobachtete aus den Augenwinkeln einen kleinen Jungen, der seine Mutter vor dem Stoffgeschäft quälte. Er nörgelte und jammerte in einem fort; offensichtlich ging es um einen leuchtend roten Seidenstoff mit aufgestickten goldenen Schmetterlingen und Blütenblättern. „Ganz ruhig, Severus, wir haben noch über eine Stunde Zeit, bis wir aus Anshan abgeholt werden. Ich bin mir sicher, Fräulein Lian wird zeitig zur Stelle sein.“ Seine strahlend blauen Augen zwinkerten leicht und Snape errötete unmerklich. Mürrisch widmete er sich wieder seinem Getränk zu und schwieg verstockt. Minutenlang sagte keiner ein Wort, dann sprang Li Ming mit einer Heftigkeit auf, die sie selbst zu überraschen schien. „Verflixt noch mal!“, rief sie ärgerlich-verlegen und rang um ihr Gleichgewicht. „Ich werde ihr ein Stück weit entgegengehen, sie muss ja jetzt wirklich bald da sein. Dann –“ „Hey, was haben wir denn da?“, unterbrach Yue You plötzlich und wies mit ausgestrecktem Arm in den Himmel. Alle hoben die Köpfe und kniffen die Augen zusammen, um etwas im dämmrigen Abendhimmel zu erkennen. Aus den farblosen Wolken löste sich langsam ein dunkler Punkt, wurde größer und immer größer, bis er sich schließlich als ausgewachsener Kolkrabe entpuppte. Dreist krächzend ließ er sich mitten auf dem Tisch nieder und erfrischte sich ungeniert aus Li Mings Teetasse. Tonks musste grinsen und drehte sich schnell weg, damit die anderen es nicht sahen. „Toll. Ihr blödes Vieh ist da, aber sie selber lässt immer noch auf sich warten“, murrte Li Ming beleidigt, drehte sich auf dem Absatz um und marschierte in die Richtung los, aus der sie gekommen waren. Yue You wandte sich zu Lupin und lachte. „Du liebe Zeit, das Amt für internationale magische Zusammenarbeit würde uns jetzt vermutlich töten, wenn die wüssten, welchen Eindruck von China wir da vermitteln …“ Lupin lachte mit ihr und verwickelte sie geschickt in ein Gespräch, während sich Dumbledore und Tonks wieder der belebten Gasse widmeten. Snape starrte in seine Tasse und schien dort etwas außerordentlich Interessantes gefunden zu haben, denn er hob kein einziges Mal mehr den Blick.     Endlich kam ein Ende der Baumreihen in Sicht. Bleischwer drückte das Gewicht der Abendluft auf ihre Lungen, sie fühlte sich, als würde sie platt auf den Rücken des Pferdes gequetscht werden. Der linke Oberarm brannte, als hätte sie ihn auf einen Ameisenhaufen gelegt, und war schon völlig gefühllos geworden. Aber wenigstens hatten sie es nach draußen geschafft. Die Dämmerung wich bereits der Dunkelheit, als plötzlich eine vertraute Stimme an ihr Ohr drang. Li Ming hastete mit schnellen Schritten auf sie zu und half ihr vorsichtig vom Pferd, während sie ununterbrochen schimpfte und zwischendrin vor Erleichterung auflachte. „Wenn du das noch einmal machst, ich schwör’ dir …“ Sie schob Jiang Li die Hand unter das Kinn und betrachtete besorgt ihre trüben Augen. „Du bist verletzt, nicht wahr? Wer war es?“ „Wang-Liang“, murmelte Jiang Li müde und ließ sich willenlos in einen hell erleuchteten Eingang drängen. Eine Apotheke? Ihre vage Vermutung bestätigte sich, als Li Ming sie ohne viel Federlesens auf einen niedrigen Schemel drückte und den rundlichen alten Mann hinter der Theke grob anblaffte. „Na los, siehst du nicht, dass das ein Notfall ist, Alter? Ich brauche einen Satz Nadeln, aber schnell!“ Der gebrechliche Apotheker hetzte, so schnell es seine altersschwachen Beine zuließen, und suchte das Gewünschte aus seinen wandhohen Schränken zusammen. Li Ming verlangte auch noch verschiedene Kräutermischungen, die er zu kleinen Röllchen drehen musste. Unterdessen riss sie achtlos den gesamten linken Ärmel auf und band die losen Stoffenden in Ellenbogenhöhe zusammen, damit sie nicht mehr störten. Der geschwollene Arm lag nun frei und sowohl sie als auch der alte Mann, der sich zittrig genähert hatte, sogen scharf die Luft ein. „Na wunderbar“, meine Li Ming ironisch und stieß den Atem pfeifend wieder aus. „Sieht ja nach einem ordentlich starken Gift aus.“ Dann stach sie zu. Jiang Li brüllte vor Schreck und Schmerz laut auf; nur mit Mühe konnte sie sich zurückhalten, ihre Schwester von sich zu stoßen und aus dem Laden zu rennen. Li Ming drehte in jedes der fünf dunkelroten Male eine lange Akupunkturnadel, befestigte die Kräuterrollen auf ihnen und zündete sie an. Ein beißender Gestank trieb ihnen das Wasser in die Augen und brachte selbst den abgebrühten Apotheker zum Husten. „Ganz ruhig, das zieht jetzt das Gift aus deinem Körper. Still sitzen, dann ist es gleich vorbei!“, mahnte Li Ming und beobachtete ruhig die fünf bleistiftminendünnen Blutspuren, die sich den Arm hinunterzogen. Sie behielt recht. Nach einiger Zeit klärte sich Jiang Lis Blick, Wärme strömte in ihren linken Arm, und sie konnte langsam wieder die Finger bewegen. Der alte Apotheker nickte anerkennend und nahm Li Mings Entschuldigung mit einem Lächeln an. Er verstehe das gut, meinte er, wenn man in solchen Situationen manchmal den Kopf verliere. Abgesehen davon war er den Umgang mit Schwertkämpfern gewöhnt. Nachdem Li Ming die Nadeln entfernt und die Wunde fachmännisch verbunden hatte, bezahlten sie den Apotheker und verließen einträchtig den kleinen Laden, der hinter ihnen schloss. Es war stockdunkel geworden, die Straßenlaternen brannten bereits. Als sie das Teehaus erreichten, sprang Yue You aufgeregte von ihrem Sitz auf und eilte auf sie zu. „Was ist denn los? In zehn Minuten werdet ihr abgeholt, ich hatte schon solche Sorgen!“ Ihr Blick fiel auf den zerfetzten Ärmel und den weißen Verband darunter. „Ich sage dir eins, Jiang Li, wenn du das noch ein einziges Mal machst, dann vergesse ich mich und ziehe dir den Hosenboden lang! Sei bloß froh, dass du jetzt für eine Weile weg bist …“ In ähnlicher Manier ging es eine ganze Zeit lang weiter, bis sie schließlich eine wegwerfende Bewegung machte und Jiang Li ohne Umstände in die Arme schloss. „So, das war’s. Sieh zu, dass du dich mal meldest, benimm dich und verdirb die armen Kinder nicht.“ Dann schniefte sie kurz und versetzte ihr einen rauen Stoß gegen die rechte Schulter, um ihre Rührung zu verbergen. „Viel Glück in Hogwarts.“ Bevor Jiang Li ihr noch antworten konnte, knuffte sie Li Ming ruppig in die Seite. „Pass’ gut auf dich auf, hörst du?“ „Ich hab’ dich auch lieb!“, entgegnete Jiang Li ihr grinsend und streckte die Zunge heraus. „Statt um mich solltest du dir lieber Sorgen um Yue You machen. Ich weiß nicht, ob du sie -“, sie zwinkerte vielsagend zur Seite, wo sich ihre Schwester gerade von Lupin verabschiedete, „hier so einfach loseisen kannst.“ Sie begannen hinterhältig zu kichern, doch unglücklicherweise bemerkte Yue You ihre Heiterkeit und schickte wütende Blicke zu ihnen, während sowohl ihr als auch unerklärlicherweise Remus Lupin die Farbe ins Gesicht schoss. Tonks kicherte leise und musste sich schon wieder unauffällig zur Seite drehen. Dumbledore lächelte und Snape brummte mürrisch in seinen nicht existenten Bart. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)