Corvus et Vulpes von Bei ================================================================================ Kapitel 19: Grimmauld Place No. 12 ---------------------------------- „Willkommen! Herzlich willkommen! Schnell herein, die Kälte ist ja fürchterlich!“ Molly Weasley öffnete mit einem breiten, mütterlichen Lächeln die Tür, hinter der sie schon gewartet haben musste, und wies Jiang Li und Snape den Weg ins Innere des Hauses. Dicke Schneeflocken hingen ihnen in Haaren und Augenbrauen, bildeten eine schimmernde Schicht auf den warmen Wintermänteln und schmolzen in schlammigen Pfützen von ihren Stiefeln. Erleichtert klopften sich die beiden die feuchte Last von den Schultern und traten ein. Snape packte Jiang Li verstohlen um die Taille und sah sich mit misstrauischer, verdrießlicher Miene um. „Auch nicht viel besser geworden, seit Black tot ist“, murmelte er gerade so laut, dass man es eben noch hören konnte. Mrs Weasley stieß im ersten Moment ein entrüstetes Schnauben aus, achtete dann aber trotz der Provokation nicht weiter auf ihn, sondern wandte sich in der Folge ausschließlich an Jiang Li. „Ich muss dich erstmal bitten, vollkommen leise durch die Halle zu gehen“, meinte sie mit einem warnenden Flüstern und ging schweigend und auf Zehenspitzen vor ihnen her, bis sie schließlich das Ende des langen, düsteren Korridors erreichten und über eine leise knarrende Treppe aus dunklem Holz in den dritten Stock stiegen. In Höhe des ersten Treppenabsatzes begann sie sich mit leiser Stimme zu entschuldigen. „Es ist noch immer entsetzlich schmutzig … obwohl wir ständig putzen und putzen, der Dreck geht einfach nicht richtig ab.“ Jiang Li betrachtete wortlos die Galerie mumifizierter Hauselfenköpfe an der Wand, die schlangenförmigen Kron- und Kerzenleuchter und den Türknauf, der die Umrisse eines Viperkopfes besaß. Erst nach einer Weile gelang es ihr, den Blick von der modrigen Einrichtung zu lösen. „Nun“, sie räusperte sich und zupfte leicht verlegen an ihren Haaren, „natürlich habe ich schon von der … na ja … eigenwilligen Art der Einrichtung gehört, aber es so vor sich zu sehen ist natürlich – Nicht, dass Sie jetzt glauben, ich wüsste nicht, dass Sie sich aufopfernd um das Haus bemühen und –“ Stockend brach sie ab und wusste nicht mehr weiter. Mrs Weasley hatte ein Einsehen und rettete sie schließlich aus der peinlichen Situation. „Nun, dein Zimmer befindet sich auf der linken Seite; Severus, Sie wollte ich eigentlich im zweiten Stock unterbringen“, ihre Stimme nahm einen kühlen, spitzen Klang an und Snape runzelte ärgerlich die Stirn. „Vielen Dank, zu freundlich.“ „Nun, Weihnachten ist niemand gern allein, nicht wahr?“, antwortete Mrs Weasley und konnte sich offensichtlich nur mit Mühe zusammenreißen, ihre Abscheu nicht allzu deutlich zu zeigen. „Severus, Sie folgen mir bitte gleich nach unten. In etwa einer halben Stunde tritt der Orden zu einer Besprechung zusammen, bei der auch Sie anwesend sein sollten.“ Jiang Li lächelte Mrs Weasley noch einmal dankbar zu und dirigierte ihre kleine Reisetasche in den kleinen, düsteren Raum. Die Ausstattung war karg: ein schmales Bett, zwar von Molly Weasley mit einer fröhlich gemusterten Bettwäsche überzogen, zweifellos um die unwirtliche Atmosphäre etwas zu mildern, was allerdings nicht gelang, gefolgt von einem hohen Spiegel in einem dunklen Rahmen, einer kleinen Kommode mit integriertem Waschbecken, einem Kamin, in dem ein flackerndes Feuer brannte, und zwei Bilderrahmen mit leeren Leinwänden. Bad und Toilette befanden sich in jedem Stockwerk am Flurende. Dieser Spiegel hier sprach im Gegensatz zu dem im Tropfenden Kessel kein einziges Wort, sondern stieß lediglich einen hochmütigen Zischlaut aus, als sie die Spange in ihrem Haar ordnen wollte. In einem der Rahmen erschien kurz eine schattenhafte Gestalt, die sich allerdings schnell wieder zurückzog, als sie Jiang Li bemerkte. Man konnte wirklich nicht sagen, dass dieses Haus sehr gemütlich war, obwohl sich Mrs Weasley sichtlich alle Mühe gegeben hatte, alles etwas wohnlicher zu gestalten. Jiang Li wusste nicht viel über die Blacks, nur, dass diese Familie hauptsächlich aus reichen, auf die Reinheit ihres Blutes überaus bedachten Schwarzmagiern oder wenigstens Zauberern mit Tendenz zur dunklen Seite der Magie bestand. Bestanden hatte, korrigierte sie sich gleich darauf im Gedanken, denn da Sirius Black nun tot war, konnte man diese Linie als ausgestorben ansehen. Ein lautes Klopfen an der Tür riss sie abrupt aus ihren Überlegungen. „Hallo? Jiang Li?“ Die Stimme kam ihr vage bekannt vor. Vorsichtig erhob sie sich und öffnete die Tür einen kleinen Spaltbreit, um auf den schlecht beleuchteten Gang hinauszusehen, als eine Woge flammendroter Locken ihr Sichtfeld ausfüllte. „Tonks!“ „Jawohl, stets zu Diensten!“, grinste die Metamorphmagus frech und warf Jiang Li ohne weitere Umstände die Arme um den Hals, wobei sie so überschwänglich zudrückte, dass Jiang Li beinahe die Luft wegblieb. „Nicht so fest!“ „’tschuldigung.“ Tonks lockerte ihren Griff und blinzelte scheinbar betreten unter gesenkten Augenlidern hervor. „Gut siehst du aus!“ „Danke, du auch.“ Nymphadora Tonks ließ ihre rote Lockenpracht langsam zu einer orangefarbenen Igelfrisur schrumpfen und sah sich aufmerksam im Zimmer um. „Ausgepackt scheinst du ja noch nicht zu haben. Soll ich dir helfen? Das Treffen beginnt in einer Viertelstunde …“ Jiang Li konnte sich noch gut genug an Tonks Ungeschicklichkeit erinnern und lehnte hastig ab. „Nein, nein. Schon gut. Du kannst dich ja inzwischen setzen, ich bin gleich fertig.“ Tonks platzierte sich mit einem Achselzucken auf die Bettkante und streckte genüsslich ihre Beine aus, während Jiang Li ihre wenigen Sachen in den Fächern verstaute. „Kein fröhliches Weihnachten dieses Jahr“, murmelte sie mit einem unterdrückten Gähnen. „Warum?“ Jiang Li steuerte gerade ihre Socken durch die Luft und war dementsprechend geistesabwesend. „Na ja, die Tatsache, dass Sirius tot ist, wirkt sicher nicht gerade besonders aufmunternd“, meinte Tonks mit einer für sie ungewohnten Ernsthaftigkeit in der Stimme und begann auf der Kante hin- und herzuwippen, „selbst wenn Molly das Doppelte an Leuten eingeladen hätte, es würde nicht wirklich viel ändern.“ Sie überlegte eine Weile, lachte dann kurz auf und ließ ihre Nase in einem Moment blitzschnell bis über das Kinn wachsen und wieder schrumpfen. „Und dass Snape wirklich zugesagt hat – damit hätte wirklich niemand gerechnet!“ „Ah ja?“ „Na, also, ich bitte dich! Wir reden hier von Severus Snape! Dem Griesgram im schwarzen Fledermauskostüm! Die Kinder wären beinahe ausgeflippt, als sie das gehört haben! Und er ist ja wirklich das Letzte, oder? Also, die Frau, die sich so einen Kerl aussucht, muss ohne Geschmack zur Welt gekommen sein!“ „Soso …“ Jiang Li war augenscheinlich hochkonzentriert in das Sortieren ihrer Unterwäsche vertieft.  „Wer wird denn eigentlich so alles erwartet?“ „Hm … lass’ mich nachdenken …“ Tonks klopfte sich mit gerunzelter Stirn mit dem Zeigefinger gegen das Kinn und zählte dann an den Fingern ab. „Also, da wären erstmal die Weasleys bis auf Charlie und“, ihre Stimme nahm ganz kurz einen trockenen, scharfen Ton an, „Percy, ach ja, Bill bringt ja seine Freundin, diese Fleur Delacour mit, aber die kommt erst nach dem Treffen, dann natürlich du, Remus, die alte Figgy –“ „Figgy?“ „Na ja, eigentlich Mrs Figg, aber Dung nennt sie immer so und deshalb –“ „DUNG?“ „Bei Merlin, Jiang Li, kennst du denn gar keinen? Mundungus Fletcher, okay?“ Tonks schüttelte konsterniert den Kopf und begann sich kleine Hörner aus der Stirn wachsen zu lassen. Als kein weiterer Zwischenruf kam, fuhr sie nach einem tadelnden Seitenblick in Richtung Jiang Li mit ihrer Aufzählung fort. „… Kingsley Shacklebolt, Harry Potter und Hestia Jones“, schloss Tonks mit einem Gähnen, sah Jiang Li auffordernd an, als würde sie auf einen Einwurf warten und beobachtete sie schließlich bei den letzten Handgriffen. Plötzlich schlug sie sich so heftig gegen die Stirn, dass es nur so klatschte und Jiang Li sich vor Schreck ihren Koffer, den sie eigentlich gerade in eine Ecke schweben lassen wollte, auf die Zehen fallen ließ. „Au, verdammt! Was soll das, Tonks?“ „Ich hab’ doch Snape vergessen!“, kreischte Tonks mit lauter Stimme los und begann zu lachen. „Wie konnte ich nur?“ „Komm, wir gehen. Ich bin hier fertig“, sagte Jiang Li statt einer Antwort und schob die kichernde Tonks energisch vor sich aus dem Zimmer.           Das Treffen fand in der, ebenso wie der Rest des Hauses, düster und unwirtlich wirkenden Küche statt. Sie wurden bereits erwartet. Neben Arthur und Molly Weasley, die andauernd geschäftig zwischen dem großen Tisch und der Anrichte hin- und hereilte, befanden sich auch noch Bill und seine beiden Zwillingsbrüder, ein großer schwarzer Zauberer, den Jiang Li dank dem Tagespropheten als den Auror Shacklebolt identifizieren konnte, die schwarzhaarige Hexe, die zu Halloween in Dumbledores Gefolge gewesen war, Remus Lupin, eine wild zerzauste alte Dame, die streng nach Katzen roch neben einem indigniert die Stirn runzelnden Snape und ein gedrungener, unrasierter Mann mit zottigem Haar und blutunterlaufenen Augen im Raum. „Ah, da sind Sie ja. Schön. Dann können wir ja schon einmal anfangen; Mr Dumbledore hat sich entschuldigen lassen, er ist sich nicht sicher, ob er es heute noch nach London schafft. Mr Doge und Mrs Vance werden voraussichtlich etwas später eintreffen und Mr Moody –“ „Ist dem alten Mad-Eye was dazwischengekommen?“, fragte Tonks vorlaut dazwischen und ließ sich gähnend auf einen Stuhl plumpsen. Arthur Weasley warf ihr einen milde tadelnden Blick zu und schüttelte dann kurz den Kopf. „Er möchte noch gewisse Sicherheitsmaßnahmen treffen, soviel ich weiß. Vermutlich kommt er aber heute noch.“ „Hallo Zhen“, warf Bill völlig unnötig ein, winkte und grinste Jiang Li quer über den Tisch zu. Während Snape, der in einiger Entfernung zu ihrer Rechten saß, eine noch finsterere Miene zog, wies ihn Molly mit einem Hauch Schärfe in der Stimme zurecht. „Also wirklich, Bill!“ Zu Jiang Li gewandt nickte sie dagegen freundlich und klopfte um Aufmerksamkeit heischend kurz und laut auf den Tisch. „Da Miss Lian ein relativ neues Mitglied im Orden ist, denke ich, es wäre wohl das Beste, einander erst einmal vorzustellen, da sie noch nicht jeden kennt oder bekannt ist. Wer macht den Anfang?“ Die schwarzhaarige Hexe grinste breit, als sie sich vom Tisch erhob und Jiang Li die Hand entgegenstreckte. Die roten Backen verliehen ihr ein frisches, gesundes Aussehen, obwohl man bei näherer Betrachtung feine Müdigkeitsfältchen rund um Augen und Mundpartie entdecken konnte. „Hestia Jones, schön, Sie kennenzulernen. Sie kommen mir irgendwie bekannt vor …“ „Wir haben uns zu Halloween bei der Ministeriumsfeier ganz kurz gesehen.“ Jiang Li fühlte den festen Händedruck der anderen Hexe. „Ich bin Jiang Li Lian.“ Nach Kingsley Shacklebolt näherte sich die zerzauste alte Dame, am linken Arm trug sie ein Einkaufsnetz und auf der Schulter eine schneeweiße kleine Katze, die leise maunzte.  „Arabella Figg und das hier ist Snowy“, sie deutete auf das Tier. Jiang Li lächelte sie etwas unsicher an und strich der Katze leicht über den Kopf. „So ein hübsches Tier.“ „Na, das will ich wohl meinen! Was, Ms Snowy?“ Der schmuddelige Mann drängte Mrs Figg brummend zur Seite und sah ihr kopfschüttelnd hinterher, als sie unsicher zu ihrem Stuhl zurücktapste. „Nehmen’ses der alten Figgy nich’ übel. Die is’ eben nicht so ganz“, er machte eine bezeichnende Geste mit der Hand und schniefte geräuschvoll, bevor er ihr eine Hand mit schmutzigen, abgekauten Fingernägeln entgegenstreckte. Der Gestank nach billigem Fusel breitete sich in einer übelkeitserregenden Wolke rund um ihn aus. „Mundungus Fletcher, überaus angenehm.“ Sie musste sich überwinden, um den Mann überhaupt erst anzufassen. Erschwert wurde das Ganze auch noch durch den Umstand, dass er seine Blickhöhe auf ihren Brustbereich beschränkte. Jiang Li war angewidert und fühlte, wie sie innerlich zu kochen begann. „Nicht gleich sabbern, Dung.“ Tonks konnte das Lachen nicht mehr halten, als Mundungus Fletcher eine verlegene Entschuldigung murmelte und die Schultern hochzog, als ob ihm plötzlich kalt geworden wäre. „Selber schuld, Dung. Ich hab’ dir ja gesagt, du sollst dich zusammenreißen“, meinte einer der beiden Zwillinge grinsend und Bill umrundete trotz der stirnrunzelnden Blicke seiner Eltern den Tisch mit einem Satz und schloss Jiang Li herzlich in die Arme. „Schande über mich, schon wieder habe ich deinen alten mit dem neuen Namen verwechselt.“ „Schon gut, Billy. Solange dir das bei der Arbeit nicht passiert …“ „Pah, als Schreibtischhengst kannst du bei Gringotts sowieso tun und lassen, was du willst. Die Kobolde verlangen nicht viel von einem“, meinte er grinsend und strich ihr leicht über den Kopf, während Snape unbemerkt heftig schluckte und die Hände unter dem Tisch zu Fäusten ballte. „Nun, können wir dann also beginnen?“, mischte sich Arthur Weasley mit einer Spur Ungeduld ein und klopfte, wie zuvor schon seine Frau, leicht mit den Fingerknöcheln auf die Tischplatte. „Remus, fangen wir mit Ihnen und Jiang Li an. Wie steht es im Moment?“ Lupin, der zuvor reglos auf seinem Platz gesessen und geistesabwesend an einem Flicken seines schäbigen Umhanges gezupft hatte, hob den Kopf und warf Jiang Li einen kurzen Blick aus seinen müden Augen zu, bevor er mit ruhiger Stimme antwortete. „Das Draco ruber war bereits aus Sparta entfernt worden, als die Zuständigen des Ordens letzte Woche dort eintrafen.“ Seinen Worten folgte eine sekundenlange Stille. „Unglaublich.“ „Das war sein Werk, dieser verfluchte Teufel!“ „Also bitte, Mrs Figg!“ Molly Weasley drehte sich mit rotgefleckten Backen zu ihnen um und schüttelte aufgebracht den Kopf. Die grauhaarige Dame murmelte hastig eine Entschuldigung und drehte mit gesenktem Kopf ihr Einkaufsnetz zwischen den knotigen Fingern hin und her. „Nun gut. Dieses Buch wäre nun also in die Hände von Du-weißt-schon-wem gefallen – wie steht es mit Kopien?“ „Das Draco ruber war ohnehin bereits eine Kopie“, mischte sich Jiang Li ein, bevor Lupin den Mund öffnen konnte. „Demogorgon Theron Rhadamanthus verfasste das Buch ursprünglich auf Griechisch und ließ eine lateinische Übersetzung anfertigen. Das griechische Original wurde nachweislich im Jahre 1204 im Zuge des vierten Kreuzzuges im damaligen Konstantinopel zerstört. Erstaunlicherweise hatte Rhadamanthus niemals eine griechische Kopie herstellen lassen und anscheinend auch sonst keiner; es blieben also vier bekannte lateinische Übersetzungen. Zwei davon befanden sich lange Zeit in Privatbesitz und konnten erst Anfang des 17. Jahrhunderts gefunden, beschlagnahmt und sicher verwahrt werden; eine der Kopien fiel der Zerstörungswut eines Gayal zum Opfer und die letzte verbleibende wurde am Fuße der Tempelruine der Athene in Sparta vergraben.“ „Wer verwahrt die zwei Exemplare, die sich in Privatbesitz befunden haben?“ „Das Ministerium in Nishnij Nowgorod. Westrussland“, antwortete Lupin mit angespannter Miene. „Die geben uns die Bücher unter Garantie nicht. Und von unserem Ministerium ist keine Hilfe zu erwarten.“ „Das sind keine guten Nachrichten“, knurrte Shacklebolt mit seiner tiefen, schleppenden Stimme und zupfte an seinem Ohrring. „Also ist ein weiteres, hochgefährliches schwarzmagisches Buch für uns verloren und Du-weißt-schon-wem ein wertvoller Gewinn.“ Arthur Weasley seufzte niedergeschlagen und starrte eine Weile vor sich auf den Tisch, bevor er sich einen Ruck gab und kurz in die Hände klatschte. „Na gut. Wie geht es in dieser Sache weiter?“ „In der Studienbibliothek von Inishmore häufen sich Hinweise, dass sich ein Buch über Spaltungsmagie in einem privaten Haushalt in Bangor befindet. Sollte sich dieser Verdacht bestätigen, werden wir wohl dementsprechende Maßnahmen ergreifen müssen.“ „Also einbrechen, um es deutlich zu sagen.“ Den beiden Zwillingen entfuhr bei diesen Worten ein anerkennender Pfiff und einer der beiden hob die Augenbraue. „Das wäre doch ein Job für uns, was, Dad?“ „Das glaubt ihr doch wohl selbst nicht! Untersteh’ dich, Arthur!“, fuhr Mrs Weasley aufgebracht dazwischen und schlug mit dem Geschirrhandtuch nach ihren zwei Söhnen. „Ihr solltet euch was schämen! Grün hinter den Ohren, Ahnung von gar nichts, aber den Mund sperrangelweit offen!“ „Nicht doch, Molly.“ Lupin lächelte beruhigend und zwinkerte den rothaarigen Zwillingen kurz zu. „Fred und George haben es doch nur gut gemeint.“ Mrs Weasley schnaubte und lehnte sich gegen einen Stuhl. Ihre Mundwinkel zuckten und die Falten in ihrem Gesicht traten auf einmal sehr deutlich hervor. „Ich mache mir doch nur Sorgen. Wenn jemandem von euch etwas passiert …“ Eine sekundenlange, verlegene Stille trat ein und wurde schließlich von Tonks unterbrochen, die unabsichtlich gegen einen am Tisch stehenden Wasserkrug stieß, dessen Inhalt sich mit einem volltönenden Knall über die Holzplatte ergoss. Plötzlich, fast erleichtert über den Zwischenfall, begannen alle gleichzeitig zu reden und Hestia Jones trocknete die durchweichten Pergamente mit einem Wink ihres Zauberstabs. „Also gut, ALSO GUT! Ruhe bitte! Wer hat sonst noch Neuigkeiten? Severus?“ Snape verzog missmutig den Mund und ließ das schwarze Haar wie einen Vorhang vor sein Gesicht fallen. Jiang Li war schon öfters aufgefallen, dass er sich hinter seinen Haaren versteckte, wenn er mit Leuten sprechen musste, in deren Gegenwart er sich nicht wohlfühlte. „Nun –“ Bevor er weiterreden konnte, ertönten in der Eingangshalle leise Schritte und Bill stand auf, um die Küchentür zu öffnen. Eine stattlich aussehende Hexe schritt mit erhobenem Kopf in den schummrigen Raum, gefolgt von einem alten, silberhaarigen Zauberer, der sich unsicher am Türstock festhielt und dankbar in den Stuhl sank, dem ihm Bill hilfsbereit zurechtrückte. „Entschuldigen Sie bitte unser spätes Erscheinen. Wir wurden im Ministerium aufgehalten.“ „Kein Problem, liebe Emmeline.“ „Entsetzlich, sag’ ich, entsetzlich! Dieser rückgratlose Bürokrat –“, stieß der alte Zauberer mit pfeifender Stimme hervor, als er wieder etwas zu Atem gekommen war, und gestikulierte wild, als ihm der Ärger schon wieder die Luft abdrückte. „Fudge schon wieder“, sprang Emmeline Vance hilfreich in die Bresche. „Es ist zwar kaum zu glauben, aber er sieht sich außerstande, irgendwelche Maßnahmen zu ergreifen, die etwas nützen würden. Weder will er den Orden unterstützen, noch zu aggressiv gegen Du-weißt-schon-wen vorgehen. Seine Devise: Kopf in den Sand.“ „Na ja, wenn ich ehrlich sein soll, viel mehr als halbherzige Beschwichtigungsversuche hätte ich von Fudge ohnehin nicht erwartet. Er denkt nicht viel weiter als an seinen nächsten Wahlkampf; für ihn ist es wichtiger, in der Öffentlichkeit in einem guten Licht zu stehen als Entscheidungen zu treffen, die Fingerspitzengefühl erfordern.“ „Recht hast du, Arthur“, pflichtete ihm der alte Zauberer zu und kniff erstaunt die Augen zusammen, als er Jiang Li entdeckte. „Ja, wen haben wir denn da? Ist das etwa unsere Verstärkung aus den chinesischen Bergen?“, fragte er freundlich und machte Anstalten, sich mühsam wieder aus seinem Stuhl zu hieven. Jiang Li stand hastig auf und ging mit einem höflichen Lächeln auf ihn zu. „Jiang Li Lian, sehr angenehm.“ „Elphias Doge, es ist mir eine Freude.“ Ein weiteres Gespräch erübrigte sich, denn statt Snape ergriff nun Bill Weasley das Wort und erklärte in knappen Sätzen, dass seine Unterredungen mit den Kobolden noch immer zu keinen greifbaren Ergebnissen geführt hätten. „Ich habe außerdem den starken Verdacht, dass unsere schlimmste Befürchtung eintreffen könnte – nämlich, dass Du-weißt-schon-wer ihnen tatsächlich die Freiheiten anbieten wird, die ihnen weder das Ministerium noch der Rest der Zaubererwelt zugestanden hat. Und Ragnok ist immer noch skeptisch –“ Wieder waren in der Eingangshalle Schritte zu hören, diesmal laut und in regelmäßigen Abständen von einem dumpfen Klonk untermalt. „Mad-Eye und sein Holzbein“, flüsterte Tonks grinsend in Jiang Lis Richtung und ließ sich für einen kurzen Moment einen gewaltigen Buckel wachsen, während Arthur Weasley mit einem Satz auf- und zur Tür sprang. „Leise, Moody, Sie wissen doch, wir konnten die Gemälde bislang noch nicht entfernen –“ Alastor Moody trat in die Küche und überflog die Situation mit einem misstrauischen Blick. Als er Snape sah, verzog sich sein vernarbter Mund zu einem abschätzigen Grinsen, doch er sagte nichts, sondern wandte sich an Emmeline Vance und Elphias Doge. „Was versuche ich ständig einzuprägen? Sicherheit! Immer wachsam!“ Doge senkte das silberweiße Haupt. „Entschuldige bitte, lieber Alastor. Aber die Luft war –“ „Völlig egal!“, explodierte der ehemalige Auror unvermittelt und stieß das Holzbein so fest auf den Boden, dass das Geschirr auf der Anrichte nur so schepperte. „Man kann niemals mit Sicherheit sagen, ob die Luft rein ist oder nicht! Der Feind lauert überall! Und er wartet nur darauf, einen unvorsichtigen Moment zu erwischen –“ „Wir werden in Zukunft darauf achten“, versprach Emmeline Vance hastig und zog ihr Schultertuch enger über der Brust zusammen. „Es kommt nicht wieder vor.“ Moody stieß zwar ein verächtliches Schnauben aus, ließ das Thema aber fallen. Mit zusammengekniffenen Augen sah er sich im Raum um und musterte Jiang Li mit einem scharfen Blick. „Ah, die kleine Lian. Wie macht sie sich?“ Als sie Moody so reden hörte, so verächtlich über ihren Kopf hinweg, als wäre sie gar nicht da oder wäre zu dumm, ihn zu verstehen, schoss ihr die Wut so heftig in die Kehle, dass sie sich nicht mehr zurückhalten konnte und rücksichtslos die Stimme erhob. „Ich hätte da übrigens noch eine Frage. Weiß der Orden eigentlich, was Voldemort wirklich will? Warum suchen wir eigentlich nach den Büchern und reden mit Kobolden und was weiß ich noch – was wollen wir eigentlich? Was hat Dumbledore vor?“ Ungeschickt, das war das Einzige, das ihr gleich danach durch den Kopf schoss. So plump hätte sie es nicht formulieren dürfen, doch die Frage brannte ihr ohnehin schon seit Längerem auf der Zunge. Die Mitglieder des Ordens sahen sie ausnahmslos erstaunt, ja, beinahe entsetzt an und schienen im ersten Moment gar nicht zu wissen, ob und was sie überhaupt darauf antworten sollten. Schließlich öffnete Arthur Weasley als Erster den Mund und räusperte sich etwas steif. „Nun, Jiang Li, als Erstes würde ich dich dennoch bitten, den Namen – nun, Du-weißt-schon-wer – das weißt du doch, oder etwa nicht? Wenn die Todesesser diese gefährlichen schwarzmagischen Schriften in die Hände bekommen, wird es uns bald nicht mehr möglich sein, uns wirksam gegen sie zu wehren! Denk nur an den Vorfall in der Abteilung für Mysterien! Wir haben damals Sirius Black verloren!“ Seinen Worten folgte betretene Stille, doch Jiang Li konnte sich damit nicht zufriedengeben. Nun hatte sie schon einmal davon angefangen, jetzt musste sie es auch zu Ende bringen. „Dann entwickeln wir also Gegenmaßnahmen, die auf den Büchern basieren? Analysieren die schwarzmagischen Flüche und finden gleichwertige Antworten darauf, oder wie soll ich das verstehen? Jetzt bin ich bereits seit vier Monaten in dem Orden und habe so wenig Informationen erhalten –“ „Überheblichkeit und Anmaßung, Lian“, knurrt Alastor Moody plötzlich mit gefährlich klingender, heiserer Stimme dazwischen. „Sie sagen es selbst, erst vier Monate dabei, aber schon der Meinung, mehr zu wissen als die Altgedienten … Mein liebes Mädchen, als der erste Krieg begann, waren Sie noch in den Kinderschuhen …“ Er spuckte aus und trat so nahe zu ihr hin, dass sie die Iris seines leuchtendblauen Auges deutlich erkennen konnte. Instinktiv wich sie einen Schritt zurück, hielt seinem Blick aber immer noch stand. „Beweisen Sie erst einmal, meine Liebe, dass Sie des Vertrauens des Ordens und Dumbledores überhaupt würdig sind … Sie haben ja keine Ahnung, wer Voldemort überhaupt ist, wozu er imstande ist, was wir von ihm noch zu befürchten haben … Sie wollen wissen, was er will? Nun“, er lachte rau und schlug mit der Faust auf die Tischplatte, „Warum wohl, glauben Sie, kursiert unter den reinblütigen Zaubererfamilien, die ihm nahe stehen, das Schimpfwort „Schlammblut“? Denken Sie, er würde die Muggel leben lassen, wenn er an die Macht käme? Versklaven und töten würde er sie, mein liebes Mädchen. Und Dumbledore versucht, genau das zu verhindern.“ Es klang logisch. Und dennoch regte sich Widerstand in Jiang Li. „Verzeihen Sie, Mr Moody.“ Ihre Lippen waren trocken, doch sie bemühte sich, keine Angst zu zeigen. „Vol – Verzeihung, Du-weißt-schon-wer – er kann doch nicht alle Muggel ausrotten. Dafür gibt es schlicht und einfach zu wenig Magier auf der Welt. Und was würden ihm Muggelsklaven nützen? Was würde er mit ihnen tun, sie die Arbeit der Hauselfen verrichten lassen?“ Beinahe hätte sie trotz ihrer Furcht vor Moody kurz aufgelacht. „Wie dumm sind Sie eigentlich, Lian? Voldemort hasst die Muggel, vermutlich sogar aus dem Grund, dass er selbst ein Halbblut ist. Er ist nicht so rational wie Sie, meine Liebe.“ Die letzten Worte spie er mit soviel Verachtung in der Stimme aus, dass sich Remus Lupin offenbar genötigt fühlte, beschwichtigend auszugleichen. „Ich denke, Miss Lian hat schon verstanden. Sie ist ja noch ein sehr neues Mitglied und muss mit der Materie erst etwas vertrauter werden.“   Nachdem Lupin so die gespannte Situation einigermaßen entschärft hatte, fanden es alle für das Beste, die Sitzung aufzulösen und die Küche für das Abendessen zu räumen. Moody, Mrs Vance und Elphias Doge verabschiedeten sich gleich und murmelten alle drei von unaufschiebbaren Verpflichtungen; die Übriggebliebenen halfen alle bei den Vorbereitungen und sprachen das unerfreuliche Ende der Besprechung mit keinem Wort mehr an. Jiang Li fühlte sich nicht sehr wohl und wünschte sich eigentlich nichts weiter, als sich auf der Stelle in ihr Zimmer flüchten zu können. Noch ehe sie den Tisch fertig gedeckt hatten, trafen die restlichen Gäste ein. Fleur Delacour wirbelte sogleich mit einem erfreuten Aufschrei durch die Küche und fiel Bill mit einer formvollendeten Drehung in die Arme; Harry Potter, Ron und Ginny Weasley kamen dicht hintereinander mit misstrauischen Mienen in den Raum und hielten die Augen gesenkt, als sie Snape und Jiang Li linkisch begrüßten. Für Jiang Li verlief das Essen nicht gerade überwältigend angenehm. Bill war völlig mit Fleur Delacour beschäftigt, die ab und zu einen giftigen Blick zu ihrer vermeintlichen Rivalin (sie schien den Zwischenfall in der Winkelgasse jedenfalls noch nicht vergessen zu haben) warf, Snape starrte stur auf seinen Teller und aß so gut wie gar nichts, Arthur und Molly Weasley unterhielten sich mit Mrs Figg, die ihre Katze neben sich auf einen leeren Stuhl gesetzt hatte, Kingsley Shacklebolt diskutierte lebhaft mit Lupin und die Übrigen hatten einen Heidenspaß mit Mundungus Fletcher, der immer neue Anekdoten über seine krummen Geschäfte hervorkramte. Hätte sie den zerlumpten Kerl nicht schon von Anfang an so widerwärtig gefunden und darum beschlossen, ihn einfach zu ignorieren und auf keinen Fall über irgendetwas aus seinem Mund zu lachen, hätte der Abend sogar ganz vergnüglich werden können. So jedoch saß sie den Großteil der Mahlzeit über ebenso stur schweigend wie Snape da und war im Endeffekt froh darüber, als Molly Weasley die Tafel mit einem resoluten Händeklatschen aufhob und verkündete, sie würde jetzt das Haus schmücken und sich über jeden Freiwilligen freuen. Jiang Li verzichtete gerne und begab sich rasch nach oben in ihr Zimmer, ohne sich noch einmal umzusehen. Selbst hier oben war das fröhliche Gelächter und Plopp der Zauberstäbe noch sehr gut zu hören.   Als sie das Fenster öffnete, um noch eine Gute-Nacht-Zigarette zu rauchen, schien ihr plötzlich, als würde sich im Garten etwas bewegen, ein dunkler, seltsam gestauchter Umriss, der auf kein ihr bekanntes Tier passte. Erstaunt beugte sie sich so weit wie möglich nach draußen, um Genaueres zu erkennen, doch in diesem Moment rauschte ohne Vorwarnung etwas Großes, Graues direkt auf sie zu. Jiang Li hatte gerade noch Zeit, sich zurückzuziehen und in Deckung zu gehen, als eine brummig vor sich hin schimpfende Schleiereule in das Zimmer flatterte, eine elegante Schleife zog und einen dicken Pergamentumschlag auf den Kasten fallen ließ. Eine Sekunde später war sie auch schon wieder spurlos in der dunklen Winternacht verschwunden und der Schemen mit ihr. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)