Corvus et Vulpes von Bei ================================================================================ Kapitel 23: Vor dem Hohen Rat ----------------------------- Pflaumenfarbene Umhänge, geschmückt mit einem silbernen „HR“ wogten durch den Raum, füllten ihr gesamtes Sichtfeld aus und schienen Jiang Li so den Atem rauben zu wollen. Ihre Lippen waren schon so ausgetrocknet, dass sich die unzähligen feinen Krater mit Blut zu füllen begannen, als sie das nächste Mal nervös mit den Zähnen darauf herumriss. „Lassen Sie das mal lieber bleiben.“ Anstelle einer Antwort senkte sie den Kopf und versuchte sich mental soweit zu festigen, dass sie die Schmerzen in der Magengegend nicht sofort einfach vom Stuhl auf den kalten Steinfußboden sinken ließen. Minerva McGonagall seufzte und musterte die neben ihr Sitzende mit einem raschen, prüfenden Blick, wobei sich die Falten neben ihren Mundwinkeln noch ein Stück tiefer eingruben. Sie war als Zeugin der Verteidigung geladen und befürchtete trotz der relativ eindeutigen Beweislage das Schlimmste. Immerhin befand sich Lucius Malfoy nicht nur auf freiem Fuß, sondern war auch gesellschaftlich bis zu einem gewissen Maß rehabilitiert worden, wobei McGonagall argwöhnte, dass sich darunter auch eine wieder aufgenommene Freundschaft mit Cornelius Fudge verstehen ließ. „RUHE!“ Eine Anzahl dumpfer Hammerschläge ließen jegliches Getuschel auf einen Schlag verstummen. Fudge, der in der Mitte der Bank thronte, räusperte sich wichtig und ließ den Hammer sinken. „Anhörung im Disziplinarverfahren vom zweiundzwanzigsten Februar“, begann der amtierende Zaubereiminister, dessen Posten in weniger als einem Monat zum Mittelpunkt eines heißen Wahlkampfs werden würde, „betreffend die Verstöße gegen die Verantwortung erwachsener, insbesondere lehrender Magier gegenüber den in ihrem Verantwortungsbereich agierenden Minderjährigen und damit gegen den Erlass zur Vernunftgemäßen Beschränkung der Zauberei Minderjähriger durch Jiang Li Lian, derzeit in der Ausbildungsstätte für Hexerei und Zauberei Hogwarts sowohl wohnhaft wie auch unter Vertragsverhältnis. Vernehmungsbeamte: Cornelius Oswald Fudge, Minister für Zauberei; Amelia Susan Bones, Leiterin der Abteilung für Magische Strafverfolgung; Dameer Andsware, Leitende Staatssekretärin des Ministers; Protokollführer: Broga Fyren Deman, Leitender Sekretär der Abteilung für Magische Strafverfolgung.“ Er legte eine kurze Pause ein und hüstelte mehrmals, während sich die Ratsmitglieder auf dem Richtertisch unruhig bewegten, mit Füßen und Bonbonpapier raschelten und leise miteinander tuschelten. „Verteidigung: Minerva McGonagall, Stellvertretende Schulleiterin der Ausbildungsstätte für Hexerei und Zauberei, Hogwarts.“ Er räusperte sich wieder und blätterte geräuschvoll in seinen Unterlagen. „Der Angeklagten wird zur Last gelegt, einen ihr zur Ausbildung anvertrauten Jugendlichen und darüber hinaus auch noch den Rest der Lehrer- und Schülerschaft Hogwarts durch offensichtliche Fahrlässigkeit in eine lebensbedrohliche Situation gebracht zu haben, indem sie den Auszubildenden, statt wie vorgesehen dem Lehrplan zu folgen, unrechtmäßige und unerlaubte Auskünfte über die Beschwörung und Bannung gefährlicher magischer Wesen erteilte. Dies stellt somit einen klaren Verstoß gegen Abschnitt F des Erlasses zur Vernunftgemäßen Beschränkung der Zauberei Minderjähriger aus dem Jahre 1875 dar, in dem explizit erläutert ist …“ Jiang Li konnte nicht mehr folgen. Ihre Gedanken schweiften ohne ihr Zutun einfach ab, obwohl diese Verhandlung oder Anhörung, wie auch immer man es nennen wollte, denn sie wurde hier verurteilt, keine Frage, über ihre gesamte Zukunft in Hogwarts entschied. Aber sie konnte dieses komplizierte, bemüht exakte Juristengewäsch einfach nicht mehr hören. „… haben Sie dazu zu sagen?“ McGonagall stieß sie leicht in den Rücken und Jiang Li setzte eine betont gleichgültige Miene auf. „Ich bin mir keiner Verfehlungen bewusst. Der Lehrplan bestätigt die Richtigkeit meines Unterrichts. In den sechsten und siebenten Klassen soll explizit auf komplexe Verteidigungsmechanismen und die Gefahren der Dunklen Künste eingegangen werden.“ „Sie haben dadurch einen Schüler in Lebensgefahr gebracht! Ist Ihnen das eigentlich klar?“ In den Reihen hinter dem Richtertisch rührte sich etwas. Ein hochgewachsener, blonder Mann mit einem kalten, überheblichen Gesichtsausdruck hatte sich halb erhoben und starrte mit hasserfüllten Augen in ihre Richtung. Lucius Malfoy. Jiang Li schloss im Geiste die Augen und fügte sich ihrem Schicksal. „Mr Malfoy handelte aus Eigeninitiative. In meinen Unterrichtsstunden habe ich stets auf die Gefahr einer Dämonenbeschwörung hingewiesen, noch dazu, wenn sie von unausgebildeten Magiern vollzogen wird –“ „Sie wollen also leugnen, den Ihnen anvertrauten Schülern verbotene Bereiche der Dunklen Künste nahe gebracht zu haben?“ „Natürlich!“ „Also halten Sie Dämonenbeschwörungen für rechtmäßig?“ Jiang Li öffnete aufgebracht den Mund und erstarrte. Fudge lächelte süffisant. „Nun?“ „Sie verdrehen die Tatsachen! Ich bin dazu da, um die Kinder –“ „Ihr Fach wird „Verteidigung gegen die dunklen Künste“ genannt, nicht wahr? Und nicht etwa „Anwendungsbereiche der Schwarzen Magie“, oder?“ Minerva McGonagall schaltete sich ein, als der halbe Gerichtssaal zu lachen begann, und hob beschwichtigend die Hand. „Ich muss um etwas mehr Objektivität bitten, Herr Minister. Professor Lian ist eine ausgezeichnete Lehrerin und als sehr gewissenhaft bekannt, was die Einhaltung der herrschenden Richtlinien betrifft. Daher –“ „Als ersten Zeugen rufe ich auf: Draco Ophion Malfoy“, fuhr Fudge ungerührt und ohne auf McGonagalls Einwurf einzugehen fort. Jiang Li presste die Lippen zusammen, als der schmale, weißblonde Junge mit dem unsäglich gelangweilten Lächeln auf den Lippen vor die versammelten Hexen und Zauberer trat. Er schien sich, seit sein Vater aus Azkaban entkommen war, wieder so einigermaßen erholt zu haben und trug auch schon die übliche Arroganz zur Schau. Fudge lächelte ihn nach Manier des wohlwollenden Onkels an und begann nach den üblichen Formalitäten mit der Befragung. „Nun also, Mr Malfoy – Sie haben also am Dienstag, dem einundzwanzigsten Dezember eine unerlaubte Dämonenbeschwörung durchgeführt. Ist das richtig?“ „Keineswegs, Herr Minister.“ Die Unfassbarkeit dieser Aussage durchzuckte nicht nur Jiang Li wie ein Keulenhieb. Als sie sich soweit gefasst hatte, um wieder Atem zu holen, herrschte in den Reihen der Zuhörer Aufruhr. Fudge allerdings wirkte erstaunlich gelassen und lächelte Malfoy immer noch an. „Nun also – wenn Sie uns Ihre Sicht der Dinge erklären würden?“ „Da gibt’s nicht viel zu erklären“, entgegnete Draco Malfoy mit einem Achselzucken. „Ich dachte, wir sollten die in den Stunden durchgenommenen Inhalte auch praktisch üben – als Hausarbeit sozusagen …“ Die Unverfrorenheit der Aussage ließ Jiang Li mit einem wilden Aufschrei auf die Füße springen. „Das ist ja unfassbar! Eine solche Lüge! Wie können Sie es wagen, Malfoy –“ „RUHE!“, schmetterte Fudge mit dröhnender Stimme dazwischen und fuchtelte aufgebracht mit einem dicken Zeigefinger. „Noch ein ungerechtfertigter Zwischenruf, und ich lasse Sie entfernen, Lian –“ „Wie können Sie nur –“ McGonagall zog sie hastig wieder in den Stuhl und brachte sie mit gezischten Warnungen zum Schweigen. Jiang Li war puterrot im Gesicht und den Tränen nahe, doch sie nahm sich zusammen. Was hätte sie denn auch sonst noch tun können? Die ganze Anhörung war doch nichts weiter als ein mieses, abgekartetes Spiel, das erkannte sie jetzt überdeutlich. Schon zu Halloween hatte ihr Fudge unmissverständlich gezeigt, was er von ihr hielt, nämlich gar nichts. Und jetzt kam auch noch Lucius Malfoy nach vorne, um seinem Sohnemann beizustehen. Jiang Li würgte es zum Erbrechen. „Fragen Sie Malfoy doch, wo sein guter Vater zu diesem Zeitpunkt war! Was glauben Sie denn, warum er gerade Focalor ausgewählt hat? Einen mächtigen Herzog, der über dreißig Legionen gebietet und alles herbeischaffen kann, wonach das Herz begehrt? Mit meinen eigenen Ohren habe ich gehört, dass Malfoy ihm geboten hat, seinen Vater aus Azkaban zu holen, koste es, was es wolle!“ „Sie sind ja wahnsinnig“, fiel Lucius Malfoy mit schneidender Stimme ein und legte Draco schützend den Arm um die Schultern. „Weder mein Sohn noch ich haben es nötig, Dämonen oder sonstige Wesen zu unserer Hilfe herbeizuholen, noch dazu, wo doch von Anfang an klar war, dass meine Inhaftierung auf nichts weiter als einem bedauernswerten Fehler beruhte!“ „Was hat die Verteidigung dazu zu sagen?“ Ja, was hatte McGonagall schon dazu zu sagen? Sie war zwar die Erste am Tatort gewesen, hatte aber nichts Entscheidendes mehr mitbekommen. Wenn man alle Tatsachen hartnäckig zu seinen Gunsten drehte und wendete, konnte man es schaffen, die Beschwörung Focalors tatsächlich als Fleißaufgabe eines außerordentlich arbeitsamen, dienstbeflissenen und arglosen Schülers zu halten – wenn man schon von Anfang an auf der Seite eben dieses Schülers stand. Draco Malfoy wurde zusätzlich noch von Pansy Parkinson entlastet, die seine Geschichte widerspruchslos bestätigte und Jiang Li somit endgültig in die Position der verantwortungslosen Lehrerin drängte. „Sie werden verstehen“, sagte Fudge, Triumph in den Augen, Zufriedenheit um den Mund, „dass ich hier ein Exempel statuieren muss. In Hogwarts sind schon so einige Male von Zeit zu Zeit gewisse Dinge aus dem Ruder gelaufen, darum möchte ich Sie hier und heute in aller Form daran erinnern, dass Sie – und diese Mahnung gilt für alle – mit schutzbedürftigen und wissbegierigen Jugendlichen zu tun haben, die in ihrer schrankenlosen Neugier oft etwas zu weit gehen, wenn keine Grenzen gesteckt werden – was Sie hier verabsäumt haben. Offensichtlich also liegt ein gewaltiger Mangel an Wissensvermittlung und Lehrer-Schüler-Kommunikation vor. Ich denke also, im Punkte der Fahrlässigkeit sind Sie schuldig zu sprechen, nicht wahr?“, wandte er sich an die restlichen Ratsmitglieder, von denen manche zwar zustimmend nickten, nicht wenige aber skeptisch die Stirn runzelten. Madam Bones räusperte sich misstrauisch und wiegte zweifelnd den Kopf. „Ich plädiere für eine Verwarnung, meinetwegen mit offiziellem Akteneintrag, aber nichts weiter. Für Disziplinarverfahren gröberen Ausmaßes fehlen ganz einfach die Anklagepunkte. Und für Mr Malfoy –“ „– würde ich zu einem klaren Freispruch tendieren“, warf Fudge rasch ein und schmunzelte beunruhigend. „Damit wäre dann der Fairness Genüge getan, nicht wahr? Wir wollen doch keine jungen Leben zerstören, nicht wahr?“ Malfoy, der ohnehin immer alles hatte, in allem bevorzugt war und ständig den Kopf aus der Schlinge gezogen bekam, sollte das Leben in keinster Weise unangenehm gemacht werden, während sie einen ungerechtfertigten Verweis erhielt, der zu allem Überfluss auch noch mit den fadenscheinigsten Argumenten der Welt untermauert war. Vor dem Hohen Rat verhandelt, weil der arme kleine Draco durch ihre Verlockungen zu gefährlichen Hausarbeiten verführt worden war. Die gesamte Situation war zum Kotzen, doch Jiang Li wagte keinen Einwurf mehr, der ihr ohnehin nur noch mehr Schwierigkeiten gebracht hätte. Sie war ganz einfach völlig hilflos und in dieser Anhörung brutal überrollt worden, so sahen die Dinge nämlich aus. Sie war den Tränen nahe, als die Ratsmitglieder ihre Sachen packten, und musste sich mehrmals verstohlen über die Augen wischen, während ihr McGonagall resolut erklärte, wie viel Glück sie eigentlich gerade gehabt hatte. „… ich weiß, dass es ungerecht gelaufen ist, darüber müssen wir gar nicht erst reden. Aber im Endeffekt, Jiang Li, im Endeffekt haben Sie verdammt noch mal Grund zum Feiern. Fudge hätte Sie für die angeblichen Gesetzesbrüche suspendieren lassen können, denn immerhin war das Leben eines Schülers gefährdet, und wie man es dreht und wendet, der Verstoß gegen die Aufsichtspflicht …“ „Erpressung, pure Erpressung, weiter nichts! Das ist ja Wahnsinn! WAHNSINN IST DAS!“, brüllte Jiang Li plötzlich los und wäre mit Sicherheit auf Fudge losgegangen, hätte sie nicht plötzlich und völlig unerwartet ein Zauberspruch von hinten getroffen. „Silentio!“ „Bei Merlins Bart, Severus, gut, dass Sie da sind! Das hätte böse ins Auge gehen können!“, seufzte McGonagall erleichtert auf und wischte sich fahrig über die Stirn. „So ein unvorsichtiges Mädchen …“   Severus Snape schwieg und zuckte nicht einmal zusammen, als ein schweres Wasserglas nur knapp vor seinen Füßen zersprang. Er stand nun schon seit fast einer Stunde im Wohnzimmer der kleinen Wohnung und sah zu, wie Jiang Li ihre Einrichtung in Stücke schlug. Ein heiseres Brüllen tönte aus dem Badezimmer. „ICH HASSE DICH! Geh mir aus den AUGEN!“ Jiang Li tauchte mit wirrem, ins Gesicht hängendem Haar im Türrahmen auf und stierte ihn mit einem starren, wahnsinnigen Blick an. Reden konnte sie nicht mehr, aus der trockenen Kehle ließ sich kein Ton mehr pressen, sie keuchte schwer. Ihr Gesicht war kalkweiß, nur auf den Wangen hatten sich unregelmäßige rote Flecken gebildet und die Finger hatte sie so fest in den Türstock gekrallt, dass sich die Haut über den Knöcheln bedrohlich spannte. „Es war nötig, dich ruhig zu stellen, das weißt du“, gab Snape endlich mit leiser, fast tonloser Stimme zur Antwort. Seine schwarzen Augen musterten sie ausdruckslos, wodurch Jiang Li noch weiter gereizt wurde, doch ihre zornige Kraft war ohnehin bereits verflogen. Sie fühlte sich matt und leer. „Severus, du bist mir in den Rücken gefallen, ist dir das klar? Du hast mich im Stich gelassen! Weißt du, was du mir angetan hast? Warum, Sev? Warum?“ Er schaffte es immer noch, ihr scheinbar ungerührt in die Augen zu schauen, tastete sich aber langsam Schritt für Schritt an den Scherben vorbei in ihre Richtung, um genau in dem Moment zur Stelle zu sein, in dem sie zu schluchzen begann und ungeachtet der gefährlichen Splitter, die im ganzen Raum verteilt lagen, in die Knie sank. Snape fing sie auf, trug sie vorsichtig auf ihr Bett und zwang sie mit sanfter Gewalt, einige Tropfen einer dunkelroten Flüssigkeit zu schlucken. Kurz darauf fiel sie in einen tiefen, betäubten Schlaf, während Snape finster vor sich hin starrte und ihre schlaffe Hand hielt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)