Corvus et Vulpes von Bei ================================================================================ Kapitel 31: Mimus vitae ----------------------- Ein neuer Auftrag. Immerhin! Jiang Li wusste nicht, ob sie erleichtert sein sollte – Erleichtert? Über eine gefährliche Mission? – oder misstrauisch. Sie verlor wirklich langsam den Verstand, aber tatsächlich war ihre Kämpfernatur geweckt worden, sie leckte Blut … Aber war das nicht der Beweis, dass Dumbledore ihr doch vertraute? Dass sie dem Orden doch richtig angehörte, dass sie vielleicht doch unabkömmlich war? Im Eberkopf war es an diesem Mittwochabend ziemlich voll. Jiang Li hatte noch einige weitere Geburtstagspräsente erhalten, über die sie sich ehrlich gefreut hatte, da sie für sie relativ unerwartet gekommen waren. Größtenteils handelte es sich dabei um Süßigkeiten; in Dumbledores Päckchen etwa hatten sich exquisit verpackte Pralinés befunden, offenbar mit unterschiedlichen Füllungen – in der ersten, die sie probiert hatte, war Kanarienkrem gewesen und Galatyn hatte minutenlang schadenfreudig gequarrt, als sie kurzzeitig als kleines gelbes Vögelchen durch ihr Zimmer geschwirrt war. McGonagall hatte ihr eine robuste Schachtel voll Ingwer-Kekse und Pfefferkobolde verehrt, während Rolanda Hooch mit einer Flasche Brandy angerückt war. Von Ceallach hatte sie ein paar Schmonzetten und Tratschmagazine bekommen, die ihr ein paar müßige Stunden bescheren sollten, und Pomona Sprout hatte mit Madam Pomfrey und Filius Flitwick für einen großen, weichen Schal mit Paisleymuster zusammengelegt. Jiang Li war gerührt. Als Galatyn dann auch noch mit zwei länglichen Päckchen ankam, die von Bill und Lupin stammten, die ihr unabhängig voneinander echte Chang-shou Zigaretten geschickt hatten, musste sie heimlich eine winzige Träne zerdrücken. In dem Paket von Bill befanden sich auch noch ein Brief von Molly Weasly, der sie dazu ermahnte, gut auf sich aufzupassen, sowie eine Rolle hausgemachter Kekse und ein Paar gestrickter Socken. Man muss immer darauf achten, dass die Füße warm bleiben, egal, ob Sommer oder Winter! war auf einem darangehefteten Zettelchen zu lesen. Jiang Li kicherte immer noch in Erinnerung daran. Tatsächlich war sie ein wenig erstaunt über sich selbst. Nach all den niederschmetternden Ereignissen der letzten Monate fühlte sie sich zum ersten Mal wieder relativ wohl in ihrer Haut; selbst an ihr vernarbtes Gesicht und das abscheulich eingefärbte Auge gewöhnte sie sich langsam. Die Tinkturen, die ihr Madam Pomfrey zur täglichen Anwendung mitgegeben hatte, begannen auch langsam zu wirken, was ihr einen zusätzlichen Aufschwung gab. Natürlich war da noch das Dämonenproblem. Jiang Li lobte sich innerlich selbst, dass sie ihr Bett schon von Beginn ihres Aufenthaltes in Hogwarts an, noch vor Erscheinen der Pfotenabdrücke, mit einem Bannkreis geschützt hatte – eine Angewohnheit, die noch aus der Kampfschule herrührte. Man konnte sich niemals sicher genug sein. Trotzdem musste sie bald etwas dagegen tun. Die Spuren hatten sich auch heute wieder gezeigt, wie so oft in den letzten Monaten; offenbar war die Dämonin vorwitziger geworden, denn die Asche war über den halben Raum verteilt gewesen. McGonagall und Ceallach hatten sich vor wenigen Minuten verabschiedet und Jiang Li war noch sitzen geblieben, um eine letzte Chang-shou zu rauchen und ihr Ale auszutrinken. Sie merkte allerdings, dass sie nicht mehr so viel vertrug wie noch zu Beginn des Jahres; die Ereignisse in Bangor und der fatale Kampf am Huashan hatten sie tatsächlich sehr geschwächt. „So alleine heute Abend? Noch mal alles Gute – das Geschenk hast du ja hoffentlich bekommen.“ Sie sah auf und sah Lupin neben ihrem Tisch stehen, ein leichtes Lächeln in den Mundwinkeln. Sie war ihm dankbar dafür, dass er ihr Aussehen nicht erwähnte. „Die anderen sind schon weg, Examen, du weißt ja. Danke, ja – ich habe mich wirklich sehr gefreut. Eine Chang-shou ist hier nur schwer zu kriegen.“ Er zog sich einen Stuhl heran und setzte sich. „Aber immer gerne. Ich hatte mir schon gedacht, dass du Nachschub brauchst. Dumbledore wollte mich sprechen, deswegen bin ich heute Abend hier – sonst hätte ich dir auf jeden Fall Bescheid gesagt.“ „Hat doch geklappt“, lächelte sie und machte Anstalten, aufzustehen. „Was willst du trinken?“ „Lass’ nur“, wehrte er ab. „Ich muss gleich weiter.“ „Wie geht es Tonks? Und den anderen?“ „Tonks geht’s gut – wenn sie nicht wieder mal über irgendwelche Dinge stolpert oder was hinunterwirft“, antwortete er mit einem leisen Lachen. „Sie ist ein wahres Geschenk und ich wundere mich immer wieder, wie sie es mit einem wie mir aushält.“ „Du bist doch ein netter Mann.“ „Eher eine krude Existenz, zumindest bei Vollmond.“ „Unsinn.“ Sie runzelte ärgerlich die Stirn und schüttelte den Kopf. „Was wollte Dumbledore von dir?“ Lupin sah sie nur an, ohne zu antworten. Sie seufzte. „Mission streng geheim?“ Er lächelte. Jiang Li seufzte. „Hört das jemals auf?“ „Irgendwann sicher.“ „Wie geht es mit … Severus?“ Jetzt lächelte sie und sah ihn an, ohne zu antworten. Er lachte. „Ich sage dazu lieber mal gar nichts.“ „Es geht – du weißt schon. Es geht. Entweder suche ich mir immer Problemfälle aus, aber wahrscheinlicher ist, dass ich selber genauso ein hoffnungsloser Fall bin“, sagte sie schließlich mit einem leichten, spöttischen Grinsen. Lupin schnaubte amüsiert und schüttelte den Kopf. „Wie man sich bettet …“ „Jaja“, schnitt sie ihm das Wort ab und musste lachen. „Was ist mit Billy und seiner Angebeteten?“ „Kommen erstaunlich gut zurecht“, gab Lupin zurück und schüttelte grinsend den Kopf, während er leicht die Augen verdrehte. „Mein Fall wäre sie ja nicht, aber ich denke, das ist ein klassischer Fall von Deckel und Topf. Molly ist ja nicht gerade begeistert von ihr, aber ich denke, das ist Bill egal.“ „Beziehungssorgen!“ Sie lachte und stieß ein theatralisches Seufzen aus. „Jetzt sind wir schon soweit, sitzen mitten in der Woche im Eberkopf und reden über solchen Mist. Da sollte man doch meinen, es gäbe wichtigere Themen.“ „Ich denke, gerade diese Themen sind der Grund dafür, warum wir lieber über Beziehungskisten reden“, meinte er und wurde ernst. „Es gibt wenig gute Neuigkeiten im Moment. Die Situation spitzt sich so richtig zu. Obwohl das vielleicht ganz gut ist – besser ein Ende mit Schrecken. Konfrontation ist mir lieber als Ungewissheit.“ „Mir auch“, sagte sie und trommelte leicht gegen ihr Glas. „Remus, ich weiß, es ist vermutlich eine dumme Frage, aber –“ „Ja?“, fragte er aufmunternd, als sie nicht weitersprach. „Remus, ich möchte – also, ich weiß, dass du weißt –“ Sie bemerkte, dass sie sich verhedderte, und setzte erneut an. „Die Schwarze Hexe hat mir gesagt, dass du dich mit den Erdströmen beschäftigt hast und diese Sache geht mir nicht aus dem Kopf. Noch dazu erinnere ich mich, dass du selbst mir vor Urzeiten mal geraten hast, mich mit Geomantie auseinanderzusetzen. Das habe ich auch getan, und – ich weiß, ich weiß, ich habe schon mit Dumbledore darüber geredet, und seine Antwort macht Sinn“, fuhr sie mit erhobener Stimme fort, als Lupin eine Handbewegung machte, „aber sie stellt mich nicht zufrieden. Ich will wissen, was Vol – also, du weißt schon, wirklich damit bezweckt.“ Er schwieg für einen Augenblick. „Die Schwarze Hexe?“ „Sie hat mir davon erzählt, als wir uns auf den Bangor-Auftrag vorbereitet haben. Sie meinte, du wüsstest alles darüber.“ „Alles.“ Er sah eine Weile vor sich hin, dann blickte er ihr in die Augen. Es war keine Spur von guter Laune mehr darin zu entdecken. Jiang Li wartete. „Na gut“, sagte er schließlich und verzog das Gesicht. „Es stimmt, ich habe mich intensiv mit der Materie beschäftigt, nachdem mir aufgefallen war, dass alle von Dumbledore angeforderten Bücher von einer ähnlichen Thematik handelten. Ich hatte vorher noch nichts davon gehört oder es zumindest aus meiner Zeit in Hogwarts nicht mehr im Kopf behalten. Du weißt, worum es geht – wer die Erdströme beherrscht, hat das Geschick der gesamten Erde in der Hand. Das Wetter, Bodenschätze, Wachstum – nicht nur der Pflanzen, Tiere und Menschen, sondern auch der Kontinente, Berge, was weiß ich – das alles kann dadurch nach Belieben beeinflusst werden. Ich wollte dir damals im Drei Besen einen Hinweis darauf geben, ohne … was weiß ich. Ohne dich zu alarmieren. Du bist ja auch von selbst darauf gekommen.“ „Ich habe noch nicht herausgefunden, woraus der Schlüssel zu dem Ganzen besteht“, warf Jiang Li mit leiser, aber klarer Stimme ein. „Das Übrige ist mir bewusst.“ Lupin lachte bitter auf. „Zum Glück weiß es wohl bis jetzt noch niemand, sonst hätten wir noch größere Probleme. Wie auch immer, jedenfalls –“ „Remus, das beantwortet meine Frage nicht“, schnitt ihm Jiang Li das Wort ab. „Was will er damit? Alle Muggel töten? Dumbledore ist der Meinung, er möchte sie als Publikum behalten. Es macht auch Sinn. Aber ich – ich weiß nicht. Es kommt mir zu einfach, zu kindlich vor.“ „Jiang Li, warum sollte es nicht so sein? Nur weil er einer der mächtigsten Magier ist?“, versuchte es Lupin mit ruhiger Stimme und seufzte, als er ihren Blick starr und voll Ungläubigkeit auf sich gerichtet sah. Vor allem ihr rechtes Auge übte eine derart verstörende Wirkung auf ihn aus, dass er schließlich aufgab und die Arme in die Luft warf. „Ist das denn wirklich so schwer zu glauben?“ „Verflixt, ja! Das kann doch nicht wirklich wahr sein?“ „Ok. Pass auf, ich erklär’s dir mal ganz einfach: Bis dato leben die magische und die nicht-magische Welt so recht und schlecht nebeneinander her, nicht wahr? In letzter Zeit gab es zwar Übergriffe auf Muggel, doch da es in ihrer Natur liegt, die Augen vor allem Unerklärlichen zu verschließen, haben sie jede hanebüchene Erklärung für diese Vorfälle akzeptiert. Muggel glauben nicht an Magie, und diejenigen unter ihnen, die es tun, werden gerne als verrückt abgestempelt. So, und jetzt nimm mal einen größenwahnsinnigen Möchtegern-Weltherrscher, der Beifall und Bewunderung sucht, und überleg dir, was er mit unbegrenzter Macht anstellen könnte. Statt nur einen Teil der Welt in den Händen zu halten, tritt er aus dem Dunkel ins Rampenlicht – und ist der gefürchtete, bewunderte Herr aller Menschen.“ Jiang Li biss sich auf die Unterlippe und verzog das Gesicht. „Macht Sinn“, gab sie widerstrebend zu. „Mist.“ „Du hast zu einem gewissen Grad schon recht. Er ist nicht dumm, und auch kein Kind, obwohl seine Wünsche natürlich irgendwie doch kindlich sind. Er verzehrt sich danach, gesehen und beachtet zu werden, nach Glanz und Gloria, Macht und Ruhm.“ „Im Grunde“, sagte sie nach kurzem Nachdenken, „werden Menschen eben nur größer und älter, aber nicht klüger.“ „Auf die meisten trifft das leider zu.“ Ein verwegener Gedanke, der schon lange in ihr gewühlt hatte, gab seine Schattenexistenz plötzlich auf, schwebte hauchzart durch ihren Kopf und landete direkt auf ihrer Zunge. Jiang Li sprach ihn laut aus, ohne weiter darüber nachzudenken. „Dumbledore muss inzwischen doch auch schon ziemlich bewandert sein mit dem Thema, oder nicht? Ich frage mich, was er wohl wirklich will.“ Lupin sah sie mit gerunzelter Stirn an, Wachsamkeit in den Augen. „Dumbledore?“ „Ich weiß, er ist quasi das gute Gegengewicht, aber ich weiß nicht recht, ob ich ihm die Rolle des guten Großpapas mit der Halbmondbrille ganz so einfach abnehme. Jeder bezweckt doch irgendwas mit dem, was er tut. Ich meine, keiner tut was nur aus purer Nächstenliebe. Klar sind die Dinge am Ende gut, aber irgendein Kalkül steckt doch immer dahinter. Meinst du nicht auch?“ „Keine Ahnung.“ Seine Stimme war abweisend, doch der Alkohol und die Müdigkeit hatten ihre Zunge gelockert und sie plauderte gedankenverloren weiter, ohne seiner Reserviertheit groß Beachtung zu schenken. „Wenn er wollte, könnte doch er die Macht übernehmen. Ich mein’ ja nur, muss ja nicht so sein. Er würde ja auch kein Tyrann werden, sondern vielleicht so eine Art gütiger Herrscher. Aber dann wieder frage ich mich schon, ob er nicht doch manchmal unlautere Mittel einsetzt oder zumindest den Zweck die Mittel heiligen lässt? Du weißt schon, was ich meine. Hin und wieder frage ich mich, ob wir nicht alle einfach Schachfiguren sind, die über ein Schlachtfeld geführt werden.“ Lupin schwieg für eine Weile und klopfte mit den Fingerknöcheln gedankenverloren eine kurze Marschmelodie auf den Tisch. Schließlich seufzte er leicht und man konnte ihm deutlich ansehen, dass er innerlich mit sich selbst rang, bevor er ihr eindringlich in die Augen sah. „Jiang Li – ich mag dich wirklich sehr gerne. Du hattest kürzlich eine schwere Zeit. Pass auf dich auf. Und gib acht, mit wem du sprichst, und worüber; manchmal ist es besser, wenn man gewisse Fragen nicht stellt. Und noch eins: Lass dich nicht täuschen. Von niemandem. Glaub einem alten, frustrierten Werwolf.“ Damit stand er auf und klopfte ihr leicht auf die Schulter; im nächsten Augenblick war er verschwunden und Jiang Li blieb nachdenklich am Tisch zurück.   ***   Die Fuchsspuren zogen sich kreuz und quer über das ganze Zimmer, selbst an den Wänden und der Decke waren blassgraue Abdrücke zu erkennen. Die Dämonin musste wie verrückt hin- und hergelaufen sein, ob in Rage, aufgrund von grausamer Lust am Spiel oder mit kalter Berechnung, war unklar. Jiang Li lag im Bett und sah sich langsam im Zimmer um. Du kannst es wohl nicht mehr aushalten, dich zu zeigen. Mir soll es recht sein – dann ist wenigstens ein Ende da. Oder ein Anfang. Was auch immer. Sie schwang sich vorsichtig aus dem Bett – nein, darunter lauerte niemand – und machte sich auf den Weg ins Badezimmer. Snape hatte die Nacht nicht bei ihr verbracht, offenbar befand er sich auf geheimer Mission; schon in den Eberkopf hatte er sie nicht mehr begleitet. Es war auch besser so, sie stellte sich der Dämonin ohnehin lieber alleine. Sie bemühte sich, die Nerven zu bewahren, und legte ihr Make-up mit besonderer Sorgfalt auf. Ihre Hände waren erstaunlicherweise ruhig; die über Jahre hinweg angelernten Verhaltensweisen kamen jetzt zum Vorschein. Ruhe. Wachsamkeit. Der Zauberstab lag die gesamte Zeit über griffbereit neben ihr. Ein Knacken ertönte aus dem Zimmer, als sie gerade ihr Haar zurechtmachte, doch noch rührte sich nichts weiter. Sie ging nach draußen und zog ihre Schuhe an. Im Kamin schien sich etwas zu bewegen. Mit straffem Schritt, den Stab fest in der Hand, durchquerte sie den Raum und beugte sich vornüber. Plötzlich schlug das Fenster explosionsartig auf und die Scheiben zersprangen. Jiang Li fuhr herum. „CONTEGO!“ „Na, na“, sagte eine helle, hohe Frauenstimme fröhlich. „Ganz ruhig erstmal.“ Der Abwehrzauber zerbarst. Zwei Gestalten standen im Zimmer, mitten in den Glasscherben. Jiang Li starrte sie an, fuhr sich kurz über die Augen und versuchte es wieder. Es war zwecklos, der Anblick veränderte sich nicht. „Ich – also“, sie musste tatsächlich hysterisch auflachen, so absurd war die Situation. „Kuan – Kuan-yin?“ „Morgen, meine Liebe“, sagte er grinsend und amüsierte sich offensichtlich großartig über ihre Verstörtheit, die schon an Panik grenzte. „Hogwarts scheint dir diesmal nicht gut zu tun. Du hattest schon mal bessere Tage.“ Sie klappte den Mund auf und schloss ihn wieder, da einfach kein Wort herauskommen wollte. „Wir dachten, es wäre an der Zeit, Hallo zu sagen“, ergriff die junge Frau das Wort und lächelte, wobei sie zwei Reihen blitzender Zähne entblößte. Die Erinnerung, die schon seit Tagen in ihrem Hinterkopf herumlungerte, wählte diesen Moment, um sich aus dem Dunkel zu lösen und mit solcher Wucht in ihrem Bewusstsein einzuschlagen, dass Jiang Li für eine Sekunde nichts als weißes Licht sah. Anshan – im letzten Sommer. Die verschwommenen Fotos, die ihr Chu Yangdai gezeigt hatte. Eine Frau mit kinnlangen Haaren, wie war ihr Name gewesen? Xia. Sie fühlte, wie sie plötzlich von eiskalter Ruhe erfüllt wurde. „Dann muss das hier wohl Xia sein, unsere Hurenfüchsin?“, fragte Jiang Li mit sanfter Stimme und lächelte ebenfalls. „Sehr angenehm. Dein Geschmack hat sich wohl deinem Aussehen angepasst, Kuan-yin. Du hast auch schon einmal besser ausgesehen.“ Es war nicht gelogen. Chu Yangdai hatte bereits vor einem Jahr davon gesprochen, dass Kuan-yin einen kranken und blassen Eindruck auf ihn gemacht hatte, doch diese Beschreibung passte nicht einmal mehr ansatzweise auf die Person, die heute vor ihr stand. Er war stark abgemagert und hatte sich einen dichten Bart wachsen lassen, der die spitzen Wangenknochen allerdings nicht verbarg. Unter den Augen prangten Ringe, die an fortgeschrittene Leberzirrhose erinnern ließen, die Haut war grau, trocken und schrundig. Seine ungepflegten, knotigen Haare hatte er mit einem Stirnband zurückgebunden; bei jeder Bewegung rieselten Schuppen auf seine Schultern. Seine Kleidung war ausgeleiert und voller Löcher, ebenso wie seine Schuhe. Nur das Schwert, das er in einer Scheide um die Hüfte trug, schien in gutem Zustand zu sein. Sein jämmerliches Aussehen stand im krassen Gegenstand zu der höhnischen, selbstsicheren Haltung, die er ihr gegenüber an den Tag legte. Jiang Li fühlte, wie sich ihre Ohren anlegten, als er wieder laut und abfällig lachte, um ihr zu zeigen, wie wenig ihn ihre Worte trafen. „Fuchshure, Hurenfüchsin“, kicherte die Dämonin amüsiert und schüttelte sich vor Vergnügen. „Du bist ja eine Schlimme! Eigentlich müsstest du dir den Mund auswaschen und darüber nachdenken, was für ein ungezogenes Mädchen du bist.“ „Du kannst die Spielchen lassen, Qínshòu“, sagte Jiang Li klar und knapp. „Was wollt ihr beiden? Es gibt hier nichts zu holen.“ „Da irrst du dich aber, große Schwertmeisterin“, gurrte das Wesen, das sich Xia nannte, und verbeugte sich mit übertriebener Höflichkeit. „Oder sollte ich sagen, ehemalige Schwertmeisterin? Abgedankte Schwertakrobatin? Was gefällt Euer Gnaden?“ Jiang Li machte die Augen schmal und hob den Zauberstab. „Du bist gut informiert, Fuchs. Wer hat dir das gesteckt? Jemand aus China?“ „Ach, das stinkige China. Um das zu erfahren, muss ich mich doch gar nicht so weit umhören. Xia, die Unwürdige, hat so ihre Quellen“, lachte die Fuchsdämonin. „Sogar sehr wichtige und hochrangige Quellen, du würdest dich wundern! Vielleicht sage ich dir sogar, woher ich das weiß. Aber zuerst“, sie straffte sich und verzog das Gesicht zu einem breiten Grinsen, „will ich die Amulette haben. Ich weiß, dass sie hier sind. Gib sie mir, und ich lasse dich vielleicht am Leben.“ Sie überlegte einen Augenblick und fügte dann strahlend hinzu: „Vermutlich aber eher nicht.“ „Hier sind keine Amulette“, gab Jiang Li zurück und vermied es, Kuan-yin anzusehen. Es hätte sie zu sehr an seinen Verrat erinnert und die schmerzhaften Gefühle wieder hervorgezerrt. Das konnte sie sich jetzt nicht leisten. „Irrtum. Ich kann sie fühlen. Sie sind hier und nicht mehr am Huashan. Schon länger nicht mehr. Sie rufen mich – ganz laut.“ Die Dämonin setzte ein geradezu verzücktes Gesicht auf und fuhr sich über die Lippen. „Gib sie mir und ich töte dich schnell.“ „Du langweilst mich. Zum letzten Mal, sie sind nicht hier.“ „Lass mich –“, mischte sich Kuan-yin ein, doch Xia hielt ihn mit erhobener Hand zurück. „Ruhe. Du bleibst brav im Hintergrund und hältst Abstand.“ Er wich wie ein geprügelter Hund zurück, und Jiang Li schnaubte verächtlich. „Sie hat dich benutzt und ausgesaugt, die ganze Zeit über. Du Idiot. Sich von dir ernährt, dich zu ihrem Sklaven und einer leeren Hülle gemacht. Deine Zeit ist bald um.“ Er fauchte ihr ins Gesicht und sie konnte sehen, dass ihm mehrere Backenzähne fehlten. „Du Ruine. Du Nichts. Ich habe zu viel Zeit an dich verschwendet.“ Xia rückte näher. „Die Amulette, wenn’s recht ist. Es fehlen“, sie streckte ihre hübsche, zierliche Hand aus und zählte ironisch an den gespreizten Fingern ab, „das Erd-, Wasser-, Metall- und Holzamulett. Vier. Sie sind hier, und ich will sie haben. Denk doch nur an das arme, einsame Feueramulett. Es will bei seinen Gegenstücken sein. So allein, wie es ist!“ Sie lachte bellend und zog mehrere Male neckisch an einer Kette, die sie um den Hals trug. „Da ist es, sieh nur!“ „Petrificus totalus!“ Die Fuchsdämonin riss ihre Arme hoch und wehrte den Zauberspruch geschickt ab. Jiang Li schrie vor Zorn laut auf und rückte zwei Schritte vor. „DILACERO!“ Kuan-yin duckte sich und wurde an der Schulter getroffen. Er taumelte durch die Glasscherben und prallte mit einem lauten Knall gegen die Wand. Xia knurrte und schleuderte einen Regen aus brennenden Steinen gegen Jiang Li, der ihr Abwehrschild auf eine harte Probe stellte. Einer der Feuerbälle verfehlte ihren Kopf nur um wenige Millimeter und sengte eine Haarsträhne an. Im Gang wurden aufgeregte Stimmen laut und jemand rief ihren Namen. „Bleibt draußen! Geht weg!“, brüllte sie und schwang wieder ihren Zauberstab. „Referio!“ Ein greller Blitz raste auf sie zu, gefolgt von einem ohrenbetäubenden Geräusch. Jiang Li winselte und wehrte den Angriff ab, so gut sie konnte, doch die Wucht der Schläge ließ ihre Kräfte erschreckend schnell schwinden. Sie war entsetzt, da sie die Dämonin offensichtlich unterschätzt hatte. Schnelle Schritte näherten sich der Tür und stoppten. Xia fuhr mit gebleckten Zähnen herum, überblickte die Lage und traf eine Entscheidung. Sie sprang mit einem mächtigen Satz zu Kuan-yin, packte ihn am Kragen und spuckte kräftig in Jiang Lis Richtung, bevor sie sich samt ihrer Last aus dem Fenster schwang. Jiang Li ignorierte Dumbledore, McGonagall und die anderen, die gerade ihre Tür zur Implosion gebracht hatten und nun mit erhobenen Zauberstäben ins Zimmer stürmten, rannte ihren Angreifern hinterher und starrte über die Turmbrüstung nach unten. Von Xia und Kuan-yin war nichts mehr zu sehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)