Corvus et Vulpes von Bei ================================================================================ Kapitel 28: Die Entscheidung ---------------------------- Eine Woche war zu wenig, um auch nur ausreichend wieder in Schuss zu kommen, soviel war Jiang Li klar. Nachdem sie aus Jinduizhen zurückgekehrt war, ohne mit ihren Schwestern ein weiteres Wort oder einen Blick ausgetauscht zu haben, begab sie sich ohne Umweg in ihr Zimmer und verriegelte die Tür. In ihrem Inneren herrschte Aufruhr. Der Ratsbeschluss brach ihr das Genick und spielte Yue You in die Hände, soviel war sicher. Jiang Li musste, wenn sie ganz ehrlich mit sich selbst war, zugeben, dass sie sowohl ihr Training als auch das Studium der Fachliteratur, die ihr Zhen Juan nach Hogwarts geschickt hatte, stark vernachlässigt hatte. Und trotzdem, sie musste es schaffen, Yue You zu schlagen. Der Austragungsort bereitete ihr ebenfalls Kopfzerbrechen. Der Taiyi-Teich war zwar nur etwa einen Quadratmeter groß und dreißig Zentimeter tief, doch er bündelte gewaltige magische Kräfte. Rings um ihn ereigneten sich die seltsamsten Dinge – die Zeit verlief manchmal anders, oft verschwanden Wanderer oder unbekannte Wesen tauchten wie aus dem Nichts auf – und in manchen Nächten ging vom Südgipfel ein beunruhigendes tiefrotes Leuchten aus, dessen Ursprung im Teich zu finden war. In der Dürrezeit trocknete er nicht aus und in der Regenzeit lief er nicht über; der Wasserspiegel blieb das gesamte Jahr hindurch unverändert, obgleich der Gipfel zum überwiegenden Teil aus Granit bestand. Seit das Feueramulett, das den Schutz für den Süden repräsentiert hatte, von Kuan-yin gestohlen worden war, mochte sie diesen Platz, an dem während des Duells alle möglichen unvorhergesehenen Dinge geschehen konnten, noch weniger. Er erinnerte sie immer wieder an ihre bislang bitterste Niederlage.   In den folgenden Tagen ließ sich Jiang Li ihre Mahlzeiten von Liang auf ihr Zimmer bringen und vermied es, ihren Schwestern über den Weg zu laufen. Den Gedanken daran, dass sie, wenn sie den Kampf verlor, sowohl ihren Platz in der Kampfschule als auch ihren Status als Schwertmeisterin verlieren würde, schob sie mit großer Mühe immer wieder zur Seite. Sie musste gewinnen. Sie musste. Sonst hatte sie gar nichts mehr. Sie kannte einige ehemalige Meister, die ein ähnliches Schicksal getroffen hatte. Es war nicht ungewöhnlich, dass es zu Rivalitäten oder regelrechten Platzgefechten in den Kampfschulen kam. Der Rang einer Großmeisterin oder eines Großmeisters war heiß begehrt; es war nicht nur Ansehen, sondern auch viel materieller Reichtum mit dieser Position verbunden. Häufig bestand die Konsequenz für den Verlierer eines solchen Duells auch aus dem Verlust seines Platzes als Meister und aus der Notwendigkeit, seine angestammte Kampfschule zu verlassen, wie es Jiang Li nun drohte. Sie verdienten sich ihren Lebensunterhalt in der Regel als umherziehende Söldner oder versuchten sich an einem weit entfernten Ort in einem handwerklichen Beruf, wenn sie nicht unmittelbar nach ihrer Niederlage aus Scham über ihren Gesichtsverlust Selbstmord begangen hatten. Jeder Morgen begann für Jiang Li mit einfachen Dehnübungen, die zu den Grundlagen der Kampfkunst zählten, gefolgt von Schrittfolgen, Hieb- und Stoßübungen sowie Krafttraining. Es wurde besser mit ihrer Schnelligkeit, aber sie war noch lange nicht in Form. Trotzdem übte sie weiter wie besessen, bis sie vor Erschöpfung beinahe zusammenbrach. Galatyn beäugte sie stundenlang schweigend aus der Ferne und schien penibel darauf zu achten, ihr nicht zu nahe zu kommen. Jiang Li achtete nicht auf ihn, sondern trainierte, bis ihr ganzer Körper nur noch schmerzte, bis sie ihr Essen wieder heraufwürgte und sich fühlte, als würde sie in ihre Einzelteile zerrissen werden. Weiter. Sie würde es schaffen. Sie musste es schaffen.   Am letzten Abend vor dem Duell dachte Jiang Li zum ersten Mal in ihrem Leben ernsthaft über das Sterben nach. Bis zu diesem Tag hatte sie zwar immer wieder die Möglichkeit, sich kurz und schmerzlos aus dem Leben zu katapultieren, angedacht, aber nie ernsthaft weiterverfolgt. In solchen Situationen war dann doch immer wieder irgendetwas passiert, wodurch sie eine neue Perspektive für ihr Leben erhalten und den Gedanken an ein selbstgewähltes Ende verworfen hatte. Diesmal war das anders. Alle Pläne waren gescheitert und das berühmte Licht am Ende des Tunnels wollte einfach nicht auftauchen. Wenn sie gegen Yue You verlor, musste sie die Kampfschule für immer verlassen und durfte sich auch nicht mehr Schwertmeisterin nennen. Ihr Platz in Hogwarts war mehr als unsicher, das war ihr klar; nach dem Schuljahr würde sie höchstwahrscheinlich gehen müssen – Dumbledore hatte kein einziges Mal über die Möglichkeit, weiterhin zu unterrichten, gesprochen. In ein paar Monaten stand sie auf der Straße, ohne Zuhause, ohne Arbeit, ohne Zukunft. Jiang Li wurde wieder übel und der Raum begann, sich langsam um sie herum zu drehen. Es war, als würde sie im luftleeren Raum schweben, als wäre sie ein einsamer Planet im Weltraum, ohne Halt und ganz allein. Wenn sie heute Nacht aus dem Haus gehen und auf einen der vielen Felsen klettern würde und dann nach unten in die Dunkelheit springen würde, so wäre das für niemanden ein Verlust. Höchstens der Rat wäre morgen verärgert, weil er sich ganz umsonst auf den Südgipfel bemüht hätte. Aber sonst? Yue You und den anderen Mädchen wäre es recht, dachte Jiang Li und kauerte sich in Embryostellung auf den Fußboden. Snape käme es auch gelegen, er denkt ohnehin nicht mehr an mich, ich bin ihm lästig. Wenn ich mir doch gleich im Mutterleib die Nabelschnur um den Hals gewickelt und mich selbst erdrosselt hätte, sinnierte sie weiter und schloss die Augen. Scharfe Tränen des Selbstmitleids quollen unter ihren Lidern hervor und sie begann zu wimmern. Wenn ich nicht dauernd an Snape denken müsste und wenn es mir nicht jede Stunde wieder von Neuem das Herz zerreissen würde. Wenn ich wenigstens ein einziges Mal jemandem wirklich wichtig wäre. Wenn mich irgendetwas halten würde, aber da ist nichts. Ich bin ganz allein und rings um mich ist nur schwarze Ödnis. Sie öffnete die Augen und starrte in ihr vertrautes Zimmer. Ihr Kopf war schwer und ihre Brust tat weh, es war ein Schmerz, der sich ihren Hals entlang in den Kopf und direkt unter ihrem Schlüsselbein geradewegs durch ihren Körper zu bohren schien. Ich habe es satt, dachte Jiang Li und wollte die Hand heben, um ihre Augen gegen das Licht abzuschirmen, ließ es dann aber sein. Sie konnte sich nicht rühren, ihre Gliedmaßen waren zu schwer. Ich will nicht mehr. Das ganze Leben ein einziger Kampf und ich weiß nicht, wie ich es hätte ändern können. Jeder sagt mir, ich soll positiv sein, mich nicht fallen lassen, aber es gibt für mich keinen ersichtlichen Grund, warum ich das tun sollte, wozu ich weitermachen sollte. Es ist nicht so, dass ich es nicht will, aber ich sehe kein Licht mehr. Alle Anstrengungen führen zu nichts, es ist alles sinnlos. Ich lebe vor mich hin und tue nur so, als hätte ich irgendein Ziel, aber ich hatte nie eins. Ich weiß gar nicht, was ich wirklich will, was mir wirklich Freude machen würde, alles habe ich immer nur für andere oder wegen anderen getan. Ich weiß nicht, was ich will. Ich weiß ja gar nicht, wer ich eigentlich bin; ich bin Mutters Tochter gewesen und dann war ich die Schülerin der Großmeisterin und dann war ich Schwertmeisterin, aber eigentlich bin ich immer nur das, was die anderen von mir verlangt und in mir gesehen haben. Wenn ich brav war und die Erwartungen erfüllt habe, war das angemessen und wurde kurz gelobt; wenn ich gescheitert bin, war ich selber schuld und jeder war böse auf mich. Ich war nie besonders glücklich, auch nicht mit Kuan-yin, wenn ich ganz ehrlich bin. Immer musste ich mich anstrengen, um ihn nicht zu verlieren, und dann konnte ich ihn doch nicht halten. Alle wenden sich ab von mir, niemand bemüht sich um mich und hält mich fest. Ich habe keinen Halt, dachte Jiang Li wieder und schloss wieder die Augen. Ich bin allen nur ein Ärgernis. Sie fühlte, wie etwas leicht ihre Wange streifte, rührte sich aber nicht. Galatyn war von seinem Beobachtungsposten auf dem Schrank heruntergeschwebt und hatte sich neben ihrem Kopf niedergelassen. Er stieß ein leises, besorgtes Schnarren aus und pickte vorsichtig in ihr Ohrläppchen, um sie zu einer Reaktion zu bewegen. Jiang Li schwieg und ließ den Kopf langsam zur Seite sinken. Galatyn versuchte es noch einige Male mit sanftem Schnabeleinsatz, dann hackte er so kräftig in ihre Schulter, dass seine Schnabelspitze die Haut durchstieß und ein Blutstropfen hervorquoll. Es schmerzte nicht, aber sie hörte, wie ihr Rabe immer aufgeregter mit den Flügeln schlug und verstörte Laute ausstieß. „Ist gut“, seufzte sie schließlich leise und griff blindlings neben sich, bis sie seinen Körper spürte. Galatyn schmiegte vorsichtig seinen Kopf in ihre Handfläche und ließ ihn darin liegen, bis sie schließlich in einen tiefen, schweren Schlaf fiel.   ***   Der nächste Morgen war besser. Jiang Li wachte auf und war erstaunt, dass sie sich gar nicht einmal so schlecht fühlte. Neutral. Es war ein neutrales Gefühl. Sie fühlte keine Angst mehr; die vergangene Nacht schien alle Empfindungen in ihr abgestumpft zu haben, bis nichts mehr geblieben war als ein leichtes Unwohlsein. Das kannte sie schon, es begleitete sie seit Jahren. Seit Jahrzehnten schon, dachte sie und musste kurz und zynisch auflachen. Wenn man einmal in Jahrzehnten denken kann, dann ist sowieso schon alles zu spät. Sie nahm sich ausreichend Zeit für ihre Körperpflege und wählte ihr Gewand mit Bedacht. Man musste gut aussehen, das war das Wichtigste. Jedenfalls dann, wenn man sich sonst wie zerschmettert fühlte; das Äußere durfte das Innere niemals widerspiegeln. Jiang Li legte noch eine Schicht Make-up auf, starrte einen Augenblick lang in den Spiegel und studierte ihr Gesicht. Wie eine Maske, dachte sie und schloss kurz die Augen. Ich erkenne mich ja selbst nicht mehr. Das Jadeschwert fühlte sich beinahe warm in ihrer Hand an, als sie nach draußen trat und den Ritt zum Südgipfel antrat. Sie fühlte sich immer noch gleichgültig, und das war gut so. Die Ratsmitglieder waren noch nicht vollständig anwesend, als sie den Taiyi-Teich schließlich nach einem längeren Marsch erreichte. Man konnte nur zu Fuß dorthin gelangen, für die Pferde war es zu steil und es war nicht ratsam, hier zu apparieren. Ihr Pferd hatte sie weiter unten angebunden; vielleicht hätte sie es auch einfach freilassen sollen. Andererseits: Irgendjemand würde es mit Sicherheit losbinden, sollte sie das Duell nicht überleben. Aber das würde sie. Also hatte sie das Richtige getan und alles war in Ordnung. Jiang Li stand der Schweiß auf der Stirn, obwohl es weder sonderlich heiß war, noch sich der Aufstieg außergewöhnlich beschwerlich gestaltet hatte. Sie hatte Angst, auch wenn sie es nicht einmal vor sich selbst zugeben wollte. Sie war nicht in Form und alles stand auf dem Spiel. Wenn sie heute verlor … Und wäre es wirklich so schlimm?, fragte sie sich plötzlich selbst und wunderte sich. Ja, war es denn so entsetzlich? Doch, ja, auf jeden Fall. Keine Frage. Und wenn du einfach fortgehst und woanders neu anfängst?, formte sich ein neuer Gedanke und Jiang Li war erstaunt, dass sie ihm plötzlich kaum noch Widerstand entgegenbrachte. Ja, warum fing sie nicht woanders neu an? Ohne Last und ohne Pflichten? „Na? Wie haben Prinzessin geruht?“, drang plötzlich eine spöttische Stimme in ihr Bewusstsein. Yue You stand bereits neben dem Teich, ihr Schwert hielt sie lässig in der Hand. Sie sah schön aus, das musste sich Jiang Li eingestehen und fühlte sich sogleich wie ein schwerfälliger Elefant. Sie hatte niemals Yue Yous Eleganz besessen, ebensowenig die Zierlichkeit ihrer Schwester Joogiya. Ich hasse mich, dachte sie und verdrehte innerlich die Augen. Als ob das jetzt noch wichtig wäre, ob sie wie ein Elefant oder wie eine Elfe war. Sie musste einfach nur zur richtigen Zeit zuschlagen. Alles andere war egal. „Ausgezeichnet“, gab Jiang Li leichthin zurück und warf den Kopf nach hinten. „Ich kann es kaum noch erwarten, deine Niederlage zu sehen.“ „Ach, Liebes“, lächelte Yue You und schnaubte verächtlich durch die Nase. „Nicht so billig. Du weißt doch selbst am besten, wer heute gewinnt, also spar’ dir deine Floskeln.“ „Seid still“, mischte sich unerwartet Li Ming ein, die aussah, als hätte sie in der Nacht kein Auge zugetan. Xiao Hong stand neben ihr und schwieg, den Blick auf die Erde gerichtet, was für sie ein sehr unübliches Verhalten darstellte. Eigentlich hatte sich Jiang Li gerade von ihr ein paar saftige Sprüche erwartet, aber erstaunlicherweise schien der vierten Schwertmeisterin in Angesicht des bevorstehenden Kampfes nicht sehr wohl zu sein. Die nächste Viertelstunde war von einem kollektiven Schweigen geprägt. Niemand schien viel Lust zu haben, eine Unterhaltung zu beginnen; Jiang Li entfernte sich einige Schritte von ihren Schwestern und begann, ihren Körper mit ein paar einfachen Dehnübungen vorzubereiten. Kein Gelenk durfte sich schmerzhaft verdrehen, kein Muskel sie im Stich lassen. Es kam alles darauf an, wie schnell und präzise sie sein würde. Ein durchdringender Gongschlag ertönte. Der Rat war nun vollständig versammelt und das Duell konnte beginnen. Jiang Li senkte den Kopf und atmete tief in den Bauch ein. Keine Nervosität. Ruhe. Denken. Beobachten. Zuschlagen. „Versammelt euch! Die Kämpfer in die Mitte!“ Jiang Li drehte sich um und ging langsam auf den kleinen Teich zu. Jemand hatte einen weiten Kreis rings um den Platz gezogen, der leicht bläulich schimmerte und einen Schutz für die Zuschauer darstellte. Die Ratsmitglieder hatten sich außerhalb der Markierung versammelt und sahen den beiden Frauen, die sich einander gegenüber an zwei Seiten des Teiches aufstellten, mit ungerührten Gesichtern entgegen. „Jiang Li, erste Schwertmeisterin aus dem Hause Lian! Yue You, zweite Schwertmeisterin aus dem Hause Lian! In diesem Zweikampf werdet ihr beweisen, ob ihr eurer gegenwärtigen Stellungen würdig seid! Der Kampf ist beendet, wenn einer von euch beiden stirbt oder liegenbleibt. Beginnt!“ Der vierschrötige Mann, der diese mehr als dürftige – fast sogar beleidigend knappe – Einleitung von sich gegeben hatte, schlug noch einmal nachdrücklich den Gong an und stellte sich neben die anderen. Einige der Mitglieder murmelten missbilligend und warfen ihm aufgebrachte Blicke zu; üblicherweise wurde der formalen Etikette doch etwas mehr Genüge getan. Den Ansager kümmerte das wenig; er war für seine Bärbeißigkeit, die sich vorlauten Zungen nach auch auf der Lage seiner Kampfschule in den Fengshan-Bergen gründete, bekannt und gab wenig auf die Meinung anderer. Abgesehen davon war er mit dem Kampf nicht einverstanden. Er mochte die Lians, allen voran Yue You; aus langer Erfahrung wusste er, dass – egal, wer dieses Duell gewinnen würde – nichts je wieder so werden würde, wie es bis zu dieser Stunde gewesen war. Das sensible Beziehungsmobile innerhalb der Gemeinschaft der Schwertkämpfer war aus dem Gleichgewicht gekommen und es würde einige Zeit sowie etliche beklommene und traurige Stunden brauchen, bis sich die Situation neu formiert haben würde. Gerne hätte er Einspruch erhoben, doch es gab keinen Grund vorzuweisen – daher blieb die beschämend kurze Ansprache die einzige Möglichkeit für ihn, seinem Unmut Ausdruck zu verleihen.   Jiang Li ließ das Jadeschwert aus der Scheide gleiten und trat einige Schritte nach vorne, bis sie sich am Rande des Teiches befand. Youe Yout tat es ihr gleich; die beiden Frauen drehten sich einander zu und hoben ihre Waffen so weit an, dass sie sich beinahe berührten. „Beginnt!“, bellte der Schwertmeister noch einmal und Jiang Li spannte ihre Muskeln an. Sie wusste, wie Yue You üblicherweise ihre Kämpfe eröffnete; meistens war sie offensiv und sehr schnell. Sie fühlte, wie ihr ganzer Körper vibrierte. Greif an, dachte sie und fühlte das Adrenalin durch ihre Adern schießen. Greif an! Yue You wippte leicht vor und zurück, als würde sie sich über ihre Strategie noch nicht ganz im Klaren sein, hob dann mit einer weit ausholenden Bewegung ihr Schwert und schlug kraftvoll zu. Jiang Li kniff ihre Augen leicht zusammen und wich mit einer tänzelnden Bewegung aus. Wie immer, Schwester, wie immer, dachte sie und blockte den Angriff ab. Sie wartete ab, bis die Schwerter voneinander abprallten, nutzte den gewonnenen Schwung und führte einen raschen Hieb aufwärts. Yue You drehte sich leicht zur Seite und wehrte die Klinge, die sich ihrem Hals bedrohlich näherte, mit einem wuchtigen Schlag ab, der direkt auf die Schläfe ihrer Gegnerin zielte. Es blieb Jiang Li nichts anderes übrig, als ihr Manöver abzubrechen und sich mit einem Seitenschritt in Sicherheit zu bringen. Für eine Sekunde standen sie sich reglos gegenüber; nur ihre Atemzüge waren zu hören. Sie waren beide zu gut trainiert, um einander in den ersten Sekunden entscheidende Verletzungen beibringen zu können. Yue You war ausgesprochen ungeduldig und legte es meist auf einen kurzen Kampf an; ihre Konzentration ließ bei längeren Gefechten schnell nach, vor allem dann, wenn sie lange hingehalten wurde. Jiang Li setzte einen Fuß nach vorne, ging leicht in die Knie und verlagerte ihr Gewicht auf das hintere Bein. Wieder griff Yue You an; sie schnellte nach vorne und schlug leicht abwärtsgerichtet zu, die Schwertspitze war auf Jiang Lis Herzgegend gerichtet. Sie ist gut, dachte Jiang Li leicht erschrocken und ließ sich nach hinten fallen, während sie die Jadeklinge hob und sie mit einer blitzartigen Bewegung aus dem Handgelenk gegen Yue Yous Arm führte. Diesmal musste Yue You ihren Angriff abbrechen und ausweichen; ihre Augen glühten vor Zorn. „Hexe“, zischte sie leise und sprang wieder auf Jiang Li zu; diesmal versuchte sie es mit einem Hieb, der direkt auf den Kehlkopf ihrer Kontrahentin zielte. Jiang Li entspannte ihren Körper, ließ den Elbogen sinken und senkte den unteren Rücken. Mit einer schnellen, fließenden Bewegung fing sie den Schlag ab und verwendete die Kraft des gegnerischen Angriffes dafür, mit ihrem eigenen Schwert Yue Yous Klinge von sich fernzuhalten und dabei gleichzeitig so lange zu kontrollieren, bis sie in der Lage dazu war, einen gezielten Streich zu platzieren. Yue You tänzelte zur Seite und versuchte, sich aus der misslichen Lage zu befreien, doch Jiang Li drückte ihr Schwert unbarmherzig immer weiter nach unten. Als sie schließlich überraschend den Druck löste und mit einer schneidenden Bewegung direkt auf das Handgelenk ihrer Gegnerin zielte, konnte sich Yue You nur durch einen verzweifelten Sprung zur Seite retten, der sie direkt in die Mitte des Teiches rutschen ließ. Jiang Li schrie triumphierend auf und sprang auf den schmalen Rand der Einfassung, während sie die Klinge hob und sie kerzengerade auf die Schulter ihrer Schwester herabstieß. Das Duell war vorbei und sie hatte gewonnen. Bevor die Schwertspitze ihr Ziel erreichte, spritzte eine Wasserfontäne aus dem Teich auf, die so gewaltig war, dass sie sowohl Jiang Li als auch Yue You aus dem Becken schleuderte und die Bergspitze erzittern ließ. Die Umstehenden wichen zurück und versuchten, sich vor den herabprasselnden Tropfen zu schützen; bei manchen funktionierten die Sprüche, die einen Schild rings um sie herum aufbauten, bei anderen nicht. Wie es Jiang Li bereits gewusst hatte – auf diesem Berg und vor allem in unmittelbarer Nähe des Teiches war Magie hochgradig unberechenbar. „Ich bin die Gewinnerin!“, brüllte Jiang Li, als sie sich von ihrem harten Aufprall einigermaßen erholt hatte. Yue You lachte rau. „Der Kampf ist noch nicht entschieden“, erwiderte der Schwertmeister aus dem Fengshan-Gebirge düster, und die anderen Ratsmitglieder nickten und brummten zustimmend. „Ihr habt es gesehen! Der Teich war schuld!“ „Beruhige dich“, ließ sich die oberste Schwertmeisterin von Lintian zurechtweisend hören. „Noch ist nichts entschieden – und das war es auch nicht, bevor der Teich aktiv geworden ist.“ „Ihr könnt mich“, flüsterte Jiang Li knapp unter der Grenze zum Hörbaren und fühlte altbekannte Bitterkeit in ihrer Kehle nach oben steigen. Die Zuschauer wollten Blut sehen – sollten sie es haben. Yue You sprang unvermittelt auf sie zu und Jiang Li riss das Schwert hoch. Ihre Konzentration hatte nachgelassen. Unverzeihlich. Ein Fehler. Ein- Der Hieb schleuderte sie rückwärts und presste ihren Arm gegen ihre Brust und den Hals. Sie konnte nicht mehr atmen und knickte mit beiden Beinen ein; Tränen schossen in ihre Augen und sie fühlte, wie sie die Kontrolle verlor. Verfluchte Yue You. Sie kippte endgültig um und wälzte sich verzweifelt zur Seite, während ihr die scharfe Klinge in den Hals schnitt. Der Boden war feucht und sie rutschte aus, da sie mit der Rechten den Schwertgriff umklammerte; Yue Youe kreischte mit einer Stimme, die sie noch nie zuvor an ihr gehört hatte, und setzte ihr nach. Jiang Li fluchte, bekam Sand und Steine in den Mund und verwünschte sich selbst und im Allgemeinen den Dreck, den sie bekam, denn für sie war immer nur der Abfall und der Auswurf übrig, stützte sich ab und schnellte hoch, packte das Schwert fester, drehte sich um und lachte, als Yue You zurückschreckte. Ein gezielter Stoß und sie konnte es ja doch noch, sie hatte den ersten Platz verdient und den würde ihr jetzt keiner mehr nehmen. Ihre Schwester gab einen merkwürdig tiefen Ton von sich, als die Klinge ihren Unterarm traf und sich in ihn hineinfraß. Jiang Li lachte wieder und gab dem Griff einen schnellen, harten Schlag, wodurch er sich drehte und Yue You sichtlich fast den Verstand verlieren ließ. Die zweite Schwertmeisterin keuchte auf und würgte Galle und Speichel über den Brustteil ihres Kleides. Jiang Li triumphierte, während sie das Schwert ruckartig aus der Wunde riss. Sie war die Beste. Immer gewesen, nur hatte das nie wer gesehen. Und jetzt war – Bunte Sterne explodierten hinter ihrem rechten Auge und ein Blitz zerspaltete ihren Kopf, während sich eine glühende Schlange durch ihr Gesicht fraß. Überrumpelt fiel sie hintenüber und schlug hart auf dem Boden auf, während sie noch im Fall das Bewusstsein verlor. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)