Corvus et Vulpes von Bei ================================================================================ Kapitel 14: Der erste Auftrag ----------------------------- „Guten Morgen.“ Hinter ihr räusperte sich jemand. Jiang Li betrachtete zuerst noch eine Weile die tanzenden Schneeflocken; der Winter hatte Hogwarts über Nacht völlig überraschend eingeholt und sie sah sich den dichten Schneefall schon seit geraumer Zeit vom Fenster her an. Es dauerte, bis sie sich von dem Anblick löste und langsam umdrehte. Snape stand mit allen Anzeichen tiefster Verlegenheit da und zupfte nervös an seiner Kleidung herum. „Guten Morgen.“ Sie wunderte sich selbst, wie gelassen ihre Stimme klang. Als wäre nie etwas geschehen. Er blinzelte irritiert und setzte eine kühle, strenge Miene auf. Die vorbeigehenden Lehrer mussten beinahe zwangsläufig den Eindruck bekommen, dass Jiang Li gerade eine ordentliche Standpauke abkassierte. „Möchten Sie … mit mir nach Hogsmeade frühstücken gehen?“ Sie sah ihn an und hätte beinahe gelächelt. Er wirkte so hilflos, wie er da stand, an seinem Ärmel drehte und versuchte, nett zu ihr zu sein. Nach der Fahrt im Fahrenden Ritter hatte ihr Madam Pomfrey zwar wieder ein Fläschchen mit Relevo-Trank überlassen, doch diesmal war das Arzneimittel unbenutzt geblieben. Die darauf folgenden Stunden hatten ihr sehr dabei geholfen, wieder einmal ihr Leben zu überdenken und im Zuge dessen auch die Sache mit Snape. Was hatte sie sich dabei nur gedacht. Erstens einmal war er um satte zehn Jahre älter; zweitens war er ihr Arbeitskollege und mit Arbeitskollegen, die man zu allem Überfluss auch noch als Lehrer genossen hatte, fing man schon mal grundsätzlich nichts an. Abgesehen davon … war er überhaupt nicht ihr Typ. Da konnte sie sich ja noch mit diesem Trottel von Dohosan Brant viel eher einen One-Night-Stand vorstellen. „Nein, vielen Dank, aber heute kann ich nicht.“ Sie bemühte sich um ein halbwegs ehrliches Lächeln und schüttelte gleichzeitig im Inneren verständnislos den Kopf. Snape wollte doch sowieso nichts anderes, als den Halloween-Abend anzusprechen, die ganze Geschichte als betrunkene Affekthandlung abzutun und wieder in Ruhe seiner Wege zu gehen. Aus irgendeinem Grund bildete er sich jetzt aber auch noch ein, er müsste ihr das Ganze schonend beibringen, damit sie ihm keine Szene machte oder was auch immer er befürchtete. „Tut mir leid …“ Er sah sie an wie ein geprügelter Hund und Jiang Li packte der kurze Anflug eines schlechten Gewissens, das sich schnell in störrische Gereiztheit verwandelte. „Also, mal ganz ehrlich, Severus – wir sind doch beide erwachsenen Menschen. Das heißt, wir brauchen keine dummen Spielchen miteinander zu spielen und daher brauchst du auch nicht „nett“ zu mir zu sein. In Ordnung?“ Ihre schonungslose Ehrlichkeit gepaart mit dem vertraulichen „Du“ brachte ihn sichtlich aus der Fassung. Snape musste erst einmal kräftig schlucken, bis er einen Satz herausbekam. „Erstens. Ich bin niemals nett. „Nett“ existiert für mich gar nicht“, erklärte er mit ärgerlich zusammengekniffenen Augen und funkelte sie verletzt an. „Zweitens, versuche bloß nicht, für mich zu denken, das kann ich nämlich noch selber, Dankeschön. Drittens, du kannst mir nicht erzählen, es hätte dir gar nichts bedeutet. Das kann ich nicht glauben.“ Er betrachtete ihr Gesicht forschend, während er sprach. Trotz der kühlen Miene spürte Jiang Li seine Anspannung deutlich und registrierte mit milder Überraschung, dass ihm offensichtlich doch etwas mehr an dem Kuss gelegen haben musste, als sie zuerst gedacht hatte. „Severus, ich –“ „Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass du einfach so jeden Dahergelaufenen nach Lust und Laune küsst!“ Langsam fühlte sie, wie Zorn in ihr hochstieg. Sie wollte es sich zwar nicht eingestehen, aber er hatte sie in die Enge getrieben. „Ich habe heute keine Zeit. Das habe ich dir schon einmal gesagt. Die Woche hat allerdings mehr zu bieten als nur den Montag, also –“ Sie machte eine ruckartige, auffordernde Handbewegung und zog die Augenbrauen hoch. Vielleicht stieg Snape ja gar nicht darauf ein … „Gut. Ich muss morgen erst um Zehn anfangen. Wir könnten heute Abend in die Drei Besen gehen. Oder in den Eberkopf, das bleibt ganz dir überlassen.“ „Ich –“ „Du musst ja nicht sofort entscheiden“, fiel er ihr eilig ins Wort und war mit einem Mal schon fast auf dem Weg nach draußen, „Sag’ es mir einfach beim Abendessen, in Ordnung?“ Sie sah ihm wortlos nach, als er mit wehender Robe um die Ecke verschwand.   „Mr Baddock, würden Sie mir bitte die wichtigsten Kennzeichen eines Bajang erläutern?“ Jiang Li war nicht so ganz bei der Sache und hörte Malcolm Baddock daher nur mit halbem Ohr zu. „…in Malaysia bekannter blutrünstiger Dämon, der im Körper eines totgeborenen Kindes wächst. Wird er daraus befreit, kann er zu bösen Zwecken dienstbar gemacht werden …“ „Sehr gut, Mr Baddock, zwei Punkte für Slytherin. Noch etwas zur Haltung eines solchen Dämons?“ Gut, dass die Kinder ihre abwesende Miene nur für schlechte Laune zu halten schienen und gar nicht merkten, wie wenig sie in Wirklichkeit mitbekam. Die Sache mit Snape hing ihr immer noch nach, knäuelte sich in ihrem Magen zu einem großen, kalten Frosch und blähte sich immer weiter auf, bis sie beinahe keine Luft mehr bekam. Ihr war so übel … „… Bajang zu halten, wird er in einen mit Amuletten und bestimmten Blättern versehenen, geschlossenen Bambusbehälter, einem tabong, gebracht und mit Milch und Eiern genährt. Letzteres gilt als sehr wichtig …“ Sie wusste einfach nicht weiter. Ja, natürlich mochte sie Snape irgendwie – oder doch nicht? Eigentlich kannte sie ihn ja gar nicht. Die paar kurzen Momente im Atrium reichten bei Weitem nicht aus – eigentlich – „Ausgezeichnet, Mr Baddock. Der Bajang nimmt die Gestalt eines Marders an und seine Opfer sterben an einer mysteriösen Krankheit, ganz richtig. Weitere zwei Punkte für Slytherin.“ Bevor sie fortfahren konnte, klingelte es zum Ende der Stunde und sie klappte ihre Unterlagen mit einem lauten Knall zu. „Bis nächste Woche eine halbe Rolle Pergament über Amulette und Gegenzauber, bei welchen Dämonen sie wirksam sind und wann man sie nicht benutzen sollte!“, rief sie noch in den abschließenden Tumult hinein und goss sich anschließend eine Tasse starken Kaffees ein. Die Hauselfen waren immer so freundlich, ihr am Morgen eine Kanne zuzubereiten. Während sie an der heißen Flüssigkeit nippte, klopfte es plötzlich an der Tür des Klassenzimmers. „Miss Lian, ich hoffe, ich störe Sie nicht …“ Dumbledore war höflich und zuvorkommend wie immer, als er leise in den Raum trat und die Tür geräuschlos hinter sich zuzog. Jiang Li sprang rasch auf und bot ihm einen Platz an. „Natürlich stören Sie mich nicht, Direktor. Möchten Sie auch etwas zu trinken …?“ „Vielen Dank für das nette Angebot, Miss Lian, aber ich will Sie nicht lange aufhalten. Eigentlich bin ich nur hier, um Sie darum zu bitten, sich nach Ihrer letzten Unterrichtseinheit etwas Zeit zu nehmen und kurz in meinem Büro vorbeizukommen. Alle weiteren Einzelheiten erkläre ich Ihnen dann heute Abend …“, seine klugen blauen Augen sahen sie sinnend an und er lächelte wieder. „Selbstverständlich, Professor. Ich komme natürlich.“ Sie wollte es sich nicht anmerken lassen, aber aus irgendeinem Grund fühlte sie plötzlich eine Welle von Euphorie in sich hochsteigen. Wenn sich schon Dumbledore persönlich hierher bequemte, dann hatte das Treffen am Abend ganz sicher mit dem Orden zu tun. Vielleicht bekam sie jetzt endlich einen Auftrag – „Dann danke ich Ihnen vielmals, Miss Lian. Bis heute Abend.“ „Bis heute Abend.“ Dumbledore ging und ließ die Tür einen Spaltbreit offen stehen, da sich bereits ein Haufen Erstklässler vor der Klasse gesammelt hatten. Jiang Li winkte die Kleinen mit einem zuvorkommenden Lächeln, aus dem sie Zufriedenheit und Vorfreude nicht vollständig verbannen konnte, herein und zog mit einem Schwung das weiße Leintuch von einem großen Käfig, der in einer dunklen Ecke neben der Tafel stand. Die Kinder starrten verblüfft auf die zwei pechschwarzen, dicht behaarten Geschöpfe, die aussahen wie Paviane ohne Schwanz. Lediglich daran und an den menschlichen Händen und Füßen erkannte man, dass es sich hier um magische Geschöpfe handelte, obwohl diese zwei Exemplare für das ungeschulte Auge einen eher schwachen und bemitleidenswerten Eindruck machten, so wie sie sich mit großen, traurigen Augen an die Gitterstäbe klammerten und versuchten, sich so gut wie möglich vom Tageslicht fernzuhalten. Man sah den südafrikanischen Tokolosh nicht an, wie mächtig, grausam und rachsüchtig sie sein konnten, das wusste Jiang Li. Sie atmete tief ein und jagte ein vorwitziges Mädchen aus der Reichweite der beiden Kreaturen.       „Ich muss Sie bitten, Abstand zu halten. Geben Sie gut Acht, es geht um fünf Punkte. Wer kann mir sagen, wie diese Wesen genannt werden und wo sie beheimatet sind?“   ***   Der Wasserspeier rührte sich nicht. „Verdammt noch mal! Nougatriegel –“, Jiang Li dachte noch einmal scharf nach. Hatte sich das Passwort denn schon wieder geändert? Na ja, so oft war sie ja schließlich auch noch nicht in Dumbledores Turmzimmer gewesen – „Nougatriegel wirklich nicht, nein? Gut. Säuredrops?“ „Honigschokolade“, ertönte es knapp hinter ihr. Sie fuhr wie von der Tarantel gestochen hoch und drehte sich blitzschnell um. Unbeachtet erwachte der Wasserspeier zum Leben und schritt langsam zur Seite. „Severus …“ „Ich muss auch zu Dumbledore. Kommst du?“ Aufmerksam streckte er ihr die Hand hin und zog sie behutsam auf die langsam nach oben rotierende Wendeltreppe. Jiang Li seufzte innerlich. In diesem Moment schämte sie sich richtig. Er konnte ja doch nett sein, wenn er nur wollte. Schau auf den Charakter, nicht so sehr auf das Aussehen, ermahnte sie sich streng, während er schweigend neben ihr stand und mit seinen pechschwarzen Augen die vorbeiziehende Wand betrachtete. Und soo hässlich ist er ja auch gar nicht.   Die Sekunden dehnten sich. Plötzlich schoss ihr ein Gedanke durch den Kopf, und ehe sie sich selbst zurückhalten konnte, war er auch schon durch den Mund nach draußen geschlüpft.  „Ich fürchte, aus heute Abend wird nichts; ich wusste nicht, dass Dumbledore uns gerade zu diesem Zeitpunkt braucht.“ Er schwieg für einen kurzen Moment, dachte scharf nach und nickte dann zögernd, kurz bevor sie die massive Eichentür erreichten. „Samstag, nach dem Quidditch-Spiel?“ Die schwarzen Augen klebten dabei scheinbar völlig teilnahmslos am bronzenen Türklopfer in der Form eines Greifenkopfs, trotzdem konnte man seine Nervosität deutlich spüren. „In Ordnung.“ Jiang Li war einerseits über sich selbst, andererseits über Snape erstaunt. Niemals hätte sie gedacht, dass er so etwas wie – Gefühle – hatte, eben stinknormale Gefühle wie alle anderen auch … „Sollen wir in den –“ Snape brachte den Satz nie zu Ende, denn die Tür öffnete sich plötzlich mit einem lauten Knall und eine raue Stimme dröhnte zu ihnen nach draußen. „Jetzt beeilen Sie sich mal, bei Merlin! Wir sind schließlich nicht zum Vergnügen hier!“   Eiskalt erwischt. Jiang Li fuhr wie elektrisiert zusammen und beeilte sich, mit einem möglichst unschuldigen Gesichtsausdruck in das Büro zu spazieren. Im ersten Moment verschlug es ihr schier den Atem. Zwar kannte sie den paranoiden Ex-Auror Alastor Moody aus der Zeitung, doch kein Foto hatte sie auf das Ausmaß der Entstellung seines Gesichtes vorbereiten können. So schauderhaft er schon im Tagespropheten wirkte, es war kein Vergleich mit dem echten Moody. „Mr … Moody …“ Sie war fassungslos, bemühte sich aber nach Kräften, das langsam in seiner Höhle rotierende, stahlblaue Auge zu ignorieren, das ihr am meisten Unbehagen bereitete. Dumbledore, der hinter seinem Schreibtisch stand, lächelte nachsichtig und winkte Jiang Li mit einer raschen Handbewegung zu sich. Als sie näher trat, schlug er ein dunkelblaues Seidentuch, das einen flachen Gegenstand auf dem Tisch verdeckte, ein wenig zurück und sie war im ersten Augenblick verwirrt. Dann schlug die Erinnerung wie ein greller Blitz in ihrem Bewusstsein ein und sie begriff, dass es sich bei der kleinen runden Plakette um das Siegel handelte, das er ihr im Sommer zum Beweis der Echtheit des Vertrages gezeigt hatte. Das Ganze hatte nur wenige Sekunden gedauert und Dumbledore breitete das Tuch mit ernstem Gesicht wieder über das Siegel, ohne sich etwas anmerken zu lassen. Sie nickten einander kurz und feierlich zu, dann knüpfte er nahtlos dort an, wo er zuvor aufgehört hatte. „Sehr gut erkannt, Miss Lian. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für unsere Unterredung genommen haben.“ Ihr blieb nichts anderes übrig, als einen verlegenen Gruß zu stammeln und sich hastig im Raum umzusehen. Es befanden sich außer Dumbledore und Moody, der ihr lediglich kurz und misstrauisch zunickte, noch zwei Personen im Turmzimmer. Die Hexe kannte Jiang Li mit Sicherheit nicht, und da sich der Mann seit ihrem Eintritt in einer dunklen Ecke aufhielt und keine Anstalten machte, ins Licht zu treten, konnte sie auch da nicht sagen, ob sie ihm schon einmal begegnet war. Dann wurde ihr Blick wieder wie magnetisch von Moodys Gesicht angezogen. Zwar sah er nicht in ihre Richtung, doch das magische Auge bemerkte natürlich alles und die schiefe Wunde, die irgendwann einmal ein unversehrter Mund gewesen sein musste, verzog sich vor Abscheu. „Das ist also die Neue. Vertrauenswürdig?“, wandte er sich mit eisiger, knarrender Stimme an Dumbledore, ohne sie weiter zu beachten. Die stattliche Hexe neben ihm hob dafür grüßend die Augenbrauen und streckte ihr resolut die Hand hin. „Ich bin Emmeline Vance. Sehr erfreut. Sie sind also die Neue im Orden, Miss Lian?“ „Wenn seit dem Sommer niemand mehr aufgenommen worden ist …“ Jiang Li bemühte sich um einen leichten Plauderton, um ihre Aufgewühltheit zu verbergen, kam dabei aber offensichtlich nicht sehr gut an, denn Emmeline Vance nickte nur ein paar Mal sichtlich desinteressiert mit dem Kopf und drehte sich dann einfach weg. Eine klare Aussage, dachte Jiang Li, wenn auch eine ziemlich deprimierende. Verlegen biss sie auf ihrer Unterlippe herum.  „Miss Lian?“ „Ah, Mr Lupin!“ Der unbekannte Mann war aus dem Halbdunkel getreten und entpuppte sich als Remus Lupin; wie gewöhnlich begrüßte er sie mit einem freundlichen, wenngleich müden Lächeln. Die grauen Strähnen in seinem hellbraunen Haar schienen sich seit seinem Aufenthalt in China vervielfacht zu haben, doch der Händedruck war erstaunlich kräftig. „Ich hoffe, es geht Ihnen gut und Ihre Unterrichtstätigkeit ist von Erfolg gekrönt.“ Er lächelte noch einmal flüchtig und wurde dann schlagartig ernst. „Es sind ja teilweise ziemlich schwierige Exemplare dabei.“ „Da haben Sie allerdings recht.“ Sie seufzte kurz und verdrehte leicht die Augen. „Ich hätte es mir ja nie träumen lassen, aber Harry Potter gehört auch zu dieser Kategorie.“ Lupin hob erstaunt die Brauen, dieser Umstand schien ihn zu überraschen. „Potter? Nun … bei mir gab es eigentlich nichts an ihm auszusetzen. Allerdings kann ich mir gut vorstellen, dass er nach dem Tod von Sirius – entschuldigen Sie …“ Er verstummte kurz und kramte mit gesenktem Kopf in den Taschen seiner Robe herum. Eine peinliche Stille breitete sich aus und Jiang Li begriff reichlich spät, dass sie offensichtlich einen wunden Punkt berührt hatte, und bemühte sich hastig, das Thema zu wechseln. „Nun, äh – Mir ist aufgefallen, dass die Kinder Sie anscheinend ziemlich gern hatten und während Ihrer Unterrichtszeit auch am meisten gelernt haben – wissen Sie, ich muss mit zwei Jahrgängen denselben Stoff machen, weil man ihnen einfach nichts Vernünftiges beigebracht hat …“ Eine unangenehme Situation. Lupin hörte ihr zwar mit höflichem Gesichtsausdruck zu, man merkte aber deutlich, dass es ihn nicht im Mindesten interessierte. Jiang Li stotterte noch ein paar Belanglosigkeiten und dankte Dumbledore im Stillen, als er plötzlich in die Hände klatschte und um Ruhe bat. „Nun, ich möchte Ihre Zeit nicht unnötig in Beschlag nehmen“, meinte er mit klarer Stimme und trat vor sie hin. Instinktiv hatten sie sich alle in einem Halbkreis aufgestellt und hörten aufmerksam zu. Der Schulleiter wandte sich nun direkt an Jiang Li. „Miss Lian, Sie haben sich vielleicht schon das eine oder andere Mal gewundert, warum sich der Orden Ihnen gegenüber so lange in Schweigen gehüllt hat. Ich möchte mich für den Mangel an Informationen entschuldigen, befürchte aber, dass es dennoch der einzig richtige Weg war. Voldemort sitzt uns im Nacken, Miss Lian, da ist übertriebene Vorsicht sicherlich verzeihlich …“ Er lächelte freundlich, als sie gezwungenermaßen verständnisvoll nickte, und ließ dann seine funkelnden blauen Augen zu Snape wandern. „Severus, Sie befinden sich gerade mitten in einer schwierigen Mission. Vielleicht möchten Sie Miss Lian selbst erläutern, worum es sich handelt.“ Snape wirkte nicht gerade übermäßig begeistert, fügte sich aber pflichtbewusst und erklärte in knappen Sätzen, dass der Kontakt mit den Todesessern geglückt war. Voldemort schien ihn mehr oder weniger in Gnaden wieder in ihre Reihen aufgenommen zu haben; der Zaubertrankmeister fungierte nun also als eine Art Doppelspion, wobei der Begriff irreführend war, denn die Informationen, mit denen Voldemort gefüttert wurde, waren allesamt sorgfältig im Voraus geplant und abgesprochen worden. „Wollen wir jedenfalls hoffen“, knurrte Alastor Moody an dieser Stelle übellaunig dazwischen und kniff sein gesundes Auge kritisch zusammen. Der magische Augapfel drehte sich unterdessen träge in seiner Höhle und beobachtete jeden einzelnen der Anwesenden genau. Snape wurde puterrot. „Was wollen Sie mir damit unterstellen, Moody?“, fragte er leise und drohend. Der ehemalige Auror lachte nur. „Wer eine schmutzige Weste hat, Snape“, begann er grollend, „sollte sehr, sehr vorsichtig sein. Und Ihre Weste ist so dreckig, dass die Flecken niemals wieder herausgehen werden. Nicht wahr, so ist das eben“, seine Stimme wurde leiser, bis nur noch ein gepresstes, furchteinflößendes Flüstern zu hören war, „manche Flecken gehen eben nie wieder weg, so sehr man sich auch bemüht …“ Jiang Li bekam eine Gänsehaut, als er mit einem diabolischen Lachen schloss. Unwillkürlich irrten ihre Augen zu Snape; ihre Blicke kreuzten sich und er versuchte, sie tapfer anzulächeln, was leider gründlich misslang. Moodys Worte schienen ihn zu tief getroffen zu haben. Niemand ergriff Partei für ihn, im Gegenteil. Emmeline Vance murmelte zustimmende Worte in Moodys Richtung, während Dumbledore und Lupin schwiegen. Eine lähmende Stille breitete sich über der Versammlung aus, bis sich der Direktor räusperte. „Nun gut. Eine Ankündigung hätte ich noch loszuwerden; es betrifft Sie beide, Remus und Miss Lian.“ Jiang Li spitzte die Ohren. Was konnten sie und Lupin – „Wie Sie alle wissen, gibt es über die ganze Welt verteilt immer noch vereinzelt Exemplare schwarzmagischer Bücher von großer Macht zu finden. Sie sind versteckt in den Pyramiden oder in einem verborgenen Hügelgrab – Voldemort sendet seine Todesesser bereits aus, um nach diesen Schätzen zu suchen. Er darf sie aber nicht bekommen, sonst wächst seine Macht ins Unermessliche und wir sind rettungslos verloren.“ Nach dieser dramatischen Einleitung legte er eine kurze Pause ein und betrachtete mit sanfter Miene die Portraits seiner Vorgänger, die größtenteils zu dösen oder teilnahmslos vor sich hin zu starren schienen, „Daher möchte ich Sie beide bitten, den Todesessern zuvorzukommen und Nachforschungen anzustellen – suchen Sie diese Bücher und bringen Sie sie nach Hogwarts, wo sie vor Missbrauch sicher sind …“   Lupin sah Jiang Li ausdruckslos an, während Dumbledore sprach und nickte wie zur Bestätigung. Er hatte die Information offensichtlich schon früher erhalten und bereits Nachforschungen angestellt. Mit seiner Antwort wurde ihr Verdacht bestätigt. „Ich habe mir erlaubt, auf eigene Faust erste Ermittlungen zu beginnen und bin dabei auf das Mundus mysticus et subterraneus, verfasst von einer Römerin namens Aello Niveus, gestoßen. Das Buch enthält anscheinend so einiges an höchst wirksamen Zaubersprüchen, -tränken und Ähnlichem mehr …“ Er unterbrach sich plötzlich und legte den Kopf schief. „Sind Sie überhaupt damit einverstanden, mit mir zusammenzuarbeiten, Miss Lian?“ Jiang Li beeilte sich, bejahend mit dem Kopf zu nicken und den Mitgliedern des Ordens ihren Dank für diese Aufgabe auszusprechen. Die ganze Geschichte klang ja auch wirklich richtig aufregend; sie war schon gespannt, auf welche Bücher sie im Zuge ihrer Nachforschungen wohl stoßen würden. Dumbledore nickte beifällig und räusperte sich wieder. Lupin lächelte flüchtig und überließ ihm das Wort. „Mr Lupin wird in Hogsmeade wohnen und hat auch meine Erlaubnis, ab und zu ein Zimmer in Hogwarts zu benutzen, sooft es während Ihrer Arbeit nötig sein wird. Selbstverständlich wird er im Verborgenen bleiben und wir werden alle dafür sorgen, dass niemand davon erfährt“, bei diesen Worten warf Dumbledore Snape einen äußerst scharfen Blick zu, „der nichts davon wissen sollte. Nun gut.“ Er schwieg für einen kurzen Moment und wandte sich dann an die ganze Runde. „Ich denke, hiermit wäre das meiste für den Anfang wohl geklärt. Sollten Fragen auftauchen, stehe ich Ihnen selbstverständlich jederzeit zur Verfügung.“ Die kleine Versammlung löste sich nach diesen abschließenden Worten langsam auf und Jiang Li wanderte hinter den anderen in Richtung Türe. Snape war zurückgeblieben und unterhielt sich noch leise mit Dumbledore, während sich Lupin auf der fahrenden Wendeltreppe zu ihr gesellte. „Ich freue mich, mit Ihnen zusammenarbeiten zu dürfen“, meinte er überraschend und lächelte sie freundlich an. Jiang Li war etwas erstaunt, freute sich aber insgeheim über seine Worte. Wenigstens nörgelte er nicht gleich von Anfang an über ihre Arbeitsgemeinschaft. „Am besten suchen wir in den nächsten Tagen getrennt nach weiteren Informationen über das „Mundus mysticus“; die letzten bekannten Aufzeichnungen über dieses Buch datieren aus dem achtzehnten Jahrhundert und geben Tripolis als Aufenthaltsort an. Wie sicher das allerdings ist – wir werden forschen müssen. Sie in Hogwarts und ich in den verschiedenen Bibliotheken Schottlands – am besten treffen wir uns in etwa einer Woche wieder.“ „Eine gute Idee“, stimmte Jiang Li zu und wollte gerade mit ihm einen Treffpunkt ausmachen, als ein ohrenbetäubender Knall erscholl. Dem Wasserspeier fehlte auf einmal ein Stück seines linken Ohres und er winselte wie ein verletzter Hund. „PEEVES!“ McGonagall kam mit zornesrotem Gesicht um die Ecke gefegt und zückte drohend ihren Zauberstab. Der Poltergeist kicherte hämisch und raste in Windeseile davon. Lupin schüttelte mitfühlend den Kopf und schnalzte leise mit der Zunge. „Arme Minerva. Ein wenig Urlaub von Peeves wäre sicherlich für niemanden ein Schaden.“ „Der arme Wasserspeier.“ Jiang Li drehte sich um und tätschelte zärtlich die steinerne Schnauze der Statue, die mit dem Jaulen aufgehört und sich wieder in Position gesetzt hatte. „Das ist der vermutlich schon gewöhnt“, meinte Lupin und grinste schwach. „Remus“, hielt er ihr plötzlich die Hand hin. Sie schlug ein und sie lächelten sich wieder an. „Jetzt, wo wir Kollegen sind, sollten wir nicht ganz so förmlich sein, nicht wahr?“ „Wie Recht du hast, Remus.“ Unbemerkt war Snape hinter sie getreten und musterte Lupin mit dem Ausdruck größter Abscheu. Der allerdings lachte nur. „Bis nächste Woche dann, Jiang Li. Ich schicke eine Eule. Viel Glück!“ Damit verabschiedete er sich und winkte Snape noch mit leisem Spott zu. „Idiot.“ Snape war schlechter Laune und starrte Lupin mit verbissener Miene hinterher. „Ich fand ihn ganz nett.“ Er sah sie kurz von der Seite her an und nickte schließlich. „Entschuldige bitte. Ich bin nur – ich fühle mich nicht gut.“ Jiang Li dachte an Alastor Moody und seufzte leise. „Wo ist der Schnaps stark, billig und in größeren Mengen zu kriegen?“ „Eberkopf.“ „Gehen wir.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)